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1

Mitternacht. Einsam gehe ich durch die leeren Straßen. Schon vor Stunden will ich zu Hause sein, doch die Arbeit geht nicht so schnell vom Tisch. Gähnend blicke ich mich um. „Nachts sind die Straßen gefährlich.“, hat mein Vater mir immer wieder gesagt. Nie habe ich mir die Worte zu Herzen genommen, bis heute.

 

Für kurze Zeit versinke ich in Erinnerungen: Meine Eltern sind sehr früh gestorben. Ich war gerade einmal 15 Jahre alt, als sie einen Autounfall hatten. Es gibt einiges, was ich bereue, denn, ich war nie der nette und liebe Junge, den sie sich gewünscht haben. Erst mit ihrem Tod hat sich meine Einstellung geändert und ich bin das, was ich heute bin. Kopfschüttelnd reiße ich mich aus meinen Gedanken und blicke mich ehrfürchtig um.

 

Mit gerade einmal 26 Jahren bin ich einer der jüngsten Anwälte im hiesigen Gericht. Normalerweise verlasse ich das Büro gegen 20 Uhr und fahre mit dem Bus nach Hause. Doch um diese Uhrzeit fährt nichts mehr. Eine Gänsehaut läuft mir über Arme und Rücken, ich habe das Gefühl beobachtet zu werden. Aber in den dunklen Schatten ist nichts zu erkennen. Unbewusst beschleunige ich meinen Schritt, es hilft jedoch nicht. An der nächsten Gasse legt sich eine Hand auf meinen Mund und ich werde in die Dunkelheit gezogen. Nachdem ich aus der ersten Starre erwache, versuche ich, mich mit Händen und Füssen zu wehren, doch mein Gegenüber ist stärker. Mit Wucht drückt er mich an die Häuserwand, so dass mir die Luft weg bleibt. Dann liegt etwas Kaltes an meiner Kehle und lässt mich jegliche Abwehr unterbinden.

„Ich rate dir, den Fall fallen zu lasen. Sonst wird es dich dein Leben kosten!“

Ein Schmerz flammt auf und dann ist mein Gegenüber verschwunden. Wie betäubt greife ich mir an die Kehle, wo etwas Warmes und Klebriges hinterherläuft. Hastig verlasse ich die Gasse, ohne mich noch einmal umzudrehen. Renne die letzten vier Blöcke nach Hause.

 

„Was ist denn mit dir passiert?“ Kaum, dass ich das Büro betrete, werde ich von der Sekretärin angesprochen.

„Ich habe Halsschmerzen, deswegen der Schal. Scheine mich irgendwie erkältet zu haben.“ Eine lahme Entschuldigung, so mitten im Sommer. Das zeigt mir auch ihr Gesichtsausdruck. Doch letztendlich sagt sie nichts weiter dazu. Schnell begebe ich mich an meinen Schreibtisch.

 

Vier Stunden später bin ich der Klärung des aktuellen Falles immer noch kein Stück weiter gekommen. Es ist mir ein Rätsel, was der Angreifer von mir verlangt. Es handelt sich um einen Sorgerechtsfall, in dem einer Mutter die Zwillinge weggenommen werden sollen, wegen Drogenmissbrauch und Prostitution während die Kinder anwesend sind.

 

„Komm schon, Clark, Zeit für die Mittagspause.“, reißt mich Sven, ein Kollege und Freund, aus meiner Arbeit.

„Heute nicht, Sven. Irgendetwas stört mich bei der ganzen Sache. Ich will dem nochmal auf den Grund gehen.“ Irritiert blickt Sven mich an, geht jedoch wortlos weg. Es tut mir leid, Sven allein gehen zu lassen. Seit meinem ersten Tag in der Kanzlei vor drei Jahren sind wir befreundet. Obwohl Sven fast zwanzig Jahre älter ist als ich und er sich mehr wie ein Bruder benimmt, als ein Freund. Aber ich mag ihn. Davon abgesehen, dass er der einzige Freund und Vertraute ist, den ich habe.

 

Warum will jemand, dass ich den Sorgerechtsfall fallen lasse? Was ist dem Typen daran gelegen, das die Mutter die Kinder behält? Noch Stunden später grüble ich über den Fall, doch bin ich dem ganzen keinen Schritt weiter gekommen.

 

Wieder ist es weit nach zehn Uhr, das Büro ist bereits verlassen, als ich endlich nach Hause gehe. Kurz überlege ich, ob ich mir ein Taxi rufen soll, verwerfe jedoch den Gedanken und laufe los. Mein Gehalt ist zwar gut, dennoch möchte ich nicht sinnlos Geld ausgeben. Zügig gehe ich die Straßen entlang. An der Gasse renne ich vorbei, in der Hoffnung, dass mich niemand erwischt. Alles bleibt ruhig. Doch vor meiner Wohnungstür liegt ein Brief, ohne Absender. Zögernd blicke ich mich im Treppenhaus um, aber alles ist still. Ich nehme den Brief auf und betrete langsam die Wohnung. Erst, als ich in jedem Zimmer nachgesehen habe und überall Licht brennt, öffne ich den Brief in der Küche.

 

„Letzte Warnung!!! Gib den Fall auf. Verliere ihn, oder was auch immer. Sollte es anders ausgehen, wirst du bluten.“

Kein Absender, keine Unterschrift.

Kurz überlege ich, ob ich die Polizei rufen soll, doch verwerfe ich den Gedanken wieder. Ich werde alles tun, damit die Kinder in einer besseren Umgebung aufwachsen können.

2

 

Mittlerweile ist eine weitere Woche vergangen. Mein Prozess um die Stantonts-Kinder ist in die Endphase gekommen. Heute soll sich alles entscheiden. Die Jugendfürsorge ist vor Ort. Ich habe trotz Drohungen alles daran gesetzt, dass die Kinder es gut haben.
Das Urteil fällt: Die Kinder kommen in staatliche Obhut und die Mutter bekommt die Auflage, einen Entzug zu machen und sich eine vernünftige Arbeit zu suchen.

