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Prolog

Eine finstere Stille lag über dem einsam gelegenen Schloss in den tiefsten Wäldern der Karpaten. Die alten Gemäuer wirkten wie ausgestorben. Keine Fackeln, nicht einmal das Licht einer Kerze war zu sehen. Nur Schwärze blickte einen durch die Fenster an und im zweiten Sock wehte ein Stück eines zerschlissenen Vorhangs an einer zerbrochenen Scheibe vorbei.
Mit dem verfallenen Turm, der bei seinem Einsturz Teile des Hauptgebäudes beschädigt hatte, hätte man das Schloss leicht für eine menschenleere Ruine halten können, in die sich nur noch wilde Tiere verirrten. Was diesem Eindruck jedoch widersprach waren die Stimmen, die durch die wolkenverhangene Nacht drangen und die in den Abergläubigen den Grundstein legten für die vielen Geschichten, die sich um dieses Schloss rankten.
Es waren Geschichten von Geistern, Hexen und Dämonen, von Alpträumen und anderen Spukgestalten, die jede Seele, die sie fanden, in den Abgrund rissen, auf dass auch sie die Leiden ewiger Verdammnis erfahren möge.
Mit den Jahren waren die Geschichten mehr und die Menschen, die sich hierher verirrten, weniger geworden. Doch die Stimmen waren geblieben.
Unberührt von allem, was außerhalb ihrer Mauern geschah.

Der Stein beginnt zu rollen

 

