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Alles fing mit Martin an




Hey, mein Name ist Tobias Kern. Ich bin jetzt 19 Jahre alt und lebe in einem wundervollen dreitausend-Seelenkaff. Die nächste Stadt ist etwa 40km entfernt. Eigentlich bin ich ganz normal, ich mache meine Ausbildung zum Karosseriebauer. Ich habe weder Tätowierungen noch Piercings, auch bin ich nicht irgendwie komisch angezogen oder falle sonst auch nur in irgendeiner Weise auf. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, aber in einem Dorf wäre das Selbstmord.

Das heißt, bis vor einer Woche. Meine Freundin hat sich doch tatsächlich getraut, mir ein paar Springerstiefel zu schenken. Anfangs war ich etwas kritisch, aber sie sind sehr bequem und sehen auch gar nicht so schlecht aus. Und an dieser Stelle fängt meine Geschichte an.

Es war Freitag Nachmittag ich hatte gerade meine Arbeit beendet und verließ die Werkstatt, als mich der Sohn meines Chefs, ein kleiner 8-jähriger Junge, aufhielt. „Hey, Tobi!“
„Hm? Oh, was kann ich für dich tun?“
„Ich wollte dich fragen, ob es in Ordnung geht, wenn ich morgen wieder zu dir komme?“
„Klar haben wir doch letzte Woche so ausgemacht, bleibst du wieder über Nacht?“
Martins Vater ging einmal im Monat mit seinen Freunden aus, machte einen Motorradausflug oder ging bowlen, an diesen Tagen passte ich immer auf Martin auf. Ich mache das immer sehr gerne, der Kleine war schon ziemlich reif für sein Alter und so hatten wir immer eine recht lustige Zeit. Nachdem Martin meine Frage bejat hat verabschiede ich mich und wende mich zum Gehen. Die ältere Dame(ihr Name ist Agatha), die uns wohl belauscht hat übersehe ich unglücklicherweise.

Während ich auf dem Heimweg bin, begegnet Agatha ihrer Freundin Hannelore. Nach den üblichen Floskeln beugt sich Agatha verschwörerisch von und will natürlich ihre spannende Geschichte
zum Besten geben: „Sag mal, du kennst doch den Sohn der Kerns, diesen Tobi? Ja? Weißt du was? Ich glaube, er ist in dunkle Kreise gerutscht.“
„Nein, er war doch ein guter Junge. Woher weißt du das?“
„Er läuft jetzt mit so Kampfklamotten herum und vorhin habe ich gehört, wie er den Martin, der Sohn vom Meier bedroht hat.“
Während die Damen sich so unterhalten kommt Babsi, die Dorfälteste, vorbei. Da sie aber Agatha nicht mag läuft sie einfach vorbei, vernimmt aber die Worte Tobi, Kern, Kampf, Junge und bedroht. Als sie sich dann mit ihren Mädels am Samstag zum Kaffee trifft gibt sie nun ihrerseits ihr Wissen zum Besten.

„Wisst ihr was? Ihr werdet es ja nicht glauben, aber der Sohn der Kerns soll sich tatsächlich mit einem Jungen geprügelt haben. Der Andere soll ein richtiger Krieger gewesen sein.“
„Ach was, doch nicht etwa dieser Tobi?“
„Doch, doch. Genau der.“
Die anderen anwesenden vier Damen schütteln verwundert den Kopf.
Doch eine von ihnen meint verwundert: „Aber heute Nachmittag habe ich Tobi mit dem Sohn der Meiers in der Eisdiele gesehen und er schien nicht sonderlich verletzt.“
Damit ist das Thema vorerst gegessen, das heißt, bis zum Sonntagsbrunch am nächsten Tag.
Angie, die gestern auch beim Kaffe auch anwesend ist, meldet sich nach dem Gespräch über den Seitensprung von der Frau des Bäckers auch einmal zu Wort.
„Ach Mädels ich muss euch jetzt etwas erzählen, das glaubt ihr mich nicht. Der Sohn der Kerns dieser nette Tobi, hat am Freitag den Sohn der Meiers vor einer ganzen Gruppe riesiger Straßengangster gerettet.“
„Nein, ist nicht wahr.“
„Doch und zum Dank hat ihn der kleine Martin zum Eisessen eingeladen, süß nicht wahr?“

So geht das jetzt immer weiter, die Damen erzählen das ihren Familien und Freunden. Jeder dichtet seinen Teil dazu oder verschweigt das ein oder andere. Nur an mir geht das Ganze ziemlich vorbei.
Zumindest bis ich am Montag zum Dienst antrat.
„Hey, hey Tobi. Wart mal kurz.“
Überrascht drehe ich mich um und sehe eine Freundin vor mir stehen.
„Oh, hey Alex. Was gibt’s denn?“
Mit gespielt beleidigten Gesicht boxt sie mir in die Seite.
„Warum hast du mir nichts von deiner tollen Heldentat erzählt. Ich hab es gestern von Daisy gehört, die hat es von André und der von seiner Oma.“
„Wovon zum Teufel sprichst du bitte?“
„Jetzt tu doch nicht so bescheiden. Mir hättest du es eh sagen können, ich dachte wir wären Freunde.“
Langsam wird es mir zu bunt also herrsche ich sie an, was sie bitte meint.
„Na ja du sollst am Freitag nach der Arbeit gesehen haben wie der kleine Martin von sechs betrunkenen Straßengangstern angegriffen wurde, einer von denen soll sogar ein Messer dabei gehabt haben. Du hast du mutig in den Weg gestellt und die Typen verprügelt. Der Kleine soll dich zum Dank zum Essen eingeladen haben und die Eltern haben dir sogar eine Gehaltserhöhung angeboten haben, die du natürlich ausgeschlagen hast, weil du doch so gerne hilfst...Hey, warum lachst du denn so?“

Tja und so kam es, dass ich innerhalb einer Woche von allen sehr höflich gegrüßt wurde und DER Held war. Die Wahrheit glaubte mir natürlich niemand, hatte Angie es doch mit eigenen Augen gesehen. Und da sag noch einer, dass man auf Facebook seine Privatsphäre vergessen kann, das Dorf ist um Welten schlimmer.

Impressum

Texte: Die Story ist fast frei erfunden, jedoch nicht soo unrealistisch.
Tag der Veröffentlichung: 26.11.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Danke, an die alten Damen aus meinem Dorf. Ohne Sie, werte Damen hätte ich nie gelernt, das Stadtleben zu schätzen.

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