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Leseprobe

 

Darleen Alexander

 

 

Wölfe
der
Leidenschaft

 

 

Roman

 

Widmung

 

 

 

 

Für meine Familie.

 

Danke, dass Ihr mir immer den Raum für meine

Fantasie gelassen habt.

Prolog

 

 

Vor 32 Jahren in Silver Spring / Virginia

 

Adrenalin jagte durch ihre Adern, als sie keuchend und nach Luft ringend in die nächste Straße einbog und kurz hinter sich sah.

»Mist!« Er war immer noch hinter ihr und verringerte den Abstand zwischen ihnen mehr und mehr. Verzweifelt sah sie sich um. Kein einziger Mensch war zu dieser späten Stunde auf der Straße, niemand der ihr hätte helfen können. Panik stieg in ihr hoch und sie versuchte, ihre Beine zu einem höheren Tempo anzutreiben. Dabei fühlten sie sich jetzt schon an, als würden sie bluten. Sie schickte ein kurzes Stoßgebet gen Himmel, dass sie sich heute für die bequemen Turnschuhe entschieden hatte, statt der Absatzschuhe, die sie so verführerisch angelächelt hatten.

»Bleib stehen! Du hast ja doch keine Chance mir zu entkommen.« Seine Stimme kroch ihr tief ins Unterbewusstsein und ihr Körper schrie förmlich danach, ihm zu gehorchen. Er kannte die Strafe für Ungehorsam.

Doch sie lief weiter. Ihre Beine fühlten sich nach dieser Verfolgungsjagd so schwer an wie Blei und ihre Lunge tat ihr höllisch weh. Aber sie durfte nicht stehen bleiben. Sie durfte ihm nicht in die Hände fallen.

Als er sie schließlich doch eingeholt hatte, griff er in ihr langes, rotes Haar und zog sie grob daran zurück. Sie schrie vor Schmerz auf und fiel auf ihren Allerwertesten. Voller Panik wand und zerrte sie, bis sie schließlich wieder auf den Beinen stand und schrie: »Bitte lass mich gehen. Bitte! Ich flehe dich an.«

Immer noch die Hand in ihrem Haar zog er sie grob in eine Seitengasse und wieder verlor sie den Boden unter ihren Füßen. Als er, seiner Meinung nach, ein ideales Plätzchen für eine Unterhaltung gefunden hatte, zerrte er noch einmal ruckartig an ihrem Haar, so dass sie auf den Beinen stand. Dabei riss er ihr ein Büschel von der roten Pracht heraus, die er voller Ekel von seiner Hand schüttelte.

Tränen überströmt und noch immer schwer nach Luft ringend, stand sie vor ihm. Ein heftiges Zittern durchfuhr sie und ihre Nackenhaare stellten sich in der Vorahnung des Kommenden auf.

»Carla. Ich will doch nur mit dir reden.« Seine Stimme klang wie Samt, schmeichelnd. Aber in seinem gehässigen Blick konnte sie sehen, dass er sie anlog. Sie suchte ihre Umgebung nach einem Fluchtweg ab, ohne Erfolg.

Fliehen konnte sie nicht. Nicht mehr. Sie spürte die gewalttätige Aura, die ihn umgab. Er sprühte förmlich vor Energie und war der Raserei nahe. Und erst seine Augen. Sie waren fast komplett schwarz und fixierten sie mit beängstigender Deutlichkeit. Seine Haare waren wie immer ordentlich gepflegt und durch die Verfolgung nur unwesentlich aus der Form geraten. Würde sie ihn nicht kennen, käme er ihr wie ein kultivierter Mensch vor. Sie verfluchte sich innerlich, dass sie heute ihre Wohnung verlassen musste. Sie hätte vorsichtiger sein sollen, aber sie wollte unbedingt zu Willi. Als sie ein paar Straßen vor seiner Kanzlei Dereks Geruch wahrgenommen hatte, war ihr Herz fast stehen geblieben. Und dann war sie losgerannt.

»Du willst mit mir reden? Worüber? Ich dachte, wir hätten alles geklärt.« Seine Finger glitten wieder durch ihr langes Haar und ihr lief ein Schauer über den Rücken. Sie fühlte sich äußerst unwohl in seiner Gegenwart und blieb ständig in Bewegung. Es glich dem Zappeln eines Kindes, das nicht still sitzen konnte.

Sie hatte schon immer gewusst, dass er gefährlich war. Besonders jetzt, nach der Jagd, wenn sein Blut erhitzt und sein Verstand etwas vernebelt war. Sie hätte sich nie mit ihm einlassen dürfen.

»Wo sind die Babys?« Sie zog lautstark Luft ein und wurde blass wie ein Betttuch. Sie konnte förmlich spüren, wie ihr das Blut aus dem Kopf wich. Er grinste überlegen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hättest wohl nicht gedacht, dass ich es herausfinde. Wo sind sie?« Carla starrte ihn mit großen Augen an und antwortete mit flehender Stimme: »Du hast mich doch schon aus dem Rudel verbannt. Reicht dir das nicht?« Er packte sie grob am Arm und zog sie zu sich. Sie konnte seinen heißen Atem auf ihrem Gesicht spüren.

»Nein. Ich habe mich schon gefragt, warum du dich nicht gegen die Anschuldigungen gewehrt hast. Aber ich wäre nie darauf gekommen, dass du von einem meiner Männer schwanger sein könntest. Wo sind die Babys? Noch einmal frage ich nicht.« Sie drehte den Kopf zur Seite und erwiderte leise, fast flüsternd: »In Sicherheit!«

Sein Gesicht verzog sich zu einer wütenden Grimasse und dann schloss er seine Hand um ihren Oberarm, bis dieser brach. Sie schrie schmerzerfüllt auf und taumelte nach hinten. Sie wollte wegrennen. Ihre Babys brauchten sie. Aber er war so stark und sie hatte erst vor ein paar Wochen entbunden und war immer noch geschwächt.

»Du bist ein widerlicher Schweinehund«, zischte sie ihn an. Doch er lächelte nur und ging weiter auf sie zu. Mit ihrem Rücken stieß sie an eine Hauswand und sah sich ein weiteres Mal um. Es war eine Sackgasse, sie konnte nur in eine Richtung fliehen. Sie musste es riskieren.

Mit ihrem gesunden Arm zerkratzte sie ihm das Gesicht und mit dem Knie stieß sie ihm in die Lendengegend. Keuchend ging er zu Boden. Jetzt hatte sie nur ein paar Sekunden zur Flucht und sie betete, dass es ihr gelingen würde, ihm zu entkommen. Aber sie war noch nicht mal am Ende der Gasse angekommen, als er ihr den gebrochenen Arm auf den Rücken bog. Ein furchtbarer Schmerz durchzuckte sie. Wieder schrie sie auf.

