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Jimmy




Hallo mein Name ist Jimmy und dies ist meine Geschichte.

Ich wohnte nirgendwo, war eigentlich immer unterwegs und doch entfernte ich mich nie weit weg von diesem Quartier. Ein Dorf nahe einer grossen Stadt, da fand man immer irgendwas Essbares. Meine Mama war seit zwei Jahren Tod und meinen Papa hatte ich nie kennengelernt. Sie war wunderschön und hat sich immer fürchterliche Sorgen um mich gemacht. Schlussendlich war sie es, die wegen einer kleinen Dummheit sterben musste. In meiner Gegend gab es jedoch noch andere wie mich. Die hatten aber alle ein Zuhause, jemand der sich um sie kümmerte und sie wurden geliebt. Von sowas konnte ich leider nur träumen. Ein paar wenige, Fritzli zum Beispiel oder auch Jenny liessen sich manchmal dazu herab mich zu grüssen wenn wir uns in einer dunklen Gasse über den Weg liefen. Alle anderen ignorierten mich und ein paar, legten sich sogar mit mir an. Oft trug ich auch Wunden davon, die sehr schwer heilten.

Kein Wunder, kannte ich ja weder einen Arzt noch sonstige Menschen, die mir helfen würden. Ein kleines Stück meiner Schwanzspitze fehlt sogar ganz. Ich war unvorsichtig und zu langsam. Es war angenehm schattig unter dem Auto und so hatte ich mich hingelegt und bin wohl eingeschlafen. Als es losfuhr überrollte es meinen Schwanz. Das tat höllisch weh! Als ich später meine Schwanzspitze betrachtete fehlte dort etwa eine Pfotenbreite meines Fells und das Fleisch darunter war auch weg. Das war ganz schön eklig. Lange Zeit später schloss sich jedoch die Wunde und weil da noch ein Stück Knochen rausschaute, das mich immer störte, hab ich den Rest einfach abgenagt.

Ihr werdet es bereits ahnen. Ich war eine Strassenkatze, besser gesagt ein Kater. Im September war ich gerade drei Jahre alt geworden. Meine Mama wurde nur fünf, was hier auf der Strasse schon eine beträchtliche Leistung war. Sie wurde als kleines Kätzchen zu Weihnachten verschenkt aber der Junge der sie geschenkt bekam, hatte eine Allergie gegen Katzenhaare. Anstatt für meine Mama ein anderes Zuhause zu suchen hatten die Eltern des Jungen sie einfach nicht mehr in ihr Haus gelassen. Nach drei qualvollen Wochen war sie schliesslich gezwungen zu gehen. Hätte sie nicht solchen hunger gehabt, sagte sie mir einmal, wäre sie da geblieben und hätte niemals aufgegeben in der Hoffnung, dass sich die Eltern doch noch besannen und sie ins Haus lassen würden.

Auch einen Bruder hatte ich und er hiess Rocky. Aber Rocky wurde keine zehn Wochen alt. Er war zu schwach und weil wir im September geboren waren, stand der Winter bald schon vor der Türe und mit ihm die grässliche Kälte.

Mein Traum war es, auch einmal so ein hübsches Halsband zu tragen, wie sie all die anderen Katzen hatten. Die Farbe war mir egal, ich bewunderte jedes Einzelne dass ich an den anderen sehen konnte. Oft sass ich auf der Mauer eines italienischen Restaurants wo ich gelegentlich etwas zu Essen bekam und beobachtete die vorbeiziehenden Artgenossen. Wie schön ihr Fell glänzte! Ihre Augen waren immer klar und sie hatten nie Probleme mit dem Ungeziefer, das mich andauernd quälte.

