1. Kapitel
Was ist Mut, wenn nicht das Ausschließen von Logik unter dem Glauben an das Unwahrscheinliche? Was ist Leidenschaft, wenn nicht die Aufgabe von jedem Denken zu Gunsten des Augenblickes? Was ist Hass, wenn nicht selbst unter größter Kühnheit Zerstörung zu versuchen? Was ist Liebe, wenn nicht alles zu tun, nur für den anderen?
Heute:
Die Straße war steinig, schon seit Kilometern nicht mehr asphaltiert. Für eine kurze Wegstrecke um-ragten sie Bäume, die sich zu einem kleinen Wäldchen zusammenschlossen. Kein grünes Blättchen thronte auf ihren Wipfeln. Die Gegend sah trostlos aus. Wenn man sich dieses Bild ansah, dieses Bild der kahlen Bäume, konnte man sich die wildesten Gedanken machen. Von Temperaturen, weit unter dem Gefrierpunkt, von einem nahenden Schneesturm, von einem bevorstehenden Unheil. Die Tatsachen lagen etwas anders. Es war gerade Anfang November, und es hatte beinahe 20 °C. Alle vermodernden Blätter lagen dumpf und muffig zusammen gepappt und kein Lüftchen rührte sich. So still war es, als ob eine Macht wartete, in den Bäumen hockte und wartete, auf etwas, dass noch eintreffen sollte, und vor Spannung die Luft anhielt. Gleichsam hielt das ganze Wäldchen mit ihm die Luft an.
Genau im Moment dieser Spannung, genau auf dieser steinigen Straße, genau in der Mitte des Waldes an der Stelle, wo einige tiefhängende Äste seit ein paar Minuten den Blick auf die aufgehende Sonne versperrten, fuhr ein Auto vorüber, und wirbelte die Blätter auf, die seit Tagen dicht geschichtet, völlig regungslos ihre feuchte Hitze stauten. Und bis auf das Dröhnen des Motors, war es draußen im Wald so still wie drinnen im Auto. Nur war die Atmosphäre im Auto bedrückend und von faden Blicken erfüllt. Länger noch, als dass sie auf der nicht asphaltierten Straße waren, seit der gestrigen Feier, sprachen die Insassen des Fahrzeugs nicht miteinander. Es schien ein guter Zeitpunkt für Kritik zu sein, nachdem sie sich Stunden auf dem unwirtlichen Weg befanden: „Du hast dich verfahren!“ „Wer sagt das“, entgegnete Erik, der mehr als beleidigt wegen der Party letzte Nacht war, aber nicht auf Caren, die ihn beschuldigte. Sie konnte ja nichts dafür, sie war genauso erbost, obgleich auch etwas eingeschüchtert, und zwar wegen Max, der links hinter ihnen saß. Was der Vierte davon hielt, gab er nicht preis, und starrte nur nach rechts aus dem Fenster. Erik, der das Gefühl hatte sich rechtfertigen zu müssen, fuhr mit gedämpfteren Ton fort: „Gestern auf der Party hat mir jemand erzählt, wir würden auf diesem Weg beinahe eine halbe Stunde Fahrtzeit sparen.“ „Ja, gestern...“, und beide sahen sich kurz an, bevor Caren einen flinken, ziemlich abwertenden Blick in Max´ Richtung riskierte, während der Vierte weiter in die Landschaft stierte.
Gestern:
Es gibt so viele Momente wie diesen.
„Kannst du mir noch ein Bier holen?“, Max hatte schon genug getrunken, wie die meisten Betrunkenen begriff er das aber erst nachdem es alle anderen begriffen. Erik: „Mein Vater arbeitet am Bau. Nachdem ich dort war, könnten wir uns doch treffen. So gegen 4:30 Uhr.“ Mit wankendem Schritt stieß Max beim Aufstehen ein zierliches Mädchen zu Boden und hielt sich bei Erik fest: „Ich habe gesagt, kannst du mir noch ein Bier holen?!“ Die übrigen Partygäste wurden schnell auf seinen streiterischen Tonfall aufmerksam, wenige unterbrachen ihre Unterhaltungen. Erik war so enttäuscht von Max, einen Ausrutscher dieser Art hatte er sich noch nie geleistet. Bei genauerer Überlegung fiel Caren auf, dass Max sich überhaupt noch nie in irgendeiner Form daneben benommen hatte.
