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Rendezvous auf der Tanzfläche

Wie vergessen stehe ich in einer Ecke. Trinke eine Cola nach der anderen und beobachte meine Freunde an der Bar.

Mir ist es zu voll und meine Panik droht mich einzuholen. Immer wieder kämpfe ich sie nieder. Der Colarausch der mich zittern lässt ist nicht gerade eine Hilfe.

Auf der oberen Plattform ist ein kaltes Buffet aufgebaut, doch die Schnitzel, Sandwiches und Salate reizen mich nicht.

Wir sind auf einer Geburtstagsparty eines Kollegen, doch irgendwie kann ich es nicht so wirklich genießen. Nach außen hin lache ich, aber innerlich...

"Komm schon lass uns tanzen!" Mit einem Lachen lehne ich ab. Sollen die anderen ihr Tanzbein schwingen, für mich ist das nichts. Zumindest noch nichts. Vielleicht wenn ich Alkohol trinke...

Wobei, Alkohol vertrage ich ja sowieso nicht, zeigt mir auch der 43 Shot zu dem ich mich überreden lasse. Der schlägt mir gewaltig auf den Magen und das obwohl ich sehr gut zu Mittag gegessen habe. Naja vielleicht ist es auch den ganzen Umständen zu verdanken, dass ich nach knapp zehn Minuten fluchtartig in die Toilette stürme. Erst Verabschiedung einer Kollegin und jetzt die Disco, wo ich mich nicht wohl fühle und gegen die Panik ankämpfe. 

Eine gefühlte Ewigkeit sitze ich auf dem Klo, Gott sei Dank kein Durchfall. Dennoch wollen sich die Schmerzen und das Rumoren nicht beruhigen. Ich beschließe dem Alkohol endgültig für heute fern zu bleiben. Ist wahrscheinlich auch besser so.

Noch einmal draußen frische Luft schnappen bevor ich mich wieder ins Getümmel stürze. Am liebsten würde ich hier draußen bleiben. Aber mitten in der Nacht und Mitte September ist es ohne Jacke bereits ganz schön kalt.

 

"Süße du bist ganz schön blass um die Nase ist alles okay?" Ein Freund, mit dem ich hier bin nimmt mich mitfühlend in den Arm.

"Jaja alles bestens!" Wiegle ich ab und stelle mich soweit es geht in eine Ecke. Hauptsache mir kommt niemand zu nahe. "Willst du mich morgen begleiten?"

"Was hast du denn vor?" Auch er scheint noch nüchtern zu sein, obwohl er schon mindestens zehn Shots getrunken hat. Naja scheinbar scheine ich auch hier ein Loser zu sein.

"Erst Tanztraining dann Sonnenstudio!" 

"Bitte was?" Ungläubig sehe ich ihn an. Habe ich das gerade richtig gehört? Verlegen kratzt er sich am Kopf und beugt sich zu mir vor.

"Naja ja.... Ich möchte meinen Freund überraschen. Er ist Tanzlehrer und naja.... Ich habe mich vor zwei Monaten angemeldet. Jeden Sonntag zwei Kurse. Erst Discofox, dann Latein. Derzeit der Cha-Cha-Cha. Du glaubst ja nicht wie schwierig der ist. Die Bewegungen, oh man...." Keine Ahnung was er sonst noch sagt, ich starre ihn fassungslos an. Nicht dass ich ihm nicht glaube. Aber er ist junge 18 Jahre, macht Abitur und tanzt!!!

Wie ungerecht muss es denn bitte noch werden.

"Und wieso die Sonnenbank? Ich meine du bist doch gut gebräunt..." Er verdreht tatsächlich die Augen und lacht mich an.

"Genau deshalb. Diese Bräune habe ich nur, weil ich mich regelmäßig unter die Röhrensonne lege." Wortlos zucke ich mit den Schultern. Dazu fällt mir nun absolut nichts mehr ein.

 

Um ihn nicht weiter anzustarren oder irgendetwas Blödes von mir zu geben trinke ich einen Schluck Wasser, welches er mir mitgebracht hat. Wir kennen uns ungefähr drei Jahre, aber unser Verhältnis ist wie bei Geschwistern. Keine Ahnung, vielleicht liegt es daran, dass ich keine Familie hier habe, oder ob es einfach nur das Alter ist. Ich bin fast doppelt so alt wie er, dennoch verstehen wir uns blendend.

Irgendwann im Laufe des Abends schafft er es sogar, dass ich mit ihm tanze. Mir ist es etwas peinlich und meine Wangen glühen wie Feuer. Seine Lobe machen es auch nicht gerade einfacher für mich.

Umso glücklicher bin ich, als wir gegen vier Uhr morgens endlich die Party verlassen. Da ich nüchtern bin, fahre ich uns zu mir. Geplant ist es zwar gewesen ein Taxi zu nehmen und am nächsten Tag das Auto zu holen, aber so ist es ja doch einfacher. So langsam merkt mein Freund den Alkohol und leider muss er sich am Auto auch schon übergeben. Gott sei Dank nicht während der Fahrt, schließlich haben wir fast eine halbe Stunde Fahrzeit vor uns, die er komplett verschläft.

 

"Guten Morgen Kleiner." Wir haben bereits dreizehn Uhr als es Julian endlich schafft aufzuwachen. Ich habe es schon früher versucht ihn zu wecken, aber er ist immer wieder eingeschlafen. Er brummt mir irgendwas entgegen und verschwindet im Badezimmer. Lachend schüttle ich den Kopf und mache das Essen noch einmal warm. Ich bin so zeitig wach gewesen, dass ich bereits Wäsche gewaschen, aufgeräumt und Mittag gekocht habe.

"Wann ist dein Training heute?" Frage ich ihn, als wir endlich am Tisch sitzen und essen können. Irritiert sieht er mich an, was mich lächelnd den Kopf schütteln lässt. "Tanztraining?" Helfe ich ihm auf die Sprünge.

"Ach so ja, das ist um 16 Uhr." Ich nicke und schweigend essen wir weiter. 

Ganz in Ruhe machen wir uns fertig. Julian hat alles bei was er braucht, so dass wir auf direkten Weg in die Tanzschule können. 

"Hallo Julian. Oh hast du Verstärkung mitgebracht?" 

"Zuschauer trifft es wohl eher. Gia ich möchte dir eine sehr gute Freundin vorstellen."

"Milena", stelle ich mich vor. Irgendwie verschlägt mir Gia den Atem. Wobei ich bei Fremden ja sowieso keinen Ton raus bekomme.

"Na dann, da drüben kannst du dich hinsetzen. Und vielleicht bekommen wir dich ja auch auf das Parkett." Ihr Lächeln ist freundlich und ihre Augen funkeln belustigt. Schnell wende ich mich ab und gehe zu dem angezeigten Platz. Julian folgt mir nicht und so beobachte ich ihn und Gia wie sie einige kleine Passagen durchgehen.

"Im Rucksack habe ich etwas zu trinken und Kekse drin. Also bediene dich wenn du magst." Julian ist noch einmal zu mir gekommen, stellt seine Sachen ab und schon ist er wieder bei den anderen Tanzschülern. Ich habe immer gedacht, dass Discofox bei den jungen Leuten nicht ankommt, aber scheinbar habe ich mich geirrt. Die Gruppe besteht aus 16 bis Mitte fünfzig jährigen Schülern, soweit ich es einschätzen kann.

Irgendwie bin ich schon fasziniert. Wenn ich nicht wüsste, dass Julian erst seit zwei Monaten dabei ist, ich würde es nicht glauben. Mit welcher Eleganz er seine Tanzpartnerin über das Parkett führt ist schon beeindruckend. Ich gerate ins Träumen. Plötzlich sehe ich Gia an Julians Stelle und ihre Partnerin bin ich. 

"Hör auf mit dem Theater!" Schimpfe ich mit mir selbst. Als wenn Gia Interesse an mir hätte. Und selbst wenn sie auf Frauen steht, so wie sie aussieht, ist sie garantiert vergeben. Ich bin das komplette Gegenteil.

