Cover

Hinweis des Autors

  Alles in diesem Buch ist so authentisch wie nur irgendwie möglich aus der Sicht der Betroffenen nacherzählt.

Im Text wurden nicht nur die Namen jener Personen geändert, die in ihrem Leben eine Rolle gespielt haben, damit die Anonymität der betreffenden Personen gewahrt bleibt. Auch der Name der Hauptperson ist zu ihrem eigenen Schutz ein Pseudonym. Zu groß wäre die Gefahr, dass ihr durch dieses Buch weiteres Leid angetan werden könnte.

Gedanken

Freitag, 14. September 2018, in einem kleinen Ort in Niederösterreich. Ich bin 49 Jahre alt und steh hier am Balkon meiner 80m² Wohnung, zünde mir eine Zigarette an und mache einen tiefen Zug an diesem weichen Ding zwischen den Fingern meiner rechten Hand. Langsam blase ich das in mich gezogene Gift in kleinen Ringen wieder hinaus   und betrachte nachdenklich wie sich diese Gebilde in Luft auflösen. Gerade noch waren sie zu fühlen, zu riechen, zu genießen - obwohl sie nicht unbedingt zu meiner Gesundheit beitragen. Aber ich kann zumindest einen kurzen Augenblick durchatmen.  Hauptsache ich komme für den Moment, für einen kleinen Augenblick, zur Ruhe, zum Frieden.

Ich bin in Gmunden am Traunsee geboren und der Großteil meiner Erlebnisse der letzten fast 50 Jahre spielte sich in diesem Ort ab. Erst durch meinen letzten Lebensgefährten kam ich von Gmunden weg und zog mit ihm in meine jetzige Heimat. Um meine Anonymität zu wahren, möchte ich hier den Namen dieses Ortes nicht preisgeben. Ohne diesen Menschen würde ich wahrscheinlich nicht mehr leben. Er und eine Therapeutin zogen mich aus dem Sumpf eines jahrzehntelangen Siechtums, das man nur als Albtraum bezeichnen kann. Diese beiden Menschen und meine einzige richtige Freundin Michaela waren meine drei Engel. Diese Menschen gaben mir auch die Kraft mein Leben niederzuschreiben. Mir war es ein Bedürfnis mich auch auf diese Art und Weise von meiner Seelenlast, von dem Druck, der in mir herrschte und wütete, zu befreien.  Es waren qualvolle Jahrzehnte, in denen mich andere Menschen beherrschten und für ihre Zwecke benutzten. Doch nun habe ich es geschafft und meine Suche nach Liebe und Glück, die zur Sucht entartete, ist gestillt. Ich bin angekommen.

Von meinem leiblichen Vater wird ja gesagt, dass er mich nie gewollt hat. Ich war eben nur ein „Hoppala!“  Ich war durch so etwas wie einem Unfall beim Geschlechtsverkehr entstanden - einem „One-Night-Stand“ oder einem „Quickie“. Nicht gerade die ideale Art um in diese Welt zu einzutreten. Aber was solls! Man muss den Tatsachen ins Auge sehen und das Beste daraus machen. Na ja, das redet man halt so einfach daher. Aber so einfach war es nun wieder auch nicht.

Irgendwann erfuhr ich, dass sich mein Vater vorgenommen hatte, mich kennen zu lernen. Aber seine Mutter wusste das immer zu verhindern. Als mein Vater schon im Sterben lag, fragte ich meine Großmutter, mit der ich nach vielen Jahren über komplizierte Wege Kontakt herstellen konnte, ob ich meinen Vater besuchen dürfe. Doch sie verbot es mir. Der Hass zwischen den Familien dürfte zu groß gewesen sein. Kurz darauf verstarb er. Ich überlegte kurz, ob ich zu seinem Begräbnis gehen soll, aber im Endeffekt war es sinnlos beim Begräbnis eines Menschen dabei zu sein, den man nicht kennt, auch wenn es sich dabei um den eigenen Vater handelt.

Ich hatte mit dieser Situation mehr zu kämpfen als ich mir eingestehen wollte. Bald nach seinem Tod bekam ich schwere Depressionen und ich musste für drei Wochen in die Psychiatrie. Meine Seele war dem Ganzen nicht gewachsen. Ich wurde zwar als geheilt entlassen, aber echte Heilung bekommen wir nicht von der Psychiatrie, sondern nur von der wahren Liebe. Und nach dieser Liebe sollte ich jahrzehntelang auf der Suche sein. Meine Sehn-Sucht wurde immer größer und so schlug ich einen Weg ein, dem ich nicht wirklich gewachsen war. Denn Weg der Süchte! Und da ich mich nun mal für diesen Weg entschieden hatte, traf ich auch auf Menschen, die auf diesem Weg der Süchte unterwegs waren.

Meiner Mutter und deren Familie werde ich wohl niemals verzeihen können. Dafür war das Ausmaß des Schreckens, den sie mir zugefügt hatten, ganz einfach zu groß. Aber meiner Großmutter väterlicherseits verzieh ich noch auf ihrem Sterbebett dafür, dass sie mir meinen leiblichen Vater vorenthalten hatte - auch wenn es mir schwerfiel. Und ich bin froh, dass ich das getan hatte. Damit hatte ich mich von einer Altlast befreit und meine Seele war gestärkt für die Dinge, die ich in den nächsten Jahren ertragen musste.

Mein Stiefvater war nicht sehr groß, aber schlank und er sah sehr gut aus. Trotzdem, dass er ziemlich ungeduldig und ein Choleriker war, respektierte ich ihn aufgrund seiner mir gegenüber lieben und großzügigen Art. Obwohl er meine Mutter geschlagen hatte, mochte ich ihn und ich mag ihn immer noch.  Wenn mein Stiefvater wütend wurde, dann allerdings bekam man es so richtig mit der Angst zu tun.