Die drei Freunde kannten Max noch nicht so lange, wie sie sich untereinander kannten, erst als sie in die Oberstufe der St. Trudy-School kamen, zog Max zu ihnen nach Churchtown. Er hätte dann von seinem Alter ausgehend die vierte Klasse besuchen müssen, fing aber wegen des Umzuges in eine ganz andere Umgebung, und weil er in seinem Heimatort einen ziemlich anderen Schultyp besuchte, mit der Klasse an, die die drei Anderen auch besuchten, sagte er. Sie mochten ihn von dem Moment an, an dem sie ihn sahen. Er war immer der Ruhige, der Disziplinierte, einer, der nie aus der Haut fährt. Genau das war aber im Gange.
Erik hatte tagelang mit einer gewissen Sara gechattet. Sie wohnte sieben Orte weiter und er setzte alles daran, dass seine Freunde auf die Party durften, die etwas östlich von Portland stattfand. Im Vorfeld wurde der Partyablauf schon von Sara, einer recht verwöhnten Göre reicher Eltern, beschrieben. Genau 150 Gäste sollten kommen, denn Sara hatte auch am 15. Geburtstag. Das sie die Tagesanzahl mit 10 multiplizierte, war eigentlich nur Zufall. Sie hatte sowieso die halbe Schule eingeladen, auf die sie ging und kam auf 146 Gäste. Erik war der totale Ausgehtyp, hörte selbstverständlich von der vergleichsweise großen Veranstaltung und setzte sich über mehrere Freunde mit Sara in Verbindung. Sie hätte es ohnehin genial gefunden, wären am 15. 150 Gäste zu ihrem Geburtstag gekommen. Also machte sich Erik mit seinen Freunden am späteren Nachmittag auf den Weg zur Geburtstagsfeier.
Jetzt waren alle vier da, und Anfangs lief es super. Die Gäste waren alle freundlich. Es wurde viel gelacht, viele Geschichten wurden erzählt, es wurde etwas getrunken, die Stimmung war allgemein sehr gut. Auf dem kleinen, blassgrünen Hügel auf dem die Party stattfand, konnte man, wenn man sich wie Caren und einige Andere auf die Tische stellte und tanzte, einen schmalen Streifen vom Meer am Horizont erkennen. An jedem der 25 Tische, an denen ungefähr sechs Leute saßen, standen jeweils 2 Tikilaternen. Es war genug zu essen und zu trinken da. Sogar die Dekorationen an den Tischen sahen toll aus.
Nach was kann ich mich jetzt noch sehnen?
