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1

Es gab eine Zeit, wo ich alles bereut habe.

Mir Entschuldigungen gesucht habe für etwas was ich sage.

Es entspricht der Wahrheit, dennoch fühle ich mich schlecht, weil ich dich damit verletzt habe.

Durch deine ganze Art und Weise habe ich lernen müssen, dass ich nichts Wert bin. Du hast mich am Leben gehalten, hast mich abhängig von dir gemacht. Nach und nach hast du mich zerstört. Hast mir meinen Willen genommen, mein ganzes Sein. Ich habe alles verloren, fast mich ganz.

Unser, nein mein Hund gibt mir alles, hilft mir damit ich mich nicht vollends verliere.

Es dauert lange, es ist kaum noch etwas von mir übrig, als ich den Sprung schaffe.

Ich atme auf, beginne wieder zu leben. Auch wenn mein Hund mich wegen einer Krankheit verlassen muss, beginne ich wieder von vorn.

Hole mir Stück für Stück mein Leben zurück.

Bis heute, da scheint mich meine Vergangenheit wieder einzuholen. Dein neuer Partner beleidigt und bedroht mich. Wirft mir Dinge an den Kopf, die nicht der Wahrheit entsprechen. Doch wenn ich eines gelernt habe, dann dass ich mich nicht mehr unterkriegen lasse. Ich bin innerlich gestärkt, habe neue Kraft und Selbstvertrauen.

Wenn ihr meint, mir das Leben zur Hölle machen zu wollen, nein das schafft niemand mehr. Ich bin mein eigener Herr, entscheide selbst was für mich das Richtige ist. Lasse mich von niemandem kontrollieren.

Ab jetzt lebe ich mein Leben, wie ich es für richtig halte. Entscheide selbst, was ich tue und möchte. Niemand schreibt mir mehr vor, was ich darf und was nicht.

 

„Dean warum quälst du dich ständig mit der Vergangenheit?“ Kräftige Hände legen sich auf meine Schultern. Ein gehauchter Kuss in meinem Nacken.

Seufzend lehne ich mich an den starken Körper meines Partners und schließe die Augen. Warum soll ich ihn belügen, wenn auch er die Bilder im Spiegel gesehen hat.

„Ich kann es einfach nicht verstehen, wie ein Mensch so verderbt sein kann.“

„Was hast du erwartet? Hexen sind verflucht unter den Menschen. Carlos hat dich nur benutzt als er erfahren hat was du bist. Er hat dich zu seinem Spielzeug gemacht, wann immer er will.“ Die Hände wandern von den Schultern auf meine nackte Brust. Brayns Kopf nimmt den Platz auf meiner Schulter ein.

So blicken wir gemeinsam in den großen Spiegel, unser Tor zur anderen Zeit. Eine Regenbogenspirale breitet sich aus, macht langsam Bilder sichtbar einer nahen Vergangenheit. Es sind Brayns Erinnerungen an den Tag als ich ihn das erste Mal begegnet bin. Erinnerungen, die er durch mich hindurch auf den Spiegel projiziert.

 

Es ist ein kalter Tag im Februar. Schon einige Nächte streife ich umher, immer auf der Hut vor Carlos Wachen. Mein Ausbruch hat ihn erzürnt und sicherlich wird er alles daran setzen mich wieder zubekommen.

Meine Kleidung hängt mir wie Fetzen vom Leib, ich habe keine Schuhe, keinen Mantel. Zitternd hocke ich in einer Ecke einer kleinen Gasse.

Ohne dass ich ihn hab kommen sehen, steht Brayn plötzlich vor mir. Fast zwei Meter groß und sicherlich einhundertdreißig Kilo Muskelmasse. Instinktiv weiche ich zurück, doch Brayn ist schneller, packt mich am Oberarm und zieht mich mit einem Ruck auf die Beine. Erst denke ich, dass er zu Carlos Leuten gehört, doch dem ist nicht so. Brayn bringt mich in sein Haus, steckt mich in die Badewanne voll heißem Wasser und bringt mir eine deftige Brühe. Ich verstehe sein Verhalten nicht und nehme nur sehr argwöhnisch alles an. Auch als er mich anschließend in ein Bett verfrachtet und meine wunden Füße versorgt, bleibe ich noch lange wach. Bei jedem leisen Geräusch zucke ich zusammen. Es dauert lange, bis mich schließlich doch die Müdigkeit übermannt.

 

„Und du denkst, ich will dir etwas Böses. Dabei habe ich es nur gut gemeint.“

„Das weiß ich heute, aber damals?“ Brayn haucht einen Kuss auf meinen Hals.

„Ich weiß Dean. Ich habe dich unter schrecklichen Umständen gefunden. Lange hättest du es auf der Straße nicht mehr durchgehalten.“ Niedergeschlagen schüttle ich den Kopf. An die Vergangenheit zu denken bedrückt mich jedes Mal aufs Neue.

„Doch du hast mir noch immer nicht erzählt woher du gewusst hast wo ich gewesen bin.“ Erhoffe ich eine Antwort? Nein, denn die verschweigt er mir immer.

„Wenn die Zeit naht Dean, dann wirst du es erfahren.“ Ist alles was Brayn dazu sagt.

Seufzend gebe ich nach. Unterbreche die Übertragung auf dem Spiegel und erhebe mich von der Bank, die davor steht.

„Ich sollte mich für die Arbeit fertig machen. Die Vampire hassen es, wenn ich sie warten lasse.“

Doch bevor ich mich abwenden kann zieht mich Brayn an seine Brust und verschließt meine Lippen mit den Seinen.

„Aber pass auf dich auf Dean. Die Vampire riechen deine Angst.“

„Welche…?“ Doch da zieht Brayn mich schon wieder an seine Brust und dringt stürmisch mit seiner Zunge in meinen Mund. Stöhnend drücke ich mich noch fester an ihn, bis er abrupt den Kuss löst und mich lächelnd von sich schiebt. Empört hole ich Luft, drehe mich um und flitze los. Die harte Erektion ist das Letzte was ich jetzt gebrauchen kann.

 

Relativ pünktlich schaffe ich es zur Polizeistation, wo mich die Vampire bereits ungeduldig erwarten.

„Wie mir scheint hat ihr Gefährte nicht die Absicht gehabt sie gehen zu lassen!“ Stellt der Kleinere der beiden Männer fest. Scheinbar können Vampire nicht nur Angst, sondern auch Erregung riechen. Dieser Gedanke lässt mich schlagartig erröten.

„Entschuldigen sie Sir. Mein Gefährte hat sich einen Scherz auf meine Kosten erlaubt.“ Versuche ich eine lahme Entschuldigung hervorzubringen. Lachend stößt der Größere den Kleineren an.

„Als wenn wir dieses Spiel nicht auch getrieben haben Pierré.“ Der angesprochene murmelt etwas, dreht sich dann jedoch um und geht in sein Büro.

„Nehmen sie es ihm nicht übel, er hat schon wieder zulange kein Blut zu sich genommen.“

„Barrow“, schreit Pierré den anderen Vampir an, bleibt jedoch nicht stehen.

Eilig gehen wir dem Kleineren hinterher und schließen die Tür zum Büro.

„Jetzt zu der Angelegenheit, warum ich sie gerufen habe Donlow. Sie müssen für uns eine Fährte aufnehmen. Jedoch wissen wir nur etwas über die Vorgehensweise und die Opfer. Es gibt keinerlei Hinweise auf den Täter.“

„Das alles klingt für mich plausible, dennoch stelle ich mir die Frage warum ausgerechnet ich?“

„Es ist ganz einfach. Die Forensiker finden absolut nichts. Die Methode des Mörders scheint so simple und doch sehr kompliziert. Ich habe sie kommen lassen, weil sie der Beste sind im Aufklären der Vergangenheit.“ Jetzt komme ich doch ins Stocken. Ich soll bei der Polizei arbeiten?

„Seit wann braucht die Polizei eine Hexe?“ Platze ich ohne nachzudenken heraus.

„Die Polizei braucht eine Hexe, wie sie auch Vampire benötigt. Auch in der heutigen Zeit sind die Menschen hilflos ohne das Übernatürliche.“ Seufzend lasse ich mich auf einen Stuhl sinken. Ich merke schnell, dass ich aus dieser Situation nicht mehr rauskomme.

„Ich danke ihnen Donlow. Barrow bring ihm die Dokumente, die wir bereits haben und macht euch dann an die Arbeit.“ Damit dreht sich Pierré zur Tür.

„Was machst du Pierré?“ Hält Barrow ihn auf.

„Ich geh mir einen Kaffee holen.“ Lächelt Pierré und verlässt den Raum. Kopfschüttelnd dreht sich Barrow zu mir um.

„Wenn er seinen Kaffee nicht bekommt…“ lässt der Vampir den Satz offen stehen. „Ich heiß übrigens David, “ stellt er sich vor.

„Dean“

„Also Dean, dann mal los.“ Damit holt David mehrere Ordner aus dem Schrank und breitet sie vor mir aus.

„Die Überfälle haben vor zwanzig Jahren begonnen. Man hat es damals, für Bagatelle gehalten, doch die Verbrechen haben sich vermehrt. Irgendwann ist man dahintergekommen, dass die Überfälle zusammen gehören können. Doch bis heute fehlt jede Spur. In manchen Jahren sind es mehr gewesen, in anderen weniger Verbrechen. Zwischenzeitlich vergingen Jahre ohne einen Mord.“

„Ich verstehe jedoch immer noch nicht, wie ich behilflich sein kann.“

„Tauche in die Vergangenheit. Sehe dir die Überfälle als Zeuge an und ziehe Schlussstriche.“

„Ich kann das nur bei mir machen. Für so etwas brauche ich meinen Spiegel.“

„Kein Problem. Nur muss ich dabei sein. Die Unterlagen dürfen nicht aus der Hand gegeben werden.“ Widerstrebend nicke ich. Mir gefällt es nicht, dass mir außer Brayn jemand zusieht.

 

David hinterlässt Pierré eine Nachricht auf dem Handy und begleitet mich nach Hause.

Brayn ist mittlerweile zur Arbeit gegangen, so dass ich die Wohnung für mich allein habe.

„Wie machst du das eigentlich? In die Vergangenheit blicken.“ Fragt mich David unvermittelt.

Doch was soll ich ihm darauf antworten?

„Ich mache es einfach. Es ist meine Gabe. Ich konzentriere mich auf die Informationen, Gedanken oder sonst etwas was mir zur Verfügung steht und schon geht es los.“ Damit greife ich mir die erste Akte und setze mich auf den Hocker vor dem Spiegel. Sobald ich die Fakten habe, erwacht der Spiegel zum Leben.