Bunte Haare, bunte Kleidung. Natürlich so das alles zusammen passt. Aber halt doch sehr auffällig. Sie ist elegant, fast einen Kopf größer als ich mit dunkelblonden kurzen Haaren. Innerlich schüttle ich noch einmal den Kopf, schließe die Augen und lehne mich an die Wand an. So höre ich nur noch die Musik. Unweigerlich springen mir immer wieder Szenen in den Kopf die ich nicht haben darf, oder eher nicht sehen sollte. Aber mein Kopf lässt sich leider nicht ausschalten.

Nach einer Stunde geht die Musik aus, Gespräche werden laut und ich öffne die Augen. Das Licht blendet mich, so dass ich die Hand vor die Augen halte um mich an die Helligkeit zu gewöhnen. Scheinbar bin ich eingeschlafen. Na echt super.

"Hey Süße ist alles okay?" Julian scheint immer besorgt zu sein.

"Sehe ich so scheiße aus?" Kommt mir auch glatt eine patzige Reaktion. Wütend springe ich auf und gehe. "Ich warte im Auto!" Sage ich noch und bin weg bevor Julian auch nur reagieren kann.

Bis zum Auto schaffe ich es nicht. Bereits an der Eingangstür legt sich eine Hand auf meine Schulter, was mich zusammenzucken lässt.

"Warte Mal kurz." Es ist nicht Julian. Diese Stimme ist mir fremd, dennoch habe ich sie heute schon einmal gehört. Langsam drehe ich mich um und blicke in Gias grüne Augen.

"Warum?" Frage ich leicht verwirrt, bleibe aber tatsächlich wie angewurzelt stehen. Gia zuckt lässig mit den Schultern und geht kurz in das Büro, was neben dem Eingang ist. Als sie wieder raus kommt, legt sie ihre Hand wieder auf meine Schulter und dirigiert mich nach draußen.

"Ich habe Pause und wollte mir etwas zu Essen holen. Der zweite Kurs von Julian hat noch nicht angefangen, also haben wir ungefähr ein einhalb Stunden Luft." 

"Ich denke nicht, dass ich eine gute Gesellschaft bin."

"Lass das Mal mich entscheiden. Was magst du essen? Pizza, Döner oder Fischbrötchen?"

Ich schüttle den Kopf.

"Gar nichts. Ich habe gut zu Mittag gegessen, danke." Skeptisch mustert sie mich, zuckt aber dann mit den Schultern.

"Okay, aber eine Cola trinkst du doch wenigstens mit oder?"

Ich seufze. "Ein nein scheinst du ja nicht gelten zu lassen." Sie grinst mich tatsächlich an, legt den Arm wie selbstverständlich um meine Schulter und führt mich in ein kleines Restaurant direkt neben der Tanzschule.

 

 

Das Restaurant entpuppt sich als Italiener. 

Freundlich werden wir begrüßt. Gia scheint Stammgast hier zu sein, wird mir auch bestätigt, als sie als Bestellung nur das Übliche angibt und für mich eine Cola.

"Erzähl Mal Milena, was hat dich in die Tanzschule geführt?" Lässig sitzt Gia mir gegenüber hat die Unterarme auf dem Tisch abgelegt und mustert mich. Unruhig greife ich nach meinem Kettenanhänger und reibe immer wieder darüber.

"Julian hat mich mitgeschleift. Er hat bei mir übernachtet und so brauchte er nicht mit den Öffentlichen fahren." Zu intensiv ist ihr Blick und ich schaue überall hin, nur nicht sie an.

"Du bist also ein Samariter!" Ich höre das Lachen in ihrer Stimme, kann aber nicht erkennen ob es positiv oder spöttisch gemeint ist.

"Ich bin für meine Freunde da und Julian ist etwas Besonderes. Er ..." Ich unterbreche mich. Gia muss nicht alles wissen, schließlich ist sie eine Fremde.

"Hey alles okay. Ich finde es gut. Das ist heutzutage eine seltene Eigenschaft geworden." Die Getränke werden gebracht. Für mich die Cola und für Gia ein Wasser mit Zitrone.

Kurz darauf kommt ein kleiner Salat und ein Körbchen mit geröstetem Toastbrot. 

Verstohlen werfe ich einen Blick darauf.

Gia muss meinen Blick bemerkt haben, denn sie nimmt eine Scheibe und hält sie mir entgegen.

Verneinend schüttle ich den Kopf, was Gia mit den Schultern zucken lässt, das Brot ins Salatdressing taucht und abbeißt.

Nein, ich bin nicht gerade im Begriff sie auf eine Art und Weise zu mustern, die nicht mehr jugendfrei ist. Gia verzieht die Lippen zu einem sinnlichen Lächeln, was mich hastig zu meiner Cola greifen lässt und gierig einen Schluck zu trinken. Zu hastig, denn ich verschlucke mich. Sofort steht Gia neben mir und klopft mir einige Male kräftig auf den Rücken bis der Husten aufhört.

"Toilette", krächze ich und stehe bereits auf. Gia zeigt mir den Weg, doch ich gebe ihr nicht die Chance mich zu begleiten. Ich stürme regelrecht in den Raum und stütze mich auf den Waschbeckenrand ab. 

"Was zur Hölle mache ich hier eigentlich? Warum diese Frau? Was sieht sie in mir? Was sind das für Gefühle? Sie ist eingebildet und egoistisch." Wütend starre ich mein Spiegelbild an. Ich wasche mir das Gesicht und gehe mit den nassen Händen durch meine kurzen Haare. Noch einmal tief durchatmen und langsam gehe ich an den Tisch zurück.

Gias Essen ist bereits angekommen. Irgendwelche Nudeln mit hellroter Soße.

"Lass es dir schmecken." Nuschle ich, als ich mich hinsetze und nach meiner Cola greife.

"Danke. Und du bist dir wirklich sicher, dass du nichts essen möchtest?"

Verlockend hält sie mir eine Scheibe Toast mit Nudeln und Soße entgegen. Heftig schüttle ich den Kopf, Gia kommt jedoch immer dichter. Ich weiche so weit zurück wie es geht. Gia lacht laut auf und beim zurückziehen ihrer Hand kippt das Brot und die Nudeln fallen hinunter.

"Scheiße", ich springe auf, denn leider ist die rote Soße auf mir gelandet. Gia ist sofort bei mir und beginnt mit einer Servierte die Reste abzutupfen. "Lass das, so verwischst du nur alles!" schnauze ich sie an.

"Komm mit zur Tanzschule. Da haben wir Waschmittel." Gia redet kurz mit dem Kellner bevor sie mich einholt und wir zurück zur Schule gehen.

Sämtliche Entschuldigungen lasse ich an mir abprallen. Ich bin wütend auf Gia, diese ganze Phrase und auf mich selbst.

In der Tanzschule verschwinde ich direkt ins nächste Badezimmer. Im Spiegel kann ich den Schaden richtig begutachten. Nicht nur mein Shirt hat etwas abbekommen, sondern auch die Hose. Das Shirt ist zwar lang genug, jedoch ausgerechnet im Schrittbereich befinden sich rote Spritzer.

Das Oberteil ziehe ich kurzerhand aus und lasse warmes Wasser drüber laufen. 

"Hier", Gia steht hinter mir und legt ein Stück Kernseife in meine Hand.

Sie steht so dicht hinter mir, dass ihre Brüste mir in den Rücken drücken. Selbst nachdem ich ihr die Seife abgenommen habe weicht sie nicht vor mir zurück. Im Gegenteil sie legt beide Arme um mich und während sie ihren Kopf auf meine Schulter legt flüstert sie:

"Ich würde dich gern mit zu mir nach Hause nehmen und dir meine Dildosammlung zeigen."

Vor Schreck lasse ich alles fallen, befreie mich aus ihrer Umarmung und flüchte aus dem Bad. Viel zu spät wird mir bewusst, dass ich nur im Sport-BH da stehe.

Ich zögere, ob ich hier warten soll, mein Oberteil aus dem Bad hole oder einfach ins Auto flüchte.

Ich entscheide mich für letzteres. Schreibe Julian eine kurze Nachricht und fahre nach Hause, kaum dass ich im Auto bin.

 

Erst zu Hause, hinter verschlossener Tür lasse ich alle Gedanken und Gefühle zu. Wie betäubt gehe ich ins Badezimmer, lasse meine Anziehsachen an Ort und Stelle fallen und steige unter die Dusche.

