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Kapitel 1

Wie jeden Morgen war ich auch heute früh mit meinem schwarzen Schäferhund im Wald joggen. Ich liebte diese Ruhe um fünf Uhr morgens.

„Floh, renn nicht zu weit!“, rief ich dem Teufel hinterher, aber wie immer hörte er nicht. Eigentlich hieß er Rocco, aber den Namen benutzte ich nur, wenn er etwas ausgefressen hatte.

Rocco rannte um den nächsten Hügel und verschwand im Unterholz, ich seufzte. Wieso konnte das Biest nie hören? Ungewollt legte ich einen Zahn zu, ich wollte ihn nicht zu lange unbeobachtet lassen. Schnaufend kam ich um die Ecke und stolperte, brav saß er da und wartete auf mich.

„Komm her mein Junge“, sagte ich besänftigend und ging in die Hocke. Er trottete ran, legte seinen Kopf in meinen Schoss und seufzte.

„Du bist mir einer, kannst doch nicht einfach abhauen.“ Ich kraulte hinter seinen Ohren und sein Schwanz schwang leicht hin und her. Vorsorglich hackte ich ihm die Leine an sein Geschirr und befestigte sie an meinen Bauchgurt.

„Wir müssen zurück, ich habe noch einen Termin“ mit ruhigem Tempo liefen wir zurück.

 

Zuhause angekommen war es mittlerweile acht Uhr durch. Nachdem ich Rocco versorgt hatte, duschte ich, mit rasieren und allem, was dazugehörte. Nahm mir eine Kleinigkeit zu essen für unterwegs und verabschiedete mich von ihm.

„Du bist brav Großer, ich muss weg.“ Ich drückte ihm noch einen Kuss auf die Schnauze und verließ die Wohnung, sorgfältig darauf bedacht richtig abzuschließen.

Wie ich diese Tage hasste. Der Bewährungshelfer an sich war ja ganz okay, aber ich wollte nicht mehr zu ihm. Ich hatte das alles so satt. Das Schlimmste war, meinen Freund allein zu lassen.

Unterwegs fragte ich mich, was der Typ zu meckern hatte. Einmal im Monat hatte ich für gewöhnlich einen Termin, aber jetzt waren gerade einmal zwei Wochen um. Demzufolge schlecht gelaunt war ich auch, als ich bei ihm anklopfte.

„Kommen sie rein Florian“.

„Guten Morgen“ knirschte ich, betrat das Büro und verschloss leise die Tür, obwohl mir eher nach Zuschmeißen zumute war.

„Habe ich etwas verbrochen?“, fragte ich sofort, noch ehe ich mich setzte.

„Absolut nicht. Florian sie sind vorbildlich und gerade deshalb hatte ich sie herbestellt.“

„Aha“ machte ich nur ungläubig.

„Wissen sie, ich vergebe nicht oft Praktika, aber für sie habe ich genau das Richtige gefunden.“ Er reichte mir einen Zettel.

„Ich hatte bereits für sie angerufen. Sie können sich heute um elf Uhr dort vorstellen.“ Nur eine Adresse war darauf, keine Telefonnummer, kein Name.

„Was ist das?“, knurrte ich.

„Geh hin, es ist ein Neuanfang für dich.“ Es passte mir nicht. Ich wollte arbeiten, ja klar. Aber was hatte der Kerl mir da angedreht? Ohne mich zu verabschieden, verließ ich das Büro und machte mich auf den Weg zu dieser Adresse.

 

Unentschlossen stand ich drei Stunden später vor einem großen Gebäude, nicht erkennbar, was es war, und haderte mit mir.

„Entschuldigen sie. Sind sie Herr Pfeiffer?“ ich drehte mich zu der Stimme um und stand einer Brünetten gegenüber. Sie war hübsch schlank und hatte kurzes Haar, vielleicht fünfundzwanzig.

„Ja“, sagte ich zögernd. Freundlich streckte sie mir ihre Hand entgegen, die ich höfflich wie ich war, ergriff.

„Florian Pfeiffer. Ich soll um elf Uhr hier sein.“

„Ich bin Karin Sauer. Ihr Bewährungshelfer hatte mit mir gesprochen. Wissen sie, um was es sich hier handelt?“

„Ähm“, stotterte ich, brachte aber kein weiteres Wort heraus. Sie lächelte.

„Kommen sie mit rein, ich zeige und erkläre ihnen alles.“ Widerstrebend folgte ich ihr, eine andere Wahl gab es nicht für mich und irgendwie war ich ja auch neugierig. Karin plapperte munter weiter.

„Man hat mir gesagt, sie hätten einen Hund. Ist er menschenfreundlich und erzogen?“

„Ähm, ja. Ein Schäferhund. Noch sehr jung und verspielt. Er hört ganz gut und tut nichts.“

„Sehr schön“ Karin klatschte in die Hände, wie ein Kleinkind.

 

„Also“, begann sie, als wir das Gebäude betraten. „Wir sind eine Freizeiteinrichtung und dein Betreuer meinte, du hättest das Gewisse etwa für uns. Wenn dir das Praktikum zusagt und wir zufrieden sind, dann können wir auch gerne über einen festen Job reden.“ Sie sprach so offen über den Bewährungshelfer, als kannte sie meine Vergangenheit. Ich musste dem auf den Grund gehen.

„Frau Sauer wissen Sie, warum ich einen Bewährungshelfer habe?“

„Aber natürlich glaub mir mein Junge, Frank hätte dich mir nicht empfohlen, wenn er dich nicht für geeignet gehalten hätte.“ Frank also, gut dann würde ich es probieren.

„Was wäre meine Aufgabe?“, fragte ich daher vorsichtig.

„Sehr schön“, lobte sie mich. „Wie du siehst, haben wir diverse Möglichkeiten. Hier vorne Billard, Kicker und Dart. In der zweiten Etage stehen Bücher, Computer und Bürobedarf zur Verfügung. Und im Keller befindet sich der Fitnessbereich. Die Jugendlichen, die hier herkommen, sind zwischen sechszehn und fünfundzwanzig Jahre alt.“

Wir gingen in einen zweiten Raum. „Wie du sehen kannst, haben wir hier auch eine Küche mit Aufenthaltsraum. Alles an Getränke, außer Alkohol geht hier raus“ sie sah mir fest in die Augen und ich wich einen Schritt zurück. „Im ganzen Haus herrscht striktes Alkohol- und Rauchverbot.“ Ich nickte, was sollte ich auch sagen? Weder trank ich Alkohol noch rauchte ich.

„Was soll ich tun?“, fragte ich ausweichend.

„Vorerst wirrst du hier in der Küche helfen. Essen zubereiten, Getränke austeilen und abwaschen. Dazu gehört auch, das Geschirr von draußen einzusammeln.“ Na super, als hätte ich nicht genug Haushalt. „Sag mal Florian, ich hoffe ich darf dich duzen?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich bin Karin. Also wie war das mit deinem Hund. Wenn wir ihm hier einen Platz anbieten, meinst du er würde bleiben und keinen Unfug anstellen?“

„Sie meinen das ernst?“, fragte ich erstaunt. Noch nie hatte sich jemand Gedanken um Rocco gemacht.

„Aber natürlich.“ Sie überlegte „Das Haus öffnet um vier Uhr für die Jugendlichen, komm nachher mit ihm vorbei, und wenn er sich gut macht, kannst du ihn immer mitbringen. Dein Dienst würde morgen um ein Uhr anfangen.“

„Danke“ war alles, was ich rausbrachte, ehe ich davonstürmte. „Wow“ so etwas hatte ich ja noch nie erlebt.

Kapitel 2

„Flohball“, rief ich erfreut, als ich meine Wohnung aufschloss. Rocco wartete bereits hinter der Tür, jaulte und sprang mich an. „Langsam Großer.“ Ich schlang die Arme um ihn und vergrub das Gesicht in dem Fell. „Weißt du Floh, wir beide haben einen Termin. Was hältst du daher von einem schönen Spaziergang?“ ich redete mit ihm, als könnte er mich verstehen. Und er schien mich zu verstehen, sprang auf und rannte zur Tür. „Warte!“ lachend kramte ich eine Sporttasche aus der Kammer und verstaute einige Dinge, die Rocco brauchen könnte. Schnappte mir nur zwanzig Minuten später die Leine und wir gingen los.

 

Es war kurz nach eins, als wir die Wohnung verlassen hatten und gegen halb vier kamen wir an der Einrichtung an.

Karin erwartete mich bereits.

„Seid ihr gelaufen?“, fragte sie erstaunt. Ich lächelte.

„Ja, so konnte ich gleich sehen, wie lang wir zu Fuß unterwegs wären. Mein Flohball braucht das.“ Liebevoll tätschelte ich Roccos Kopf.

„Flohball?“ ich hüstelte.

„Rocco heißt er, aber so nenne ich ihn nur selten.“

„Komm rein. Die Kollegen wollen dich kennenlernen. Jugendliche sind noch keine da.“ Jetzt fühlte ich mich doch unsicher, krallte daher die Leine fester als ich ihr folgte.

„In jedem Bereich arbeiten zwei Betreuer.“ Erklärte sie mir auf den Weg in die Küche „Das sind Tatjana und Bill“ zeigte sie mir ein Pärchen. „Sie kümmern sich um den Freizeitbereich.“ Zeitgleich mit dem Paar betraten wir die Küche, in der vier weitere Personen saßen. „Das sind Sandra und Yvonne, sie sind für die obere Etage zuständig. Und Karla und Mike im Fitnessraum.“ Sie zeigte mir die dazugehörigen Menschen. „Und das hier ist Sascha.“ Hielt sie einen jungen Mann fest, der gerade zur Tür herein kam. „Mit Sascha wirst du hier in der Küche arbeiten.“ Jetzt sah sie in die Runde. „Und der junge Mann hier ist Florian und Rocco. Er wird ein Praktikum bei uns machen. Heut jedoch wollten wir erst einmal sehen, wie Rocco hier klarkommt.“ Karin blickte durch den Raum. „Was hältst du von der Ecke am Fenster? Da hätte Rocco auch etwas Ruhe.“

„Danke“, sagte ich leise und ging mit gesenktem Kopf zu dem mir zugewiesenen Platz. Rocco folgte mir auf dem Fuß und kaum hatte ich eine Decke aus der Tasche auf dem Boden ausgebreitet legte er sich. „Bleib brav“, ermahnte ich ihn, bevor ich zu Karin zurückging.

„Hey“ begrüßte mich Sascha. „Rocco also?“ er sah zu dem Hund, der sich mit einem Kauknochen beschäftigte, den ich noch mitgebracht hatte.

„Ähm ja“ ich folgte seinem Blick. „Kann ich Wasser für ihn haben?“, fragte ich und hob einen Napf hoch.

„Ja klar, komm mit.“ Sascha drehte sich um und ging mir voraus zum Waschbecken. Ich bemerkte, wie mich die anderen beobachteten, aber ignorierte es. „Darf ich?“, fragte Sascha, als ich mit dem gefüllten Napf zu Rocco wollte.

„Okay“ ich überreichte ihm die Schüssel und folgte mit Abstand. Rocco beachtete Sascha nicht, auch als er ihn ansprach. Was dem Mann schnauben lies.

„Noch nie hatte ein Tier mich nicht beachtet. Bemerkenswert.“

Die anderen lachten, ich jedoch blieb angespannt.

„Erzähl uns etwas über dich?“, forderte Karla mich auf.

„Da gibt es nichts.“ Warf ich erschrocken und abwehrend ein.

„Quatsch, jeder hat etwas zu erzählen. Wie alt bist du und hast du eine Freundin?“ viel Yvonne ein und lächelte anzüglich.

„Ich bin zweiundzwanzig und habe keine Freundin. Ich lebe mit Rocco alleine.“ Ihr Lächeln wurde breiter, doch noch bevor sie etwas sagen konnte mischte Karin sich ein.

„Kommt Leute, die Kids kommen. Wir haben sechzehn Uhr.“ Scheuchte sie alle hoch und klatschte in die Hände. Karin schien nicht viel älter zu sein als ich. Die anderen mussten dreißig oder älter sein. Sascha schien der Jüngste zu sein, vielleicht Anfang zwanzig.

„Florian gehe doch eben mit Mike mit. Er zeigt dir, wo die Duschen sind. Wenn du zu Fuß herkommst, kannst du dich frisch machen.“ Mike nickte mir freundlich zu und ich folgte ihm.

„Wie lange läufst du?“, fragte er beiläufig.

„Zwei einhalb Stunden.“

„Hast du es mal mit dem Fahrrad versucht?“ jetzt musste ich lächeln, als mir eine ungemütliche Erinnerung hochkam.

„Keine Chance. Rocco hasst Räder.“

Wir waren bei den Duschen angekommen.

„Hier vorn sind die Spints. Du brauchst nur ein Schloss mitbringen. Und hier hinten sind die Duschräume.“

„Okay danke:“ ich suchte mir ein Waschbecken um mich etwas frisch zu machen.

 

Ich dachte hier wäre schon mehr los, aber als ich nach oben kam, war niemand zu sehen. Erst vor der Küche erkannte ich, was los war. Rocco quietschte freudig und ich hörte seine Krallen auf dem Laminat kratzen. Ich pfiff leise und Rocco verstummte. Ein Signal von mir, was niemand durchbrechen konnte. Die Kids, die um mich herum standen und dadurch meinen Pfiff hörten, sahen mich an und machten wortlos Platz.