 

Es ist Winter. Ich befinde mich in einer kleinen Sackgasse. Der Weg hinaus ist versperrt mit Mülltonnen und einem großen schwarzem Auto. Drei Pärchen stehen in der hintersten Ecke, wie Schafe zusammengedrängt. Vier Männer steigen aus dem Auto. Ein fünfter im schwarzen Anzug folgt. Er sieht adlig aus, mit dem langen Mantel, Gehstock und Hut. Langsam schreiten die fünf auf die Menschen zu. Was als nächstes folgt ist kaum vorzustellen. Die Männer werden von den Frauen getrennt. Während der Boss sich einen vornimmt, nehmen jeweils zwei Männer einen der anderen. Der Boss scheint mit dem Mann zu reden. Beugt sich dicht an den Kopf des Mannes. Im nächsten Moment wehrt sich der Mann, versucht sich aus dem Griff zu befreien, doch ohne Erfolg. Seine Bewegungen werden langsamer bis er endgültig erschlafft. Achtlos lässt der Boss ihn zu Boden fallen. Währenddessen haben die Männer es ihm gleichgetan. Auch da wehren sich die Opfer, aber wenn man schon gegen einen Mann nicht ankommt, wie sollen sie gegen zwei ankommen. Die Frauen haben sich zwischenzeitlich in eine Ecke zusammengekauert, versuchen keinen Ton von sich zu geben. Aber die fünf Männer haben sie nicht vergessen. Die Frauen werden grob an den Armen gepackt und mitgezogen. Nachdem alle im Auto sind verschwimmt das Bild. Weder die fünf Männer noch das Auto kann richtig erkannt werden.

In der Gasse zurückgelassen liegen die drei Männer, bis drei Tage später die Müllabfuhr kommt und die Polizei verständigt wird.

 

Damit unterbreche ich die Übertragung, schließe die Augen und lehne mich seufzend zurück, bis ich vom Hocker falle. Grummelnd richte ich mich auf, reibe mir den Kopf und geh mir in der Küche ein Glas Wasser holen.

„Wow“, David ist merklich beeindruckt. Steht immer noch neben dem Hocker und starrt auf dem Spiegel.

„Ich hoffe du willst nicht weitermachen!“ Erschreckt mich Brayns Stimme von der Tür. Ertappt drehe ich mich zu ihm um, lasse beinahe das Wasserglas fallen, würde es nicht auf dem Tresen stehen. „Dean, was auch immer du tust, lass es.“

„Brayn halt dich da raus. Es ist mein Job den ich mache.“

„Dean sieh dich an, du bist am Ende.“

„Nein Brayn, ich werde mir noch einen Tatort ansehen!“ Brayn will zu einer Antwort ansetzen, doch ich bin schneller. Mit wenigen Schritten stehe ich vor ihm, die Hände an seinem Gesicht. „Vertraue mir, so wie ich darauf vertraue dass du mich im richtigen Moment auffängst.“ Zaghaft berühren meine Lippen die Seinen, streift meine Zunge dazwischen. Stöhnend gibt Brayn seinen Widerstand auf. Umgreift meine Taille und zieht mich dicht an sich. Erleichtert mir den Zugang in seinen Mund, als er ihn einen Spalt öffnet. Sofort schießt seine Zunge hervor, berührt meine und umspielt sie. Das David uns beobachten könnte, habe ich aus meinen Gedanken gestrichen. Im Moment zählen nur Brayn und sein Vertrauen.

„Vertrauen“, haucht Brayn mir atemlos ins Ohr und lässt mich widerstrebend los. Dennoch lässt er mich nicht mehr aus den Augen. Stellt sich hinter mir, als ich mich wieder vor dem Spiegel setze. Wortlos reicht mir David die nächsten Unterlagen. Nach wenigen Minuten des Durchblätterns konzentriere ich mich auf den Spiegel.

 

Ich stehe mitten auf der Tanzfläche eines Clubs. Eine Gruppe von vier Männern tanzt um eine Frau. Alles sieht unscheinbar aus, wäre da nicht die Frau die sich ängstlich umsieht. Sie versucht einen Weg aus der Männertraube zu finden. Doch die Männer stehen zu dicht, greifen immer wieder nach ihren Armen und drücken ihre Gesichter an ihren Hals. Die Bewegungen der Frau werden langsamer, fahriger. Die Männer dirigieren die Frau gekonnt von der Tanzfläche in eine abgelegene Ecke. Dort verschwimmen die Gestallten mit der Dunkelheit. Es ist kaum noch etwas zu erkennen. Irgendwann verlässt ein Mann nach dem anderen die Ecke. Macht den Blick frei auf eine Frau, die regungslos auf dem Sofa liegt. Ein Arm berührt den Boden. In der Armbeuge sind unzählige Einstiche zu erkennen.

 

Irritiert löse ich den Blick vom Spiegel. Sehe David fragend an. Wortlos reicht er mir die dritte Akte. Brayn kann sich ein knurren nicht unterdrücken, doch bleibt er still hinter mir stehen. Legt die Hände auf meine Schultern und übermittelt mir so seine Kraft.

Vorsichtig öffne ich die Akte und beginne.

 

Ich stehe mitten auf einer Lichtung im Wald. Schreiend und sich hektisch umblickend kommen mir Frauen aus dem Wald entgegengerannt. Es ist eine Hetzjagd zum Vollmond. Männer folgen, greifen nach dem weiblichen Geschlecht. Die Frauen gehen nach und nach zu Boden. Versuchen sich mit Schlägen und Tritten zu befreien, doch ohne Erfolg.

Sobald eine Frau am Boden liegt, stürzen sich die Männer auf sie. Greifen nach Händen und Füßen. Vergraben ihre Gesichter in Hals und Oberkörper. Nach wenigen Minuten ist alles vorbei. Die Männer suchen sich ein neues Opfer, lassen die Frau oder das was noch übrig ist, achtlos liegen.

 

Ohne Vorwarnung unterbreche ich das Geschehen. Schaffe es noch gerade so in die Küche und übergebe mich  in den Mülleimer. Immer und immer wieder muss ich würgen. Magensäure verätzt mir die Speiseröhre. Kräftige Arme fangen mich auf, als ich drohe das Gleichgewicht zu verlieren. Dirigieren mich zur Couch, wo ich mich ohne zu zögern hinlege.

„Es tut mir leid Dean.“ Davids Stimme ist kaum mehr ein flüstern.

„Sie sollten gehen Sir. Dean hat für heute genug getan. Melden sie sich morgen Mittag wieder.“ Brayn bleibt freundlich, doch duldet er keine Widerworte.

Das nächste was ich höre ist eine Tür die leise ins Schloss fällt.

Im nächsten Moment hockt Brayn auch schon wieder vor mir. Legt mir einen feuchten Lappen auf die Stirn und reicht mir ein Glas Wasser. Aber ich will jetzt nichts trinken. Wie eine Kugel rolle ich mich zusammen. Erkenne erst dass ich weine, als der Stoff unter meinem Gesicht nass wird.

Behutsam werde ich hochgehoben und ins Schlafzimmer aufs Bett gelegt. Nachdem Brayn eine leichte Decke über mich legt, nimmt er mich in den Arm und bettet meinen Kopf auf seine Brust. Da mir das Sprechen noch immer schwer fällt, schließe ich einfach nur die Augen und genieße die wohltuenden Berührungen.

2

„Versprich mir, diesen Fall nicht allein zu machen!“ So verzweifelt habe ich Brayn nur einmal erlebt. Vor zwei Jahren, als ich ihm das erste Mal begegnet bin.

„Brayn ich muss das machen, es ist…“

„Aber nicht allein“, fällt er mir ins Wort. „Ich möchte dabei sein, wenn du den Spiegel benutzt.“

„Was macht dir solche Angst?“ Versuche ich die Wogen zu glätten. Doch Brayn weicht mir aus.

„Versprich es mir!“

„Du musst selbst Arbeiten und ich kann nicht warten…“

„Ich habe mir frei genommen. Ich bin also immer in deiner Nähe.“ Seufzend schließe ich die Augen. Drücke mein Gesicht gegen die Hand, mit der er meine Wange berührt.

„So gern möchte ich wissen, was dich bedrückt. Ich weiß jedoch, dass du es mir nie sagen wirst.“ Ich spreche, ohne die Augen dabei zu öffnen.

„Vertraue darauf, dass ich es gut mit dir meine und dich begleiten möchte, solange es geht.“ Misstrauisch öffne ich jetzt doch die Augen, sehe direkt in eine braune Tiefe die alles zu verschlucken droht. Keiner von uns wendet den Blick ab. Wir sitzen eine gefühlte Ewigkeit so da, bis es an der Tür klingelt. Dennoch dreht Brayn den Kopf nur zögernd weg, als er aufsteht um nachzusehen.

Kurz darauf höre ich Davids Stimme und beschließe auch aufzustehen.

 

„Guten Morgen Dean. Ich hoffe, dass alles wieder in Ordnung ist.“

„Guten Morgen David. Entschuldige wegen gestern. Ich bin einfach auf die Brutalität der Täter nicht vorbereitet gewesen.“

„Auf sowas kann man selbst als Polizist nicht vorbereitet sein. Es gibt nicht viele Wesen, die zu solche Massaker fähig sind.“

Diese Andeutung reicht aus, um mir bewusst zu sein, mit welcher Art Mörder ich es hier zu tun habe.

„Gibt es denn viele Vampire die dazu fähig sind?“

„Es liegt in der Natur eines jeden. Die Kunst ist es, damit umgehen zu können. Ich kann dir bis jetzt nicht sagen dass wir eine Spur haben, dafür sind die Morde zu unterschiedlich. Bis jetzt sieht alles danach aus, als wären die Vampire nur auf der Durchreise gewesen.“

Seufzend setze ich mich auf den Hocker vor dem Spiegel. Ich muss Brayn nicht sehen, um zu wissen, dass er in meiner Nähe ist.

„Also muss ich weiter vor den Mord blicken. Damit wir vielleicht einen Zusammenhang erblicken können.“

Zustimmend reicht mir David eine neue Akte.

Es ist das eine, direkt den Mordfall anhand der Fotos zu sehen, aber etwas gänzlich anderes noch eine halbe Stunde bis Stunde vor dem Tod das Leben zu beobachten.

 

Ich sehe das Opfer in einer Bar, zwei Blocks vom Fundort. Er sitzt ganz allein da und obwohl er von mehreren Gästen angesprochen wird, scheint er niemanden zu kennen. Er möchte auch mit den anderen Leuten keinen Kontakt haben. Immer wieder dreht er sich suchend um, doch scheint er nichts zu erblicken was seine Miene ändern lässt. Egal wie lange der Mann schon wartet, nach einer halben Stunde steht er auf, bezahlt und geht niedergeschlagen hinaus.