Zurück im Büro wird mir von allen Seiten gratuliert.
Dennoch will kein wirkliches Glücksgefühl in mir aufsteigen. Soll ich mich für die Kinder freuen, oder soll ich Angst wegen der Morddrohung haben?
Als ich das Büro verlasse, rufe ich mir ein Taxi und fahre nach Hause. Mit dem unguten Gefühl, dass heute noch etwas passieren wird, betrete ich meine Wohnung.
Das Licht funktioniert nicht. Mit dem Handy als Taschenlampe gehe ich durch die Räume: Alles ist still und nirgends ist eine Spur von einem Einbrecher!

 

Erleichtert atme ich auf, lasse mich auf die Couch sinken und will den Fernseher einschalten, als sich eine schwere Hand um meine Kehle legt. Ich will schreien, doch kein Laut kommt über meine Lippen. Der Versuch, nach dem Angreifer zu schlagen, wird durch eine Klinge an meinen Hals unterbrochen.
„Ich habe dich gewarnt, Miststück!“ Langsam wird der Druck an der Kehle fester, spüre, wie das Blut fließt.
„So leicht werde ich es dir nicht machen.“ Das Messer an meinem Hals verschwindet. Der Mann drückt mich auf die Couch nieder, beugt sich über mich. Mit einer Hand hält er mir den Mund zu, mit der anderen schneidet er mein Hemd auf der Brust auf. Hinterlässt blutige Spuren auf meiner Haut. Das Messer entfernt sich erst, als die Hose auseinander springt. Mit Händen und Füßen versuche ich, mich zu wehren, mit dem Ergebnis, dass die Klinge mir Wunden in Beinen, Armen und Oberkörper zufügt. Meine Schreie werden durch die Hand auf dem Mund unterdrückt. Als ich versuche, in die Hand zu beißen und den Kopf zur Seite zu drehen, ernte ich Schläge mit dem Messer im Gesicht.
Irgendwann versiegt mein Selbsterhaltungstrieb. Ich ergebe mich in die Folter und Qualen. Vor meinen Augen tanzen schwarze Flecke. Mein Sichtfeld wird immer kleiner bis schließlich alles schwarz ist und ich abdrifte. 

3

 

Schwerelos treibe ich in den Tiefen. Schmerzen spüre ich nicht. Gleichzeitig kann ich mich jedoch auch nicht bewegen. Lebe ich noch, oder bin ich tot? Ich weiß es nicht.
Immer wieder erreichen mich Geräusche und Stimmen, doch verstehe ich nicht, was sie sagen.

Wie viel Zeit vergeht? Ich weiß es nicht. Die Stimmen werden deutlicher, die Schmerzen kommen und gehen. Bewegen kann ich mich noch immer nicht.
„Wann wird er wieder aufwachen?“
„Das kann niemand sagen. Die Wunden heilen gut. Es ist seine Seele, die sich zurückgezogen hat. Das, was er erlebt haben muss, ist tief in ihm verankert. Ob er überhaupt jemals wieder so wird wie früher, weiß niemand!“

Ich will aufwachen, versuche mich aus den Tiefen zu befreien. Doch dauert es noch lange, bis ich schließlich meine Augen öffnen kann. Noch immer bin Ich in meinem Körper gefangen, obwohl ich mittlerweile alles hören und verstehen kann. In größeren Abständen kommt jemand vorbei, der mit mir redet. Die Ärzte und Schwestern kommen, um mich zu waschen und die Monitore zu kontrollieren. Aber noch immer ist es mir nicht möglich, aufzuwachen.

„Komm schon, Kumpel, es wird Zeit dass du zu dir kommst und erzählst, was vorgefallen ist. Wir machen uns langsam echt Gedanken!“
Sven. Woher ich weiß, dass er es ist, weiß ich nicht. Aber die Dringlichkeit in seiner Stimme lässt mich aufschrecken.

Immer heftiger wehre ich mich gegen die Fesseln, bis ich langsam zu mir komme.
„Sven…“ Es ist mehr ein Hauch, als das ich wirklich spreche. Dennoch scheint er es gehört zu haben. Er greift meine Hand und drückt sie sanft.
„Ich bin bei dir, Kumpel!“ Langsam bewegt sich mein Kopf, bis ich ihn anblicken kann. Es dauert einen Moment, bis ich ihn scharf sehe, doch endlich bin ich vollends zurück.

Kurze Zeit später erscheint eine Schwester, die meine Augen und die Monitore kontrolliert, dann bin ich wieder mit Sven allein.
„Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Was ist passiert, Clark? Uns hat die Polizei in der Kanzlei benachrichtigt, aber niemand weiß, was geschehen ist.“
Das Sprechen fällt mir noch schwer, ich bekomme keine zusammenhängenden Sätze raus.
„Schlaf erst mal. Ich komme dich morgen wieder besuchen. Vor der Tür steht ein Wachmann, zu deinem Schutz. Wenn etwas ist, ruf mich an. Du hast meine Nummer.“ Noch einmal drückt Sven meine Hand, bevor er aufsteht und das Zimmer verlässt. So gern ich es auch möchte, komme ich nicht mehr zur Ruhe. Sobald ich die Augen schließe, sehe ich den Angreifer über mir, habe das Gefühl, ihn überall zu spüren.


Stöhnend erhebe ich mich und stolpere ins anliegende Badezimmer. Die Dusche ist so einladend, dass ich die Verbände um meinen Körper vergesse und mich darunter stelle. Doch das Duschen gestaltet sich um einiges schwieriger als gehofft. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten und gebe schließlich auf. Kraftlos lasse ich mich zu Boden sinken, lehne mit dem Rücken an der Fliesenwand und das heiße Wasser prasselt auf meinen Kopf nieder.

4

 

Als ich wieder erwache liege ich im Bett. Ich stelle fest, dass meine Verbände neu sind und mein Haar trocken ist.

„Wenn ich es nicht besser wüsste würde ich sagen, du hängst nicht mehr an deinem Leben.“ Irritiert blicke ich Sven an. Vom Aussehen ist er es, doch passt die Stimme nicht zu ihm. „Zerbrich dir nicht den Kopf. Ich bin nicht Sven, aber du bist nah dran. Nenn mich Daron.“ Ich benötige noch eine Weile bis es mir endlich dämmert.

