Cover



Für meine beste Freundin, Linnea.
Selbst wenn wir uns streiten, hab ich dich doch noch lieb.



„Ich habe gehört Ylvie Kingsleigh ist wieder da.“, lautet der erste Satz mit dem mich Anna begrüßt, die an meiner Spindtür auf mich gewartet hat.
Schock. Okay, das habe ich nicht erwartet. Ylvie. Zurück?
„Und wen interessiert das?“, frage ich sie und versuche kühl zu bleiben.
„Seid Ylvie vor vier Jahren ohne ein Wort des Abschieds gegangen ist habe ich nichts von ihr gehört. Selbst wenn, dann ist es mir egal, klar?!“, mache ich der Redakteurin unserer Klatsch-Schülerzeitung klar.
„Jen! Jen, hier bin ich!“, rufe ich nach meiner besten Freundin.
„Kat! Oh, hi Anna.“, sagt sie nicht gerade freundlich.
„Oh, Jen wo du gerade da bist, hast du im Moment Probleme mit Oli…“, fängt sie an, doch Jen unterbricht sie.
„Und Tschüss, Anna.“ Sie schiebt sie zur Seite und harkt sich bei mir unter.
„Was hast du eigentlich für die Kursfahrt vor?“, fragt sie mich.
Achja. Die anstehende Kursfahrt zum Skifahren habe ich ja total vergessen.
„Ich schlage vor wir schnappen uns unsere Snowboards und zeigen denen was eine Harke ist.“, grinse ich und drücke sie an mich.
„Ich freu mich auch dich zu sehen, aber das ist kein Grund mich zu zerquetschen.“, sie schnappt nach Luft.
Zusammen schlendern wir den Schulflur entlang und werden von allen Seiten Reichlich begrüßt.
Als es klingelt muss ich mich beeilen um rechtzeitig zu Mathe zu kommen, doch wie es das Schicksal will, bin ich zu spät.
Shit! Ich klopfe dreimal an die Tür und trete ein.
Um nicht mit unserer Direktorin zusammen zu stoßen, muss ich sofort stoppen.
Was hat die Direktorin hier zu suchen?
Hat irgendjemand was angestellt?
Doch als Frau Hepburn sich umdreht sehe ich sie.
Ihr schwarzes Haar geht ihr inzwischen bis zur Mitte ihres Rückens.
Ihre bronzefarbene Haut sieht unglaublich schön aus und ihre Figur ist perfekter denn je.
Ylvie. Anna hat Recht, sie ist wieder da.
Ich weiß ja, dass wir in New York leben, aber ihr Outfit war echt übertrieben.
Ich weiß ja nicht wo sie die letzten vier Jahre hin verschwunden ist, aber da muss man sich zur Schule echt aufgegeilt haben.
Ihr Minirock- und Betonung auf Mini, ist unter ihrem Top mit Megaausschnitt zu erkennen.
Man kann fast meinen sie hätte keinen Rock an.
An ihren schmalen Füßen sind goldene High-Heels zu finden.
Oh. Mein. Gott.
Und trotz allem sieht sie immer noch wunderschön aus.
Ich versuche nicht auf zu fallen und husche auf meinen verhassten Platz neben Jonathan, dem größten Arschloch, dass dieser Kurs zu bieten hat.
Zwar sieht er umwerfend aus- und wirklich, wirklich umwerfend-, jedoch haben wir, seid er mir in der Grundschule Kaugummi in die Haare geklebt hat kaum mehr ein Wort gewechselt.
Damals habe ich ihm erzählt, dass jedes mal wenn er Luft holt ein Vogel abkratzt und er hat tatsächlich vier Minuten die Luft angehalten.
Nach einem Krankenhausbesuch seinerseits und einer Woche nachsitzen meinerseits, war klar: Wir werden niemals Freunde.
Er sieht mich nur mit hochgezogenen Augenbrauen an und deutet mit seinem Kopf in Richtung Ylvie.
„Selbst wenn, ging dich das kein bisschen was an.“, zische ich und mache ihm klar, dass er die Klappe halten soll.
Was er natürlich nicht tut.
„Sicher?“, fragt er und streicht herausfordernd über meine Wange.
Ich schnaube einmal verächtlich und drehe mich weg um unserer lieben Ylvie zuzuhören.