Nach zwei Blocks löst sich eine Gestallt aus den Schatten. Furcht bildet sich auf dem Gesicht des Mannes. Dennoch rennt er nicht weg. Ruhig atmend geht er auf die Gestalt zu, bleibt direkt vor ihr stehen und senkt den Kopf. Danach geht alles ganz schnell. Ein Biss in den Hals und die Gestalt trinkt sich scheinbar satt. Anschließend beißt er sich selbst ins Handgelenk und drückt es dem Mann an den Mund. Trotz des Blutaustausches geht der Mann zu Boden, wo er sieben Stunden später tot aufgefunden wird.

 

Irritiert blicke ich David an.

„Er scheint versucht zu haben, den Mann zu wandeln, doch aus irgendeinem Grund hat es nicht funktioniert. Vielleicht ist sein Blut unrein oder er ist einfach noch zu jung gewesen.“

Wortlos reiche ich David die Unterlagen zurück, woraufhin er mir direkt eine neue Mappe reicht.

 

Hier ist das Verhalten der Gestalt fast wie bei dem Opfer davor. Er wartet auf eine einzelne Person, in dem Fall eine Frau. Spricht sie an und nachdem sie scheinbar zu seiner Zufriedenheit reagiert beißt er sie. Auch gibt er ihr hinterher seine Ader, damit sie trinken kann. Diesmal ist der Vampir aber nicht vorsichtig genug. Er steht zu dicht an einem Lichtkegel, so dass ich die Statur und Haare gut erkennen kann. Das Gesicht liegt jedoch im Dunkeln. Wieder misslingt die Wandlung und der Vampir lässt die Frau achtlos am Wegrand liegen.

 

Kopfschüttelnd reiche ich David die Akte zurück, die er annimmt, nachdem er Block und Stift zur Seite gelegt hat.

„Du konntest mitzeichnen?“ Frage ich unnötigerweise, habe ich die Skizze doch gesehen.

„Hoffen wir, dass wir auch noch sein Gesicht sehen werden.“ Erwidert David nur und reicht mir eine neue Mappe.

Doch alle Anstrengungen bleiben Ergebnislos. Drei Spurensuchen an einem Tag, mehr ist nicht drin. Am nächsten und drei Tage später ist noch alles grau. Außer dem einen Mal ist vom Mörder keine Spur.

Pierré setzt mich unter Druck, doch egal wie sehr David versucht ihn zu beruhigen, schreit Pierré mich weiter an.

„Weißt du Pierré, wenn du meinst du kannst es besser, bitte. Dann verschwinde ich von hier.“ Wütend stehe ich auf, knalle die Akte auf den Tisch und verlasse das Büro, ohne auf die Rufe der beiden Vampire zu achten. Ich stürme geradewegs aus der Polizeistation, um jemanden in die Arme zu rennen.

„Ach nein, wen haben wir denn da? Bist du nicht die kleine Hexe, die Carlos durch die Lappen gegangen ist?“

 Die Hände fest um meine Oberarme, schiebt mich mein Gegenüber einige Zentimeter von sich. Eiskalte Augen ohne jegliche Gefühle starren mich an. Jeglicher Versuch mich aus seinem Griff zu befreien scheitert. Umso mehr ich zapple, umso kräftiger packt er zu. Nur mit Mühe kann ich einen Schrei zurück halten.

„Weißt du Kleiner, wärst du nicht entwischt, hätte sich Carlos mir nie zugewendet. Dennoch lässt du uns nicht in Ruhe. Es gibt keinen Tag, an dem Carlos nicht über dich spricht. Als du gegangen bist, hast du ihn verflucht.“ Speit mein Gegenüber wütend. „Verschwinde freiwillig oder ich helfe dem ganzen etwas nach. So einen Jüngling wie dich kann ich für meine Zauber gerade gut gebrauchen.“ Damit stößt er mich von sich. Unsicher drehe ich ihm den Rücken zu und gehe langsam weg. Immer darauf bedacht, dass er mich jederzeit ergreifen kann.

„Ich weiß wo du wohnst Jüngling, also sei auf der Hut!“ Bei diesen Worten beginne ich zu rennen. Entgehe nur knapp einem entgegenkommenden Auto. Renne einfach drauf los, bis mich erneut zwei Hände ergreifen.

Sofort schreie ich los. Versuche wild um mich zu schlagen, nur hält der Griff mich eisern gefangen.

„Dean beruhige dich. Ich bin es Brayn, “

Nur langsam sickert die Bedeutung der Worte zu mir durch. Schließlich bleibe ich heftig keuchend still stehen, sehe Brayn voller Panik ins Gesicht.

„Komm mit nach oben, dann können wir in Ruhe reden.“ Wie ferngesteuert lasse ich mich von Brayn führen, bis ich mit einer dampfenden Tasse Tee auf der Couch sitze.

„Was ist geschehen? Du bist gerannt als wenn der Teufel hinter dir her ist.“

Ich blicke Brayn nicht an. Konzentriere mich auf den heißen Tee und versuche so die Worte des Mannes zu vergessen. Eine Hand legt sich leicht auf meinen Unterarm.

Ein pulsieren geht von der Stelle aus. Sanfte Hitze fließt wie Lava durch meinen Körper. Unweigerlich entspanne ich mich. Ich brauch bei Brayn nicht reden. Er weiß auch so wie er mir helfen kann. Stelle die leere Tasse auf den Tisch und lege mich, mit dem Kopf auf seine Beine, hin. Beruhigend streicht er mir durchs Haar, bis ich irgendwann einschlafe.

 

3

Ich erwache durch die Türklingel. Verschlafen reibe ich mir die Augen.

Ich brauche einen Moment, bis ich realisiere das ich im Bett bin.

Undeutliches Gemurmel kommt zu mir rüber. Brayn hat die Tür geöffnet und redet mit David, erkenne ich, als die zwei Männer das Wohnzimmer betreten.

„… nein Dean hat gestern überhaupt nicht mehr geredet.“

„Es tut mir leid Brayn. Pierré ist zu lange trocken gewesen. Er hat seine schlechte Laune an Dean ausgelassen.“

„Nur das allein löst ihn nicht so auf. Irgendetwas muss noch vorgefallen sein.“

„Vielleicht hat es was mit dem komischen Typen auf sich, in den Dean gerannt ist.“

„Ein komischer Typ?“

„Ja aber ich kann dir nicht mehr darüber sagen. Sie haben sich eine Weile unterhalten, dann ist Dean weitergerannt.“

Mit einem Mal geht die Schlafzimmertür auf und zwei besorgte Augenpaare sehen mich an. Seufzend hole ich Luft.

„Es ist nichts passiert. Ich bin aufgebracht gewesen. Der Typ hat mich kurz angeschnauzt und dann bin ich weiter gerannt. Das ist alles.“

Am Blick beider Männer erkenne ich, dass mir niemand glaubt. Ohne ein weiteres Wort schlage ich die Bettdecke zurück und stehe auf. Mache mich schnell im Badezimmer etwas frisch bevor ich eine neue Akte von David verlange.

 

Es ist helllichter Tag. Wir befinden uns in einen Einkaufszentrum am frühen Nachmittag. Das Zentrum ist gut besucht, alle sind Sommerlich gekleidet. Ein Kind reißt sich von seiner Mutter los und rennt in einen Spielzeugladen. Suchend blickt die junge Frau sich um, hat sie doch vom Verschwinden des Jungen nichts mitbekommen. Gerade als sie sich vom Platz wegbewegen will, kommt ein Mann aus dem Geschäft. An der Hand führt er den Jungen. Seufzend rennt die Mutter zu ihnen, geht vor dem Kind auf die Knie und zieht es in eine herzliche Umarmung. Der Mann bleibt still neben den beiden stehen, hält noch immer die Hand des Jungen. Es dauert eine Weile, bis die Mutter das bemerkt. Sofort steht sie auf, ergreift die andere Hand des Kindes und will es mit sich ziehen. Doch der Mann lächelt nur und schüttelt den Kopf. Lässt seine freie Hand über das blonde Haar des Jungen gleiten. Verunsichert blickt der Junge mit seinen blauen Augen von der Mutter zum Mann und wieder zurück.

 

Das Mal auf meiner Schulter beginnt zu pulsieren, so als wenn es mich warnen möchte. Doch beachte ich es nicht weiter, konzentriere mich auf die Akte und den Spiegel.

 

Besitzergreifend lässt der Mann die Hand vom Kopf des Jungen zu dessen Schulter wandern. Bohrt die Fingernägel so fest in das zarte Gewebe bis sich dunkle Flecken auf dem T-Shirt abzeichnen. Die Mutter schreit den Mann an, versucht verzweifelt den Jungen an sich zu ziehen, doch bleibt der Griff des Mannes bedrohlich. Er scheint irgendetwas zu sagen, denn plötzlich holt die Mutter aus und verpasst ihm eine Ohrfeige, so dass der Kopf sich in meine Richtung dreht und ich sein Gesicht deutlich erkennen kann.

Anhand der Haarlänge und Statur können wir ihn mit den letzten Morden in Verbindung bringen. Aber jetzt endlich haben wir auch sein Gesicht. Ein spitzes Kinn, schmale Lippen, schmale und spitzzulaufende Nase und tiefe dunkle Augen. Der Teint ist blass und Bartstoppeln bilden sich an Wange und Kinn. Er strahlt etwas Düsteres aus.

Wie gefährlich er wirklich ist erkennt man, als eine Gestalt mit Base Cape hinter der Frau auftaucht und sie ohne jegliche Schwierigkeiten erwürgt.

Anschließend setzt die Gestalt sie auf eine Bank in der Nähe. Der Mann beugt sich währenddessen zum Jungen und beißt ihn in die Schulter. Das Kind ist starr vor Schreck und lässt sich wie in Trance von den beiden Männern fortführen.

 

Eine Hand auf meine holt mich wieder in die Realität zurück. Habe nicht bemerkt, wie ich wieder zur Narbe gegriffen habe. Auch dass ich weine, merke ich erst, als die Tränen mein Shirt benässt.

„Ich glaub wir haben ihn. Dean das ist einfach wunderbar. Wir sind dir so dankbar. Ich glaube deine Dienste werden wir jetzt nicht mehr benötigen. Wenn du magst halten wir dich auf den laufenden.“ David ist so euphorisch, dass er meinen Gefühlsausbruch gar nicht bemerkt.

Rasch sammelt er alles zusammen und verabschiedet sich. Mir soll es Recht sein, möchte ich gerade nichts weiter, als das Ganze zu verstehen.

 

Auch in den nächsten drei Tagen mache ich nichts weiter, als vor mir hin zu grübeln. Wenn sich Brayn nicht um mich kümmern würde, würde ich nichts essen oder gar trinken.

Das Schöne an Brayn ist, er stellt keine Fragen. Ob deswegen nicht, weil er mich schützen möchte, oder weil er die Antworten bereits kennt. Ich habe schon lange aufgehört Fragen zu stellen, da ich eh keine Antworten bekommen würde. Und im Moment ist es mir ganz Recht, dass Brayn schweigt.

Am vierten Tag soll es vorbei mit meiner Ruhe sein.