Nachdenklich zünde ich mir eine weitere Marlboro an und genieße diesen Moment des kurzen Wohlfühlgefühls. Auf einmal spüre ich es. Nein! Ich weiß es! Dieses kurze intensive Gefühl war es, das ich die letzten fünf Jahrzehnte gesucht habe und für immer festhalten wollte.  Ich musste immer einen Mann an meiner Seite haben. Denn hier meinte ich dieses Wohlfühlgefühl, dieses angekommen sein gefunden zu haben. Ich lehnte mich an diese Männer und meine Sehn-Sucht war für einen bestimmten Augenblick meines Lebens gestillt. Da konnte ich durchatmen. Aber ich fragte nie, ob es wirklich der Richtige sei, denn mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich nun angekommen bin. Und kaum, dass ich diesen tiefen Frieden zu spüren begann, begann mir alles wieder zu entschwinden. Kaum, dass ich sie fühlte, roch und genoss, entschwanden mir diese Seelen, entfernten sie sich langsam von mir und irgendwann lösten sie sich in Luft auf. Manchmal versuchte ich noch nach ihnen zu greifen, sie verzweifelt festzuhalten, doch sie lösten sich einfach auf und ich war wieder alleine und ich fühlte mich leer. Sofort begab ich mich wieder auf die Suche um meine leere Seele mit neuem aufzufüllen.

Fand ich nicht sofort den Richtigen, das Richtige oder war es zu wenig intensiv, dann stillte ich meine Sucht nach Zufriedenheit mit Alkohol, mit Marihuana, mit Koks, mit Heroin, mit Morphium. Ich brauchte den Kick, um der bitteren Realität sozusagen ein Schnippchen zu schlagen und ihr zu entwischen.

Doch der Realität können wir nie entfliehen. Sie holt uns immer wieder ein. Und sie holte mich immer wieder ein. Und zwar meist brutal. Ich fiel sehr oft und manchmal auch sehr hart und tief. Es waren oft die falschen Männer, die mich zu Boden drückten. Aber ich stand jedes Mal wieder auf, denn ich bin eine starke Frau. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen, ging einfach weiter und fiel in die Arme des nächsten Mannes. Doch irgendwann sah ich ein, dass das nicht nur die falschen Männer, sondern überhaupt der falsche Lebensweg war. Ich folgte auf meiner Suche nach Zufriedenheit nicht meinem göttlichen Inneren, sondern meiner Sehn-Sucht. Doch ich musste erkennen, dass ich eine Getriebene war und dabei immer unglücklicher wurde.

Bald wurde mein sehnsüchtiges Suchen zur Sucht und ich versuchte diese Sucht, dieses Rufen nach dem wirklichen Leben, mit den Giften dieser Welt zu stillen. Und bald wurde aus dem Rufen ein Schreien. Ich schrie zu Gott und ich schrie und schrie. Und als ich gerade sterben wollte, da wurde mein Schreien erhört, meine Sehnsucht gestillt…

1. Ich hatte das Gefühl, mein Unterleib zerreißt

 

Es war am Samstag, den 19. Juni 1982, kurz nach meinem 14. Geburtstag, viel zu auffällig gestylt um 20 Uhr die Wohnung verließ. Ich hatte mich so gefreut auf diesen Abend. Schon einige Tage zuvor erzählte mir Rita, meine Cousine, dass bei Mike, in der Wohnung seiner Eltern, am Wochenende eine coole Party stattfinden wird. In Minirock gekleidet und mit Wimperndusche und viel Schminke im Gesicht erschien ich in der Behausung des tollsten Jungen unserer Clique. Mike war einer dieser hübschen coolen Jungs, die um ihre Ausstrahlung auf Mädchen bestens Bescheid wissen. Er war immer umringt von zwei drei Mädchen, die ihn anhimmelten. Mich kümmerte das wenig. Ich wollte einfach nur Spaß.

Die Party hatte bereits um 20 Uhr begonnen. Etwa zwanzig Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren waren anwesend als ich eintrat. Laute Musik und viel Alkohol ließen die Stimmung schnell besser und ausgelassener werden.  Nachdem ich viel angestoßen und gelacht hatte, saß ich mit vier Typen, die ich nicht einmal kannte, zwischen dicken Rauchwolken, viel Bier, lautem Lachen und viel Gerülpse bis um etwa vier Uhr früh zusammen. Die meisten der jungen Gäste waren schon aufgebrochen, manche schliefen einfach auf dem Platz, an dem sie saßen ein. Auf einmal tauchte ein Junge aus einem Nebenraum auf und teilte mir mit, dass ich zu Michaela kommen sollte.

Ich begab mich in den Raum, denn ich als sehr groß in Erinnerung habe. Fünf Burschen standen da und glotzten mich mit großen Augen an. Irgendetwas war an deren Blicken nicht normal. Ich fühlte mich unwohl und fragte sie wo meine Freundin sei. Einer antwortete mit einem Klang in seiner Stimme, der mich erschauern ließ: „Sie ist im Nebenzimmer und fickt gerade mit einem anderen.“  Ich sah dem Jungen in die Augen. Sie hatten jene Rötung angenommen, wie sie durch zu viel Alkohol entsteht. Der Blick hinter dieser Rötung war eiskalt.

Auf einmal spürte ich Hände, die mich packten und zu einem Bett

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 17.09.2018
ISBN: 978-3-7438-8095-5

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