Aus den Augenwinkeln beobachte ich mit wachsendem Unmut wie Jonathan seinen Stuhl zu mir dreht und meinen gleich mit.
Schon komisch, er ist genauso anziehend wie abstoßend, denke ich, als er mir tief in die Augen guckt.
„Brauchst du eine neue Bettpuppe, oder was ist los?!“, herrsche ich ihn an und will mich wegdrehen.
Ich merke wie er mir eine Strähne aus dem Gesicht zieht.
Ich hole empört Luft.
„Wer weiß, vielleicht will ich ja auch was ernstes.“, seine Stimme nimmt einen verführerischen Ton an und eine Gänsehaut überrieselt mich.
„Ja und meine Mom ist Beyonce, lass mich in Ruhe.“, meine Stimme nimmt einen barschen Ton an und ich versuche mir meine Verwirrung nicht anmerken zu lassen.
Wieso hasse ich ihn eigentlich so sehr?
Als könnte er meine Gedanken lesen, fragt er mich: „Wieso hasst du mich eigentlich so sehr?“
Scheiße, Junge ich weiß es nicht!
In letzter Zeit hat er sich so gebessert, er hat sogar seit geschätzten zwei Monaten kein armes Mädchen abgeschleppt.
Zum Glück klingelt es zum Ende der Stunde und ich stehe so schnell wie möglich auf und renne schon fast aus dem Raum.
Der restliche Tag verläuft ereignislos, doch ich weiß ja nicht was für eine Überraschung zu Hause auf mich wartet.
Ylvie ist nämlich nachdem sie vorgestellt wurde sofort wieder gegangen, man hat immer den ersten Tag frei.
Also gehe ich ganz normal mit Jen durch den Schulgang und rede über die morgige Abfahrt auf die Kursfahrt.
Mit einem Mal steht Jonathan vor mir, so nah, dass ich erschrocken aufkeuche und in ihn rein laufe.
Mit den Armen rudernd falle ich nach hinten, doch Jonathan fängt mich auf.
Sein Gesicht ist nun ganz nah, seine Lippen liegen fast auf meinen.
Er weiß dass er mich im Griff hat, das sehe ich an seinem Grinsen.
Wenn ich zurückschrecke, fallen wir beide hin und er unweigerlich auf mich drauf. Und wenn ich hochschrecke, dann küsse ich ihn.
Zumindest jetzt mal ganz bildlich gesehen.
„Darf ich jetzt wissen warum du mich hasst?“, haucht er.
Oha. Sein Duft ist atemberaubend, ein frisches, herbes Aftershave.
„Erst wenn ich tot bin.“, keife ich.
„Du weißt in welcher Lage du bist?“, fragt er. „Es ist mir voll und ganz bewusst.“
Seine Lippen kommen näher und ich blicke in seine unendlich blauen Augen, während ich versuche mich zurück zu lehnen.
„Okay, du hast mich. Grundschule. Kaugummi. Weißt du noch?! Du warst drei Tage danach immer noch im Krankenhaus.“
Er lacht, leise und hinreißend.
Ach, Kat was quatschst du da?!
Er ist nicht hinreißend!
Er ist das größte Arschloch der ganzen Schule und hat die meisten Mädchenherzen gebrochen!
„Könntest du mich jetzt bitte wieder loslassen, dass ich mich wenigstens hinstellen kann?! Eine Begegnung mit dir am Tag reicht mir nämlich.“, flüstere ich.
„Gerne.“, antwortet er ebenso leise und drückt plötzlich seine Lippen auf meine.
Sein Duft überwältigt mich und das Gefühl von seinen warmen Lippen auf meinen ist atemberaubend.- Hab ich schon erzählt, dass ich mich gerne wiederhole?
Ein Kribbeln kommt in meinem Magen hoch und breitet sich in meinem ganzen Körper aus.
Mein Atem geht schneller und mein Herz fängt an wild zu pulsieren…
Natürlich nur vor Schock!, denke ich mir.
Als er sich von mir gelöst hat, verschwindet er, natürlich nicht, ohne sich noch einmal frech umzudrehen und mir eine Kusshand zuzuwerfen.
„Na, wenn das mal keine Liebe ist.“, feixt Jen.
„Wohl eher eine Hass-Liebe.“, stelle ich immer noch atemlos fest.