Ich hatte auch oft beobachtet wie freundschaftlich sie miteinander umgingen. So kultiviert und nett. Natürlich überraschte es mich nicht, dass sie mich ignorierten. Für sie war ich ein Aussenseiter. Der Rotweiss getigerte, verlauste, dreckige Jimmy mit den trüben Augen und dem lauten Magen der andauernd knurrte. Für sie war ich in etwa so attraktiv wie ein Gewitter und ich denke, sie hatten auch Angst, dass sie sich bei mir irgendeine Krankheit einfangen könnten. Manchmal, wenn ich mich nah genug an sie ran schlich, konnte ich sie miteinander reden hören. Sie redeten fast immer von ihren Menschen. Wie sehr sie geliebt wurden oder dass sie jede Nacht bei ihrem Menschen im Bett schlafen durften.

Ich wusste zwar durch die vielen Erzählungen was ein Bett war, konnte mir aber nicht vorstellen wie es sein würde, darin zu schlafen. Was mich jedoch am meisten irritierte waren ihre Diskussionen über ihr Fressen. „ Stellt sie mir was vor die Nase wo Fisch drin ist, dann wird mir gleich übel. Ich esse das doch nicht!“, oder „ Mein Futter muss mindestens 60% Fleisch enthalten sonst rühr ich es nicht an.“ Andere beschwerten sich, dass sie gezwungen wurden Trockenfutter zu essen oder der Meinung waren, dass sie zu wenig Leckerlies bekamen. In meinen Ohren klang dies immer wie der blanke Hohn! Ich konnte mir nicht vorstellen auch nur ein klitzekleines bisschen Wählerisch zu sein, nein, ich durfte es mir nicht einmal erlauben. Wie unterschiedlich wir doch waren, ich und die Hauskatzen.

Die Ignoranz der Hauskatzen war das Eine. Für mich noch schlimmer jedoch, war die Boshaftigkeit mancher Menschen. Auf der Strasse wurde ich tagtäglich getreten und weggescheucht. An gewissen Fenstern und Türen wurde ich sogar mit heissem Wasser überschütten. Steine wurden nach mir geworfen und ab und zu holten die Menschen sogar ihre Gewehre hervor um auf mich zu schiessen. Einige hetzten ihre Hunde auf mich. Ich wurde bespuckt und verflucht. Weggescheucht und angeschrien. Ich konnte mir wahrlich nicht vorstellen wie es sein würde von so einem Menschen geliebt zu werden. Der Gedanke hatte etwas ganz und gar utopisches.

Und ja, ich war neidisch. Neidisch und eifersüchtig auf die Hauskatzen. Da mir Selbstmitleid jedoch nicht helfen würde hatte ich mit der Zeit gelernt mich in meinem Gebiet zurechtzufinden. Ich wusste, welche Häuser ich meiden musste, zu welcher Tageszeit es am besten war die Wege der Menschen zu betreten und wo ich miauend vor die Türe stehen durfte um ein paar Essensreste zu bekommen. Im Sommer war mein Leben sehr angenehm. Die Temperaturen waren selbst in der Nacht sehr warm und meist war ich nicht gezwungen zu betteln, da auf den Feldern vor dem Dorf genügend Mäuse zu finden waren. Auch Wasser liess sich ohne weiteres finden. Einzig die Zecken und Läuse liessen mich in dieser Jahreszeit selten in Ruhe.

Schlimm wurde es erst im Winter. Es war nicht einfach ein warmes Plätzchen für die Nacht zu finden. Begann es zu regnen oder zu schneien beeilte ich mich immer zu einem Unterstand zu gelangen. Einmal nass und kalt, hatte ich das Gefühl mir würde nie wieder warm werden. Im Winter hatte ich praktisch immer Hunger und meine Pfoten waren rau und rissig. Das komische Salz, das die Menschen auf die Strassen kippten, war natürlich auch nicht ohne. Mein Fell, das ein wenig länger war verfilzte bei diesem Wetter schnell und immer wieder wurde ich von einem Schnupfen geplagt, der mich zusätzlich schwächte.