Heiß prasselt das Wasser auf mich nieder. Kraftlos sinke ich zu Boden, ziehe die Knie an meinen Oberkörper und verstecke mein Gesicht indem ich die Arme auf den Knien verschränke.

Gia ist so gänzlich anders. Mit ihrer Art hat sie mich komplett überrumpelt. Ich weiß damit nicht umzugehen.

Zum einen fasziniert sie mich, aber die Vergangenheit hat mich gelehrt niemanden mehr an mich ran zu lassen. Gia ist eine Gefahr für meine Seele. Egal was kommt, ich muss sie von mir fernhalten.

Erst als das Wasser kalt wird finde ich die Kraft, die Dusche zu verlassen. Schnell ziehe ich mir eine Jogginghose und T-Shirt an, kuschle mich auf dem Sofa in eine Decke und nehme mir ein Buch zur Hand.

Doch noch immer kann ich mich nicht entspannen. Immer wieder läuft der Nachmittag vor meinem geistigen Auge ab. 

Es wird irgendwie alles nicht besser. Wütend stehe ich auf um mir einen Drink aus der Küche zu holen, als es an der Tür klingelt.

Ich zögere, soll ich reagieren oder nicht?

Ich entscheide mich dagegen und hole mir einen Wodka. Wer auch immer an der Tür gewesen ist, klingelt nicht noch einmal.

Dafür kommt kurz darauf eine Nachricht auf mein Handy.

"Ich weiß, dass du zu Hause bist. Aber okay, heute lasse ich dich in Ruhe, doch morgen erzählst du mir, was vorgefallen ist. Gia schweigt. Julian"

Seufzend lege ich das Handy zur Seite, gönne mir noch einige Drinks bis sich bleiern die Müdigkeit über mich legt.

Mein Schädel dröhnt und vergeblich versuche ich das schrille Geräusch auszublenden, was mich so unsanft geweckt hat.

Welcher Tag ist heute überhaupt?

Das Geräusch stammt von meinem Handy, was ich erkenne, als ich schließlich die Augen öffne, da das Piepen nicht aufhören will.

"Scheiße", fluchend lasse ich das Handy fallen und springe aus dem Bett, was meinem Kopf gar nicht gefällt.

Egal, ich habe in einer Stunde einen wichtigen Termin bei der Bank, der sich nicht verschieben lässt, oder besser gesagt, der sich nicht gänzlich absagen lässt. Also beiße ich in den sauren Apfel. Kurze Dusche, Zähne putzen, anziehen, schnell noch zwei Aspirin reinpfeifen und schon geht's los.

Es ist nur ein Kilometer bis zur Bank und da es trocken ist gehe ich zu Fuß. Was meinem Kopf hilft soweit wieder klar zu werden.

Pünktlich erscheine ich zu meinem Termin.

Wer hat sich das eigentlich ausgedacht? Ich besitze nichts, also warum soll ich Geldanlagen machen?

Nach fast einer halben Stunde verlasse ich kopfschüttelnd wieder die Bank. Ich hätte lieber im Bett bleiben sollen.

"Milena", ich will mich nicht umdrehen, dennoch bleibe ich zumindest stehen und warte bis die Person neben mir steht.

"Ich möchte mich bei dir entschuldigen." spricht Gia sobald sie bei mir ist. Ich zucke betont gleichgültig mit den Schultern.

"Lass uns einen Kaffee trinken gehen, bitte."

"Gib mir einen guten Grund, warum ich mit dir gehen sollte? Nach deinem Verhalten von gestern sollte ich zusehen dass du mir nicht mehr zu nahe kommst."

"Ich weiß", Gia sieht tatsächlich geknickt aus, so dass ich schließlich einknicke und zustimme.

Dankbar legt mir Gia eine Hand auf den Rücken und dirigiert mich ins nächste Kaffee.

Erst als wir unsere Getränke haben und Gia sich zwei Löffel Zucker genommen hat, sieht sie mich an.

"Frag mich bitte nicht was gestern mit mir los gewesen ist. Ich habe mich benommen wie der letzte Idiot. Dachte ich könnte dir so imponieren..." sie bricht ab und betrachtet eingehend ihre Tasse.

"Weißt du", beginne ich vorsichtig. "Imponieren kann man mich mit einfachen Dingen, Freundlichkeit zum Beispiel. Dieses Machogehabe schreckt mich ab."

"Dürfte ich dann noch einmal von vorn anfangen?" Man sollte meinen, dass eine 1,90m große eher maskuline Frau ein mega Ego haben sollte, aber scheinbar nicht Gia. Sie wirkt tatsächlich verlegen und unsicher, was sie mir wiederum sympathischer macht.

"Von vorn anfangen?" Ich schüttle den Kopf, was sie seufzen lässt. "Aber eine zweite Chance kann ich dir geben." Sofort kehrt ihr selbstbewusstes Lächeln zurück und sie reicht mir die Hand, die ich wortlos ergreife.

 

Als wir nach zwei Stunden das Kaffee verlassen und ich mich gerade von Gia verabschieden möchte, hält sie mich auf.

"Ich habe noch dein Oberteil bei mir, willst du kurz mitkommen?"

"Äh", kommt es etwas ratlos über meine Lippen. "Ein anderes Mal. Ich hab noch Termine." bringe ich mit rasendem Puls raus.

"Okay, aber hoffentlich vor Weihnachten!" Die Aussage lässt mich jetzt doch etwas schmunzeln und ich nicke ihr noch einmal zu bevor ich eilig davon gehe.

 

Wieder sitze ich zu Hause auf meiner Couch. Gott sei Dank habe ich Urlaub, so dass ich mir wenigstens darüber keine Gedanken machen muss. Ich bin in meinen Gedanken vertieft, als es an der Tür klingelt. Heute kann ich Julian nicht so einfach abwimmeln, also drücke ich den Öffner und warte an der offenen Wohnungstür bis er die zweite Etage erreicht.

"Dein Glück", begrüßt er mich mit einer Umarmung.

Nachdem wir uns mit etwas zu trinken im Wohnzimmer setzen beginnt das Verhör.

"So und jetzt bitte haargenau, was ist gestern passiert?"

Beschämt schließe ich kurz die Augen. Atme noch einmal tief durch und berichte alles. Julian hört mir zu, ohne eine Bemerkung zu machen. Erst als er erkennt, dass ich wirklich fertig bin, redet er wieder.

"Okay, also sie hat sich entschuldigt. Ihr wart zusammen Kaffee trinken und nun?"

Ich zucke die Schultern.

"Keine Ahnung. Ich sollte sie nicht mehr treffen, scheiß auf das Oberteil." Skeptisch mustert mich Julian.

"Süße das ist genau das, was du nicht willst. Sie gefällt dir, irgendwie. Gib es zu." 

"Nein, ich..."

"Lüge." unterbricht mich Julian.

Schuldbewusst senke ich den Kopf und schließe die Augen. "Ich nehme dich nächsten Sonntag wieder mit in die Tanzschule. Ohne Wenn und Aber." Ich will widersprechen, aber ein Blick in Julians Gesicht lässt mich augenblicklich schlucken und stumm den Kopf nicken. "Sehr gut und jetzt schmeiß endlich diesen tollen Film ein, von dem du mir so vorgeschwärmt hast." Damit ist für Julian das Thema beendet und gekonnt schafft er es, dass auch ich nicht mehr darüber nachdenke.

"Sei mir nicht böse Süße, aber ich muss nach Hause." Der Film ist zu Ende und nachdem Julian sein Glas in die Spüle stellt umarmt er mich zum Abschied. "Wir sehen uns am Sonntag. Und wenn du etwas hast oder einfach nur reden willst, ruf mich an." Ich nicke und erwidere die Umarmung. Dabei lege ich den Kopf an seine Schulter und schließe für wenige Sekunden die Augen. Nur ungern lasse ich Julian gehen. Die Nähe und Ruhe die er ausstrahlt tun mir gut. Lächelnd streicht er mir noch einmal über den Kopf und geht. Seufzend lehne ich den Kopf an die Tür.