„Sein Bruder.“ Lächelnd nickt Daron mir zu.

„Sven steckt knietief in Arbeit. Also bat er mich, nach dir zu sehen. Er meinte, du könntest Dummheiten anstellen. Scheinbar hat er Recht. Ich habe dich unter der Dusche zusammengesunken vorgefunden.“

Bei dem Gedanken, dass er mich nackt gesehen hat steigt mir Hitze in die Wangen. Betreten senke ich die Lider. „Weißt du, Kleiner, es ist für mich eine willkommene Abwechslung, mich einmal nicht um mein Team kümmern zu müssen. Und das in meinem Urlaub.“ Lachend wirft er den Kopf in den Nacken.

„Wollte doch nur aufs Klo!“

„Und bist unter der Dusche gelandet. Mh, da bist du wohl irgendwie vom rechten Weg abgekommen.“ Betreten wende ich den Blick ab, so dass ich nicht sehe, wie er mir eine Hand auf den Arm legt. Ich zucke vor Schreck zusammen und sehe ihn wieder an.

„Jeder ist mal jung gewesen und hat Flausen im Kopf gehabt.“

„Aber...“

„Kein aber, Clark. Ich werde dich nicht mehr aus den Augen lassen, solange der Typ auf freiem Fuß ist. Erzähl mir, was alles passiert ist. Wie hat das ganze angefangen?“ Bei der Erinnerung muss ich schwer schlucken und beginne zu zittern. „Hey, ich bin hier.“ Ob beabsichtigt, oder unwissend streicht Daron sanft über meinen Arm. Seine Berührung ist so fremd. Noch nie wurde ich von jemandem berührt, außer einer Umarmung, zur Begrüßung von Sven. Aber da gibt es keine Gefühle. Nicht so, wie bei seinem Bruder. Ein eigenartiges Kribbeln macht sich in mir breit. Kopfschüttelnd versuche ich die Gefühle abzuschütteln und erzähle ihm, was passiert ist.

 

„Ein Typ hat mich kurz vor der Wohnung abgefangen. Dann ein Drohbrief und zum Schluss das hier.“ Mit einer Geste deute ich auf das Bett.

„Was wollte der Typ von dir? Kannst du ihn beschreiben?“ Missmutig schüttle ich den Kopf. „Gesehen habe ich ihn nie. Er war jedes Mal dunkel gekleidet, mit Kapuze. Auslöser ist wohl der Sorgerechtsfall, der gerade abgeschlossen wurde. Ich sollte ihn verlieren, aufgeben, was auch immer." Beruhigend legt Daron mir erneut eine Hand auf den Arm, was mir eine Gänsehaut bereitet.

„Weißt du, warum er das von dir verlangt hat? Gibt es Hintergründe über die Mutter, oder die Kinder?“

Ahnungslos zucke ich mit den Schultern, was mich schmerzhaft aufstöhnen lässt.

„Ruh dich aus, Clark. Deine Wunden brauchen Zeit und Ruhe zum Heilen." Will aufbegehren, doch drückt er mich sanft ins Kissen. „Ich habe nicht gesagt, dass ich dich allein hier lasse. Ich werde nicht von deiner Seite weichen, bis der Verbrecher hinter Schloss und Riegel ist.“ Dankbar seufze ich, wehre mich nicht mehr länger gegen Darons Hand und schließe zögernd die Augen.

 

Doch ist es kein angenehmer Schlaf. Mich quälen Albträume, vom Übergriff. Immer wieder schrecke ich auf und versuche, mich aufzurichten. Daron ist jedes Mal da und beruhigt mich mit leisen Worten und sanften Gesten.

 

Zur Morgenvisite bin ich nicht richtig wach. Benommen lasse ich die Untersuchungen, das Waschen und das Wechseln des Verbands über mich ergehen.

 

Nachdem die Schwester wieder raus ist, bin ich allein. Daron scheint gegangen zu sein. Erschöpft schließe ich die Augen. Wie kann in so kurzer Zeit so viel schiefgelaufen sein? Wie lange bin ich überhaupt schon im Krankenhaus? All diese Gedanken machen mich müde und ich schlafe ein. Ich bemerke nicht, dass jemand das Zimmer betritt. Erst als eine schwere Hand auf meinen Mund drückt und ich kaum noch Luft bekomme, reiße ich die Augen auf. Ein Mann mit Kapuze und Sonnenbrille steht über mich gebeugt.

„Du bist zäher, als ich dachte. Das ist jetzt die allerletzte Warnung! Ich gebe dir eine Woche, um den Fall wieder aufzunehmen und der Frau die Kinder zurückzugeben. Eine Woche, ansonsten brauchst du kein Krankenhaus mehr… Nie wieder!“ Während ich noch damit beschäftigt bin, das Gehörte zu verarbeiten, verlässt der Mann das Zimmer, als wäre nichts gewesen.

 

„Clark, was ist passiert?“ Noch immer zitternd findet mich Daron einige Zeit später im Zimmer vor. „Ich rufe eine Schwester, damit sie dir was geben kann.“ Seine Hand liegt bereits auf dem Rufknopf, als ich meine Hand auf seine lege und den Kopf schüttle.

„Keinen rufen.“ Ich mache einen tiefen, schmerzhaften Atemzug, bevor alles aus mir raussprudelt.

 

„Ich rufe Sven an. Er soll uns die Akten bringen und dann werde ich noch einen Freund anrufen, der uns helfen kann. Wenn einer etwas findet, dann er.“ Daron ist in Gedanken versunken. „Wir haben also eine Woche, um das Rätsel zu lösen und dich in Sicherheit zu bringen. Ich werde nicht zulassen, dass der Typ noch einmal an dich rankommt. Nicht, solange ich lebe.“ Dass er es ernst meint, sagt mir sein Blick, der voller Wärme, aber auch Zorn lodert. Zum ersten Mal sehe ich seine Augen. Auch, wenn er äußerlich seinem Bruder ähnlich sieht, sind die Augen anders. Während Svens tiefblau sind, leuchten Darons in einem warmen braun, fast Bernstein. Ich versinke regelrecht in diesen Tiefen, die mich endlich zur Ruhe kommen lassen.