Dieser Schnupfen der im Winter nach meinem dritten Geburtstag besonders schlimme Ausmasse annahm war dann auch der Auslöser für mein weiteres Schicksal.

Ich kann mich noch so gut daran erinnern, als wäre es erst gestern gewesen. Die Nacht zuvor war viel Schnee gefallen und die Temperaturen sanken ins Bodenlose. Stand ich lange genug an einem Ort, froren mir die Pfoten am Boden fest, was sehr schmerzhaft war. Sie waren bereits ganz blutig. Der Schnupfen wollte auch nicht besser werden und ich hatte zunehmend Mühe zu Atmen. Meine Augen tränten ganz fürchterlich. Kurzentschlossen wagte ich es zum Bahnhof zu gehen. Dort waren zwar ganz viele Menschen, aber auch eine Unterführung. In dieser Unterführung war es immer ein wenig wärmer als sonst wo. Es hatte auch viele Geschäfte da, schliesslich war es auch ein grosser Bahnhof. In der Mitte des Gangs befand sich ein Lüftungsgitter und daraus strömte warme Luft. Da wollte ich hin und wenn ich Glück hatte, würde mich niemand verjagen.

Es war Abend und jede Menge Menschen liefen durch die Unterführung. Erst wurde ich von niemandem bemerkt. So rollte ich mich vor der Lüftung zusammen und nachdem mir einigermassen warm wurde, schlief ich augenblicklich ein. Nach einiger Zeit vernahm ich jedoch in meinem Unterbewusstsein ein Geräusch. Ein gefährliches Geräusch. Hundegebell! Sofort wollte ich meine Augen öffnen, was mir aber nicht gelang. Sie waren zugeklebt und ich spitzte meine Ohren, stand auf und war bereit zur Flucht. Wo sollte ich hin fliehen, ich konnte ja nichts sehen! Panisch drehte ich meinen Kopf hin und her um auszumachen woher das Bellen stammte. Es kam immer näher und dazu gesellten sich Stimmen. Jungenhafte Stimmen, einige bereits ganz tief und andere schwankten zwischen fiepen und grollen. „ Schau an die Miezekatze!“ – „ Igitt, die ist ja ganz dreckig!“ – „ Komm, lass Ares los! Mal schauen wie schnell die Mieze laufen kann!“

Es ging alles ganz rasch. Ich lief, zwar in die richtige Richtung aber in eine Sackgasse. Der Hund hetzte hinter mir her und blieb stehen als ich mich ängstlich in die Ecke der Sackgasse zwängte. Nun liessen sich auch meine Augen wieder öffnen und ich sah einen grossen langhaarigen Schäferhund vor mir der seine Zähne zeigte. Doch der Hund rührte sich nicht bis die Menschen, es waren fünf Jugendliche, alle in schwarz gekleidet, ebenfalls hinter ihm stehen blieben. Ich zitterte am ganzen Leib. Werde ich nun sterben? Werde ich nun bald meine Mama und Rocky wieder sehen?

„ Na los Ben, gib Ares den Befehl!“, schrie einer der Jungen und ich schloss meine Augen. Der Hund knurrte bedrohlich.

„ Fass!“

Mein Angreifer hatte sich gerade in meiner Hinterpfote verbissen als ich ein hohes Klingen vernahm. Um mich ordentlich zu wehren war ich einfach zu schwach und so liess ich es geschehen. Doch da öffnete sich hinter mir eine Türe, eine Schiebetüre. Das war gar keine Sackgasse! Es war ein Lift!

„ Was soll das!“, hörte ich eine weibliche Stimme schreien. Dazu gesellte sich eine Mädchenstimme die anfing zu weinen.

