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Vorwort

Ich bin keine perfekte Autorin, die ihre Werke makellos veröffentlicht. Ich bin lediglich ein einfaches Mädchen, dass immer wieder Vorstellungen von verschiedenen Szenarien bekommt und diese versucht in Worte zu fassen. Ich erhoffe mir durch die Veröffentlichung dieser Geschichte gute Verbesserungsvorschläge meines Schreibstiles, meiner Ausdrucksweise und der Logik sowie Glaubwürdigkeit der Geschichte. Bitte verschönt nicht die Wahrheit, ich möchte aus meinen Fehlern lernen und besser werden. Ich habe mir das Ziel gesetzt endlich einer meiner Werke zu beenden, da ich die nervige Angewohnheit habe, aus Selbstzweifel und an mangelnder Motivation meine Ideen zu verwerfen. Dem möchte ich, wie gesagt, ein Ende setzen und mich etwas unter Druck setzen, in dem ich das hier veröffentliche.
Hier schon einmal ein großen Dank an meinen Partner, der mir immer zu Rat steht, mir meine Zweifel nimmt und meine Geschichte Beta ließt, obwohl es nicht seinem Genre entspricht. Danke für deine Hilfe Liebling!
Und nun viel Spaß mit meiner Geschichte. 
Michue. 

 

Heimatgefühle trotz Befremdnis?

 

Ich atmete tief ein und schloss meine Augen als wir in die Ausfahrt zu Chalfont abbogen. Nach kurzem Weiterfahren kam auch das Willkommensschild der kleinen Stadt zum Vorschein. Ich seufzte leise und lehnte meinen Kopf gegen die Fensterscheibe des fahrenden Autos. „Geht’s dir gut dahinten?“, riss mich eine Stimme aus meinen heranschleichende Erinnerungen. Ich lächelte ein wenig, auch wenn ich wusste er konnte es nicht sehen. „Ja, alles bestens!“, antwortete ich ihm mit lauter und bestimmender Stimme, weil die außen Geräusche durch das Auto ziemlich laut waren. Naja, das Auto war ja schon wirklich etwas älter. Da war das kein Wunder. Im Spiegel sah ich, wie er mich skeptisch musterte. „Bist du dir sicher, das alles in Ordnung ist?“, fragt er besorgt. Ich schüttelte leicht den Kopf, immer diese doppelt und dreifache Bestätigung die nötig war um mein Vater zu beruhigen, obwohl ich nicht mal den Anschein machen könnte, dass irgendwas sei. „Ja, Dad. Ich versichere dir, dass alles in Ordnung ist. Wirklich!“, erwiderte ich es ein weiteres Mal, dieses Mal mit einem sehr starken, dominanten Unterton. Ich versuchte mich entspannt in den Autositz zurück zu lehnen und verschränkte die Arme. Mein Blick wich wieder zurück auf die Straße und erblickte ein mir bekanntes, aber auch sehr altes Gebäude. „Sie sieht immer noch aus wie früher“, murmelte ich leise in mich hinein, als wir an meine alte Schule von damals vorbeifuhren. Einerseits erfreute es mich meine alte Schule so vorzufinden, wie ich sie verlassen hatte, allerdings kam mir auch ein Gefühl der Befremdnis hoch. Zwei Jahre lang war ich hier nicht mehr zur Schule gegangen, in dieser Zeit hatte ich schon mit diesem Ort abgeschlossen. Jetzt wieder hier zu sein, nach all der Zeit und hier wieder zur Schule gehen zu müssen. Ich weiß nicht, ich war sehr zwiegespalten. Aber so schlimm kann es ja nicht werden. Verträumt und in Gedanken schaute ich auf die vorbeiziehende Straße.