Staunend betrachtete ich die hohen Türme, die alten Mauern und das rege Treiben auf dem Innenhof, wo Menschen hin und her liefen, Fotos machten oder einfach nur wie ich alles auf sich wirken ließen.
Ich stellte mir vor, wie es wohl früher hier ausgesehen hatte. Anstatt lachender Touristen, Bedienstete, die ihren Pflichten nachgingen, Pferde, der Geruch von Holz, nassem Stroh und Fackeln an den rußgeschwärzten Wänden. Eine Kutsche, die durch das Tor fuhr, nachdem Männer unter Anstrengung das Fallgitter hochgezogen hatten. Wachen, die patrouillierten, Gänse schnatterten in einer Ecke und eine Meute Jagdhunde war aus dem Zwinger zu hören.
Das ganze wurde so bildlich, dass ich mich regelrecht erschreckte, als meine beste Freundin Miranda mich am Arm fasste.
„Kommst du jetzt weiter oder nicht?“ Sie zog mich lachend weiter. „Stell dir mal vor, wie das nachts auf einen wirken muss.“ Meinte sie plötzlich und sah mich von der Seite an. „Ok, das stellst du dir wahrscheinlich schon die ganze Zeit vor. Aber trotzdem. Hammer. Ich bin beeindruckt.“
Ich kicherte. „Erstens, ich habe es mir nicht bei Nacht vorgestellt. Noch nicht. Und zweitens, du bist von allem beeindruckt. Und ja, du hast Recht, nachts würde ich mir das Ganze sehr gerne mal ansehen.“ Mein Blick schweifte umher, während wir Arm in Arm an den Mauern langschlenderten. Ihre Bemerkung rief direkt das Bild auf von einem Schloss, in dem nur Fackeln und das Mondlicht für Beleuchtung sorgten.
„Vielleicht gibt es Führungen oder so, “ murmelte ich nach einigen Minuten.
Miranda stöhnte. „Wie laaangweilig!“
Ich musste ihr lachend Recht geben. Dieses Schloss rief geradezu dazu auf, es heimlich nur mit einer Taschenlampe zu erkunden. Ohne eine lästige Gruppe Menschen im Schlepptau.
„Was hältst du davon, wenn wir das einfach machen?“ fragte Miranda plötzlich.
Wir blieben stehen.
„Soll das ein Witz sein?!“ Ich tippte mir an die Stirn und schüttelte den Kopf. „Wie soll das denn funktionieren? Und wenn die uns erwischen? Nene, lass mal.“
„Komm schon. Gib zu, du kannst es doch schon vor deinem inneren Auge sehen.“ Spielte sie auf meine blühende Fantasie an. „Du willst es doch auch.“ Versuchte sie es danach mit gespielter Hypnose.
Das war einfach mal wieder so typisch für sie, dass ich laut loslachte. „Mal sehn. Aber jetzt lass es uns doch erstmal bei Tag anschauen.“
Wir liefen weiter. Immer wieder kamen die Bilder zurück und zogen mich mit aller Macht in ihren Bann. Ich wusste zwar, dass meine Vorstellungskraft schon immer ziemlich gut gewesen war, doch das hier faszinierte mich wirklich so ungeheuerlich, dass ich es wirklich beinah sehen konnte. Und dass ich dabei beinahe einen Mann übersah und in ihn hineinstolperte.
„Ups.“
Zwei Arme bewahrten mich davor, hinzufallen und hielten mich fest.
„Na aber hallo“, sagte eine tiefe Stimme neben meinem Ohr.
Eilig verlagerte ich mein Gewicht wieder auf meine eigenen Füße und sah den Typen an.
Er war nur wenige Zentimeter größer als ich, hatte hellbraune Haare und tiefliegende graue Augen, die belustigt blitzen.
„‘Tschuldigung, “ murmelte ich. „Ich hab wohl nicht aufgepasst.“
„Macht doch nichts.“ Seine Stimme war dunkel und sehr weich. Zum dahinschmelzen. Eigentlich.
Denn aus irgendeinem Grund, den ich wirklich nicht benennen konnte, war er mir unsympathisch.
Ich murmelte noch ein höfliches Danke und eilte rasch weiter. Miranda hatte von der Aktion nichts mitbekommen, da sie gerade versuchte, mit einem einheimischen Typen zu flirten, der offensichtlich kein Wort von dem, was sie sagte, verstand.
„Wohnst du hier?“ fragte sie langsam, deutlich und mit viel Gestik, wobei sie es fertig brachte, den Mann auch noch durch ihre dichten Wimpern kokett anzublinzeln.
Ich konnte mir nur sehr mühsam das Lachen verkneifen, als der Mann sie nur mit seinen Augen praktisch auffraß. Dabei fiel sein Blick immer wieder auf Mirandas Dekolleté. Schließlich holte er seinen Geldbeutel raus und reichte ihr mit einem anzüglichen Lächeln mehrere Scheine.
Nun konnte ich mein Lachen wirklich nicht mehr zurückhalten.
„Ich – oh!“ Mirandas Gesicht lief puterrot an, als sie endlich begriff, was der Mann in ihre Masche interpretierte. „So eine Unverschämtheit!“ Mit einer Bewegung schneller als der Schall riss sie ihm das Geld aus der Hand, schleuderte es auf den Boden, drehte sich um und marschierte von dannen.
Zu gerne hätte ich die Reaktion von dem Typen weiter beobachtet – es war einfach zu herrlich -  allerdings gebot meine Stellung als beste Freundin mir, Miranda so schnell wie möglich zu folgen.
„Und da lachst du auch noch!“ schimpfte sie. Ihr Gesicht erglühte immer noch in einem Tomatenrot.
„Tut mir leid“, grinste ich. „Aber das war definitiv hollywoodreif. Was wolltest du eigentlich von so einem Deppen?“
„Ich dachte, ich mache mich mal schlau, wie es hier nachts mit Überwachung und so aussieht.“ Gab sie zu.
„Ahja.“
„Nix, ‚Ahja‘!“ theatralisch hob sie die Hände über den Kopf. „Irgendjemand muss sich doch informieren!“
„Ich wollte mich eigentlich eher über so Sachen wie geschichtliche Hintergründe und so informieren.“ Gab ich trocken zurück. „Nicht über das Überwachungssystem.“
„Ich bin immer noch dafür, dass wir uns das heute Nacht ansehen.“ Erwiderte sie hartnäckig.
Das konnte doch echt nicht wahr sein! Ich wusste ja, dass sie ein absoluter Sturkopf war, aber dass das kriminelle Aktivitäten miteinschloss, war mir definitiv neu.
„Du spinnst doch! Geht’s dir noch gut! Ich werde bestimmt nicht nachts in ein Schloss einbrechen, das als Touristenattraktion auch noch super gut geschützt ist!“
Als ich merkte, dass einige Leute verdutzt zu uns rüber sahen, senkte ich meine Stimme. „Wir sind keine Kinder mehr, Mira. Du kannst nicht einfach alles machen, was dir so in den Sinn kommt!“
„Ist ja gut… War ja nur so eine Idee.“
„Du und deine verrückten Ideen“, lachte ich und Miranda stimmte mit ein.
Hoffentlich war das Thema damit  beendet.

