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Wir sterben viele Tode, solang wir leben,
der letzte ist nicht der bitterste.


Karl Heinrich Waggerl


Kennen Sie das? Sie erwachen aus einem bösen Alptraum, denken sich noch etwas wie, 'Puh, was habe ich gestern nur noch gegessen?' Drehen sich einmal im Bett und müssen feststellen, dass es eben kein Traum war? Nein? Danken Sie an wen auch immer Sie glauben mögen.
Leider muss ich feststellen, dass ich gestern wohl wirklich Selbstmord begehen wollte, es auch geschafft habe, zu allem Übel noch einen Deal mit dem Tod abgeschlossen habe und sein Sohn jetzt vorerst bei mir wohnt.
Wie? Nun ich starre ihm gerade ins Gesicht.
Stimmt ja, er hatte gestern nicht einen Ton gesagt. Die ganze Zeit stand er an meine Tür gelehnt da und hat mich angefunkelt und irgendwann wurde es mir zu bunt. Ich habe mich dann einfach aufs Bett fallen lassen und versucht mich zu beruhigen, da muss ich wohl eingeschlafen sein. Das erklärt jetzt aber immer noch nicht, warum er neben mir lag und schlief.
Vorsichtig hebe ich meinen Kopf und sehe ihm ins Gesicht. Seine Brauen hat er immer noch zusammen gezogen, doch der wütende Ausdruck war einem extrem traurigen gewichen. Ich kann es nicht beschreiben, aber jetzt würde ich ihn zu gerne in die Arme schließen, ihn über den Rücken streicheln und sagen, dass alles gut wird. Stattdessen drehe ich mich wieder auf den Rücken und starre nach oben. Wie es wohl war der Sohn des Todes zu sein? Unwillkürlich sehe ich einen kleinen Jungen Hand in Hand mit dem Tod vor einem Bett stehen. Der Junge versucht sich verzweifelt loszureißen und den Schreien des Sterbenden zu entkommen, versucht sich hinter seiner Mutter zu verstecken. Ich sehe in meiner Vorstellung den genervten Blick des Todes und die vielen heißen Tränen des Kleinen. Konnte eine Mutter wirklich so grausam sein?
Hatte sie ihn vielleicht die ganze Zeit alleine im Totenreich gelassen? Alleine in der Finsternis, das einzige was er zu sehen bekam waren die weinenden Seelen, die der Tot hierher zerrte. Ein Schauer durchläuft meinen Körper. Was hatte der Tod noch einmal gesagt? Er war schon vierhundert Jahre alt. Was er wohl alles erlebt haben muss...
Wieder werfe ich dem Schlafenden einen Blick zu. Und nun hatte ihn seine eigene Mutter zu einer wildfremden Person geschliffen und war ohne Weiteres verschwunden. Ich kann nicht verhindern, dass Mitleid in mir aufsteigt. Und in dem Moment nehme ich mir fest vor alles zu tun um ihn zum lächeln zu bringen. Ja, vielleicht schaffe ich es die Schatten aus ihm zu vertreiben.
Als ich im einen dritten Blick auf ihn werfen möchte, bemerke ich, dass seine roten Augen auf mich gerichtet sind.
„Morgen.“, ich versuche meine Stimme fröhlich klingen zu lassen.
Noch immer sagt er nichts. Nur sein durchdringender Blick liegt auf mir, macht mich nervös. Mittlerweile ist alle Trauer dem alten Trotz, der alten Wut gewichen. Na das konnte ja nur noch lustig werden.
„A-also ich gehe mich fertig machen, du kannst ja solange noch liegen bleiben.“ Natürlich erhalte ich keine Antwort.
Seufzend stehe ich auf und verlasse das Zimmer. Jep, aus uns werden noch die allerbesten Freunde.
Kopfschüttelnd tapse ich ins Badezimmer und stelle mich unter den heißen Wasserstrahl der Dusche. Während ich so dastehe und mich langsam etwas entspanne denke ich an die Schule, meine sogenannten Freunde, meinen Bruder und meine Eltern. Nur an meinen Selbstmord, den Tod und dessen Sohn denke ich nicht.