„Wir sind gleich da“, rief mein Vater nachhinten und schaute in den Rückspiegel um mir kurz ein glückliches Gesicht zu präsentieren. Ich nickte nur lächelnd. Nach nur kurzer Zeit, waren wir an unserem Ziel auch schon angekommen und fuhren in die Einfahrt von unserem altem zuhause. Ein kurzes lächeln huschte über meine Lippen. Auch das hatte sich kaum verändert. Auch hier war ich zwiegespalten, ob das jetzt gut sei oder nicht. Allerdings ist das hier mein zuhause, ich konnte mich hier doch nur wohlfühlen, oder? Schließlich habe ich hier mein Rückzugsort und vor allem ein zuhause wo ich hingehöre. Das ist doch immerhin etwas! Etwas was man wirklich zu schätzen wissen sollte. Das Auto hielt an. Der Motor ist aus. Jetzt war der Zeitpunkt auszusteigen. Jetzt ist der Zeitpunkt zu zeigen, dass man bereit sei. Für alles. Neues und Altes. Für Heimat und Fremdheit. Ich rollte mit den Augen, leicht verärgert über mich selber weil ich immer alles tausendmal durchdenken musste. Einfach kurz abschalten, Ambre. Einfach kurz abschalten…
Ich erschrak, als sich meine Autotür öffnete. „Willst du hier Wurzel schlagen?“, fragte mein Vater lachend. Ich lächelte ihn entschuldigend an und machte mich dran schnell auszusteigen. „Sollen wir schon die ganzen Sachen Reinräumen?“, fragte ich und wollte mich gerade an den Kofferraum ranmachen, allerdings schüttelte er den Kopf und zog mich am Arm in den Vorgarten. „Lass uns bitte erst einmal reingehen! Ich muss deine Mutter wiedersehen!“, sagte er und war aufgeregt, so wie ein kleines Kind auf seine Geschenke zu Weihnachten aufgeregt ist. Ich starrte auf die Eingangstür und driftete wieder in alte Erinnerungen ab, die hier in diesem Haus stattgefunden hatten.
Ich freute mich wirklich für meinen Vater, dass er wieder so glücklich mit meiner Mutter ist. Beziehungsweise, dass sie sich generell nach der ganzen Aktion wieder vertragen konnten, auch wenn das ganze geschlagene zwei Jahre gedauert hatte. Wobei ich das schon verstehen kann, immerhin ist mein Vater ihr auch fremdgegangen. Das muss man auch erst einmal verkraften. Als meine Mutter die beichte von meinem Vater gehört hatte, dachte ich, dass unsere Familie für immer zerstört sei. Ich hatte damals wirklich unglaubliche Angst, mittlerweile weiß ich, dass unsere Familie sehr stark zusammenhält. Damals zog mein Vater aus, um meiner Mutter den Freiraum und die Zeit zu geben die sie brauchte. Da John, mein jüngerer Bruder, darauf bestand hier zu bleiben, beschloss ich mit meinem Vater mit zu gehen. Immerhin wäre es nicht gerecht, wenn beide Kinder bei der Mutter bleiben würden, auch wenn er den Fehler begangen hatte. Nach drei Monaten Funkstille begannen sie langsam wieder an zu telefonieren, was zu ein paar treffen im Monat und schließlich zum wöchentlich Besuch führte. Nun haben sie sich entschieden, einen Neuanfang zu wagen. Sie waren so glücklich und richtig verliebt, als sie mir und meinem Bruder von ihrem Entschluss berichteten, was uns beide natürlich auch sehr freute.
„Ambre? Hey?“, mein Vater winkte hektisch mit seiner Hand vor mein Gesicht wobei ich zusammenzuckte, da ich das nicht kommen sah. „Tut mir leid, ich war völlig in Gedanken, was hast du gesagt?“, fragend blickte ich ihn an. „Wollen wir endlich reingehen?“, fragte er mit hochgezogener Braue und mit einer Handgeste die auf die Tür deutete. „Ja, natürlich.“
Ehe wir die Tür aufgeschlossen hatten, stürmte meine Mutter auf uns zu und nahm uns beide in eine innige und ewiganhaltende Umarmung. Nachdem sie uns endlich losließ, betrachte sie mich genauer. „Du bist unglaublich hübsch geworden, meine Süße!“, flüsterte sie lächelnd und mit Tränen in den Augen. „Mom. Ich war jedes Wochenende mit Dad hier, innerhalb einer Woche habe ich mich nicht groß verändert“, lachte ich und spürte wie sehr mich meine Mutter eigentlich vermisst hatte. Natürlich verbrachte ich mein Wochenende die ganze Zeit hier, aber das ist nichts im Vergleich einem jeden Tag zu sehen. Und dass es nun wieder so sein würde wie früher, machte sie scheinbar wirklich sehr glücklich. Meine Mutter lächelte und wendete sich dann an Vater. „Wo ist John?“, fragte er und schaute sich oberflächlich im Raum um. Meine Mutter schaute uns entschuldigend an. „Nun ja, er musste unbedingt mit seinen Jungs zu einem Fußballspiel treffen. Er hatte mich so angefleht und außerdem sind es nur noch vier Tage, dann sind die Sommerferien vorbei, verstehst du.“ Mein Vater seufzte kurz, ehe er lachte. „Ich habe vollstes Verständnis dafür. Er kommt ganz nach seinem Vater.“