 

Ich stolperte über eine Baumwurzel und knackste mir dabei beinah den Knöchel um. Ein leiser Fluch entwich meinen Lippen.
Wie waren wir nochmal hierhergekommen?
Fassungslos lief ich hinter Miranda her, wobei ich mich anstrengen musste, sie in der Dunkelheit nicht zu verlieren.
Wo war der Fehler gewesen? Was war passiert, dass ich jetzt hier war? Um diese Uhrzeit?
Heute Mittag noch hatte Miranda eingelenkt und von ihrem Plan abgelassen, um mich dann heute Abend vor vollendete Tatsachen zu stellen. Wenn ich nicht mitkommen würde, würde sie eben alleine gehen. Toll… Entweder ich wurde kriminell oder aber ich verriet meine beste Freundin. Hatte ich da noch eine großartige Wahl?
Also schlichen wir jetzt zusammen auf das angeleuchtete Tor zu. Oben in einer Ecke konnte ich eine Überwachungskamera sehen.
Das war der Moment, in dem mir endgültig der Angstschweiß auf die Stirn trat.
Sowas war einfach nichts für mich. Meine Erziehung war einfach zu spießig, als dass ich an solchen Sachen Gefallen finden konnte. Ich könnte ja nicht mal die Probiersöckchen im Schuhladen mitgehen lassen.
Was - verdammt nochmal - dachte Miranda sich dabei? Aber vielleicht brachte sie das ja jetzt zur Vernunft. Vielleicht wollte sie nur einmal kurz gucken und dann wieder gehen.
„Komm“, Miranda deutete auf den Weg, der außen um das Schloss herum führte. „Da hinten gab es irgendwo eine kleine Türe. Da können wir rein.“
„Du hast sie echt nicht mehr alle!“ Ich blieb stehen. „Jetzt reicht es! Ich gehe zurück.“
Miranda blieb ebenfalls stehen. „Jetzt sei nicht so ein Spielverderber!“
„Das hat gar nichts mit Spielverderber zu tun, Miranda! Ich gehe jetzt zurück und leg mich schlafen.“ Ich wandte mich ab, zögerte aber noch einen Moment. Ein Teil von mir hoffte, dass Miranda mit mir gehen würde.
„Du willst jetzt echt gehen?“ zischte sie. „Tolle Freundin bist du! Ich hab’s ja schon immer gewusst!“
Erbost sah ich sie an.  „Erwarte nicht, dass ich dir aus der Kacke raushelfe, in die du dich gerade reinmanövrierst!“ fauchte ich, drehte mich vollends um und ging.
Ich fühlte mich miserabel dabei, Miranda einfach so zurückzulassen. Aber andererseits, war ich für sie verantwortlich? Läge es auch nicht mal an ihr, mir zu folgen? Und einzugestehen, dass das eine totale Schnapsidee gewesen war?
Wütend kickte ich einen Stein zur Seite, der mit einem Rascheln im Gebüsch verschwand.
Eine tolle Freundin hatte ich! Die ließ mich echt einfach zurückgehen! Ich mein, hier könnten Axtmörder auf mich lauern oder so! Nein, stattdessen musste sie ja ihrer Abenteuersucht nachgehen.
Die leise Stimme in meinem Kopf, die mir zuraunte, ich hätte sie doch jetzt auch alleine gelassen, schob ich beiseite. Das war etwas anderes! Miranda konnte nicht von mir verlangen, dass ich nachts in ein Gebäude einbrach, nur weil sie das lustig fand.
Wütend und kurz vorm Heulen stapfte ich den ganzen Weg wieder zurück. Wobei ich mich mehrmals umdrehte, in der Hoffnung, Miranda zu sehen, die mir nacheilte und sich entschuldigte. Niente!
Je weiter ich ging, desto mehr verblasste die Wut in mir wieder. Ich war sogar einige Male kurz davor, wieder zurückzulaufen.
Ob sie wirklich so dämlich war einen Einbruch durchzuziehen? So richtig?
Mit einem mulmigen Gefühl betrat ich mein Hotelzimmer im Ort, wo mich als erstes mein bleiches Gesicht im Spiegel an der Wand ansah. Mit meinen schwarzen Haaren und der beinah weißen Haut blickte mich mein Spiegelbild vorwurfsvoll an als wollte es sagen: „Warum hast du sie da alleingelassen?“
Schnell wandte ich mich ab.
Ich wusste jetzt schon, dass ich die ganze Nacht nicht schlafen würde. Also machte ich mich auf eine lange Wartezeit gefasst, bis Miranda wieder da war.