„Dean, David ist am Telefon. Sie schicken gerade ein Auto um dich abzuholen. Irgendetwas scheint nicht ganz zu stimmen, sagt er. Der Mörder ist kein Mörder. Kannst du damit etwas anfangen?“

Grummelnd und ohne Brayn eine Antwort zu geben, verschwinde ich ins Badezimmer. Nach einer schnellen Dusche und Rasur ziehe ich mich an und komme zwanzig Minuten später aus dem Bad.

„Keine Ahnung was David meint, aber ich werde es mir einmal anhören. Wird sicher nicht lange dauern.“ Damit verlasse ich die Wohnung und warte unten auf das Auto.

 

Knapp eine dreiviertel Stunde später sitze ich in Pierrés Büro. Wieder einmal liegen einige Dokumente auf dem Tisch verteilt.

„Wer auch immer er ist, er ist nicht unser Mann.“

Noch bevor ich Fragen stellen kann, reicht mir David eine Akte. Wieder ein Mord. Diesmal erst von letzter Nacht.

„Unser Mann sitzt hier seit zwei Tagen in Untersuchungshaft. Er hat also ein stichfestes Alibi.“ Erklärt David und lehnt sich mit dem Rücken an die Wand.

„Also lasst ihr ihn laufen?“

„Wir haben keine andere Wahl. Zwei Tage, länger können wir ihn nicht festhalten ohne Beweise.“

„Wenn alles beschlossene Sache ist, was mache ich dann hier?“

„Wir benötigen weiterhin deine Hilfe Dean. Ich würde gerne gleich mit zu dir kommen, damit wir uns den Mord ansehen können. Ich möchte wissen wie unser Mann in dieses Spiel passt. Irgendwas müssen wir übersehen haben.“

„Wir haben so viele Morde gesehen David. Glaubst du wirklich noch an den Zufall? Aber bitte, fahren wir zu mir.“

Ohne auf weitere Antwort zu warten verlasse ich das Büro. Ich warte vor dem Gebäude auf David, als der mutmaßliche Mörder neben mir stehen bleibt.

„Dich noch einmal lebend und frei von Ketten zu sehen… Hexe du überraschst mich. Haben wir deinen Geist nicht genug gefoltert? Spielst du jetzt lausiger Polizist? Die anderen werden sich freuen zu hören, dass du wohlauf bist.“ Noch bevor ich auch nur ansatzweise reagieren kann ist der Mann verschwunden.

Zitternd lasse ich mich zu Boden sinken, wo David mich kurz darauf findet, hochzieht und wortlos zu seinem Auto dirigiert.

Das ich wieder zu Hause bin, realisiere ich erst, als Brayn mir ein Glas Wasser in die Hand drückt. Zitternd und tief Luft holend erzähle ich den Männern, was vor dem Präsidium passiert ist.

„Verdammt“, flucht Brayn ungehalten, doch weiter sagt er nichts.

Als ich mich soweit beruhigt habe lasse ich mir Davids Akte geben und setze mich vor den Spiegel.

 

Die Statur des Mörders bleibt unter einem schwarzen Umhang verborgen. Die Frau wird lebendig an den Fußfesseln nach oben gezogen. Es ist ein großer, alter Baum, deren Äste die zierliche Gestalt problemlos halten können. Erst als sie hängt werden die Venen an den Handgelenken und die Halsschlagader aufgeschnitten. Man lässt sie einfach ausbluten, wobei das Blut in Behältern aufgefangen und später mitgenommen wird.

Kopfschüttelnd unterbreche ich die Verbindung und gebe David die Akte zurück.

„Gebt mir Bescheid, wenn ich noch etwas für euch tun kann.“ Damit stehe ich auf und verschwinde unter die Dusche.

 

Wie David die Wohnung verlässt bekomme ich nicht mit. Als ich aus dem Bad und ins Schlafzimmer gehe steht Brayn in der Tür.

„Du weißt dass wir reden müssen!“ Es ist keine Frage und als ich wortlos an ihn vorbei gehe, ergreift Brayn meinen Arm.

„Dean, dieser Mann ist einer von Carlos Leuten. Wenn er jetzt auch noch mit den Morden zu tun hat, bist du in Gefahr. Verdammt du musst es David sagen. Es kann nicht sein, dass du früher oder später selbst zum Opfer wirst.“

Obwohl Brayns Worte einleuchtend sind, weigere ich mich der Vorstellung anzunehmen.

„Brayn, was soll mir passieren? Ich arbeite hier zu Hause und draußen bin ich nur in Begleitung.“ Ich wage es nicht, Brayn anzusehen. Befürchte ich doch, dass er meine Angst sehen kann, die ich zu verbergen versuche. Seufzend lässt Brayn mich los und ohne ihn anzusehen verschwinde ich im Schlafzimmer.

 

Lange währt die Ruhe nicht.

Es ist gerade einmal kurz nach drei in der Nacht, als jemand wie wild an der Tür klingelt. Verschlafen bekomme ich mit wie Brayn durch die Wohnung läuft und kurz darauf wird das Licht im Schlafzimmer ohne Vorwarnung angemacht.

„Dean steh auf. David ist hier und es ist dringend. Du musst sofort deinen Spiegel benutzen!“

Als das Wort Spiegel fällt, stehe ich bereits vor dem Bett und ziehe eine Jogginghose an.

„Dean, ich danke dir.“ Begrüßt mich David verlegen. „Es ist eine unchristliche Zeit, doch wir haben einen Zeugen bei einem Mord. Gerade einmal vor einer Stunde wurde unser mutmaßliche Mörder selbst zum Opfer.“

Damit streckt mir der Polizist einige Fotos entgegen, die ich wortlos ergreife und mich auf den Hocker setze.

 

Unser Mann streitet sich mit einem unbekannten. Schließlich macht dieser eine wegwerfende Geste und verschwindet aus dem Gebäude. Schatten huschen durchs spärliche Licht. Der Mann schaut sich nervös um, so als ob er auf jemanden wartet. Im nächsten Moment wird er scheinbar gerufen, denn er dreht sich ruckartig in eine andere Richtung. Blickt geradewegs zu einer Frau mit Gewehr. Noch ehe er reagieren kann löst sich ein Schuss und er sackt in sich zusammen. Ein weiterer Mann löst sich aus den Schatten und gemeinsam verlassen Mann und Frau den Ort.

 

„Wer ist der Zeuge?“ Fragt Brayn unvermittelt, da er keinen weiteren Beobachter entdeckt hat.

„Wir schätzen, dass es sich um den ersten Mann handelt. Er will anonym bleiben.“

„Schätzen heißt nicht wissen. Genauso gut kann es sich um den letzten Mann handeln.“ Kommentiert Brayn verbissen.

„Du hast Recht. Solange wir keine Anhaltspunkte haben können wir in dieser Richtung nicht weiter ermitteln. Für uns stellt sich nur die Frage, warum er umgebracht wird. Er ist der Hauptverdächtige, wer will ihn umbringen?“

„Vielleicht die, die die tatsächlichen Vampire und Mörder sind. Schließlich haben wir ihn überführt. Die anderen müssen die Vorsichtsmaßnahme getroffen haben, bevor er uns etwas sagen kann.“

„Das ist richtig Brayn. Doch woher sollen sie wissen, dass er noch nicht geredet hat? Da er sie erkannt hat Dean, bitte ich darum, dass sie vorsichtig sind. Momentan macht es den Anschein, dass man sie einschüchtern will. Gibt es jemanden aus ihrer Vergangenheit, dem sie so etwas zutrauen würden?“ Wie auf Kommando sacke ich in mich zusammen. Nur Brayns Hand auf meiner Schulter hält mich davon ab, hysterisch zu werden.

„Aus der Vergangenheit gibt es nichts, womit wir nicht selbst fertig werden würden.“

„Das will ich nicht bezweifeln Brayn, jedoch möchte ich einfach nur das sie beide vorsichtig sind. Wenn die Morde nur der Anfang sein sollte, möchte ich nicht wissen, wozu die Leute noch in der Lage sind.“

Damit verabschiedet David sich und verlässt die Wohnung.

„Hör mal Dean, egal wer dahintersteckt, du bist stark genug um selbst damit klar zu kommen. Du bist nicht mehr der kleine verängstigte Junge der sich nichts zutraut. Glaube an dich und meine Worte. Ich werde dir den Rücken stärken und dir Kraft geben.“

Da sich Brayn vor mich gekniet hat, lehne ich meine Stirn an seine, schließe die Augen und hole tief Luft.

Sanft gleiten seine Hände über meine Schultern, die Arme hinab und wieder hinauf. Seine Stirn ruht weiter an meiner während seine Lippen leise Beschwörungsformeln flüstern.

Ich bin versucht mich gehen zu lassen. Brayns Berührungen und Worte wirken zu lassen und alles Geschehene wenigstens für einen Moment zu vergessen.

Doch zu drängend ist das Gefühl, dass ich etwas vergesse. Etwas, das vielleicht nicht mit dem Fall, aber dafür mit mir zu tun hat.

Entschlossen schiebe ich Brayn von mir. Sein Blick ist zwar verwundert, dennoch erkenne ich Verständnis in seinen Augen.

Seufzend steht er auf und geht aus dem Zimmer. Lässt mir Raum zum Nachdenken.

Lange brauche ich nicht, bis mir ein Ereignis wieder einfällt. Ich konzentriere mich auf den Spiegel und gehe die Erinnerung solange durch, bis ich die Zusammenhänge  entschlüsseln kann.

Gerade als ich mich leicht benommen vom Hocker erhebe, kommt Brayn ins Zimmer zurück.

„Es wird Zeit das du etwas in den Magen bekommst Dean. Du sitzt bereits seit Stunden vor dem Spiegel.“ Erschreckt sehe ich meinen Partner an.

„Warum hast du mich nicht früher da weggeholt?“

„Weil alles in Ordnung gewesen ist. Du schienst friedlich zu sein. Ich habe nicht lange nach dir gesehen, nur immer mal wieder kurz. Aber da alles ruhig ist, habe ich dich gelassen.“

Als ich einen wackeligen Schritt auf Brayn zugehe, ist seine Hand sofort an meinem Arm. So stützt er mich, bis ich in der Küche am Tisch sitze.

Das Essen, was er zubereitet hat, schmeckt und stärkt mich gleichermaßen.

„Darf ich fragen, über was du dir Gedanken gemacht hast?“

Beginnt Brayn das Gespräch, als wir zu Ende gegessen haben.

„Ich weiß nicht, ob das irgendwie den Fall betrifft. Das was der Vampir, also das letzte Opfer, mir gesagt  hat ist mir nicht mehr aus den Kopf gegangen. Ich will einfach wissen, woher er mich kennt. Du kennst doch noch die Erinnerung von Mutter und Kind oder?“ Ich warte bis sich Brayn erinnert und nickt, erst dann spreche ich weiter.