Erik versuchte zuerst mit Sara anzubandeln, konnte aber nicht, weil Max gerade alles versaute. „Du hast jetzt genug Max!“, und Erik wollte ihn, nachdem er Sara wieder aufhalf, ins Auto verfrachten. Max wehrte sich heftig dagegen, holte aus und schlug seinen Freund nieder, der sich ins Gesicht fasste und entgeistert liegen blieb. „Nein, noch nicht genug!“, und er warf den leeren Plastikbecher, den er bis jetzt fest umklammerte, neben den Kopf von Erik ins Gras. Sein Ton wurde etwas weinerlich: „Das Problem ist, dass ich niemals genug bekomme. Nicht vom Bier, nicht vom Feiern, nicht vom Leid. Ich bekomme nicht genug Trauer in mir zusammen, um meine Wut über mein Versagen zu verschatten!“ Es stand eine beinahe volle, dunkle Flasche Rum auf einem Tisch neben ihm. Er nahm sie und goss sich ihren braunen, zuckrig riechenden Inhalt, nachdem er auf den Boden sank, und neben Erik liegen blieb, über sich. Einige Strähnen seiner, durch den kalten Alkohol nassen Haare, klebten an seinem Gesicht fest. Er sprach dann weiter, viel beruhigter und gefestigter als zuvor: „Ich habe versagt, ich kann sie einfach nicht finden, wie lange habe ich gesucht. Ich kenne den Weg nicht, ich kenne den richtigen Weg nicht. Niemand hört mich. Jetzt gibt es nur noch einen Weg für mich und früher oder später werdet ihr mir alle folgen.“ Etwas beschäftigte ihn, seine Hand suchte unaufhörlich in seiner Hosentasche. Nachdem er sie herauszog, zum Kopf führte und sie küsste, offenbarte er ihren Inhalt. Es handelte sich um Streichhölzer, die sich nach einer kleinen Handbewegung entzündeten. Einige Gäste hatten sich um ihn herum versammelt und schreckten nun alle samt auf. Kurz lachte er noch und er flüsterte nur für ihn hörbar: „Es tut mir leid.“ Kaum mehr, als ein krummer, schwarzer Stiel war vom Streichholz übrig. „Am meisten tut es mir für dich leid...“ Der vierte Freund, der sich bereits neben ihm befand, schlug das brennende Hölzchen zur Seite. Anschließend kniete er sich zu Max ins nachtdunkle, kühle Gras, sah ihn direkt an und schlug ihn mit der Faust fest auf die Wange.
Max Kopf zuckte in die Schlagrichtung und er kniff seine Augen zusammen. Bevor er sie öffnete folgte ein zweiter Hieb und sein Kopf drehte schnell in die andere Richtung. Über ihm hörte er: „Was wolltest du dir antun?“ Aber Max reagierte nicht, entspannte nur seinen Nacken, seine Schultern und schloss langsam die Augen. Der Alkoholgehalt in seinem Blut war viel zu hoch und er wirkte alt und müde. Die Partygäste, von denen sich mittlerweile fast alle um den Ort des Geschehens drängten, nahmen an, er sei in Ohnmacht gefallen.
Ist er eingeschlafen?
Ins Auto getragen und Erik wieder aufgeholfen wurden sie, da die Partylaune nach so einer Aktion natürlich im Keller war, und niemand dort die Vier wirklich kannte, weggeschickt. In dem Moment, in dem das Auto auf den Güterweg abbog und die Konturen der Landschaft sich rosa färbten, da erwachte Max wieder.
Er hat viel getrunken... Kann es sein, dass er nicht wusste, was er tat?... Nein, seine Augen waren so klar und traurig. Er wollte sich das mit purer Absicht antun, vielleicht hoffte er sogar, dabei zu sterben.
Wieder Heute:
Und der Vierte starrte immer noch aus dem Fenster in die Landschaft hinein und dachte über Gestern nach. Sie erreichten dann den Punkt, wo die Äste der toten Bäume nicht mehr den Blick verschatteten, Thomas kniff seine Augen zusammen und drehte sich ins Wageninnere wo sein Blick auf Max traf: „Tut mir echt leid.“ Caren und Erik konnten das eher weniger verstehen: „Wie kannst du das sagen? Du hast ihm das Leben gerettet, da wird er die paar Schläge einstecken.“ „Völlig egal, ob ich ihn gerettet habe, darum geht es jetzt nicht. (Zu ihm) Ich hätte dich nicht schlagen dürfen. Es ist nur... Wir alle dachten, du wärst glücklich. Da haben wir uns wohl getäuscht.“
Carens Stimme wurde zum Ende des Satzes hin lauter: „Du bist zu nett Thomas. Er sollte dir auf Knien danken, dass er jetzt nicht mit schweren Verbrennungen im Krankenhaus liegt, oder gar tot ist.“
Ist es möglich, zu nett zu sein?