Ylvie



Der erste Eindruck zählt.


Dieser Satz stimmt sogar, was viele Leute nicht glauben und deswegen sitze ich in der silbernen Limousine mit dem Taschenspiegel in einer und dem Lipgloss in der anderen Hand. Danach überprüfe ich sorgfältig Wimperntusche (Gott, wie das alles immer zuklebt) und ziehe noch etwas Eyeliner nach und bin zufrieden damit.
Mein Outfit ist ein wenig gewagt für meinen Geschmack, aber er zieht die Blicke aller Jungs auf mich oder besser gesagt auf bestimmte Bereiche meines Körpers und das finde ich gut so. Es sollte nicht umgekehrt sein.
Ich bin ja keine Schlampe oder so (okay, vielleicht schon), aber es war doch hin und wieder mal erfrischend, ohne Höschen rumzulaufen, wirklich! Ich kicherte leise los, womit ich einen Blick vom Fahrer erntete, doch innerlich bin ich leer. Die Stadt New York zieht langsam durch den verspiegelten Scheiben vorbei, bis ich an der High School ankomme. Ich warte ungeduldig, bis der Fahrer mir die Tür öffnet und ich trete heraus.
Sofort bekomme ich die erwartete Aufmerksamkeit aller Schüler, die ebenfalls zur Eingangstür laufen und ich stöckele durch sie hindurch, als wären sie nichts. Aber ich halte meine winzige Handtasche fest umklammert und versuche, gerade wie ein Topmodel zu laufen.
Der erste Eindruck zählt, Ylvie.


Den Stundenplan zu bekommen war schnell erledigt. Die Sekretärin bedenkt mich mit einem staunenden Gesichtsausdruck. Ich kann nicht anders, als mich darüber zu freuen und meine Mundwinkel ein bisschen zu heben.
Okay,

denke ich, fast geschafft. Jetzt muss ich nur noch in den Anfangskurs rein und hoffen und wenn meine Befürchtungen nicht bestätigt worden sind, kann ich wieder beruhigt nach Hause gehen.


Als ich den Schulgang entlang laufe, weiß ich, dass einige über mich sprechen. Ich weiß, ich weiß. Es können mich ja nicht alle vergessen haben und ich wünsche, es wäre so. Der Gang leert sich merklich, bis ich mit Zettel und verwirrtem Gesichtsausdruck nur rumstehe und nicht weiß, wohin denn nun.
Bis ich einen großen Jungen mit blonden Haaren sehe. Während ich ihm näherkomme, merke ich, dass er sehr attraktiv ist mit seiner eng anliegenden Hose, seinem XL-Hemd und dieser klimpernden Kette, für die ich irgendwie nie einen richtigen Namen gefunden habe. »Entschuldige«, kommt es aus meinem Mund und ich schlage meine
Wimpern nieder.
»Ich habe mich verlaufen«, wow, das stimmt sogar wirklich, »kannst du mir vielleicht sagen, wo Raum 704 ist?«
Er schaut auf mich herab und grinst anzüglich. Ich stolpere zufällig noch einen Schritt nach vorne und bin ihm dann sehr nahe.
»Kein Problem. Direkt hinter dir«, antwortet er mit einer anziehenden Stimme und ich drehe mich verwundert um.
»Oh.«
Das war nun wirklich ... peinlich. Sehr.
Wenigstens erröte ich nicht, sondern schmunzele nur.
»Dann denke ich, dass du die Neue bist?«, fragt er mich und beugt sich ein paar Millimeter nach vorne.
»Hm, wie man's nimmt«, weiche ich aus und lege verführerisch meinen Kopf schief.
Meine erste Beute.
Als würde mich etwas kitzeln, lege ich meine Hand auf mein Dekolleté, nehme mein Blatt in Augenschein und verschränke meine Arme, bis mein Busen hervorquillt.
Er ist nicht so der Starke und stiert wie ein Wilder drauf, sodass ich weiß, dass mein Triumph sehr bald sein wird. Hoffentlich werde ich das auch genießen können, denke ich leicht verächtlich und schaue auf seinen Intimbereich hinab.
Ich habe ihn schon im Hinterkopf auf der Liste meiner kommenden Opfer, und die ist leider schrecklich gesunken, als ich den Klassenraum betrete und in dreißig neue Augenpaare starre.
Direktorin Hepburn ist schon da, weil ich erkennen kann, wie ehrfürchtig alle die kleine, alte Frau mit weißen Haaren und der Brille anstarren.
Neben ihr steht noch ein anderer Lehrer, mit dem ich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens (bis zum High School Abschluss) und der sieht überraschenderweise auch sehr, sehr gut aus. Doch ihn würde ich höchstens nur dann nehmen, wenn ich wirklich verzweifelt bin.
Ich streife leicht nervös meinen Blick über den Kurs und dann sehe ich sie. Zuerst habe ich sie übersehen, doch dann donnert etwas in meinem Kopf und ich schaue wieder zurück.
Ach du heilige Scheiße