Gerade einmal der Montag ist vorbei. Was soll ich mit den restlichen freien Tagen anfangen? 

Aus einer spontanen Eingebung heraus packe ich eine Tasche, setze mich ins Auto und fahre einfach los Richtung Küste.

Mittlerweile ist es vier Uhr nachts, als ich an meinem Ziel ankomme. Doch um diese Uhrzeit möchte ich nicht stören, also mache ich es mir auf der Rückbank so gemütlich, wie es in einem kleinen Sandero geht, und döse weg.

 

Etwas klopft an meine Scheibe und erschreckt richte ich mich auf.

Blondes Fell mit schwarzen Knopfaugen sehen mich an und lächelnd öffne ich die Autotür.

"Wer bist du denn Großer?" Der Retriever springt ins Auto und beginnt mich abzulecken. Unter Lachen versuche ich mich zu befreien, aber erst ein Pfiff lässt ihn abrupt aus den Auto springen.

"Milena was führt dich denn her?"

Sandro steht an der Haustür, der Hund neben ihm und sieht mich verwundert an.

"Hey", verlegen reibe ich mir über den Arm. "Ich hoffe es ist okay. Also nur wenn es machbar ist..." Ich lasse meine Tasche noch im Auto und steige aus. Erst als ich nasse Füße bekomme blicke ich auf meine Socken. Unbeholfen setze ich mich zurück, zieh die nassen Dinger aus und schlüpfe barfuß in die Schuhe.

"Komm erst einmal rein. Petra ist noch auf Arbeit, aber ich wollte gerade die Tiere versorgen."

Als ich vor Sandro stehe, gibt er mir eine kurze Umarmung zur Begrüßung und führt mich ins Haus. "Der Kaffee ist schon durchgelaufen. Nimm dir eine Tasse, ich bin gleich zurück." Damit verschwindet er wieder aus dem Haus, der Hund dicht auf seinen Fersen. Sandro macht noch immer einen viel zu starken Kaffee, so dass ich die Tasse halb voll Milch kippe. Danach beginne ich in Ruhe den Frühstückstisch zu decken. Im Kühlschrank finde ich Eier und Speck. In der Vorratskammer Zwiebeln und saure Gurken. Kurz entschlossen bereite ich Bauernfrühstück zu. Schließlich sind wir hier auf dem Land und Sandro und Petra können ein deftiges Frühstück gebrauchen. Schmunzelnd mache ich mich an die Arbeit und bemerke so nicht, wie die Eigentümer ins Haus kommen. 

Erst der Hund an meiner Seite lässt mich umdrehen.

"Also wenn du jeden Morgen so ein Essen zubereitest kannst du öfter spontan herkommen Schwesterchen." Petra kommt auf mich zu und zieht mich in eine feste Umarmung.

Erst als wir alle am Tisch sitzen und essen fragt Petra endlich. "So und nun erzähl Mal genau was los ist. Es ist nicht so dass wir uns nicht freuen, aber doch sind unangemeldete Besuche von dir eher ungewöhnlich."

"Ich habe Urlaub und irgendwie weiß ich nichts mit mir anzufangen. Es ist gestern Abend tatsächlich eine spontane Idee gewesen." 

"Okay", gibt sich Petra zufrieden. "Bleib die Woche hier und wenn du soweit bist, dann rede mit uns." Überrascht sie mich jedoch im nächsten Moment, was mich zum Schmunzeln bringt.

"Danke", ist jedoch alles was ich sage bevor ich schweigend weiter esse.

 

"Weißt du Milena, du bist viel zu selten hier." 

Nachdem wir das Frühstück beendet haben, geht Petra mit mir durch die Ställe. Der Geruch nach frischem Heu und Pferde und das Mampfen der Tiere beruhigt mich etwas. Mittlerweile komme ich mir kindisch vor, das ich so Hals über Kopf die Stadt und sogar das Bundesland verlassen habe. Noch nicht einmal Julian weiß dass ich weg bin. Dabei ist er irgendwie die einzige Person, die ich als Freund betiteln würde, nachdem mein Kindheitsfreund mich zum zweiten Mal verlassen hat. Ich taste meine Taschen ab nur um festzustellen dass sie leer sind. Ich drehe mich zu einem Pferd, dass den Kopf aus der Bucht steckt und drücke mein Gesicht an dessen Hals, nur um mein Seufzen zu verstecken.

"Wer auch immer es ist an dem du gerade denkst, du solltest der Person schreiben."

"Es ist nur ein guter Freund. Wir hatten uns gestern noch gesehen, kurz bevor ich so überstürzt abgereist bin."

"Nur? Milena ich bitte dich. Du hast noch nie leicht Freundschaften geknüpft. Komm lass uns rein gehen und dein Handy holen. Anschließend entführe ich dich mit der Eisenbahn." Ich möchte widersprechen, aber Petra packt mich am Arm und schleift mich zurück ins Haus.

Als ich mein Handy nehme brummt es, so dass ich es fast fallen lasse. Nur in letzter Sekunde greife ich fester zu. Als ich eine Stimme höre sehe ich mich irritiert im Raum um.

"Milena verdammt rede endlich mit mir. Hast du dein Handy mal wieder fallen gelassen?"

Ich blicke auf mein Handy und lachend halte ich das Gerät ans Ohr.

"Julian", grüße ich leicht verlegen.

"Na endlich Süße. Wo bist du?"

"Sorry, ich bin gestern noch zu meiner Schwester gefahren. Ich brauche einfach etwas Zeit."

"Jage mir nie wieder so einen Schrecken ein. Hast du überhaupt mal auf dein Handy geschaut?" 

"Nein, ich..."

"Vergiss es. Genieße die Tage an der Küste. Melde dich wenn du wieder zurück bist." Ich will gerade noch etwas erwidern da hat Julian bereits aufgelegt. Ist er sauer auf mich, aber warum?

Kurz darauf brummt mein Handy erneut und signalisiert mir den Eingang einer Nachricht.

"Sorry, Unterricht geht weiter. Musste auflegen. Wenn du reden willst... und vergiss nicht beim nächsten Mal nehme ich dich zum Training mit. Ohne wiederrede. �"

Ach Julian. Tief seufze ich und lege mich mit dem Rücken aufs Bett.

"Milena", Petra klopft an die offene Tür und kommt ins Zimmer. "Ist alles in Ordnung?" Lächelnd und Kopfschüttelnd setze ich mich auf.

"Julian wünscht mir Spaß." Sage ich nur und stehe auf.

"Na dann lass uns gehen. Die Bahn fährt in einer halben Stunde los."

 

"Irgendwann musst du mir mal mehr über Julian erzählen."

Wir sitzen in der Bahn, die just in dem Moment mit einem lauten Pfiff abfährt.

"Es gibt nichts zu erzählen. Er ist ein Freund und nichts fürs Bett." Empört schlägt mir Petra auf den Arm und sieht sich im Abteil um. 

"Du hast mir deutlich genug zu verstehen gegeben, dass du lesbisch bist. Also sag nicht so einen Blödsinn. Aber weil du gerade davon sprichst. Gibt es eine Frau?" Ich spüre die Hitze in meinem Gesicht und schüttle zu schnell den Kopf.

"Okay, du tauchst Hals über Kopf hier auf, läufst an wie eine Tomate und verneinst es dennoch... Milena du weißt, dass du mit mir reden kannst." Ich seufze und nicke, bevor ich aus dem Fenster schaue und die Landschaft an mir vorbeizieht.

 

In der Stadt ist Kirmes, oder Wochenmarkt.

"Wir haben Jubiläumsjahr daher ist die ganze Woche was los." Es ist noch später Vormittag, dadurch sind die Wege relativ leer. An einem HotDog Stand holen wir uns beide was zu essen und schlendern gemütlich weiter.

"Sag mal, kannst du noch schießen?" Petra deutet auf einen Schießstand und ich zucke beiläufig mit den Schultern. "Komm schon, einmal nur!" Fleht sie mich an. Kurz schaue ich, was es für Preise gibt, esse mein Brötchen auf und nachdem ich bezahlt habe, nehme ich das Jagdgewehr auf. Ich überprüfe alles, die Patronen, den Lauf und was noch alles dazugehört, bevor ich das Gewehr anlege und ziele.