5

 

In seiner Mittagspause taucht Sven bei uns auf. Daron hat, wie versprochen, kein einziges Mal das Zimmer verlassen.
„Wisst ihr, wie schwer es gewesen ist, die Akten zu bekommen? Ich hoffe, es gibt einen guten Grund, warum ihr mich in Schwierigkeiten bringt!“
„Es ist sicherer für dich, wenn du es nicht weißt, Brüderchen.“ Abfällig schnaubt Sven, doch widerspricht er nicht.
„Also gut. Spielt eure Spielchen, aber treibt es nicht zu bunt.“ Damit dreht sich Sven um und verschwindet aus dem Zimmer.
Noch bevor wir uns über die Akten her machen können, kommt ein Arzt zur Visite ins Zimmer herein.
„Es scheint Ihnen ja bereits wieder gut zu gehen. Sie lagen 3 Tage im Koma, sind jetzt gerade einmal 2 Tage wach und haben sich schon wieder Arbeit aufgehalst. Sie sollten sich schonen. Heut Nachmittag können sie nach Hause. Aber ich verordne ihnen trotzdem Ruhe. Für die nächsten 2 Wochen sind Sie definitiv noch krankgeschrieben. Und in 2 Tagen will ich Sie zur Kontrolle hier sehen.“ Damit verlässt der Arzt wieder das Zimmer.
„Drei Tage... was hat der nur mit mir angestellt?“ Skeptisch zieht Daron eine Augenbraue hoch. „Nein, ich will es nicht wissen. Ich will einfach nur weg hier!“

So sehr, wie ich mir gewünscht habe, endlich nach Hause zu kommen, so sehr bereue ich es jetzt.
Zitternd stehe ich im Wohnzimmer und blicke auf die Spuren, die auf der Couch sind. Das Blut ist mittlerweile getrocknet und hat dunkle Flecke zurück gelassen. Auch der Teppich ist versaut. Beruhigend legt mir Daron eine Hand auf die Schulter.
„Pack Sachen für die nächsten Tage zusammen und dann fahren wir zu mir. So lange, bis deine Wohnung gesäubert ist.“ Ich will widersprechen, doch Daron dreht mich an den Schultern zu sich rum. „Clark, es bringt nichts, wenn du dich hier quälst. Du wirst nicht zur Ruhe kommen können. Ich lasse ein Reinigungsteam kommen und wenn alles fertig ist, kannst du zurück.“ Ich weiß, dass das der beste Vorschlag ist, auch, wenn er mir nicht gefällt. Ergeben nicke ich und verschwinde im Schlafzimmer. Keine zehn Minuten später können wir die Wohnung bereits wieder verlassen.

Daron wartet bis ich in seinem Auto auf der Rückbank sitze, oder besser gesagt liege, bevor er selbst einsteigt.

„Wir werden nicht direkt zu mir fahren. Meine Eltern haben ein großes Grundstück, wo du im Moment besser aufgehoben bist.“

„Aber deine Eltern…“

„Sie sind nicht da Clark. Mach dir keine Sorgen.“

Eine Weile unterhalten wir uns noch, doch irgendwann fallen mir einfach die Augen zu. Es ist doch alles anstrengender als ich gedacht habe.

 

Schon wieder liege ich im Bett. Nur ist es diesmal nicht das Krankenhausbett, sondern ein großes Kingsize in Darons Schlafzimmer. Ich will protestieren, aber Daron erstickt meinen Protest im Keim.
Jetzt liegen meine Akten auf dem ganzen Bett verbreitet. Zusätzlich haben wir von Darons Informanten sämtliche Informationen über die Kinder und der Mutter bekommen, plus sämtlichem Hintergrund und Geheimnisse.
„Verdammt, wer hätte gedacht, dass die Kinder bereits so reich sind, bei so einer Mutter!“
„Scheinbar ist das der Grund, wegen dem Sorgerecht. Lies mal hier: Im Falle des Todes beider Kinder geht das Erbe an den Vormund über. Also braucht die Mutter doch nur das Sorgerecht zu haben und dafür zu sorgen, dass den Kindern ein tödliches Unglück passiert. Einfacher kann sie doch nicht an Geld kommen. Vor allem hätte auch der Zuhälter etwas davon.“
„Daron, die Kinder sind gerade einmal sechs Jahre alt. Es ist mir egal, was mit mir passiert, aber ich werde nicht zulassen, dass sie die Mädchen wiederbekommt. Wer weiß, was für traumatische Erlebnisse sie schon hinter sich haben…“
„Wer behauptet denn, dass sie die Kinder zurückbekommen soll?! Wir müssen dich im Moment einfach nur gut schützen. Beweise sammeln und dafür sorgen, dass die Polizei sämtliche Informationen bekommt. Da kann uns mein Team sehr gut helfen. Die haben überall ihre Hände mit im Spiel.“
„NEIN Daron, ich möchte nicht, dass noch mehr Leute in Gefahr gebracht werden. Es reicht schon, dass du bei mir bist!“
„Du kannst widersprechen, so viel du willst. Es wird nichts daran ändern. Mein Team und ich sind ausgebildet. Mach dir um uns nicht so viele Gedanken. Ich bin allein für deinen Schutz hier, sowie 7 Kollegen, die sich auf dem Gelände umsehen. Die restlichen 2 Teammitglieder suchen nach Spuren und beschatten Mutter und Zuhälter."

 

Mir fällt unser Gespräch im Auto wieder ein, als wir zur Ranch von Darons Eltern gefahren sind. 200.000 Hektar Land, was die Gebäude, Stallungen und Weiden umfasst. Wie sollen 7 Menschen DAS abdecken können?