, denke ich und will mir am liebsten den Kopf abreißen, um sie nicht länger ansehen zu müssen, obwohl sie eigentlich hübsch ist.
Sie trägt alltägliche Sachen an: Jeans, brombeerfarbenen Pulli und eine Kette mit einem Herzchen dran. Ihre sanften braunen Haare sind zu einem Dutt gemacht worden, sieht jedoch aus, als hätte sie nicht viel Zeit dazu gehabt und es hängen ihr Strähnchen hinab. Ihre Augen kann ich nicht sehen, da sie sie im Moment nach unten gerichtet hat, aber ich weiß, dass sie ein tiefes Grün haben, dessen Pupille einen Kontrast ergeben, der mich damals manchmal neidisch werden ließ.
Heute aber nicht.
Ich schlucke unmerklich und hoffentlich sehe ich nicht aus, als wäre ich schüchtern, denn das bin ich nämlich ganz und gar nicht.
Die Vorstellungsrede rauscht an mir vorbei. Das habe ich sonst, wenn ich eine Situation nicht ertragen kann – ich lasse sie abwesend über mich ergehen.
Als die Direktorin, deren Namen ich wieder vergessen habe, sagt, ich seie heute vom Unterricht befreit, hole ich tief Luft und bin auch schon ­mit einem kurzen Winken von dannen.
In diesem Moment interessiert es mich nicht, wie ich mich gemacht habe – ich will einfach nur hier raus. Raus aus diesem grauen, öden Etwas, das sich Schule nennt.
Der Fahrer hat natürlich gewartet, was sonst, und ich steige erleichtert ein. Wäre ich ein Weichei, hätte ich direkt losgeheult, aber auch das bin ich nicht.
Stattdessen bin ich richtig wütend geworden – merkte ich gerade erst; meine Hand zittert – und lasse es an meine Handtasche raus, die ich gegen die Fensterschreibe entgegenschleudere und dann meine Stöckelschuhe ausziehe.
Diese ganze Scheiße hat nur mein Vater eingebrockt. Mein dämlicher, spießiger Vater, der mir jedes mal damit droht, den Geldhahn abzustellen, wenn ich wieder eine schlechte Note bekommen habe, was er aber nie getan hat. Eigentlich ist er nicht ganz das Problem, eher meine Mutter. Sie ist sozusagen der Boss in der Familie, gibt den Ton an und mein Vater ist nur ihr erbärmlicher Diener. Ja, so kommt es mir an manchen Tagen wirklich vor und dagegen kann selbst ich nichts ausrichten. Ich habe meine Eltern noch nie küssen sehen geschweige denn haben sie eine zärtliche Umarmung ausgetauscht, wohingegen es bei anderen Familien ganz anders aussieht.
Ich mache dem Portier verständlich, dass ich auf keinen Fall gestört werden möchte und will in mein Zimmer laufen, kurz bevor ich meine Hand zur Türklinke greifen kann, stellen sich zwei meiner älteren Schwestern arrogant vor mir und gucken auf mich herab. Da helfen auch die Pumps nichts, die beiden sind unumstritten größer als ich und das hasse ich. In Gedanken erwürge ich die beiden, eine nach der anderen.
»Mandy, was meinst du, welches Stückchen Dreck sich mir da in den Weg stellt?«, meint Chantal und schaut Mandy an. Die beiden haben doch wirklich Nerven, vor mir aufzutauchen. Und dass sie Zwillingsschwestern sind und die gleichen Bewegungen machen, ist mehr als nur extrem lächerlich.
»Dass sie wirklich die Nerven hat, vor uns aufzutauchen«, sagt Mandy, die normalerweise alles bestätigt, was ihre Schwester sagt und wirft ihre glänzend blonden Haare zurück und spitzt die Lippen. Als ob die meine Gedanken lesen kann! Argh! Chantal tut das gleiche.
Ich reibe es ihnen gerne unter die Nase, dass sie von meiner Mutter adoptiert worden, weil niemand sie mochte (immer noch nicht), und dass meine Mom viel zu gut war.
»Fickt euch, das ist mein Zimmer«, erwidere ich drohend und flitze in mein Zimmer, nicht ohne die beiden schmerzhaft mit den Schultern zu streifen.
Der Rest des Tages ist ebenso anstrengend wie deprimierend. Ich habe für Klavier zu wenig gelernt und mein Lehrer starrt mich wieder mit diesem Blick an, als sei ich zu nichts fähig. Da der Unterricht bei mir Zuhause statt findet, müssen meine nervigen Geschwister natürlich unbedingt zuhören und bei jedem falschen Ton loskichern. Schließlich bittet er die beiden herein, um Chantal spielen zu lassen, da sie ihre Hausaufgaben offensichtlich gemacht hat. Wie unfair! Das ist meine Klavierstunde, will ich sagen, aber mein Lehrer sieht so zufrieden mit Chantal aus, dass ich es lieber sein lasse, weil es unhöflich ist
Als hätte man mich noch nicht genug gefoltert, kommt auch noch Geige dran. Ich frage mich ernsthaft, warum ich mehrere Instrumente spiele. Vielleicht nur, um meine Mutter nicht zu enttäuschen?
Denn mir macht es seit Ewigkeiten keinen Spaß mehr, mit meinen ungelenken Fingern irgendetwas unmelodisches zu klimpern. Damals vor fünf Jahren, da war ich stolz, als ich zum ersten Mal meinen eigenen Flügel bekommen habe.

