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Ich sehe mich. Mich, mich, mich. Immer nur ich. Keiner sonst, nur ich. Ich bin allein, keiner ist da.
„Aber ich bin doch da!“ Mein Spiegelbild grinst. Du bist auch da. Ich und mein Spiegelbild. Wir sind gleich.
Hinter ihr sehe ich den Raum mit den Büchern. Und die Treppe.
Ist ihr Turm wie der meine? Vielleicht kann ich ja den Spiegel nehmen und nach oben bringen. Was passiert dann? Was werde ich sehen?
Aber ich kann den Spiegel nicht bewegen, egal wie sehr wir uns bemühen. Sie schafft es auch nicht.
Ich glaube, sie regt das mehr auf.
Ich sitze auf dem Boden und habe es schon aufgegeben, werde immer müder und niedergeschlagener.
Während sie erst richtig loslegt. Sie keift und zetert und reißt sich die Fingernägel am Holzrahmen auf.
Au! Das tut uns beiden weh. Sie tritt gegen den Rahmen, gegen den Spiegel und schreit. Sie schlägt mit der Faust gegen das Glas und es zeigt Risse. Noch ein Schlag. Der Schmerz schießt bis zur Schulter. Egal. Wir haben ja zwei Hände.
Nein vier! Ich lächle. Ihre Hände und meine. Wir schlagen gleichzeitig.
Obwohl ich denke, dass es sinnlos ist. Aber sie glaubt es nicht.
Ich helfe ihr, versuche es, damit sie Ruhe gibt.
Sie soll endlich still sein!
Ihr Schmerz ist meiner, ihr Schrei tut in meinen Ohren weh. Auch ich brülle.
Ich will sie schlagen! Sie soll still sein!

Blut. Warm spritzt es mir ins Gesicht.
Und Scherben.
Wo ist der Spiegel? Ich sehe nur die Rückwand aus Holz.
Wo ist sie? Wo ist mein Spiegelbild?
Da ist eine große Scherbe am Boden.
Ich greife sie, erhasche einen Blick auf mein Spiegelbild.
Weint sie? Aber die Scherbe zerbricht und ich schneide mich erneut.
Wo ist sie? Wo ist sie? Ich werde panisch.
Meine Hände durchwühlen den Scherbenhaufen und plötzlich landet meine geballte Faust darin. Ich heule vor Schmerz auf.
Wo ist sie? Einige Splitter hängen noch im Rahmen. Ist sie dort?
Ich springe auf, aber die Scherben sind nicht klar. Oder sind es meine Augen?
Wo ist sie? Es ist, als würde sie mir ausweichen.
Ich erhasche einen Blick auf ihr Auge und wische mir krampfhaft die meinen.
Sie ist noch da! Aber meine Augen sind voll Blut, ich sehe nichts. Wo ist sie denn? Sie ist weg!

Plötzlich habe ich keine Kraft mehr, meine Beine tragen mich nicht mehr.
Ich falle.
Sie ist weg.
Nun bin ich ganz allein.

Wirklich allein.

Mein Spiegelbild hat mich verlassen.

Alle haben mich verlassen.

Genauso wie ER.
Er ist auch weg.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.12.2011

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