Ich trat hinein und als Rocco mich sah, legte er sich und wedelte leicht mit dem Schwanz.

Auf ein Signal von mir kam er ran.

„Brav mein Großer. Du scheinst ja schnell Freunde gefunden zu haben.“ lachte ich und streichelte ihn.

„Darf er bleiben?“, fragte eine kräftige Stimme hinter mir. Ich hatte alles ausgeblendet und erschrak vor der fremden Stimme.

„Ich weiß nicht. Das muss Frau Sauer entscheiden.“

„Wie heißt er?“, fragte mich die Stimme wieder. Ich beschäftigte mich noch mit Rocco, wollte sehen, ob es ihm gut ginge, und blickte daher noch immer nicht hoch.

„Floh“, sagte ich automatisch und stutzte über mich selbst. „Rocco heißt er.“ Verbesserte ich mich daher schnell.

„Darf ich ihn streicheln?“ erst als ein Paar Schuhe in mein Blickfeld kamen, blickte ich auf. Der Junge, dem ich gegenüber hockte, war schlank, schmale Hüfte, kräftige Oberarme. Kurze weißblonde Haare. Die Haare stachen durch die etwas gebräunte Haut noch mehr hervor. Die Augen konnte ich nicht erkennen, da eine große Sonnenbrille sein Gesicht zierte.

„Sonnenbrille, sag mal ist es nicht etwas zu dunkel dafür?“ war das Erste, was mir bei seinem Anblick über die Lippen kam.

„Klugscheißer“ war seine Antwort und Karin hinderte uns daran weiterzureden.

„Was ist den hier los? Ab alle zurück. Oh hey Kai, was machst du den hier?“

„Mum hatte keine Zeit und mich einfach hier abgesetzt.“ Er sah so niedergeschlagen aus, doch Karin lachte los.

„Komm schon Kai, du bist doch froh hier zu sein.“ Auch er fiel in ihr Lachen ein.

„Ist Mike da?“

„Aber sicher. Komm ich bring dich zu ihm.“ Damit hackte Karin sich bei Kai unter und beide verließen die Küche.

„Hey Flo beweg deinen Arsch hier her“, rief Sascha und holte mich damit aus meinen Gedanken. Mit einem kurzen Handzeichen schickte ich Rocco auf seinen Platz und ging zu Sascha.

„Hier“ er drückte mir ein Tablett in die Hand. „Geh raus und sammel die Gläser ein.“ Ohne auf weitere Anweisungen zu warten, verließ ich die Küche.

Im Billardraum wurde ich freundlich empfangen.

„Ist das dein Hund?“, fragte mich ein kleines Mädchen. Während ich mit ihr redete, unterbrach ich die Arbeit kein einziges Mal.

„Ja, er heißt Rocco.“

„Er ist süß. Darf er bleiben?“

„Wenn Frau Sauer es genehmigt, werde ich ihn immer mitbringen.“ Alle Umstehenden freuten sich und kaum das die Jugendlichen Karin erblickten, stürmten sie auf sie zu.

Karin lachte. „So wie mir scheint“ sie sah zu mir rüber „was soll ich dagegen haben?“ zwinkerte sie mir zu und verschwand im Büro.

 

Der Abend verlief relativ stressig für mich. Wenn man daran dachte, dass ich eigentlich erst Morgen beginnen sollte. Ich sprang ein, wo man mich brauchte.

„Und Flo wie war der Tag?“ ich blickte von Rocco auf.

„Hallo Karin. Es war super. Danke das ich bleiben darf.“ Sie winkte ab.

„Wir müssen uns bedanken. Du bist eine wirkliche Bereicherung. Sascha ist begeistert. Na und von Rocco wollen wir mal nicht reden.“ Sie lachte.

„Tschüss Karin, bis Morgen“ mittlerweile war ich aufgestanden und beide drehten wir uns zu der Stimme um. Da stand Mike mit Kai im Arm. Sie sahen aus wie ein Paar, so vertraut, wie sie miteinander umgingen. Kai trug immer noch seine Sonnenbrille und ich musste schmunzeln. Gegenüber Mike sah Kai richtiggehend zierlich und klein aus. Der Kleine flüsterte etwas zu Mike und beide kamen sie auf uns zu.

„Sag mal Florian, hat dein Hund eine Ausbildung?“ ich sah Kai verdutzt an.

„Nein“ gab ich ehrlich zu.

„Respekt. Gut erzogen der Kerl. Wie alt ist er?“ Immer noch viel zu perplex antwortete ich ohne irgendwelche Bemerkungen.

„Gerade zwei Jahre geworden.“

„Wow, darf er kurz zu mir?“ Ich zuckte mit den Schultern und signalisierte Rocco zu den Männern zu gehen. Interessiert beobachtete ich Kai, wie er sich Rocco näherte. Es sah befremdlich aus. Zaghaft, als wüsste Kai nicht, wo Rocco wäre. An Mikes Seite kniete Kai sich nieder, streckte die Hand nach vorn und wartete, bis Rocco auf ihn zu kam. Rocco verdrehte den Kopf.

„Hey Rocco“ Kai sprach leise und Rocco kam näher. Vorsichtig schnüffelte er an der ausgestreckten Hand. Noch ehe jemand reagieren konnte, sprang Rocco Kai an und schmiss ihn zu Boden.

„Nein“, riefen alle im Chor. Doch Kai lachte.

„Alles ist gut!“ brachte er gerade so hervor.

Trotzdem ging ich zu den beiden und pfiff leise. Reumütig sah mich Rocco an, trottete zu mir und setzte sich an meine Seite.

„Lass ihn!“, bettelte Kai und stand auf. Die helfende Hand Mikes ignorierend.

„Es tut mir leid:“ meine Stimme war ein Flüstern gleich.

Sorgfältig befestigte ich die Leine und drehte mich zum gehen.

„Flo warte mal“, bat mich Karin. Sie verabschiedete die Zwei und kam zu mir.

„Komm Junge, ich bringe euch beide nach Hause!“ ich wollte ablehnen doch sie kam mir zuvor. „Widerworte dulde ich nicht. Außerdem wohnen wir fast beieinander. Also komm.“ Sie sah meinen fragenden Blick und lächelte. „Für die Unterlagen brauchte ich auch deine Anschrift und Frank hatte mir alles gegeben, was ich wissen musste. Also komm schon. Rocco kann in den Kofferraum.“ Da ich eh keine andere Wahl hatte, befolgte ich ihre Anweisungen.

 

„Danke“, sagte ich eine Stunde später, als sie vor meinem Wohnhaus hielt. Wir hatten bereits elf Uhr durch und wäre ich zu Fuß gegangen? Innerlich schüttelte ich den Kopf. Ich war wirklich dankbar, dass sie mich gefahren hatte.

„Weißt du Flo. Was hältst du davon, wenn ich dich abends immer mitnehme. So bist du nach dem Tag schneller zu Hause.“ Ihr Lächeln war warm und herzlich. Ich konnte dem einfach nicht wieder stehen und nickte. „Sehr schön. Dann sehen wir uns morgen um eins im Haus. Und was da vorhin mit Kai war, er ist hart im Nehmen. Da brauchst du keine Angst zu haben. Er mag Rocco, also lass ihn ja nicht zu Hause.“

Ich stand mit Rocco am Straßenrand und als sie fuhr, sahen wir ihr noch eine Weile hinterher.

 

„Wow. Was für ein irrer Tag!“

Für Rocco drehte ich noch eine Runde um den Block, bevor ich mir eine heiße Dusche genehmigte und erschöpft einschlief.

Kapitel 3

„Geh weg Floh“ verschlafen schob ich den Sabberlappen von meinem Gesicht und vergrub mich enger in die Decke. Schnell versank ich wieder in den Tiefschlaf bis mir kalt wurde. Ich wollte nach meiner Decke greifen, doch sie war weg.

„Floh du Biest“, grummelte ich und öffnete die verklebten Augen. Rocco hatte die Decke bis zur Tür gezogen und sich darauf gelegt. Jetzt sah er mich hechelnd an.

„Teufel“, schimpfte ich und schlurfte an ihm vorbei ins Bad.

 

Frisch geduscht und rasiert kam ich wieder hinaus und zog mich im Schlafzimmer an.

Vorsorglich hatte Rocco die Decke wieder aufs Bett gezogen. Jetzt lag er im Bett und schlief.

„Du verrückter Köter“ ich ließ ihn liegen, wusste ich doch, dass er sofort kommen würde, wenn ich ihm eine Dose öffnete.

Auf den Weg in die Küche blickte ich auf die Uhr, acht. Also hatte ich noch Zeit für ein ausgiebiges Frühstück.

 

Um kurz nach neun machten wir uns gemeinsam auf den Weg. Wieder hatte ich einen Rucksack dabei. Diesmal waren jedoch Wechselsachen, Handtücher und Shampoo für mich drin. Ein Vorhängeschloss wollte ich unterwegs noch besorgen.

 

Kurz vor halb eins kam ich beim Haus an. Karin war bereits da. Ich erkannte ihr Auto. Daher führte mein erster Weg in ihr Büro.

„Hey, ich wollte nur bescheid geben, dass ich Rocco auf seinen Platz bringe und mich dann frisch mache.“

„Hey Florian. Mach das. Du bist früh dran.“ Verlegen kratzte ich mich am Arm.

„Damit ich noch Zeit zum Duschen hab.“

„Dann viel Spaß“ mit ihrem Lachen im Rücken ging ich zur Küche, um Rocco zu versorgen.

Im Fitnessbereich suchte ich mir einen Spint so weit weg wie möglich und verstaute alles. Nur mit Handtuch und Shampoo bewaffnet ging ich schließlich in den Duschraum.

Als ich wieder raus kam, stand Mike an den Spinten und zog sich aus.

„Hey“, sagte ich unsicher und ging mit gesenktem Kopf an ihm vorbei.

„Oh hey Flo“ begrüßte er mich lächelnd.

„Es … es tut mir leid, wie Rocco gestern auf Kai reagiert hatte. Es wird nicht noch einmal vorkommen. Ich werde ihn von Kai fernhalten.“ Ich stand mit dem Rücken zu Mike und zog mir meine Jeans über. Bemerkte daher nicht seinen Blick. Nur seine donnernde Stimme direkt an meinem Ohr ließ mich aufschrecken.

„Bist du bekloppt?“, fragte er und drehte mich unsanft an der Schulter zu sich um. Die Hand auf meiner nackten Haut brannte. Mike war ein Kopf größer als ich und seine azurblauen Augen funkelten wütend. „Wage es nicht Florian. Ich hatte Kai schon lange nicht mehr so glücklich erlebt.“ Meine Augen weiteten sich. Glücklich von einem Hund umgerannt worden zu sein? Das war mehr als unglaubwürdig. Ich schüttelte den Kopf. „Du glaubst mir nicht!“ das war keine Frage.

„Nein“, antwortete ich ihm trotzdem. „Mike ehrlich. Rocco musste Kai erdrückt haben. Er war zu schwer und viel zu wild. Jeder hatte es gesehn. Der Kleine ist nichts weiter als Spielzeug für Rocco.“ Ich redete mich in Rage. Meine Stimme wurde immer lauter. Bis sich Mikes Hand auf meinen Mund legte und mich verstummen ließ.

„Jetzt hör mir mal gut zu Florian!“ sein Mund lag an meinem Ohr und der Atem streifte meinen Nacken. Alles an Mike ließ mich zittern. Die Haut brannte. Ich wollte fliehen, doch Mike hielt mich mit eisernem Griff. „Überlege dir gut, wie du über Kai redest und auch was du tust. Wenn ich dir sage, dass Kai glücklich war mit Rocco, dann war das auch so. Wenn er noch einmal Rocco berühren möchte, dann lässt du ihn. Ich sage es dir nur einmal. Mach Kai nicht unglücklich, er hatte es schon schwer genug.“ Mir stockte der Atem, was wollte mir Mike damit sagen? Da die Hand noch immer auf meinen Mund lag, nickte ich. „Danke“, hauchte Mike.

Wir hörten Schritte näher kommen und abrupt drehte Mike sich weg und ging zu den Duschräumen. Ungläubig starrte ich ihm hinterher. Was war gerade passiert?

Ich musste mir nur noch ein Shirt überziehen und wollte die Umkleide nur noch verlassen.

Gerade als ich um die Ecke bog erblickte ich Karla.

„Ah da bist du. Florian oben wartet ein Herr auf dich.“ Es wusste doch niemand das ich hier war, wer sollte es sein?

„Hat er einen Namen genannt?“

„Ja … Frank sowieso“ sie grinste. Ich wusste welcher Frank, verabschiedete mich von ihr und ging nach oben.

 

Frank und Karin traf ich in der Küche. Rocco saß an ihren Füßen und ließ sich von Frank hinter den Ohren kraulen.

„Hallo Florian“, begrüßte er mich.

„Hallo“, ich setzte mich zu ihnen. Sofort legte Rocco seinen Kopf auf meinen Schoss.

„Wie geht es Ihnen?“ jeden Tag die gleiche Frage, grummelte ich.

„Mir geht es gut, danke“, sagte ich kleinlaut. Die Sache mit Rocco sprach ich nicht an.

„Es freut mich. Karin erzählte mir, wie gut du dich eingearbeitet hast. Auch von Rocco scheinen sie alle hin und weg zu sein.“ Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.

„Ich gebe mir Mühe“ war alles, was ich antwortete.