Meine Eltern gingen ins Wohnzimmer und deuteten, dass ich mitkommen sollte. Doch ich schüttelte den Kopf. „Ich hol schon mal meine Sachen aus dem Kofferraum, in Ordnung?“, erwiderte ich und verschwand dann auch schon mit Dad seinem Autoschlüssel zum Auto. Ich öffnete den Kofferraum und machte mich dran die ersten Sachen erstmal aus dem Auto zu entladen und auf den Asphalt abzustellen, als plötzlich jemand hinter mir stand und mich laut und fröhlich begrüßte. „Na? Ist mein Lieblingsschmetterling nur wegen ihrem besten Freund wieder aus Kanada da, hm?“
Ich drehte mich um und boxt dem jungen Mann aus Spaß leicht in die rechte Brust und verdrehte gespielt meine Augen. „Lass das mit dem Schmetterling, Lucas. Der Spitzname ist albern“, sagte ich und breitete meine Arme für eine Umarmung aus. Er tat es mir gleich und erst jetzt fiel mir auf, wie albern das aussah, mit ganz ausgebreiteten Armen dazustehen. „Idiot!“, lachte ich und zog ihn, für eine Umarmung, an mich heran. Wie ein großer Bruder legte er die eine Hand auf meinem Kopf, die andere fest um meine Taille. „Ich bin froh, dass du wieder da bist“, meinte er und sein Griff wurde fester. „Ich war doch nie ganz weg, Lucas.“ Er löste sich leicht, um mich anzuschauen mit seinen glasklaren, blauen Augen. Diese Augen waren eine von vielen Gründen, warum ich damals für ihn schwärmte, ich mich aber nie traute was zu sagen, weil mir unsere Freundschaft einfach viel zu sehr bedeutet hatte. Ich konnte damals dieses Risiko nicht eingehen. Und mittlerweile bin ich froh, diese Gefühle nicht mehr zu haben. Ich bin reifer und erwachsener geworden. Schließlich studiere ich wahrscheinlich schon nächstes Jahr.
„Ja, aber das war nicht das gleiche, Ambre. Wir können wieder richtig rumalbern und rumhängen. Zusammen zur Schule gehen und in der Mittagspause zusammensitzen“, unterbrach er meine Gedankensätze. „Ich weiß, aber ich bin ja jetzt wieder komplett da.“
Er nickte lächelnd und fuhr sich durch sein rabenschwarzes Haar, ehe er auf das ganze Gepäck deutete. „Soll ich dir helfen das reinzutragen?“, fragte er und ich grinste. „Wozu habe ich dich denn als besten Freund?“, entgegnete ich mit einer sarkastischen Gegenfrage und lachte. „Ach ja, stimmt ja. Ich bin ja Ambres persönlicher Packesel. Könntest du nicht doch wieder nach Kanada?“
„Oha!“, rief ich lachend und boxte ihn dieses mal ein wenig fester, sodass er zur Seite stolperte. Er lachte und nahm zwei Koffer von mir und ging schon einmal ins Haus, während ich noch damit beschäftigt war, irgendwie den Karton zu greifen, sodass er mir nicht gleich wieder aus der Hand rutschte. Als ich es geschafft hatte, lief ich damit hoch in mein altes Zimmer, wo Lucas schon auf mein Bett saß und wartete. „Danke“, keuchte ich außer Atem und ließ den Karton einfach neben ihn aufs Bett fallen. „Ach was kein Pr-“, ich unterbrach ihn. „Nicht nur fürs hochtragen meiner Koffer.“
„Sondern?“, fragen schaute er mich an und stellte den Karton vor ihm auf den Boden ab, sodass ich mich neben ihn setzen konnte, was ich auch tat.
„Einfach dafür, dass ich mich durch dich hier nicht ganz so befremdlich fühle. Ich mein ich bin vorher an unsere Schule vorbeigefahren und es sah einfach genauso aus wie früher, was mich auch erfreute und mir irgendwo das Gefühl gab endlich wieder in meiner Heimat angekommen zu sein. Allerdings habe ich trotzdem das Gefühl, dass es nur diese Fassade ist, die geblieben ist und innen drin einfach alles wieder anders aussieht und jeder sich um 360 Grad gedreht hat, verstehst du?“, ich lehnte mich leicht an seine Schulter und seufzte leise. Lukas war und ist immer so ein guter Freund, es tut so gut sich einfach offen aussprechen zu können. Ich war froh, dass Lucas mein bester Freund war. Ohne ihn wäre wahrscheinlich gar nicht so viel Heimatgefühl in mir drinnen.
„Du musst dir keine Sorgen machen, im Grunde hat sich wirklich nicht viel verändert. Sei unbesorgt. Du machst dir immer viel zu viele Gedanken, so warst du schon immer. Versuch doch einfach mal abzuschalten, hm?“, er schaute mich aufmunternd an. Plötzlich sprang er auf, um mir etwas mitzuteilen, allerdings vergas er den Karton vor sich und stolperte über diesen und fiel auf den, nicht gerade weichen, Holzboden. Ich konnte mir ein Lachen einfach nicht unterdrücken, schaute ihn aber danach entschuldigend an.