Ich komme von der Schule nach Hause und will mich ins Wohnzimmer setzen, um mir noch einmal die Blätter anzuschauen und mir genauer einzuprägen, was ein Bassschlüssel und ein Violinschlüssel, welche Noten c, d, e und und und sind und ich frage mich, ob ich wohl geeignet
für den Geigen- und Klavierunterricht bin.
Mom ist schon lange von der Arbeit zurück und als ich die Wohnzimmertür nicht aufkriege – ich zog und rüttelte, doch ich konnte nichts ausrichten – finde ich es doch besser, sie zu fragen.
Ich gehe in die Küche, um von Mom zu wissen, was mit der Wohnzimmertür los sei und sie blickt strahlend von ihrer kochenden Gemüsesuppe auf. Sie und die angestellte Köchin kochen gerne zusammen etwas und wenn das Essen fertig ist, dann gesellen wir uns alle in das Esszimmer und lassen uns das Essen von weiteren Angestellten servieren.
»Moooom?«, quengele ich. »Ich muss lernen und die Wohnzimmertür geht nicht aaaauf!«
»Na dann gucke ich mal nach«, zwinkert sie und ist überhaupt kein bisschen böse auf mich. Sie will auch nicht wissen, was ich mit der Tür angestellt habe. Ich runzele die Stirn.
Sie hantiert ein wenig mit ihren Schlüsseln, die sie vom Haken im Flur herunterholt und sucht den passenden für das Wohnzimmer.
»Warum soll das Wohnzimmer abgeschlossen werden? Es kommt doch kein Einbrecher rein, oder?«
»Sei unbesorgt, Kleines, es bricht hier schon keiner ein«, meint sie beruhigend und ich entspanne mich wieder, während sie die Tür öffnet.
»Okay.«
»Mach dich auf was gefasst, Liebes«, sagt sie auf einmal. Ich habe keine Ahnung was sie meint, bekomme auch keine Zeit mehr dazu, darüber nachzudenken, denn die Tür wird geöffnet und mir klappt die Kinnlade auf.
Mitten im Raum prangt ein riesiger, weißer Flügel, so edel, dass ich wirklich denke, es sei aus dem Himmel.
Mom sagt mir schon immer, ich sei talentiert im Bereich der Musik. Aber ... aber ein Flügel ...