Nach gefühlten Stunden verlasse ich den angenehmen Wasserstrahl wieder und trockne mich ab. Aus einem Schrank krame ich meinen Bademantel und nachdem ich ihn mir angezogen habe putze ich meine Zähne. Einen Blick in den Spiegel zeigt mir ein Blasses Mädchen mit eingefallenen Wangen, ihre langen rötlichen Haare betonen viel zu sehr ihr bleiches Gesicht, nur ihre grünen Augen haben ihren Glanz wiedergewonnen. Ich erinnere mich noch genau an den Schatten, der die letzten Tage in ihnen gelegen hatte. Was der Tod nicht alles ausmachen kann. Seufzend schnappe ich meine Haarbürste und bürste mich durch das rote Gewirr.
Ich habe ziemlich abgenommen, sehe aber immer noch recht gut aus. Nachdem ich endlich fertig bin mache ich mich wieder auf in mein Zimmer. Der Junge steht nun vor meinem Schreibtisch und ließt einen Zettel. Nur langsam kommt mir um was es sich handelt. Siedend heiß kommt mir, dass es sich um meinen Abschiedsbrief handelt. Verdammt den hatte ich ja total vergessen. Blitzschnell sause ich zu ihm hin und reiße ihm das Blatt aus den Händen.
„Hey, das ist privat.“
Seine Augen mustern mich erneut, dieses Mal liegt etwas darin, dass ich nicht ganz zuordnen kann.
„Was ist das?“ Ich bin so überrascht seine Stimme zu hören, dass ich ihn erst einmal etwas anstarre bevor ich meinen Blick auf den Zettel senke.
Ich muss ihn nicht lesen um zu wissen was darauf steht. Natürlich nicht, ich hab ihn ja geschrieben.
Wissen Sie was, lieber Leser? Als ich ihn jetzt doch durchlese muss ich mich für meine eigene Dummheit schämen. Hätte meine Tante ihn gefunden und gelesen, ihr wäre das Herz bei diesen kalten Zeilen stehen geblieben. Ich muss zu dieser Zeit gerade ziemlich wütend gewesen sein.

Hallo Tante Marie,
Ich denke, wenn du das liest seid ihr mich alle los. Ich ertrage die ganze Heuchelei und vor allem die Einsamkeit nicht mehr. Wenn ich drüben Mum und Dad begegne, grüß ich sie nett, sollte ich in die Hölle kommen grüße ich Brian. Sag Andy, dass er seinen fetten Arsch nicht zur Beerdigung bewegen muss. Ich komme auch ganz gut ohne irgendwelche Krokodilstränen klar.
Du kannst dir deine auch sparen. Ich hoffe ich bereite dir keine Umstände, aber den Dreck wirst du leider wegräumen müssen (ja damit meine ich mich).

Also ciao, wir sehen uns dann drüben.

Alles Liebe
Kathi





Ich versuche den Kloß in meinen Hals herunterzuschlucken.
„Das.. das ist nichts.“ Es fällt mir unglaublich schwer in seine mich musternden Augen zu sehen.
„Du wolltest dich umbringen?“
Ich kann nur betreten nicken.
„Loser.“
Ich kann gar nicht anders, als ihn verdutzt anzusehen, doch mein Schützling verlässt hoch erhobenen Kopfes das Zimmer. Betreten sehe ich auf die Tür, welche sich soeben geschlossen hat. Was zum-?! Doch da öffnet sie sich wieder und er steckt den Kopf herein.
„Wo ist hier das Badezimmer?“
Wie betäubt erkläre ich es ihm und presse dabei den Brief in meinen Händen schützend gegen meinen Bauch.
Kaum ist die Tür ins Schloss gefallen wende ich mich meinem Kleiderschrank zu. Was hatte Tod noch einmal gesagt wie ihr Sohn hieß?
Claus? Conrad? Irgendwas mit 'C'. Während ich mir eine schwarze Hose und einen dunkel roten Rollkrangenpulli anziehe überlege ich angestrengt weiter, aber erst als ich in der Küche stehe und den Tisch decke fällt es mir wieder ein.
„Cloud!“ Ja, das war der Name. Irgendwie passt er ja...
Das Klingeln an der Tür unterbricht meine weiteren Gedankengänge.
Als ich die Tür öffne stehe ich einer großen blonden Frau gegenüber, die mich mit einem falschen Lächeln anstrahlt.