Mein Vater kam noch oben, wahrscheinlich hatte er sich beim Aufprall von Lucas erschrocken und ist hochgeeilt um nachzusehen, ob alles in Ordnung war.
„Ist alles in Ordnung? Oh. Lucas du bist ja zu Besuch!“, mein Vater reichte ihm helfend die Hand, die er leicht beschämt nahm und aufstand. „Er hat geholfen die Sachen hochzutragen“, erklärte ich lächelnd und schaute von meinem Vater zu Lucas. Dieser sah nun sehr zerzaust aus vom Sturz. „Vielen Dank für deine Hilfe. Du passt mir auf meine Tochter in der Schule auf, richtig?“
„Ja, Sir! Sie können sich auf mich verlassen!“, rief er laut und nahm eine Militär Pose ein. Ich lachte und stand auf um sein weißes Hemd wieder richtig zu richten und klopfte den Staub von seiner schwarzen Hose. „So, jetzt nochmal“, sagte ich Aufforderung und verstärkte diese durch eine Hand Geste. „Ja, Sir!“, rief er noch einmal laut und war dabei völlig ernst. Mein Vater klopfte ihn lachend auf die Schulter und verließ dann das Zimmer. Nun auch er lachend, kratzte sich am Kopf und grinste mich mit so einem kindlichen Grinsen an, sodass sein linkes Grübchen zum Vorschein kam. Ich schüttelte nur lachend den Kopf. Lucas schaute nun auf seine Armbanduhr und schien mit einem Schlag es eilig zu haben. „Ich muss jetzt zur Bandprobe, treffen wir uns heute Abend in der Green Bar um neun? Um dein vollständiges Wiederdasein zu feiern?“, schlug entschuldigend lächelnd an. „Lucas du weißt doch, ich trink kein Alkohol. Und selbst wenn ich bin erst zwanzig geworden, da dürfte ich sowieso nichts trinken.“
Er lachte und wuschelte mir durch das Haar. „Wir gehen auch nicht in die Bar um Alkohol zu trinken, sondern um zu reden und was zu unternehmen. Es gibt außerdem auch normale Alkoholfreie Getränke, Schmetterling. Also um neun?“, fragte er und schaute mich mit einem bittenden Engelsgesicht an. Ich verdrehte die Augen und stimmte den Treffen später zu unter der Bedingung, dass er aufhörte mich so zu nennen. Er grinst und wuschelte mir durch Haar ehe er die Treppe runter sprintete. Ein letztes „Tschüss Mr. und Mrs. Baker“, hörte ich von ihm und dann war er auch schon weg. Ich lächelte ein wenig. Es war schön wieder zuhause zu sein. Ich legte mich nun vollständig auf mein Bett und starrte die Decke an. Lucas hatte das unfassbare Talent mich ganz ruhig und sorgenlos zu machen. Naja, sobald er weg ist, kommen natürlich wieder meine ganzen Gedanken auf mich zu, so bin ich einfach. Aber es ist auch schön mal abschalten zu können, wie er immer sagt. Völlig in Gedanken verloren, wie so oft schon, vergas ich ganz, dass ich noch alles einräumen sollte, was wir hochgebracht hatten. Als ich mein Blick durchs Zimmer schweifen ließ, bemerkte ich dies allerdings und stand etwas unwillig auf. „Was getan werden muss, muss getan werden“, seufzte ich leise und machte mich daran mein ganzes Zeug in den ganzen Schränken und Schubladen zu verstauen.

Unwiderrufliche Begegnung

 

Ich stand vor unserem vereinbarten Treffpunkt und wartete nun auf meinen besten Freund, während ich mich an der bröckligen Fassade des Etablissements lehnte. Mit verschränkten Armen und in den Himmel schauend, fragte ich mich wo er denn sei. Normalerweise war Lucas immer ein sehr pünktlicher und pflichtbewusster Mensch, trotz seiner gespielten kindlichen Art. Ich wollte keineswegs abstreiten, dass er kein pflichtbewusster Mensch mehr sei, allerdings wartete ich hier schon zehn Minuten nach der eigentlich vereinbarten Zeit. Und ich mochte es eigentlich wirklich nicht, wenn man zu spät kam. Dieses beschleichende Gefühl von Unwichtigkeit machte sich dann immer in mir breit, so als wäre man nur ein elendiger Zeitvertreib. Ein elendiger Zeitvertreib bei welchem es nicht tragisch wäre, wenn man mal eine halbe Stunde später erscheint. Ich seufzte und schloss kurz meine Augen. So war Lucas aber ganz gewiss nicht, also kam ich auf die Annahme, dass wirklich etwas Wichtiges dazwischenfunkte. Oder ich redete mir das alles bloß ein um eine mögliche Veränderung seinerseits zu ignorieren. Ich seufzte leise und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. 