***




Katie



Zuhause sinke ich erschöpft auf das Sofa, das in meinem Riesenapartment steht. „Miss Katie?“, fragt die Stimme von Dakota, meiner Hausfrau. „Hm?“, antworte ich, zu müde für einen richtigen Satz. „Ihr Vater lässt ausrichten, dass er noch einen weiteren Monat in Thailand bleiben muss.“ Stille. Ich schweige meistens, wenn es um meine Familie geht.
„Waren sie bei Maryann?“, fragte sie sanft. „Dakota? Haben sie Lust auf einen Kaffe?“, frage ich sie. Es stimmt schon, sie ist mein Hausmädchen, doch sie kennt mich fast besser als Jen und jeder andere. Besser als mein Dad. „Tut mir leid, aber ich habe kaum Zeit.“, entschuldigend lächelt sie. „Wie geht es ihr?“ „Die Ärzte meinen sie hält sich gut. Heute geht es ihr besonders toll. Sie hat so viel gelacht.“ Beim Gedanken an meine kichernde Mutter durchströmt mich eine Welle von Glück.

Und dann muss ich auf einmal an Jonathan denken. Und an den Kuss heute in der Schule. Was sollte das bloß? Meint er das wirklich ernst? Und dann kommt mir wieder in den Sinn wie er mir in der Grundschule als Entschuldigung einen Strauß Blumen gekauft hat. Und eine Packung Kaugummis, die ich lachend nach ihm geschmissen habe. Ich muss lächeln. Schon seit einer Zeit bemerke ich öfters wie er mich heimlich beobachtet und ich rede oft im Unterricht mit ihm, doch meistens sind es eher Streitgespräche, in denen es um seine Bunnys geht. Letzten Monat hat er doch tatsächlich eine Bunny - Party veranstaltet! Doch ziemlich viele Jungs haben davon gehört und haben es offiziell zu einer Party gemacht und ich hab gehört, dass in fast jedem Zimmer irgendein Mädel abgeschleppt wurde.
Katie, hör dir mal zu

, rede ich mit mir selber.
Jonathan ist ein absolutes Arschloch, das einfach nur unter deinem Niveau liegt und du wirst nie wieder an ihn denken.


Ich schließe die Augen und gebe mich meinen aufwirbelnden Gedanken hin. Kennen gelernt haben Ylvie und ich uns in der Grundschule. Direkt nachdem mir Jonathan mir den Kaugummi ins Haar geklebt hat. Sie meinte das wäre die coolste Aktion, die sie jemals gesehen hätte und ob ich ihre Freundin sein wollte. Ich muss an all die Sachen denken, an allen Spaß den wir hatten, an alles. Ich hätte damals mein Leben für sie gegeben. Wenn ich jetzt so an diese Zeiten denke kommen sie mir viel zu glücklich vor.
Mit einem Mal fällt mir es wieder ein.
Das Album. Ich habe ein Album von unseren tollsten Momenten und es gab echt viele.
Ich hole das große, schwarze Buch und sehe das kleine Foto eingerahmt in das Cover des Buches. Zwei Mädchen, brünett und schwarz, voll mit allen verschiedenen Farben. Sie halten Händchen und lachen offen und glücklich in die Kamera.
Ich blättere um und sehe die gleichen Mädchen mit geschätzten elf Jahren. Sie halten einen riesigen Teddy umarmt und stehen mitten an einem Flughafen.
Ich erinnere mich noch an den Moment des Abschieds, als wäre er gestern gewesen.
Ich sehe sie wieder vor mir, wie sie bitterlich weint, mich umarmt und während sie ins Flugzeug steigt mir verspricht, dass wir für immer beste Freundinnen bleiben.
Mit einem Mal kommen Erinnerungen in mir hoch und Tränen steigen mir in die Augen.
Ich öffne meine sonst immer verschlossene Nachttischschublade und hole dieses verdammte, riesige Bündel heraus.

2. November.2008
Liebe Ylvie.
Seid Riley nicht mehr ist, sehe ich keinen Sinn mehr. Ich verstehe nicht warum ich nachgegeben hab. Wieso habe ich sie links sitzen lassen?! Und wieso musste erst so etwas passieren um mir darüber klar zu werden, wie viel sie mir bedeutet und wie ungerecht ich immer zu ihr war?



Ich kann nicht weiter lesen. Tränen verschleiern meine Sicht, tropfen auf den Brief, der an meine beste Freundin adressiert ist.
Meine beste Freundin die für sechs Jahre einfach so verschwand, obwohl sie mir versprochen hatte zu schreiben.

***




Helden.