 

Außer den Mitarbeitern ist derzeit niemand auf dem Gelände. Besucher sind erst für nächsten Monat gebucht. So können wir uns hier gut verstecken. Aber genau das ist etwas, das ich nicht will: Mich verstecken. Um auf Nummer sicher zu gehen, haben wir mein Handy in meiner Wohnung gelassen. Auch darüber bin ich also nicht zu orten. Sven weiß auch nicht, wo ich bin, nur, dass er mich über seinen Bruder erreichen kann.
Darons Handy klingelt. Nach einem kurzen Blick hebt er ab.
„Was gibt es?“ Was sein Gegenüber sagt, kann ich nicht verstehen, doch scheinen es nicht gerade angenehme Neuigkeiten zu sein. „Alles klar…. Nein, nein, ich hab hier alles im Griff. ... Ist gut, pass auf dich auf.“ Damit legt er auf und starrt noch sekundenlang auf sein Handy.
„Was ist passiert?“ Daron braucht eine Weile, eh er auf meine Frage reagiert.
„Einer meiner Männer… Jemand schleicht um das Gelände.“
„Aber...“ Ich will aufspringen, doch da ist Daron bereits über mir und drückt mich runter.
„Du bleibst genau hier, wo du jetzt bist. So kann ich dich am besten beschützen. Ich habe draußen meine Wachen, hier kann niemand rein!“
„Daron, er ist wegen MIR hier. Lass mich gehen und euch wird nichts passieren!“
„Sag mal, wie bescheuert bist du? Er hat bereits versucht, dich zu töten und du willst dich ihm stellen? Wenn du aus dem Weg bist, wird er einen Anwalt einschalten, den er schmieren kann!“ Langsam lässt er mich los und ich versuche sofort, aufzustehen. „Wenn du jetzt nicht still bleibst, sehe ich mich gezwungen, dich zu fesseln.“ Wie angewurzelt bleibe ich liegen und starre Daron an. Glaube ein Funkeln in seinen Augen zu erkennen. Röte überzieht meine Wangen und beschämt senke ich den Blick. Sanft legt Daron einen Finger unter mein Kinn und hebt meinen Kopf an. „Glaub mir, auch ich kann mir einen schöneren Grund vorstellen, warum ich dich fessle.“ Hat meine Scham meine Gedanken verraten? Dabei habe ich mir das doch nur bildlich vorgestellt, wie Daron über mir kniet und mich ans Bett fesselt, während wir beide Nackt sind.
Lächelnd drückt Daron mir einen Kuss auf die Stirn. Heftig atmend lehne ich mich ins Kissen zurück.

Auch zwei Tage später ist alles ruhig.

 

6

Die Tage vergehen und alles bleibt ruhig, auch Daron sieht keine Gefahr. Endlich bekomme ich ihn auch dazu, mit mir hinaus zu gehen.

Die Ranch ist riesig: Weite Grünflächen und große Stallungen.

Fast alle Ställe sind leer, da die Pferde in den Sommermonaten auf der Weide sind und nur die kranken und tragenden Tiere zurückbleiben.

Nur langsam kommen wir vorwärts, da meine Verletzungen mir mehr Probleme machen, als ich zugeben möchte. Daron scheint mich genau zu beobachten und zu wissen, wie es mir geht, denn nur eine halbe Stunde später dirigiert er mich gekonnt zurück zum Haus.

Als wir dem Haus näher kommen, hält mich Daron mit ausgestrecktem Arm auf.

„Warte, Clark, irgendwas stimmt hier nicht.“ Ohne zu zögern zieht er seine Waffe und greift gleichzeitig nach dem Handy, um sich mit seinem Team abzusprechen, als er merkt, dass ich stehen bleibe.

„Die Haustür steht offen. Seid vorsichtig. Geht nicht allein rein!" Ohne ein weiteres Wort ergreift Daron meinen Arm und führt mich vom Haus weg.

Kaum haben wir die Hausseite erreicht, ertönt ein Schuss. Noch bevor ich reagieren kann, liege ich bereits auf dem Boden und eine Hand presst sich auf meinen Mund um meinen Schrei zu dämpfen.

Kurz darauf ertönen weitere Schüsse.

 „Egal was ist, bleib still liegen. Ich bin in deiner Nähe.“ Damit erhebt Daron sich und verschwindet aus meinem Sichtfeld. Kurz überlege ich aufzustehen, doch zwinge ich meine Angst hinunter und verharre regungslos.

 

Erneute Schüsse, laute Rufe, dann unendliche Stille. Auch Minuten später ist nichts mehr zu hören.

„Clark, komm hoch. Der Typ ist verschwunden. Er hat Verstärkung am Tor gehabt!“ Damit ergreift Daron meine Hand und zieht mich hoch, direkt an seine Brust. Besitzergreifend umschlingt er mit seinem Arm meine Taille, während er mit seiner freien Hand meine Hand an seine Brust drückt und dort festhält. Für den Bruchteil einer Sekunde gebe ich dem Verlangen nach, mich an ihn zu schmiegen, doch unterbricht er zu schnell die Verbindung und tritt einen Schritt zurück.

„Wir sind hier nicht sicher. Ich bringe dich ins Haus zurück.“

Doch endet sein Weg nicht im Wohnzimmer, wie Ich gedacht habe. Er führt mich weiter, die Treppe hinauf und direkt ins Schlafzimmer.

„Habe Ich dir vorhin sehr wehgetan?“ Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass er meinen Sturz meint.

„Nein, alles gut. Nur, woher wissen die, wo Ich bin?“ Ein Zittern durchzieht meinen Körper. Unbemerkt ist Daron näher gekommen, so nah, dass er seine Hände auf meine Schultern legen kann und mich an seine Brust zieht, als ich keine Gegenwehr aufbringe. Eine Hand legt sich auf meinen Rücken, während die andere durch meine Haare streicht. Seufzend schließe Ich die Augen, es ist zu lange her, dass mich jemand einfach nur in den Arm genommen hat. Elf Jahre, um genau zu sein.

 

Ich versinke in Gedanken. Eine der letzten Erinnerungen mit meinen Eltern, kurz vor dem Unfall, steigt in mir auf: Ich werde bei einem Diebstahl erwischt, verspreche meinen Eltern, dass das nie wieder vorkommen wird und entschuldige mich dafür.

 

Ich zucke zusammen, als Darons Stimme mich aus meinen Gedanken reißt.

„Pack deine Sachen zusammen, wir werden in ein anderes Haus umsiedeln. Meine Jungs und wir werden in 3 Autos reisen und verschiedene Ziele anfahren. In der Nacht werden wir uns wieder zusammenfinden."