„Karin könnten wir Ihr Büro benutzen?“, fragte Frank und stand bereits auf. Verwundert stutzte ich, lief ihm aber hinterher, als er ohne auf Karins Antwort zu warten losging.

„Setz dich Florian“, forderte er mich auf.

„Was ist los?“ ich war verunsichert, noch nie war er so vorsichtig mir etwas zu sagen. Frank zog sich einen Stuhl ran und setzte sich neben mich. Sah mir dabei fest in die Augen.

„Florian, Jens wurde heute aus dem Gefängnis entlassen.“ Ich sackte in mich zusammen. Konnte ihn nur noch anstarren. Jens war der Grund, warum ich beinahe im Gefängnis gelandet war. Meinem Anwalt hatte ich es zu verdanken, dass ich auf Bewährung kam.

„Was?“ ich war sprachlos. Wusste ich doch, was geschehen würde, wenn Jens mich erwischte.

„Karin weiß über alles Bescheid. Sie wird Augen und Ohren offen halten. Dir wird nichts passieren!“ sagte er, doch ich war nicht so zuversichtlich.

„Okay“, antwortete ich trotzdem. Mitfühlend legte er die Hand auf meine Schulter und verabschiedete sich.

Keine Ahnung, wie lange ich noch vor mich hinstarrte. Roccos nasse Schnauze holte mich in die Realität zurück und als ich aufsah, erblickte ich Karin an der Tür.

„Möchtest du für heute nach Hause?“ ich nickte schwach.

Heute nahm ich freiwillig mit Rocco den Bus zurück.


Kapitel 4

Die kommende Woche verlief ruhig. Jens hatte ich schnell vergessen. Die Arbeit im Haus nahm mich voll und ganz ein. Rocco ließ ich immer öfter unbeaufsichtigt und auch Kai konnte ungehindert zu ihm.

Sie verstanden sich wirklich prächtig. Rocco war einfühlsam, achtete auf jegliche Veränderung von Kai und reagierte. Es war ein eigenartiges und doch vertrautes Gefühl zu beobachten, wie sie die gemeinsame Zeit verbrachten.

Selbst kam ich an Kai nicht ran. Wann immer wir uns begegneten, sagten wir entweder gar nichts oder stichelten uns auf. Ich verstand einfach nicht, warum Kai eine Sonnenbrille trug und so ein Geheimnis daraus machte. Dazu kam noch, dass es mir jedes Mal einen Stich versetzte, wenn ich Kai und Mike so beisammen sah. Ja, ich gebe es zu. Ich war eifersüchtig auf Mike und auch auf Rocco. Alle hatten sie Zugang zu Kai. Doch ich? Wir eckten immer aneinander. Ich bemerkte Kais Bemühungen nicht.

„Flo?“ Sascha hielt mich auf, als ich Feierabend machen wollte. „Sag mal hast du nicht mal Lust auf einen Männerabend?“ verdutzt sah ich ihn an. „Seid du hier bist, sehe ich dich immer alleine. Komm gib dir einen Ruck. Rocco kannst du ruhig mitbringen.“

„Ich weiß noch nicht so recht“, überlegte ich verlegen.

„Gib dir einen Ruck. Morgen Abend direkt nach der Arbeit.“ Herausfordernd sah er mich an. Seufzend nickte ich, so schlimm konnte es ja wohl nicht werden.

„Sehr schön“, freute sich Sascha. „Du kannst dann bei mir übernachten.“ Kopfschüttelnd verabschiedete ich mich von ihm und ging mir Rocco nach Hause.

 

Ich brauchte die frische Luft und auch wenn es bereits zweiundzwanzig Uhr durch war, musste ich einfach laufen. Rocco dankte es mir und sprang freudig an der Leine. Daher war es nicht verwunderlich, dass wir erst gegen ein Uhr zu Hause ankamen. Rasch versorgte ich noch den Hund, ehe ich selbst unter die Dusche ging.

Gerade als ich das Licht in der Wohnung löschte, klopfte es heftig an der Tür.

„Rocco“ zischte ich leise und gab ihm den Befehl aufzupassen, aber zu warten. Eine Weile wartete ich und als ich dachte an der Tür wäre niemand mehr, klopfte es wieder und eine mir bekannte Stimme ließ mich erstarren.

 

„Komm du kleiner Wichser, öffne die Tür freiwillig oder ich trete sie ein.“ Bitte nicht. Ich stand einfach nur da und wusste nicht, was ich machen sollte. Wie hatte Jens mich nur gefunden? Meine Beine gehorchten mir nicht, die Stimme war verschwunden. Meine Gedanken waren chaotisch und folgten keinem Befehl mehr. Mitten im Wohnzimmer sackte ich zusammen. Konnte nicht mehr handeln, nicht mehr denken. Rocco winselte leise, rührte sich aber nicht von der Stelle.

Mit einem Knacken sprang die Tür auf und ein großer, breitschultriger Mann sperrte das Korridorlicht aus.

„Was meine entzückten Augen sehen!“ sein Blick ruhte auf mir und fesselte mich. Unkontrolliert begann mein Körper zu zittern. „So ergeben“ ich konnte sein Gesicht nicht sehen, ahnte aber das lüsterne Blitzen in den grünen Augen. Wie ein Panther schlich er auf mich zu, bis er breitbeinig vor mir zum Stehen kam.

Grob packte er mir in die Haare und zog meinen Kopf in den Nacken. Ich wollte schreien, doch bekam ich keinen Ton heraus. Mit dem Gesicht beugte er sich dichter zu mir. „Weißt du eigentlich, was du mir schuldest?“ Die Stimme war leise und schneidend. Die Hand an meinen Haaren tat das restliche, um mich aus meiner Starre zu reißen. Ich gab einen kurzen Pfiff von mir und noch bevor Jens reagieren konnte, kam Rocco. Er sprang Jens in die Seite und stand zähnefletschend über ihm.

„Nimm diesen Köter von mir!“, schrie er.

„Bleib mir vom Leib, sonst lasse ich ihn noch mehr tun!“, drohte ich. Schnell willigte er ein und als er an der Wohnungstür stand, sah er mich grinsend an.

„Irgendwann erwische ich dich ohne dieses Vieh!“, versprach er mir und verschwand.

„Scheiße“, was hatte ich getan?

Wieder glitt ich zu Boden, doch diesmal war Rocco bei mir und ich vergrub mein Gesicht in seinem Fell. Was sollte ich nur tun? Zur Polizei gehen, nein unmöglich. Und es jemanden sagen? Wer würde mir glauben? Was würde man tun? Nein, ich musste allein damit fertig werden. Alleine mit Rocco!

 

Am nächsten Morgen rief ich bei Karin an, um mich krank zumelden. Es fiel mir nicht schwer, da ich die Nacht kein Auge zu bekam und ich mich mit Kopfschmerzen quälte.

„Packst du es mit Rocco oder soll ich vorbeikommen?“ bot sie sich an. Doch ich lehnte ab. Wollte niemanden sehen. Auch bat ich darum mich bei Sascha zu entschuldigen, was sie versprach zu machen, sobald sie ihn sähe.

Mit Rocco ging ich in den nächsten drei Tagen nur das nötigste raus. Aus einer beinahe vergessenen Kiste kramte ich die Neun Millimeter hervor und lud sie mit Gas. Egal wohin ich ging, die Waffe war mein ständiger Begleiter.

 

Am Montag kam ich wieder zur Arbeit. Jedoch fuhr ich mit dem Bus, da ich mich zu Fuß nicht mehr traute. Die Waffe steckte vorne in meinem Hosenbund und ein weites Hemd verdeckte die Beule.

Meine Nervosität hatte sich auf Rocco übertragen, denn sobald ich aus seinem Blickfeld war, wurde er unruhig und junkte.

„Florian?“, rief mich Karin um kurz vor vier ins Büro. Sie hatte mich schon den ganzen Nachmittag beobachtet, das sah ich ihr sofort an. Resigniert seufzend ließ ich mich auf einen Stuhl sinken.

„Ist alles in Ordnung mit euch beiden?“ Ich nickte automatisch, sah sie jedoch nicht an. „Florian bitte rede mit mir!“ Was sollte ich sagen? Ich sprang vom Stuhl auf und stürmte aus dem Zimmer. Bis ich an einen kräftigen Körper stieß und mich zwei Hände an den Oberarmen packten. Ich konnte nicht reagieren. Mein Kopf war durch Angst vernebelt. Rückwärts musste ich ins Büro zurück und ehe ich mich versah saß ich wieder auf dem Stuhl.

„Was hast du unter deinem Hemd?“ Mike, wieso hatte ich den Körper nicht vorher erkannt? Nur langsam drangen die Worte an mein Ohr. „Florian!“ schneidend war seine Stimme. Wie ferngesteuert legte ich die Hände auf den Bauch, direkt da, wo sich die Waffe befand. Es war verboten diese Dinger zu besitzen und ein unentschuldbares  Vergehen sie in so einer Einrichtung mitzubringen. Mikes kräftige Hand legte sich auf meine Schulter. Seine Lippen waren so dicht an meinem Ohr, sodass sie es berührten, als er sagte: „Ich weiß, dass du etwas bei dir hast, was hier nicht hingehört. Rede Junge. Karin wird dir nicht den Kopf abreißen.“ Ich wusste nicht, was zwischen den beiden abging. Meine Augen starrten auf den Fußboden vor meinen Füßen und die Hände krallten sich wie von selbst um die Waffe.

„Florian!?“ auffordernd und fragend war ihre Stimme. Schuhe rückten in mein Sichtfeld, aber ich hob den Blick nicht. „Gib es mir!“, forderte sie leise. Noch immer konnte ich nicht reagieren. Mike fasste mit der zweiten Hand nach den meinen. Wie unter zwang lösten sich die Finger und ich ließ Mike ungehindert unter das Hemd greifen.

Vorsichtig zog er die Neun Millimeter aus meiner Hose und legte sie auf den Schreibtisch.

Keine der beiden schrie mich an. Niemand sagte ein Wort. Nur Mikes Hand auf der Schulter verriet mir, dass er noch da war.

„Bitte“, flehte ich leise. „Bitte melden Sie das nicht.“ Panik stieg in mir auf. Wenn Sie das Frank berichteten oder die Polizei rufen würden, hätte ich verloren. Alles, was mir etwas bedeutete, wäre dann für immer weg.

„Was war Donnerstagnacht passiert Florian?“ Vor Angst geweiteten Augen starrte ich Karin an. Wie kam sie auf Donnerstag?

„Dein Anruf am Freitag. Irgendetwas stimmte nicht. Und jetzt rennst du mit einer Waffe rum! Ist dieser Typ aufgetaucht?“ Ein kurzes Nicken meinerseits, mehr war nicht drin. „Scheiße“, fluchte sie und ließ sich auf den Stuhl neben mir sinken. Mike stellte keine Fragen, also wusste er Bescheid. Na super, wer bitte noch aus dem Haus? „Ich muss Frank Bescheid geben …“

„Nein“ fiel ich ihr ins Wort.

„Florian ich muss ihm Bescheid geben wegen diesem …“

„Jens“ half ich ihr auf die Sprünge.

„Wegen Jens. Das andere …“ sie deutete auf die Waffe „Klären wir unter uns.“ Damit nahm sie das Telefon von der Station und entfernte sich einige Schritte von mir und Mike.

„Weißt du Kleiner, es gibt auch andere Wege sich zu schützen“, hauchte er mir ins Ohr. In meinem Nacken kribbelte es und die Härchen stellten sich mir auf. „Tu mir einen Gefallen und kümmer dich heute bitte um Kai. Ich habe nachher zwei Gruppen und für ihn keine Zeit. Außerdem denke ich, dass es für dich und Rocco die beste Arbeit wäre. Aber bleibt im Haus!“ Ich mich um Kai kümmern? Wem wollte Mike eigentlich verarschen?

„Alles klar!“ Karin kam zu uns zurück. „Frank weiß Bescheid und versucht Jens ausfindig zu machen.“ Sie sah mich eindringlich an. „Hast du gelernt mit der Waffe umzugehen?“

„Mein Vater brachte es mir bei. Ich besitze auch eine Genehmigung. Nur …“

„Ich weiß wegen der Bewährung“ fiel sie mir ins Wort.

„Wenn du herkommst, bringst du sie mir. Und wenn du Feierabend machst, bekommst du sie wieder. Ich möchte sie in dem Haus sicher verwart wissen.“

„Danke“ ich hatte einen Kloß im Hals und bekam kaum ein Wort heraus.

„Und jetzt geh. Wenn du das Haus verlassen musst, meldest du dich.“ Ich nickte und stand auf. Mike drückte mir noch einmal aufmunternd die Schulter zum Abschied.

Etwas beruhigter ging ich auf direkten Weg zur Küche und erstarrte. Scheiße Kai war bereits da. Dabei hätte ich gern noch einige Minuten allein mit Rocco gehabt.

„Hey“ grüßte ich unwirsch und setzte mich auf die Decke. Rocco kam sofort zu mir und vergrub seinen Kopf unter meinem Arm. „Alles ist gut Großer“, flüsterte ich und umschlang den schlanken Körper.

„Ist alles in Ordnung mit ihm? Er scheint sehr nervös zu sein.“ Kai hatte ich völlig vergessen und sah in prüfend an. Er saß vor mir auf einen Stuhl und sah zu uns rüber.

Aber auch wiederum nicht. Sein Blick schien über uns hinweg zu gleiten.