 

Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als ich die Augen wieder öffnete war es taghell. Ich rieb mir meinen schmerzenden Nacken, blinzelte mehrmals gegen das Licht und setzte mich auf. Die Tischlampe neben mir brannte noch. Ich machte sie auf, dann stand ich auf und sah mich um.
Miranda war nicht da. Ich war alleine.
Hastig öffnete ich die Schranktüren, doch entgegen meiner Erwartungen waren all ihre Sachen noch da. Auch ihr Koffer lag noch auf dem Schrank hinter der Türe.
Das Bett war unbenutzt. Sie war gar nicht hier gewesen, was bei mir die schlimmsten Befürchtungen wachrief.
Man hatte sie erwischt und im Polizeipräsidium in eine kleine Zelle gesteckt, in der sie nur Brot und Wasser bekam, auf einer Pritsche schlafen und in einen kleinen blechernen Nachttopf machen musste. In wenigen Minuten würde die Polizei hier auftauchen und mich im besten Falle informieren und mir die Möglichkeit geben, eine Kaution zu zahlen oder sie würden mich als Komplizin festnehmen und in die Zelle daneben stecken. Da keiner von uns die Landessprache konnte und die Polizisten kein Englisch verstehen wollten, würden wir hier verrotten.
Ich vertrieb die Bilder mit einem Kopfschütteln aus meinem Hirn, dann versuchte ich das normalste und vernünftigste, was man in so einer Situation tun konnte: Ich rief Mirandas Nummer an.
Der Teilnehmer ist zurzeit leider nicht erreichbar. Sollten Sie…
Ich legte auf.
Verdammt.
Was sollte ich jetzt tun? Auch wenn wir uns gestern Abend gestritten hatten und ich überhaupt nicht mit ihrer Aktion einverstanden gewesen war, so war Miranda doch immer noch meine Freundin. Meine beste Freundin, die womöglich gerade die größten Schwierigkeiten ihres Lebens hatte und in diesem kleinen Land niemanden hatte, außer mir. Sollte ich hierbleiben und auf Benachrichtigungen warten? Es wäre vielleicht das Klügste, doch Untätigkeit war noch nie so mein Fall gewesen.
Ich beschloss, erst einmal runter zur Rezeption zu gehen und dort nachzufragen, ob man mehr wusste als ich.„Fräulein Wiegert ist gestern sehr spät in der Bar gewesen.“ Berichtete das nette Mädchen am Empfang mir während sie das roséfarbene Nagellackfläschen schloss. „Sie war dort zusammen mit einer Freundin.“ Vorsichtig legte sie einen Stapel Papiere in ein Fach.
Ich runzelte die Stirn.
In der Bar? Mit einer Freundin?
Das sah ihr gar nicht ähnlich? Miranda hasste Alkohol und wir kannten hier niemanden.
„Wissen Sie zufällig wer die andere Frau war?“ fragte ich.
Das Mädchen zuckte ratlos mit den Schultern. „Tut mir leid.“
Ich bedankte mich höflich, sah mich ratlos um und setzte mich schließlich draußen auf eine Bank, das Handy immer in Griffweite.
Offensichtlich war Miranda nicht - noch nicht – bei der Polizei. Das hieß, sie hatte es entweder alleine geschafft oder sie hatte einen Rückzieher gemacht. Fest stand jedenfalls, dass sie nicht im Zimmer gewesen war. Was hatte sie den bloß getrieben? Und wer war diese neue „Freundin“?
Nach längerem Überlegen kam ich zu der Erkenntnis, dass meine Pflichten als besorgte Freundin insoweit erfüllt waren, als dass ich wusste, dass es ihr gut ging. Ich konnte jetzt nur noch warten, bis sie wieder zurückkam. Was ja wohl der Fall sein sollte. Immerhin waren ihre ganzen Sachen noch im Hotelzimmer.