„Guten Morgen, Kathi. Wie geht’s es meiner Kleinen heute.“
„Morgen Tante Marie“, nuschle ich. Dachte ich wirklich es könne nicht schlimmer kommen?
Ohne weiter auf mich zu achten drängt sie sich an mir vorbei und läuft unbeirrt in die Küche weiter. Seufzend folge ich ihr. Wahnsinn noch nicht einmal neun Uhr und schon war der Tag im Eimer.
„Ach Kind ich verstehe dich einfach nicht. Was bringt dich nur dazu, alleine hier zu wohnen. Noch dazu in dieser Bruchbude, wo du doch bei uns wohnen könntest.“
Die Bruchbude, wie sie meine Tante liebevoll nennt, ist ein kleines Häuschen am Rande der Stadt. Früher hatte ich mit meinen Eltern und meinem Bruder hier gewohnt, doch als meine Eltern vor zwei Jahren bei einem Unfall umkamen, dauerte es nicht lange bis mein Bruder sich ziemlich veränderte und auszog und nun war ich alleine. Dennoch würden mich keine zwanzig Tanten hier rausbekommen. Natürlich spreche ich das nicht aus, sondern lächle nur unverbindlich und biete ihr einen Kaffee an, den sie höflich ablehnt. Demonstrativ abschätzend lässt sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen und erstarrt.
„Und wer, wenn ich fragen darf ist das?“
Resigniert folge ich ihren Blick und sehe einen Jungen mit kurzen schwarzen Wuschelhaar, braunen Augen. Seine Hände hat er in den Hosentaschen seiner Jeans vergraben und lehnt lässig am Türrahmen. Nur sein kalter Gesichtsausdruck verrät mir, dass es sich bei dem Jungen um den Sohn des Todes handelt.
„Das...das ist, ähm ein Austauschschüler aus Frankreich. Er wird für ein Jahr bei mir wohnen. Cloud das ist meine Tante Marie, Tante Marie das ist Cloud.“
Meine Tante nickt ihm nur kurz zu, Cloud belässt es bei einem Augen
zusammenkneifen.
„Also, was willst du hier?“, versuche ich meine Tante von ihm abzulenken.
„Ich wollte nur nach meiner lieben Nichte sehen.“ Aha, das war so glaubwürdig wie der Himmel grün war. Dennoch schenke ich ihr ein freundliches Lächeln. Mit einem letzten feindseligen Blick auf Cloud steht sie abrupt auf und verabschiedet sich bei mir. Ah ja, die liebe Familie.
Immer noch lächelnd begleite ich sie zur Tür. Kopfschüttelnd gehe ich wieder zurück und stelle noch die Marmelade auf den Tisch. Cloud hatte sich nach wie vor noch nicht bewegt. Innerlich stöhnend wende ich mich ihm zu. Erst durch das eng anliegende schwarze Shirt kann man seinen muskulösen Körper ausmachen und wieder Willen muss ich mir eingestehen, dass er verdammt gut aussieht. Schnell riesle ich meinen Kopf frei und sehe ihn fest an. „Also würde sich der werte Herr bitte setzten?“ Gelangweilt stößt er sich von der Wand ab und tapst zum Tisch. Während er sich auf seinen Stuhl plumpsen lässt, mache ich uns einen Kaffee. Nachdem ich ihm seine Tasse vor die Nase gestellt und
mich selbst auf einen Stuhl verfrachtet habe, widme ich mich meinem Brötchen und versuche meinen Gast nach Möglichkeit zu ignorieren. Das 'Loser' nehme ich ihm immer noch übel. Aber hatte er nicht Recht?
Ein lautes Keuchen lässt mich aufschrecken. Überrascht sehe ich auf und muss mit ansehen wie mein Gegenüber den Heldentod stirbt. Hustend und Keuchend sitzt er da und als er sich endlich beruhigte starrte er mich finster an.
„Sag mal, willst du mich UMBRINGEN?“
„Nein. Weswegen und... geht das überhaupt?“
War das jetzt etwas ein Lächeln, was sich kurz um seine Lippen gebildet hatte? Scheint nicht so, denn er fixierte mich schon wieder so böse.
„Ich rede von dem Gebräu hier.“ Ich sehe ihn etwas überrascht an, dann die Tasse Kaffee und dann wieder ihn. Schulterzuckend führe ich meine Tasse und kippe das schwarze Gebräu herunter. Zwar steigen mir die Tränen in die Augen, als ich mir den Rachen verbrühe, aber als ich Clouds Blick sehe weiß ich, das war es wert.