„Was ist mit deinen Augen? Ständig trägst du diese Sonnenbrille!“ war mal wieder das Erste, was mir in den Sinn kam. Er lächelte verlegen.

„Hast du es immer noch nicht bemerkt? Du bist so ein Dummkopf Flo. Warum trag ich wohl eine Sonnenbrille im Gebäude? Bestimmt nicht zum Spaß!“ er sah mich nicht an, er sah …

„Du bist blind?“, fragte ich erstaunt. Sein Lächeln wurde breiter und er nickte.

Wow, damit hatte ich ja jetzt gar nicht gerechnet.


Kapitel 5

„Seid wann?“ Mir kam es vor wie eine Ewigkeit, dabei redeten wir gerade mal zwei Stunden.

Wir saßen beide auf der Decke, Rocco zwischen uns.

„Seid sieben Jahren.“

„Wie ist es passiert?“ Kai streichelte Rocco und ich dachte schon er würde nicht antworten.

„Es war eine Hornhautentzündung. Sie wurde zu spät erkannt und dann falsch behandelt.“ Er meisterte sein Leben. Schwer zu glauben, dass er früher sehen konnte. „Schau mich nicht so an Florian. Nur weil ich blind bin. Ich sehe anders, mit meinen Händen und die Sinne sind besser entwickelt.“ Von der Seite beobachtete ich ihn. Würde man es nicht wissen, keiner würde merken, dass er blind war.

Ich war verunsichert. Wie sollte ich ihn behandeln? Am besten so wie immer, doch konnte ich das mit dem Wissen?

„Flo können wir raus gehen mit Rocco?“ brach er unser Schweigen.

„Ich weiß nicht“ gab ich stotternd zur Antwort. „Ich musste Mike versprechen, das Haus nicht zu verlassen.“

„Was?“ er drehte mir das Gesicht zu. „Was hat Mike damit zu tun?“ ich antwortete nicht, was sollte ich auch darauf sagen. Kai stand auf und ging geradewegs aus der Küche. Unwillkürlich musste ich grinsen. Vom Flur, nicht weit vom Zimmer entfernt, hörte ich lauter werdende Stimmen.

„… warum nicht?“ erkannte ich Kai.

„Es hat seine Gründe Kleiner“, versuchte Mike ihn zu beruhigen. Doch Kai ließ sich nicht beschwichtigen.

„Nein Mike. Ich möchte gern mit ihm und Rocco raus. Was soll so gefährlich sein? Er weiß, dass ich blind bin. Wir haben vorhin lange darüber geredet.“ Sie standen an der Tür und Mike seufzte, als er meinen Blick erwiderte.

„Flo sag Karin Bescheid. Sie ist im Büro“ verstehend nickte ich ihm zu und verschwand.

 

„Karin“ ich klopfte leise.

„Komm rein Junge.“ Sie sah auf, in mein besorgtes Gesicht. „Was ist los?“

„Kai fragte mich, ob wir raus können. Mike wollte, dass ich dir Bescheid gebe.“ Prüfend sah sie mich an.

„Bist du dir sicher?“ ich musste schlucken, denn ich war alles andere.

„Ja“, sagte ich mit fester Stimme. Wortlos reichte sie mir meine Waffe und beobachtete, wie ich sie kontrollierte und wegsteckte.

„Geh nicht soweit. Versuche immer das Haus in Sicht zu behalten.“ Ich nickte und ging zu Kai.

Mike wartete bei ihm und Rocco auf mich. Sein Blick war fragend und zur Antwort legte ich meine Hand auf die Waffe.

„Seid vorsichtig“ war alles, was er sagte, bevor er ging.

 

„Möchtest du dich einhacken?“ ich wusste nicht recht, wie ich mit Kai umgehen sollte. Zu fremd war das Wissen und zu unbestimmt das Gefühl.

Ich stand direkt vor ihm, als ich das sagte und wortlos streckte er die Hand nach mir aus. Ich ergriff sie und legte die Hand auf meinen Unterarm.

Mit Kai auf der einen und Rocco auf der anderen Seite verließen wir das Gebäude.

Etwas mulmig war mir schon zumute. Für mich selbst Verantwortung zu übernehmen ist das eine, aber für andere ist etwas ganz anderes.

„Was ist los Florian?“ ich blieb stehen und sah den Jungen neben mir an. „Du zitterst“, stellte er leise fest. „Irgendetwas macht dir Angst, kann das sein?“ Ich brachte immer noch kein Wort raus, starrte ihn nur an. Unruhig zog Rocco an der Leine, worauf wir weiter gingen, ohne dass Kai eine Antwort von mir bekam.

 

Wir waren bereits eine Weile unterwegs. Das Haus konnte ich noch erkennen, aber ansonsten war nichts mehr da. Kein einziges Gebäude. Weit und breit nur Felder. Rocco tobte über das Brachland und ich ging gemütlich mit Kai auf dem Trampelpfad entlang.

Nichts geschah, dennoch war ich nervös und konnte es scheinbar nicht richtig kontrollieren.

„Möchtest du lieber wieder zurück?“ Kai schien meine Gedanken zu erraten.

„Ja, es ist schon spät. Die anderen werden sich sorgen machen.“ Die Aussage brachte Kai zum Lächeln. Verloren sah ich ihn an. Die feinen Gesichtszüge, die goldene Haut die in der Sonne glänzte.

Bevor ich wusste was ich tat, strich ich ihm eine Haarsträhne hinters Ohr. Nur leicht berührte ich ihn, mehr traute ich mir nicht zu.

Sekunden verweilten meine Finger in den seidigen Locken. Ich wollte die Hand gerade senken, als er danach griff.

„Darf ich?“, fragte er vorsichtig. Da ich keine Antwort gab, ließ er es langsam angehen. Seine Hand wanderte meinem Arm empor, federleicht strich sie am Hals entlang, bis sie auf meiner Wange liegen blieb. Die zweite Hand legte sich auf meine andere Wange. Ich schloss die Augen, atmete seinen Duft ein und genoss die Berührung. Er stand so dicht vor mir, fast berührten sich unsere Körper. Sanft glitten die Finger über Kinn und Lippen. Nase und Wangenknochen. Meine Stirn und meine Ohren, bevor sie sich in meinen Nacken fanden. Nur ein winziger Schritt trennte uns noch. Ich tat ihn, meine Hände umfassten seine Taille. Der Länge nach berührten wir uns. Keiner sprach ein Wort. Mein Atem ging schwerer und ich lehnte meine Stirn an seine. Da wir fast gleichgroß waren, kein Problem. Sein Fuß schob sich zwischen meine. Meine Hände legten sich auf seinen Rücken und drückten ihn noch dichter an mich. Darauf bedacht, ihn nicht die Waffe spüren zu lassen. Sein Kopf legte sich in meine Halsbeuge. Immer noch sagte keiner von uns auch nur ein Wort.

 

Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war.

Ein Klingeln ließ uns aufschrecken.

„Es ist Mike“ lachte Kai, zog das Handy heraus und nahm ab. „Was ist los? … Nein alles in Ordnung … Ja warte!“ Kai reichte mir das Gerät. Nur zögernd nahm ich es entgegen.

„Ja?“

„Ist alles in Ordnung bei euch? Wo seid ihr?“ Ich sah mich um, es dämmerte bereits. Wie lange standen wir schon hier?

„Wir sind auf dem Feld, ich sehe die Rückseite des Hauses.“

„Okay kommt zurück.“ Damit legte Mike einfach auf.

„Er macht sich ständig Sorgen um mich. Es tut mir leid, dass ich dich da mit reingezogen habe.“ Kai klang niedergeschlagen. Aber was sollte ich sagen? Dass Mike recht hatte? Dass ich eine Waffe bei mir trug, weil ich bedroht wurde? Ich konnte ihm nichts sagen. Nachdem ich ihm das Handy gereicht hatte, blickte ich mich suchend nach Rocco um.

Ich pfiff, um ihn zu rufen. Aber er kam nicht. Wieder pfiff ich. Lauter und länger. Schrie seinen Namen. Nichts. Meine Beine knickten weg. Da sich Kai bei mir festhielt, zog ich ihn mit zu Boden, als ich keinen Halt mehr fand. Noch immer rief ich seinen Namen, obwohl mir ein Kloß die Kehle zuschnürte.

Ich bemerkte nicht, wie Kai telefonierte und auch nicht, wie viel Zeit vergangen war. Rocco war verschwunden. Es war etwas passiert und ich hatte nichts bemerkt.

Tränen liefen mir über die Wange. Kai nahm mich in den Arm, strich mir über den Kopf und flüsterte mir etwas ins Ohr, was ich nicht verstand.

 

Jemand riss mich auf die Füße. Ich konnte keinen Halt finden und sackte an einen großen, stämmigen Körper. Kräftige Arme umschlangen mich und sorgten dafür, dass ich nicht fiel.

„Florian!“ schneidend drang die Stimme durch mein getrübtes Gehirn. Ich hob den Blick und sah in Mikes Gesicht. Scham überfiel mich und ich wollte den Kopf wegdrehen. „Florian was ist passiert?“ Noch bevor ich etwas sagen konnte, ergriff Kai das Wort.

„Wir haben uns unterhalten. Ich hatte ihn abgelenkt und dann war Rocco weg.“ Mike hielt mich weiter im Arm, aber er wurde weicher, fürsorglicher. Er drückte mich an sich.

„Sascha!“, rief er seinen Kollegen zu uns. „Bring die beiden ins Haus und schicke Freiwillige mit Taschenlampen raus. Ich möchte die Umgebung absuchen. Vielleicht liegt Rocco hier irgendwo.“ Ein Schluchzen entrang sich meiner Kehle. „Wir werden ihn finden.“ versuchte er mich zu beruhigen.

 

Kai zog mich sanft aus Mikes Umarmung und schlang einen Arm um meine Taille. Automatisch legte ich meinen auf seine Schulter. Wo Sascha ging, wusste ich nicht, mir war alles egal. Ich wollte nur meinen Rocco wieder haben.

Um mich herum herrschte reges Treiben, als wir das Haus betraten. Sascha brachte uns geradewegs in Karins Büro. Verschloss die Tür von außen und verschwand, um Anweisungen zu erteilen.

 

Bis zum kleinen Sofa hatte ich es noch geschafft. Kraftlos sank ich in die Kissen. Kai setzte sich neben mir und sorgte dafür, dass ich den Kopf in seinen Schoss bettete.

Wieder rollten die Tränen.

Lebend würde niemand Rocco finden, das wusste ich. Jens hatte ihn sich geschnappt.

Mir war kalt, mein Körper zitterte und mein Atem kam stockend. Unter Schluchzern fiel ich irgendwann in einen unruhigen Schlaf.

Kapitel 6

Ich erwachte, getrieben von wirren Träumen.

Stimmen waren leise zu vernehmen. Unablässig strich mir Kai über den Kopf, spielte mit meinen Haaren. Die Tür wurde immer wieder geöffnet und geschlossen.

„Sie haben ihn gefunden“, flüsterte er, hat an meiner Atmung bemerkt, dass ich erwachte. Ruckartig setzte ich mich auf.

„Was? Wo? Wie geht es ihm?“ sprudelte es nur so aus mir heraus. Kai suchte nach meiner Hand und als er sie fand, hielt er sie umklammert.

„Karin ist bei ihm in der Klinik. Mike kommt uns abholen.“

„Nein“ ich wollte aufspringen, sofort losrennen. Doch Kai hielt mich fest.

„Flo bitte, lass mich bei dir bleiben. Ich möchte auch zu Rocco. Mike ist doch schon unterwegs zu uns.“ Hin und hergerissen von meiner Angst um Rocco und dem Wunsch Kai bei mir zu wissen, blieb ich sitzen. Ich wollte zu meinem Freund, aber alleine? Nein.

Schweigend saßen wir da, lauschten auf die Geräusche und Gespräche.

„Wo sind sie?“ Leise war die Stimme, aber wir erkannten sie. Wie auf Kommando standen wir auf und traten auf den Flur. Mike stand nur wenige Meter von uns entfernt. Als er uns erblickte, kam er zu uns und zog Kai und mich in eine tröstende Umarmung.

„Kommt Jungs“, mehr sagte er nicht. Ich versuchte in seine Augen zu lesen, aber er wich meinem Blick aus. Irgendetwas stimmte nicht, immer fester zog sich der Knoten in meiner Brust zusammen.

 

Nach einer Stunde quälender Autofahrt, in der niemand etwas sagte, kamen wir in der Tierklinik an.

Wieder wollte ich blind drauf los stürmen, doch Kai hielt mich fest. Die ganze Fahrt über hatte er meine Hand gehalten und ließ sie auch jetzt nicht los. Ich zwang mich die Augen zu schließen und ruhiger zu atmen, was mir nur mühsam gelang.

Mike ging voraus. Das Gebäude war im Vergleich zu anderen Tierarztpraxen riesig. An vier Türen gingen wir vorbei.

„Karin“, rief Mike mit unterdrückter Stimme.

Karin stürmte bei unserem Anblick auf uns zu und riss mich in ihre Arme.

„Oh Flo“, sie verbarg ihr Gesicht an meiner Schulter und … weinte.

Meine Arme legten sich auf ihren Rücken. Reden konnte ich nicht, das brauchte ich auch nicht, denn ein Arzt kam aus dem Operationssaal, vor dem wir standen.

