- Kilik -
Als ich meine Augen aufschlug, schienen mir einzelne Strahlen der Morgensonne aufs Gesicht und scheuchten den Schlaf schlagartig weg. Ich rieb mir die Augen, schob die Decke zurück und stand gähnend auf. Schwankend und etwas unsicher tappte ich zum Spiegel und betrachtete mich.
Ich sah schlimm aus, die Augen rot und entzündet und mein Gesicht war kreidebleich. Ich wusste selbst nicht, was mit mir los war, seit Tagen fühlte ich mich schon so und ich wusste nicht, wie ich das Gefühl beschreiben sollte. Es war, als würde ich zwar alles wahrnehmen, aber nicht wirklich erleben. Es war wie eine Art … Trance.
Warum wusste ich nicht, denn krank fühlte ich mich nicht wirklich. Es war irgendwie anders, einfach nur komisch.
Ich ging in den Waschraum, formte mit meinen Händen eine Schale, holte damit Wasser aus dem Eimer und klatschte es mir ins Gesicht. Anschließend lief ich zurück zum Spiegel und stellte fest, dass das kühle Wasser etwas gebracht hatte.
„Schon viel besser!“ sagte ich und schüttelte mich leicht. Wahrscheinlich ist das nur eine Phase zum Erwachs-enwerden.
Ich zog mir schnell etwas über und sprintete dann die knarzende Treppe herunter in die Küche.
Meine Mutter stellte gerade einen Korb mit geschnittenem Brot auf den Tisch und lächelte als sie mich sah.
„Morgen, Kilik!“ sagte sie fröhlich und ich wünschte ihr ebenfalls einen guten Morgen.
Ich half meiner Mutter noch den Rest des Tisches zu decken, als wir gerade fertig waren kam mein Vater durch die Tür und grüßte uns ebenfalls: „Guten Morgen, ihr zwei!“
Sein Blick blieb an mir hängen und er fing an zu grinsen. Was ist denn jetzt los?
„Warum bist du denn schon so früh wach? Sonst muss man dich immer aus dem Bett schmeißen!“ scherzte er und fing an zu lachen. Hahaha, sehr witzig! Ich lachte einfach heiter mit und er winkte mich zu sich und sagte mir ich solle meine Schwester Evelyn zum Essen holen. Also rannte ich die Treppe hinauf, an meinem Zimmer vorbei in das Zimmer meiner Schwester, die mit großen Augen mitten im Zimmer stand.
„Du hast mich erschreckt!“ jammerte sie, „Musst du meine Tür immer so aufreißen?“
Ich ging zu ihr hin, wuschelte durch ihr Haar und bevor ich ihr sagen konnte, dass es Frühstück gab, brummte sie: „Ich komm schon runter!“
„Okay“ erwiderte ich grinsend, schlenderte wieder hinunter und setzte mich an den Tisch. Meine Eltern hatten ebenfalls Platz genommen uns so warteten wir alle auf Evelyn, die langsam und hoheitsvoll die Treppe herunter schritt. Anscheinend spielte sie wieder Prinzessin, denn sie hatte sich ihre hölzerne Krone aufgesetzt.
Nach einer gefühlten Ewigkeit saß sie endlich und wir konnten essen. Gierig schnappte ich mir zwei Scheiben Brot und bestrich sie dick mit Butter, denn ich hatte tierischen Hunger. Ich wollte gerade in mein Brot beißen, als ich den besorgten Blick meiner Mutter bemerkte.
Aber sie sagte nichts, stattdessen sah sie mich weiterhin stumm an und aß ihr Brot mit Marmelade.
Mir wurde das langsam zu blöd und ich fragte sie: „Warum schaustdu so komisch?“
„Nichts!“ beteuerte sie und blickte auf ihren Teller. „Nichts?“
Okay, vielleicht hatte ich mir nur eingebildet, dass sie mich besorgt gemustert hatte. Wahrscheinlich war sie nur in Gedanken versunken gewesen.
Aber kurze Zeit später schaute sie schon wieder so. Ich bildete mir das doch nicht ein!
„Was ist?“ fragte ich diesmal leicht angesäuert.
„Naja“, druckste sie herum.
Jetzt war ich verwirrt, sagte aber nichts, da sie auch nicht weiter sprach.
„Hilfst du mir den Tisch wieder abzuräumen Kilik?“ fragte meine Mutter in die entstandene Stille und sah mich an.
Ich nickte stumm und verschlang hastig mein Brot.
Evelyn war derweil schon mit essen fertig und fragte, ob sie aufstehen dürfe. Mein Vater bejahte ihre Frage und sie sprang vom Tisch auf, schnappte sich ihr Holzschwert rannte hinaus.
Anscheinend wollte sie wieder mit den Nachbarskindern Prinzessinnen und Prinzen spielen.
Mein Vater erhob sich ebenfalls und meinte: „Die Gäste werden auch bald aufwachen und um die muss sich ja auch jemand kümmern.“
Er strich sich die Krümel vom Mund und trat durch die kleine Hintertür in unseren Gasthof „zur schlafenden Schlange“.
Meine Mutter begann die Holzteller abzudecken und brach schließlich das Schweigen.
„Geht es dir gut mein Kleiner?“ fragte sie, „Hast du gut geschlafen?“
Sie sah mich mit großen Augen an. Da ich nicht sofort antwortete, fuhr sie fort den Tisch abzudecken. Ich hielt inne und sah sie überrascht an.
„Geschlafen hab ich gut. Wieso fragst du?“
Sie lächelte leicht, obwohl ihre Augen besorgt wirkten.
„Ich frage nur, weil du ein bisschen fertig aussiehst.“
„Wie?“ fragte ich etwas perplex.
Sie lächelte wieder. „Wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein, aber du bist heute so still.“ Sie senkte ihren Blick und sah zu Boden.
Oh nein! Sie sollte sich doch keine Sorgen machen!
„Ach Quatsch! Du brauchst dir keine Sorgen zu machen!“ versuchte ich sie zu beruhigen.
Aber ich sah ihr an, dass sie mir nicht glaubte. Trotzdem sagte sie nichts mehr, sondern lächelte nur wieder.
Das war auch gut so, denn ich wollte nicht mehr darüber reden. Ich wusste selbst auch nicht wieso, ich wollte einfach nicht …
„Ich geh dann mal zu den Tieren“, sagte ich und deutete nach draußen. Das war die einzige Möglichkeit, die mir einfiel, um hier möglichst schnell wegzukommen, denn ich wollte nicht weiter ausgefragt werden.
Sie sah so aus, als wollte sie noch etwas sagen, aber irgendwas hielt sie davon ab und sie nickte nur.
Ich lief aus der Küche, den kleinen Flur entlang und durch die große Holztür hinaus in den Hinterhof.
Augenblicklich schlug mir die frische Luft entgegen, welche ich erst einmal tief einatmete. Danach fühlte ich mich schon viel besser.
Die vereinzelten Wolken am Himmel verzogen sich allmählich und ich genoss die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. Gemächlich trottete ich hinüber zu den Ställen, in denen auch die Pferde der Gäste untergebracht waren.
Als ich die Stalltür öffnete erfüllte der Geruch von Heu meine Nase und ich nahm das leise Schnauben der Pferde wahr.
In Gedanken versunken schnappte ich mir einen Striegel und begann damit den braunen Hengst, der sich neben mir befand, zu striegeln.
War es denn so offensichtlich, dass es mir nicht so gut ging?
Oder war es nur ihr „mütterlicher Instinkt“, denn mein Vater und Evelyn hatten anscheinend nichts bemerkt. Genau das musste es sein, ihr Instinkt!
Sie hatte zwar Recht, dass nicht alles in Ordnung war aber was sollte ich denn sagen? Ich wusste ja selbst nicht was mit mir los ist.
Mir wurde wieder leicht schwindelig, aber ich musste mich zusammenreißen, denn ich musste mich ja noch um die anderen Pferde kümmern. Ein leichter Hustanfall schüttelte meinen Körper und der Hengst fing an zu scheuen. Beruhigend strich ich ihm über seinen Hals und ging zur Rappenstute, die nebenan untergebracht war.
Vielleicht sollte ich es doch jemanden erzählen, … aber was ist wenn derjenige mich für verrückt hält? Meine Mutter … würde sich nur noch mehr Sorgen machen, als sie es jetzt schon tut und das wollte ich nicht.
Mein Vater … eher nicht und von Evelyn brauch ich erst gar nicht anfangen.
Wem könnte ich es erzählen und was noch wichtiger ist, wollte ich es denn überhaupt jemanden erzählen? Egal, das wird schon wieder. Endlich war ich mit dem Striegeln der Stute fertig. Ich packte mir etwas Heu und brachte es dem Hengst. Sein Besitzer würde erst heute Abend aufbrechen. Die Stute, die ich bis gerade eben noch gestriegelt hatte, konnte ich schon einmal aufsatteln und aufzäumen. Sie würde heute früh mit ihrem Besitzer weiterziehen. Da unsere Taverne gut besucht ist dauerte es seine Zeit bis ich jedes Pferd versorgt hatte, aber ich hatte es ja nicht eilig und war gerne bei den Pferden.
Nach getaner Arbeit schlenderte ich langsam zurück in Richtung Taverne
Als ich eintrat bemerkte ich sofort, dass sich eine Unruhe im Raum breit gemacht hatte. Außerdem waren zwei neue Gäste in der Taverne. Beide waren alte Männer mit harten Gesichtern.
Sie saßen an der Theke und wurden von allen mit den verschiedensten Blicken beäugt.
Ich gesellte mich zu meinem Vater hinter die Theke und fragte ihn im Flüsterton: „Was ist denn los? Alle sind so … angespannt.“
Mein Vater brummte nur und wischte weiter Gläser mit einem Lappen aus.
Ich zuckte mit den Achseln, ging zu den zwei Alten herüber und fragte sie freundlich, ob sie etwas trinken wollten.
Eben Angesprochene wandten sich in meine Richtung und sahen mich an.
„Zweimal Met!“ brummte der eine und warf drei Münzen auf den Tresen.
„Kommt sofort!“ erwiderte ich, nahm die Münzen, warf sie in die Kasse und gab die Bestellung an meinen Vater weiter
Er nickte schlicht und füllte zwei Krüge, indem er sie unter das Fass hielt.
Die vollen Krüge drückte er mir anschließend in die Hand und ich begab mich zurück zu den Zweien.
„Bitte sehr!“ rief ich aus, als ich ihnen ihre Getränke brachte.
Die Beiden bedankten sich und tranken gierig.
„Was führt Sie beide eigentlich nach Jungl?“
„Na, da ist aber jemand neugierig!“ meinte der Schwarzhaarige. „Lass ihn doch“, meinte der andere daraufhin schlicht.
Ich schaute beide gespannt an und war mittlerweile wirklich neugierig.
Der Schwarzhaarige ergriff erneut das Wort. „Wir sind Wanderer und kommen aus dem Süden, genauer gesagt aus Ur in Tschea. Wir kommen in Tavernen und verschiedene Lokale und verbreiten Neuigkeiten, die man sonst nicht so schnell erfährt.“
„Von unseren Reisen quer durchs Land bekommen wir nämlich so einiges mit“, ergänzte der Andere.
„Und was habe sie Neues zu erzählen?“
Ich sah die Beiden erwartungsvoll an, doch der Schwarzhaarige knurrte ur etwas vor sich hin und trank weiter.
Der Andere senkte seine Stimme und Sprach: „ Die Anderen hier, waren über unsere Neuigkeiten nicht sehr erfreut.“
Ich zuckte wieder mit meinen Schultern. „Ich will es trotzdem wissen!“ kam es leicht trotzig aus meinem Mund und behaarte weiter darauf, dass sie mir die Neuigkeiten verraten sollten.
„Na gut!“ gab der Wanderer schließlich von sich, „es heißt die Elfen- und die Tiervölker seien zurückgekehrt!“
„Aaaaaaha,“ kam es langgezogen aus meinem Mund. Die Beiden Wanderer wechselten einen kurzen Blick und blickten mich an, als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen.
„Ich verstehe immer noch nicht, warum den Anderen diese Nachricht so viel ausmacht.“
Die Zwei schauten mich nun mehr als nur ungläubig an und ich schwöre, ihnen wären fast die Augen rausgefallen.
„Kleiner, du weißt schon, dass die Elfen- und Tiervölker einen großen Hass auf uns Menschen haben, weil wir in der Vergangenheit nicht gerade freundlich zu ihnen waren“, warf der Schwarzhaarige ein.
„Warum versuchen wir dann nicht einfach einen Neuanfang mit den Elfen und Tiermenschen zu starten? Dann müsste sich niemand den Kopf über ihre Rückkehr zerbrechen.“
Ich wusste nicht warum, aber jeder, wirklich jeder schaute mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
„Junge! Weißt du überhaupt worüber wir hier reden?“ fragte mich der Andere.
Ich dachte angestrengt nach, aber anscheinend konnte man von meinem Gesicht ablesen, dass ich gerade keine Ahnung hatte, was die Beiden meinten.
„Der große Krieg?“ fragte der Schwarzhaarige leicht ungläubig.
Augenblicklich wurde mir bewusst, worüber die Zwei sprachen. Okay, ganz so einfach würde das mit dem Frieden schließen doch nicht werden.
„“Aber vielleicht wollen die Elfen und Tiermenschen die Vergangenheit hinter sich lassen und einen Schritt auf uns zugehen?“ sprach ich meine Überlegung laut aus.
Die beiden Wanderer sahen aus, als hätten sie sich am liebsten die Hand an gegen den Kopf geklatscht.