Daraufhin meinte Thomas nicht an eine bestimmte Person gerichtet, sondern einfach nur in die Mitte des Wagens hinein gesprochen: „Das traurigste daran ist vermutlich, dass man dem Alkohol nicht die Schuld geben darf.“ Dann direkt zu Max: „Ich habe in dein Gesicht gesehen. Du warst nicht verschwommen, oder nicht bei Trost, da bin ich mir ganz sicher. Es war diese Entschlossenheit, die mir keine Ruhe lässt.“ „Ach ja, auf mich wirkte er ziemlich betrunken.“ „Sicher nicht. Es muss irgendeinen Grund geben, etwas beeinflusste ihn, seine Tat ging aber von ihm selbst aus. Ich weiß, dass er was getrunken hat, es war aber nicht der Suff, der ihn dazu trieb.“ Erik beschwerte sich lautstark: „So klar, dass er seinen besten Freund grundlos schlägt!“ Es ist sicher verständlich, dass Thomas unbedingt in Erfahrung bringen wollte, weswegen Max sich das beinahe antat. Es lag jedoch nicht in seiner Natur Menschen Fragen zu stellen. Nicht weil er die Antworten nicht hören wollte, er war durchaus wissbegierig, nicht weil er die Antworten gar kannte, es wäre seines Sinnes sowieso Unfug gewesen, Fragen zu stellen, deren Antworten bekannt sind, den Menschen seine Fragen aufzudrängen, dass wollte er vermeiden. Er vertrat standfest die Devise, wenn Menschen bereit sind ihm etwas mitzuteilen, dann würde er es schon hören, andernfalls sei seine Fragerei nicht angebracht. Doch Max sprach kein Wort.
Caren war die Erste der es auffiel, da sie sich gerade umdrehen wollte, um noch etwas zu sagen. Da sah sie Max, wie er sich wandte wie ein Wurm, um sich sein Lachen zu verkneifen. Immer heftiger wurde sein Kichern, bis er lauthals schrie, irgendein unverständliches Gebrabbel von sich gab. Und so war Caren auch die Erste, die das Wort wieder an Max richtete: „Was ist denn nur los mit dir? Was ist plötzlich mit dir geschehen?“ Max musste weiter lachen, während er versuchte, verschiedene Wörter zu einem Satz zusammenzupressen: „Was mit mir geschehen ist?! Mich kümmert nichts mehr, was du sagen könntest!“ Nach Beendigung des Satzes lachte er wieder weiter. Das Mädchen sprach sehr ernst zu Thomas: „Und ihn willst du Schützen, dich bei ihm entschuldigen?“ Thomas war verunsichert, fühlte sich schuldig, wegen der Schläge, die er ausgeteilt hatte. Er tat immer das, was er für richtig hielt. So grob zu sein lag allerdings weit außerhalb seines gewöhnlichen Wesens. Sollte es sich jetzt als falsch herausstellen, seinen Freund zu schützen, auch wenn es gilt, ihn vor sich selbst zu schützen? War er auf der Party unnötig gewalttätig gewesen. Er wusste ja Bescheid darüber, dass keine Freundschaft perfekt sein konnte, dass jeder mal streiten würde, er war keines Wegs naiv. Wenn er etwas aber nicht aushielt, dann waren es Unstimmigkeiten in Freundschaften, vor allem wenn er an den Freundschaften und, wie in diesem Fall auch an den besagten Unstimmigkeiten beteiligt war. Deshalb war er so verunsichert: „Habe ich etwas falsch gemacht? Sicher bin ich mir nicht.“ Diese Frage hallte lange im Auto nach. Für Minuten kehrte wieder Ruhe ein, auch Max hatte aufgehört zu kichern.