„ Nehmt den Hund von der armen Katze weg, sofort!“ Wieder die Frauenstimme. Sie war wohl gerade mit dem Lift heruntergefahren um in die Unterführung zu gelangen. Inzwischen quoll jede Menge Blut aus meinem Hinterbein und als ich bemerkte wie der Hund von mir abliess, beeilte ich mich davon zu humpeln. Mein Bein tat höllisch weh und ich begann zu jammern. Weit kam ich jedoch nicht. Warme Hände hoben mich in die Luft. Ich wollte mich wehren, kratzen, beissen, fauchen und um mich treten aber ich war zu schwach. Müde liess ich auch dies geschehen und fand mich in den Armen eines kleinen Mädchens wieder. Hellbraune mit Tränen gefüllte Augen blickten mich an. Sie öffnete ihre Jacke und drückte mich an ihren Oberkörper, schloss ihre Jacke wieder und streichelte mir über den Kopf.

„ Gut so Jasmin, pass auf seine Hinterpfote auf. Komm, wir gehen nach Hause und morgen gehen wir mit der Katze zum Tierarzt.“, Hörte ich die Frauenstimme.

„ Mama, es ist ein Kater. Darf ich ihn behalten?“ Fragte das Mädchen.
Nach langem Schweigen vernahm ich noch die Antwort der Mutter, bevor ich in einen traumlosen Schlaf viel.

„ Wenn er die Nacht überlebt meine Schatz, dann darfst du ihn behalten ja.“

Ich überlebte die Nacht. Welche Strassenkatze stirbt schon in einem warmen weichen Menschenbett! Am nächsten Tag brachten mich Jasmin und ihre Mama zum Tierarzt. Ein freundlicher Mann, der mich jedoch skeptisch anschaute. Seine Prognose war nicht all zu gut. Er gab mir eine Spritze mit Antibiotika. Keine Ahnung zu was das gut sein soll. Dann gab er Jasmin und ihrer Mama ganz viele Medikamente mit und sie trugen mich wieder zu sich nach Hause.

Ich dachte ich wäre im Himmel angekommen! Essen so viel ich wollte und Jasmin verbrachte sehr viel Zeit mit mir. Streichelte mich und spielte mit mir. Mein Bein wurde von Tag zu Tag besser. Und noch etwas ganz seltsames passierte in diesen ersten Tagen in denen ich von einer Strassen- zu einer Hauskatze gemacht wurde. Jasmin und ich lagen auf ihrem Bett und sie knuddelte, küsste und streichelte mich. Auf einmal stieg so ein komisches Geräusch aus meiner Kehle. Es schien von ganz tief in meiner Brust zu kommen. Ein Gefühl der Wonne und des unendlichen Glücks überkam mich und das Geräusch vertiefte sich noch mehr. Jasmin begann zu lachen und schrie nach ihrer Mama, die in der Küche gerade das Essen zubereitete.

„Mama! Jimmy schnurrt!“ Sie klang so fröhlich also war das bestimmt nicht gefährlich, was mein Körper da machte. Somit hatte ich es mir angewöhnt, immer wenn mir etwas besonders gefiel, vor mich hin zu schnurren.

Ich durfte also tatsächlich bei Jasmin und ihrer Mama bleiben. Drei Mal am Tag bekam ich etwas zu essen, hatte immer frisches Wasser zur Verfügung und mein Fell wurde jeden Tag gekämmt. Sogar eine eigene Toilette wurde mir geschenkt und jede Menge Spielzeug, einen Kratzbaum und man stelle sich vor, fünf weiche Bettchen in die ich mich legen konnte wann immer ich Lust dazu hatte.

Im März darauf wurde Jasmin sechzehn Jahre alt. Nach der Schule kam sie ganz aufgeregt nach Hause und erzählte ihrer Mama von ihrem Tag und von den Geschenken, die sie von ihren Mitschülern bekommen hatte. Ich strich ihr derweilen um die Beine und schnurrte vor mich hin. Noch sowas, das ich mir angewöhnt hatte. Wollte ich etwas, so musste ich nur um die Beine meiner beiden Menschen streichen, schnurren und zwischendurch miauen, schon bemühten sie sich mir meine Wünsche von den Augen abzulesen. Ich liebte sie abgöttisch meine beiden Retterinnen.