„Dieser Junge bin ich gewesen. Ich musste mit ansehen wie man meine Mutter umgebracht hat. Danach hat mich der Vampir zu Carlos gebracht. Carlos hat dafür gesorgt, dass ich den Vampiren immer zur Verfügung stehe. Er hat mich geschlagen, misshandelt und erniedrigt. Ich bin gerade einmal acht Jahre alt gewesen. Und bis du mich in der Gasse gefunden hast, bin ich den grausamen Spielen von Carlos und den Vampiren ausgesetzt gewesen.“

Ich habe das Ganze so schnell erzählt, dass ich erst einmal tief Luft holen muss.

Mitgefühl ist in Brayns Augen zu erkennen, als er mir eine Hand auf die Schulter legen will, doch ich schüttle entschlossen den Kopf.

„Nein Brayn. Ich bin der Hölle entkommen und werde nicht zulassen, dass mich da jemand zurück bringt. Ich bedaure nicht was geschehen ist, den dadurch habe ich dich kennengelernt und mit dir ein besseres Leben.“

Lächelnd zieht mich Brayn von meinem Stuhl hoch, direkt auf seinen Schoß.

Jetzt verweigere ich mich nicht seinen Zärtlichkeiten. Genieße sie mit vollen Zügen.

 

4

„Was hältst du von einem ausgewogenen Spaziergang?“ Ich bin übermütig, ausgeglichen und zum ersten Mal seit langer Zeit vollkommen zufrieden mit mir und meiner Umgebung.

Das ich Brayn mit dem Vorschlag überrasche, kann er nicht verheimlichen. Dennoch sagt er ohne Zögern zu. Räumt das letzte Geschirr vom Frühstück in den Geschirrspüler und zieht sich bereits Schuhe und Jacke an, als ich ihm nur Sekunden später folge.

Lachend betreten wir Hand in Hand die Straße und gehen auf den gegenüberliegenden Parkeingang zu.

Im Herbst durch den Park zu gehen, gehört mit zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Zu beobachten wie die Hunde durch die Laubhaufen stoben. Eichhörnchen auf der Suche nach Vorräten und die Kinder, die lachend Blätter, Eicheln und Kastanien sammeln.

Seufzend lehne ich mich gegen Brayn, als er seinen Arm um meine Taille legt.

„Schade, dass es nicht jeden Tag so friedlich sein kann wie gerade.“

„Was wäre das für eine Welt Dean. Auch wenn es dir nicht gefällt, aber im Leben gibt es Höhen und Tiefen und es wäre kein Leben ohne die Achterbahnfahrt.“

„Ich weiß Brayn. Dennoch genieße ich gerade solche Momente am meisten. Denn sie geben einem die Kraft und Ruhe zurück, die ein Mensch braucht.“

„Das will ich in keiner Weise bestreiten. Auch ich genieße diese Momente besonders.“

 

Die Zeit vergeht wie im Flug und ein Anruf von David holt uns in die kalte Realität zurück.

Eine Stunde später treffen wir uns mit dem Polizisten vor unserem Haus. Bereits bei dem betreten unserer Etage spüre ich, dass etwas nicht stimmt.

Wir lassen David den Vortritt, doch weiter als bis zur Haustür kommt er nicht.

Mit erhobener Hand signalisiert er uns stehen zu bleiben und zu warten. Schnell hat er seine Pistole gezogen und geht leise in die Wohnung.

„Es ist keiner mehr drin. Seid vorsichtig beim Eintreten und fast nichts an. Ich habe von drinnen bereits die Spurensicherung gerufen. Seht euch um und sagt mir Bescheid, wenn euch etwas auffällt.“

Vorsichtig befolgen wir Davids Anweisungen.

Während Brayn durch die Wohnung geht, bleibe ich wie angewurzelt vor den Scherben des großen Wandspiegels stehen.

Der Hocker, auf den ich immer sitze, ist in mehreren Einzelteilen zerbrochen. Doch das ist nicht das schlimmste was meine Augen erblickt haben. Der Spiegel existiert nicht mehr. Zumindest nicht mehr an der Wand und in einem Stück. Tausend kleine Spiegelscherben zieren den Teppich.

Benommen lasse ich mich zu Boden sinken, bekomme nicht mit wie mir die Splitter in Knie und Handflächen schneiden.

Mein Spiegel, mein Tor zur Vergangenheit. Es ist nicht irgendein Spiegel. Ich habe ihn von einem Hexer bekommen, nachdem Brayn mich aufgelesen hat.

Ohne das ich es bemerkt habe, steht David neben mir, redet auf mich ein, doch verstehe ich die Worte nicht. Erst als mich jemand auf die Füße zieht und zum Sofa dirigiert blicke ich auf.

Brayn hat sich ein weiches Tuch geholt, kniet sich vor mich und befreit meine Hände von den Splittern und dem Blut.

„Es sind alle Spiegel zerstört. Wertsachen fehlen keine, soweit ich sehen kann. Wer auch immer hier gewesen ist, weiß was er getan hat und mit wem er es hier zu tun hat.“

 

„Also können wir davon ausgehen, dass der Einbrecher mit unseren Morden in Verbindung zu bringen ist.“

„Denke ich mir auch. David wie sollen wir weiter verfahren? Wie du siehst wird Dean eine Weile brauchen, um mit der Situation klar zu kommen.“

„Wir hoffen einfach, dass nichts dazwischen kommt. Weißt du ob er seine Gabe weiterhin gebrauchen kann?“

Was Brayn auf die Frage hin antwortet, weiß ich nicht, da er David bereits zur Tür begleitet.

 

Die Spurensicherung hat ihre Arbeit getan und auch sie haben irgendwann die Wohnung verlassen. Zurück bleibt ein Haufen Chaos, in dessen Mitte ich sitz.

Zusammengesunken hocke ich auf der Couch, als Brayn mit einem Glas zurückkommt, welches er mir in die Hand drückt.

„Trink das aus. Es wird dir helfen dich zu entspannen, Denn du wirst deine ganze Konzentration brauchen.“

Fassungslos blicke ich meinen Freund an. Hat er noch gerade eben zu David gesagt, dass ich eine Weile brauchen werde und jetzt kommt er so?

„Ich weiß was ich David gesagt habe. Doch wir können jetzt nicht tatenlos zusehen. Trink aus und wasch dir das Blut ab. Ich mache derweil hier sauber.“

So einen herrischen Befehlston bin ich von Brayn nicht gewohnt.

Automatisch lasse ich den Worten Taten folgen.

 

„Weißt du, du brauchst diesen Spiegel nicht und auch keinen anderen. Deine Kräfte sind stark genug, um ohne Hilfsmittel genutzt zu werden.“

Das Gespräch beginnt ganz anders als gedacht. Nachdem ich mich gesäubert habe, sitze ich wieder auf der Couch. Brayn sitzt mir gegenüber auf dem Wohnzimmertisch. Hält meine Hände fest in seinen. Bei den Worten klappt mir der Mund auf und entgeistert sehe ich ihn an. „Der Spiegel ist damals verzaubert worden, er verstärkt deine Fähigkeit und spiegelt das wieder, was in dem Moment in deinem Kopf vorgeht. Er zeigt dir die Geschichte des Ortes. Aber du brauchst ihn nicht. Deine Kräfte sind enorm. Der Hexer ist mir einen Gefallen schuldig gewesen und so habe ich ihn gebeten, um die Vernetzung, damit du dein Selbstvertrauen zurück gewinnst.“ Ungläubig starre ich Brayn an. Kann die Worte die ich höre nicht wirklich verarbeiten.

„Du hast was?“ Frage ich aufgebracht, als mir die Bedeutung seiner Worte klar wird. „Brayn was für einen Humbug erzählst du da gerade? Ich glaube ich spinne. Du weißt genau, dass ich ohne den Spiegel aufgeschmissen bin.“ Wütend springe ich auf, schwanke einige Schritte, bis ich meinen Halt wieder finde und renne aus dem Zimmer.

 

Es dauert lange bis ich mich halbwegs beruhigt habe. Brayn hat mich allein gelassen. Dem Geruch nach zu urteilen kocht er gerade.

„Ich kann immer noch nicht glauben was du erzählt hast. Wie soll es möglich sein, ohne dem Spiegel etwas zu übertragen, geschweige denn sehen zu können?“

Brayn steht mit dem Rücken zu mir am Herd. Langsam dreht er sich zu mir um, ein scheues Lächeln im Gesicht.

„Lass uns zuerst etwas essen. Ich habe Bolognese Sauce gekocht mit Spagetti. Komm setz dich.“ Seine Fürsorge ist entwaffnend und wie betäubt gehorche ich.

 

„Du warst damals am Ende deiner Kräfte. Es war fast unmöglich deine Fähigkeiten voll zu aktivieren. Daher erfand ich die Sache mit dem Spiegel. Um dir Selbstvertrauen und Mut zu schenken. Nenn es Zufall oder Fügung. Da die Spiegel jetzt zerstört sind, bist du gezwungen deine Macht zu erweitern. Ich weiß, dass die Fähigkeit in dir steckt Dean.“

Nach dem Essen haben wir es uns im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Mittlerweile bin ich bereit Brayn zuzuhören.

„Wie stellst du dir vor, soll das gehen? Ich meine, im Spiegel etwas zu sehen ist das eine, aber an einer Wand?“ Irritiert schüttle ich den Kopf.

„Wir versuchen es mit dem Unfallort. Wir gehen in eine Gasse und da erkläre ich dir wie ich mir das denke. Aber nicht mehr heute. Lass dir Zeit um dir alles durch den Kopf gehen zu lassen.“

Sanft zieht er mich mit dem Rücken an seine Brust, legt seinen Kopf auf meine Schulter und schlingt die Arme um meine Taille. Tief durchatmend lehne ich den Kopf an seine Schulter und schließe die Augen. Merke wie sich die angespannten Muskeln lockern und ich in seinen Armen versinke.

 

„Dean du musst aufstehen. So leid wie es mir tut, aber David hat gerade angerufen.“ Schlaftrunken reibe ich mir die Augen. Ein  Blick aus dem Fenster zeigt, dass es bereits Nacht ist.

„Hat das nicht bis morgen Zeit?“

„Leider nein. Da die Spiegel zerbrochen sind, musst du an den Tatort. Umso frischer der Mord ist, umso größer und vor allem leichter die Chance, dass du etwas siehst. Zumindest jetzt am Anfang. Wenn du geschult bist, wird es leichter für dich.“ Grimmig richte ich mich auf. Hat es doch keinen Sinn zu protestieren. So schwer es mir auch fällt, aber ich habe es Brayn versprochen und Versprechen breche ich niemals.

 

Der Leichenfundort ist gerade einmal vier Blocks von unserer Wohnung entfernt. Schon beim Aussteigen aus dem Auto steigt mir der süße Eisengeruch in die Nase.

