06. März 2270
Kriegsschiff Hagner – Im Esatris-System treibend
„McOren war ein Schatten. Nicht wirklich, aber nah genug. Seine Rasse nennt sich Hirachosa, was sich in etwas mit ‚Infiltratoren‘ übersetzen lässt. Ein parasitärer Organismus, der andere Lebewesen übernehmen kann.“
„Woher weißt du das?“, Zetoras wurde misstrauisch.
„Dazu kommen wir gleich. Erst muss ich das zu Ende erklären. Die Hirachosa wurden von den Ix – der eigentliche Name des Schattens - im Labor gezüchtet.“
„Um an ein anderes Lebewesen gebunden bleiben zu können benötigen sie eine große Menge dessen im Blut, was ihr Aspirin nennt. Wenn sie zu lange ohne auskommen müssen, dann sterben sie – und mit ihnen, der Wirt.“
„Um den Wirt wechseln zu können, muss ihr alter Wirt im Sterben liegen und jemand Neues muss direkten Körperkontakt haben. So hat es der Hirachosa in McOren geschafft die Gefreite König zu übernehmen.“
„Im letzten Krieg der Ix haben große Teile der Hirachosa rebelliert. Nicht länger gewillt andere Rassen zu versklaven während sie selbst im Grunde nichts weiter als Sklaven waren, entschieden sie, die Seiten zu wechseln.“
„Ich war einer von ihnen.“
Zetoras starrte den Mann an, der bis vor einer Sekunde noch sein Freund gewesen war.
Hat er grade wirklich gesagt, was ich gehört habe?
„Ich weiß, das ist ein Schock. Aber bitte, gib mir Zeit, es zu erklären.“
Roberto (oder wer auch immer er war) stand auf und zeigte seine leeren Hände, flachen Taschen und den Gürtel ohne Pistolenholster.
„Ich bin unbewaffnet. Und wie ich dich kenne, hast du unter deinem Schreibtisch längst eine Pistole auf mich gerichtet. Also gib mir die Zeit. Ich habe dir ein Kriegsschiff geschenkt, das die Ix vernichten kann. Du bist es mir wenigstens schuldig, dir anzuhören, was ich zu sagen habe.“
Zetoras Stimme war eiskalt: „Du hast Zeit, bis die Hagner wieder Energie hat.“
Zwei Stunden sollten reichen, sich zu erklären. Und wenn nicht… Zetoras wusste, wie er mit Verrätern umzugehen hatte.
Er umfasste die Waffe unter seinem Schreibtisch fester und zog eine zweite aus einer Schublade, die er offen in die Hand nahm und auf das Etwas vor ihm richtete.
1. Januar 2253
Regenwall – Orion IV
Regenwall war ein komischer Name für eine Stadt. Oder zumindest fühlte er sich für Seamus immer seltsam an. Soweit er sich erinnerte hatten die ersten Siedler die Stadt nach dem ständigen Regen benannt, der eine Art Wall bildete oder zumindest den Eindruck vermittelte.
Die Geschichte machte nicht viel Sinn und vielleicht täuschte ihn sein Erinnerungsvermögen auch. Er gestand sich aber auch ein, dass es ihn einfach nicht interessierte. Nichts auf Orion IV interessierte ihn, seit sie vor etwas über zehn Jahren ihr Leben hier begonnen hatten. Eigentlich hatte es nur eine Klassenreise werden sollen, doch aus der Reise wurde Asyl, nachdem die Republik Hachero wenige Tage später, am 13. September 2242, vom Schatten eingehüllt wurde.
Er war damals neun Jahre alt gewesen, jetzt war er fast zwanzig. Er hatte mehr als die Hälfte seines Lebens im Orion Pakt verbracht. Und es war kein schlechtes Leben, die Regierung sorgte gut für die „Gestrandeten“, wie sie sie nannten. Zumindest taten sie das jetzt, nachdem sie sicher waren, dass die Gruppe von acht- und neunjährigen Kindern keine Agenten des Schattens waren.