„ Wir wissen ja nicht, wann Jimmy Geburtstag hat, also denke ich, er sollte mit mir zusammen Geburtstag feiern meinst du nicht Mama?“ Hörte ich Jasmin freudig berichten und die Mama nickte lächelnd. „ Gut, ich habe ihm heute nämlich ein Geburtstagsgeschenk gekauft!“

Sanft wurde ich hochgehoben und auf das Sofa getragen. Dort setzte mich Jasmin auf ihrem Schoss ab und ich guckte verwundert in ihre warmen Augen. Ihre rechte Hand kam in mein Blickfeld und ich stellte meinen Kopf schräg als ich den Gegenstand zwischen ihren Fingern erkannte.

„ Alles Gute zu deinem Geburtstag mein Schatz.“ Meinte sie und ich spürte meine Augen feucht werden als ich den Gegenstand als ein Halsband erkannte. Es war ein ganz schlichtes Nylonband in dunkelblau und hatte ein winziges silbernes Glöckchen am Verschluss. Für mich war es das schönste Halsband das ich je gesehen hatte.

So zogen die Jahre ins Land und mir erging es wunderbar. Bald konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen wie ich die ersten drei Jahre auf der Strasse überlebt hatte. Jasmin wurde, genauso wie ich, älter aber ihre Liebe zu mir nahm niemals ab. An jedem unserer Geburtstage schenkte sie mir wieder etwas ganz besonderes. Dinge, die ich zuvor noch nie gesehen hatte und die mir immer wieder aufs Neue bestätigten, was für ein Riesenglück ich hatte.

Manchmal durfte ich auch hinaus in den Garten. Das Haus meiner Retterinnen befand sich ausserhalb meines Gebiets als Strassenkatze und doch begegnete ich ab und zu bekannten Gesichtern. Nachwievor wurde ich ignoriert. Einmal Strassenkatze, immer Strassenkatze gab mir eines Tages ein besonders unfreundlicher Artgenosse zu verstehen. Mir war das egal. War ich zwar für die anderen Katzen ein Aussenseiter, für meine Menschen war ich der Mittelpunkt ihres Lebens und sie waren dasselbe für mich. Natürlich, mein neues Leben war im Vergleich zum Alten scheinbar langweilig, abenteuerlos und fad doch würde ich es für nichts auf der Welt aufgeben.

Mit zehn Jahren bemerkte ich dann, dass meine Knochen und Gelenkte nicht mehr die jüngsten waren. Der Tierarzt meinte, dass seien ganz normale Alterserscheinungen. Spielen und toben konnte ich auch nicht mehr so ausgiebig und lange wie zuvor. Aber schmusen und kuscheln lag selbstverständlich immer noch drin. Jasmin war mittlerweile eine junge Frau und sie hatte einen Mann kennengelernt. Sie zog dann auch kurz darauf in eine eigene Wohnung, kam mich jedoch alle zwei bis drei Tage besuchen. Ihre Mama meinte, es wäre vielleicht besser man würde mich in der gewohnten Umgebung lassen da ich ja auch nicht mehr der Jüngste sei. Natürlich hätte ich Jasmin lieber jeden Tag gesehen aber so war es dann auch in Ordnung. Schliesslich schlief ich nun auch viel mehr und genoss mein Seniorendasein. Jasmin’s Mama verwöhnte mich weiterhin genauso liebevoll.