Nach weiteren fünf Minuten beschloss ich das Lokal schon einmal zu betreten und mir etwas zu trinken zu bestellen. Immerhin war mein Hals schon unglaublich ausgetrocknet von diesem heißen Wetter. Echt unglaublich, dass es so spät noch so heiß war.
Schon von außen konnte man erkennen, dass das Lokal nicht gerade stark besucht war. Eine Erleichterung für mich, ich bevorzuge es nicht mich in überfüllten Räumen wiederzufinden. Von Menschenmengen erdrückt zu werden war kein sonderlich schönes Gefühl, dennoch unvermeidlich. Weswegen man sich immer wieder damit auseinandersetzen und das Gefühl einfach akzeptieren muss. Mit bedachten Schritten nährte ich mich der Bar und nahm Platz als ich diese erreicht hatte. Das Etablissement wurde sehr rustikal eingerichtet, was aber für mich einen gewissen Charme hatte. Dunkles Parkett, dunkle Wände, Tische und Stühle in dunklen Ebenholz, genau wie die Bar selbst. Wahrscheinlich war genau das der Grund, dass viele Menschen sich nicht rein trauten. Doch mich sprach es Gewiss an. 
Mit mir befanden sich sechs Leute in diesem Lokal. Ein Pärchen, was sich in der hintersten Ecke des Lokales zurückgezogen hat. Dann war da noch ein etwas ältere Mann der gebannt das Fußballspiel auf den Fernseher verfolgte. Sein Bier schien noch unberührt zu sein, scheinbar war er so auf das Spiel fixiert, dass er dies ganz vergessen hatte. 
Mein Blick glitt weiter durch den Raum und entdeckte einen weiteren Mann, wesentlich jünger. So um die Anfang zwanzig schätzte ich. Er saß nur zwei Barhocker von mir entfernt und war vertieft in eine Lektüre. Gedankenverloren zog er an sein leicht krauses, dunkles Haar. Seine Statur war recht schlank, keine Anzeichen von übertriebenen Muskeln. Durch die Hand, die an seinem Haar spielte, konnte ich sein Gesicht nicht wirklich erkennen. Deswegen wendete ich meinen Blick ab und schaute den Barkeeper an, der letzte in der Runde. 
„Kann ich dir was bringen?", fragte dieser und schien nur darauf gewartet zu haben, dass ich ihn anblickte. Dass er mich duzte, zeigte nur, dass er wirklich in ein solch rustikales Etablissement reinpasst. Aber mich störte es nicht weiterhin.
„Ich hätte gerne einen Kaffee und ein stilles Wasser."
„Sehr gerne." Er legte das Handtuch beiseite, was er gerade noch zum Abtrocknen von Gläsern nutzte, und machte sich an meine Bestellung. 
In dem Moment, wo sich der Barkeeper umdrehte, ertönte in voller Lautstärke Black or White von Michael Jackson. Eilig kramte ich nach meinem Handy in meiner Tasche und nahm den Anruf der unterdrückten Nummer an. „Ja, Hallo?" 
„Ambre!" – Lucas. „Es tut mir so leid! Aber ich schaffe es heute doch nicht mehr! Ich dachte ich könnte noch mit etwas Verspätung kommen aber die Probe wird sich wahrscheinlich noch bis in die Nacht ziehen. Da wir in 4 Tagen an der jährlichen Willkommensfeier der Schule spielen müssen, kann ich nicht so einfach weg", er redete sehr hektisch, ohne Punkt und Komma. Es wäre schwer mitzukommen, wenn ich ihn nicht schon länger kennen würde und daran gewohnt war. Aber er machte sehr deutlich, dass er sich ziemlich beeilen musste und auch die Rufe im Hintergrund von seinen Bandkollegen die ihn aufforderten schneller zu machen, bestätigten dies. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie er mich mit seinen eisblauen Augen entschuldigend ansah. Wie er seine etwas gekrümmte Nase, sie war mal gebrochen, rümpfte und danach schnaubte.