»Du kleine Hure!« Er stieß sie zurück in die Gasse und schmetterte sie gegen eine Mülltonne. Beide gingen lautstark zu Boden.

»Bitte ...« jammerte sie. »Bitte lass mich gehen.« Sie sah zwischen Tränen zu ihm auf und erblickte seine verzerrte Fratze. Jetzt war die dunkle Aura des Wolfs unübersehbar, die wie ein Schatten über seiner Gestalt lag.

»Gehen wirst du nicht mehr.« Mit diesen Worten trat er mit ganzer Kraft auf ihren Oberschenkel und allein das Geräusch des brechenden Knochens verursachte ihr schon Übelkeit. Den Schmerz nahm sie nur am Rand wahr. Er kauerte sich neben sie und zog ihr Gesicht näher zu sich.

»Und wenn du mir nicht endlich sagst, wo diese Bastarde sind, wirst du das hier nicht überleben.« Carla biss die Zähne zusammen, reckte ihr Kinn nach vorn und blickte ihn stolz und verwegen an. Diese Bastarde waren das Produkt reiner Liebe. Etwas, dass dieser Mann nie erfahren würde.

»Niemals. Lieber sterbe ich.« Er zuckte mit den Achseln und schlug ihr kraftvoll ins Gesicht. Schmerz explodierte in ihrem Kopf und für einen Moment sah sie Sterne.

»Es ist wirklich schade. Wärst du nur etwas zurückhaltender gewesen und hättest schön mein Bett gewärmt, hätte es nie so weit kommen müssen. Aber ich muss sagen, dass es mir nicht leidtut. Du hast mir nie etwas bedeutet. Du warst nur ein netter Zeitvertreib.« Carla merkte, wie ihr Auge anschwoll und sich ihr Sichtfeld dramatisch einengte. Trotzdem lachte sie ihn hämisch an. Weder ihr Bein noch ihren Arm konnte sie noch bewegen. Ich bin sowieso verloren. Hauptsache, ich muss nicht zu sehr unter ihm leiden.

»Mehr als diesen lausigen Schlag hast du nicht drauf? Kein Wunder, dass dein Vater dir die Verantwortung für das Rudel nicht übergeben wollte. Mir hat er vertraut und ich bin erst dreiundzwanzig.« Das war sein wunder Punkt und sie wusste es. Er packte sie am Hals und drückte zu.

»Du kleine Schlampe. Nimm das zurück! Du bist ein Nichts. Und du wirst immer ein Nichts sein.« Carlas Kehle schmerzte furchtbar, aber sie wusste, wie gern er andere folterte. Sie wollte einen schnellen Tod, wenn sie ihm schon nicht entrinnen konnte.

Schwarze Flecken tanzten vor ihren Augen, die Farbe ihres Gesichtes wechselte von Rot zu blau und sie konnte die kalte Hand des Todes schon auf ihrem Herzen spüren.

Ich bin jemand. Ich bin die Mutter von zwei wunderbaren Mädchen. Die Gefährtin eines ehrbaren Mannes. Die Tochter von tüchtigen und edlen Menschen. Und ich wurde geliebt, auch wenn es nicht der richtige Mann war, den ich gewählt habe.

Ihre letzten Gedanken verschwammen, als sie ins Dämmerreich der ewigen Nacht hinüber glitt.

 

»Scheiße!« Er ließ ihren Hals los und sah in das geschundene Gesicht seiner Ehefrau. Es war verquollen und blau. In ihrem ehemals so schönen, roten Haaren klebten Dreck und Laub zusammen mit ihrem eigenen Blut, das aus Nase und Mund tropfte. Plötzlich schmunzelte er wieder und seine Miene hellte sich auf.

»Ich werde sie auch ohne dich finden. Du warst mir sowieso ein Dorn im Auge. Früher oder später wärst du in irgendeiner Form zu Tode gekommen. Dass ich es selbst erledigen konnte, ist an sich auch was wert.« Mit diesen Worten stand er auf und ging.

Sollen sie doch die Ratten fressen.

 

1. Kapitel

 

 

Heute in Alexandria - Virginia / USA

 

Josh, der Anführer der Alexandria-Wölfe, saß missmutig in einer verrauchten Bar und hielt sich an seinem dritten Bourbon fest. Er war frustriert. Seit Wochen hatten sie erhebliche Probleme mit den Silver Spring Wölfen aus dem angrenzenden Revier, oberhalb des Potomac Rivers. Immer wieder kamen sie ohne ersichtlichen Grund in sein Gebiet und stifteten Unfrieden, töteten Menschen und brachen in diverse Gebäude ein. Er und sein Rudel hatten die letzten Wochen jeden Abend nach ihnen Ausschau gehalten, aber nichts und niemanden gesehen oder überhaupt wahrgenommen. Wie machen sie das nur?

Seine zwei jüngeren Brüder hielten an diesem Abend auf der Brücke des Potomac Rivers Wache, hatten sich aber noch nicht wieder bei ihm gemeldet. Was wohl bedeutete, dass auch bei ihnen tote Hose herrschte. Josh hatte sich in der Gegend umgesehen und sich dann völlig niedergeschlagen in diese Bar gesetzt.

Seine Laune war auf einem neuen Tiefpunkt und er ließ die Schultern nach vorne sinken. Durch den ganzen Stress hatte auch sein Liebesleben gelitten. Es fühlte sich schon wie eine Ewigkeit an, seit er eine Frau im Bett hatte. Wenn er an Ivonne dachte, seine letzte Geliebte, jagte ihm das immer noch Wonneschauer über den Rücken. Sie war sehr spontan und für alles offen. Allerdings war sie an einer rein sexuellen Beziehung nicht interessiert. Nach vier Wochen war Schluss.

Seine Überlegungen drifteten zu Dettys Etablissement. Eine ihrer kleinen Nymphen könnte ihn bestimmt ablenken. Nein. Das würde er heute Abend nicht tun. Das letzte Mal konnte er sich kaum noch von den hübschen Dingern losreißen und er hatte immer noch das Problem mit den Silver Spring Wölfen.

Er stellte das leere Glas scheppernd auf den Tresen und wollte gerade aufstehen, als er angerempelt wurde. Heute war wirklich nicht sein Tag.

»Kannst du nicht aufpassen?« Seine Stimme war mehr ein Knurren und er klang sehr ungehalten. Er drehte sich herum und hielt in seiner Schimpftirade inne. Dort stand eine atemberaubend, rothaarige, schlanke Frau, die ihn mit ihren smaragdgrünen Augen aufmerksam musterte.