Steinerne Hügel streiften an ihnen vorüber und formten sich zu einem scharfkantigen Nordwall. Locker 40 Meter hoch ragte die Bastion steil dem Himmel entgegen. An erdigen Einbuchtungen, die von der Morgensonne ausgefüllt wurden, konnte man hier und da eine schwarze, kleine Baumleiche mit knorrigen Ästen erkennen. Kurz vor der Biegung nach Norden, um die Demarkation hinter sich zu lassen, war die Straße wieder asphaltiert. Und am Ende dieser Straße befand sich der Heimatort der vier Autoinsassen. Es war nur ein kleiner Ort namens Churchtown, mit gerade mal 4000 Einwohnern. Die kleine Stadt war von Weitem aus zu sehen, als Anhäufung kleiner, grauer Dachgiebel und kleine Lichter von Geschäften, die sich aus der Morgenröte hervorhoben. Erik sah die Kurve und hörte auf zu beschleunigen um sie zu nehmen. Max griff unterdessen nach der Hand von Thomas, die auf seinem Oberschenkel lag. Mit einem beruhigenden und verständnisvollen Blick nahm er die Geste zur Geltung.
Er ist mir nicht böse. Wie es scheint gibt es nichts zu verzeihen.
Bevor Thomas noch die richtigen Worte finden konnte, spürte er einen Schmerz in seiner Brust sitzen. Es fühlte sich an wie ein Feuer, dass von Innen nach Außen loderte, und in ihm nur karges Ödland zurückließ. Max fragte kurz und rau, ob etwas nicht stimme. Die Frage dröhnte im Kopf des vom Schmerz gegeißelten wieder, wie ein einziger dumpfer Ton. Er konnte sich nicht mehr artikulieren, nur noch leise stammeln, dennoch nahm er nach wie vor visuell alles war, was um ihn herum geschah. So bemerkte er, dass Max ungewöhnlich bleich war. Thomas sah ihn an und versuchte zu sprechen. Unter Anspannung spürte er, wie sein Blut in den Kopf stieg, bis ein lauter Schrei von ihm zu hören war. Max fing daraufhin wieder zu lachen an, er röhrte fast schon. Mit seinem fahlen Gesicht, und den von Schlägen aufgedunsenen Augen wirkte er so bedrohlich und unheimlich wie nie zuvor. Caren drehte sich schnell um und umklammerte ihren Sitz: „Was ist mit dir los?“ Max quetschte immer noch Thomas Hand. Die braunen, welligen Haare, hingen ihm über die Augen als er versuchte vor Schreck über die Laute von Max, zurückzuweichen. Als Carens Blick auf Thomas Sitznachbar fiel, bekam sie es auch irgendwie mit der Angst zu tun und schob ihren nach vor gestreckten Kopf langsam wieder zurück. Der Schmerz saß zu tief in Thomas Brust, so dass seine gewollten Bewegungen, so weit wie möglich weg von Max, sich als unausführbar herausstellten. Erik erschrak vermutlich wegen dem, was auf den Rücksitzen vor sich ging, er hämmerte mit seinem Fuß auf das Bremspedal. Der Schotter wechselte zum Asphalt und Erik drehte die Räder schief. Trotz seiner Bemühungen konnte das Auto der Kurve um den Wall nach Norden nicht folgen.
So stieß das seitlich rutschende Fahrzeug an die Umzäunung der Biegung, riss ein Loch hinein, fing kurz an zu rotieren, und zerbrach letztendlich unter einem metallischen Knall an einem Baum in zwei Teile. Der vordere Teil des Wagens fing Feuer. Caren und Erik waren so eingeklemmt, dass sie sich unmöglich hätten retten können. Erik war schon ohnmächtig geworden, Caren hingegen musste bei lebendigen Leibe verbrennen. Zuerst waren die Flammen an ihren Füßen, die dann weiter hinauf zu ihrer Taille loderten. Sie schrie und keuchte furchtbar, und versuchte sich an der verbogenen Autotür ins Freie zu kämpfen. Zwecklos. Als ihre Haut anfing schwarz zu werden, ihre Fingernägel sich aufbogen, und begannen zu schmelzen, verlor auch sie das Bewusstsein. Thomas musste weiter zusehen, wie das Feuer bis zu ihrem Kopf brannte, wie ihre Haare hell aufloderten und wie ihre verkohlte Haut von ihrem verbrannten Schädel fiel.