Für fünf Schuss habe ich bezahlt und fünf Treffer erziele ich. Als Preis entscheide ich mich für eine Spieluhr, wo zwei Frauen zu einem Walzer tanzen. Selbst der Standbetreiber schaut mich komisch an, weil ich mich nicht überreden lasse eine andere zu nehmen. Schließlich ist diese eine Fehlproduktion gewesen, die er als Deko stehen hat. Meine Schwester lächelt mich an, als ich mit meinem Preis neben ihr weiter gehe.

"Milena lass uns etwas essen gehen." Dabei zeigt Petra auf einen Imbissstand mit einem riesigen Oktopus drauf. Skeptisch ziehe ich die Augenbrauen hoch, folge ihr aber dort hin.

Calamares-Garnelen-Schaschlik, Tintenfischringe, Eintopf mit Octopus und Meeresfrüchtesalat.

"Lass es dir schmecken Schwesterchen, ich verzichte." Dabei gehe ich bereits mehrere Schritte rückwärts. Petra sieht mich lachend an, dreht sich dann zum Stand und bestellt sich einen Salat.

"Isst du noch immer keine Meeresfrüchte?"

"Nein und daran wird sich auch nie etwas ändern. Ich finde die Gerüche ekelhaft. Lebendig sind mir diese Tiere einfach lieber." 

Kopfschüttelnd setzt sich Petra etwas abseits auf eine Bank, ich neben sie.

"Wie lange hast du noch Urlaub?" Unterbricht Petra nach einer Weile die Stille.

"Drei Tage und das Wochenende." 

"Ich weiß nicht was bei dir vorgefallen ist, aber denkst du wirklich, dass es so eine gute Idee gewesen ist Hals über Kopf abzuhauen?"

"Nein... Ich meine.... Ach Scheiße ich bin einfach zu blöd." Petra stellt ihre leere Schüssel zur Seite und legt einen Arm um meine Schulter. Sie sagt nichts weiter und schließlich bricht bei mir der Damm. "Julian, ein sehr guter Freund, hat mich letztens mit in die Tanzschule geschleppt. Seine Tanzlehrerin hat mich angebaggert und ich hab sie beschimpft und abgelehnt." Ich senke den Kopf und warte auf die Predigt meiner Schwester, doch sie kommt nicht.

"Was empfindest du, wenn du an sie denkst oder ihr euch gegenüber steht?"

"Ich bin verunsichert. Wir hatten uns Gestern getroffen und ausgesprochen. Da ist sie ganz anders gewesen. Julian will unbedingt dass ich auch Tanzstunden nehme."

Petra dreht uns so, dass wir uns ansehen.

"Er weiß nicht, das du tanzt? Warum?"

"Weil ich damit nicht angebe. Petra das ist zwanzig Jahre her." 

"Milena so etwas verlernt man nicht."

"Ich weiß", seufze ich. "Wenn ich da Anfange zu tanzen wird es jeder merken und Julian wird enttäuscht von mir sein." 

"Denkst du so schlecht von ihm? Wie alt ist er?"

"Gerade achtzehn geworden. Er ist meine Familie dort." Ohne es zu wollen werden meine Augen feucht und ich springe auf um einige Schritte zu gehen und meine Augen zu trocknen.

"Wenn du ihm genauso wichtig bist, wird er es verstehen. Rede mit ihm."

"Das alles ist so lächerlich. Ich bin lächerlich!" Sofort steht Petra vor mir und hält mich an den Schultern fest. 

"Milena höre auf so eine Scheiße von dir zu geben. Wie lange lebst du jetzt schon ohne Partner und ohne Familie da?"

"Du bist die letzte Familie Petra. Wir haben nur noch uns, das weißt du. Fünfzehn Jahre lebe und arbeite ich 800 km von dir entfernt."

"Familie ist nicht immer mit Blut verbunden. Es können auch Freunde sein die mit einem durch jede Hölle gehen. Vertraue Julian, ich kann mir nicht vorstellen, dass er dich wegen einer kleinen Sache fallen lässt. Und vielleicht kennt er dein Geheimnis ja bereits." Petra zieht mich in eine Umarmung und seufzend lege ich den Kopf auf ihre Schulter.

Nach einer Weile gehen wir schweigend weiter. Doch ist mir irgendwie die Lust an allem vergangen. Ich hänge meinen Gedanken nach und so bekomme ich alles nur am Rand mit, wie wir zum Hof zurück fahren.

"Ruh dich etwas aus oder geh zu den Pferden." Bietet mir Petra an. Ich nicke nur und gehe hoch in mein Zimmer.

 

Als mich Petra zum Abendessen holt habe ich einen Entschluss gefasst.

"Ich werde morgen zurück fahren." 

"Ich bin zum Frühstück zurück. Danach lasse ich dich fahren." Stimmt Petra mir zu und ich nicke bestätigend. 

Sandro ist arbeiten und auch Petra muss kurz nach dem Essen los, so dass ich mich vor dem Fernseher setze und solange zappe bis ich eine alte Folge Circus HalliGalli finde. Mich interessiert die Sendung nicht, brauche nur eine Geräuschkulisse. Schließlich schlafe ich irgendwann ein.

 

Mit einer Decke über mir wache ich auf. Noch ist alles ruhig im Haus. Sandro muss mich zugedeckt haben, als er nach Hause gekommen ist. Leise stehe ich auf, setze Kaffee an und gehe in mein Zimmer um mich frisch zu machen und umzuziehen. Auf den Weg nach unten nehme ich meine Tasche schon mit und bringe sie direkt ins Auto.

Zurück im Haus decke ich den Tisch und bereite alles vor.

Zeitgleich als das Rührei fertig ist kommen Sandro und Petra aus zwei Richtungen in die Küche.

"Guten Morgen." Grüßen wir zeitgleich was uns alle lachen lässt.

"Und du bist dir sicher gleich fahren zu wollen?"

"Wie du fährst schon? Du bist doch gestern erst gekommen." fragt Sandro verwirrt.

"Ja ich bin mir sicher. Vielen Dank für alles, aber ich glaube, ich muss bei mir einiges klären. Drückt mir nur die Daumen das es zu keiner Supernova kommt." Petra lacht und Sandro sieht etwas ratlos von einem zum anderen. 

"Ich erkläre es dir später Liebling." zwitschert Petra ihrem Mann zu und er beginnt breit zu lächeln. Das ist für mich das Signal aufzubrechen.

"Pass auf dich auf und melde dich."

"Versprochen", ich umarme Petra und Sandro noch einmal zum Abschied, steige ins Auto und fahre los.

Lange habe ich überlegt ob ich Julian benachrichtigen soll, habe mich aber dafür entschieden ihn erst bei der letzten Rast zu informieren.

Natürlich freut er sich. Fragt aber gleichzeitig ob auch wirklich alles in Ordnung ist und möchte sofort erfahren wenn ich angekommen bin. Ich verspreche es ihm, lege das Handy zur Seite und fahre weiter.

 

Ich fahre gerade in meine Straße ein, als ich ein mir bekanntes Auto vor meinem Haus erkenne. Seit wann ist Maurice wieder da? Direkt hinter dem rot-schwarzen Jaguar F-Pace ist noch eine Lücke frei in der ich einparke. Mein Motor ist noch nicht aus, da wird meine Fahrertür aufgerissen.

"Tue das nie wieder. Verdammt Milena wie kannst du so plötzlich verschwinden ohne ein Wort. Denkst du auch mal an deine Freunde!" Julian ist sauer, irgendwie ja auch zu Recht. Ich mach das Auto aus und ziehe den Schlüssel ab. Mache aber keine Anstalten auszusteigen.

"Komm schon raus Kleine." Eine tiefe Stimme und eine Hand lassen mich kurz aufblicken. Schließlich ergreife ich die Hand und lasse mich aus dem Auto ziehen. 

"Hallo Maurice, seit wann bist du hier?"

"Seit gestern. Der Lütte hat sich echt Sorgen um dich gemacht. Also habe ich früher frei genommen. Was ist denn los?" Nach einer langen Umarmung meines besten Freundes wende ich mich Julian zu und ziehe auch ihn in eine Umarmung. 