„Was habt ihr denn noch über die Rückkehr gehört?“ wollte ich nun wirklich interessiert von den Zweien wissen.
„Nicht wirklich viel.“ war die schlichte Antwort.
„Egal!“ warf ich ein und war ganz hibbelig, wie ein kleines Kind.
„Naja, es gab anscheinend ein paar seltsame Beobachtungen nordöstlich von hier:“ erklärte der Schwarzhaarige.
Plötzlich knallte eine Faust neben mir auf den Tresen.
„Alles Lügen!“ brüllte mein Vater, „hört auf meinem Sohn solch einen Unsinn einzureden! Am Ende glaubt er euch den ganzen Quatsch!“
„Hey, hey! Beruhigen Sie sich doch, bitte!“ meinte der andere Wanderer daraufhin.
„Ihr Sohn hat uns doch nur gefragt, was wir aufgeschnappt haben und da er es unbedingt wissen wollte, haben wir es ihm erzählt.“ verteidigte sich der Schwarzhaarige.
Mein Vater sah die Beiden jedoch weiterhin finster an.
„Es sind trotzdem Lügen, die Elfen und Tiermenschen gibt es schon lange nicht mehr! Das sind alles Märchen!“
Der schwarzhaarige Wanderer schüttelte den Kopf.
„ Wir haben selbst gehört, dass Jesha der Sohn des Herzogs aus Nej umgebracht wurde.“
„Was ist daran so besonders? Sowas kann heutzutage schon mal vorkommen.“ erwiderte mein Vater angesäuert, während ich leicht erschrocken aber dennoch interessiert zuhörte.
„Das seltsame an seinem Tod war jedoch, dass er weder von einer Klinge noch von einem wilden Tier ermordet wurde. Es gab auch nicht das kleinste Anzeichen, dass er vergiftet wurde.“ fuhr der Schwarzhaarige unbeirrt fort.
„Alles deutet daraufhin, dass es eine Todeselfe war! Ich kenne keine andere Kreatur die zu so etwas fähig wäre!“
Mein Vater schüttelte ungläubig seinen Kopf und wandte sich von den beiden Männern ab.
Also für mich klang das ganz glaubwürdig, denn warum sollte man sich auch so etwas ausdenken?
Missgestimmt nahm ein Vater wieder den Lappen und begann die Gläser weiter auszuwischen.
Meine Mutter, die das Ganze bisher schweigend beobachtet hatte, wandte sich nun mir zu. Sie wischte sich schnell ihre Hände an ihrer Schürze ab, beugte sich zu mir herüber und fragte, ob ich nicht schnell etwas für sie vom Markt holen könnte.
Ich dachte mir nichts groß dabei, zuckte kurz mit meinen Schultern und sagte: „Na klar!“
„Warte kurz, ich gebe dir etwas Geld und den Zettel mit den Einkäufen.“
Sie verschwand kurz hinter der Theke und kam mit einem Korb, etwas Geld und der Liste in der Hand wieder zu mir. Sie gab mir die Sachen, küsste mir kurz auf die Stirn und sagte, ich solle mich beeilen.
Als ich mich Richtung Tür begab spürte ich immer noch die Blicke der Gäste auf mir.
Die Tür hinter mir schloss sich und ich atmete erleichtert aus, denn hier draußen fühlte ich mich um einiges wohler.
Entspannt und gut gelaunt schlenderte ich zum Markt, das komische Gefühl der letzten Tage verdrängte ich dabei gekonnt.
Nach wenigen Minuten fing ich an fröhlich vor mich hin zu pfeifen, während die Marktstände langsam in Sicht kamen.
Teilweise musste ich mich durch Menschenmassen kämpfen, die durch die Straßen gingen, damit ich überhaupt vorwärts kam.
Was sollte ich eigentlich einkaufen? Hmmm mal sehen …
„Kartoffeln, Karotten, Brot und Milch,“ murmelte ich vor mich hin.
Das war alles? Sonst musste ich doch immer mehr einkaufen … Egal was solls!
Aufgeregtes Getuschel neben mir erregte meine Aufmerksamkeit.
Dort hatte sich eine kleine Gruppe von Frauen versammelt, die aufgebracht und wild durcheinander diskutierten.
Ich blieb stehen und spitzte meine Ohren, um zu verstehen über was sie redeten.
Ja ich weiß, dass sich das nicht gehört und das hat mir meine Mutter auch beigebracht aber ich war eben neugierig.
„Habt ihr schon von diesen fragwürdigen Wanderern aus dem Süden gehört?“ fragte eine der Frauen.
„Ja.“ krächzte eine etwas ältere und gebrechlichere von ihnen, „sie behaupten die Elfen Und Tiermenschen kämen zurück!“
„Die sollen bloß schauen, dass sie Land gewinnen und schnell weiter reisen!“ schimpfte eine kleinere Frau und verzog wütend das Gesicht, „Jedes Kind weiß, dass es die Elfen- und Tiervölker schon längst nicht mehr gibt!“
Was hatten alle bloß gegen die zwei Männer? Sie erzählten doch nur, was sie gehört hatten.
Als ich mich umsah, bemerkte ich, dass sich überall verteilt kleine Grüppchen gebildet hatten und ebenfalls tuschelten.
Das ist doch nicht fair die Beiden aufgrund ihrer Geschichten zu verurteilen.
Ich schluckte meinen aufkommenden Ärger herunter und setzte meinen Weg zu den Marktständen fort.
Brot und Milch hatte ich nach kurzer Zeit bereits im Korb, nachdem ich mich weiter durch das Gedränge gewühlt hatte. Fehlten nur noch die Kartoffeln und Kartoffeln.
Die alte Frau hinter dem Gemüsestand grüßte mich freundlich.
„Hallo, Kilik. Hat dich deine Mutter wieder einkaufen geschickt?“
„Ja, Margret!“ antwortete ich, „aber diesmal sind es nur Kleinigkeiten:“
Sie nickte und fragte mich, was ich bräuchte.
„Ein Bund Möhren und ein Pfund Kartoffeln.“
Margret nickte erneut und begann damit, das gefragte in einen Leinenbeutel zu packen.
„Bitte sehr, mein Junge. Das macht dann sieben Münzen.“
Sie wartete, bis ich ihr das Geld gab und überreichte mir dann den Beutel.
„Und grüß Sera bitte von mir!“ rief mir Margret zum Abschied hinterher.
„Mach ich!“ rief ich zurück und lief etwas über den Platz.
Meine Mutter wurde von jedem gemocht und freute sich immer, wenn sie gegrüßt wurde.
Ich ging zur Mitte des Marktplatzes, setzte mich auf die steinernen Stufen des kleinen Brunnens und stellte den Korb vorsichtig neben mir ab.
Irgendwie gingen mir die Worte der Wanderer nicht mehr aus dem Kopf. Was wäre, wenn sie doch recht hätten? Dann würde keiner mehr über sie lachen und verspotten.
Wie würden die Leute wohl reagieren, wenn sie einen Elf oder einen Tiermenschen direkt vor ihren Augen sehen? Außerdem muss ja irgendwo etwas Wahres an den Geschichten der Wanderer dran sein. Das mit dem Tod von diesem Jesha war zum Beispiel bestimmt nicht erfunden.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich bemerkte, dass vereinzelt Leute auseinander stoben. Zwischen ihnen lief ein Hund, soweit ich das erkennen konnte. Er hatte weißes Fell und war viel größer, als gewöhnliche Hunde. Wahrscheinlich sogar der Größte, den ich je gesehen hatte.
Er kam zielstrebig auf den Brunnen zu.
Als der Hund näher kam konnte ich erkennen, dass er schlapp aussah. Die Augen waren halb geschlossen und die Beine schienen beim Laufen leicht einzuknicken. Er lief recht langsam und humpelte schon fast.
Eigentlich ist ein Streuner ja nichts ungewöhnliches aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas anders an diesem Hund war.
Als sich unsere Augen kurz trafen, bestätigte das mein Gefühl.
N seinen Augen lag etwas … menschliches.
Er musste wohl ziemlich erschöpft sein, denn er trank gierig aus dem Brunnen.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass der Hund mich verstehen würde, wenn ich mit ihm spreche.
Ich blickte direkt zu dem Hund und Sagte: „Komm mit!“
Er blickte sich verwundert um, anscheinend um zu sehen mit wem ich sprach. Umso überraschter war er, als er feststellte, dass um uns herum niemand anderes war.
„Komm schon!“ sagte ich freundlich, „du bist doch bestimmt müde und hungrig. Also komm!“
Ich streckte ihm die Hand entgegen, sodass er daran schnuppern konnte.
Er schien mich wirklich verstanden zu haben, denn als ich mich erhob trottete er mir hinterher.
Auf dem Weg nach Hause hing ich so meinen Gedanken nach und schielte immer wieder zu dem Hund.
So einen Hund hatte ich wirklich noch nirgendwo gesehen. Er war nicht nur größer als andere Hunde, sondern hatte auch noch ungewöhnliches Fell. Sein gesamter Körperbau erinnerte eher an ein wildes Tier … wie ein Wolf.
Kurz vor unserer Taverne hielt ich inne. Ich weiß, das ist zwar ziemlich weit hergeholt aber könnte es nicht sein, dass dieser “Hund“ ein Tiermensch War? Ich meine er sieht näher betrachtet wirklich eher wie ein Wolf aus und welcher normale Wolf kommt schon freiwillig zu Menschen? Außerdem scheint er zu verstehen, was ich sage und das seltsamste waren seine Augen. Sie wirkten so menschlich.
Vielleicht lagen die Wanderer mit ihren Erzählungen ja gar nicht so falsch.
Wie auch immer, ich werde definitiv rausfinden, ob dieser “Hund“ wirklich das ist, was er zu sein scheint.
Mit diesem Vorhaben öffnete ich die Tür zur Taverne und lockte den “Hund“ herein.
Er näherte sich mir nur langsam und schien Angst zu haben hinein zugehen.
„Du brauchst wirklich keine Angst zu haben.“ sagte ich zu ihm und nickte ihm aufmunternd zu.
Mit angelegten Ohren und leicht aufgerissenen Augen folgte er mir hinein.
- Kjan -
Seit Tagen bin ich schon umhergezogen und war schon fast an meinem Ziel.
Meine Beine waren schwach vom Laufen und meine Augen fielen mir immer wieder fast zu. Aber ich musste durchhalten. Das letzte Stück der Reise würde ich auch noch schaffen.
Als ich mich an etlichen Leuten vorbeidrängte, bemerkte ich, dass eine ziemliche Aufruhr unter den Einwohnern herrschte.
„Die spinnen doch, Elfen und Tiermenschen! Das ich nicht lache!“ rief eine der auf dem Marktplatz stehenden Frauen und die anderen stimmte ihr lautstark zu.
Wenn die nur wüssten! dachte ich mir.
In der Mitte des Platzes entdeckte ich einen kleinen Brunnen mit frischem Wasser.
Ein paar Mäuler voll Wasser würden nicht schaden, denn ich war wirklich durstig.
Leicht schwankend und etwas schwächlich trottete ich hinüber, hielt aber kurz vor dem Brunnen inne.
Der Junge, der auf den Stufen saß sah mich so komisch an.
Was hatte der denn? Noch nie einen “Hund“ gesehen?
Ich beschloss ihn zu ignorieren, ging an ihm vorbei und trank gierig von dem Wasser.
Das kühle Wasser tat wirklich gut, es erfrischte und gab mir neue Kraft.
Plötzlich vernahm ich eine Stimme hinter mir. „Komm mit!“
Hä? Hatte dieser komische Junge das gesagt? Und wenn ja, mit wem redete er?
Ich sah mich prüfend um, entdeckte aber niemanden sonst in unserer Nähe.
Er konnte doch nicht ernsthaft mich meinen?!
„Komm schon!“ sagte er und grinste mich mit einem fetten Grinsen an, das mir schon etwas unheimlich war. „Du bist doch bestimmt müde und hungrig. Also komm!“
Auffordern streckte er mir seine Hand entgegen.
Konnte ich ihm wirklich trauen? Immerhin war er ein Mensch, und was ich auf dem Marktplatz gerade gehört hatte, reichte mir zu genügen, um hier schleunigst zu verschwinden.
Anscheinend wusste jemand von uns. Aber das konnte doch nicht sein, oder eher durfte nicht sein!
Allerdings blieb mir nicht viel Zeit mir darüber den Kopf zu zerbrechen, denn der Junge stand bereits auf.
Was solls! Mehr als schiefgehen konnte es ja nicht.
Gehorsam, wie ein Hund, trotte ich ihm hinterher und spürte immer wieder seine Blicke auf mir.
Das war mir so unangenehm, dass sich bereits mein Nackenfell sträubte.
Von weitem konnte ich schon eine Taverne ausmachen, auf die der Junge direkt zusteuerte
Oh nein! Eigentlich wollte ich solche Orte doch meiden! Da waren immer so viele Menschen!
Ich hatte das dringende Bedürfnis mich nach einer Fluchtmöglichkeit umzuschauen und zu fliehen, aber wie würde das denn aussehen?
Kurz vor der Taverne hielt der junge kurz inne, um dann anschließend wieder ein breites Grinsen auf seinem Gesicht erscheinen zu lassen.
Irgendwie hatte ich bei diesem Grinsen kein gutes Gefühl und so wie ich diesen Jungen bis jetzt einschätzte, würde ich sagen er hatte eine sehr bekloppte Idee. Das gab mir ganz schön zu denken.
Als er die Tür zum Gasthaus öffnete, drang lautes Lachen und Geschwätz an meine empfindlichen Ohren.