„Ich weiß gar nicht was du hast, schmeckt doch gut, aber wenn du Weichei
Deinen nicht willst...“ Ich komme gar nicht dazu, seine Tasse zu schnappen. Blitzschnell kippt er sich den gesamten Inhalt herunter und scheint nicht im Geringsten von der Hitze des Getränkes beeindruckt.
Hätte ich gewusst, welche Wirkung auch nur die kleinste Menge Koffein
auf den Unterweltler hat, ich wäre spätestens jetzt weit weg gerannt, so aber war ich nur stolz auf meine kleine List und biss herzhaft in mein Brötchen.
„Was ist das.“ Ich sehe auf und mustere meinen Gegenüber erneut, dieser hat jedoch nur Augen für sein Brötchen.
„Was denn?“
„Na das da, auf meinem...“
„Brötchen?“
„Genau, diese süße Substanz?“
„Ähm, das ist Marmelade.“ Etwas verwirrt kläre ich ihn über die Herstellung von den verschiedenen Marmeladen auf und muss innerlich schmunzelnd feststellen wie sich seine Augen mehr und mehr weiten.
„Sag mal, gibt es bei euch so etwas nicht?“
Cloud schüttelt nur langsam den Kopf.
„Sollte es aber. Überhaupt gefällt es mir hier viel besser.“
Kurz herrscht Schweigen, dann frage ich weiter: „ Wie ist es so bei euch?“
Als er antwortet ist seine Stimme leise und sein Blick durch mich hindurch in die Ferne gerichtet.
„Es ist immer Nacht, dunkel und kalt. Es herrscht überall eine drückende Stille. Der Boden besteht aus Stein und Staub, einzig ein kleiner Fluss bahnt sich seinen Weg durch das Reich. Egal wohin du siehst es gibt überall nur Steine und Felsen und die zwei Tore. Weißt du, durch das eine Tor geht meine Mutter und bringt die Seelen, durch das andere gehen sie dann alleine. Nie sagen sie ein Word. Manchmal weinen oder schreien sie. Und Mancher schreit, aber das sind die Wenigsten. Die Meisten gehen mit gesunkenen Kopf durch das andere Tor.“ Während seiner Erzählung wurde seine Stimme immer leiser und gegen Ende brach sie, was er etwas ungeschickt mit einem Husten überspielte, doch plötzlich sah er mir direkt in die Augen und meinte auf einmal mit emotionsloser Stimme:
„Aber weißt du noch etwas? Es gibt Menschen die kommen mit einem Lächeln in meine Welt. Sie gehen hoch erhobenen Hauptes, ein paar weinen zwar stumm, aber jeder von ihnen lächelt. Manchmal bleiben sie vor denen stehen, die zusammen gebrochen sind und sehen sie mitleidig an. Ich hab schon miterlebt, wie einer von ihnen sich zu einem ehemaligen Familienvater herunter gebeugt hat und ihm hoch geholfen hat. Kannst du dir das vorstellen? So viele Menschen, die aus ihrem perfekten Leben herausgerissen wurden, so viele die jemanden oder etwas unerledigt zurücklassen müssen. So viele, die noch etwas mit ihrem Leben vor hatten und diese Menschen haben das alles aufgegeben, weil es mal nicht so lief wie sie es gerne gehabt hätten. Sie geben alles auf und laufen selig grinsend durch das Totenreich.“ Seine Stimme wird immer lauter und mir fällt auf, wie er unruhig auf seinem Stuhl herum rutscht. Ich weiß, dass er Recht hat, ich weiß, dass ich ein Loser bin und mir ist durchaus auch bewusst, dass ich seine Verachtung verdient habe, dennoch beuge ich mich langsam nach vorne und gifte ihn wütend an: „Wenn dich dieser erbärmliche Selbstmörder so auf den Keks geht, warum verpisst du dich nicht einfach? Warum lässt du den Loser nicht alleine in seinem Elend und kehrst zu deiner Mummy zurück? WAS HÄLT DICH DAVON AB?!“ Kurz funkeln wir uns an, dann erhebt sich Cloud langsam, plötzlich ist er ganz ruhig.