„Daron, er wird uns immer finden. Das ganze muss ein Ende haben!“

„Das wird es, Clark, ich verspreche es dir. Morgen wird alles vorbei sein.“ Seufzend schließe ich erneut die Augen und sinke noch tiefer in seine Arme. Sanft löst sich Daron von mir, was mir ein empörtes Geräusch entlockt. Lächelnd hebt er mein Gesicht mit einem Finger an und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. Gerade mal eine kurze Lippenberührung und doch stöhne ich frustriert auf, als er sich von mir löst.

„Ich warte unten mit den Jungs auf dich.“ Damit dreht er sich um und verschwindet aus dem Zimmer.

 

7

 

Irritiert sehe ich die Tür an. Was ist da zwischen uns gerade abgelaufen? Bin ich wirklich so durch den Wind, dass ich mich auf einen gefährlichen “was-auch-immer“ einlasse? Seufzend sinke Ich aufs Bett nieder und reibe mir mit den Händen übers Gesicht.

Doch jetzt ist keine Zeit für Gedanken. Daron will abreisen. Schnell packe ich meine Sachen zusammen und mache mich auf den Weg. Bereits auf der Treppe höre ich die anderen Männer. Doch was sie sagen, kann ich nicht verstehen. Sie sprechen in einer anderen Sprache, die ich nicht kenne.

Unten angekommen nimmt mir einer der Männer die Tasche ab und geht mit zwei anderen zum Auto. Drei weitere Männer steigen in das letzte Auto und Daron, ich und ein weiterer Mann, steigen ins mittlere Auto.

Egal, wie aufgewühlt ich bin, schon nach wenigen Minuten überfällt mich die Müdigkeit und ich schlafe auf der Rückbank ein.

 

Ich erwache, weil es so stark schaukelt. Irritiert öffne ich die Augen und blicke direkt in ein paar, mir sehr bekannte, braune Augen.

„Guten Morgen, Schlafmütze. Du machst es mir aber nicht gerade einfach, dich zu beschützen. Nur gut, dass ich Verstärkung bei mir habe.“ Ich versuche, mich zu bewegen, doch halten mich Darons Arme fest. „Wenn du nicht still hältst, kann es passieren, dass du runter fällst!“ Prompt erstarre ich in seinen Armen und Daron trägt mich bis ins Haus.

„Du hättest mich auch absetzen können.“, beschwere ich mich bei ihm, woraufhin er mir nur lächelnd durch die Haare wuselt.

Daron zeigt mir mein Zimmer und ich ziehe mich ins Bad zurück. Von den anderen Männern fehlt jede Spur. Sie sind wie Schatten, was mich veranlasst zu denken, dass sie eine Art Soldaten sein müssen.

Doch bleibt mir nicht viel Zeit zum Nachdenken. Als ich einige Minuten später das Bad verlasse, steht Daron mit einer dampfenden Tasse vor mir.

„Du musst dich ausruhen. Meine Jungs kümmern sich um deine Sicherheit.“ Noch bevor ich es richtig realisieren kann liegt seine Hand auf meinem unteren Rücken und Daron dirigiert mich zum Bett. Erst, als ich zugedeckt bin, reicht er mir die Tasse. Zögernd probiere ich, doch kann ich nichts anderes schmecken als die kräftigen Kräuter, die mich innerhalb von Sekunden schläfrig machen.

„Ich werde bei dir wachen, Kleiner.“ Damit nimmt mir Daron die Tasse ab, setzt sich neben mich aufs Bett und zieht mich so zu sich, dass ich mit dem Kopf in seinen Schoß sinke.

Sanft streicht er mir über den Rücken, bis ich schließlich einschlafe.

Mehrmals in der Nacht werde ich, durch Albträume geplagt, wach. Doch immer ist Daron bei mir, berührt mich sanft und beruhigt mich mit leisen Worten, bis ich wieder einschlafe.

8

 

Selbst nach einigen Tagen ist Ruhe in dem kleinen Haus. Von Darons Leuten ist nur ab und an etwas zu sehen, wenn sie zum Ausruhen ins Haus kommen. Ansonsten bin ich mit Daron allein.  Er irritiert mich. Ich fühle mich auf eine Art zu ihm hingezogen, die ich für falsch halte, denn sein Bruder ist mein Arbeitskollege und Freund. Aber auch Daron macht kein Geheimnis daraus, dass er mehr für mich empfindet. Ich bin nicht nur ein Auftrag für ihn.

Von unserem Angreifer ist auch nichts zu hören. Entweder hat er erkannt, dass er nicht an mich rankommt, oder er weiß nicht, wo ich bin.

Doch die Tage vergehen und die Frist ist vergangen, um in Berufung zu gehen. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Kinder kommen in eine Pflegefamilie, mit Zeugenschutz.

Als Daron schließlich Sven benachrichtigt, ist er nicht wirklich erfreut. Er lässt das Gespräch auf Lautsprecher laufen, so kann ich alles mit hören.

„Ihr hättet vor 5 Tagen beim Arzt sein sollen. Verdammt, Bruder, ich habe gedacht, du bist pflichtbewusster. "

„Sven, halt mal die Luft an! Die Umstände haben es uns nicht ermöglicht, zum Krankenhaus zu fahren. Aber ich versichere dir, dass es Clark gut geht und wir in den nächsten Tagen beim Arzt vorbeischauen. Aber vorerst ist es noch nicht sicher. Mein Team, das auf Spurensuche ist, hat herausgefunden, dass hinter den Anschlägen wohl der Zuhälter selbst steckt. Wir müssen ihn außer Gefecht setzen, bevor er noch einen Anschlag versucht!“

„Einen was? Daron, geht es euch gut? Ist jemandem etwas zugstoßen, von euch und deinen Leuten?"

„Alles gut, Großer. Wir mussten unseren Zufluchtsort wechseln, aber seitdem ist alles ruhig. Ich möchte nur nicht riskieren, dass Clark jemandem vor die Augen kommt, solange es nicht sicher ist. Ich melde mich bei dir, Sven.“ Und ohne auf eine Antwort zu warten, legt Daron auf.