Als ich mir die Gegend genauer ansehe, erkenne ich heruntergekommene Häuser und Gitter vor den Fenstern. Wir sind mitten in einem Ghettoviertel gelandet.

Mit ungutem Gefühl betrete ich das Gebäude, in dem es nur so vor Polizisten wimmelt. Schnell stellt sich heraus, dass es sich um eine Änderungsschneiderei und Wäscherei handelt. Überall hängen Hemden, Mäntel und Hosen auf Bügeln. Röcke sind in der Mangel oder ausgebreitet auf den Tischen. Stofffetzen liegen herum oder sind bereits zum Teil an Kleidungsstücke  angenäht.

Mit mulmigem Gefühl folge ich einem Polizisten, der uns zu David und zur Leiche bringt.

Aus Stoffresten ist eine Schlinge gebastelt, an welche der Mann aufgehängt worden ist. An beiden Beinen ist die Hauptschlagader durchtrennt und das ausfließende Blut läuft in eine große Schüssel.

„Es ist leider nur einer von dreien. Kommt mit und ich zeige sie euch.“ Ohne Kommentar duldet David Brayn an meiner Seite. Lässt zu, dass auch er am Tatort ist und mich überall hin begleitet.

Das einzige, was das zweite Opfer vom ersten unterscheidet, ist die Art und Weise, wie es aufgehängt worden ist. Dieser Mann ist an beiden Armen gefesselt und so gespreizt, dass die Stofffetzen, die links und rechts an der Wand befestigt sind, ihn aufrecht halten. Auch er ist ausgeblutet und das Blut gesammelt.

Doch David bleibt nicht stehen.

Mit ausgreifenden Schritten geht er durch den Raum.

Zuerst erkenne ich nichts als einen Tisch, vor dem er stehen bleibt. Doch beim Näherkommen sehe ich den Schaden. Auf dem Tisch ausgebreitet stapelt sich kein Stoff, sondern ein Mann.

Mit Stoffresten an Händen und Füßen ist er gefesselt und an die jeweiligen Tischbeine gebunden. Die Pulsadern an den Händen sind aufgeschnitten und das Blut in Schalen gesammelt. Außerdem ist das Hemd aufgerissen und auf Brust und Bauch steht fein säuberlich geritzt:

Wer das Blut nicht sauber hält, muss zur Rechenschaft gezogen werden.

 

Mir dreht sich der Magen um. Nur Brayns beruhigende Berührung verhindert, dass ich mich übergebe.

„Warum?“

„Wir wissen es nicht Dean. Die ganze Sache ist uns komplett  unerklärlich. Pierré forscht bereits in seinen Reihen, aber da ich noch keine Rückmeldung bekommen habe, tippen wir noch im Dunkeln. Wir wissen das es sich um Vampire handelt, aber das wieso oder warum können wir noch nicht erklären.“ Langsam lasse ich die Luft entweichen.

„Also gut Brayn, sag mir was ich machen soll!“

„David, wer ist das erste Opfer?“

„Der Erste!“

„Gut, lass uns zu ihm gehen. Dann erkläre ich es dir in Ruhe.“ Damit nimmt Brayn mich in den Arm und dirigiert mich Richtung Ausgang zurück.

„So jetzt schließ einen Moment die Augen. Stell dir vor, du stehst vor deinem Spiegel. Mach das, was du beim Spiegel immer machst. Genau den gleichen Ablauf. Es ist nichts anderes.

Wir sind in der Wohnung und du stehst vor dem Spiegel. Konzentriere dich auf das Bild. Darauf was du erfahren möchtest.“

Der Schweiß läuft mir übers Gesicht, mein Shirt im Rücken ist bereits dunkel gefärbt. Meine Augen sind fest verschlossen.

Stelle mir vor, was ich sehen möchte, denke ganz fest daran.

Doch als ich die Augen öffne ist alles wie vorher.

„Wow“, irritiert drehe ich mich zu David, der mich verblüfft ansieht.

Ein vorsichtiger Blick zu Brayn zeigt, dass er lächelt.

„Dean es hat funktioniert. Zwar nur undeutlich und sehr kurz, aber doch. Du hast die Kraft. Du kannst vergangenes wieder sichtbar machen.“

„Aber…“

„Nein Dean. Mach dir nichts daraus, dass es beim ersten Mal nicht richtig klappt. Versuche es weiter und es wird immer besser werden. Für den Anfang reicht es doch, wenn jemand anderes die Bilder sieht. Irgendwann wirst auch du sie sehen.“

Frustriert lasse ich den Kopf sinken, doch Brayn legt mir ermutigend eine Hand auf die Schulter.

„Geduld Dean. Du musst dich etwas in Geduld üben.“

Noch einmal tief Luft holend versuche ich es wieder. Wiederhole es so lange, bis es funktioniert.

 

Wieviel Zeit vergangen ist und wie viele Versuche ich gestartet habe, weiß ich nicht. Aber schließlich kann auch ich die Bilder sehen, die mein Inneres Auge zum Vorschein bringen.

 

Die Bewegungen der zwei Täter sind geschmeidig. Wie Raubtiere bewegen sie sich lautlos vorwärts. Werden von den Mitarbeitern erst bemerkt, kurz bevor sie tot umfallen.

Beide Täter, ein Mann und eine Frau, tragen schwarze Lederanzüge, die sich wie eine zweite Haut an ihren Körpern schmiegen.

Obwohl der Mann sehr muskulös ist, bewegt er sich wie die schlanke Frau. Jeder Handgriff sitzt. Alles erledigen die zwei, ohne ein Wort zu sagen. Wie eine stumme Symphonie, harmonieren sie. In ihren Augen ist kein Quäntchen Gefühlsregung zu erkennen.

Benommen sehe ich zu, wie sie nach und nach alle drei Opfer Töten, aber wie? Kein Blut tritt aus, keine Klinge ist zu sehen und kein Schuss zu hören.

Erst als alle umgekippt sind, holen sie die Schüsseln. Gehen zum ersten Opfer zurück. Nähen in kleinster Sorgfalt eine Schlinge und hängen ihn auf. Erst dann werden ihm die Schuhe und Strümpfe ausgezogen, die Schüsseln positioniert und die Hauptschlagader durchtrennt. Anschließend gehen sie zu den anderen zwei Opfern und verfahren in gleichbleibender Ruhe genauso weiter.

Zum Abschluss ritzt die Frau dem letzten Opfer mit einem Skalpell die Worte ein. Lächeln sich zu, wobei man die spitzen Eckzähne sieht und verschwinden genauso lautlos, wie sie erschienen sind.

 

Schwankend komme ich in die Realität zurück. Brayn stützt mich, so dass ich nicht den Halt verliere. Mit grimmigem Blick starrt David noch immer in den Flur, so als ob er nicht versteht, was er gerade gesehen hat.

„Verdammt ich… Dean ruh dich aus … Pierré informieren.“

Nur Bruchstückhaft ist David zu verstehen, als er bereits aus dem Gebäude stürmt und uns allein zurück lässt.

Sanft umfasst Brayn meine Taille und stützt mich auf den Weg zum Auto.

 

Zu Hause erwartet uns der nächste Schock. Vor dem Wohnhaus stehen unzählige Feuerwehrautos und versuchen Herr über den Flammen zu werden. Flammen, die aus unserer Wohnung schießen und Besitz von den anderen Räumen genommen haben.

 Während Brayn fassungslos stehen bleibt, springe ich aus dem Auto und renne weiter zum Haus vor, bis kräftige Hände mich festhalten.

„Sie können hier nicht weiter. Das Haus ist so runter gebrannt, das Einsturzgefahr besteht.“

„Meine Wohnung, meine Sachen…“

„Es tut mir leid, aber an und in dem Haus ist nichts mehr zu retten.“

Sanft legt sich ein Arm um meine Taille und zieht mich zurück, in den Schatten der Gegenüberliegenden Häuser.

„Dean wir müssen verschwinden. Wir wissen beide, dass dieses Feuer kein Zufall ist. Du bist hier nicht sicher.“ Wiederstrebend lasse ich mich von Brayn wegführen. Versuche kein Blick zum Haus zurück zu werfen und versage.

 

5

 

„Es ist was passiert?“ Pierré sieht ruhig von einem zum anderen.

„Warum sollte jemand eure Wohnung in Brand setzen? Das ergibt doch keinen Sinn.“

„Nein, Sinn ergibt es schon. Der Tote Vampir hat zu Carlos Leuten gehört. Den Typen, von dem ich Dean befreit habe. Er hat es weder mir noch Dean jemals verziehen. Carlos will ihn zurück, zu seinen Bedingungen.“ Brayn sitzt so dicht neben mir, dass unsere Arme sich berühren. Seine Art und Weise mir in der Öffentlichkeit Trost zu spenden.

„Was soll ein Vampir bei Carlos? Er ist doch ein Mensch oder?“

Niedergeschlagen schüttle ich den Kopf.

„Leider nein. Also ja er ist ein Mensch, aber kein Normaler. Er ist Nekromant, hat sämtliche Wiedergänger und Vampire unter seinem Regime. Mich würde es nicht wundern, wenn die Vampire von den Überfällen mit Carlos unter einem Hut stecken.“

„Das ist vielleicht eine Möglichkeit, aber für mich relativ unverständlich. Die zwei sind die Kinder der Fürstenfamilie Valtori. Ich habe sie bei deiner Übertragung erkannt. Dass sie sich einem Nekromanten unterordnen ist relativ unwahrscheinlich.“

„Es ist vielleicht unwahrscheinlich David, aber denk an deine Geschichte. Alles ist möglich.“ Seufzend stimmt der junge Unsterbliche seinem Partner zu.

 

Noch lange wird beratschlagt was als nächstes zu tun ist. Wie man in der Verfolgungsjagd nach den Vampiren weiter zu verfahren hat und was sie gegen Carlos unternehmen können. Leider sind die Vorschläge und Lösungen alles andere als zufriedenstellend.

 

Noch niedergeschlagener als zuvor verlassen Brayn und ich das Polizeirevier, doch kommen wir nicht weit.

Gerade einmal zehn Meter bis zu Brayns Auto, als uns eine enorme Druckwelle erfasst und wir mehrere Meter durch die Luft geschleudert werden, ehe wir unsanft zu Boden gehen.

Benommen sehe ich auf. Als sich mein Blick endlich fokussieren lässt, ist alles in rot getaucht.

Doch wo ist Brayn? Ich versuche auf die Beine zu kommen, doch sind die schmerzen so stark, dass ich mich nicht bewegen kann. Hilflos versinkt alles um mich herum in bleierne Schwärze.

 

Undeutliche Geräusche, Leute die sich etwas zurufen.

Nur langsam komme ich wieder zu mir. Blicke mich orientierungslos um und verstehe nicht, wo ich bin. Ein beengter Raum, alles Weiß und etliche Regale an den Wänden.