Das war der zweite Grund, warum ich solche Orte nicht mochte. Sie waren einfach viel zu laut.
„Du brauchst keine Angst zu haben!“ ermutigte mich der Junge und bedeutete mir mit seiner Hand nach drinnen zu gehen.
Wiederwillig folgte ich ihm dann schließlich doch hinein. Meine Ohren angelegt und meine Augen wachsam für alles, was nach Gefahr für mich aussehen könnte.
Drinnen bot sich mir der Anblick von laut lachenden Männern, mit roten Wangen, die ihre Bierkrüge hin und her schwanken.
Als plötzlich Met neben mir auf den Boden klatschte, zuckte ich erschrocken zusammen und bleckte die Zähne.
Der Mann sah mich an, zeigte auf mich, faselte irgendwas von Wanderern und fing an in schallendes Gelächter auszubrechen.
Was denn für Wanderer? Naja, auch egal. Mein Blick fiel wieder auf den Jungen, der mit beiden Händen auf seine Oberschenkel klopfte, um mir zu verstehen zu geben, zu ihm zu kommen.
Ich kam mir so unendlich bescheuert vor. Wenn ich kein Fell gehabt hätte, wäre ich vor Scham bestimmt rot angelaufen.
Was solls! Dann spielte ich halt das brave Hündchen, wobei Hündchen nicht wirklich auf mich zutraf.
Ich ließ also meine Zunge etwas aus meinem Maul heraus hängen und trabte auf ihn zu.
Er rief irgendetwas zu einer Frau, die hinter der Theke stand und ihm nicht ganz unähnlich sah.
Ein paar Augenblicke später kam sie mit einer Schüssel Wasser auf mich zu und stellte sie vor mir ab, dabei sah sie mich einige Momente lang seltsam an. Sie hatte etwas an sich, was mir vertraut vorkam, aber ich wusste nicht was.
Brav trank ich nun aus der Schüssel, während ich den seltsamen Jungen beobachtete und insgeheim verwünschte. Fehlten nur noch ein Fressnapf und eine Decke auf der ich schlafen sollte.
Der Junge setzte sich an die Theke, gab ihr einen Korb voller Lebensmittel, die er wahrscheinlich auf dem Markt gekauft hat und wuschelte sich anschließend durch sein dunkelrotes Haar.
Er begann ein Gespräch mit der Frau, die meiner Einschätzung nach wohl seine Mutter oder eine nahestehende Verwandte aufgrund der Ähnlichkeit sein musste, und schon wieder fiel das Wort Wanderer.
Was für Wanderer bitteschön? Was zum Henker ist hier in Jungl bloß los?
Ich konnte während dem Gespräch praktisch beobachten, wie sich die Gesichtszüge der Frau von entspannt zu ungläubig und schockiert wechselten.
Was hatte dieser Chaot ihr erzählt?
Vorsichtig spitzte ich meine Ohren und versuchte der Unterhaltung so unauffällig wie möglich zu lauschen.
„Glaub mir doch! Was wenn ich recht habe?“ fragte Der Junge und sah die Frau vor ihm an, wie ein trotziges kleines Kind.
„Kilik! Hör auf so einen Schwachsinn zu glauben!“ sagte die Frau anscheinend etwas lauter als beabsichtigt und klang leicht panisch.
Ah, er heißt also Kilik. Schön mal zu wissen, bei wem ich mich vorübergehend einniste.
Weitere Gedanken darüber wie es weitergehen soll kann ich mir ja später noch in Ruhe machen, also konzentrierte ich mich wieder darauf das Gespräch zu verfolgen.
„Warum denn? Woher willst du wissen, ob es eine Lüge ist, oder nicht? Fragte Kilik und schob leicht seine Unterlippe vor.
Die Frau schüttelte ihren Kopf. „Ich weiß, dass es eine Lüge ist! Diese ganzen Geschichten können nicht wahr sein!“
Okay, am liebsten würde ich jetzt gerne fragen: Was ist nicht wahr? Aber das konnte ich ja schlecht machen, oder? Verdammt ich würde zu gern wissen was in dieser Stadt gerade verkehrt läuft!
Als hätte dieser Kilik meine Gedanken erhört, sagte er: „Warum tut ihr alle die Geschichten über die Rückkehr der Elfen und Tiermenschen als Aberglaube und Lügen ab? Das sind keine Sagen oder Märchen für kleine Kinder! Irgendwo muss da ja au etwas Wahres dran sein!“
Seine letzten Worte schrie er ihr fast entgegen und war aufgebracht aufgestanden.
Die Frau schien sichtlich überrascht über den Tonfall des Jungen und schienanscheinend nicht mit so einer heftigen Reaktion gerechnet zu haben.
Also, wenn man mich fragt, bei dem überrascht mich nichts nachdem, was ich bis jetzt so gesehen habe. Irgendwie hab ich doch gleich geahnt, dass da mit diesem Jungen was nicht stimmt. Wobei, von mir will ich erst gar nicht anfangen …
Aber die Tatsache, dass die Menschen schon über unsere Existenz bescheid wussten.
Waren diese Gruppen von Abtrünnigen unserer Völker schon so auffällig geworden? Wie konnte sie darüber so gut bescheid wissen? Ach verdammt heute geht irgendwie alles drunter und drüber! Das ist doch zum Kotzen!
Das Erscheinen eines großen, breit gebauten Mannes riss mich aus meinen Gedanken. Seine Haare hatten in etwa die gleiche Farbe, wie die des Jungen lediglich eine Spur dunkler. Der Hühne trat neben die Frau und legte einen Arm um sie.
„Kilik, hör auf hier herumzuschreien! Deine Mutter hat recht!“
„Aber …“ wollte Kilik protestieren, wurde aber harsch von dem Mann, den ich als sein Vater vermutete, unterbrochen.
Der Mann verzog ärgerlich die Mine und sprach in einem Tonfall, der mir Schauer über den Rücken jagte: „Kein ABER!“
Ich glaube selbst dieser Idiot sollte verstanden haben, dass es jetzt besser wäre, die Klappe zu halten.
Schnaubend wandte sich sein “ Vater“ zwei etwas älteren Männern zu.
„Da seht ihr was ihr angerichtet habt! Setzt Kindern Flausen in den Kopf und nun glaub mein Sohn diesen ganzen Quatsch auch noch!“
„Dafür können wir doch nichts!“ protestierte der Schwarzhaarige der beiden Männer. Der andere meldete sich nun ebenfalls zu Wort, um sich gegen den Vater von Kilik zu wehren. „Außerdem ist ihr Sohn einer der wenigen, die uns nicht aufgrund unserer Berichte verurteilen!“
Kurzzeitig schien der breit gebaute Mann sprachlos, doch dann polterte er los.
Meine empfindlichen Ohren fingen an zu zucken. Verdammt, hier war es echt vieeeel zu laut!
Mein Blick glitt zur Tür der Taverne, die gerade aufgestoßen wurde.
Herein stolzierte ein kleines Mädchen mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Auf ihrem Kopf befand sich eine hölzerne Krone und darunter verbarg sich eine hellrote Mähne und sah Kiliks Mutter verdammt ähnlich.
Wie viele waren hier eigentlich noch mit dem Jungen verwandt?
Sie betrachtete mich kurz mit einem vielsagenden Blick und rümpfte anschließend ihre Nase, um ihre Meinung noch zu unterstreichen, bevor sie ihren Weg nach vorne fortsetzte.
Na schönen Dank auch! dachte ich mir und sah ihr stumm hinterher.
So eine eingebildete Ziege! Da ist mir der Verrückte ja noch lieber!
Sie ging unbekümmert weiter, bis sie bei Kilik angekommen war und deutete auf mich.
„Hast du diesen dummen Köter angeschleppt? Aus welcher Gosse hast du den denn aufgelesen?
Kilik sah zu ihr herab. „Erstens das ist kein dummer Köter, und zweitens ist er vielleicht tausendmal schlauer als du!“ meinte er dann grinsend.
Der hatte vielleicht Stimmungsschwankungen! Erst vor ein paar Minuten war er noch verärgert und aufgebracht und jetzt grinst er als wäre nicht passiert.
Das kleine Mädchen wurde rot vor Wut. Sie blähte sich förmlich auf um dann ihrem Ärger Luft zu machen: „Hast du gerade gesagt ich, dass ich dümmer als ein Tier sei?!“
Kilik wuschelte ihr neckisch durchs Haar, nachdem sie ihre Krone abgelegt hatte.
„Ich habe nicht direkt gesagt, dass du dümmer bist als ein Tier: Außerdem wer weiß, dass das ein Hund und kein Tiermensch ist?“ verteidigte sich Kilik gelassen.
Hilfe! Er wusste also, dass ich ein Tiermensch war? Verdammt! Ich sollte hier schleunigst weg, bevor der Typ sich sicher sein konnte, dass ich kein normaler Hund war. Das würde sonst riesen Ärger bedeuten.
„Kilik!“ kreischte das Mädchen, „du bist sooooo doof!“
„Warum denn?“ Kilik sah sie leicht verärgert an. „Ich hab doch recht! Irgendwas an diesem Hund ist komisch und sag mir nicht, du hast nichts bemerkt!“
Also komisch sehe ich doch wirklich nicht aus! Mann, haben die keine eigenen Sorgen so wie ich zum Beispiel? Denn ich musste dringend einen Weg aus dieser verdammten Taverne finden bevor das Ganze hier noch schlimmer wird.
Die Blicke der beiden Eltern wirkten auf mich auch schon leicht überfordert, aber mal ehrlich, wenn wundert’s?
Das Mädchen sah Kilik immer noch wütend an und reckte trotzig ihr Kinn vor.
„Papa hatte recht, du hast den Verstand verloren! Du benimmst dich nicht nur seltsam in letzter Zeit, sondern redest auch noch wirres Zeug! Er hätte dich schon längst zu Ukath schleifen sollen!“
Wer zum Henker war denn jetzt bitteschön Ukath?
Was ist hier los? Es schienen hier wirklich alle verrückt zu sein! Und ich natürlich mittendrin!
Meine Aufmerksamkeit erregte Kilik, dem bei den Worten seiner Schwester sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war.
„NEIN NICHT DER ALTE!“ schrie Kilik und fing panisch um sich zu schauen.
Au! Meine Ohren! Ich korrigiere: Es sind alle verrückt in Jungl!
Sein Vater trat nun vor ihn, sah ihm fest in die Augen, packte ihn anschließend an seinen Schultern und sagte: „Dann sag uns doch was du hast! Wir wollen doch nur dein Bestes.“
„Aber mir geht es gut!“ entgegnete Kilik mit einem leichten Zittern in der Stimme.
Sein Vater schüttelte bestimmt den Kopf und rüttelte leicht an Kiliks Schultern. „Hör doch auf zu lügen!“
Die Mutter trat nun ebenfalls näher und erhob ebenfalls ihre Stimme. „Kilik, ich weiß doch genau, dass etwas nicht stimmt. Wenn du mit uns reden würdest, könnten wir dir helfen.“
Kilik schien die Worte seiner Eltern erst verarbeiten zu müssen, denn nun riss er sich wortwörtlich von seinem Vater los, was bei dem Größenunterschied der Beiden nicht einfach gewesen sein dürfte.
„Ich habe doch gesagt, mir geht es gut und außerdem kriegen mich keine zehn Pferde zu Ukath!“
Seine Stimme bebte mittlerweile vor Wut … und ich war mir sicher auch etwas Angst heraus zu hören.
Ich glaube ich will gar nicht wissen, wer dieser Ukath überhaupt ist. Die Reaktion auf einen Namen kann Bände sprechen und in diesem Fall war recht eindeutig, dass ich diesen Typ wohl besser meiden sollte.
„Beruhig dich Junge! Du müsstest ja nicht zu ihm, wenn du endlich mit deiner Mutter oder mit mir reden würdest.“ ,polterte sein Vater.
„Dann hör mir doch mal zu! Ich sage euch doch die ganze Zeit, dass es mir gut geht und ihr euch keine Gedanken machen sollt!“ schrie Kilik seinem Vater entgegen, wobei sich seine Wangen vor Wut leicht rötlich verfärbten.
Was war denn auf einmal mit dem Jungen los? Bei jedem weiterem Wort, das man zu ihm sagt scheint er sprichwörtlich immer mehr an die Decke zu gehen.
Die Luft in der Taverne schien förmlich zu prickeln und zu knistern.
Irgendwie hatte ich ein ganz mieses Gefühl dabei, wie sich das Ganze hier entwickelte. Selbst jedes einzelne Haar meines Nackenfells hatte sich gesträubt und das verhieß nichts Gutes.
Unter meinen Pfoten fing ich an die mir vertraute und pulsierende Kraft der Magie im Boden zu spüren, welche direkt auf den Jungen überzugehen schien.
Aber das war unmöglich! Nur wir Tiermenschen konnten die Kraft, also Magie, aus unserer Umgebung aufnehmen und auch anwenden, doch er war ein MENSCH.
Er sah menschlich aus, er benahm sich menschlich und er roch auch menschlich!
Also, was zum Teufel passierte hier!
Immer mehr von der Magie schien in seinen Körper überzugehen und das was sich bis jetzt angesammelt hatte war nicht gerade wenig, wenn ich das so sagen darf.
Wie hielt er das bloß aus? Soviel Magie in sich hineinzupumpen war doch nicht normal!
„Kilik bitte beruhige dich … „ versuchte seine Mutter mit stark zitternder Stimme an ihn zu appellieren.
Ich wusste bereits, dass es für Beruhigen und gute Worte zu spät war.