»Sorry!« Sie ging, mit einem Schmunzeln auf den Lippen, an ihm vorbei und lehnte sich über den Tresen. Normalerweise schmachteten ihn Frauen an. Wenn er wütend war, wie in diesem Moment, gingen sie ihm aus dem Weg. Aber sie schien weder das eine noch das andere im Sinn zu haben. Sie so vor sich zu sehen, die Arme auf dem Tresen, den Oberkörper darüber gebeugt und den Po keck in der Luft, ließ seine Hose auf einmal unangenehm eng werden.

»Hey Mike. Bring dem großen, bösen Wolf hier noch einen Drink auf meine Rechnung. Und für meine Mädels noch eine Runde Cosmopolitan.« Der Barkeeper, mit den dunkelblonden, zerwühlten Haaren, zwinkerte ihr zu und machte sich an die Arbeit. Sie drehte sich zu Josh um und sah ihn herausfordernd an.

»Ich bin Cassandra. Tut mir Leid wegen dem Rempler.« Sie hatte ein bezauberndes, schmales Gesicht mit einer hübschen kleinen Nase und einem roten, vollen Schmollmund. Ein Mund, der zum Küssen gemacht war. Und ihre Augen. Sie schienen durch ihn hindurchzusehen und ihn lesen zu können, wie ein offenes Buch. Und sie erweckte den Anschein zu erkennen, dass er kein Mensch war. Der große, böse Wolf.

Grölendes Gelächter zog seine Aufmerksamkeit auf eine Meute gackernder Frauen in der Mitte der Bar. Cassandra lächelte ihn verwegen an und zuckte mit den Schultern.

»Weiberabend« war ihre Erklärung, als sie sich die Drinks schnappte, die Mike auf den Tresen gestellt hatte und wieder zu ihren Freundinnen ging.

Ihr Gang hatte etwas Betörendes. Ihre wiegenden Hüften. Ihre hohen, gelben Schuhe. Das überaus kurze, gelbe Kleid. Josh hätte beinahe angefangen zu sabbern. Erst jetzt bemerkte er, dass er nicht ein Wort mit ihr gewechselt hatte, außer dem Rüffel für den Zusammenstoß. Sie musste ihn für total bedeppert halten.

Mike stellte einen neuen Bourbon vor Josh und sah ihn wissend an.

»Keine Chance, Alter. Die Kleine ist in festen Händen.« Sein Mut sank ein Stück.

Wieder gackerten die Frauen los. Es waren sechs, falls er sich nicht verzählt hatte. Sein Blick glitt immer wieder zu Cassandra. Sie schien ihn magisch anzuziehen. Mike setzte seine Erläuterung fort und sah ebenfalls mit einem Kopfnicken zu den Frauen.

»Sie treffen sich jeden Freitag hier und besaufen sich, bis sie nicht mehr laufen können.« Er lachte und als sich Josh wieder zu ihm drehte, sah er ihn gespannt an.

»Ist sie verheiratet?« Nachdenklich und auch etwas sorgenvoll musterte er Josh von oben bis unten, als ob er erst abwägen müsste, wie seine Antwort ausfiel.

»Soviel ich weiß ja. Und sie scheint wohl auch ein Kind zu haben. Zumindest hab ich sie mal mit einem kleinen Mädchen gesehen, dass ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war.« Josh sah wieder zu Cass und nippte an seinem Bourbon. »Hey Alter. Lass den Kopf nicht hängen. Viele Männer waren schon scharf auf Cass, aber sie lässt jeden abblitzen. Ihr Mann muss echt der Oberhammer sein. Aber zwei ihrer Freundinnen sind noch Single. Versuch doch bei denen mal dein Glück.« Mit diesen Worten richtete er seine Aufmerksamkeit auf ein junges Pärchen, das gerade an die Bar gekommen war und etwas bestellen wollte.

Josh hatte eben für sich beschlossen, dass er diese Bar noch etwas im Auge behalten sollte. Er grinste und sah wieder zu den Frauen hinüber. Wobei sein Blick fest auf Cassandra geheftet war.

 

Als Cass an ihren Tisch zurückkam, sahen die anderen Frauen neugierig und viel zu auffällig zu dem Mann an der Bar. Gleich würde es losgehen. Ob sie ihr noch Zeit gaben, bis sie die Getränke angestellt hatte?

»Hey Cass. Was wollte Mister Groß und Dunkel denn von dir?« Amanda gackerte dazwischen: »Hat er dir seinen Namen verraten?« Annika wedelte sich aufgeregt Luft zu, eine Geste, die sie gar nicht von ihrer besten Freundin kannte.

»Du hast ihm hoffentlich deine Nummer gegeben, oder?«

Cassandra stellte die Drinks ab, setzte sich seelenruhig zu den anderen Frauen und antwortete gelassen: »Mister Groß und Dunkel ist wahrscheinlich stumm. Oder total dämlich. Intelligenz und gutes Aussehen passen selten zusammen.« Doch Amanda ließ nicht locker.

»Hat er gar nichts zu dir gesagt?« Cass legte ihren Kopf genervt schief und entgegnete: »Er ist mich angegangen, weil ich ihn versehentlich angerempelt hab.« Wieder schnellten die Köpfe zu dem Mann an der Bar. Und ja, sein Blick klebte immer noch an ihr.

»Und wie ist seine Stimme?« Als er sie angesprochen hatte, war ihr ein wohliger Schauer über den Rücken gelaufen, bis hin zwischen ihre Beine. Er hatte die perfekte Stimme um jemandem unanständige Worte während des Aktes ins Ohr zu flüstern.

»Unanständig.« Mehr sagte sie nicht und war froh, als Sarah ein neues Gesprächsthema einwarf.

»Habt ihr schon gehört, dass unsere Jesika heiraten wird?« Die Frauen kreischten fast gleichzeitig auf und sahen die schüchterne Jesika an.

Sie trug wie immer ihre Bürokluft: eine weiße Bluse, einen knielangen, schwarzen Rock und eine leichte, schwarze Strickjacke. Sie zog sich nie extra für die Weiberabende um wie die Anderen. Ihre aschblonden Haare waren streng zu einem Dutt zusammengebunden, sie schminkte sich so gut wie nie und trug meist nur ein blumiges, unaufdringliches Parfüm.

Die Frauen beglückwünschten sie alle nacheinander und bestürmten sie mit Fragen über alle Details der Verlobung und der geplanten Hochzeit, vor allem wer Brautjungfer werden sollte. Aber da Sarah schon Bescheid wusste, stand fest, dass sie die Brautjungfer war. Cass freute sich aufrichtig für Jesika.