„Ist schon gut, Lucas. Du musst dir keine Gedanken machen. Ich habe Verständnis dafür", meinte ich lächelnd ins Telefon und lehnte mich gleichzeitig an die Rückenlehne des Barhockers zurück. „Wenn du möchtest, kannst du auch hierherkommen, aber ich werde nicht viel Zeit haben mich um dich zu kümmern. Aber dafür hast du das Privileg uns als erste spielen zu hör-", ich unterbrach ihn und winkte ab. „Ich würde da nur stören, wir sehen uns einfach wann anders. Spätestens am Montag, in Ordnung?", schlug ich vor und er bejahte etwas traurig klingend meine Frage. „Du bist die Beste, ich schätze deine Verständnisvolle Art sehr. Aber das weißt du ja. Ich melde mich bei dir, alles klar?" 
Stets verständnisvoll. Genau das bin ich, dabei wünschte ich mir, dass ich es wenigstens einmal schaffen würde, mein Mund auf zubekommen und zu sagen was ich wirklich dabei fühlte.
Aber irgendwie konnte ich es nie. Ach, ich weiß doch selber nicht warum.
Ich nickte, wusste allerdings das er es nicht sehen konnte und antwortete noch einmal richtig mit einem ‚Ja, in Ordnung'. Wir verabschiedeten uns voneinander und schon war das Gespräch vorbei. Ich seufzte leise. Sein Grund schien wirklich wichtig zu sein und an sich hatte ich ja auch wirklich Verständnis dafür. Als wir noch Kinder waren, war er auch schon immer so verrückt nach Musik und wollte irgendwann mal eine Band gründen. Also hatte er sich diesen Kindheitstraum in der High-School einfach erfüllt. Dennoch begrub es mein bedrückendes Gefühl nicht. Ob Liebe oder Freundschaft. Versetzt zu werden fühlt sich jedes Mal einfach furchtbar an. Ich steckte mein Handy wieder zurück in meine Tasche und lehnte mich wieder etwas nach vorne. 
„Michael Jackson, er war ein unglaublicher Künstler!", ertönte auf einmal eine warme, ruhige Stimme. Neugierig blickte ich auf und schaute direkt in das makellose Gesicht des Mannes der zwei Barhocker von mir entfernt saß. Dieser war leicht zu mir gedreht und lehnte sein Kopf an seiner Hand an. Sein Buch hatte er zugeklappt, mit dem Finger an der Stelle wo er aufgehört hatte zu lesen. Er hatte wirklich beachtlich lange Finger. 
Ich schaute ihn fragend an und musterte ihn dabei unauffällig. Seine Augen waren groß und wirklich sehr dunkel, genau wie sein Haar. Tiefgründige, vielsagende Augen. Sein Teint war sehr hell, was andere vielleicht sehr kränklich hätte aussehen lassen, aber bei ihm sah das einfach majestätisch aus. Sein Nasenrücken war geradlinig, sie zeigte keine Makel an. Nicht ein einzelner Makel. Zumindest in meinen Augen.
„Verzeihung das ich Sie so plötzlich anspreche, aber ich war einfach nur neugierig wer heutzutage noch einen Klingelton von solchen großartigen Künstler besitzt", seine Mundwinkel zuckten kurz nach oben und zeigten mir für einige Millisekunden seine auffallenden weißen Zähne. Seine Lippen waren recht schmal, aber für einen Mann sahen sie umso weicher aus. 
Ich versuchte mich auf seine Worte zu konzentrieren. Es klang keineswegs abwertend was er sagte, dennoch fühlte ich mich ein wenig unbehaglich, vor den Kopfgestoßen.
„Ist das etwa außergewöhnlich oder sogar komisch?" Ich strich mir mit meiner Hand über meinen Arm und schaute ihn fragend an.
„Außergewöhnlich? Und wie. Sie sehen nicht aus als würden Sie aus seiner Zeit stammen. Leute in Ihrem Alter hören solch alte Musik normalerweise gar nicht mehr an. Aber komisch? Nein, keineswegs. Deswegen war ich ja auch sichtlich neugierig."
Er blickte mir in die Augen, allerdings fiel es mir schwer mit diesen großen, dunklen Augen Blickkontakt zu halten und schaute schließlich nur an ihm vorbei. Sie entfachten in mir ein Gefühl der Geborgenheit und lösten meine verkrampfte Haltung, doch gleichzeitig wollte ich mich dagegen aufsträuben, immerhin kenne ich diesen Mann gerade einmal fünf Minuten. Da ist es unmöglich sich gleich so verbunden zu fühlen, nicht?
„Nun ja, dann muss ich ja wirklich sehr außergewöhnlich sein, da ich mit einigen wenigen Ausnahmen, nur solche Musik höre. Wie zum Beispiel-", er unterbrach mich. 
„Warten Sie. A23, bitte." Ich verstand nicht ganz und kam deshalb nicht drum rum ihm einen fragenden Blick zu zuwerfen, wobei ich bemerkte, dass er gar nicht mit mir sprach, sondern mit dem Barkeeper, der gerade dabei war mir meine Getränke zu bringen. Er stellte diese vor mir ab und nickte dem fremden zu. 