„Daron, wie lange soll das Spiel noch gehen? Ich will zurück zu meiner Arbeit, in meine Wohnung, ich will mein Leben zurück!"

„Bald,  versprochen.“ Damit legt er eine Hand an meine Wange. Ohne darüber nachzudenken schmiege ich mich hinein und schließe die Augen. Das nächste, was ich spüre, sind seine Lippen, die erst über meine Stirn und dann über meine Augen und Nase zu meinem Mund wandern. Sein Kuss ist leicht, nur ein Testen auf meine Reaktion.

Ich sollte ihn von mir schieben, ihm sagen, dass es falsch ist. Doch stattdessen greifen meine Hände in seine Haare, ziehen ihn näher zu mir ran. Daron lacht leise, bevor sich seine Zunge in meinen geöffneten Mund schiebt. Sein Geschmack ist berauschend, nach Kirsch und Pfefferminz, was mir wiederum ein Stöhnen entlockt. Auch wenn der Kuss fordernd und voller Leidenschaft ist, löst sich Daron nach einigen Minuten von mir. Wir beide sind außer Atem und der Blick, mit dem er mich ansieht, ist so intensiv, dass ich schließlich die Augen schließe und mich abwenden will, doch Darons Hand an meinem Hals lässt es nicht zu. „Glaub nicht, dass das alles gewesen ist.“ Während er das sagt, streicht sein Daumen über meine Unterlippe. „Ich möchte noch viel mehr, aber es ist der falsche Zeitpunkt. Wir müssen uns etwas überlegen, um den Angreifer in eine Falle zu locken. Aber wenn alles überstanden ist, dann nehmen wir uns Zeit für uns zwei.“ Damit drückt er mir einen sanften Kuss auf die Stirn und verlässt die Hütte, um sich mit seinen Leuten zu beratschlagen.

 

9

 

Weitere drei Tage hocke ich in der Hütte fest. Diesmal jedoch hauptsächlich alleine. Daron hat sich vor drei Tagen bei mir verabschiedet. Dafür ist einer seiner Leute ständig im Haus. Ich verziehe mich in mein Zimmer. Möchte über alles nachdenken. Doch schiebt sich Daron und die Gefühle, die er in mir auslöst, immer wieder in den Vordergrund.

Endlich kommt der Erlösende Anruf.

„Clark, ich komm dich abholen. Wir haben alles Erledigt. Vom Zuhälter und der Mutter droht keine Gefahr mehr.“ Daron klingt erleichtert, genauso, wie ich mich fühle, als er das sagt. Tief atme ich bei den Worten durch. „Pack deine Sachen zusammen. Ich bin in ein paar Minuten da.“ Ohne ein weiteres Wort legt er auf. Irgendetwas stimmt jedoch nicht. Von Unruhe getrieben stürme ich aus dem Zimmer. Von meinem Bodyguard fehlt jede Spur. Vorsichtig mache ich die Haustür auf, aber auch hier ist von ihm nichts zu sehen, oder zu hören. Wie von selbst gleiten meine Finger über das Handy, welches mir Daron dagelassen hat und wählen die Nummer von Sven.

„Hilf mir. Daron ist nicht da und irgendwas stimmt nicht. Es war nicht Daron der mich angerufen hat. Obwohl es seine Stimme war...“ Noch bevor Sven etwas erwidern kann, habe ich aufgelegt. Gehe zurück ins Haus und versperre die Tür. Danach suche ich die Kammer auf, der einzige Raum, der kein Fenster hat und schließe mich darin ein.

Sekunden, Minuten, oder gar Stunden vergehen, ohne, dass sich etwas tut. Doch dann hallen Schüsse durch das Haus. Ich beiße mir auf die Faust und verharre in der hintersten Ecke, um ja keinen Ton von mir zu geben. Schwere Schritte kommen langsam der Kammer näher. Dann entfernen sie sich wieder, nur, um einige Zeit später wieder lauter zu werden. Als ich bereits denke, dass er weg ist, knallen Schüsse direkt auf die Tür. Ich zucke zusammen und ein Schrei entweicht meiner Kehle.

„So leicht machst du es mir?“, werde ich von einer tiefen Stimme mit höhnischem Gelächter begrüßt. Bedrohlich baut sich eine große dunkle Gestalt vor mir auf und kommt langsam immer näher. In seiner Hand eine Pistole die auf mich gerichtet ist,  was ich selbst im Dunklen erkennen kann. Das Licht strahlt auf seinen Rücken.

 

„Weißt du, eigentlich wollte ich ja nur das Geld von den Gören, aber du machst es mir verdammt schwer.“ Er hebt die Hand, richtet die Waffe direkt auf meinen Kopf. Ein Schuss ertönt und ich Zucke zusammen. Doch der Schmerz bleibt aus. Langsam sackt mein Gegenüber zusammen. Hinter ihm steht eine weitere Gestalt, die mit langen Schritten auf mich zukommt und mich in ihre Arme zieht. Der am Boden liegende Mann wird nicht weiter beachtet.

„Oh Gott, Clark, jag mir nie wieder so eine Angst ein. Ich dachte ich würde dich verlieren. Als Sven mich angerufen hat und ich Lars nicht erreicht habe, rechnete ich mit dem Schlimmsten."

 

Mittlerweile sind wir im Wohnzimmer angekommen und Daron setzt sich aufs Sofa, zieht mich auf seinen Schoß. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Lars, mein Bodyguard, verarztet wird. Ich bin erleichtert, dass er noch lebt. Der Leichnam des Angreifers wird in einem schwarzen Sack wegtransportiert. Doch im nächsten Moment bin ich wieder von Daron abgelenkt. Seine Hände streichen unablässig über meinen Körper, bis sie auf meinem Gesicht ruhen und er mich zu einem intensiven Kuss zu sich zieht. Ich vergesse alles um mich herum. Schlinge die Arme um seinen Rücken und seufze in den Kuss hinein.

„Leute, sucht euch ein Zimmer!“ Erschrocken richte ich mich auf, als ich Svens Stimme hinter mir höre. Daron lässt mich aber nicht abrücken, ganz im Gegenteil. Er zieht mich noch enger an sich, als ob er mich beschützen möchte und ich berge mein Gesicht an seinen Hals.