Ihr Verlobter war ein Kollege von Cass und sie kannte ihn schon seit ihrer Ausbildung. Er war vom Charakter ähnlich wie Jesika und ein liebevoller und zuvorkommender Mann. Noch nie hatte sie ein schlechtes Wort aus seinem Mund gehört und er war bei all seinen Kollegen sehr beliebt. Rein äußerlich erschien er immer als ein unscheinbarer Streber. Brille, die Haare immer fein säuberlich gekämmt, keine Falte in seinen Sachen und seine Arbeiten waren immer perfekt. Jesika konnte sich glücklich schätzen. Wenn man eine langweilige Beziehung führen wollte.

Cass seufzte. Sie dürfte eigentlich nicht abfällig über Jesikas Beziehung denken. Ihre bisherigen Beziehungen waren alle katastrophal gewesen.

Am Anfang war alles aufregend und neu. Man lernt sich kennen und mit der Zeit schläft die Beziehung ein. Ihre Eltern hatten dagegen einen Glücksgriff gelandet. Bis vor ihren Unfall hatten sie sich leidenschaftlich geliebt. Sie schienen förmlich vor Liebe zu strahlen. Nachdem Cass einmal ohne anzuklopfen in ihr Schlafzimmer gestürmt war und die beiden beim »toben« erwischt hatte, gab es für sie keine Zweifel mehr daran, dass es wirkliche Liebe geben musste. Sie hatte sich damals so sehr in diese Idee verrannt, dass sie mit Rick aufs Ganze gegangen war. Stopp! Sie würde jetzt nicht daran denken und sich den restlichen Abend im Selbstmitleid suhlen. Sie freute sich für ihre Freundin, wie sie sich für jede Andere freuen würde.

Überhaupt hatten alle von Cassandras Freundinnen recht nette Männer. Nur Amanda und Annika waren noch Single. Manchmal schien es Cass, als würden die beiden gar nicht auf eine feste Beziehung aus sein, sondern nur auf ihren Spaß. Aber bei Ann brauchte sie das Thema Männer gar nicht erst anschneiden und Amanda ignorierte Fragen in diese Richtung einfach.

Cass sah noch einmal verstohlen an Jesika vorbei zu dem Platz, wo der hübsche Mann gesessen hatte. Seine dunkelbraunen, kurzen Haare hatten im Licht der Bar golden geschimmert, als sie vor ihm gestanden hatte und sein Körper sah muskulös aus. Seine Augenfarbe hatte sie nicht genau deuten können. Aber sie hatte ihm lange genug in die Augen gesehen um einen leichten, braunen Schimmer im Schwarz seiner Iris feststellen können. Aber sicher war sie sich nicht.

Leider trug er nur schwarz, - einen Anzug, der sehr teuer aussah - was für sie nicht sehr aufregend war. Sie liebte knallige Farben. Außerdem schien er nicht richtig in diese Bar zu gehören. Wenn sie ihn so ansah, würde er viel eher in ein Büro oder zumindest in ein Restaurant passen. Alle anderen Männer, die hier waren, trugen nur Jeans und T-Shirt. Ob er solche Kleidungsstücke überhaupt besaß?

Er faszinierte sie aus irgendeinem Grund. Oh Mann! Sie wusste ja noch nicht einmal seinen Namen. Wenn sie ehrlich war, beneidete sie ihre beiden Single-Freundinnen. Sie konnten sich in leidenschaftliche Abenteuer stürzen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Cass hatte Verantwortung und eine schwere Bürde, die ihr niemand abnehmen konnte.

 

Etwas später, als die meisten Frauen vom Weiberabend schon weg waren, versuchte Josh noch einmal sein Glück bei Cassandra. Er nahm seinen Bourbon und setzte sich zu ihr an den Tisch. Er hatte sie den ganzen Abend beobachtet, sie keinen Moment aus den Augen gelassen. Selbst als sie nebenbei ihre hohen Stöckelschuhe ausgezogen hatte, waren ihr seine Augen gefolgt. Bei jeder noch so kleinen Bewegung, die eigentlich völlig nebensächlich war, sind ihm die erotischsten Bilder durch den Kopf gegangen.

Wie sie mit diesen kleinen Händen über seinen Körper streicheln würde. Wie sie diese endlos langen Beine um seine Hüfte schlingen würde. Und vor allem, wie sie ihn mit diesem herrlichen Mund küssen würde. Mittlerweile nippte sie, mit eben diesen sexy Lippen, gedankenverloren an einer Bloddy Mary und starrte ins Nichts.

»Wo ist denn der Rest des Weiberabends?« Cass sah ihn verwundert an, als er sich einen Stuhl heranzog und sich neben sie setzte.

»Eine kotzt sich gerade auf der Toilette die Seele aus dem Leib und die Anderen sind schon weg.« Plötzlich schmunzelte sie. »Und du mein Hübscher? Darfst du so spät noch draußen herumstreunen?« Er erwiderte ihr Grinsen und lehnte sich etwas näher zu ihr.

»Ich jaule gerne den Mond an.« Sie lachte lauthals los. Ihr Lachen war bezaubernd, wie alles an ihr. Was war das für ein Gefühl in seiner Brust? Warum war er nicht einfach nach Hause gegangen? Er war wie eine Motte und sie war sein Licht.

Ihm war schon vorher aufgefallen, dass sie kein bisschen beschwipst wirkte. Und dabei hatte sie den ganzen Abend nicht gerade wenig getrunken. Hauptsächlich Cocktails, und nicht nur einen. Als er sie wieder betrachtete, suchte er direkt nach den Anzeichen von Trunkenheit. Rote Wangen, rote Nase, glasige Augen, vielleicht ein Lallen. Aber sie war perfekt. Wie konnte das sein?

»Du hast den ganzen Abend getrunken und bist kein bisschen angeheitert. Wie kommt das?« Von einem Moment zum anderen war ihr Gesicht wie versteinert. Der Blick, aus diesen durchdringenden grünen Augen, schien ihn zu durchbohren. Was sollte das denn auf einmal? Hatte er etwas Falsches gesagt?

»Ich vertrage viel. Mehr als andere.« Sie sah sehr auffällig auf ihre Armbanduhr und zog dann unterm Tisch ihre Schuhe an. Sie wollte schon weg. Das durfte sie nicht.

Was war plötzlich mit seiner Anziehungskraft los? Wieso verwandelte sie sich nicht wie andere Frauen in eine willige und anhängliche Schmusekatze?

»Du willst doch noch nicht nach Hause, oder?« Sie sah ihn lächelnd an, doch das Lächeln reichte nicht bis zu ihren Augen, die eine eisige Kälte ausstrahlten.

»Warum?« Er griff plötzlich nach ihrer zierlichen Hand und zog sie ein Stück zu sich. Ihre Haut war so zart wie die eines Pfirsichs und ihre Fingernägel waren weiß lackiert. Ihre langen Finger waren feingliedrig und graziös. Sie war einfach zu perfekt für einen Menschen.