„Hier ist es ein wenig zu still, finden Sie nicht?", merkte er lächelnd an und genau in dem Moment ertönte Ben E. King – Stand by me. 
„Wow, ich liebe dieses Lied! Woher...?", ich umklammerte mein Wasserglas und war wirklich begeistert von seiner Auswahl. 
Aus dem Augenwinkel vernahm ich wie der Fremde von seinem Platz aufstand, in der einen Hand immer noch sein Buch und in der anderen nun sein Glas. Er lief auf mich zu und blickte auf den leeren Barhocker neben mir. „Bauchgefühl? Außerdem liebe ich ebenfalls dieses Lied, sonst wäre es ja schließlich nicht mein Klingelton. Darf ich?" - „Nur zu." Er lachte mit warmer Stimme.
Jetzt war es sowieso schon zu spät ihn abzuschütteln, wenn ich das jetzt überhaupt noch wollte. 
„Darf ich Sie duzen?" 
„Natürlich", ich machte eine kurze Pause. „Ben E. King also?" Er grinste mich verschmitzt an, sein Buch auf die Seite legend und nahm schließlich erst ein Schluck von seinem Getränk bevor er mir antwortete. 
„Sicherlich. Er ist ebenfalls ein großer Künstler. Nicht mit Michael Jackson zu vergleichen, aber trotzdem sehr gut." Dieser Fremde wurde mir immer sympathischer und ich würde lügen, wenn ich sagen müsste, dass er nicht unglaublich attraktiv ist, auch wenn ich ihn nur flüchtig anschaute. 
Neugierig flog mein Blick zu seinem Buch, was auf dem Tresen lag. Er bemerkte meinen Blick. Ich wiederum bemerkte aus dem Augenwinkel, wie er sich ein Stück in meine Richtung lehnte. 
„Hamlet", antwortete er kurz und knapp auf meine nicht gestellte Frage. 
Ich wich leicht nach hinten zurück und blickte ihn nun doch direkt in die Augen. „Sie interessieren sich für Literatur?", sprudelte es nun aus mir heraus, da ich wirklich neugierig war und es den Anschein machte, dass wir wirklich viele Gemeinsamkeiten hatten. „Ich interessiere mich nicht nur dafür, ich habe es studiert", erzählte er lächelnd und hatte sich wieder etwas zurückgelehnt, sodass ich mich wieder entspannen konnte. 
„Aber bitte, ich darf dich duzen, deshalb gilt dasselbe für dich."
Ich nickte leicht und nippte an meinem heißen Kaffee. 
„26?", fragte ich knapp während ich die Kaffeetasse immer noch vor meinen Lippen hielt. 
„25. Und erst seit 2 Wochen.", antwortete er und schaute mich nun prüfend an. 
„Mhm. Ich schätze dich auf 20." 
Ich lächelte und stellte nun meine Kaffeetasse ab. „Herzlichen Glückwunsch. Du hast es erraten." Ich klatschte und er verbeugte sich theatralisch. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, er hatte definitiv Humor.
Nach einer kleinen Pause lehnte er seinen Ellenbogen an dem Tresen an und stützte nun sein Kopf mit seiner Hand ab. „Schon eine Ahnung was du studieren möchtest. Die Wintersemester stehen bald an", fragte er nun neugierig. 
„Nun ja...", zögerte ich meine Antwort hinaus und spielte verlegen mit meinem Haar. 
„Oh, du willst gar nicht studieren? Wenn das der Fall ist verurteile ich dich natürlich nicht, viele studi-", ich unterbrach ihn. 
„Doch, doch. Ich habe mir fest vorgenommen nach der Schule zu studieren. Nur will ich nicht das du denkst, ich würde das sagen um Eindruck zu schinden. Aber ich spiele schon längere Zeit mit dem Gedanken damit ebenfalls Literatur zu studieren."
Er lachte warmherzig und schaute mich danach lächelnd an. „Glaub mir, ich hätte keinen einzigen Moment daran gezweifelt, dass du es nicht ehrlich meinst. Schließlich kann ich mich dich in diesem Studiengang wirklich perfekt vorstellen!"
„Das freut mich zuhören", lachte ich leise und fuhr mir immer und immer wieder durch das Haar. 
Plötzlich hielte ich inne, als er sich wieder in meine Richtung lehnte und dann auch noch eine Haarsträhne von mir zwischen seinen Fingern gleiten ließ. „Du hast da was."
Er merkte es nicht, doch ich hielt angespannt die Luft an. 