In der Sekunde, in der mir dieser Gedanke durch den Kopf ging, sah ich eine kleine blonde Gestalt auch schon in Richtung Hotel gehen.
Miranda.
Sie machte einen etwas aufgekratzten, jedoch nicht unglücklichen Eindruck.
Als sie mich sah, hielt sie kurz inne.
„Nina.“ Ihr vorher schon fast glücklicher Gesichtsausdruck ging buchstäblich flöten.
Ich sprang auf, erinnerte mich aber in letzter Sekunde daran, dass wir im Streit auseinandergegangen waren und ich eigentlich immer noch sauer war. Oder sein sollte. Nach diesem nervenaufreibenden Morgen fiel mir dieser Gemütszustand doch relativ schwer.
Miranda wohl eher nicht, so wie sie mich anblitzte. Ohne auch nur ein Anzeichen von Reue oder ähnlichem im Gesicht.
„Gibst du mir bitte den Schlüssel?“ fordernd streckte sie mir ihre Hand entgegen.
Ich reichte ihr schweigend den einzigen Schlüssel unseres Hotelzimmers.
Dann gingen wir beide ebenso schweigend nach oben.
Miranda schob den Schlüssel ins Schloss, öffnete die Tür, ging hindurch.
Und knallte mir die Zimmertüre vor der Nase zu.
„Geht’s noch?!“ Ich rüttelte an der Klinke.
„Nur, damit du mal weißt, wie sich das anfühlt!“ kam die Antwort durch die Türe.
„Du hast sie ja wohl nicht mehr alle!“
Ich hämmerte gegen die Türe, bis mir auffiel, dass dieser Lärm im Hotel wohl eher nicht so gerne gesehen wurde. Bevor mich hier noch jemand rauswarf, hörte ich auf.
„Was soll denn der Mist?“ 
Eine halbe Minute antworte mir nur Schweigen. Dann: „Ich bin heute Nacht eine Viertelstunde nach dem du mich allein gelassen hast hinter dir her. Und als ich dann ins Zimmer wollte, da schlief die Madam in aller Seelenruhe. Jedenfalls nehme ich das mal an.“
Oh verflucht…
Ich schloss entsetzt die Augen und lehnte meine Stirn gegen die Holztüre. So vergingen weitere dreißig Sekunden, bis ich mich zu einer Entschuldigung durchringen konnte.
Mira lachte kurz auf. „Ich habe zigmal geklopft. Natürlich konnte ich nicht laut werden, es war ja mitten in der Nacht. Zum Glück hat Anna mich gehört und ich konnte in ihrem Zimmer schlafen.“
Anna. Das musste die neue Freundin sein, von der die Rezeptionistin gesprochen hatte.
„Es tut mir wirklich leid.“ Rief ich durch die Tür. „Mach bitte auf.“
Die Tür ging auf, Miranda sah mich aus funkelnden Augen an. „Es ist mir egal.“ Mit den Worten wandte sie sich wieder ab und fing an, ihre Sachen zusammenzupacken.
Ich schwieg. Was sollte ich auch weiter sagen? Der ganze gestrige Abend war eine Katastrophe gewesen. Dafür hatten wir beide gesorgt.
Als Miranda ihren Koffer gepackt hatte und gerade gehen wollte, konnte ich mich doch nicht mehr zurückhalten.
„Wo willst du hin?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Weiß ich noch nicht. Nur weg von dir.“ Damit verschwand sie durch die Türe und ließ sie zufallen.
Beim Klang des zuschnappenden Schlosses zuckte ich zusammen. Einige Sekunden fühlte ich mich total miserabel und schuldig, bis dann die Wut anfing, sich nach oben zu schleichen. Wut auf sie, die so extrem stur war, und auf mich, die immer vor vollendete Tatsachen gestellt wurde und dazu „Ja-und-Amen“ sagte. Konnten wir uns nicht aussprechen wie zwei vernünftige erwachsene Menschen?
Mit einem leisen Zornesschrei hieb ich einmal auf mein Kopfkissen ein.

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 04.01.2017

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