Sogar seine kleine Schwester die bis gerade eben noch dicht bei ihm stand, wich ängstlich ein paar Schritte zurück. Man konnte ihr Schock und Angst vom Gesicht ablesen.
Verdammt, wenn sich diese Menge an Magie unkontrolliert entladen würde, dann war es das für uns!
Die ganze Luft im Raum flimmerte, mein gesamtes Fell hatte sich gesträubt und mein Körper fühlte sich wie unter Strom.
Das heftige Pulsieren unter meinen Pfoten beruhigte sich etwas und wurde langsamer, hörte aber dennoch nicht auf. Dafür konnte ich nun eine weitere magische Quelle ausmachen, welche direkt aus IHM zu kommen schien.
Das ist absolut unmöglich! Wie konnte er zwei verschiedene magische Kräfte besitzen und sie kontrollieren ohne das bis jetzt alles in Schutt und Asche liegt?
„Nein! Warum hört ihr mir nie zu?“ sprach Kilik mit leiser vor Wut zitternder Stimme.
Sein gesamter Körper bebte und für mich war klar, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein würde bis er die Kontrolle über diese ganze Kraft verlor.
Ach du … ! Bildete ich mir das gerade nur ein oder bilden sich da gerade wirklich kleine Lichtblitze, die sich über seinen Körper schlängelten?
Aber die einzige Rasse, die Blitzmagie anwenden konnte, waren Blitzelfen und wie ich bereit vorhin erwähnt hatte sah Kilik wie ein gewöhnlicher Mensch aus. Jedoch konnte Kilik nachdem, was ich gesehen hatte definitiv kein normaler Mensch sein, soviel war klar. Ich hoffe nur er weiß in etwa, was er da tut.
Immer mehr der gelb leuchtenden und zuckenden Linien konnte man auf seiner Haut erkennen. Mittlerweile herrschte eine fast geisterhafte Stille im Raum und alle Gäste sahen den Jungen geschockt und mit Angst in den Augen an.
Seine Schwester hatte sich schutzsuchend hinter ihrem Vater versteckt, welcher ebenfalls geschockt seinen Sohn ansah.
„Kilik“, flüsterte seine Mutter und ihre Augen begannen sich mit Tränen zu füllen, „ bitte beruhige dich endlich!“ Ihre Stimme war schwach und gegen Ende kaum mehr als ein Flüstern.
„Lasst mich doch einfach in Ruhe!“ schrie Kilik.
Einer der Blitze sprang von seinem Arm und ließ einen Krug, den einer der Gäste hielt laut zerschellen. Der Mann schrak merklich zusammen und schüttelte sich eiligst die Glassplitter von der Hand.
Eine der Frauen stieß einen erschrockenen Schrei aus, doch der Rest der Gäste verharrte regungslos.
Ein weiterer Blitz löste sich von Kilik, doch diesmal zersprang eines der Fässer und der Met floss heraus.
„Hör auf Kilik!“ wisperte seine Mutter und streckte vorsichtig eine Hand nach ihm aus.
Erst jetzt schien Kilik die vielen Blitze zu bemerken, die über seine Haut schossen, als er an sich herab blickte.
„Ich kann nicht …,“ hauchte er und seine Augen weiteten sich vor Schreck.
Das war nicht gut! Er hatte die ganze Zeit die Magie unbewusst kontrolliert und somit keine Ahnung, wie er damit jetzt umzugehen hatte. Er musste sich jetzt dringend beruhigen, denn das Fatalste wäre jetzt eine Panikattacke oder Ähnliches.
Ich begann mich instinktiv vorsichtig auf ihn zu zubewegen. Mit jedem weiteren Schritt spürte ich, wie mir die magische Kraft immer stärker entgegen schlug.
Gedanklich versuchte ich ihn und mich zu beruhigen. Einatmen, ausatmen …
Ich wollte seine Hand mit meiner Schnauze berühren, doch er zog sie vor mir zurück.
„Nein, tu das nicht! Ich tue dir sonst noch weh.“ sagte Kilik und Tränen fingen an über seine Wangen zu kullern.
Er hatte wirklich keine Ahnung, was da gerade mit ihm passierte … okay, zugegeben, ich hätte wahrscheinlich genauso viel Angst wie er, wenn ich an seiner Stelle wäre. Immerhin ist es alles andere als normal als Mensch über solche Kräfte zu verfügen.
Okay Kjan, denk nach! Was könnte ich tun, um ihm irgendwie zu helfen?
Verdammt, mir will einfach nichts einfallen, mein Kopf ist wie leergefegt und ich hab keine Ahnung wie weit er von einer Panikattacke und was weiß ich noch alles entfernt ist!
Das einzige Plausible und gleichzeitig das Logischste war zu ihm zu gehen, egal ob er das gerade wollte oder nicht.
Also machte ich einen Schritt auf ihn zu.
Er sah mich erschrocken an und schüttelte leicht seinen Kopf.
„Nein, bleib weg!“ flüsterte er leise. Ich ignorierte ihn und machte noch einen weiteren Schritt auf ihn zu
Ich hatte das Gefühl die Kraft um ihn herum würde mir mein Fell versengen, als ich direkt vor ihm inne hielt.
Langsam und vorsichtig reckte ich meine Schnauze vor und berührte seine Finger.
Es fühlte sich so an, als würde ein Teil der Magie wie ein Blitz durch meinen Körper fahren. Außerdem brannte es höllisch, doch ich versuchte das so gut es ging zu ignorieren und rieb nun stattdessen meinen Kopf an seinem Bein.
Ich bemerkte wie Kilik anfing zu schluchzen und sich zu mir herunter kniete und anfing zaghaft meinen Kopf zu streicheln.
Nach wenigen Momenten hatte er angefangen richtig zu weinen und knuddelte mich wie einen kleinen Hund.
Ich rieb meinen Kopf sachte an seiner Wange und wischte somit ein paar der Tränen weg, sah ihm in die Augen und versuchte ihm das Gefühl zu vermitteln, dass alles okay werden würde.
Ich konnte erleichtert feststellen, dass sich seine Atmung langsam beruhigte, die magische Kraft in ihm zurückging und die aus der Umgebung allmählich verebbte.
Okay, da das bis jetzt ja soweit ganz gut geklappt hatte und er sich offensichtlich langsam beruhigte konnte ich nur noch hoffen, dass er ansprechbar war.
Vorsichtig löste ich mich aus seinen Armen, doch bevor ich in irgendeiner Form reagieren konnte, verdrehten sich seine bernsteinfarbenen Augen und er brach zusammen.
- Kjan -
Okay, das war so nicht geplant!
„Kilik!“ rief sein Vater erschrocken und geleichzeitig besorgt aus. Seine Mutter schien nun ebenfalls aus ihrer kurzfristigen Schockstarre zu erwachen und lief zu ihrem Sohn. Gleichzeitig schien von überall das Gemurmel der anwesenden Gäste loszubrechen.
Was sie genau sagten konnte ich nicht verstehen, denn ich konnte nur wie gebannt auf den scheinbar leblosen Jungen starren.
Nur langsam verarbeitete mein Verstand, was in den letzten paar Minuten geschehen war und kam abrupt im Hier und Jetzt an.
Meine Gedanken rasten und eines Stand definitiv fest, ich musste hier weg, und zwar schleunigst. Hier war es nicht mehr sicher, weder für mich, noch für Kilik. Nachdem was passiert ist konnte ich ihn hier nicht einfach zurücklassen. Wer weiß, wie schnell sich die Ereignisse hier verbreiten und wie sie auf ihn reagieren, vor allem wenn sie anfangen diesen Wanderern anfangen zu glauben. Aber jetzt sofort auf der Stelle verschwinden ging ja nicht. Ich brauchte einen verdammt guten Plan um hier wegzukommen.
Ich brauchte Proviant, was zum Anziehen, naja zumindest eine Hose und musste so unauffällig wie möglich mit ihm verschwinden, was in seinem jetzigen Zustand etwas schwierig werden dürfte.
Proviant dürfte kein Problem sein, immerhin ist das hier eine Taverne und irgendwas müsste sich ja finden lassen. Eine Hose sollte auch nicht allzu schwierig zu finden sein, denn ich denke der Junge besitzt mehr als nur eine Hose im Schrank.
Aber wie sollte ich hier mit ihm rauskommen? Allein wäre das kein Problem aber wenn ich Kilik mitnehmen wollte, müsste ich meine menschliche Form annehmen und ich bezweifele stark, dass das vor den vielen Leuten hier ratsam wäre.
Meine endlos Gedankenkette wurde jäh unterbrochen, als sein Vater Kilik vorsichtig hochnahm und mit ihm in einer Hintertür verschwand.
Das Murmeln um mich herum hatte sich bereits größtenteils gelegt und man hörte deutlich das unterdrückte Schluchzen von Kiliks Mutter.
Irgendwie tat sie mir leid. Das was passiert ist wahr wahrscheinlich ein Schock für jeden hier im Raum, aber für sie als Mutter war das bestimmt hundertmal schlimmer.
Ich beschloss jetzt erstmal Kiliks Vater zu folgen, um zu sehen wo er Kilik überhaupt hinbrachte.
Gefolgsam wie ein Hund seinem Herrchen trottete ich ebenfalls durch die Hintertür, die Blicke der Gäste ignorierend. Ich vermutete, dass ich mich im Wohnbereich der Familie aufhielt, nur leider konnte ich den Vater momentan nicht ausmachen.
Plötzlich vernahm ich das Knarzen der Decke über mir und ich erinnerte mich, wie meine Mutter mir mal erzählte, dass in den Häusern der Menschen die Schlafräume immer etwas abgegrenzt vom Rest der Wohnung waren. Also mussten die Schlafräume wohl oben sein.
Nachdem ich die hölzerne Treppe hochgetrappt war fand ich mich in einem kleinen Flur wieder.
Eine der Zimmertüren stand offen. Vorsichtig spähte ich in das Zimmer und entdeckte den Vater, welcher seinen Sohn in ein Bett gelegt hatte und ihn gerade zudeckte. Langsam trat ich näher an das Bett, denn Kiliks Vater schien mich bis jetzt nicht bemerkt zu haben.
Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf das Gesicht den Jungen, welches zwar etwas blass aber dennoch friedlich aussah und blickte anschließend seinen Vater an.
Dieser hatte mich anscheinend immer noch nicht bemerkt und schien tief in Gedanken versunken, den Blick auf seinen Sohn gerichtet. Er strich ihm sachte ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und murmelte leise etwas in seinen nicht vorhandenen Bart.
Ich fragte mich gerade, ob ich mich irgendwie bemerkbar machen sollte, da wandte er sich um und verschwand aus dem Raum. Wahrscheinlich ging er wieder in die Taverne um sich um seine weinenden Frau und seiner verstörten Tochter.
Ich stütze mich mit meinen Vorderpfoten auf die Bettkante und fragte mich, wann der Junge wohl wieder die Augen öffnete.
Ich konnte wahrscheinlich erst in der Nacht meine menschliche Form annehmen und mir Proviant, Kleidung, … für die Flucht zurechtlegen, da ich denke, dass der meiste Trubel sich bis dahin gelegt haben wird.
Vorausgesetzt Kilik schläft noch ein bisschen und ist nicht in ein paar Minuten wieder putz munter.
Dann heißt es jetzt wohl abwarten, bis es dunkel wird. Das war aber leichter gesagt als getan, denn ich hatte das Gefühl die Zeit würde still stehen.
Die einzigsten Unterbrechungen waren das Eintreten des Vaters, wenn er nach Kilik sehen wollte. Als er das erste Mal eintrat schien er mich überhaupt erst wahrzunehmen. Wir sahen uns einige Momente lang an, dann brummte er etwas Unverständliches und zuckte mit den Schultern. Er kam zwar öfters, blieb aber nie besonders lange was wohl hauptsächlich daran lag, dass sich an Kiliks Zustand kaum etwas änderte und er sich mit dem ganzen Aufruhr in der Taverne rumschlagen musste.
Als es schließlich langsam dämmerte erhob ich mich vom Boden und reckte meine steifen Glieder. Auf leisen Pfoten tapste ich die Treppe herunter und folgte dem Geruch der mich höchstwahrscheinlich zur Küche brachte.
Als ich jedoch eintrat, war ich nicht wie erwartet alleine, sondern fand Kiliks Mutter am Küchentisch sitzend vor. Sie schien außerdem viel geweint zu gaben. Wir blickten uns einige Momente schweigend an, bis ich schließlich den Blickkontakt ab da ich das Gefühl hatte, dass sie in mir wie in einem offenen Buch lesen könnte und genau wusste wer ich bin.
Sie murmelte ein leises „Komm mal her!“und bedeutete mir mit Handgesten, dass ich zu ihr kommen solle.
Zögerlich trabte ich die kurze Strecke zu ihr herüber. Als ich nun neben ihr stand seufzte sie und hörte hörbar Luft.
„Weißt du …“, begann sie, „ich wusste dass das irgendwann passieren würde aber habe inständig gehofft das dieser Tag nie kommen würde.
Man kann auch sagen, dass ich es schlicht weg verdrängt habe aber in letzter Zeit hat er sich so anders verhalten.“
Anfangs hatte ich keine Ahnung von was sie sprach aber nachdem sie das Wörtchen “er“ erwähnte wusste ich sofort von wem sie sprach.
„Eigentlich hat er sich nicht so viel anders verhalten aber wir haben alle gemerkt, dass er sich in der Gegenwart anderer verstellt und sich zu einem Lächeln zwingt, insbesondere uns gegenüber.“
Warum erzählte sie mir das? Vielleicht brauchte sie aber nur jemanden, dem sie gerade ihr Herz ausschütten konnte?