„Wieso hast du dich für Literatur entschieden?", fragte er beiläufig, während er etwas aus meinen Haaren zog. 
Ich atmete leise aus und schaute auf meine zierlichen, leicht zitternden Hände. 
„Ich schreibe ziemliche gerne und lese auch ziemlich viel. Dass ich ein Faible für älteres habe, hatten wir ja schon geklärt." 
Er ließ meine Haarsträhne los und schaute mir stattdessen dafür in die Augen. „Du schreibst?" Ich nickte fast unbemerkbar. 
Er lehnte sich mit einem Schwung wieder nach hinten. „Darf ich denn eine Geschichte Mal lesen?" Ich blinzelte einige Male und nahm schnell wieder meine Kaffeetasse in die Hand. 
„Nun, es ist wirklich nicht der Rede wert-", er unterbrach geschwind. „Du bist ein schlaues, interessantes Mädchen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass deine Werke grandios sind." Ich hielt kurz inne und schaute die dunkle Flüssigkeit in meiner Kaffeetasse an. 
„Gut, wenn du das wirklich möchtest. Gerne!" Aber das bedeutete, dass es höchstwahrscheinlich zu einem weiteren Treffen kommen müsste. Auch wenn wir es beide wussten, sprachen wir es nicht aus.
Wir unterhielten uns eine ganze Weile weiter, wobei auch endlich wieder diese Anspannung abfiel. Dabei fanden wir heraus, dass wir noch viel mehr Gemeinsamkeiten hatten. Wir waren beide Vegetarier, mochten Kinder, waren nicht wirklich sportlich begabt, aber hatten unseren eigenen Sinn für Humor. Ich erfuhr auch endlich seinen Namen, Matthew. Und natürlich nannte ich ihm auch meinen Namen, denn er als engelsgleich beschrieb. Es war beinahe schon unheimlich, wie viele Gemeinsamkeiten wir doch hatten. Und ich war, auf irgendeine Art und Weise, immer mehr von diesem Mann fasziniert. Er war sympathisch, zuvorkommend, höfflich und wirklich attraktiv. Weswegen ich ab und an dazu neigte den Faden unseres Gespräches zu verlieren und ihn einfach nur in die Augen zu blicken.
Doch auf einmal passierte alles so schnell. Ich kippte vom Stuhl, durch irgendeinen unachtsamen Trottel, direkt in die Arme von meiner spontan gefundenen Begleitung. Er hatte zum Glück schnellere Reflexe als ich, denn er hatte sich mit einer Hand am Tressen festgehalten, mit der anderen hatte er meine Taille umgriffen. Dennoch. Eins hatte er nicht mit einberechnet. Und zwar die Kaffeetasse in meiner Hand. Denn diese ergoss sich über sein schönes, weißes Hemd. Er hatte unglaubliches Glück, dass sich nicht mehr viel darin befand und der Kaffee nicht mehr heiß war. Trotzdem war es wirklich schade um das Hemd. 
Ich blickte nach oben, da er meine Taille immer noch fest umgriffen hatte. Mein Blick traf auf seinen und wir waren uns so unglaublich nahe. Ich blinzelte einige Male, ehe ich mich etwas benommen aus seinem Griff löste. „Ohje... Dein schönes Hemd", brach ich die funkenden Stille und griff nach Servierten. Ich trat wieder näher an ihn heran und tupfte mit diesen auf seinem Hemd herum. „Es tut mir wirklich so leid!", murmelte ich mich schuldig fühlend, wobei ich ja eigentlich rein gar nichts dafür konnte. Es war einfach ein dummer Unfall. „Es ist in Ordnung", meinte er nur lächelnd. „Du kannst doch dafür überhaupt nichts!" Seine Worte freuten mich, da ich durch sie kein ganz so großes, schlechtes Gewissen hatte. 
„Es ist trotzdem wirklich schade um das Hemd. Es stand dir wirklich hervorragend", als ich merkte, dass ich ihm unabsichtlich ein Kompliment gemachte hatte, redete ich schnell weiter. 
„Hoffentlich schaffst du den Fleck zu entfernen, ich habe es mal mit Salz hinbekommen, vielleicht bekommst du das ja auch hi-", er nahm urplötzlich meine Hand, die immer noch sein Hemd mit der ich gerade eben noch sein Hemd abgetupft hatte. „Findest du?" 
„Was meinst du?"
„Du findest, dass das Hemd mir hervorragend steht?"
„Ich denke, dass ich das gesagt habe. Ja"
„Danke für das Kompliment", meinte er mit einem unglaublich tollen lächeln und betrachtete mich nachdenklich, ehe er mich losließ. 

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Tag der Veröffentlichung: 21.07.2017

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