»Die Nacht ist noch jung und ich dachte, wir jaulen den Mond gemeinsam an.« Sie entzog sich etwas zu ruppig seinem Griff und stand auf.

»Vielleicht sehe ich so aus, aber ich bin keine Frau, die leicht zu haben ist.« An ihrem giftigen Ton erkannte er, dass er sie wohl gekränkt haben musste. Aber wie? Er hatte doch nichts Schlimmes gesagt, oder? Er begann, an sich selbst zu zweifeln.

Sie nahm ihren Mantel von der Stuhllehne und winkte Mike zu. Dieser nickte und schrieb etwas auf. Wahrscheinlich hatte sie bei ihm Kredit und konnte anschreiben lassen. Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging sie von ihm weg und wieder fiel ihm auf, dass sie nicht wie eine Betrunkene wirkte. Ihr Gang war sicher und entbehrte jedes Taumeln. Und das auf diesen Schuhen. Als sie am Ausgang angekommen war, hörte er noch, wie sie grimmig sagte: »Jaul doch deinen beschissenen Mond allein an. Dämliche Töle!«

Josh musste lächeln, und doch wusste er nicht, was eben passiert war. Intuitiv spürte sie, dass er ein Wolf war. Seine natürliche Anziehungskraft auf Menschen schien aber bei ihr nicht zu funktionieren. Sie hatte noch nicht einmal ansatzweise darauf reagiert. Andere Frauen hätten schon vor seiner Berührung zu seinen Füßen gelegen. Doch nicht Cassandra. Irgendetwas in ihm stand in Flammen. Sein Jagdinstinkt war geweckt.

Er ging, immer noch grinsend, zur Bar zurück und bezahlte seine Rechnung. Danach verließ er die Kneipe und ging nach Hause. Es war das allererste Mal, dass er sich so sehr nach dem Körper einer Frau sehnte. Er brauchte ganz dringend einen Rat. Obwohl es ihm nicht leicht fiel und er sich die nächsten Jahrzehnte das Gelächter seines Bruders anhören durfte.

 

Vor einem hübschen Einfamilienhaus stieg Cassandra aus dem Taxi und bezahlte den Fahrer. Mittlerweile war es schon nach elf Uhr und sie wollte nur noch ins Bett. Und raus aus diesen mörderischen Schuhen.

Sie sahen wirklich super aus und waren auch nicht gerade billig gewesen, aber die Dreizehn-Zentimeter-Absätze war sie einfach nicht gewohnt. Ihre normalen Arbeitsschuhe hatten gerade mal acht, höchstens zehn Zentimeter Absätze. Dabei hatten diese gelben Schuhe so wunderbar zu ihrem neuen Kleid gepasst. Sie seufzte, als sie die Auffahrt entlang lief.

Im Wohnzimmer brannte noch Licht und sie schloss leise die Tür auf, damit Charlott nicht wach wurde. Als sie die Mörder-Schuhe ausgezogen und die Tasche auf der Garderobe abgelegt hatte, ging sie ins Wohnzimmer und betrachtete Emily, ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft. Sie war gerade in ein Buch vertieft und machte sich nebenbei Notizen. So wie es aussah, waren schon mehrere Seiten vollgeschrieben. Neben ihr stand das Babyphone, das die Temperatur im Kinderzimmer anzeigte. Cassandra liebte Technik.

Emily war zierlich und hatte glatte schwarze Haare, die ihr bis zum Kinn reichten. Ihre Augen schimmerten immer in einem hübschen grau, wenn sie jemanden ansah und mit ihm sprach. Leider war sie sehr schüchtern, was ihr nur wenig Freunde einbrachte. Und sie war eine Streberin.

In ihrem Alter hätte Cass sie eigentlich mit einem Jungen erwischen müssen, aber da brauchte sie sich wohl keine Sorgen machen. Das Einzige, was dieses Mädchen interessierte, waren Bücher und gute Noten. Einmal hatte sie sich Cass anvertraut und gesagt, dass sie auf eine Elite-Uni gehen und Jura studieren wollte. Aber ihre Eltern hatten nicht das Geld dafür, obwohl sie beide hart schufteten. Darum lernte Emily wie eine Verrückte und arbeitete sich so Stück für Stück an ein Stipendium heran. Nebenbei verdiente sie sich ein kleines Taschengeld mit Babysitten und sie konnte wirklich gut mit Babys umgehen. Charlott liebte das Mädchen abgöttisch.

»Emily?« Das Mädchen erschrak und drehte sich zu Cassandra um.

»Hallo Miss Weedman. Charlott schläft seit acht ganz friedlich in ihrem Bettchen.« Das hatte sie auch nicht anders erwartet.

»Sehr gut.« Sie ging zu Emily, die ihre Notizen zusammen sammelte, und kramte in ihrem Geldbeutel einen Geldschein heraus. Cass lächelte freundlich und reichte ihr einen fünfzig Dollar Schein.

»Aber das ist doch viel zu viel.« Sie drückte es dem Mädchen in die schlanke Hand und erwiderte: »Wenn du nicht so kurzfristig zugesagt hättest, wäre mein Abend den Bach runter gegangen. Sieh es als kleines Extra.« Emily nickte schüchtern und steckte das Geld in die Hosentasche ihrer Jeans.

»Sie können ruhig immer fragen. Ich mag Charlott. Sie ist ein ganz liebes Baby.« Nachdem Emily ihre Sachen zusammengepackt hatte, brachte Cass sie noch zur Tür und beobachtete, wie sie über die Straße in ihr Elternhaus ging. Das machte sie immer so. Als eine Art Sicherheit. Sie wollte nicht, dass Emily etwas passierte, auch wenn das hier eine ruhige Gegend mit einer sehr geringen Verbrechensquote war. Man konnte nie ausschließen, dass sich ein Junkie oder ein Perverser in diese Gegend verirrte. Als Emily die Haustür geschlossen hatte, ging auch Cass zurück ins Haus.

Bevor sie ihr Schlafzimmer betrat, sah sie in Charlotts Kinderzimmer und beobachtete das kleine Mädchen einen Moment. Sie war so ein hübsches Baby. Ihre Brust hob und senkte sich regelmäßig und ihre kleinen Händchen schlossen sich ab und zu zu kleinen Fäustchen. Sie liebte die Kleine über alles. Leise schloss sie wieder die Tür und begab sich in ihr Schlafzimmer. Nachdem sie ihre Nachttischlampe eingeschaltet hatte, ging sie ins angrenzende Bad und sah sich im Spiegel an.