„Du hast ja vorhin selbst gesehen, was für ein Dickkopf er ist und er uns nicht sagen wollte, was mit ihm nicht stimmte. Wahrscheinlich wollte er uns bloß keine Sorgen bereiten:“
Sie fing wieder an zu Schluchzen.
„Und jetzt sind meine schlimmsten Befürchtungen wahr geworden.“
Moment! Sollte das etwa heißen sie wusste dass Kilik mit Magie mehr oder weniger umgehen kann? Dass er kein normaler Mensch war? War seine Mutter vielleicht auch nicht normal? War diese ganze Familie nicht normal? Aber da Kilik ja selbst nicht zu wissen schien was vorhin mit ihm passiert ist, bezweifle ich das irgendjemand anders neben seiner Mutter, die anscheinend wusste, was hier verkehrt läuft, sich erklären konnte wie und warum die Sache in der Taverne passiert ist.
„Ich hätte es besser wissen müssen, hätte ihn warnen oder ihm wenigstens das Ganze erklären sollen.“ Sie schlug sich die Hände vors Gesicht und wisperte: „ Es ist meine Schuld, nur meine:“
Ich habe immer noch keine Ahnung von was genau sie sprach. Vor was hätte sie Kilik warnen sollen? Was hätte sie ihm erklären sollen? Und für was genau gab sie sich die Schuld? Möglich wäre das sie die Aufruhr im Gasthaus meinte und Kilik vielleicht vorher erklären sollen, dass er anders ist aber es wäre wirklich hilfreich, wenn sie Klartext reden würde, so dass ich verstehen kann worum es genau geht.
„Sie werden morgen bestimmt Ukath holen und dann wissen es alle, das ganze Dorf! Vorhinhast du ja selbst gesehen, wie sie auf euch reagiert haben und das kann nicht zulassen.“
Sie wandte sich ab, holte einen großen ledernen Beutel hervor und öffnete einen Schrank. Sofort wehte mir der Geruch von Essen in die Nase.
„Ihr müsst von hier verschwinden, du und Kilik! Am besten noch heute!“ Etwas hektisch kramte sie lang haltbares Brot und Trockenfleisch aus dem Vorratsschrank.
War das ihr ernst? Ich sollte mit dem Jungen verschwinden? Ich hatte das zwar ohnehin vor, ab es aus ihrem Mund zu hören schockte mich doch etwas.
Sie packte das Essen in ein Küchentuch und legte anschließend das Bündel vorsichtig in den Beutel. Sie nahm ihn und bückte sich zu mir runter.
„Versprich mir, dass du auf Kilik aufpasst!“ Während sie sprach entkamen leise Schluchzer ihrer Kehle. „Er ist vielleicht etwas schwierig, aber wird auf dich hören und versuchen nicht allzu viel Ärger zu machen.“ Es folgte eine Pause, in der sie mir in die Augen sah und ich konnte erkennen, dass das Grün ihrer Augen grau vor Trauer war. „Bitte … Kjan!“ Als sie meinen Namen aussprach stockte mir der Atem. Sie hatte zwar leise gesprochen, nicht mehr als ein Flüstern und trotzdem, sie hatte ihn gesagt. Woher kannte sie meinen Namen? Kannte sie mich vielleicht? Kannte ich sie? Ich kannte ja nicht mal ihren Namen. Sie hielt mir den Beutel vor die Schnauze, ich packte ihn vorsichtig mit meinem Maul und murmelte ein Danke. Ich sprach das Wort sehr leise aus und Kiliks Mutter lächelte.
„Beeil dich!“ hörte ich sie noch flüstern, als ich eiligst aus der Küche verschwand und wieder hinauf in das Zimmer, indem sich Kilik befand. Er schlief immer noch. Prüfend blickte ich mich noch einmal um, ob auch wirklich niemand sonst im Raum war und nahm meine menschliche Gestalt an.
Ich konnte praktisch spüren, wie mein Körper sich veränderte und schlussendlich stand ich auf zwei Beinen. Es war seltsam nach so langer Zeit wieder diese Form anzunehmen, tat gleichzeitig aber auch gut. Es war befreiend wieder in der normalen Gestalt zu sein und nicht mehr in der Tierischen. Als ich mich streckte wackelten meine Ohren und mein Schweif zuckte. Jetzt brauchte ich nur noch eine Hose die mir passte. Irgendeine müsste sich ja finden lassen, denn ich war nur ein bisschen größer als er.
Ich ging zur gegenüberliegenden Wand, öffnete dort die Türen eines großen Schrankes und wühlte mich etwas durch Kiliks Klamotten. Ich musste mehrere Hosen anprobieren, bevor ich eine passende fand. Mit meinen angedeuteten Klauen schnitt ich ein Loch für meinen Schweif hinein.
Wie dürr war der Junge eigentlich? Selbst die Hose die ich jetzt anhatte, passte geradeso. Nun musste ich mir nur noch überlegen wie ich mit Kilik möglichst unbemerkt aus dem Haus kommen sollte. Aus dem Fenster konnte ich ihn ja wohl schlecht werfen. Ich könnte wahrscheinlich noch rausspringen, ohne mir sämtliche Knochen zu brechen. Aber mit ihm? Keine Chance! Trotzdem überprüfte ich das Fenster. Man konnte ja nie wissen und ein Blick raus könnte ja nicht schaden. Leise öffnete ich das große Fenster und musste feststellen, dass die Nacht mittlerweile über Jungl hereingebrochen war. Es war still fast schon beängstigend still. Ich sah hinab zum Boden und versuchte in etwas die Höhe einzuschätzen, doch zu meiner Verwunderung lag ein gigantischer Heuhaufen fast direkt unter dem Fenster. Warum da ein riesen Heuhaufen liegt will ich glaube lieber nicht wissen. Wenn ich Kilik in diesen Heuberg werfe, sollte er das doch überleben oder?
Naja allzu viel Zeit sollte ich jetzt nicht mehr vertrödeln. Sicherheitshalber ich nochmal, ob niemand draußen war, dann ging ich zum Bett und schlug Die Bettdecke zurück. Eiligst schnappte ich mir Kilik und warf ihn mir über die Schulter. Er hing dort wie ein nasser Sack. Wieder beim Fenster angekommen warf ich ihn sicher ins Heu. Ich vernahm ein leises „Ufff …“ aber keine brechende Knochen, was zu meiner Erleichterung sehr gut war. Ich nahm unseren Reiseproviant und war den Beutel wie Kilik zuvor ebenfalls in den Heuhaufen. Anschließend sprang ich selbst hinunter. Es war tiefer als ich gedacht hatte und ein stechender Schmerz durchfuhr meine Knöchel, als ich auf meinen Füßen landete. Verdammt! Das tat weh!
Ich blickte mich suchend nach Kilik und unserem Proviant um. Der Beutel befand sich etwas rechts von mir und Kilik lag ca. einen Meter von mir auf dem Rücken, alle viere von sich gestreckt.
Als ich genauer hinsah konnte ich erkennen, dass er wach war. So ein Mist aber auch! Ich packte mir den Lederbeutel und watete durch das Heu zu ihm rüber. Er blinzelte einige Male und sah um es milde auszudrücken leicht verwirrt aus. Er rieb sich die Augen und murmelte etwas verschlafen ein „Was ist passiert? Wo bin ich?“
Dann setzte er sich auf, indem er sich auf seinen Unterarmen abstützte und nahm seine Umgebung nun in Augenschein. Als sein Blick an mir hängen blieb schien er ruckartig wach zu sein und sah mich erstaunt und … erfreut an? „Ich wusste es!“ Er sprang schneller als ich es ihm zugetraut hätte auf die Beine und hüpfte, man konnte es auch schon fast tanzen nennen, um mich herum. „Ich habs doch gesagt, du bist ein Tiermensch und keiner wollte mir glauben!“ Dieser Vollidiot sollte still sein! Wir sollten hier UNBEMERKT wegkommen und dieser Typ hatte definitiv ein zu lautes Organ. Da half nur noch eins und ehe er sich versah hatte er meine Hand auf dem Mund, die ihn zum Schweigen brachte. „Sei gefälligst still!“ zischte ich, mit einem Knurren in der Stimme das deutlich zeigte, dass es besser für ihn wäre jetzt still zu sein. Er blieb still. Langsam zog ich meine Hand wieder weg und er sah mich mit großen Augen an. „Wieso?“ fragte er leicht irritiert. „Komm einfach mit und seit still! Wir müssen hier weg!“ Kilik nickte etwas zaghaft, dann rannten wir auch schon los in Richtung Stadtrand.
Wir waren auch schon fast aus der Stadt, als ich in der Ferne ein paar Lichter sah. „Rein da!“ knurrte ich und bevor er überhaupt reagieren konnte stieß ich ihn in eine kleine Seitengasse. Ich begab mich ebenfalls schleunigst in die Gasse, presste mich eng an die Wand und lauschte. Mehrere Männer liefen mit Fackeln in den Händen an unserem Versteck vorbei. „Der Junge ist verrückt!“ „Nein, eher lebensgefährlich!“ Ich konnte erkennen, dass einer der Männer sehr alt war und einen langen Vollbart trug. „Nur keine Hektik! Ich werde ihn mir ansehen und schauen was ihm fehlt, “ krächzte der Alte. War das etwa Ukath? Wir beiden blieben still, bis die Männer verschwanden und rannten versteckt im Schatten aus der Stadt.
„Darf ich dich was fragen?“ fragte Kilik der nun neben mir herging. „Nein, später, wenn wir weiter weg sind und einen größeren Vorsprung haben“, antwortete ich. Er senkte seinen Blick etwas, doch im nächsten Moment grinste er mich wieder an. „Weißt du eigentlich, dass du einen lustigen Akzent hast?“
Bitte was? Ist dass das Einzigste, was ihm jetzt einfiel? Warum fragt er so was überhaupt? Konnte Kilik überhaupt mal mehr als zehn Minuten den Mund halten? Das konnte ja noch lustig werden!
-Kilik-
Die Sonne ging gerade hinter dem Wald auf und die Kälte der Nacht verschwand allmählich. „So jetzt kannst du Fragen stellen“, sagte der Tiermensch, der neben mir herlief. Endlich! dachte ich, mir brannten schon etliche Fragen auf der Zunge. „Wie heißt du eigentlich?“
„Mein Name ist Kjan und bedeutet Ehre.“
Warum sagte er mir die Bedeutung seines Namens? Nur der Name hätte doch auch gereicht. Oder ist das bei Tiermenschen so üblich? Hmmm … ob mein Name auch eine Bedeutung hat? Vielleicht weiß Kjan sogar die Bedeutung, immerhin scheint er sich ja solche Dinge zu merken. Als ich wieder aufblickte, sah mich Kjan seltsam an. Hatte er etwas gesagt? Erwartete er jetzt eine Antwort von mir? „Sorry, was hast du gesagt?“ fragte ich ihn und grinste entschuldigend. Kjans Gesichtsausdruck wechselte von seltsam zu hilflos und irgendwie verzweifelt. Er sah aus, als wolle er sich am liebsten den Kopf am nächstbesten Baum einschlagen.
„Ich habe gefragt: Dein Name war Kilik, richtig?“ sagte er mit monotoner Stimme und sah etwas angepisst aus.
„Woher weißt du wie ich heiße?“ fragte ich. Hatte ich mich denn schon vorgestellt? Wenn ja müsste ich mich doch daran erinner können. Als ich meinen Blick wieder auf ihn richtete musste ich einfach lachen.
„Hahahahaha! Weißt du wie bescheuert dein Gesicht gerade aussieht?“ Kjan schien vor Wut zu kochen. „Ich dachte du wolltest Fragen stellen!“ knurrte er und fletschte sogar die Zähne.
Schlagartig verging mir das Lachen aber grinsen musste ich immer noch. „Hab ich doch!“ protestierte ich. „Ich hatte gefragt, woher du meinen Namen kennst.“
„Naja, es ist auch nicht wirklich eine Meisterleistung deinen Namen mitzukriegen nachdem Chaos, das du in der Taverne verursacht hast.“
„Jetzt, wo du es sagst, was war eigentlich genau in unserem Gasthof los?“
Kjan blieb abrupt stehen und blickte mich überrascht an. „Ernsthaft? Du erinnerst dich nicht?“
„Nicht wirklich, ich kann mich nur verschwommen an ein paar Dinge erinnern. Was ich aber weiß ist, dass es irgendwas mit dir zu tun hat.“ antwortete ich wahrheitsgemäß auf seine Frage.
„Hätte ich jetzt nicht gedacht, dass es etwas mit mir zu tun hat. Am besten fasse ich das ganze Theater im Gasthaus mal zusammen um deinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen.
Du hast mit deinen Eltern und deiner Schwester mehr oder weniger diskutiert, dich gestritten, mir egal wie du es nennen willst, sie waren aus welchen Gründen auch immer besorgt um dich und du wurdest wütend, hast rumgeschrien und bist schlussendlich ausgerastet. Dann hast du wie und warum auch immer Magie freigesetzt, die du als Mensch gar nicht beherrschen solltest, dabei sind ein paar Dinge zu Bruch gegangen und du hattest einen halben Nervenzusammenbruch. Ich habe versucht dich so gut es geht zu beruhigen, damit die Magie nicht außer Kontrolle gerät und schließlich bist du umgekippt. Danach hat dich dein Vater hochgebracht und ich bin klang und heimlich mit dir verschwunden, denn ich will wirklich nicht wissen, was die mit dir gemacht hätten, wenn ich dich da gelassen hätte.