„Der schwarze Hund gehört zu ihnen?“, fragte er. Wir lösten unsere Umarmung und drehten uns zu dem Mann um. Dabei umfasste Mike wieder meine Taille, zur Sicherheit.

„Er hatte schwere innere Verletzungen, gebrochene Rippen und Hüftgelenk. Es tut mir sehr leid …“

Alles wurde schwarz. Ich hörte und sah nichts mehr. Meine Beine knickten weg und ich fiel.

 

 

Ich lief mit Rocco über Felder. Immer wieder warf ich Bälle und Stöcke. Er fing alles und brachte es zu mir zurück. Und wieder warf ich einen Ball. Rocco rannte hinterher, sprang, um ihn im Flug zu fangen. Der Boden verschwand unter seinem Körper und mit dem Ball in der Schnauze stürzte er in einen schwarzen Abgrund. Ich rannte hinterher. Doch jeden Meter, den ich hätte näher kommen müssen, vergrößerte sich der Abstand. Ich konnte ihn nicht erreichen. Rief immer wieder nach meinem Freund, bekam aber keine Antwort.

Wind peitschte auf. Ging mir unter die Kleidung und riss an meinen Haaren. Wie Widerhaken klammerte er sich fest, stürzte mich zu Boden und drückte den Körper nieder.

Gespenstische Geräusche, die sich in ein menschliches Lachen verwandelte. Der Wind verfestigte sich und nahm menschliche Formen an.

Jens kniete über mir und hielt mich erbarmungslos fest.

„Du kannst dich nicht vor mir verstecken. Ich werde dich kriegen. Du und dein Arsch, ihr gehört mir.“ säuselte er mir ins Ohr. Ich wollte schreien, aber seine schwere Hand legte sich mir auf den Mund und erstickte meinen Protest. Mit den Armen wollte ich nach ihm schlagen, doch er ergriff sie und drückte meine Hände über den Kopf zusammen. „Wehre dich ruhig. Ich liebe es, dich zappeln zu sehen. Zeige mir, wie sehr du mich hasst.“ Sein Knie quetschte meine Weichteile. Schmerz durchströmte meinen gesamten Körper, ließ mich stöhnen und aufbäumen. Jens lachte, sein dreckiges Lachen. „Egal was du versuchst, solange wir noch eine Rechnung offen haben, wirst du mich nicht los.“

„Warum?“, versuchte ich zu fragen, doch wieder drückt seine Hand auf meinen Mund.

„Du hast mich verraten. Wir wollten den Coup gemeinsam durchziehen, aber du bekamst kalte Füße.“ Das Gewicht in meinem Unterleib nahm zu und ich schrie vor Schmerz auf. „Du warst zur Polizei gerannt, du mieser Kerl. Dafür gehörst du mir.“ Mein Puls raste, Schweiß rann mir über den ganzen Körper und die kalte Luft ließ ihn erzittern.

So schnell, wie Jens erschienen war, verschwand er auch wieder. Eiskristalle bildeten sich da, wo er mich berührt hatte. Ich konnte mich nicht bewegen, hatte das Gefühl zu ersticken. Wehrte mich, wie ich nur konnte und schließlich entrangen sich Töne meiner Kehle.

Ich schrie.

Kapitel 7

Sanft lag eine Hand auf meiner, strich beruhigend über meine kalte Haut.

Ich schrie, riss die Augen auf und konnte dennoch nichts erkennen.

„Flo alles ist gut.“ Kai … so Hecktisch wie mein Atem, ging mein Blick durch den dunklen Raum. Ich spürte seine Hand auf meiner, tastete danach und zog ihn zu mir. Umschlang den schmächtigen Körper und weinte.

Zärtlich strich er mir über das Haar.

„Alles ist gut“, flüsterte er wie ein Mantra immer und immer wieder.

Nur langsam wurde ich ruhiger, ließ Kai aber trotzdem nicht los. Wie ein Ertrinkender eine Boje klammerte ich mich an ihn.

„Er lebt“, sagte er mir irgendwann leise ins Ohr. „Flo hörst du? Rocco lebt. Die Heilung wird schwer werden und es ist möglich, dass Rocco nie wieder richtig laufen kann, aber er wird leben.“ Nur langsam sickern die Worte in mein Gehirn.

„Kann ich ihn sehen?“

„Später“, beruhigt er mich. Wischte mir die Tränen von der Wange. „Mike und Karin sind bei ihm und reden mit dem Arzt.“

„Nein“ ich wollte aufstehen. Noch immer konnte ich die Hand vor Augen nicht sehen und wusste auch nicht, wo ich war.

„Dann lass uns gemeinsam gehen.“ War alles was Kai sagte, ergriff meine Hand und zog mich mit.

Ich bekam ein Gefühl davon, wie Kai durchs Leben ging, und war beeindruckt.

Auf dem Flur brannte das grelle Licht, sodass ich die Augen schließen musste. Ich ließ mich von Kai führen, bis mir bekannte Stimmen an die Ohren drangen. Sofort riss ich die Augen auf und rannte los. Kai ließ ich stehen. Er rief mir noch etwas hinterher, aber das hörte ich nicht. Die drei Personen, auf die ich zurannte, drehten sich uns zu um.

„Langsam Junge“ Mike war mir entgegen gekommen und hielt mich an den Schultern fest.

„Wo ist er?“, stotterte ich atemlos.

„Wenn du dich beruhigt hast, kannst du zu ihm. Er ist vor einer halben Stunde aufgewacht. Darf sich aber noch nicht bewegen und kann genauso wenig hören wie du.“ Dabei wuschelte er mir liebevoll durchs Haar.

Mittlerweile stand auch Kai bei uns. Sagte aber nichts.

Der Arzt und Karin unterhielten sich an einer Tür, die der Mann mir öffnete.

„Danke“, brachte ich geradeso raus. So wie meine Stimme zitterten auch die Beine. Doch ich riss mich zusammen. Setzte einen Fuß vor den anderen, bis ich vor Roccos Käfig stand. Langsam öffnete ich das Gitter und gebe nach. Lasse mich zu Boden sinken.

Rocco wollte aufstehen, mir entgegen kommen und streckte mir den Kopf empor. Ich legte mein Gesicht an seins, schloss die Augen, streichelte ihm hinter den Ohren. Ich war so froh, dass er lebte. Tränen rollten mir über die Wangen. Rocco leckte sie ab, fiepte dabei leise.

„Du bist dumm. Ich sollte mir um dich Sorgen machen und trösten, nicht du mich.“ Ein trauriges Lächeln umspielte meine Lippen.

Vorsichtig lehnte ich mich an die Wand und bettete Roccos Kopf in meinem Schoß. Leise sang ich vor mich hin, summte uns beide in den Schlaf.

 

 

Eine ganze Woche sollte Rocco in der Klinik bleiben. Mit schwerem Herzen verabschiedete ich mich von ihm. Mike versprach mir mich nach der Arbeit hier abzusetzen und am nächsten Tag abzuholen, da die Klinik auf seinem Weg lag.

Der Arzt war auch einverstanden.

 

Kai ist heute nicht dabei.

„Er hat Nachmittagskurse. Jeden Mittwoch und Donnerstag.“ Ich erinnerte mich, immer an diesen beiden Tagen war er nicht in der Einrichtung gewesen.

„Was für Kurse hat er belegt?“ Ich war neugierig und versuchte mich abzulenken.

„Englisch, Latein, Computerwesen und EDV.“ Da staunte ich nicht schlecht. Mike schmunzelte. „Der Kleine ist zwar blind, aber ein richtiges Genie. Er ist an einer Spezialschule. Ich war einmal dabei, hatte gewettet, dass ich schneller einen Text fehlerfrei abtippen könnte als er. Seid diesem Tag trage ich das.“ Lachend macht er sein rechtes Handgelenk frei. Drei schwarze Punkte in Form eines Dreiecks. Ich fiel in sein Lachen ein. Es waren die Punkte von dem Blindenband, fehlte nur noch die gelbe Untermalung.

„Es ist schön, dich lachen zu sehen.“ Abrupt wurde er wieder ernst. Warf mir einen kurzen Blick zur Seite zu und legte seine Hand auf meinen Oberschenkel.

„Ich weiß was dir Rocco bedeutet. Es ist genauso wie zwischen Kai und mir.“ Diese Aussage war wie ein Schlag in den Magen.

„Wenn dein Freund aus der Klinik ist, werden wir alle gut auf ihn aufpassen.“ Beruhigend streichelt er mein Bein. Die Geste war nicht anzüglich, aber wirklich tröstend war sie auch nicht.

Den Rest der Fahrt hing ich meinen Gedanken nach.

 

 

Freundlich begrüßten mich die Kollegen und fragten, wie es Rocco ginge. Mike übernahm das Reden für mich.

„Florian!“ Karin rief mich zu sich ins Büro. Hinter verschlossener Tür legte ich sofort meine Waffe auf den Tisch. Die ganze Nacht hatte ich sie kein einziges Mal abgelegt.

„Danke“ sie bat, mich zu setzen. „Im Duschraum ist ein Rohrbruch. Nachher kommt eine Firma raus und ich möchte, dass du ein Auge darauf wirfst. Biete ihnen etwas zu trinken an.“ Ich nickte nur. Beruhigend legte sie eine Hand auf meine Schulter. „So wirst du nicht von den Jugendlichen konfrontiert.“

„Danke“ war alles, was ich sagte, bevor ich das Büro verließ.

Mitfühlende und besorgte Blicke, egal wo ich hinsah. Ich hielt das nicht aus, stürmte aus dem Haus und kam nur stolpernd zum Stehen.

Die Handwerker waren da. Zwei stämmige Kerle in grünen Overalls und Basecap.

„Guten Tag“ grüßte ich sie zerknirscht. Beide nickten mir nur zu.

„Sie sind wegen des Rohrbruchs hier?“ wieder nickten sie.

„Folgen sie mir. Kann ich ihnen etwas zu trinken anbieten?“ sie verneinten und gingen auf mich zu. Die Art und Weise wie sie sich bewegten war mir irgendwie bekannt. Ich kam nur nicht darauf woher. Schnell drehte ich mich um und lief vor ihnen her in den Fitnessbereich.

 

Unten angekommen blieb ich im Durchgang zu den Spinten stehen, um sie an mir vorbei zu lassen.

„Einfach geradeaus und den ersten Durchgang links. Es ist nicht zu verfehlen.“ Ich sah in die Richtung, in der ich zeigte. Wunderte mich aber warum sie nicht vorbei gingen und blickte mich um.

 

Augenblicklich gefror mir das Blut in den Adern. Stahlharte grüne Augen blickten mich gleich zweimal an. Beide Männer hatten die gleiche große, muskelbepackte Statur. Sie hatten die Mützen abgenommen und sich mit leicht gespreizten Beinen vor mir aufgebaut.

Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Panik schnürte mir die Kehle zu, sodass ich keinen Ton rausbrachte.

„Darf ich vorstellen: mein Zwillingsbruder Eric.“ Der eine kam immer näher und flüsterte mir ins Ohr „ich hatte dir doch gesagt, dass du mir nicht entkommst.“ Eine kräftige Hand legte sich auf meine Schulter und ich wurde in den Duschraum geschubst. „Jetzt gehörst du mir allein und wir können endlich spielen!“ Das Lachen hallte von den Kacheln und dröhnte in meinen Ohren.

Ich war wehrlos. Jens war gekommen!

Kapitel 8

Eric stand Schmiere.

Jens freie Hand hatte sich um meine Kehle gelegt. Immer mal drückte er zu, um mich anschließend betteln zu lassen. Doch diesen Gefallen tat ich ihm nicht. Kein Schrei, kein einziges Wort verließ meine Lippen.

„Du elender Bastard!“ während er mich mit der einen Hand festhielt, schlug er mir immer wieder in den Magen und auf den Brustkorb. „Da hat sich ja dein Köter mehr gewehrt.“ Er entblößte seinen Arm, mit dem er mich gepackt hielt. Ein großer Verband zierte seinen Unterarm. Innerlich war ich froh, dass Rocco ihn verletzt hatte. „Aber weißt du Arschloch, dafür kann diese Töle dir jetzt nicht zur Hilfe kommen.“ Bedrohlich dicht kam sein Kopf. Ich legte meine Hände an seinen Oberkörper, wollte ihn wegstoßen. Erreichte aber nichts. Jens lachte. „Du Hänfling kannst nichts gegen mich aussetzen.“ Er drückte mich in die Knie und zwang mich meinen Mund zu öffnen. Erst da bemerkte ich, dass seine Hose offen stand. Ich gehorchte, konnte nichts anderes machen.

Heftig stieß er mir in den Rachen, sodass ich würgen musste. Als er kam, hielt er mir die Nase zu, ich musste Schlucken, wenn ich nicht ersticken wollte.

An den Haaren zog er mich zu sich nach oben, drehte mich mit dem Gesicht zur Wand. Er nestelte an meiner Hose und riss sie mir in die Kniekehlen. Jetzt schrie ich, versuchte mich aus seinem Griff zu winden, flehte und bettelte. Zu oft hatte er das schon mit mir gemacht. Das war auch mit ein Grund gewesen, warum ich mir Rocco zugelegt hatte.

Doch das Betteln entlockte Jens nur ein Lachen und für das Zappeln setzte es Hiebe. Trotzdem wehrte ich mich weiter, immerhin konnte ich ihn so davon abhalten, in mich einzudringen. Nur wie lange konnte ich dem noch etwas entgegensetzen?