Ja, ja. Der Typ aus der Bar hatte einen guten Geschmack. Sie grinste und schminkte sich schnell ab. Dann zog sie ihren Pyjama an und putzte die Zähne.

Erschöpft vom Tag schleppte sie sich zu ihrem großen Bett und ließ sich darauf fallen. Dieser Mann aus der Bar ging ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf. Er sah so gut aus und irgendetwas schien sie zu ihm hinzuziehen. Diese dunkle und gefährliche Aura. Und dieser Knackpo ...

Cass hatte ihn nicht versehentlich angerempelt. Er war ihr schon den ganzen Abend aufgefallen. Genau wie ihren Freundinnen. Sie musste ihn sich aus dem Kopf schlagen. Das konnte nicht gut gehen. Außerdem hatte er ihr weder seinen Namen noch seine Nummer gegeben. Wahrscheinlich war er nur auf ein kleines Abenteuer auf dem Herrenklo ausgewesen. Und trotzdem hatte er sie die ganze Zeit beobachtet, statt sich an eine andere Frau heranzumachen.

Er hatte bemerkt, dass sie sehr viel Alkohol vertrug und Cass wusste nicht, ob sie das gut oder schlecht finden sollte. Sie zog sich die warme Decke über den Körper und schaltete die Nachttischlampe aus. Der wird bald vergessen sein. Genau wie die anderen Männer vor ihm.

 

Im Herrenhaus des Rudels angekommen, ging Josh sofort in die erste Etage und klopfte an eine Tür.

»Ja?« Es war eine dunkle, männliche Stimme, der die Begeisterung, über eine so späte Störung, deutlich anzuhören war.

»Ich bin es.« Josh öffnete die Tür und trat rasch in das große Zimmer. Sylvester starrte ihn fragend an und sprang sogleich vom Sofa, auf dem er gerade gesessen hatte.

»Hast du sie erwischt?« Josh runzelte die Stirn und wusste nicht gleich, worauf sein Bruder hinaus wollte.

»Die Silver Spring Wölfe.« Josh winkte uninteressiert ab.

»Nein. Tote Hose. Ich muss dringend mit dir reden.« Sylvester stieß resigniert Luft aus, setzte sich wieder hin und führte das Handy in seiner Hand wieder ans Ohr. Er musste wohl gerade telefoniert haben, als Josh geklopft hatte.

»Ich muss Schluss machen. Ich klingel dann nochmal durch.« Mit wem hatte sein Bruder wohl eben gesprochen? Eine neue Flamme? Oder ein Makler, der ihm wieder ein altes Haus zuspielte, dass er dann restaurieren konnte? Bei Sylvester gab es nur diese beiden Möglichkeiten. Er war genau so ein dunkler Typ wie Josh und seine Mutter. Erik, Emily und Danielle, seine jüngeren Geschwister, kamen eindeutig nach seinem Vater, der wie ein nordischer Gott aussah. Und sich auch so benahm.

Josh setzte sich ihm gegenüber auf einen Sessel und begann die Situation zu erklären.

»Ich hab heute Abend eine Frau kennengelernt.« Sylvester sah ihn fragend an, was wohl der kleinen, unsicheren Pause geschuldet war, die er eingelegt hatte, um die richtigen Worte für diese Situation zu finden.

»Und wo ist das Problem?« Josh kratzte sich verlegen am Kopf und sah ihm geradewegs in die Augen.

»Sie ist wohl immun gegen meine Anziehungskraft.« Sylvester lachte lauthals los.

»Dass ich das noch erleben darf! Du hast Probleme eine Frau herumzukriegen?« Als er versuchte, sich wieder etwas unter Kontrolle zu bekommen, sah er zum wütend drein blickenden Josh. Schließlich fuhr er etwas ernster fort: »Endlich hat es mal eine Frau geschafft, dir den Kopf zu verdrehen. Ich an deiner Stelle würde sie so schnell wie möglich zu meiner Gefährtin machen und sie in mein Bett holen.« Wenn das nur so einfach wäre!

Josh sah betroffen zur Seite und murmelte schließlich: »Sie ist kein Wolf ...« Sylvester wurde ganz still und sah ihn an. Überlegte sein Bruder eben, was er ihm raten sollte? Und warum schien er so betroffen von dem Thema? Dann trat wieder der uninteressierte Sylvester zu Tage und lehnte sich zurück.

»Wo ist dann das Problem? Verführe sie.« Josh stand schnell auf, bevor er noch mit der Faust den grazilen Beistelltisch vor dem Sofa zertrümmerte. Als ob ich nicht schon selbst daran gedacht hätte! Aber diese Frau reagierte nicht so, wie sie müsste. Seine Bewegungen waren ruppig und angespannt, als er durch das Zimmer lief. Sylvester konnte sicher die unterdrückte Wut in seinem Auftreten sehen, und die mühsame Kontrolle, die er versuchte aufrecht zu erhalten. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare.

»Ich sagte doch schon, dass sie gegen mich immun ist. Ich muss sie haben. Sie ist ...«, er hielt inne und sah an die Decke. Ihm kam wieder in den Sinn, wie sie vor ihm gestanden hatte und sich über den Tresen lehnte. Dieses kurze, gelbe Kleid. Die hohen Schuhe.

»... unglaublich. Leidenschaftlich. Wunderschön. Aber wohl leider verheiratet und auch Mutter.« Nun zog Sylvester die Augenbrauen hoch und seufzte.

»Klingt problematisch.« Josh drehte sich blitzartig zu ihm um.

»Verstehst du nun endlich? Ich brauch deine Hilfe. Du kennst dich mit solchen Sachen besser aus. Ich muss sie haben und wenn es nur für eine Nacht ist.«

Sylvester legte den Kopf schief. Der amüsierte Gesichtsausdruck war jetzt komplett verschwunden und Josh dachte darüber nach, was seinem Bruder wohl durch den Kopf ging.

Sylvester war zwar ein paar Jahrzehnte jünger als er, aber er war der Frauenschwarm der Familie. Wo Josh nur kurze Liebeleien zuließ und schnell das Interesse an einer Frau verlor, war Sylvester der bodenständige Typ, der Langzeitbeziehungen favorisierte. Was ihn zu einem oft gesehenen Gast auf dem Friedhof machte.

Josh hatte das nie verstehen können. Frauen waren interessant, wenn sie jung und hübsch waren. Er persönlich suchte sich fast ausschließlich Frauen in den Zwanzigern aus, die keine festen Beziehungen wollten. Das war für beide Seiten ein gutes Arrangement. Außerdem war er ein Mann, der nicht an die Ehe glaubte.