„Fertig!“, rief ich Jen zu, die brav vor meinem Zimmer wartet, während ich mich anziehe und zu Recht mache. Ich schnappe mir noch kurz hundert Dollar und stecke sie in meinen BH, bevor ich mich in diese unbequemen, aber mega gut aussehenden Highheels quetsche. Bewundernd starrt Jen mich an. Mit einem Blick scannt sie meinen ganzen Körper, von dem hellgrauem, eng anliegendem Kleid, dass zugegebenermaßen nicht sehr lang ist bis zu den goldenen Highheels und dem Gold schimmernden Armreifen. Schnell lege ich mir noch den schwarzen Talliengürtel um und checke mein Handy. „Kanns losgehen?“, grinse ich Jen an und sie nickt nur betroffen. Die Arme. Seit Wochen versucht sie abzunehmen und doch sieht sie in ihrem Cocktailkleid ein bisschen pummelig aus. „Jungs stehen auf Mädels mit Hüfte.“, lache ich sie an und versuche sie zu beruhigen. Dankbar lächelt sie schon froher. Gemeinsam steigen wir in den edel ausgestatteten Privataufzug. „Es ist jedes Mal faszinierend dieses Mosaik zu bewundern.“, stelle ich fest, während Jen unzufrieden in den Spiegel guckt und an ihrem Kleid herumzupft. Ich weiß genau, dass sie unsere Spiegelbilder vergleicht und mit dem Resultat unzufrieden ist. Ich hab Jen wirklich lieb, jedoch ist sie sehr eifersüchtig und möchte immer Beste in allem sein. Fünf Minuten später steigen wir aus der Limousine und gesellen uns zu den anderen SM-Schülern. Zu meiner Verwunderung ist auch Ylvie dabei. Misstrauen keimt in mir auf. Was will sie hier?! Sie hat hier nichts zu suchen! Beruhigen Cat, flüstere ich mir zu. Einfach beruhigen. Tief durchatmen. Einfach ignorieren. Langsam schließe ich meine Augen und wünsche mich an einen anderen Ort. Ich öffne meine Augen und stehe vor Ylvie. Feixend gratuliert sie mir zur Premiere. „Ich hoffe du kannst gut genug singen.“, sagt sie und dabei klingen die Worte wie Gift. Ich hebe meinen Blick von ihren Schuhen und gucke in ihr Gesicht. Ich sehe eine wunderschöne Regungslosigkeit. Alles passt, von den dunklen Augen, zu ihrer geraden Nase bis zu ihrer bronzefarbenen Haut. Perfekt gezupfte Augenbrauen, die sich nun hochziehen um den Spott in ihrer Stimme zu unterstützen. „Hast du immer noch Lampenfieber wie früher?“. Sie lacht und in meinem Kopf hört es sich wie das Lachen einer Hexe an, obwohl ich weiß, dass sie eine wundervolle, gut klingende Lache hat. „Ist doch nur Spaß!“ lacht sie. Jeder andere würde jetzt aufatmen und sich erleichtert fühlen. Doch nicht so ich. „Warum bist du hier?“, frage ich sie gerade heraus und ermahne mich ihr in die Augen zu sehen. „Wieso nicht?! Ich denke die South Main könnte etwas Trouble doch gut vertragen.“. Die Anderen sind inzwischen ins den riesigen Saal gegangen. Ich höre Musik und weiß, dass ich sofort rein muss. Mit einem letzten unguten Kribbeln im Magen drehe ich ihr den Rücken zu und gehe zur Premiere von dem Musical in dem Ich die Hauptrolle spiele.
Ich stelle mich zu Anna, Avan; Julian, Melina und Jonathan. „Da ist sie ja!“, sagt Avan erleichtert, zieht mich zu sich ran und küsst mich kurz. „Wie geht es dir?“, flüstert er. Unsicher schaue ich ihn an. „Mach dir keine Sorgen. Sie werden dich lieben. Genauso wie ich es tue.“. Ich seufze. „Ja.“, sage ich widerwillig und gehe mit ihm zurück zu den Anderen.
Ein Räuspern. „Wenn ich um Ruhe bitten darf?“, fragt Mrs. Stilmen, die Autorin des Musicals. „Ich freue mich sehr, die beiden begabtesten und wundervollsten Schauspieler und Sänger in meinem Stück zeigen zu dürfen. Bitte begrüßen sie mit mir…“. Ich stehe auf und will gerade Richtung Bühne gehen, da laufe ich in Ylvie hinein. Prompt schüttet sie ihr Getränk auf mein Kleid. Shit! „Oh, das tut mir aber leid!“, säuselt sie. „Jonathan Hemsworth und Catherine Montgomery. Wenn sie bitte zu mir kommen würden?“, bat sie und lächelt gütig ins Publikum. In Gedanken schicke ich Ylvie in die Hölle und bahne mir meinen Weg durch die Menge. und ich betrete die Bühne und alle starren mein Kleid an. Ich fange an. „Guten Abend. Ich freue mich sie alle hier begrüßen zu dürfen. Genauso wie ich mich freue meinen Schauspielpartner Jonathan auf die Bühne bitten zu dürfen!“, sage ich und schaue suchend in die Menge. Sollten wir nicht gleichzeitig auf die Bühne gehen?! Nach ein paar Sekunden stand letztendlich auch Jonathan auf der Bühne. „Das gleiche gilt auch für mich.“, sagt er strahlend. Er liebt es im Rampenlicht zu stehen. „Was ist mit deinem Kleid passiert?“, flüstert er mir zu. „Ungeschickte Ex-beste-Freundin!“, raune ich zurück. Er lacht, zufrieden, dass er die Pointe des Tages entdeckt hat.
Nach ungefähr fünfundzwanzig Minuten ist unsere Ansprache zu Ende und wir verlassen die Bühne. Es werden noch ein paar Andere Schauspieler vorgestellt, danach beginnt die Premierenparty. „Cat, Schätzchen, komm ich will dir jemanden vorstellen!“, ruft Mrs. Stilmen mich. „Mr. Waymouth, das ist Catherine.“, stellte sie mich einem dicklichen Mann im mittleren Alter vor. „Sehr erfreut, Miss Montgomery!“, sagt dieser und schüttelt eifrig meine Hand. „Weiß eigentlich was diese Ylvie hier macht?“, fragt mich Mrs. Stilmen. „Sie war nicht eingeladen!“. „Jen hat sie eingeladen.“, antwortet Avan hinter mir. „Jen?!“, flüstere ich. Jen?! Wie konnte sie nur?! Sie weiß doch ganz genau, dass ich Ylvie nicht hierhaben will! „Entschuldigen sie mich für einen Moment?“, lächle ich den dicken Mann an und mache mich auf die Suche nach Jen. Ich finde sie vor dem Saal, rauchend. Sie steht bei einer ganzen Gruppe von Leuten die ich nicht kenne.
Wir verehren Helden aus verschiedenen Gründen.
Manchmal wegen ihres Wagemuts.