Immer wieder knickten mir die Beine ein, bis ich mich schließlich zu Boden sinken ließ. Jens packte meine Haare und zog. Nur noch ein leiser Schrei entrang sich meiner Lunge.

Mein Widerstand war gebrochen, jetzt hätte er alles mit mir anstellen können.

Der Blick war vom Blut verschleiert, welches mir von der Stirn lief. In meinen Ohren rauschte es, als würde ich in einem Wasserfall stehen. Alles um mich herum drehte sich. Ich spürte meinen Körper nicht mehr, besser gesagt es fühlte sich an als würde mein Körper brennen, aber ich konnte mich nicht mehr bewegen.

 

Weit entfernt hörte ich Rufe. Jens musste mich losgelassen haben, denn ich fiel zu Boden. Der Aufprall war das Letzte, was ich noch mitbekam. Dann war alles still und schwarz.

 

 

Es war heiß. Langsam öffnete ich die Augen. Alles um mich herum brannte. Verzweifelt suchte ich nach einem Ausweg ohne Erfolg. Von irgendwoher drang ein Lachen an meine Ohren. Das war Jens, ich wusste es so sicher wie das Amen in der Kirche. Und da stand er auch. Keine zwei Meter vor mir.

„Egal wo du dich versteckst, ich werde dich finden.“ Mit einem Satz stand er hinter mir, drückte meine Arme auf den Rücken und zog mich an seinen Körper. Wehren zwecklos.

Meine Arme waren eingeklemmt, er umfasste meinen Körper, zerrte das Shirt aus meiner Jeans und fasste meinen erhitzten Leib an. Ich schrie, Jens Hand war eiskalt. Es zischte, als sich nackte Haut berührte. Er lachte, direkt an meinem Ohr. Hielt mit einer Hand meinen Hals umklammert, während er mir mit der anderen die Hose öffnete und abstreifte.

„Du gehörst mir“, zischte er und versenkte sich in mir.

Wieder schrie ich auf, Tränen quollen aus meinen Augen. Heftig stieß er zu. Ergötzte sich an meinen Schmerzen. Schon nach wenigen Stößen spritzte er ab. Zog sich aus mir heraus und löste sich in Luft auf.

Meine Beine versagten, mir tat alles weh. Auf dem Boden kugelte ich mich zusammen. Das Feuer griff auf meinen Körper über. Bedeckte mich vollständig. Keinen Ton brachte ich raus. Trotz der Hitze zitterte ich und Tränen rollten in Bächen über meine Wangen.

 

 

Federleicht strich etwas über meinen Arm.

Nur langsam kam ich zu mir, stöhnte auf vor Schmerz und wollte mich schützend zusammen kugeln, was mir nicht gelang. Ich konnte die Arme und Beine nicht bewegen. Vergeblich zerrte ich an den Fesseln.

„Alles ist gut, du bist in Sicherheit.“ Die Stimme, wie ein sanfter Frühlingswind umwehte sie mein vernebeltes Gehirn. Warm war das Gefühl was mich durchströmte und meinen Körper erzittern ließ.

Nur schwer lassen sich meine Lider heben. Ein kleines Licht brannte am anderen Ende des Zimmers.

„Was?“ unsicher und rau war meine Stimme.

„Du bist im Krankenhaus. Weißt du, was passiert war?“ Ich erinnerte mich und das ließ mich aufstöhnen.

„Nein“, war jedoch alles, was ich sagte.

„Mike hatte mir nichts gesagt.“ Kai klang niedergeschlagen. „Flo ich möchte für dich da sein. Ich weiß nur das die Polizei da war und Krankenwagen, der dich abgeholt hatte.“ Er legte seinen Kopf auf meinem Arm. Ich rührte mich nicht, wollte einfach nur vergessen. Also schloss ich die Augen wieder, versuchte ruhig durchzuatmen und in den Schlaf zu finden.

Ohne Erfolg.

Sobald ich die Augen schloss, sah ich alles vor mir. Wie Jens mich zwang, ihn zu blasen und alles zu schlucken. Bei der Erinnerung überfiel mich ein Brechreiz. Ich wollte mich zur Seite drehen, doch wieder hielt mich etwas fest. Panik stieg in mir auf.

„Mach mich los!“, schrie ich Kai an. Er wollte mich beruhigen, strich mir unablässig über den Arm.

„Die Schwester kommt, ich habe geklingelt.“

„Warum?“, wollte ich wissen.

„Du warst zu unruhig. Hast nur um dich geschlagen. Sie mussten dich fixieren.“ Ich drehte den Kopf zur Seite, versuchte die Übelkeit runter zu schlucken.

Die Schwester ließ nicht lange auf sich warten und befreite mich.

Hals über Kopf wollte ich aus dem Bett stürzen, hatte die Hand auf den Mund gepresst. Die Schwester hielt mich auf, reichte mir aber einen Eimer und sorgte dafür, dass ich nicht umkippte, als ich mich übergeben musste.

Geduldig wartete sie, bis sich mein Magen entleert hatte, kontrollierte meine Werte und ließ mich mit Kai allein.

 

Kaum das die Krankenschwester hinaus war, suchte seine Hand die meine.

„Darf ich mich zu dir legen?“ Vorsichtig stellte er die Frage. Ich sagte nichts, zog ihn einfach an der Hand nach oben, direkt in meine Arme.

Bereitwillig legte er seinen Kopf auf meine Brust, seine Hand glitt auf meinen Bauch. Mein Arm umschlang seinen Körper.

Ich zog ihn an mich und schloss die Augen.

„Wenn du reden möchtest, ich bin immer für dich da.“ Gedankenverloren kraulte ich seinen Kopf, gab ihm keine Antwort und so schwiegen wir.

Seine streichelnde Hand auf meinem Bauch lullte mich ein.

Doch es war kein friedlicher Schlaf. Jens tauchte auf und die Erinnerung an den Duschraum überrollte mich.

Ich war nackt und er drückte mich mit der Vorderseite an die kalten Fliesen. Spreizte meine zitternden Beine und …

Ich schrie, setzte mich im Bett auf und wollte die Beine an den Bauch ziehen, aber etwas hinderte mich.

Kai, er lag neben mir. Durch den Schrei hatte ich ihn geweckt.

„Florian!“ verschlafen klang seine Stimme, dennoch war er sehr aufmerksam. „Komm her, alles ist gut!“ bestimmt zog er mich hinunter, bettete meinen Kopf auf seiner Brust und drückte den zitternden Körper an sich. „Du bist in Sicherheit. Dir kann nichts mehr passieren.“ Beruhigend strich er durch mein Haar, während die andere Hand die meine umfasst hielt.

Nur langsam beruhigte sich mein Atem. Ich schloss die Augen, konzentrierte mich auf seine Stimme und Berührung und schaffte es, wenigstens für diese Nacht das Erlebte zu vergessen.

 

Der Morgen begann, wie die Nacht geendet hatte.

Kai wich nicht von meiner Seite, egal wer ins Zimmer kam.

Ärzte, Schwestern und Polizei. Zu niemandem sagte ich ein Wort.

Auch mit Kai redete ich nicht, lag nur in seinem Arm und versuchte zur Ruhe zu kommen.

Gegen Mittag kamen Karin und Mike vorbei. Unwillkürlich verspannte ich mich bei seinem Anblick. Doch er lächelte uns nur an und gab Kai einen Kuss auf die Stirn.

Auch mit ihm wechselte ich kein Wort, mein Blick ging ins Leere.

Dem Gespräch was Kai mit Mike und Karin führte konnte ich nicht folgen. Von Karin nahm ich noch nicht einmal Notiz. Das einzig Reale war Kais Körper und seine Berührung.

Am Nachmittag kam mein Bewährungshelfer vorbei. Karin hatte ihn bereits auf meinen Zustand vorbereitet, erklärte er Kai. Frank redete zwar mit mir, verlangte aber keine Antworten.

Er war nicht lange da und für diesen Tag war er der letzte Besuch.

Die folgende Nacht war genauso schlimm wie die Letzte. Nur das mir Kai von Anfang an Halt gab und mir durch die Schwärze half.

Kapitel 9

Kurz nach der Morgenvisite stand Mike im Zimmer.

„Guten Morgen ihr Süßen“, begrüßte er uns gut gelaunt. Unweigerlich versteifte ich mich, da ich immer noch bei seinem Kai im Arm lag.

„Guten Morgen Großer. Warum so fröhlich?“ Mike gab Kai einen Kuss auf den Mund und wuschelte mir durchs Haar.

„Weil ich euch beide jetzt abhole. Du Kai musst zur Schule …“ Kai stöhnte auf „und Flo kommt mit ins Haus.“ Ich wusste nicht warum, aber mir behagte der Gedanke nicht und ich krallte eine Hand in Kais Shirt. Beruhigend legte er eine Hand auf meine.

„Darf Flo denn schon raus?“

„Ja, er hat eine leichte Gehirnerschütterung und etliche Prellungen. Zwei Rippen angebrochen. Er muss sich schonen und vor allem brauch er momentan viel Ruhe. Trotzdem denken wir, dass er bei uns besser aufgehoben ist. Vor allem möchte ich, dass du wieder zu Hause schläfst.“

„Bäh“ Kai streckte ihm die Zunge raus und beide lachten. Ich sagte kein Wort.

Behutsam legte Mike seine Hände auf meine Schultern. Ich erstarrte, was er sicher realisiert hatte, aber er nahm die Hände nicht weg.

„Atme ruhig durch Junge. Du weißt, wer ich bin. Komm ich helfe dir, dich aufzusetzen.“ Ich befolgte seinen Anweisungen, holte tief Luft und konnte mich dank seiner Hilfe aufsetzen. Alles ging nur langsam voran, aber nach einer Stunde saßen wir endlich im Auto.

Kai brachten wir zu seiner Schule. Missmutig verabschiedete er sich von uns.

„Bis heut Nachmittag Flo. Ich komme nach der Schule vorbei, lass den Nachmittagskurs ausfallen.“ Sanft strich er mir zum Abschied über die Wange. „Tschüss Großer.“

„Pass auf dich auf Kleiner. Um drei Uhr hole ich dich ab.“ Mike küsste Kai zum Abschied und der Kleine verschwand auf dem Schulgelände.

Mike fuhr jedoch noch nicht los, sondern drehte sich nach hinten zu mir um.

„Möchtest du reden?“ keine Reaktion, ich starrte nur geradeaus aus dem Fenster. Mike holte tief Luft. „Ich kam in den Fitnessraum. Hörte Geräusche und erblickte den Kerl in der Tür. Ohne zu wissen, auf was ich mich einließ, bat ich Karin die Polizei zu rufen. Mit etwas Geschick konnte ich den Typen weglocken und dank meines Kampfsportes konnte ich ihn bewegungsunfähig machen. Leise trat ich in den Duschraum und bei deinem Anblick erstarrte ich. Es tut mir so leid, dass wir nicht vorsichtiger waren.“ Sanft strich er mir übers Gesicht, wischte mir die Tränen weg, hatte gar nicht bemerkt, dass ich weinte. Mittlerweile sah ich ihn an und schreckte vor seiner Berührung nicht zurück. Um Verzeihung bittend lächelte Mike mich an. „Ich hatte deine Narben gesehen. War das dieser Jens gewesen?“ Nur mit den Augen gab ich ihm eine Antwort, in dem ich sie kurz schloss. „Hast du je mit jemandem darüber gesprochen?“ Ich schüttelte den Kopf und lehnte mich gegen seine Hand. „Du weißt, dass du jederzeit mit mir reden kannst. Niemand hatte die Narben gesehen, ich hatte dir vorher etwas von mir übergezogen.“

„Danke“, das erste Wort seit fast zwei Tagen, welches über meine Lippen kam.

Noch einmal streichelte er meine Wange.

„Lass uns fahren“, damit drehte er sich nach vorne. Beim Starten des Autos warf er mir einen Blick durch den Rückspiegel zu.

Wir fuhren auf direkten Weg in die Einrichtung.

Außer Karin war noch niemand da. Mike stützte mich beim Laufen in Karins Büro.

„Hey schön, dass du hier bist.“ Freundlich kam sie mir entgegen, ergriff meine Hand und zog mich zum Sofa. „Leg dich hin. Wir werden auf dich aufpassen.“ Fürsorglich strich Karin mir über den Kopf, bevor sie mit Mike das Büro verließ.

 

Ich wollte nicht schlafen, wollte die Augen nicht schließen und das Geschehene wieder erleben. Einfach nur vergessen. Ich sehnte mich nach Rocco und nach Kais Berührungen. Innerlich schallt ich mich. Kai gehörte zu Mike, das konnte jeder sehen. Und trotzdem, Mike schien nichts dagegen zu haben, dass Kai soviel Zeit mit mir verbrachte. Aber nein, ich würde lieber nichts hoffen.

 

Die Stunden zogen sich. Immer wieder fielen mir die Augen zu und ich riss sie panisch auf. Karin und Mike schauten ab und an rein, brachten mir etwas zu trinken oder zu essen. Mike versuchte mich zum Reden zu bringen, aber ohne Erfolg.

 

„In einer Stunde kommt Kai“ veröffentlichte mir Mike um kurz nach zwei Uhr. Mit einem Lächeln verschwand er wieder. Hatte er etwas bemerkt, was ich selbst nicht wahrgenommen hatte? Vergeblich versuchte ich an Belangloses zu denken, während ich auf Kai wartete. Aber es sollte mir nicht gelingen. Ich war eingeschlafen.