„Glaub mir, gäbe es für mich irgendeine Möglichkeit wieder ins Totenreich zurückzukehren, du wärst mich sofort los, nur dummerweise wurde ich an dich gebunden. Wenn du also nicht zufälliger Weise stirbst, was meine Mutter sicherlich zu verhindern weiß, hast du mich noch 364 Tage am Hals. Danke für die Marmelade.“ Und weg war er.
Verblüfft sah ich ihm nach wie er aus der Küche rauschte. Er war an mich gebunden? Inwiefern?
Langsam stand ich auf und räumte den Tisch ab. Irgendwie tat es mir Leid ihn so angefahren zu haben, warum machten mich seine Worte nur so wütend? Seufzend bleibe ich stehen. Vielleicht sollte ich mich entschuldigen? Nein, aber ich kann ja was mit ihm unternehmen, ihm die Gegend zeigen. Gedacht getan, etwas nervös stehe ich vor meiner eigenen Zimmertür. Ich wusste einfach, dass er in meinem Zimmer ist. Zögerlich klopfe ich. Natürlich kam keine Antwort. Kotzbrocken. Genervt drücke ich die Klinke herunter und betrete mein Zimmer. Cloud hatte es sich auf meinem Fensterbrett bequem gemacht und starrt demonstrativ aus dem Fenster. „Hey Cloud, ich wollte noch etwas raus, hast du nicht Lust mitzukommen?“ Keine Reaktion, schon wieder. Dann halt nicht, ich hab getan was ich konnte. Schulterzuckend hole ich meine Jacke aus dem Schrank und verlasse das Haus, doch keine zehn Schritte später fühle ich, wie ein Ruck durch meinen Körper geht. Erschrocken erstarre ich. Was war das? Dem Ruck folgt ein Aufschrei und dann ein Aufschlag. Langsam drehe ich mich um und sehe gerade noch wie sich Cloud aufrichtet. Entsetzt wird mir bewusst, dass er aus dem Fenster gefallen sein muss.
„Cloud!“ Mit nur ein paar Schritten bin ich bei ihm.
„Alles in Ordnung?“ Wenigstens konnte er nicht sterben oder würde seine eigene Muttter...
Laut fluchend stampfte Cloud an mir vorbei, dreht sich aber dann wütend zu mir um. „Was ist jetzt musst du nicht irgendwohin?“
Perplex starre ich ihn an. „Du wolltest doch nicht mit?“
„Offensichtlich muss ich mit.“ Damit drehte er sich wieder um. Nur langsam sickert die Bedeutung zu mir durch. Natürlich, der Ruck und dann der Sturz aus dem Fenster. Was hatte er noch gesagt „Ich bin an dich gebunden“? Schnell hole ich zu ihm aus und laufe schweigend an seiner Seite. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach, bis mir siedend heiß einfällt, dass ich gar keine Ahnung habe wo wir hingehen. Verlegen räuspere ich mich und lenke damit den Blick meines Gefährten auf mich.
„Sag mal, was würdest du gerne machen?“
Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen schoss und hoffte, dass es nicht so schlimm aussah wie es sich anfühlte.
Es herrschte relativ langes Schweigen, doch dann begann Cloud.
„Du sagtest du, dass du was erledigen müsstest?“
„Nein, eigentlich wollte ich nur von dir weg.“ Ich bemerkte, dass er zusammenzuckte und dass meine Worte ziemlich zweideutig waren. Schnell fügte ich hinzu: „Nein, das meinte ich nicht so. Es ist nur, dass mir grad ziemlich die Decke auf den Kopf fällt und das was du mir gesagt hast... Ich weiß ja das du Recht hast, ich hätte nicht so reagieren sollen.“ Ich hole tief Luft und laufe noch etwas schneller.
Dann überrascht mich Cloud.