"Es tut mir Leid Kleiner wirklich. Ich kann dir nicht wirklich sagen was mich geritten hat."

"Gia", sagt er einfach nur und ich zucke bei ihrem Namen zusammen. "Wusste ich es doch." Julian schiebt mich auf Armlänge von sich und sieht mich musternd an. "Können wir mit hoch kommen? So langsam wird es frisch hier draußen?" Ich nicke, hole meine Tasche aus dem Auto und wir gehen in meine Wohnung. Ich bin nur zwei Tage weg gewesen, aber jetzt gerade fühlt es sich an wie zwei Wochen.

Mit Wasser und Saft sitzen wir im Wohnzimmer. Julian hat sich an Maurice geschmiegt und ich seufze leise, weil das eine Sehnsucht in mir weckt, die ich schon zu lange vergraben habe.

"Erzähl mir von Gia, oder warte." Maurice sieht zu Julian und dann wieder zu mir. "Redet ihr von Gia aus der Tanzschule?" Ich nicke nur. Maurice ist ja schließlich Tanzlehrer. Klar dass er Gia kennt. In Gegensatz zu mir, hat er seinen Traum vom Tanzen weitergelebt. "Seit wann hast du mit der Tanzschule zu tun? Oder hast du dich endlich entschieden weiter zu machen?" Ich schüttle den Kopf und trinke langsam einige Schlucke. 

"Weitermachen?" Julian sieht mich überrascht an.

"Oh man Milena sag nicht, dass du Julian nie etwas gesagt hast. Drei Jahre bin ich mit dem Jungen zusammen und du schweigst?"

Maurice sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an und Julian wird unruhig.

Ich bleibe jedoch stumm und verstecke mich hinter meinem Glas.

"Alexa Spiel Metallica - Enter Sandman" Im nächsten Moment erwacht meine Blechbüchse zum Leben und die Musik läuft langsam. Maurice steht auf, räumt einige Sachen an den Rand, so dass in der Mitte Platz ist. Als er zufrieden ist reicht er mir die Hand. Ich schlucke, ergreife sie und lasse mich hochziehen. Ein kurzer Blick auf Julian zeigt mir, dass er uns gebannt zusieht.

"Alexa Spiel Metallica - Behind blue eyes" Die KI-Technologie wechselt das Lied und wir beginnen zu tanzen. Sofort bin ich wieder in meinem Element. Schließe die Augen und lasse mich führen. Nach dem Lied ist sekundenlang alles still. Langsam öffne ich wieder die Augen und sehe Maurice lächeln. Er streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht. "Warum tanzt du nicht mehr?" fragt er leise. Im nächsten Moment kommt ein Freudenschrei von Julian und er klatscht wie blöd.

"Wieso hast du nie etwas gesagt? Das wow...einfach Spitze ihr zwei." Verlegen löse ich mich von Maurice und setze mich wieder hin. Maurice setzt sich zu Julian.

"Als wir fünf gewesen sind, haben wir uns in der Tanzschule kennengelernt. Elf Jahre haben wir zusammen getanzt. Aber während ich die Ausbildung zum Tanzlehrer gemacht habe, ist Mia einen anderen Weg gegangen. Dabei liebt sie das Tanzen noch immer."

"Nur du nennst mich Mia." Flüstre ich fast und muss an unsere Kindheit denken. Maurice und ich sind ein Jahrgang und schnell hat sich eine Freundschaft und ein blindes Vertrauen ihm gegenüber aufgebaut. Ein Vertrauen, was ich nie wieder so aufbauen konnte. "Du weißt warum." Meine Stimme ist noch immer leise und ich muss gegen den Kloß und die negativen Erinnerungen ankämpfen.

Unweigerlich schieben sich die Bilder meines Unfalls in den Vordergrund, nachdem Maurice weggegangen ist, habe ich einem anderen vertraut und es bitter bereut.

"Also wie hast du Gia kennengelernt?" Ich bin dankbar für Maurice Themenwechsel. Aber wie soll ich antworten ohne Julian zu verraten.

"Es ist meine Schuld." gesteht Julian. Aber als ich ihn anblicke sehe ich nichts weiter als Stolz in seinem Gesicht. "Ich nehme Tanzstunden um mit dir tanzen zu können. Letztes Wochenende habe ich Milena mitgenommen." Maurice nimmt Julian in den Arm und küsst ihn, was mich wegsehen lässt. "Mach es nicht für mich." Doch Julian schüttelt bereits den Kopf.

"Es macht Spaß, gefällt mir und mein Wunsch ist es mit dir auf dem Weihnachtsball zu tanzen." Lachend wuschelt Maurice durch Julians Haar.

"Du weißt schon dass es nicht mehr ganz drei Monate bis dahin sind?"

"Ich schaffe das." lacht Julian.

Ich gähne hinter vorgehaltener Hand, was Maurice veranlasst aufzustehen.

"Während Julian morgen in der Schule ist, lass uns treffen. Ich hole dich um zehn zum Frühstück ab." Maurice lässt es wie einen Vorschlag klingen, aber ich sehe die Ernsthaftigkeit dahinter und nicke. Nach einer langen Umarmung von beiden setze ich mich wieder auf die Couch und schallte durch die Sender.

Bei einer Kinderschneeballschlacht halte ich an und hänge meinen Erinnerungen nach. Wie wir damals im Winter mit dem Tanzen angefangen haben. Nach der Stunde lag fast zwei Zentimeter Neuschnee und alle zehn Kinder in dem Kurs haben sich mit Schneebällen gegen die Erwachsenen verschworen. 

 

Durch ein Klingeln an der Tür werde ich geweckt. Verschlafen reibe ich mir die Augen während ich auf den Besuch warte. Überrascht sehe ich Maurice an, als er die Treppe hinauf kommt.

"Mal wieder verschlafen Mia?" lacht er und umarmt mich zur Begrüßung.

"Bin auf der Couch eingepennt." Verlegen reibe ich mir den Nacken. "Spring kurz unter die Dusche." Damit verschwinde ich auch bereits im Schlafzimmer und kurz darauf im Bad. Maurices Lachen begleitet mich.

Zwanzig Minuten später können wir endlich die Wohnung verlassen und gehen nur zwei Straßen weiter zum Bäcker. 

Nachdem wir uns alles bestellt haben, setzen wir uns mit unseren Tabletts in eine ruhige Ecke.

"Warum hast du damals aufgehört zu tanzen? Ich meine, wir sind nie aus der Welt gewesen, die Arbeit ist nur etwas dazwischen gekommen. Aber ich habe gedacht, dass du in der Schule geblieben bist."

"Weit gefehlt. Nachdem du weggezogen bist, habe ich die Tanzschule verlassen und mich auf die Ausbildung konzentriert. Ich habe danach nie wieder getanzt."

"Aber warum?" Maurice ist aufgesprungen und sieht mich entgeistert an. Verstohlen blicke ich mich um. Maurice Ausbruch ist nicht unbemerkt geblieben und ich ziehe verlegen den Kopf ein.

"Entschuldige", Maurice lacht und setzt sich wieder hin. "Warum hast du nicht mehr getanzt?"

"Weil du gegangen bist. Niemand kann es mit dir aufnehmen. Ich habe es versucht und bin gescheitert." Dabei reibe ich mir den Oberschenkel unter dem Tisch. Maurice hat es jedoch bemerkt.

„Was ist passiert?“ fragt er und ergreift meine Hand über den Tisch.

„Es ist eine einfach Hebefigur gewesen. Nichts kompliziertes und er hat es versaut. Für fast ein Jahr bin ich ausgefallen und danach habe ich mich nie wieder getraut.“

"Oh Mia" Maurice sieht mich mitfühlend an. "Dann lass es uns noch einmal probieren. Dabei fällt mir ein dass ich einen Tanz einstudieren muss und hoffe auf deine Unterstützung!"

"Um was geht es?" Ich habe mich noch nicht entschieden, aber neugierig bin ich schon.

"Meine Cousine heiratet und bittet um einen ausgefallenen Tanz. Ich habe vor noch einige andere zu fragen." 

"Bis wann hast du Zeit?" 