„Was machst du hier?“ fragt Daron ganz unbeeindruckt.

„Nachdem ich dich angerufen habe, hab ich den Standort ausfindig gemacht, von dem Clark mich angerufen hat. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich meinen Freund allein zurück lasse, wenn er Hilfe braucht. Ich hab ja nicht gewusst, dass ich euch so innig vorfinde.“

„Das wird dir in Zukunft öfter passieren, denn ich habe nicht vor, deinen Freund so schnell wieder aus den Augen zu lassen.“

„Sorge gut für ihn. Ich möchte keine Klagen hören. Vor allem möchte ich mich nicht zwischen euch entscheiden müssen, wenn ihr euch bekriegt!"

„Keine Angst, Bruder. Ich werde gut auf ihn aufpassen, denn er ist etwas ganz Besonderes.“ Er untermalt seine Worte, legt mir die Hand auf den Hinterkopf und drückt mich sanft an sich.

Mir ist das alles so peinlich, dass ich die Hände in seinen Rücken kralle und die Augen schließe. Das Gespräch zwischen den Brüdern ist so voller Gefühl. Deutlich ist zu spüren, wie viel ich ihnen bedeute. Aber auch sie bedeuten mir viel. Sven als guter Freund und Kollege und Daron.. .? Ja, was empfinde ich für ihn? Darf ich fühlen, was ich fühle? Aber die beiden sind sich einig, also ja ich lasse alles zu und werde es genießen.

Was Daron in mir auslöst, sind Gefühle, die ich nicht beschreiben kann. Sie sind überwältigend und ich habe das Gefühl, zu schweben. Seufzend schmiege ich mich noch dichter an ihn, möchte am liebsten in ihn hineinkriechen.

„Warum müssen große Brüder immer so fürsorglich und beschützend sein?“ Daron schüttelt lächelnd den Kopf. „Komm, wir gehen nach Hause, Kleiner. Jetzt ist wirklich alles vorbei.“ Damit stellt Daron mich vorsichtig auf die Beine und als er steht, legt er den Arm um meine Schulter und gemeinsam gehen wir zu seinem Auto und fahren nach Hause.

Epilog

 

„Wie habt ihr es angestellt? Du lässt Clark einfach so in einer Hütte zurück und ihn den Lockvogel spielen, ohne, dass er davon etwas weiß? Ganz ehrlich, Daron, ich habe dich für klüger gehalten.“

„Ja, der Leichtsinn spielt eine tragende Rolle, das gebe ich zu. Aber das Ergebnis kann sich doch sehen lassen.“

Sven ist außer sich, als Daron ihm von der Falle erzählt. Ich kann es ja verstehen, denn ich habe am Anfang genauso reagiert.

Daron beginnt zu erzählen: „Stell‘ dir vor, wir finden heraus, dass der Zuhälter hinter den ganzen Anschlägen steckt und müssen uns etwas einfallen lassen. Ganz bewusst halte ich mich also 3 Tage vorher von Clark fern, laufe durch die Straßen und spiele selbst den Lockvogel. Immerhin hat der Zuhälter mich ja bereits zusammen mit Clark gesehen. Ich bin auch am Haus, damit er den Weg kennt, jedoch weiß er nie wirklich, ob Clark da ist, oder nicht. Der Anruf kommt vom Zuhälter. Er schaltet Lars aus und setzt dann den Anruf mit einem Stimmenverzerrer. Nun muss der Rest des Teams auf der Hut sein. Ich kann schließlich nicht zulassen, dass Clark etwas passiert. Nicht, nachdem ich ihn gerade erst kennengelernt habe.“

Amüsiert beobachte ich, wie Sven die Augen verdreht.

„Okay, das hab ich jetzt verstanden. Aber ich hoffe nicht, dass so etwas noch einmal vorkommt. Verdammt, Daron, ein Menschenleben setzt man nicht einfach aufs Spiel.“

„Wem sagst du das, Bruderherz.“ Damit umschlingt Daron meine Schulter, zieht mich dicht an sich und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Seufzend schmiege ich mich an ihn.

 

Es vergehen zwei Monate und mein Leben läuft wieder normal weiter.

Der Zuhälter ist Tod. Sein Geschäft? Es ist aufgelöst. Sämtliche Männer verhaftet und die Frauen in jeweilige Einrichtungen gebracht, damit sie wieder ein normales Leben aufbauen. Einige Frauen, wie die Mutter der Zwillinge, die das ganze freiwillig gemacht haben, sind verhaftet worden. Die meisten nur mit einer Bewährungsstrafen und Auflagen, andere wie die Mutter, mit Gefängnis.

Für die Kinder ist ein gutes neues Zuhause gefunden worden, in dem sie sich sehr wohl fühlen.

Und ich?

Ich bin mittlerweile fest mit Daron zusammen. Die Gefühle, die er in mir auslöst, sind mir größtenteils immer noch fremd. Aber es ist aufregend. Was Daron alles mit mir anstellt, sowohl emotional, als auch körperlich, ist für mich ein wahres Wunder. Es ist etwas, das ich noch nie vorher gespürt habe und ich genieße es in vollen Zügen.

Meine Wohnung ist gekündigt. Die Erinnerungen sind zu stark, dass ich keine Nacht mehr dort schlafen kann. Selbst eine Stunde Aufenthalt ist für mich unmöglich.

Die Freundschaft zu Sven ist unverändert. Wir arbeiten noch immer in derselben Kanzlei. Immer wieder stacheln wir uns gegenseitig an, wer wohl der bessere Anwalt ist. Aber im Grunde ist alles nur ein Spaß für uns. Wir lieben den Beruf und unsere Freundschaft nach dem Vorfall ist, wenn überhaupt möglich, noch enger geworden.

Im Grunde kann ich sagen, ich bin mit meinem Leben zufrieden, so wie es derzeit läuft und ich genieße es, wo ich nur kann. Mit einem guten Freund, einer tollen Arbeit und einem Partner, den ich über alles liebe und der mir zeigt, was ich ihm bedeute.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.12.2017

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