Bitte was?! Sollte das ein schlechter Scherz sein? Ich und Magie? Warum? Aber Kjan hätte keinen Grund mich anzulügen und außerdem steht vor mir der lebende Beweis, dass es Tiermenschen gibt, die sonst immer als Märchen und Kindergeschichten abgetan wurden. Warum sollte dann Magie nicht ebenfalls existieren?
Jetzt, wo ich darüber nachdenke, fragte ich mich, was genau er für ein Tiermensch ist. Ich hatte aufgrund seines Aussehens zwar eine Ahnung aber fragen ist besser.
„Komm weiter! Wir können hier nicht den ganzen Tag Wurzeln schlagen!“ sagte er und schien dabei sogar leicht zu grinsen, genau konnte ich das allerdings nicht erkennen. „Sag mal kann es sein, dass du ein Wolfsmensch oder sowas bist? Ich meine als Hund gehst du jetzt von deinem Äußeren nicht mehr durch und das Wort Hundemensch hört sich irgendwie seltsam an.“ „Ja, ich bin ein Wolfsmensch, so nennt ihr uns zumindest. Wir bevorzugen jedoch den Begriff Luporianer, “ antwortete Kjan und schielte aus dem Augenwinkel zu mir herüber.
„Lupowas? Wer denkt sich sowas aus?“ „Luporianer!“ bellte Kjan, schloss seine Augen und atmete ein einige Male tief ein, „Keine Ahnung wer sich das ausgedacht hat, aber wir heißen halt so. Das ist eben unsere Rasse.“ „ Das heißt es gibt noch andere Tiermenschrassen?“ fragte ich. „Ja, verdammt nochmal! Es gibt beispielsweise noch die Ursus, Leonari, Tiganer, Estainia und Saathar.“
Mein Kopf tat mir allein vom Zuhören weh. Hilfe! Wie konnte man sich diese Namen denn merken, geschweige denn ausdenken? „Und das sind?“ fragte ich und sah Kjan dümmlich an.
„Du weißt echt gar nichts, oder?“ fragte der Wolf und schüttelte dabei den Kopf, „ich meinte die Bären-, Löwen-, Tiger-, Schlangen- und Echsenmenschen. Die letzten beiden unterscheidet man zwar noch in Unterarten, aber das jetzt zu erklären wäre zu kompliziert.“
Das war es doch jetzt schon! Okay, wenn die Tiermenschen verschiedene Rassen haben dann …
„Haben die Elfen auch unterschiedliche Arten und so dämliche Namen?“ „Erstens: Diese Namen sind nicht dämlich und nur zu deiner Info aus unserer Sprache abgeleitet. Und Zweitens: Ja die Elfen haben ebenfalls verschiedene Rassen aber nur eine Bezeichnung für jede Rasse.“ keifte der Luporianer.
„Und was sind das für verschiedene Rassen?“ fragte ich und konnte meine Neugierde dabei nicht verbergen.
„Weißt du, dass ich mir leicht verarscht vorkomme? kam eine Gegenfrage von Kjan und zog, glaube ich mal, eine Augenbraue hoch. „Wieso?“ „Ach vergiss es!“ brummte er und atmete tief ein. „Es gibt da zu einem die Eiselfen, oder auch die erfrorenen Elfen wie sie oft genannt werden, sie leben im Norden. Dann gibt es noch die Donner- und Blitzelfen, die in einem ewigen Zweikrieg stehen. Man könnte auch sagen, wenn sie kämpfen steht ein Gewitter bevor. Es gibt allerdings noch weitere, die Nacht- und Geisterelfen zum Beispiel. Sehr bekannt bei den Menschen waren die Lebens- und Todeselfen, komplette Gegensätze. Die einen töten, die anderen heilen und beleben, was sie wieder beleben können.“
Ich nickte verstehend. „Von den Todeselfen haben die Wanderer berichtet.“ Auf meine Aussage sagte Kjan nichts mehr und ich sah zu Boden. Das Gras war wunderbar grün, grüner als das auf den Weiden um Jungl. „Was genau haben wir jetzt vor?“ „Wir tauchen erst mal unter und besorgen uns dann im nächstbesten Dorf einige Vorräte, die jetzigen werden auf Dauer kaum reichen.
„Und dann?“ fragte ich. „Erst mal nichts. Wir werden sehen, mehr kann ich dir noch nicht sagen.“ Kjan trat missmutig ins Gras und knurrte irgendwas vor sich her. „Wo willst du überhaupt untertauchen?“ fragte ich stattdessen damit er das Gras nicht unnötigerweise weiter zertrampelte. „Am Randgebiet des schwarzen Waldes, da kommt kaum jemand hin, weil es da gefährlich ist.“ „OK“ Das War doch schon mal was, wir hatten einen Zufluchtsort. Ich grinste. Moment! Es war gefährlich dort? „Warum ist es dort gefährlich?“ fragte ich und ich konnte hören, dass meine Stimme leicht zitterte. „Jetzt halt mal die Luft an!“ war Kjans schroffe Antwort und er schien sich auch nicht sonderlich daran interessiert zu sein, dass es dort gefährlich war. Ich konnte nur hoffen, dass es nicht so schlimm war wie die Bilder, die sich mein Kopf gerade zusammenreimt.
Während wir liefen wanderte die Sonne immer weiter den Himmel hinauf. „Wir sollten eine Pause machen.“ meinte Kjan und setzte sich ins taufeuchte Gras, ich gesellte mich zu ihm. Das Gras war kalt und mein Magen machte sich mit einem Knurren bemerkbar. „Hier!“ Kjan reichte mir einen Brotlaib, den er aus dem Lederbeutel neben sich herausholte. Ich bedankte mich und fing an dem Laib zu nagen. „Es dauert noch ein bisschen, bis wir unsere Vorräte aufstocken können, also iss nicht alles auf.“
„Wie lange müssen wir denn untertauchen?“ fragte ich. Ich hoffte inständig, dass wir nicht allzu lang untertauchen mussten, denn viel Proviant schienen wir nicht zu haben und der Wald indem wir bleiben sollten schien laut Kjan auch nicht gerade ungefährlich zu sein. Außerdem kann ich mir besseres vorstellen, als sich tagelang im Wald zu verstecken.
„Je nachdem, einen vielleicht auch zwei Tage, dann sollte sich der größte Trubel etwas gelegt haben und außerdem befindet sich in der Nähe vom Wald ein kleines Dorf.“ antwortete Kjan und schien etwas in Gedanken versunken. „Wenn ich mich richtig erinnere, war der Name des Dorfes Wallder. Dort werden wir dann unsere Vorräte aufstocken.“
„Bist du schon lange herumgereist?“ fragte ich ihn. Immerhin scheint er Erfahrung damit zu haben durch die Gegend zu reisen und hatte sich ja mehr oder weniger schon einen Plan für die nächsten paar Tage zurechtgelegt. Was mich allerdings interessierte war wohin er eigentlich unterwegs war, denn erschien ja ein bestimmtes Reiseziel zu haben und kommt anscheinend nur in Städte und Dörfer, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Irgendwie ist das auch verständlich, ich würde mich auch nicht sonderlich wohl unter so vielen Menschen als Tiermensch fühlen. Und irgendwie bin ich in seine ganze Planung reingeplatzt und Kjan musste nun … improvisieren. Er sah mich wieder so seltsam an. Hab ich irgendwas verpasst?
„Wenn du mich schon was fragst, solltest du auch zuhören“, sagte Kjan und biss ebenfalls in Stück Brot. „Entschuldige, kannst du nochmal anfangen?“ Er schüttelte den Kopf und aß noch etwas Brot. Ich erklär das alles jetzt nicht nochmal. Später vielleicht, wenn ich Lust hab.“ „Schade.“ Ich senkte den Blick. Was er wohl erzählt hatte? Ich sollte wirklich besser aufpassen.
Als die Sonne im Zenit stand, setzten wir unseren Weg weiter fort. Ich stolperte über den ein oder anderen Stein und stieß mir die Knie an, doch Kjan zwang mich unermüdlich weiter. Zu meiner Erleichterung sagte er, dass wir bald in der Nähe von Wallder wären.
Gerade stolperte ich wieder über eine Wurzel, die ich übersehen hatte und kippte nach vorn. „Autsch!“ rief ich aus und Kjan blieb stehen und drehte sich zu mir um. Er packte mich an den Armen und zog mich wieder auf die Beine. „Das wievielte Mal ist das schon?“ „Keine Ahnung“, keuchte ich und rieb mir meine Knie. Als ich wieder aufsah konnte ich Bäume, die sich auf der linken Seite des Weges ausbreiteten, erkennen. „Ist das der dunkle Wald?“ fragte ich und joggte ein kurzes Stück hinter Kjan her, da er sich schon wieder in Bewegung gesetzt hatte. Er nickte stumm und führte uns weiter. Beeindruckt sah ich mir die riesigen, krüppligen Bäume an, die ihre Äste wie Vögel ihre Schwingen ausbreiteten. Die Bäume standen so eng beieinander, dass sich die Äste verschiedener Bäume ineinander verhakten und kaum ein Sonnenstrahl berührte den von kurzem, fast blauem Gras bedeckten Boden. Ich glaube ich wusste jetzt warum der Wald so genannt wurde. Stetig drangen irgendwelche seltsame Geräusche an meine Ohren, Laute wie “Bork, bork“ und unheimliches Klappern. Ich bekam Gänsehaut. Hier wollte er etwa mit mir übernachten?! Als ich vorsichtig zu Kjan rüber schielte konnte ich keine Veränderung an seinem Verhalten ausmachen, ihn schien das ganze ja recht wenig zu stören. Ich wollte gar nicht wissen wie oft er schon in solchen Wäldern übernachtet hatte. Nach ein paar weiteren Minuten Fußmarsch bog Kjan schließlich links in dichtes Gebüsch ab. Er spitze seine Ohren, öffnete den Mund leicht und witterte, auf alles Mögliche gefasst, was für uns Gefahr bedeuten könnte. „Du passt doch auf, oder?“ ich und schlug mir vereinzelt Zweige aus dem Gesicht. „Ja“, gab er kurz angebunden zurück. Plötzlich hörte ich ein tiefes, langgezogenes Brummen hinter mir. Ich wirbelte herum, doch da war nichts. Ich schluckte. „Kjan, was war das?“ Er funkelte mich böse an und zischte, ich solle gefälligst still sein. Das Geäst vor uns teilte sich und ich hielt den Atem an, bereit abzuhauen falls nötig. Ein kleines, seltsames Tier sprang heraus, brummte und rannte davon. „Du Angsthase“, murmelte Kjan, drehte sich um und lief einfach weiter. Ich atmete erleichtert aus. Puuuuh! Glück gehabt! Als ich wieder seitlich neben Kjan herlief glaubte ich sogar, dass er grinste.
Die Schatten der Bäume wurden immer länger und wir schlugen unser Lager zwischen den Wurzeln eines riesigen Baumes auf. „Hier scheint es halbwegs sicher zu sein.“ meinte Kjan, überprüfte jedoch nochmals Luft und Umgebung. Ich sammelte währenddessen etwas Holz und versuchte ein kleines Feuer zu entfachen, was erst nach ein paar Versuchen und skeptischen Blicken seitens Kjan geklappt hatte. „Tadaa!“ Ich deutete auf die kleine zärtliche Flamme, die an den trockenen Ästen leckte. „Wow!“ sagte Kjan, immer noch mit demselben skeptischen Blick, jedoch hörte er sich begeisterter an, als er aussah.
Er setzte sich neben das Feuer auf den Boden und streckte die Hände darüber aus, als wolle er sie wärmen. Ich ließ mich gegenüber von ihm nieder und beobachtete, wie er hochkonzentriert in die Flammen starrte. Sie fingen plötzlich an zu zischen und wanderten das Holz hinauf zu Kjans Fingerspitzen, als hätte er sie angelockt. Diesmal fragte ich nichts sondern war einfach froh, dass ich nicht alleine war und rückte etwas näher zu ihm. Die Geräusche aus dem Wald machten mir immer noch Angst. Das Klappern brach immer wieder ab, nur um Sekunden später wieder von vorn zu beginnen. Ich hörte schwerfälliges Stapfen und das Rascheln von Blättern. „Ich hab Hunger“, sagte ich, eigentlich hatte ich nicht wirklich Hunger, sondern wollte mich nur von Geräuschen ablenken. Von irgendwoher ertönte ein komisches Zischen und Kjans Ohren zuckten ununterbrochen und orteten sämtliche Laute. „Nimm dir was“, sagte er und reichte mir den Lederbeutel, den er den ganzen Weg über auf dem Rücken getragen hatte. Ich kramte zwei Streifen gepökeltes Fleisch heraus und begann daran herum zu nagen. Es schmeckte scheußlich, zu viel Salz und zu wenig Fleisch und trotzdem schlang ich es herunter. Kjan atmete hörbar aus, es klang fast wie ein Seufzen. „Jetzt werd ich dir nochmal alles erklären und ich hoffe du hörst diesmal zu“, meinte er. Neugierig und froh über eine bessere Ablenkung als Essen rückte ich näher zu ihm und lauschte seiner saften, tierischen Stimme. „Vor wenigen Wochen bin ich sechzehn Jahre alt geworden, weswegen mich mein Rudel zur Akademie à H‘on Maig schickte. Sie haben mich deswegen geschickt, weil ich vom Mond gesegnet wurde.“ Er machte eine Pause und zeigte mir seine linke Hand, auf deren Innenseite eine Mondsichel abgebildet war, nur ganz leicht und fast nicht sichtbar. „Ich verabschiedete mich von meinem Rudel und speziell von meiner Mutter Moe und machte mich auf den Weg.“ Ich hörte seiner Geschichte stumm zu und konnte in seinen Augen, die jeweils eine andere Farbe hatten, sehen, dass er in Gedanken an sein Rudel zurückdachte. „Weißt du, es ist eine große Ehre von Aya als ihren Sohn gekennzeichnet zu werden.“ Er blickte ins Feuer und stocherte etwas mit einem Zweig darin herum.