"Gott sei Dank bis März. Meine Cousine plant gerne im Voraus. Ein genaues Datum gibt es auch noch nicht."

"Wenn du dein Team zusammen hast lass es mich wissen. Ich sag noch nicht zu, aber ich überlege es mir." 

"Einverstanden! Kommst du eben noch mit einkaufen? Julians Hund ist einfach zu verfressen. Er braucht neues Hundefutter." Dieser abrupte Themenwechsel lässt mich lachen und nachdem wir alles weggeräumt haben gehen wir zurück zu mir, wo Maurice Jaguar steht.

"Lass uns kurz bei der Tanzschule vorbeifahren. Erstens brauchen wir einen Raum und ich will Gia und zwei Kollegen fragen ob sie mitmachen." Bei dem Namen der Frau muss ich schlucken.

"Bist du denn nicht nur wegen Urlaub hier?"

"Nein, ich bin drei Monate in einer anderen Schule gewesen, aber jetzt bin ich wieder da." 

Das heißt ich würde zwangsweise öfter Gia über den Weg laufen. Will ich das wirklich?

Ich kann sie einfach nicht vergessen und bin mir absolut nicht sicher ob mir das gefällt. 

Ich schrecke aus meinen Überlegungen auf, als wir vor der Tanzschule halten und der Motor des Jaguars verstummt.

"Komm schon Milena, ich gebe dir hinterher auch deinen Lieblingslikör aus." Und damit hat er mich.

 

"Hallo Maurice. Oh und hallo Milena." Gia schenkt mir ein verlegenes Lächeln was ich genauso verlegen erwidere. 

"Hey Gia, schön dich wiederzusehen." Maurice hat keine Berührungsängste und zieht Gia in eine feste freundschaftliche Umarmung. 

"Ich habe gehört das du wieder bei uns bist."

"Richtig. Ich will kurz im Büro vorbeischauen. Milena wartest du kurz hier?" Damit ist Maurice auch schon verschwunden und lässt mich bei Gia zurück.

"Milena" nur mein Name geflüstert und ich beginne zu zittern. Ich schaffe es nicht ihr in die Augen zu schauen. Vorsichtig hebe ich etwas den Blick, bis ich ihren Mund sehe. Einen Mund mit so vollen Lippen dass ich sie am liebsten berühren möchte um zu testen ob sie auch so weich sind wie es scheint. Unbewusst beiße ich mir auf die Unterlippe.

"Ich frage mich, ob du am Samstag zu uns hier her kommen möchtest. Wir haben eine Tanzveranstaltung und ich..."

"Nein", platze ich dazwischen und schlucke heftig. "Ich meine vielleicht. Ich tanze nicht."

"Es ist egal, ich würde mich nur freuen wenn du kommst. Du kannst ja Julian mitbringen zur Unterstützung.

"Ich überlege es mir." 

Gott sei Dank kommt in dem Moment Maurice zurück, so dass das Schweigen nicht zu lang werden kann.

"Gia was ich dich noch fragen möchte..." und damit gehe ich aus dem Gebäude und lasse die beiden alleine sprechen.

Soll ich mich wirklich darauf einlassen? Aber was ist wenn sie von meinem Stil abgeschreckt wird?

"Mach dir nicht zu viele Gedanken Kleine. Gia meint es ernst, gib ihr also die Chance. Ich finde das Samstag genau der richtige Zeitpunkt dafür ist. Julian und ich werden dich begleiten."

"Lass mir Zeit."

"Nein" Maurice baut sich vor mir auf, legte beide Hände auf meine Schultern und sieht mich böse an. "Wir werden mit dir am Samstag da hingehen. Ohne Ausreden, was ich von Julian erfahren habe, scheint Gia ehrliches Interesse an dir zu haben. Ich kenne sie seit sechs Jahren und glaube mir. Wenn sie etwas wirklich möchte, dann kämpft sie dafür und sie hält nichts von Oberflächlichkeit." Ich seufze und weiß, dass ich mich aus dieser Situation nicht mehr herausreden kann. Ergeben nicke ich. Zufrieden gibt mir Maurice einen Kuss auf die Stirn und dreht mich so, dass ich in seiner Umarmung mit ihm zum Auto gehe.

Den Rest des Tages bin ich zu Hause. Nachdem wir das Hundefutter eingekauft haben hat mich Maurice bei mir abgesetzt.

Nachdem ich einige Zeit ruhelos durch meine Wohnung tigere, stehe ich mit einer Tasche mit Wasserflaschen und meinem MP3 Player vor der Tür.

Will ich das wirklich tun? Es sind noch zwei Tage bis zu dieser komischen Veranstaltung.

Oder ist das gar ein Date um was mich Gia da gebeten hat?

Entschlossener als ich mich fühle reiße ich die Tür auf und gehe in den nahegelegenen Park.

Als ich für mich einen geeigneten Platz finde, lege ich die Tasche ab, stöpsle die Kopfhörer ein und beginne mich erst etwas aufzuwärmen. Zwei Lieder später gehe ich einige Choreografien durch, die ich im Kopf habe. Allein einen Paartanz zu trainieren ist nicht gerade einfach, aber auch da kann ich einige Schritte durchgehen.

Erschöpft gehe ich nach über vier Stunden nach Hause. Ich will gerade nichts weiter als eine heiße Dusche und mein Bett. 

Schon lange bin ich nicht mehr so glücklich gewesen. Wenn man mich fragt würde ich es nicht zugeben, aber ich bin enorm happy nach dem Tanzen.

 

Der Samstag kommt, ich bin nervös ohne Ende und suche ständig nach dem passenden Outfit. 

Hose, Rock oder Kleid? 

Elegant, lässig oder flippig?

Welche Schuhe? Flache oder Absatz?

Ich fühle mich wie beim ersten Date.

Eine Stunde bevor ich los muss klingelt es. Nur in Unterwäsche öffne ich die Tür, in der nach kurzer Zeit Maurice und Julian erscheinen. Beide tragen Anzüge, wobei Julians hellblau mit dunklen Nähten ist. und Maurice seiner ist schwarz.

"Interessantes Outfit Kleine." begrüßt mich Maurice lachend und nimmt mich in den Arm. 

"Ich weiß einfach nicht was ich anziehen soll." gestehe ich zähneknirschend. 

"Oh man Milena." ruft Julian da auch schon aus meinem Schlafzimmer in dem das reinste Chaos herrscht.

Maurice folgt Julian und gemeinsam beginnen die beiden Männer sich durch meinen Kleiderhaufen zu wühlen. Aus einem großen werden zwei Kleinere. Danach wird einer der beiden Haufen immer kleiner, während der andere Größer wird.

"Hier!" Ein violett-schwarzes Kleid, mit nur einem linken Ärmel. Gleichzeitig ist die linke Seite länger als die Rechte und der Rock fällt locker und gibt mir so die Beinfreiheit die ich brauche.

"Okay zieh dich an und dann gucken wir nach Make Up und Haare."

"Die Haare style ich etwas mit Gel, aber schminken tue ich mich nicht." 

"Einverstanden!"

Damit verschwinden die beiden aus dem Schlafzimmer und geben mir die Privatsphäre die ich brauche.

Keine halbe Stunde später bin ich fertig und zu dritt verlassen wir meine Wohnung.

In Maurice Auto fahren wir zur Tanzschule. Wir sind noch fast eine Stunde zu früh da, dennoch ist der Parkplatz bereits voll.

"Kommt wir gehen schon rein. Vielleicht sind die anderen auch schon da, die ich für den Hochzeitstanz haben möchte." 

Julian ist sofort Feuer und Flamme, ich jedoch zögere. Was soll ich jetzt schon da drin? Ich bin kein Lehrer und kein Schüler.

Aber das interessiert die beiden nicht. Einer links, der andere rechts, haken sich die beiden bei mir ein und gemeinsam gehen wir ins Gebäude.

Und da steht Gia. In einem violetten Anzug, der mit schwarzen Akzenten nur so strahlt.

"Wusstet ihr was sie trägt?" frage ich verblüfft, weil die Farben genau die gleichen wie in meinem Kleid sind.

"Sie hat mich um Tipps gebeten. Aber das es so sein wird." Maurice schüttelt ehrlich erstaunt den Kopf.