Er sah, was die Ehe aus seiner Mutter gemacht hatte und wie schlimm sein Vater ihr immer wieder mitspielte. Er wollte keine Gefährtin. Und vor allem keine Kinder. Sylvester und Erik waren schließlich noch da, um das Rudel zu vergrößern. Emily hatte bereits einen kleinen Sohn. Lydia ließ keinen Mann an sich heran. Also von dieser Seite keine Wölfchen. Aber seine Männer würden auch irgendwann ihre Gefährtinnen finden und dann eine Familie gründen. Auf ein Kind mehr oder weniger kam es da ganz bestimmt nicht an.

Sylvester unterbrach ihn in seinen Gedankengängen, als dieser aufstand und seinem Bruder die Hand in den Rücken legte.

»Warte erst mal ab. Vielleicht ist es nur eine kleine Verirrung, und wenn du darüber geschlafen hast, wird sie wieder aus deinem Kopf verschwinden.« Josh nickte widerwillig und ließ sich von ihm zur Tür begleiten. Sein Bruder wollte ihn los werden! Hing das mit dem Telefonat zusammen, das er vorhin geführt hatte? Er musste sich dennoch seine Unterstützung sichern.

»Aber wenn nicht, hilfst du mir dann?« Sylvester verdrehte theatralisch die Augen und bejahte die Frage. Zufrieden und doch nicht so zufrieden, wie er sein wollte, verließ der das Zimmer seines Bruders.

2. Kapitel

 

 

Am darauf folgenden Freitag war Josh wieder in der Bar. Er konnte nicht anders. Selbst nach einer ganzen Woche hatte er sie nicht vergessen können. Es schien, als wäre sie allgegenwärtig. Und das nicht nur in seinen Träumen.

Wenn er einen Tisch sah, musste er an ihren Anblick denken, als sie sich über den Tresen gebeugt hatte. Wenn er einen Stuhl oder seinen Sessel betrachtete, wurde er an ihre langen, schlanken Beine erinnert. Wenn er die Absatzschuhe von seiner Schwester über den Boden klackern hörte, sah er wieder diesen Hüftschwung vor sich. Er musste sie unbedingt wieder sehen. Vielleicht spielte ihm seine Erinnerung auch nur einen Streich und sie war gar nicht so begehrenswert und hübsch wie in seiner Vorstellung. Und dennoch verzehrte er sich regelrecht nach ihr.

Bevor er losgezogen war, hatte er noch ein kleines Gespräch mit Sylvester geführt. Es bestand im Großen und Ganzen nur aus einem Rat: »Mach sie betrunken und verführe sie«. Außerdem meinte er grinsend, Josh solle nicht so viel Energie in diese Frau stecken und sich lieber langsam eine Gefährtin suchen und kleine Wölfe produzieren. Er würde seinem Bruder garantiert nicht auf die Nase binden, dass er sich selbst in tausend Jahren nicht an eine Gefährtin ketten würde. Dafür war er einfach nicht der Typ. Aber im Moment zählte sowieso nur eine für ihn. Er setzte sich in eine dunkle Ecke am Tresen und beobachtete die jungen Frauen. Er hatte sich nicht getäuscht. Cassandra war wirklich sein wahrgewordener Traum.

Heute Abend hatte sie ein grünes Kleid an. Etwas länger als das Gelbe, aber trotzdem konnte er ihre wohlgeformten, langen, schlanken Beine sehen. Ihre schmale Hüfte. Ihren schönen Busen. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie er sie in seinen Händen hielt. Sie würden perfekt in seine Handflächen passen. Ihr flammend rotes Haar hatte sie heute wieder offen und es bedeckte ihren Rücken bis zu ihrer Taille. Und ihr Hinterteil erst. Ein perfekter, kleiner, knackiger Apfel. Eigentlich mochte Josh eher kurvenreiche Frauen mit viel Busen und viel Hüfte, aber Cassandras Körper war einfach perfekt.

Auch jede Einzelne von ihren Freundinnen war auf ihre Weise hübsch und begehrenswert. Cassandra war die einzige Rothaarige. Die anderen Frauen wiesen die volle Farbpalette der Natur auf. Von einem strahlend, hellen blond bis zu einem tiefen, sattem Schwarz, das einen bläulichen Schimmer innehatte. Bis auf eine kurvige Blondine waren alle schlank, wobei Cassandra wohl den sehnigsten Körper besaß. Ob sie von Natur aus so schlank war? Oder hungerte sie sich auf diese Kleidergröße herunter?

Er mochte den heutigen Trend der Mager-Models nicht unbedingt. Obwohl er eine schlanke Frau mit gut proportionierten Kurven nicht unbedingt von der Bettkante stoßen würde.

Er musste ein Knurren unterdrücken, als Cassandra und die füllige Blondine auf die Tanzfläche stolzierten und eng umschlungen tanzten. Das erinnerte ihn an Johanna und Mirielle. Oh ja. Das war eine herrliche Nacht gewesen. Sehr schweißtreibend, aber auch sehr befriedigend.

Nach und nach kamen auch die anderen Frauen auf die Tanzfläche und wiegten sich rhythmisch zur Musik, während sie sich lautstark unterhielten und lachten.

Diese Anziehungskraft, die Cassandras Körper auf ihn ausübte, war furchterregend. Wohin würde das noch führen? Wenn sie ein Wolf wäre ... Nein!

Er schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Nur eine Nacht. Dann können wir wieder getrennte Wege gehen.

 

An diesen Abend verabschiedeten sich die Frauen schon etwas früher als das letzte Mal und er hörte Cass sagen: »Ich mag noch nicht Heim. Charly hat heute frei und passt den ganzen Abend auf Charlott auf.« Die anderen Frauen lächelten wissend und verabschiedeten sich herzlich mit vielen Umarmungen und Küsschen. Dann schnappte sie sich ihre Handtasche und ging an die Bar, wo sie angeregt mit Mike plauderte. Als dieser einen Gast zu bedienen hatte, nutzte Josh die Gelegenheit und setzte sich neben seine lang ersehnte Beute.

»Hallo Cassandra. Heute gar kein Weiberabend?« Cass sah ihn finster an. Oh ja. Sie erinnerte sich an ihn. Und wahrscheinlich auch an das, was er letzten Freitag gesagt hatte. Obwohl er jedes seiner Worte mindestens einhundert Mal im Kopf durchgegangen war, hatte er nichts Schlimmes oder Zweideutiges an ihnen entdecken können.

»Du müsstest es doch besser wissen, immerhin hast du uns doch die ganze Zeit beobachtet.« Josh lächelte. Erwischt!

»Du hast mich gesehen?« Cassandra sah wieder auf ihren Drink und nippte daran. Ihre vollen Lippen berührten das Glas, und bevor sie antwortete, leckte sie den letzten Tropfen vom Glasrand. Sexy.