„Er kommt zu sich.“ Sehe in die Richtung aus der die Stimme kommt, doch erkenne ich die Frau nicht. Kurz darauf taucht ein Mann neben ihr auf und steigt zu mir.

Steigen?

„Dean gut das du wach bist. Wir brauchen deine Hilfe.“ Höre die Worte wie durch Watte.

„Ich weiß, dass es dir gerade nicht so gut geht. Du hast einen ganz schönen Schlag auf den Kopf bekommen, als du durch die Explosion gegen die Wand geknallt bist. Dennoch, es geht um Brayn. Dean du musst ihn finden!“

Brayn finden? Was erzählt der Mann? Brayn war doch die ganze Zeit bei mir. Ruckartig richte ich mich auf, wobei mir schwindlig wird und ich mir stöhnend den Kopf halte.

Der Mann, David fällt es mir ein, hilft mir aufzustehen und begleitet mich aus dem Krankenwagen, wie ich erkenne, als ich davor stehe.

Ungläubig sehe ich mir die Trümmer und das ganze Chaos an.

Ich suche mir einen Platz, wo ich mich anlehnen kann und konzentriere mich auf das Geschehene.

 

Kaum das wir das Polizeipräsidium verlassen haben, geht direkt vorm Eingang unser Auto hoch. Trümmer fliegen in alle Richtungen. Auf der Straße befindende Menschen werden von umherfliegenden Teilen getroffen. Zum Glück ist niemand schwer verletzt. Brayn stellt sich schützend vor mir, dennoch werde ich durch die Druckwelle zu Boden gerissen.

Doch was Brayn da bewerkstelligt lässt mich gänzlich zusammenzucken.

Mit weit nach vorn ausgestreckten Armen hat er einen Schutzschild errichtet. Anders kann ich es nicht beschreiben, denn kein einziges Trümmerteil fliegt an ihn vorbei.

Alles bremst vor seinen Armen ab und fällt zu Boden.

So etwas habe ich von ihm noch nie gesehen. Geschweige denn davon gewusst.

Als schließlich alles zum Stilstand kommt, gehen von überall die Türen auf und Menschen treten vorsichtig auf die Fahrbahn.

Für einen Moment habe ich den Blick schweifen lassen und als ich zu Brayn und mir zurück schaue ist Brayn verschwunden. Niemand hat überhaupt realisiert das er da gewesen ist.

 

Durcheinander lasse ich die Verbindung abreißen und blicke David an.

„Wo ist Brayn? Warum hat ihn niemand weggehen sehen?“

„Weil er nicht weggegangen ist. Glaube mir Dean, wir hätten ihn gesehen. Komm ich fahre dich nach Hause. Vielleicht ist Brayn ja schon da.“

„Brayn würde mich nicht im Stich lassen und einfach gehen. Außerdem haben wir kein zu Hause mehr. Der Brand hat alles vernichtet. Außer das was wir am Leib trage besitzen wir gar nichts mehr.“

Mitfühlend legt mir David eine Hand auf die Schulter.

„Dann bringe ich dich in eine sichere Unterkunft und mache mich dann auf die Suche nach Brayn. Irgendwo muss er doch aufzutreiben sein.“

Seufzend und mit gesenktem Kopf lasse ich mich von David zum Auto führen und nach einer gefühlten Ewigkeit, die sich als zehn Minuten entpuppen, setzt er mich in einem ruhigen Haus ab.

„Komm erstmal zur Ruhe und versuch zu schlafen. Ich melde mich spätestens morgen früh bei dir.“

Nur wiederstrebend bleibe ich im Haus zurück, weiß ich doch dass ich im Moment nichts machen kann.

Niedergeschlagen sinke ich aufs Sofa und Rolle mich zu einer Kugel zusammen.

 

Immer wieder blicke ich mich suchend um. Stehe in einem langen Flur mit unzähligen Türen. Versuche eine zu öffnen, doch ist da hinter nur eine Ziegelwand. Die nächsten Türen sind entweder verschlossen, oder führen in weitere Flure. Mittlerweile panisch renne ich immer weiter, doch ohne Erfolg. Der Flur scheint endlos lang zu sein.

„Suche mich nicht Dean, du wirst mich nicht finden.“

Verwundert bleibe ich stehen, doch die Stimme sagt nichts mehr.

„Wo bist du?“ Stille

„Verdammt, rede mit mir?“ Noch immer Stille. Leise fluchend beginne ich wieder zu rennen.

„Bitte such mich nicht!“

„Brayn verdammt wo bist du?“

Der Flur verändert sich. Von einem hellgrau wird alles schwarz und Blut läuft von den Wänden.

Ein höhnisches Lachen erklingt. Ein Lachen, was ich gehofft habe nie wieder zu hören.

„Was hast du mit ihm gemacht Carlos?“

„Lauf Dean, lass dich von ihm nicht fangen!“ Brayns Stimme ist eindringlich. Aber wohin soll ich rennen?

„Du kannst nicht vor mir weglaufen Dean. Ich werde dich immer finden, egal wo du bist. Brayn habe ich auch schon in meiner Gewalt. Also komm zu mir und sei ein braver Sklave. Vielleicht lasse ich Brayn dann laufen.“

Fühle mich in meiner Zeit unter seinen Fittichen zurückversetzt. Entsetzt strauchle ich einige Schritte rückwärts, bis ich mich fangen kann und wieder losrenne.

Diesmal nehme ich die erstbeste Tür in den nächsten Flur und renne hinein. Immer tiefer gelange ich in das Labyrinth aus dem es kein Entkommen gibt.

„Dean er kommt, renn schneller. Ich kann ihn nicht länger zurück halten.“

Doch kann ich nicht mehr schneller. Ich kann gar nicht mehr rennen. Mache vielleicht noch drei oder vier Schritte, stolpere und falle hin. Meine Lungen brennen, die Muskeln zittern wegen der Überanstrengung und der Schweiß läuft mir in die Augen. Schwer atmend bleibe ich liegen.

Nur einen Moment.

Doch in dem Augenblick, als ich mich hochstemme, landet eine schwere Hand auf meinen Rücken und drückt mich zu Boden.

Schreiend und tretend versuche ich mich zu befreien. Ruckartig werde ich an der Schulter umgedreht und an der Kehle nach unten gedrückt.

Das Atmen fällt mir immer schwerer, mein Sichtfeld wird kleiner und schwarze Punkte flimmern in meinem Blick.

Stelle die Gegenwehr ein. Konzentriere mich nur noch auf die Atmung, bis alles still wird. Ich die Augen schließe und die Ohnmacht mit offenen Armen empfange.

 

Schreiend und schweiß gebadet sitze ich auf dem Sofa. Es ist alles nur ein Traum gewesen. Doch scheint es so real. Mein Puls rast und meine Atmung geht viel zu schnell. Geistesabwesend reibe ich mir den Hals, der noch immer schmerzt.

Es dauert lange und etliches kaltes Wasser im Gesicht, bis ich mich soweit beruhigt habe, dass ich wieder klar denken kann. Als ich beim Verlassen des Badezimmers einen flüchtigen Blick in den Spiegel werfe, bleibe ich wie angewurzelt stehen. Drehe mich wieder vollends dem Spiegel zu und kann nicht glauben was ich da sehe. Auf meinem Hals sind mehrere Abdrücke. Zusammengezählt fünf, von jedem Finger einen. Keuchend mache ich einen Schritt rückwärts und stoße an die Wand. Es war kein Traum. Ich war in einer Welt gefangen, in der ich hätte sterben können. Doch was ist passiert? Warum hat Carlos von mir abgelassen? Doch eins weiß ich mit absoluter Sicherheit: Brayn ist nicht von Carlos entführt worden, auch wenn er mir das weiß machen will.

Brayn hat sich versteckt, um kein Angriffsziel zu bieten. Ich weiß die Geste zu schätzen, dennoch fühle ich mich verloren und im Stich gelassen.

6

 

„Brayn ist verschwunden. Nein David er ist nicht weg. Er hat sich wortwörtlich in Luft aufgelöst.“ Skeptisch sieht mich David an, doch langsam scheint verstehen durchzusickern.

„Du weißt schon, was das für Brayn heißt. Entweder ist er ein Dämon oder ein Engel. Aber da der Schwefelgeruch fehlt tippe ich auf letzteres. Also was auch immer ihn getrieben hat, er ist der festen Überzeugung dich damit zu retten.“

„Aber das braucht er nicht. Ich brauche ihn bei mir. Ohne ihn schaffe ich das doch gar nicht.“

„Das ist Blödsinn Dean. Du hast heute bewiesen, dass du sehr gut ohne ihn klar kommst. Mag sein dass du ihn liebst, das will ich nicht bestreiten. Aber Dean für deine Gabe brauchst du ihn nicht.“ Vorsichtig legt mir David die Hände auf die Schultern und sieht mir in die Augen. „Dean glaube mir, du kannst sie besiegen und dann kommt Brayn auch wieder zurück zu dir.“ Seufzend und niedergeschlagen schüttle ich den Kopf. So schwer wie es sich in Moment auch anfühlt, so weiß ich doch, dass David recht hat.

„Komm geh wieder ins Haus zurück. Sobald sich etwas ergibt werden wir uns bei dir melden.“

 

Kaum bin ich zurück im Haus, klopft es an meiner Tür.

Ein Blick durch den Spion zeigt mir, dass zwei Uniformierte vor meiner Tür stehen.

Da ich gerade erst von David und Pierré komme, öffne ich irritiert die Tür.

„Herr Donlow wir müssen Sie bitten uns zu begleiten. Gegen sie liegt ein Haftbefehl vor.“

Mit weit aufgerissenen Augen sehe ich den Polizisten an, der dies sagt. Doch noch bevor ich auch nur reagieren kann, ergreift der andere meinen Arm und zieht mich auf den Flur, wo mir die Hände hinter dem Rücken gefesselt werden.

„David hätte mir doch etwas gesagt.“ Bringe ich schließlich unter Protest hervor, aber die Polizisten zeigen keinerlei Reaktion.

Mit kräftigem Griff am Arm, werde ich zum Auto gezerrt und hineingeschubst, wobei  ich mir heftig den Kopf anstoße.

Das erste was mich zum Zweifeln bringt, ist der Weg.

Wir fahren in die komplette Gegenrichtung zum Polizeipräsidium.

Nach fast zwei Stunden halten wir vor einem Gebäude. Nur ist dieses runtergekommen, einige Fenster sind entweder verbarrikadiert oder zerbrochen.

Über dem Eingang prangt ein abgebrochenes Schild mit der Aufschrift: Po…ei.

Bitte nicht das alte Polizeipräsidium.

Was in aller Welt haben die mit mir vor?

Die Frage lässt sich jedoch schnell klären, da am Ende des Flures bereits mehrere Männer auf uns warten.

Mit Händen und Füßen versuche ich mich zu wehren und zu befreien, aber die Griffe um meine Arme sind eisern und da die Polizisten größer als ich sind, heben sie mich einfach an.