Alles ging furchtbar schnell. Er wandte sich zu seiner Linken, und erblickte Max, der von einer handgelenkdicken Eisenstange durchbohrt wurde. Sie trat an der rechten Hälfte seines Rückens, kurz unter seinen Rippen ein, und stand an seiner linken Brust hervor. Vielleicht wollte er Thomas noch etwas sagen, es quoll aber nur noch dickes, dunkles Blut aus seinem Mund heraus. Die Eisenstangen sollte Erik für seinen Vater nach der Party an den Bau bringen, er hatte sie zwischenzeitig im Kofferraum gelagert. Thomas stieß die heiße Luft in schnellen, kurzen Zügen ein und aus. Er wollte fliehen, Max umgriff aber immer noch seine Hand mit so einer Feste und Strenge, dass keiner der Beiden sich mehr groß rühren konnte. Außerdem brannte immer noch der Schmerz in Thomas Körper, der ihn lähmte. Max riss seine Augen so kräftig auf, wie er nur konnte, und starrte sein Gegenüber an. Seine blutig roten Augen stachen wie Pfeile aus seinem geschwollenen Gesicht hervor.
Die Zeit verstrich, das Feuer breitete sich weiter aus, Thomas wurde schlecht, doch der Knoten in seiner Brust löste sich langsam wieder, Max Blick wurde glasig und er glotzte nur noch in die Leere. Daraufhin lockerte sich seine Umklammerung und Thomas konnte über die Leiche seines Freundes auf die dürre Wiese kriechen. Die Erde fühlte sich kalt und wohlig auf seinem, vom Feuer aufgeheizten Gesicht an. Aus Angst, dass das Auto explodieren könnte, wollte er fliehen. Als er seine Finger in das gelbe Gras schlug und aufstehen wollte verließ ihm die Kraft und er fiel wieder auf den Boden.
Was ist nur mit mir?
Langsam versuchte er seinen Körper mit seinen Händen abzutasten, und spürte einen warmen, feuchten Fleck auf seinem Rücken. Mit aller Mühe und letzter Kraft führte er seine Hand wieder in sein Blickfeld. Sie war rot leuchtend, blutverschmiert. Durch seine Finger hindurch hätte er einen letzten Blick auf seine Heimatstadt werfen können, er sah sie aber nicht. Was er sah war ein weiter grüner Bogen aus Gras, ein riesiges, saftiges Tal, das ringsum von Bergen abgegrenzt war. Die Berge hinter ihm hatten eine Tausende Meter lange Wölbung nach außen. Diese formten um den mittleren Berg eine Art Kreis. Der Berg, der genau in der Mitte dieses runden Tales stand endete schon bei einer Höhe von rund 150 Metern. Wie abgehackt sah er aus und auf der Schnittstelle war eine Stadt gebaut. Und hinter dieser Stadt thronte ein riesiges Schloss direkt aus dem Berg heraus gehauen. Es war über und über ein großer, grauer, geformter Stein, nur die Eingangstore, und Teile der vordersten Fassade waren mit weißem Marmor und edlem rotbraunem Holz verkleidet. Thomas Blick ging weiter seine blutige Hand entlang, und er erkannte einen großen Turm aus weißem Glas aus dem Schloss herausragen. Er sah ganz genau in den Turm hinein, dessen Spitze leuchtete golden auf und warf ein Spiegelbild von südwestlicher Richtung. Dort war das Land einer Schwärze, riesige schwefelig rote Flammensäulen loderten auf, und er sah, wie der Turm einen Riss bekam und im gleißenden Licht auf das Schloss und die Stadt unter ihm hernieder brach. Schließlich verlor er das Bewusstsein. Sein ausgestreckter Arm entbehrte mit einem Mal die Spannung und fiel leicht gefedert zu Boden. Die Morgenröte war vergangen, das Feuer war vergangen, es war nur noch ein rauchender, grauer, zerrissener Metallbrocken übrig, und alle Freunde, die Thomas je hatte waren auch vergangen.
Tag der Veröffentlichung: 30.03.2011
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