Ich gehe zu der Gruppe und sage laut: „So Leute Chao, geht woanders qualmen.“. Sie verziehen sich, bis auf Jen. Langsam gehe ich zu ihr. Als ich vor ihr stehe klebe ich ihr eine.
Manchmal wegen ihrer Tapferkeit.


„Ich schätze ich habs verdient.“, antwortet sie auf meine Ohrfeige. „Du weißt es?“, fragt sie. „Ja tue ich!“, schreie ich fast. „Wieso hast du das gemacht?“. Sie antwortet für eine Weile nicht. „Weil ich die Königin sein sollte. Nicht du!“, durchbricht sie das Schweigen. „Du die Königin?!“, meine Stimme nimmt einen verächtlichen Ton an und ich verachte mich selbst. Wieso kann ich nicht einfach mal mitfühlend sein?! „Du weißt ich werde mich nicht entschuldigen.“ „Ich verzeihe dir auch so.“. Die Bissigkeit in meiner Stimme ist unüberhörbar. Ylvie hierher zu bringen war ein Fehler von ihr. Jedoch will sie ja nur etwas mehr Aufmerksamkeit. Ein Stück Perfektion.
Und manchmal wegen ihrer Güte.


Die Tür wird aufgestoßen. Avan stürmt sauer hinaus. „Stimmt es?! Stimmt es, dass du Jonathan geküsst hast?!“, brüllt er, außer sich vor Wut. Ich schaue zu Jen. >Es tut mir Leid. Aber hauptsächlich verehren wir Helden, weil wir alle hin und wieder davon träumen, gerettet zu werden.


„Das war für die Aufführung.“, lüge ich mechanisch.
Wenn natürlich der richtige Held nicht vorbeikommt, müssen wir uns manchmal selbst retten.



Impressum

Texte: © Copyright by Dawn & Linnea Cover ist ursprünglich von Deviantart.com und wurde hingebungsvoll von Linnea gestaltet ;]
Tag der Veröffentlichung: 23.10.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die dieses Buch angeklickt haben. Danke!

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