Agenten des Schattens…, er schüttelte verächtlich den Kopf
Für Seamus war das noch immer schwer vorstellbar. Niemand wusste, was der Schatten war, aber eine Gruppe von Kindern sollten Spione sein? Gesandt, um den Orion Pakt zu Fall zu bringen? Das war lächerlich. Was auch immer der Schatten war (ein Energiefeld, eine Druckwelle, ein intergalaktisches Alptraummonster… es gab hunderte von Theorien), es hatte nie Beweise dafür gegeben, dass eine denkende Kraft hinter ihm steckte. Die Reaktion des Orion Paktes war reine Panik gewesen, ausgelöst von einer Bedrohung, die sie nicht verstanden. Das mochte die Folter vielleicht erklären, aber es entschuldigte sie nicht. Sie waren Kinder gewesen. Kinder!
Der Gedanke an die Wochen, die er eingesperrt und gefoltert verbracht hatte bescherte ihm, wie immer, einen Panikanfall. Würden sie plötzlich beschließen, dass er doch ein Spion war? Ihn aus seinem Haus entführen und foltern, bis er gestand?
Das Kind das er damals gewesen war hatte nichts gestanden. Es hatte geschrien vor Schmerzen, aber war störrisch gewesen, wollte nicht die Schuld für etwas auf sich nehmen, das es nicht getan hatte. Aber könnte er heute genauso stur sein? Er wusste es nicht. Wollte es nicht wissen. Wollte einfach nur an andere Dinge denken.
Also tat er, was er immer tat, wenn er einen Panikanfall hatte: Er ging in eine Bar oder eine Disko und suchte sich etwas zum Ficken. Groß, muskulös und mit langen schwarzen Haaren war das kein Problem.
Er fand immer eine Frau, die gewillt war, mit ihm zu schlafen. Dass er ausreichend Geld hatte, um so viele Drinks zu spendieren wie nötig waren, damit ihm keine Frau mehr widerstehen konnte, half auch.
Auf der Straße sah er sich um. Er war alleine, wie immer. So gut wie niemand nutzte die Straßen, um zu seinem Ziel zu kommen. Sprungtore waren so viel einfacher. Aber Seamus mied sie, so gut er nur konnte. Er wusste nicht warum, aber Sprungtore machten ihn nervös. Hatten sie schon, so lange er sich zurückerinnern konnte.
Aber obwohl sie niemand nutzte, waren die Straßen breit. Ihre Breite war jedoch nicht für Fahrzeuge gedacht, wie sie es, laut den Geschichtsbüchern, auf der Erde waren. Nein, die Straßen waren im Grunde Grünflächen. Bäume, Sträucher und Gras schmückten sie. Man hatte aus dem ökologischen Desaster gelernt, das die Erde gewesen war. Oder noch immer war, niemand wusste, was aus der Geburtsstätte der Menschheit geworden war, seit der Schatten über sie gekommen war. Ob sie überhaupt noch existierte.
Zu seiner Garage war es ein Stück, aber als er sein Haus gekauft hatte, hatte es keinen Parkplatz gehabt (warum auch, es gab schließlich Sprungtore) und zwischen all den Bäumen vor seinem Haus konnte er auch nicht parken. Aber einen halben Kilometer von seinem Haus entfernt gab es eine kleine Lagerhalle, die er in eine Garage umfunktioniert hatte. Dort parkte sein Gleiter.
Bodengebundene Fahrzeuge waren auf den meisten Planeten noch immer üblich, wenn man denn überhaupt ein Fahrzeug besaß, aber im Orion Pakt strengstens verboten. Gleiter benötigten keine Straßen für die Wälder oder Flüsse weichen mussten. Sie konnten einfach darüber hinwegfliegen.
Normalerweise war Seamus glücklich mit den Lektionen, die man auf Orion in Bezug auf den Umweltschutz gelernt hatte. Aber wann immer er die Strecke zu seiner Garage laufen musste, ärgerte er sich. Vor allem bei schlechtem Wetter, wie es derzeit aufzuziehen schien. Am Himmel konnte er dunkle Wolken erkennen, aber noch waren sie weit genug entfernt.