Im großen Raum angekommen, werde ich sofort umzingelt. Aber bevor auch nur einer mich angreifen kann, erleuchtet der Raum  in grellem Licht.

Ich muss die Augen zu kneifen, um nicht geblendet zu werden und als ich die Augen öffne, bin ich allein. Um mich herum ist keine Menschenseele, egal ob Tod oder Lebendig. Ohne weiter darüber nachzudenken drehe ich mich um und renne aus dem Gebäude.

Die Nacht ist bereits eingebrochen und orientierungslos laufe ich durch die Gegend. Immer auf der Suche nach etwas vertrautem. Zwischenzeitlich schaffe ich es, mir die Kabelbinder, mit denen meine Hände gefesselt sind, an einem Metallzaun zu durchtrennen.

 

Etwas Bekanntes kommt nicht in meinen Blick, dafür aber eine verlassene Lagerhalle, die ganz im Dunkeln liegt. Es ist schon etwas mulmig, aber da ich keine andere Wahl habe gehe ich wiederstrebend hinein.

Die Außentür ist nicht verschlossen, so dass ich vorsichtig das Haus betreten kann. Kein Licht dringt durch die Fenster und so stolpere ich weiter in die Tiefe der Dunkelheit.

Wieder öffne ich eine Tür, wieder verschlingt mich die Dunkelheit. Wie viele Türen ich bereits geöffnet habe weiß ich nicht mehr. Ich bin Treppen hinauf und hinunter gegangen, auf der Suche nach einem Ausgang, aber ohne Erfolg. Mittlerweile habe ich mich restlos in dem Gebäude verlaufen.

Hinter mir knallt eine Tür zu, doch als ich mich erschreckt umdrehe, sehe ich nichts.

Ich werde von etwas getroffen. Halte mir den schmerzenden Arm und drehe mich in die Richtung aus der ich glaube, dass der Schlag gekommen ist. Doch wieder nichts. Immer öfter treffen mich Schläge, an Armen, Beinen, Rücken und Magen. Irgendwann kann ich mich nicht mehr auf den Beinen halten und ich sinke stöhnend zu Boden.

In dem Moment wird Licht eingeschaltet, so hell, dass ich die Augen zusammen kneifen muss.

„Es gibt nichts Schöneres für mich, als dich am Boden zu sehen.“ Lacht eine mir bekannte Stimme. Begleitet werden die Worte mit weiteren Tritten in den Magen. „Dass du damals abgehauen bist, werde ich dir nie verzeihen. Alles habe ich für dich getan und was machst du?“ Seine Wut ist deutlich in der Stimme zu hören und auf jedes Wort folgt ein Schlag. Mir tut alles weh und ich rolle mich zu einer festen Kugel zusammen, um meine Innereien zu schützen. Immer wieder traktiert er mich mit Tritten und Schlägen, lässt nur meinen Kopf aus, ansonsten bleibt nichts verschont. Als ich schon denke, dass ich keinen weiteren Schlag mehr aushalten kann, erlischt das Licht, um kurz darauf wieder heller zu leuchten. Ich habe die Augen zugekniffen, doch als die Schläge ausbleiben öffne ich sie vorsichtig. Eine helle Gestalt, von der das Leuchten ausgeht, steht zwischen mir und meinem Peiniger.

„Du hast lange genug Dean als Prügel- und Lustknaben benutzt. Deine Zeit ist um Carlos. Deine Machenschaft mit den Vampiren vorbei. Nie wieder wirst du einer guten Seele Schaden zufügen. Nie wieder andere Kräfte missbrauchen.“

Brayn, es muss Brayn sein, denn die Stimme ist unverkennbar er.

Stöhnend richte ich mich langsam auf, bis ich das Geschehene verfolgen kann. Brayn legt Carlos eine Hand auf die Stirn und Carlos bleibt einfach stehen, rührt sich keinen Millimeter. Im nächsten Moment fällt Carlos einfach um.

„Was hast du getan?“

Soll ich Angst haben?

Nein ich fürchte mich nicht vor meinem Freund, denn ich weiß, dass er mir gerade das Leben gerettet hat.

Brayn dreht sich zu mir um. Sein Blick durchdringt mich. Vorsichtig hebe ich einen Arm, um ihn zu berühren, doch er weicht einen Schritt zurück. Gleichzeitig berührt er mich an meinem ausgestreckten Arm und eine eigenartige Macht durchströmt mich. Meine Wunden werden geheilt, langsam kommen meine Kräfte zu mir zurück. Schließlich halte ich es nicht mehr aus. Mache einen Schritt nach vorn und schlinge meine Arme um ihn. Im ersten Moment erstarrt Brayn, doch dann erwidert er meine Umarmung. Zieht mich fest an sich und küsst immer wieder mein Haar.

„Dean was machst du nur? Erst muss ich dir in den verlassenen Polizeipräsidium zu Hilfe kommen und jetzt das hier mit Carlos. Ich habe gehofft, dass du sicher bist ohne mich, aber scheinbar wird alles nur noch schlimmer. Weißt du denn, wer hinter den ganzen Morden steckt?“

Ich schüttle den Kopf und drücke mich noch fester gegen Brayn.

„Wir werden es schon schaffen. Aber jetzt solltest du erst einmal dich ausruhen. Geh nach Hause Dean. Ich werde ein Blick auf dich werfen und dich immer beschützen. Auch wenn du mich nicht siehst.“

Mit den Händen umfasst er mein Gesicht und gibt mir einen zärtlichen Kuss, der sich anfühlt wie ein Abschied.

Ich schlucke den Kloss hinunter und verlasse die Lagerhalle ohne mich noch einmal umzudrehen.

 

Aus unerfindlichen Gründen stehe ich Stunden später im Yachthafen. Etwas verwirrt blicke ich mich um, da ich nicht sicher bin, wie ich hier her gekommen bin.

Doch was es auch gewesen ist, es wird mir gerade sehr gefährlich, da ich hinter mir Stimmen höre.

Zügig gehe ich in Richtung Wasser und dann immer weiter bis in ein Bootshaus. Kaum bin ich drin, schlägt hinter mir die Tür zu und die zwei Vampire aus den Mordfällen tauchen vor mir auf.

Ohne Vorwarnung stürzen sie sich auf mich.

Sie haben Schwerter gezogen und schlagen abwechselnd auf mich ein. Ich kassiere unzählige Schnitte am Körper. Wieder drohe ich den Kampf zu verlieren.

Wie aufs Stichwort taucht Brayn auf, mit einem Schwertähnlichen Gegenstand.  

Der männliche Vampir stürzt sich sofort auf Brayn, während die Frau sich weiterhin auf mich konzentriert.

Das Schwert hat sie verloren, doch jetzt schlägt sie mit den Fäusten immer wieder auf mich ein.

Schließlich zieht sie eine Waffe und schießt.

Ein brennender Schmerz durchzuckt meine Schulter und raubt mir für Minuten den Atem.

 

Als ich wieder zu mir komme, höre ich Kampfgeräusche.

Der Vampir und Brayn kämpfen mit den Schwertern, bis der Vampir Brayn das Schwert aus der Hand schlägt und selbst danach greift.

Gerade als ich versuche mich aufzurichten, sehe ich den Vampir über Brayn. Wie er weit ausholt und Brayns Schwert in dessen Herz stößt. Gleichzeitig legt Brayn dem Vampir die Hand ins Gesicht und ein weißer Blitz erleuchtet den Raum.

Im nächsten Moment ist alles wieder still, bis auf hektische Schritte, die davon zeugen, dass die Vampirin die Flucht ergreift.

Mühselig komme ich auf die Beine und stürze zu den auf den Boden liegenden Gestalten.

Der Vampir liegt reglos neben Brayn, doch beachte ich ihn nicht. Schiebe ihn einfach zur Seite und bette Brayns Kopf auf meinen Schoß. Immer wieder streiche ich über das kalte Gesicht und die Haare meines Freundes. Merke nicht, wie mir die heißen Tränen über das Gesicht laufen.

Immer wieder wiege ich uns hin und her. Verfluche Brayn dafür, dass er mich in Stich lässt.

 

Irgendwann versucht man mir Brayn wegzunehmen, doch ich kralle mich in seine Arme und schreie wie wild.

„Dean du musst Brayn jetzt gehen lassen. Es wird Zeit für dich nach vorn zu sehen. Du bist stark genug und Brayn hat seine Aufgabe erfüllt.“ Wütend sehe ich auf, doch kann ich die Gestalt nicht wirklich erkennen, dem die Stimme gehört.

„Lass ihn gehen!“ Spricht er jetzt sanfter. Dennoch verhindert das Leuchten, dass man mehr erkennt, als eine Große Gestalt mit breiten Schultern und… Flügel.

Ja tatsächlich, auch nach mehrmaligen blinzeln sind die Flügel deutlich zu sehen.

„Wer…?“ Meine Stimme versagt, dennoch möchte ich mehr wissen.

„Brayn gehört zu meinem Volk. Er ist ein Engel und hat die Aufgabe gehabt, dich auf den richtigen Weg zu bringen und dir Kraft zu spenden. Brayn ist ein Engel gewesen und er soll die Ehre bekommen, die ihm zusteht.“

Ohne weitere Worte berührt der Engel Brayns Schulter und beide lösen sich in Luft auf.

 

Fassungslos starre ich ins Leere. Kann Brayns Kopf noch immer auf meinem Schoß spüren, doch ist er nicht mehr da.

 

Die Polizei kommt, doch nehme ich das alles nur am Rande mit. Erst als David Barrow vor mir auftaucht, reagiere ich wieder. Pierré de Lac legt mir eine Hand auf die Schulter und gemeinsam bringen sie mich raus.

 

Der Fall ist abgeschlossen, zumindest ein Mörder ist tot. Welche Rolle Carlos bei dem ganzen spielt weiß ich immer noch nicht, aber jetzt soll es mir auch egal sein.

Denn jetzt ist er tot und wird mir nie wieder Ärger machen.

 

Ich kann mein Leben neu anfangen.

Doch Brayn werde ich nie vergessen. Jeden Abend stehe ich auf dem Balkon meiner Wohnung und blicke hinauf in die Sterne. Ich wünsche mir, Brayn wäre bei mir, doch er wird nie wieder zu mir zurückkommen.

Ich verdanke Brayn so viel. Er hat mich gerettet, mich aufgebaut und ist immer für mich da gewesen. Bis zu seinem Tod.

Als ich mich umdrehe und in die Wohnung zurück gehe wische ich mir die Augen trocken. Es bringt nichts dem hinterher zu trauern was einmal gewesen ist. Ich muss nach vorne sehen und mein Leben von nun an selbst in die Hand nehmen.

Ich stelle mich in den Dienst der Unsterblichen und werde alles tun, um die Stadt sicherer zu machen.

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Tag der Veröffentlichung: 17.12.2017

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