Er musste sich sehr zusammenreißen und seine ganze mentale Kraft aufbieten, um seinen Schwanz zur Ruhe zu rufen. Wie konnte eine Frau ihn nur dermaßen aus dem Konzept bringen?

»Wie könnte man jemanden wie dich übersehen?« Hörte er da Sarkasmus in ihrer Stimme?

»War das ein Kompliment?« Cass drehte ihm den Rücken zu und erwiderte nichts auf seine Frage. Sie wollte wohl nicht mit ihm reden.

Plötzlich hatte er das starke Bedürfnis an ihrem Haar und ihrer Haut zu schnuppern. Ihren Duft in sich einzufangen. Wie würde sie wohl riechen? Menschen hatten für gewöhnlich einen schwächeren Geruch als Wölfe, blumiger. Wölfe rochen meist nach Hund, Erde oder Wald. Als er sich langsam vorbeugte und konzentriert die Luft durch seine Nase zog, bemerkte er nur einen leichten Parfümduft. Kein eigener Geruch. Nichts. Wie kann das sein?

Cass schien seine Schnupperattacke mitbekommen zu haben und drehte sich langsam wieder um, sodass ihr Oberkörper zum Tresen zeigte.

»Hast du gerade an mir gerochen?« Ihr Ton war so schneidend und giftig, dass er sofort zurückzuckte. Er war noch nie vor einer Frau zurückgewichen.

»Dein Parfüm riecht sehr gut. Wie heißt es?« Plötzlich schien sie sich wieder etwas zu entspannen.

»Claire Angel.« Ihre Ellbogen stützte sie auf den Tresen ab und sah auf ihren Drink. Dann legte sie ihren Zeige- und Mittelfinger an ihre rechte Schläfe und begann, kreisende Bewegungen auszuführen.

»Tut mir leid. Ich bin von der Woche etwas gereizt.« Josh hob sein Glas hoch und entgegnete: »Wollen wir die Woche ertränken? Ich lade dich ein.« Cassandra sah ihn verwundert an, dann lächelte sie verschmitzt.

»Da machst du aber kein gutes Geschäft. Ich vertrage sehr viel Alkohol.« Er schmunzelte. Aber nicht so viel wie ich.

Bei Wölfen wirkte Alkohol etwas langsamer als bei Menschen. Es brauchte schon eine große Menge, um einen Wolf aus den Latschen zu hauen. Und dieser Mensch würde ihn garantiert nicht unter den Tisch trinken.

»Das hab ich letzte Woche schon gesehen, aber an mich kommst du nicht ran.« Cass drehte sich nun völlig zu ihm um, sodass sie ihm genau gegenübersaß.

»Du glaubst nicht, wie viele Männer mir das schon gesagt haben.«

 

Nach fast zwei Stunden Kampftrinken konnte er kaum noch gerade sitzen und sie war die Nüchternheit in Person. Das kann doch nicht wahr sein! Von einer Frau besiegt.

Mit einer Handbewegung machte sie Mike auf sich aufmerksam und sagte: »Ich bring die kleine Schnapsdrossel mal nach Hause.« Der Barkeeper nickte und lachte sich unverhohlen ins Fäustchen. Dieser arrogante Arsch!

»Na komm, Großer.« Sie half ihm vom Barhocker, was wohl Schwerstarbeit war, so wie sie ihre Lippen zusammenpresste und an ihm herum zerrte. Dann verließen sie gemeinsam die Bar, wobei sich alles vor seinen Augen drehte. Einen solchen Vollrausch hatte er schon lange nicht mehr erlebt. Der Letzte war anlässlich der Rudelgründung gewesen. Oder war das damals bei Detty? Er wusste es nicht mehr. Aber er bemerkte in diesem Augenblick, dass sich Cassandras Busen an seinen Oberkörper presste, als sie ihn in ein Taxi hieven wollte.

»Wo wohnst du?« Sie klang etwas gereizt. Trotzdem sah sie wunderschön aus. Ihre Haare leuchteten wie ein Feuer und die Wärme ihrer Haut schien ihn magisch anzuziehen. Sie zog die Augenbrauen hoch und schnippte kurz mit den Fingern vor seinem Gesicht.

»Deine Adresse?« Er lallte seine Anschrift und der Taxifahrer fuhr los. Die Adresse, die er genannt hatte, war die seiner Privatwohnung, in die er sich manchmal zurückzog, wenn er seine Ruhe wollte - oder eine Frau abschleppte. Heute wollte er sich eigentlich nur die Blicke seines Rudels ersparen. Es wären vernichtende Blicke gewesen. Gegen eine Frau beim Wetttrinken verloren. Was für eine Schande.

Das hätte er sich die nächsten Jahrzehnte anhören dürfen. Außerdem war er etwas schlecht gelaunt, weil er den ganzen Abend keine Information aus ihr herausbekommen hatte und sie sich anscheinend nicht verführen lassen wollte.

So ein beschissener Abend.

 

Als sie vor dem riesigen Wohngebäude angekommen waren - zum Glück hatte das Gebäude einen Lift - schloss sie mit seinem Schlüssel die Tür auf und zog ihn hinein. Seine Wohnung entpuppte sich als ein riesiges Loft, dass mindestens einhundertfünfzig Quadratmeter groß war. Die Einrichtung sah sehr teuer und antik aus, aber er schien Geschmack zu haben. Alles passte in gewisser Weise zusammen. Sogar der Kontrast von neu und alt schien zu der angenehmen Atmosphäre der Wohnung hinzu zutragen.

Cass sah sich suchend um und entdeckte schließlich das Badezimmer. Sie zerrte ihn hinein und wartete, bis er sie mit seinem glasigen Augen ansah. Er war sturzbetrunken. Mit einem Blick bedeutete sie ihm, dass er duschen gehen sollte, bevor er sich zum Schlafen hinlegte. Doch er war so betrunken, dass er, mit dem Rücken zur Wand, auf den Boden sank. Cassandra stöhnte genervt auf.

»Meine Güte. Saufen wie die Großen, aber nichts vertragen.« Sie begann die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen und freute sich schon teuflisch darauf, ihn mit eiskaltem Wasser zu wecken oder zumindest wieder etwas nüchtern zu bekommen. Als sein Hemd aufgeknöpft war, bemerkte sie seine Muskeln. Seine überaus großen Muskeln.

Oh mein Gott. Das ist ja unglaublich. Seine Haut war so weich und glatt, man konnte jeden einzelnen Muskel spüren. Er war einfach nur

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Darleen Alexander
Bildmaterialien: Pixabay - Public Domain Bilder; Hans, Nemo, PDPhotos
Tag der Veröffentlichung: 22.12.2012
ISBN: 978-3-7309-0309-4

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