An meinem fünfzehnten Geburtstag, ich hatte einen riesigen Vorrat an Katzenmilch geschenkt bekommen, bemerkten Jasmin und ihre Mama eine Wunde an meiner Nase. Mir war die noch nie aufgefallen und sie schmerzte mich auch gar nicht. Ein Jahr später jedoch war die Wunde grösser geworden und sie heilte auch nicht trotz der Salbe die mir Jasmin’s Mama immer ganz vorsichtig auf der Nase verteilte. Meine Gelenke machten auch immer schlechter mit und so wurde meine Toilette und mein Bettchen in das Erdgeschoss verfrachtet. So musste ich nicht mehr so viele Treppenstufen meistern. Auch an Gewicht hatte ich verloren obwohl ich nachwievor einen sehr gesunden Appetit hatte. Ich war natürlich noch immer nicht wählerisch und würde dies auch nie ändern.

Nun liege ich auf dem Sofa und es ist zwei Tage nach Weihnachten. Der Weihnachtsbaum im Wohnzimmer hat in diesem Jahr nichts von mir zu befürchten. Meine Gelenke schmerzen und meine Nase ist praktisch nicht mehr vorhanden. Der Tierarzt meinte es sei Krebs. Atmen kann ich nur noch durch den Mund, was mich nicht sonderlich stört. In drei Monaten würde ich achtzehn Jahre alt werden. Das wäre mir auf der Strasse niemals gelungen. Doch ich liege nicht irgendwo in einem Hinterhof, sondern hier zwischen meinen Retterinnen und ich fühle mich geliebt und geborgen. Ich hatte einen sehr schweren Start ins Leben aber den Rest meines Lebens war wundervoll und ich habe ihn nur meinen beiden Menschen zu verdanken. Jasmin weint stille Tränen in mein weiches Fell. Soeben hat es an der Haustüre geklingelt. Sie haben es mir versucht zu erklären. Der Krebs sei nicht heilbar und noch vor meinem nächsten Geburtstag wäre mein Gesicht so entstellt, dass es für mich nur eine Qual wäre es soweit kommen zu lassen. Ich verstehe das, sie wollen nur das Beste für mich.

Der Tierarzt kommt in das Wohnzimmer und kniet sich vor mich hin, streichelt mir über den Kopf und begutachtet mein Gesicht. Traurig schüttelt er den Kopf und ich höre das Schluchzen von Jasmin. Unwillkürlich beginne ich zu schnurren. Der Tierarzt legt mir einen Gummischlauch um den rechten Ellenbogen und ich schaue zu Jasmin und ihrer Mama. Beide weinen ganz bitterlich, haben gerötete Augen und Jasmin’s Mama hält sich den Mund zu um ihr Schluchzen zu unterdrücken. Jasmin fixiert mich mit ihren tränennassen Augen und flüstert mir zu dass sie mich unendlich lieb hat. Dann spüre ich einen kurzen Stich an meinem Vorderbein und dann ein Brennen. Erst tut es sehr weh, doch dann breitet sich eine wohlige Wärme in meinem Körper aus – ich beginne wieder zu schnurren und werde ganz müde. Kurz bevor ich in meinen endlosen Schlaf falle, spüre ich ihre warmen Hände auf meinem Fell, meinem Kopf und meinen Pfoten. Schwach höre ich noch ihre Stimmen. Sie wünschen mir eine gute Reise und bedanken sich für die Liebe, die ich ihnen gegeben habe.


Ein warmes liebevolles Zuhause, alles was ein Kater sich wünschen kann haben sie mir gegeben und nun schenken sie mir einen würdevollen und schmerzlosen Abschied. Ich verlasse meinen Körper und schaue zu ihnen hinab. Als hätten sie es gespürt lassen sie meine Hülle los und umarmen sich schluchzend. Ich werde sie sehr vermissen, doch ich kann warten.


Bis wir uns irgendwann wiedersehen...

Impressum

Texte: Texte von Darunja
Bildmaterialien: Cover von Darunja
Tag der Veröffentlichung: 05.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diese Kurzgeschichte dem Kater meiner Schwester. Leb wohl mein Freund wir werden dich niemals vergessen.

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