„Na ja, wenn du schon fragst... Ich würde gerne so viel wie möglich von der Stadt sehen.“ Ich versuche mir meine Freude nicht anmerken zulassen und überlege, wohin ich mit dem Sohn des Todes gehen soll. Doch plötzlich fing dieser zu kichern an. Überrascht schaue ich ihn an. Aus dem Kichern wird langsam ein Lachen und Cloud lässt sich plötzlich auf den Boden sinken. Ein paar Schreck-Minuten später versuche ich ihn wieder auf die Beine zu zerren. Doch kaum das er steht wird er wieder ernst, sieht mich an und fängt plötzlich in einem erstaunlichen Tempo an zu reden: „Weißt du was? Ich hasse meine Mum, sie hat sich nie für mich interessiert, ständig war sie auf Arbeit. Was ist so toll daran irgendwelche Seelen durch die Gegend zu schleifen und mein Dad? Den kannst du erst recht vergessen. Den ganzen Tag läuft er durch die Welt und zerstört irgendwelche Leben. Wusstest du, dass mein Dad das Schicksal ist? Ja, da staunst du dieser Mistkerl ist MEIN Vater. WeißtduwieesistdenvierhundertJahrealleinezusein? Neinnatürlichnicht,duhattestjawenigstensEltern,gutdiesindtot...“ Ich gebe es auf, dem sinnlosen Gebrabbel zuzuhören, ich habe eh genug gehört. Der Tod und das Schicksal, ja irgendwie logisch. Aber was war nur mit Cloud los? Mittlerweile redete er nur noch unzusammenhängende Silben und das in einem Tempo!
Zwischendurch bekam er auch noch diese hysterischen Lachanfälle und mir blieb nichts anderes als stumm daneben zu stehen. Jetzt fängt er auch noch das Hüpfen an und dann, ohne Vorwarnung rennt er los. Die Arme hoch in die Luft gestreckt und laut kreischend. Heiliger Mist, was soll das?
Mit offenen Mund sehe ich wie er immer schneller wird und plötzlich... Nun, werter Leser, ich weiß selbst nicht so genau, wie ich das beschreiben soll. Haben Sie schon jemals, irgendwen mit Fullspeed gegen eine Mauer rennen und dann umkippen sehen? Tja, das ist bedauerlich, versuchen Sie es sich doch trotzdem vorzustellen, dann wissen sie so ungefähr was mit Cloud passierte. Nur das in meinem Fall keine Mauer da ist. Er knallte einfach gegen die Luft und kippte dann stocksteif um. Entsetzt renne ich zu ihm hin und beuge mich über ihn. Glücklicherweise scheint er nicht verletzt zu sein. Seine Augen sind geschlossen und sein Gesicht absolut gefühllos. Ich hebe meinen Blick und sehe mich um. Wenigstens wohnen hier draußen nicht allzu viele Leute und die Straßen sind absolut leer, so hat niemand Clouds Anfall mitbekommen. Ich schnappe mir seufzend seine Handgelenke und beginne damit, ihn über den Gehweg nach Hause zu schleifen. Zugegeben, das war nicht die beste Idee, aber wissen Sie wie schwer der Typ ist? So dauerte es ziemlich lang bis ich ihn endlich durch die Haustür schleife. Kurz ruhe ich mich im Gang aus und bin ehrlich von seinem tiefen Schlaf beeindruckt. Jetzt stellt sich die Frage, ob ich ihn die Treppe hoch schleife, oder auf das definitiv viel zu unbequeme Sofa im Wohnzimmer verfrachte. Sinnvoller wäre das Sofa und doch schleife ich ihn jetzt die Treppen hoch. Stufe um Stufe, es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Nach einer weiteren halben Stunde liegt der Kerl endlich in meinem Bett und wieder verirrt sich eine Frage in meinen Kopf. 'Das Haus hat drei Schlafzimmer und du lädst den Jungen in deinem Bett ab, warum?'
Gute Frage. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es erst zwölf ist, also gehe ich wieder runter und putze die Küche, räume das Wohnzimmer auf und gieße die Blumen im Garten – kurz, ich versuche die Zeit tot zu schlagen. Mittlerweile ist es nach halb neun und Cloud ist immer noch nicht wach. Was den so umgebeemt hat? Ich esse etwas zu Abend und mache mich fertig fürs Bett. Zögerlich stehe ich nun in meinem Zimmer. Ich werde mich doch nicht von Cloud aus meinem Bett vertreiben lassen. Und so kommt es, dass wir wieder eine Nacht nebeneinander verbringen. Kurz bevor mich der Schlaf übermannt kommt mir noch ein sehr, sehr beunruhigender Gedanke: ich muss morgen in die Schule und wie Dinge gerade stehen, wird Cloud mich begleiten müssen!

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 18.09.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Danke an meine Untermieterin, welche für mich Muse spielte.

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