 

 

Schweißgebadet erwachte ich. Mein ganzer Körper zitterte und schmerzte. Eine große Hand legte sich auf meine Schulter und ich schrie.

„Sch … alles ist gut. Ich bin es Mike.“ Noch Hecktisch ging mein Atem und nur langsam wollte sich der Puls beruhigen.

Eine zweite Hand, kleiner und weicher, legte sich auf meine Wange. Ich ergriff sie und zog einen überraschten Kai an meine Brust, schlang die Arme um ihn und barg den Kopf in seiner Halsbeuge. Gedämpft hörte ich ein Lachen. Mike wuschelte mir durchs Haar und verschwand.

„Flo alles ist gut, ich bin bei dir.“ Beruhigend strich Kai über meinen Rücken. „Mike ist rausgegangen. Wir sind allein. Komm, leg dich wieder hin.“ Sanft aber bestimmt drückte er mich auf das Sofa zurück. Ich ließ ihn nicht los, sodass es etwas umständlich war, sich hinzulegen. Aber wir lagen und Kai drückte mich fest an seine Brust.

„Wie geht es dir Flo?“ Er sprach nur gedämpft, wollte die Ruhe nicht wirklich durchbrechen.

„Scheiße“, gab ich zu. Sein Shirt war nass, da wo ich mit dem Kopf lag und erschrocken fasste ich mir an die Wangen. Hatte gar nicht bemerkt, wie die Tränen liefen.

„Es ist gut“ Kais Hand fand meine, schob sie beiseite und trocknete mein Gesicht. „Ich hatte mir sorgen gemacht. Ob du hier alleine zurechtkommst und ob du deine Ruhe hast.“ Liebevoll hob er mein Gesicht an und ehe ich reagieren konnte lagen seine Lippen leicht auf meinen. Es war nur eine flüchtige Berührung, wie eine Feder. Ich riss die Augen auf, wollte etwas sagen, doch da war sein Mund bereits wieder auf meinem. Alles war vergessen.

In diesem Moment zählte nur Kai. Sein Atem, der mir sanft ins Gesicht blies. Die Zunge, die meine zum Spiel aufforderte. Und die zarten Finger, die durch meine Haare fuhren.

Minuten später sah ich ihn keuchend an. Meine Stirn lag an seiner. Zärtlich fuhren seine Hände über meinen Rücken, drückten mich an ihn.

„Mike?“ fragend sagte ich den Namen des großen Mannes, den ich immer an Kais Seite sah. So vertraut miteinander.

Ein leises Lachen löste sich von Kais Lippen.

„Er ist mein großer Bruder.“

„Oh“, sein Bruder, das hätte ich nie für möglich gehalten, da sie überhaupt keine Ähnlichkeit miteinander hatten. Nur darüber wollte ich jetzt auch nicht reden. Kuschelte mich an Kai und schloss die Augen.

 

 

Ein leises Winseln holte mich aus einem traumlosen Schlaf. Ich blickte mich in dem Büro um, konnte aber nichts erkennen. Wieder war das Winseln zu vernehmen.

„Kai hörst du das?“ seine streichelnde Hand verriet mir das er wach war.

„Ja ich höre es. Sollte das Rocco sein?“ Das konnte ich nicht glauben. Trotzdem richtete ich mich umständlich auf. Ein Keuchen entrang sich meiner Kehle, als mir die Rippen dabei schmerzten. Auch Kai setzte sich auf und genau in diesem Moment wurde die Tür geöffnet.

Karin trat ein und dahinter Mike. Er hielt etwas in den Armen.

„Rocco“, hauchte ich und stürzte nach vorn. Achtete nicht auf die Schmerzen.

Vorsichtig bettete Mike den großen Hund auf dem Sessel, direkt neben dem Sofa.

Mit zitternden Händen strich ich über das Fell.

„Ich dachte mir, dass es euch beiden gut tun würde, wenn ihr zusammen seid.“ Erschrocken sah ich zu Mike auf. „Solange ihr nicht auf dem Damm seid, werdet ihr bei uns wohnen. Kai und ich bekommen euch schon wieder auf die Beine.“ Ich war sprachlos. Soviel Freundlichkeit und Fürsorge war zu viel für mich.

Ohne dass ich es kontrollieren konnte, begann ich zu weinen. Fühlte mich, wie ein Damm der gebrochen war. Leicht legte sich eine Hand auf meinen Nacken und der Daumen streichelte über den Haaransatz. Ich lehnte mich gegen den Körper und Kais Arme umfingen mich.

„Komm leg dich wieder hin“, flüsterte er mir ins Ohr. Gänsehaut bildete sich an den Stellen, wo sein Atem mich streifte. Widerstrebend gehorchte ich, wollte Rocco doch nicht loslassen. Aber das brauchte ich auch nicht, kaum dass Kai und ich lagen, schob Mike den Sessel dicht ans Sofa.

„In drei Stunden ist hier Feierabend.“ Damit wuschelte er Kai und mir durchs Haar und verließ mit Karin das Zimmer.

Kapitel 10

„Geht es wieder?“ Ich lag auf einem großen Bett, Rocco hatte am Fußende auf dem Boden ein Platz bekommen.

Während Kai gerade im Badezimmer war, saß Mike bei mir.

„Du musst vorsichtig sein. Es war leichtsinnig und du wirst noch eine ganze Weile Schmerzen haben.“ Ich wollte Rocco unbedingt allein tragen und wäre beinahe zusammengebrochen.

Mike hatte uns geweckt, kurz nachdem das Jugendhaus geschlossen wurde. Er trug Rocco zum Auto, da ich noch immer im Halbschlaf war und Kai sich bei mir eingehackt hatte. Aber aus dem Auto ins Zimmer, das wollte ich unbedingt selbst erledigen.

„Wie hast du Rocco aus der Klinik bekommen?“, fragte ich ausweichend. Er lächelte und wuschelte mir durchs Haar.

„Ich sagte, dass sein Besitzer einen Unfall hatte und er seinen Freund dringend brauchte. Versprach mich um ihn zu kümmern und habe mir alles mitgeben und erklären lassen.“

„Danke Mike, für alles.“ Er schüttelte leicht den Kopf.

„Weißt du, du bedeutest Kai sehr viel und ich würde alles tun, um ihn glücklich zu sehen.“

„Pass auf, dass ich dich nicht beim Wort nehme“ hallte es von der Tür aus.

„Klugscheißer“ beide lachten und auch auf meinen Lippen bildete sich ein kleines Lächeln. „Ich mach euch zwei noch etwas zu essen und dann ist Ruhe angesagt. Du hast morgen Schule.“

„Mike bitte. Morgen ist Freitag.“

„Ja und du hast gestern schon den Tag verpasst und heute deine Nachmittagskurse.“

„Bitte“, flehte Kai und setzte einen so süßen Dackelblick auf, dass auch Mike nicht widerstehen konnte. Er seufzte.

„Okay, ich rufe an. Wir bleiben aber im Haus.“

„Das heißt, du hast auch frei?“ mit verdrehten Augen antwortete Mike.

„Ja“, vor Freude sprang Kai in die Luft.

„Komm du Floh, geh zu deinem Freund.“ Damit umfasste Mike Kais Taille und setzte ihn vorsichtig aufs Bett. Dieser krabbelte auch sofort an meinem Körper empor und setzte sich, ans Kopfende gelehnt, hin. Ohne Aufforderung legte ich den Kopf in seinen Schoß. Aus dem Augenwinkel sah ich wie Mike lächelnd das Zimmer verließ.

Wann Mike zurückkam, wusste ich nicht.

Das erste Mal hatte ich keine Albträume beim Schlafen.

 

Ich erwachte durch Helligkeit. Etwas blendete mich und ich vergrub das Gesicht tiefer an Kais Körper. Kai? Wie kommt er hier her? Verunsichert versuchte ich die Augen zu öffnen, doch es wollte mir noch nicht gelingen. Sanfte Finger strichen mir über den Rücken und Seite, ließen mich schaudern.

„Guten Morgen Flo“, begrüßte mich Kai. Langsam aber bestimmt drückte er mich auf den Rücken, beugte sich über mich und gab mir einen Kuss auf Augen, Nase und Mund. Bei den Berührungen ließ ich die Lider unten. Wollte fühlen, wie Kai fühlte, nur mit den Sinnen und Händen.

Langsam strich ich über seine Arme, legte die Hände auf seinen Rücken und drückte ihn enger an mich.

„Deine Rippen“, nuschelte er undeutlich an meinen Lippen, als er auf meinem Brustkorb zu liegen kam. Kai will sich von mir schieben, doch ich halte ihn fest.

„Bleib“, ist alles was ich sage, ersticke seinen Protest mit meiner Zunge.

Ein Klopfen unterbrach unsere Zweisamkeit.

„Seid wann klopfst du an Mike?“, fragte Kai lachend.

Mike öffnete die Tür mit einem Tablett in der Hand.

„Seid dem du nicht alleine bist, Kleiner. Guten Morgen Flo, wie ich sehe, geht es dir besser.“ Ein verlegenes Lächeln umspielte meine Lippen.

„Danke, mir geht es gut.“

Kai hatte sich aufgerappelt und auf dem Weg ins Bad sagte er.

„Mike mach ihm klar, dass er nicht leichtsinnig sein soll.“ Damit verschwand er um die Ecke.

„Was hast du angestellt?“ ich zuckte mit den Schultern. „Zieh das Hemd aus, ich reib dich ein.“ Gehorsam tat ich, wie er sagte und biss mir auf die Lippe, da jede leichte Berührung schmerzte. „Solange du noch Schmerzen hast, solltest du es vermeiden Kai auf dich zu ziehen. Auch wenn er ein Fliegengewicht ist.“ Ich knurrte und zur Antwort wuschelte er mir lachend durchs Haar. Danach begab er sich zu Rocco. Auch ihn behandelte er erst mit Salben und Medikamente, bevor er ihn hochhob. „Wenn Kai da ist, esst ihr zwei erst einmal. Ich bin gleich wieder da.“

„Mike?“ verunsichert sah ich ihn an. Er nickte verstehend.

„Nachher erzähle ich dir alles.“ Dankbar lehnte ich mich an die Rückenlehne und beobachtete Mike, wie er mit Rocco aus dem Zimmer verschwand.

Kurz darauf kam Kai hinein. Es war zu bewundern, wie sicher er sich bewegte und keinerlei Hilfen benötigte. Und auch seine Augen konnte ich das erste Mal sehen, da er keine Brille aufhatte. Es schreckte mich nicht ab, dass sie keine Farbe mehr hatten. Kai war wunderschön von den Haaren bis zu den Füßen.

„Du starrst mich an.“ Stellte er fest, als er sich zu mir setzte.

„Du bist wunderschön!“, antwortete ich, ohne nachzudenken. Kai streckte die Hand nach mir aus und leicht berührten die Fingerkuppen meinen nackten Bauch. Ich hielt ganz still, wartete ab was er machen würde.

Kai sah mich an, mit seinen Händen strich er Millimeterweise über meinen Oberkörper. Fand jede Narbe und fuhr sie entlang.

„Woher hast du sie?“ seine Stimme war schmerzhaft belegt. Beruhigend legte ich meine Hand an seine Wange.

„Mach dir keine Sorgen. Sie sind schon alt.“ Kai schüttelte jedoch den Kopf.

„Sag es mir trotzdem“, bat er mich leise. Ich atmete einige Male tief durch. „Hat er sie dir zugefügt?“

„Woher weißt du es?“ langsam kroch er an meinem Körper hoch, legte seine Hände an mein Gesicht und strich mit einem Daumen über meine Lippen. „Ich hatte einiges von eurem Gespräch mitbekommen. Dieser Jens, der auch als Klempner im Haus war, wie lange kennst du ihn?“ ich seufzte, bei der Erinnerung zitterte ich und wollte mich abwenden. Doch Kai hielt mein Kopf fest in seinem Griff. „Flo bitte erzähle es mir. Ich möchte dir helfen.“ Er wollte noch etwas sagen, das merkte ich, aber er sprach nicht weiter. Noch einmal holte ich tief Luft.

„Fünf Jahre. Ich war neu an der Schule, er war im gleichen Jahrgang obwohl vier Jahre älter. Keine Ahnung, wie es kam, aber wir freundeten uns an. Wir waren gerade mal zwei Monate fest zusammen, als er mich überredete bei einem Raub mitzumachen. Ich wollte es nicht, aber er versprach mir, dass mir nichts geschehen würde. Ich sollte nur Schmiere stehen.“ Ich nahm einige Schlucke Wasser aus dem Glas, was mit auf dem Tablett stand. Kai hatte sich zu mir hochgesetzt und mich an seine Brust gezogen. Als ich weiter sprach, lehnte ich den Kopf an seine Schulter und schloss die Augen.

„Nachts sollte der Raub stattfinden. Es war eine Nobelgegend, eine Villa neben der anderen. Gewitter zog auf und ich stand in strömenden Regen. Schon zweimal war die Polizei an mir vorbeigefahren. Ich war durchnässt und rührte mich nicht von der Stelle, das sorgte für Aufregung. Die Polizisten hielten vor dem Haus in dem Jens war und sprachen mich an. Ich war zu nervös, zitterte nicht nur vor Kälte. Sie wollten, dass ich einsteige und als ich auf die höffliche Formulierung nicht reagierte, zückten sie die Handschellen. Anlegen brauchten sie mir die nicht, ich brach heulend zusammen und stammelte irgendwas von Einbruch und dass ich überredet wurde. Freiwillig rief ich Jens an, sagte ihm, dass die Besitzer gekommen wären. Keine fünf Minuten später hatte er Handschellen und saß neben mir im Polizeiwagen. Ich bin mit einer Bewährung davon gekommen, da ich alles gestanden hatte und ihnen half, Jens zu fassen. Er bekam vier Jahre ohne Bewährung.“

Ich zitterte und griff nach Kais Armen, die mich fest umarmten.