„Luporianer zählen eher zu den Kriegern mit Waffe und Rüstung, die einzige Magie die wir gut beherrschen ist Veränderungsmagie, damit wir unsere Gestalt zwischen unserer tierischen und menschlichen Form wechseln können. Aber ich konnte noch nie gut mit einer Waffe kämpfen, dafür beherrsche ich elementare Magie, es ist keine Zerstörungsmagie wie manche Menschen sie nach längerem Training einsetzen können.“ Kjan beherrschte also Magie und war sozusagen der Sohn der Mondgöttin Aya. Und außerdem war unterwegs zu einer Akademie von der ich noch nie etwas gehört hatte? „Wir sollten schlafen“, meinte Kjan schließlich, nachdem ich nichts mehr sagte und seine Stimme ließ keinen Wiederspruch zu. Erst jetzt merkte ich, dass das Licht des Mondes zaghaft durch das dichte Blätterdach drang. Kjan hatte sich zusammengerollt und lag neben der Glut des Feuers. Sein Atem ging ruhig und regelmäßig, er schien zu schlafen, im Gegensatz zu mir. Die Geräusche aus dem Wald schienen nachts noch schlimmer zu werden. Na toll! Irgendwo in der Ferne hörte ich ein schrilles Heulen, ähnlich wie das eines Wolfes. Hihihi, Wolf, Kjan … Ich beschloss mir einen Apfel aus dem Lederbeutel zu nehmen, wenn wir morgen oder übermorgen sowieso neue Lebensmittel kauften konnte ich den einen Apfel ja ruhig essen. Ich nahm einen Bissen und sehnte mich wirklich nach meinem Bett, meiner nervigen, kleinen Schwester und meinen Eltern. Ob sie mich vermissten? Ob sie nach mir suchten? Gedankenverloren starrte ich in die Glut, kleine leuchtende Punkte … Im nächsten Augenblick landete etwas Katzengroßes auf meiner Hand. Ich fuhr hoch und schrie. Kjan schreckt augenblicklich alarmiert auf, während sich das Vieh an dem Apfel zu schaffen machte, den ich fallengelassen hatte, als ich aufgesprungen war. Kjan beobachtete die Szene einige Augenblicke aufmerksam. „Keine Angst, das ist nur ein hungriges Flugwölfchen“, flüsterte er nach einer Weile und winkte mich zu sich. Ich umrundete im großen Bogen dieses Flugvieh und setzte mich neben Kjan. Vorsichtig drückte ich mich an seinen weichen Pelz und beobachtete nun ebenfalls das kleine Wesen. Es hatte riesige dunkle Augen, ebenfalls große Ohren und zwei Zähne seines Unterkiefers ragten weiter heraus als die Restlichen. Anstatt Vorderbeine hatte es ledrige Flügel, die fast doppelt so groß waren, wie das Tier selbst. Gierig verputze es den Apfel und beäugte uns alle paar Bissen vorsichtig. „Es tut dir nichts. Flugwölfchen sind Pflanzenfresser, obwohl sie ab und zu auch Insekten fressen. Sie haben eher Angst vor uns als umgekehrt“, erklärte Kjan und ich konnte seinen belustigten Unterton heraushören. Ich kicherte. „Ich bin wohl ziemlich schreckhaft“, sagte ich und beobachtete weiterhin das Tier. „Ja, und jetzt schlafen wir! Also nicht nur ich sondern du auch, verstanden?“ Um seine Worte zu unterstreichen, knuffte mich Kjan ein paar Mal in die Seite. Ich nickte.
Er rollte sich wieder zusammen und ich legte mich Rücken an Rücken zu ihm. Die Nacht war kalt, obwohl es eigentlich noch Sommer war und ich fror. Hoffentlich wird der Tag morgen besser, dachte ich. Schließlich fiel ich einen sanften Schlaf, träumte von Kjan mit dem Mond und von Flugwölfchen, die Äpfel futterten.
*************************************************************************************** Am nächsten Morgen schlug ich ruckartig meine Augen auf, als sich meine rechte Seite mit leichten Schmerzen beklagte. „Steh auf!“ knurrte Kjan, „Wir müssen weiter!“ Murrend zog ich meine Beine an. „Ich will noch nicht aufstehen.“ „Soll ich dich etwa nochmal treten?“ „Nein!“ rief ich, rappelte mich schnell auf und war augenblicklich hellwach. Kjan war schon fix und fertig, hatte den Lederbeutel wieder über seine Schulter geworfen und war bereit aufzubrechen. Er reichte mir einen Apfel, in welchen ich gleich hineinbiss. Zu meinem Glück kamen diesmal keine seltsamen Flugviecher.
Relativ gemütlich marschierten wir durch den dunklen Wald, wobei ich den Eindruck hatte Kjan würde gerne schneller vorwärts kommen. Da sich über unseren Köpfen immer noch dichtes Blätterdach befand, konnte ich nicht sagen wie spät es war. Außerdem war es nicht besonders warm im Schatten der Bäume auch nicht.
Hoffentlich hol ich mir nicht noch ne Erkältung. Bei meinem Glück … „Wie weit ist es denn noch bis zum Dorf?“ fragte ich. Mir war sooo langweilig … und kalt.
„Hör gefälligst auf zu meckern wie ein kleines Kind! Wir sind da, wenn wir da sind!“ knurrte Kjan.
Wir ließen den Wald allmählich hinter uns, denn die Bäume und Sträucher lichteten sich nach und nach. Neben den Waldgeräuschen vernahm ich plötzlich eine Glocke, die zwölf schlug. „War das eine Glocke?“ Kjan nickte und hielt sich in die Richtung aus der Glockenschläge kamen. Ich freute mich den gruseligen Wald und seine Geräusche zu verlassen und der Schein der Sonne wärmte meine kalten Glieder langsam auf.
Als wir schlussendlich den Waldrand erreichten und ich das geschäftige Treiben auf dem Marktpatz in der Ferne vernehmen konnte blieb Kjan plötzlich stehen. Er packte den Saum seiner Hose. „Ähh … Was machst du?“ fragte ich irritiert, doch er ignorierte mich und zog die Hose aus, stopfte sie in den Lederbeutel, den er mir anschließend reichte. „Na los, gehen wir“, sagte er bevor er aus dem Wald stapfte und dabei wieder zu einem Tier wurde, er sagte danach nichts mehr und blieb still.
Kurz bevor wir die Tore des Dorfes erreichten flüsterte Kjan mir noch zu: „Du besorgst uns neuen Proviant und ich sehe mich etwas im Dorf um, Gerüchte aufschnappen und so weiter, verstanden?“ Ich nickte nur und wenige Augenblicke später teilten wir uns auf.
- Kjan -
Nachdem sich Kilik und ich uns in verschiedene Richtungen aufgeteilt hatten begab ich mich in Richtung Zentrum von Wallder, wo ich den Dorfplatz vermutete. Ich konnte nur hoffen, dass Kilik keinen Mist anstellte und genug Proviant kaufte. Ich selbst konnte ja schlecht in Läden rein spazieren und Lebensmittel kaufen.
Ich lief an unzähligen Wohnhäusern und kleineren Geschäften, welche alles Mögliche verkauften, vorbei. Nach ein paar Ecken und Biegungen konnte ich am Ende der Straße den Dorfplatz ausmachen, der überraschenderweise größer war, als in so manch anderen Dörfern. Laut plapperten die Leute auf dem Platz durcheinander, sie unterhielten sich über das Wetter oder Verwandte, während ich mich durch die Menge wand.
Meine Aufmerksam erregte ein bellender Laut der plötzlich von irgendwoher erklang. Mehrere Hunde mit roten Fellen und dünnem Profil rannten über den Platz, zwei von ihnen trugen verbrannte Würste, ein anderer einen fast zermatschten Kohlkopf in ihren Mäulern. Sie verschwanden augenblicklich in eine kleine Gasse zwischen zwei Häusern, ich folgte ihnen. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass das Maporianer waren, Mähnenwolfsmenschen.
Wie gesagt folgte ich ihnen und bog ebenfalls in besagte Gasse, welche dunkel und schmutzig war. Überall hing der Geruch von Abfall in der Luft und stach mir in meine empfindliche Nase. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass einer von ihnen unmittelbar vor mir stand und zuckte zusammen. „Was suchst du hier?“ knurrte er und seine Augen blitzten gefährlich. „Entschuldige, ich wollte nicht stören. Mein Name ist Kjan …“
„ … das bedeutet Ehre, schon klar!“ entgegnete der Maporianer. Er musterte mich ein paar Augenblicke kritisch bevor er wieder das Wort ergriff. „Seem, Sinn“, fügte er hinzu und seufzte dann. „Hör zu, ich will nur sichergehen, dass mein Rudel hier in Sicherheit ist.“ „Warum lebt ihr dann überhaupt in der Nähe von Menschen? Oder gehört ihr zu den Abtrünnigen?“ Ich bereute schon im nächsten Moment diese Frage überhaupt ausgesprochen zu haben.
„Nein!“ fauchte Seem zornig, „Wir gehören genauso wenig zu den Abtrünnigen wie du, wir sind es nur leid uns in Wälder vor den Menschen zu verstecken. Außerdem tun die Menschen uns nichts in unsere tierischen Gestalt und geben uns ab und an etwas zu essen, was ganz praktisch ist.“ „T’schuldige, aber du weißt selbst wie vorsichtig man mittlerweile sein muss,“ sagte ich hastig, denn verärgern wollte ich ihn bloß nicht und Mähnenwölfe waren nun mal … leichter reizbar.
„Das weiß ich selbst aber du hast noch immer nicht meine Fragebeatwortet. Was suchst du hier?“ meinte Seem nun etwas entspannter.
„Um ehrlich zu sein, war ich überrascht hier auf Artgenossen zu treffen, aber es erleichtert mir meine Arbeit ungemein, da ich mit euch reden kann. Jetzt muss ich nicht mehr auf dem Dorfplatz herumschleichen und versuchen Gesprächsfetzen aufzuschnappen,“ erklärte ich mich und Seem schien meine Erklärung für plausibel genug zu halten, mich nicht Hals über Kopf davon zu jagen.
„Und über was genau wolltest du reden?“ fragte Seem und klang immer noch misstrauisch. „Ich wollte nur wissen, ob es in den letzten Tagen irgendwelche Aufregungen oder interessante Gerüchte unter den Menschen gab.“ „Warum willst du das wissen?“ fragte Seem sofort und sein Ton klang alles andere als bittend. „Wie soll ich sagen, … ich bin nicht allein hier im Dorf, ein … Freund ist bei mir und wir haben uns hier im Dorf kurzfristig aufgeteilt. Wir hatten … etwas Ärger und wollen möglichst schnell und problemlos weiter, deshalb frage ich.“
Plötzlich bemerkte ich dass einer der anderen Mähnenwölfe neben mir stand und fast schon hysterisch anfing zu kichern. Als ich wieder zu Seem blickte konnte ich sehen, dass er sich bemühte nicht loszulachen, wie mittlerweile der Rest seiner Gruppe. Was war denn jetzt los? Hatte ich was falsch gemacht? Seem schien wohl meinen verwirrten Ausdruck zu bemerken und erhob wieder die Stimme. „Lass mich raten dein Freund, von dem du gesprochen hast, ist ein Mensch?“
Woher wusste er das? Diese Frage ging mir unzählige Male durch den Kopf. „Dir ist es vielleicht selbst nicht aufgefallen Kjan, aber wir können ebenfalls Mensch an dir riechen. Klar, wir riechen selbst nach ihnen, da wir hier mit ihnen leben, aber an dir können nur wir einen einzigen fremden Geruch ausmachen, der definitiv menschlich ist. Da wir jedoch nicht speziell nach einzelnen Menschen riechen gehe ich davon aus, dass dein Freund ein Mensch ist“, sprach Seem und klang dabei sehr amüsiert. Er hatte recht, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Verdammt! Wir Tiermenschen könnten allein vom Geruch etwas über einer Person aussagen. Der Maporianer neben mir lachte immer noch.
„Du hast ja Nerven dich überhaupt noch in ein Dorf zu trauen. Die Menschen zerreißen sich die Mäuler über einen gestörten Jungen mit seinem komischen Hund!“ lachte er, seine Stimme ätzte. „Was habt ihr zwei denn angestellt? Naja ist ja eigentlich auch egal!“
Seem sah mich an, mit einem Grinsen auf den Lippen. „Ich glaube du hast jetzt deine Antwort“, meinte er. Ich nickte, zu mehr war ich nicht imstande. Dieser Maporianer neben mir nervte und war irgendwie … gruselig. „Ich geh dann besser wieder“, erwiderte ich und wandte mich um, denn länger als nötig wollte ich hier wirklich nicht bleiben.
„Du und der Junge solltet vorerst nicht zu lange an einem Ort bleiben und schnell weiterreisen, nicht das man euch noch schnappt und in Schwierigkeiten kommt“, hörte ich Seem mir noch nachrufen und konnte das Grinsen aus seiner Stimme heraushören. Als ob ich das nicht selber wüsste!