"Wow", bringt Julian nur heraus und wir gehen auf Gia zu.

"Du siehst wunderschön aus Milena." Vorsichtig kommt Gia näher und umarmt mich leicht. Sie riecht wundervoll und ich erwische mich dabei sie an mich zu ziehen. Sofort wird ihre Umarmung fester. Gott ich scheine im Himmel gelandet zu sein.

"Möchtest du heute wirklich nicht tanzen? Dieses Kleid ist wahrlich dafür geschaffen!" Ich nicke leicht und Gia will sich sofort entziehen, doch halte ich sie fest.

"Was wird das hier heute bei uns?" frage ich leise.

Die getuschelten Worte der anderen Gäste ignorierend.

"Ich habe auf ein Rendezvous gehofft. Hier mitten auf der Tanzfläche wo jeder uns sehen kann. Wenn wir es schaffen beim Tanzen zu harmonieren, meinst du nicht, dass wir dann eine Chance verdient haben?" Ich lehne mich leicht zurück um sie ansehen zu können. Sofort liegt eine ihrer Hände auf meine Wange und streichelt sie sanft. Zu fasziniert um zu sprechen nicke ich erneut. Als Bestätigung liegen kurz darauf ihre Lippen auf meinen. Es ist ein viel zu kurzer Kuss stöhne ich protestierend, was Gia leise lachen lässt.

"Ich muss noch etwas erledigen. Renn mir nicht weg Milena."

"Okay", hauche ich. Beim Gehen streicht Gias Hand solange über meinen Arm, bis sie außer Reichweite ist.

Als ich mich umblicke stehe ich alleine da. Julian und Maurice sind irgendwann verschwunden.

Ich gehe in den großen Tanzsaal, in dem die Veranstaltung stattfindet. Alles ist geschmückt und bunte Lichter flackern überall. In der Mitte hängt eine große Discokugel, die sich langsam dreht und das Licht im Raum verteilt.

Ich möchte nicht sitzen, so suche ich mir einen Platz an einer

der Säulen. Der Raum hat sich gut gefüllt. Nicht nur Pärchen, auch einzelne Personen und kleine Gruppen erscheinen. 

Nach einer Begrüßung der Inhaber beginnt die Musik zu spielen. Immer wieder werde ich von Männern zum Tanz aufgefordert, aber alle lehne ich ab.

Als Gia mit Maurice und Julian endlich in den Saal kommen wird sie sofort von einigen Gästen beider Geschlechter umlagert. Lachend blockt sie ab, erblickt mich und kommt direkt auf mich zu.

"Nur ein Tanz, danach gehöre ich den ganzen Abend dir." flüstert sie mir ins Ohr und als sie sich wieder aufrichtet küsst sie mich leicht auf die Wange.

Wie kann mein Denken nur so schnell umschlagen?

Erst letzte Woche habe ich sie zum ersten Mal gesehen. Sie hat mich blamiert und ich habe sie zum Teufel gewünscht. Dann haben wir uns tags darauf ausgesprochen und ich bin zu meiner Schwester geflüchtet und jetzt?

Jetzt stehe ich hier, schwitze und zittre, nur weil sie das Ganze als Date deklariert hat.

Besser als Rendezvous auf der Tanzfläche.

"Arme Milena", Julian stößt mich leicht mit der Schulter an. Ich lächle kurz, reibe meine Hände am Kleid trocken und sehe auf die Tanzfläche, wo sich einige Tänzer in Formation aufstellen. Darunter Maurice und Gia, jedoch in einem anderen Outfit.

"Wann hat er denn trainiert?" 

"Am Freitag."

"Was?" Julian lacht über meine Reaktion und zuckt gleichzeitig mit den Schultern. Kopfschüttelnd falle ich in das Lachen mit ein. So ist Maurice nun einmal. Immer nur tanzen im Kopf.

Die Musik beginnt und die sechs Tänzer, alles Tanzlehrer erklärt Julian mir, beginnen eine interessante Choreografie zu verschiedenen Liedern zu tanzen.

Fast zehn Minuten geht der Tanz, was kein Laie so einfach durchhalten würde.

Tosender Applaus begleitet die Tänzer aus dem Saal.

"Sie machen sich eben frisch und ziehen sich um. Möchtest du etwas trinken?" Dankend lehne ich ab. Meine Nervosität steigt und ich kann den Blick nicht von der Tür abwenden.

"Wartest du auf etwas Bestimmtes?" Erschreckt drehe ich mich mit erhobener Hand um, bereit eine Ohrfeige zu vergeben. Genauso schnell wird diese Hand eingefangen und ein Kuss darauf gedrückt.

"Gia verdammt. Woher...?" Lachend zieht sie mich an sich und gibt mir einen Kuss auf die Nasenspitze.

Wie von selbst beginnen wir uns zu bewegen. Mein Blick in ihren Augen gefangen führt sie mich. Ich blende alles um mich herum aus. Höre nur noch die Musik und spüre ihren Herzschlag unter der Hand, die sie dort festhält. 

Wir bewegen uns, als wenn es kein Morgen gibt. Es ist so leicht ihr zu vertrauen, dabei habe ich doch Maurice gesagt, dass das niemand kann wie er. Tja Gia ist nicht Maurice, sie ist besser. Dieser Gedanke lässt mich kurz straucheln, aber sofort ist sie da. Nimmt es auf und leitet die Bewegung um. Es ist atemberaubend. Ich habe das Gefühl zu schweben.

Ich weiß nicht wie lange wir tanzen. Nur unsere Atmung, die etwas schneller ist verrät, dass es mehr als ein Lied gewesen ist. Gia führt mich zu einem Tisch, an dem bereits Getränke auf uns warten. Nachdem ich einen großen Schluck Wasser getrunken habe, sehe ich mich nach meinen Begleitern um.

"Mitten auf der Tanzfläche. Die beiden sorgen fast für genauso viel Aufsehen wie wir. Meine Hand liegt warm in Gias die kleine Muster zeichnet.

"Woher weißt du wie du mich führen kannst?" Ich bin noch immer geflasht von meinen Gedanken.

"Maurice hat mir nur gesagt, dass ich dir vertrauen soll. Ich bin sehr überrascht. Normalerweise kann ich mich beim Tanzen nicht so fallen lassen. Meistens habe ich es mit Tanzanfängern zu tun. Es ist so erfrischend gewesen. Ich habe nicht eine Sekunde über die Schritte nachdenken müssen. Du bist mir einfach gefolgt." 

"Du hast mich gebannt. Dein Blick .... ich habe das Gefühl gehabt zu ertrinken und gleichzeitig zu fliegen. Das hat noch nicht einmal Maurice bei mir geschafft, obwohl wir Jahre lang zusammen getanzt haben."

Gia rutscht zu mir rüber, so dass wir jetzt nebeneinander und nicht mehr gegenüber sitzen.

Sanft liegt ihre Hand an meiner Wange.

"Was meinst du? Sollen wir von hier verschwinden und unser Rendezvous woanders fortführen?" Nervös beiße ich mir auf die Unterlippe, was sie mit einem Finger einfach so unterbindet. Schließlich nicke ich.

Beim Verlassen des Gebäudes sehen wir Julian und Maurice küssend in einer Ecke stehen. "Geht nach Hause Jungs. Auf Milena werde ich gut aufpassen." Sagt Gia laut genug, dass die beiden sich voneinander lösen und uns böse ansehen.

Meine Wangen glühen und ich will mich wegdrehen, da umarmt mich Gia und zieht mich an sich. Ohne nachzudenken schmiege ich mich an ihre Seite.

"Dann sehen wir uns morgen." Lacht Maurice, nimmt Julian in den Arm und verschwindet.

"Zu dir oder zu mir?" fragt mich Gia und nachdem ich ihr gesagt habe wohin steigen wir ins Auto und fahren.

Wer weiß wohin uns dieser Tanz noch führt.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.12.2019

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Entstanden ist die Story durch eine Mitmachaktion auf FB bei "Gay-fusioN". Durch die unterschiedlichsten Worte, kamen die unterschiedlichsten Texte. Dies ist mein Beitrag dazu und ich danke Nathan für die tolle Idee.

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