„In drei Monaten sind drei Jahre vergangen. Dann läuft meine Bewährungszeit ab. Warum ist Jens aber draußen?“

„Weil er wegen guter Führung entlassen wurde.“ erklang Mikes Stimme von der Tür aus. Vorsichtig legte er Rocco auf seine Decke und setzte sich zu uns auf die Bettkante.

„Was ist mit Jens und seinem Bruder jetzt?“, fragte ich verunsichert. Dass Jens frei war, wollte einfach nicht in meinen Kopf rein.

„Beide verhaftet. Du brauchst keine Angst haben. Die Polizei weiß, wo sie dich findet zwecks Aussage. Und sie sind auch beruhigt, weil du nicht alleine bist.“ Etwas erleichtert atmete ich durch. Kai hauchte mir zarte Küsse in den Nacken.

„Wir haben alles im Griff Flo. Mach dir keine Gedanken.“ Damit wuschelte Mike uns beiden durch die Haare und verschwand.

Eng kuschelte ich mich in Kais Arme. Schloss die Augen und genoss die Liebkosungen.

Roccos leises Quietschen, als er vergnügt auf einen Knochen kaute, beruhigte mich zusätzlich.

Ich war nicht allein. Mein bester Freund Rocco war bei mir. Und auch in Mike und vor allem Kai hatte ich Menschen gefunden, die mich so akzeptierten, wie ich war und auch so liebten.

Denn ich spürte, wie es mich zu Kai hinzog. Ich hatte mich in den kleinen Kerl verliebt, ob ich wollte oder nicht.


Kapitel 11

Das Wochenende verlief ähnlich wie der Freitag. Die meiste Zeit lag ich im Bett, und während Kai nicht von meiner Seite wich, versorgte Mike uns mit allem, was wir brauchten.

Ich genoss die Zeit, wusste ich doch, dass sie vorbei wäre, sobald Jens seine Strafe bekam und es Rocco und mir wieder besser ginge.

„Flo hast du mir gerade zugehört?“ Kai lag mit dem Kopf auf meinen Oberschenkeln, während ich am Kopfende gelehnt, dasaß.

„Tut mir Leid Kleiner, war in Gedanken.“ Spielerisch fuhr ich mit den Fingern durch sein Haar.

„Das habe ich bemerkt“, schnaufte er empört.

„Was hattest du erzählt?“ Wollte ich beschwichtigend wissen, ließ eine Hand zu seiner Wange wandern und strich mit dem Daumen zärtlich über die Lippen. Kai seufzte genießerisch, öffnete den Mund, und als der Daumen hineinglitt, biss er leicht zu. Hielt mich gefangen, saugte und leckte an ihm. „Kai“, ein Stöhnen entrang sich meiner Kehle, was ihn zum Lachen brachte.

„Ich hatte dir gerade erklärt, was du dummer Kerl mir bedeutest und dass ich mir wünschte, wir könnten ewig so zusammen sein.“ Ich schloss die Augen, musste schwer schlucken. Denn genau dass war es, an was ich auch gerade gedacht hatte.

Seine Hand suchte mein Gesicht und legte sich auf die Wange. Liebevoll strich er darüber, wischte mir die Tränen weg. Erschrocken wollte er sich aufrichten, doch ich drückte ihn in meinen Schoß.

„Flo, warum …“ ich legte, ihm einen Finger auf dem Mund, um ihm am Weitersprechen zu hindern.

„Genau daran habe ich auch gerade gedacht. Wie schön es hier bei dir ist und wie herzlich ihr mich aufgenommen hattet, trotz meiner Vergangenheit. Das möchte ich nicht vermissen.“ Meinen Widerstand trotzend setzte Kai sich jetzt doch auf und umfasste mein Gesicht mit beiden Händen.

„Florian warum sagst du es so, als wäre das ein Abschied? Ich möchte, dass du bei mir bleibst. Du und Rocco.“

„Wie stellst du dir das vor Kai? Ich bin vorbestraft, du solltest mir nicht vertrauen. Wenn das alles vorbei ist, gehe ich wieder nach Hause. Es ist besser für dich …“ meine Stimme brach. Tränen wollten fließen, doch ich drückte sie zurück.

„Flo sag das nicht!“ Kais Stimme war nur noch ein Flüstern. Vorsichtig senkte er seinen Kopf an meine Schulter, schlang die Arme um meinen Nacken. Ich legte die Arme um den schmächtigen Körper, vergrub das Gesicht in seinen Locken und inhalierte den verführerischen Duft. Ich konnte Kai nicht in meine Welt lassen.

„Lass mich die Zeit genießen die ich hier bin Kai, bitte!“, flehte ich und zog ihn noch enger an mich.

„Ich werde es dir schwer machen zu gehen Flo. Mike erzähle ich vorerst nichts. Aber glaube nicht, dass ich dich kampflos ziehen lasse. Du Idiot bist alles, was ich brauche. Ich liebe dich Florian Pfeiffer bekomm das in deinen Schädel.“ Sprachlos starrte ich ihn an. Doch noch bevor ich reagieren konnte, lagen seine Lippen auf Meinen. Ungestüm und verzweifelt war der Kuss, aber auch voller Liebe. Ich fiel mit ein und unsere Zungen fochten einen wilden Kampf, den keiner gewinnen konnte.

Eine Ewigkeit lagen wir uns in den Armen, keuchend nach Atem ringend.

„Ich werde kämpfen Flo. Um dich und um uns beide.“

Ja kämpfe, dachte ich und verbarg das Gesicht in seiner Halsbeuge.

 

 

 

Die kommenden Tage wurden stressig.

Arzttermine bei mir oder Rocco. Aussagen bei der Polizei und relativ schnell ging das ganze auch vor Gericht. Nach zwei Wochen begann ich auch wieder zu arbeiten und mein Leben auf die Reihe zu bekommen.

 

Einen Monat nach den Geschehnissen war der Gerichtstermin. Jens und sein Bruder wurden in unterschiedliche Gefängnisse gesteckt, wobei Eric eine mildere Strafe bekam. Er war einsichtig, entschuldigte sich und versprach sich von mir fern zuhalten. Wahrscheinlich war ich leichtfertig, aber ich glaubte ihm. Jens war das komplette Gegenteil. Wütete rum und drohte mir vor allen Zeugen. Was dazu führte, dass er unter Sicherheitsverwahrung gestellt wurde und die Haftzeit länger war. Auch wurde festgesetzt, dass es keine frühzeitige Entlassung geben würde.

Ich war erleichtert und da Rocco bereits wieder laufen durfte, kehrte ich in meine Wohnung zurück.

Mike verstand mich nicht und versuchte alles, damit ich blieb. Doch Kai hielt ihn auf.

„Lass gut sein Mike“, sagte er schlicht, drehte sich um und verschwand. Fassungslos starrte Mike seinem Bruder hinterher.

Ich nutzte die Chance und ging.

 

 

 

Die nächsten zwei Monate verbrachte ich allein.

Ging ins Jugendhaus mit Rocco zum Arbeiten und fuhr abends allein nach Hause. Mike und Kai ging ich aus dem Weg und wenn Karin fragte was los sei, wich ich ihr aus.

Ich vermisste den kleinen Kerl und es fiel mir schwer ihn nur von Weitem beobachten zu können. Doch ich musste mein Leben alleine Leben. Kai gehörte in eine andere Welt und zwischen uns lagen Universen.

Immer wieder glitt mein Blick zu dem schmächtigen Körper, seine Augen konnte ich unter der dunklen Sonnenbrille nur erahnen. Ich sehnte mich nach seiner Berührung.

 

„Warum tust du dir das an?“ erschrocken drehte ich mich nach Karin um, sagte aber nichts. „Kai ist nicht mehr der gleiche, genauso wie du. Was willst du euch damit beweisen?“ verlegen senkte ich den Blick, denn Karin hatte ja recht. Ich hielt es kaum noch aus, Kai nur aus der Ferne sehen zu können.

„Gönne es dir endlich glücklich zu sein.“ Mitfühlend legte sie mir eine Hand auf die Schulter. „Komm mit, ich habe etwas für dich.“

Einen letzten wehmütigen Blick auf Kai werfend folgte ich ihr ins Büro.

Frank saß freudestrahlend im Sessel.

„Glückwunsch mein Kleiner du hast es geschafft.“ Verdutzt sah ich ihn an. „Deine Bewährungszeit ist mit dem heutigen Tag abgelaufen.“ Sprachlos sank ich auf das Sofa.

Waren tatsächlich drei Monate vergangen seit dem Vorfall? Ich konnte es nicht fassen.

„Und zur Feier des Tages habe ich auch noch etwas für dich“, sagte Karin und hielt mir einen weißen DIN A4 Umschlag entgegen.

Nur zögernd nahm ich ihn an mich und starrte in ihre strahlenden Augen.

„Komm mach auf“, sagte sie aufmunternd. Ich öffnete den Umschlag und hatte das Gefühl, mir würden die Augen gleich rausfallen.

„Das … ich …“ keinen vernünftigen Satz bekam ich zustande, noch nicht einmal ein Wort.

„Nur eine einzige Unterschrift und es ist besiegelt.“ Lächelnd drückte mir Karin einen Kugelschreiber in meine zitternde Hand. Ich wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte, starrte von einem zum anderen und auf das Blatt vor mir.

In großen Buchstaben stand fett gedruckt Arbeitsvertrag, das musste einfach ein Traum sein.

„Nun unterschreib schon Florian. So einen guten Job willst du dir doch nicht entwischen lassen oder?“ lachte Frank.

Immer noch mit zitternder Hand unterschrieb ich beide Ausführungen des Vertrages und reichte sie Karin.

„Herzlichen Glückwunsch“ erschrocken sah ich zur Tür. Sascha stand mit einem Tablett voller Sekt- und Saftgläser da und dahinter die gesamte Belegschaft.

Wie versteinert saß ich auf dem Sofa, wusste nicht mehr, ob ich träumte oder wachte.

Mike kam zu mir, zog mich nach oben und zerrte mich aus dem Büro. Jetzt war ich umringt von Menschen dir mir gratulierten, Hände schüttelten oder mich umarmen wollten. Und obwohl ich wusste, dass er heute nicht kommen würde, hielt ich Ausschau nach dem einen. Mike musste es bemerkt haben, denn er legte seine Hände auf meine Schulter und flüsterte mir ins Ohr.

„Geh zu Rocco. Es wird Zeit die Vergangenheit hinter sich zu lassen.“ Wie von selbst bewegten sich die Füße, erst langsam, bis ich die letzten Meter rannte.

Ungläubig blieb ich an der Küchentür stehen. Da lag Rocco, Kai saß neben ihm auf Roccos Decke und ein kleines schwarzes Knäuel hüpfte zwischen ihnen hin und her.

Vorsichtigen Schrittes trat ich näher, wollte ich die Idylle nicht zerstören.

„Flo?“ Kais Gesicht drehte sich in meine Richtung. Auch von Rocco kam ein leises quicken.

„Ja“, hauchte ich, mir versagte die Stimme. Vor den Dreien ließ ich mich zu Boden sinken. Wie sollte ich mich verhalten, wo ich Kai zwei Monate aus dem Weg gegangen war.

Ich spielte mit Roccos Ohren und kraulte den Welpen. Kais Hand fand die meine, umschloss sie und er zog mich zu sich. Umschlang meinen Oberkörper und wie von selbst, fanden seine Lippen die meinen.

„Nie wieder“, flüsterte er zwischen zwei Küssen. „Hörst du, lass mich nie wieder so lange allein. Flo ich liebe dich.“ Ich drückte Kai fest an mich.

„Es musste sein.“ Hauchte ich und verbarg das Gesicht in seinem Haar.

„Aber es ist vorbei. Die Vergangenheit zählt nicht. Mich interessiert das Jetzt. Flo kommt wieder nach Hause. Es ist so anders seid du nicht mehr da bist. Außerdem brauch ich jemanden der mir Shadow ausbildet. Ich möchte, dass er so wird wie dein Rocco.“ Mit Tränen verhangenen Augen sah ich ihn an. Nahm die Sonnebrille von seiner Nase und küsste ihm die Tränen weg.

„Ja“, meine Stimme brach und anstatt weiter zu sprechen, zeigte ich ihm mit den Lippen, Zähnen, der Zunge und den Händen, was ich nicht sagen konnte.

 

Es war so, wie Mike sagte. Mit dem heutigen Tag fing mein Leben neu an. Und ich wollte es genießen. Mit Haut, Haaren und dem Herzen. Kai und Rocco waren dabei fest in mein Herz gebrannt. Aber auch die anderen Freunde, die ich gewonnen hatte und die Arbeit bedeuteten mir viel.

 

Das neue Leben konnte starten.

Impressum

Texte: © M.Kaspereit
Bildmaterialien: © M.Kaspereit
Tag der Veröffentlichung: 27.01.2012

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