Wieder auf dem Dorfplatz, heraus aus der Seitengasse, blickte ich mich erst einmal suchend um. Wo sollte ich am Besten mit der Suche nach Kilik anfangen? Wobei der Depp überall im Dorf sein könnte. Ich schüttelte meinen Kopf um meinen Kopf von den wirren Gedanken frei zu bekommen.
Im Vorbeigehen beobachtete ich das Treiben auf dem Platz, Frauen tratschten und Männer unterhielten sich über diverse Geschäfte und Gefahren aus dem dunklen Wald, von denen sie gehört hatten.
„Der Gasthof “zur schlafenden Schlange“ in Jungl vermisst einen Jungen!“ plapperte ein Frau. „Ach was?“ erwiderte eine Andere, „Wieso das denn?“ „Der Junge soll angeblich wahnsinnig sein und hat anscheinend irgendeinen seltsamen Hund bei sich.“ „Kein Wunder, dass sowas passiert, Jungl war schon immer … anders!“
Das war ja wirklich schlimm! Dieser gruselige Maporianer hatte wirklich nicht übertrieben als er meinte, dass sich die Leute über uns das Maul zerreißen. Die Menschen verbreiteten Gerüchte wie ein Lauffeuer. Ich sollte mich besser beeilen und Kilik finden, nicht dass er noch irgendwas Dummes anstellt und auffällt. Langsam trabte ich an den Läden entlang, mein Blick auf der Suche nach Kilik.
Plötzlich wurde die Tür zur Metzgerei aufgestoßen und heraus stürzte ein rothaariger Junge mit einem ohrenbetäubenden Schrei. Verdammter Mist! Kilik, du Bakrbakr (1)! Alle Leute, und ich meine wirklich alle, drehten sich zu ihm um. Großartig, wirklich großartig, genau das, was wir brauchten. Er rief ein panisches „Bleib bloß weg von mir!“ in den Laden und rannte, als hätte Arachne ihn gebissen (2). Ich folgte möglichst unauffällig, vernahm das Getuschel der Menschen im Vorbeigehen.
Kilik stoppte japsend am Nordausgang von Wallder. Ich war erleichtert, niemand war in der Nähe als ich aus den Schatten trat und durch den Ausgang aus dem Dorf lief. Mit einem Schwanzschnippen bedeutete ich ihm mir zu folgen, was er zu meiner Erleichterung auch sofort machte, obwohl er etwas müde und ausgelaugt aussah. Eigentlich kein Wunder, immerhin ist er quer durch das Dorf gerannt.
Nach einigen Metern und einer Abzweigung blieb ich stehen. „Was sollte das denn?“ fragte ich. Kilik sah mich fragend an. „Was meinst du?“ „Was meine ich wohl? Was sollte deine panische Flucht aus der Fleischerei“, sagte ich und nahm wieder meine menschliche Form an, fischte die Hose aus dem Beutel, der über Kiliks Schulter hing, und zog sie im Weitergehen an. „Wusstest du etwa nicht, dass Fleisch aus Tieren gemacht wird, oder was?“ Ich konnte nicht anders und musste lachen, allein die Vorstellung war einfach zu göttlich. „Nein …“, grummelte Kilik, „ …, das weiß ich. Immerhin ist neben unserer Taverne ein Hof mit Kuhzucht.“ Ich hörte auf zu lachen und sah ihn nun ernst an. „Was war dann?“ fragte ich, während wir vom regulären Weg wegliefen und uns wieder in dichtes Gehölz schlugen. „Naja …“, druckste Kilik, „ … der Verkäufer war einfach … gruselig:“ Okay, diese Erklärung war noch um einiges amüsanter. Wieder konnte ich mein Lachen nicht unterdrücken und es schallte durch den Wald, wie das Heulen eines Wolfes. Kilik sah mich zuerst grummelig und leicht beleidigt an, dann musste auch er schmunzeln und schließlich stimmte er in das Lachen mit ein.
Nach gefühlten zwanzig Minuten hatten wir uns soweit wieder im Griff, dass wir uns unterhalten konnten ohne loslachen zu müssen.
„Jetzt mal ein ernsteres Thema: Die Leute wissen über uns bescheid“, sagte ich, meine Stimme hielt aber immer noch ein kleines Lachen. Kilik hörte zu, als ich ihm erklärte, was ich von Seem und den Frauen auf dem Dorfplatz erfahren hatte, dann fragte er: „Ist es schlimmer als befürchtet?“ Ich nickte. Von der ausgelassenen Stimmung zuvor war nichts mehr zu spüren. „Wir müssen unentdeckt weiter reisen, am besten sofort zur Akademie ohne durch weitere Dörfer zu müssen. Das Risiko möchte ich nicht eingehen.“ Kilik blieb stumm und starrte nachdenklich auf den Boden. „Gib mir mal den Beutel, ich will schauen wie viel Proviant du gekauft hast:“ „Okay“, meinte er, ließ besagtes Objekt von seiner Schulter gleiten und reichte ihn mir. „Mal sehen, wir haben mehrere kleinere Brote, verschiedenes Obst, etwas Gemüse und noch das übriggebliebene Trockenfleisch. Wenn wir uns das einteilen sollten die Lebensmittel für uns zwei reichen“, murmelte ich. Anschließend zog ich den Beutel wieder zu und schulterte ihn. „Wie lange dauert es eigentlich, bis wir an der Akademie sind?“ Kilik hatte sich von seinen Gedanken losgerissen und sah mich nun fragend an. „Von hier aus sollten wir vier bis fünf Tage brauchen, je nachdem wie schnell wir vorankommen.“
„Heißt das, wir müssen wieder in solchen Wäldern übernachten?“ fragte Kilik und schauderte bei der Vorstellung. „Hör auf rumzumeckern, wie ein kleines Kind! Ich kann auch nichts daran ändern“, erwiderte ich und konnte den leicht amüsierten Ton in meiner Stimme nicht unterdrücken. Die drückende Stimmung war wie weggeblasen und wir liefen weiter durch das dichte Geäst. „Hmmmm … erzählst du mir von deinem Rudel?“ Ich blickte überrascht rüber zu Kilik, da seine Frage ziemlich unerwartet kam. Er lief gemütlich ein Stück hinter mir und begutachtete interessiert die Umgebung.
„Na schön, was willst du wissen?“ „Naja, wie ist ein Rudel so?“ fragte Kilik. „In einem Rudel gibt es ein Alphapärchen, sie sind praktisch die Anführer des Rudels. Die restlichen Mitglieder sind in Jäger, Krieger und Medizinleute unterteilt.“ Kilik brummte interessiert. „Meine Mutter war übrigens eine Medizinerin“, erzählte ich weiter, während Kilik zuhörte.
„Wie schon gesagt sind wir Luporianer eher kriegerisch veranlagt, man nennt uns auch die Knochenkrieger, da wir unsere Waffen aus den Knochen unserer Beute fertigen, ebenso Teile unserer Rüstungen.“ Kilik blieb stumm, was meiner Meinung nach doch recht ungewöhnlich war. Eigentlich hätte ich erwartet, dass er irgendwas Dummes von sich geben würde, doch da kam nichts. Die Stille wurde bedrückend. Ich blieb stehen und wandte mich um, um nach ihm zu sehen. Kilik war nicht da! Einfach weg! „Kilik?“ rief ich. „wo bist du Bakrbakr?“ Wo konnte der Idiot hin sein? Ich ging ein paar Schritte zurück, plötzlich wurde der Boden unter meinen Füßen weicher und bröckelte. Schließlich gab er nach und ich fiel.
Ich blinzelte ein paar Mal und blickte mich vorsichtig um, es war staubig und relativ dunkel. Wo bin ich hier denn gelandet? 2Schau mal Kjan, ich hab ne Höhle gefunden!“ rief Kilik fröhlich aus und tauchte wie aus dem Nichts erschreckend nah vor meinem Gesicht auf. Oh Gott! Ich bekomm irgendwann noch eine Herzattacke wegen ihm! „Du Idiot!“ fluchte ich und boxte ihm gegen die Schulter. Er rieb sich die schmerzende Stelle und ich wollte gerade ansetzen ihm die Leviten zu lesen, was er sich eigentlich bei solchen Aktionen denkt, doch ein Brummen ließ mich verstummen. Etwas regte sich auf der gegenüberliegenden Seite der Höhle. Durch den schwachen Lichteinfall, verursacht durch den eingebrochenen Boden, konnte ich einen Haufen schütteres, verfilztes erkennen. Scheiße! Wir haben ein großes Problem! Ausgehend von was ich erkennen konnte, konnte das nur ein wilder Mann sein, und mit denen war nicht gut Kirschen essen. Verdammt! Das Brummen wurde zu einem Knurren und klang nun um einiges zorniger als zuvor. Okay Kjan, denk nach, nicht in Panik verfallen.
Kiliks Lachen war ebenfalls wie weggewischt. „Was ist das?“ fragte er. Ich antwortete nicht. Der wilde man hatte sich auf seine Beine gestemmt und sich uns zugewandt. Sein doch menschliches, stark behaartes Gesicht spiegelte pure Wut wieder. Er brüllte laut auf und Kilik neben mir versteifte sich komplett. Das Biest hob sich auf die Hinterbeine, bereit Kilik unter sich zu begraben, woran ich keinen Zweifel habe, dass es ihn umbringen würde.
Ohne groß zu überlegen schubste ich Kilik zur Seite und rette mich neben ihm. Der Wilde krachte zu Boden und ließ ihn unter seinem Gewicht erzittern. Kilik keuchte, dann rappelte er sich auf und stieß einen panischen Schrei aus. Das Biest holte einige Male aus, versuchte Kilik zu erwischen, der wie ein Wunder ausweichen konnte. Vielleicht verfehlte das Biest ihn ja auch immer, da Kilik mehr oder weniger im Kreis rannte. „Kilik, hör auf zu schreien und sei still, dass hilft uns kein Bisschen!“ versuchte ich ihn mit Worten zu beruhigen, doch er hörte nicht zu. Der wilde Mann ließ kurzzeitig von ihm ab um nach mir zu schlagen. Dabei schob er sich etwas vom Eingang der Höhle weg. Kilik schien das ebenfalls bemerkt zu haben und war keine Sekunde später am Biest vorbei gerannt in Richtung Ausgang. Ich konnte nur hoffen, dass er sich in der Nähe ein sicheres Versteck sucht und wartet. Ohne zu zögern nahm ich meine Tiergestalt an und sprintete hinterher. Hinter mir vernahm ich noch das Aufschlagen der Faust des Wilden und das Aufwirbeln von Staub.
Das erste, was ich draußen war nahm war das blendende Licht, als ich aus der Höhle stürzte. Von Kilik konnte ich keine Spur entdecken. Wo war er? Ist er etwas noch ein Stück weiter gerannt? Ich hielt mein Tempo und rannte weiter, da das Biest immer noch hinter mir her stürzte. Seine Schritte donnerten über den Boden und sein Atem klang wie ein Keuchen, ein wütendes Keuchen. Glücklicherweise war ich der schnellere von uns beiden, außerdem sollte mich der wilde Mann nicht mehr lange verfolgen, sie Sonne und jede andere Form von Licht hassten. Er würde sicher bald in seine Höhle zurückkehren. Soweit ich erkennen konnte, lag der Ausgang der Höhle am Rande eines Wäldchens, indem ich mich erst mal in Sicherheit bringen konnte und ich hoffte, dass Kilik dort auch war. Kurz vor dem Wald verwandelte ich mich in meine menschliche Form und kletterte den erstbesten Baum, so hoch es ging, hinauf. Es war doch recht nützlich etwas über die Bestien zu wissen, denen man auf Reisen auf irgendeine Weise begegnen könnte. Praktisch, dass wilde Männer nicht klettern konnten! Das Biest am Boden knurrte, helles Sonnenlicht fiel durch das Blätterdach. Mit einem wiederwilligen Schnauben machte er kehrt und verschwand in den Schatten. Ich seufzte erleichtert und kletterte langsam wieder den Baum hinab. Das ging ja nochmal gut, jetzt musste ich nur noch Kilik wieder finden. Ich schnüffelte und hielt meine Nase in die Richtung, aus der Wind kam. Bald hatte ich seine Fährte gefunden und folgte ihr, bis ich vor einem kleinen, knorrigen Baum stehen blieb. War er etwa bis hier her gerannt? Das war doch nicht normal, nicht mal ich hätte das hinbekommen. „Kilik?“ fragte ich. Das Gesicht des Jungen lugte vorsichtig hinter einem der Äste hervor. „Ist er weg?“ fragte er, völlig außer Atem. „Ja, er ist weg.“ Kilik atmete erleichtert auf und rutschte den Stamm hinab. Er blieb neben mir stehen und sog in kräftigen Zügen Luft in seine Lungen. „Sehr gut! Dann können wir ja jetzt weitergehen“, sagte ich. Kilik nickte und gerade als ich mich umdrehen wollte klappte er zusammen. Nicht schon wieder! Dieser Idiot! Ich war wirklich nahe daran zu verzweifeln, doch ich riss mich zusammen und hob Kilik hoch und begann ihn zu schütteln. Wir konnten nicht schon wieder Zeit verplempern.
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(1) Bakrbakr ist ein Wort aus der Sprache der Tiermenschen und bedeutet soviel wie Idiot, Depp, Dummkopf, etc.
(2) Arachne ist die Göttin des Verrats, der Rache, Vergeltung und Verführung (im schlechten Sinne). Sie wird von den Menschen als Spinne oder Schlange dargestellt.
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2014
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