Als er den ersten Schritt in die Garage machte, hatte der Regen ihn erreicht. Einige wenige Tropfen erwischten ihn, bevor er vollständig durch die Tür war und er konnte das leise Prasseln des Regens auf dem Dach hören.
Ein Knopfdruck öffnete es, während Sensoren ein Kraftfeld aktivierten, das den Regen davon abhielt in die umfunktionierte Halle hineinzuregnen. Es war die gleiche Technologie, die in militärischen Schutzschilden zum Einsatz kam, aber auf deutlich reduziertem Niveau – egal wie viel Energie man in das Kraftfeld hineinpumpen würde, es wäre niemals in der Lage mehr als starken Regen aufzuhalten.
Er hätte es bevorzugt, auf das Kraftfeld verzichten und vorne aus der Halle fliegen zu können, aber die Bäume machten das unmöglich. Sie standen einfach zu dicht, um den Gleiter sicher durch sie hindurchmanövrieren zu können.
Langsam flog er durch das offene Dach, das sich automatisch unter ihm schloss, nachdem er es passiert hatte. Bevor er in Richtung Sonnenstadt flog (ja, die ursprünglichen Siedler hatten wirklich nicht alle Tassen im Schrank gehabt), stieg er auf zweihundert Meter an.
Alles darunter lief Gefahr, mit den Wolkenkratzern der Hauptstadt zu kollidieren und war daher nur für Starts und Landungen freigegeben. Während des Fluges konnte er erkennen, wo in der Nacht zuvor überall das neue Jahr begrüßt worden war. Viele Bereiche waren abgesperrt, damit die Feiernden dort ihr Feuerwerk veranstalten konnten.
Er hatte nicht gefeiert.
Für ihn war das neue Jahr nichts, was man feiern konnte. Es bedeutete lediglich, dass sie ein Jahr weniger hatten, bevor der Schatten sie erreichte. Auch wenn niemand wusste, wann das sein würde.
In den ersten Jahren hatte sich der Schatten unglaublich schnell ausgebreitet, aber danach war er langsamer geworden. Zuerst hatten viele Journalisten und Wissenschaftler versucht, die Verlangsamung über mathematische Formeln zu erklären, aber die Ausbreitung folgte keiner Formel. Sie wurde einfach langsamer, ohne dass irgendjemand sagen konnte, in welchem Ausmaß.
Über Sonnenstadt angekommen landete er wahllos neben einer Diskothek. Diskotheken, Bars und Restaurants gehörten zu den wenigen Orten in der Stadt, die öffentliche Parkplätze anboten. Für gewöhnlich trotzdem nicht viele, aber sie brauchten auch keine großen Mengen. Hauptsächlich wurden sie von Leuten benutzt, die schon bevor sie am Abend weggingen, wussten, dass sie es mit Alkohol und Drogen übertreiben würden und dann kein Sprungtor nutzen wollten. Stattdessen ließen sie sich vom Autopiloten nach Hause fliegen und vermieden es dadurch, sich nach dem Sprung in ihren heimischen Sprungraum zu übergeben – ein seltener aber bekannter Effekt bei der Kombination von zu viel Alkohol und einem Sprung.
Zu seiner Überraschung stellte Seamus fest, dass der Parkplatz bereits gut belegt war. Auf drei von vier Plätzen standen Gleiter.
Glück gehabt, dass ich nicht später los bin.
Er landete auf dem letzten freien Platz und ging zum Diskoeingang, vor dem ein hünenhafter Glatzkopf Dienst schob und entschied, wer hinein dürfte und wer nicht. Eine Seltenheit – und eine teure noch dazu.
Normalerweise würde der Betreiber einfach einen Computer den Einlass verwalten lassen. Wenn sich eine Diskothek einen Türstehen leisten konnte, dann war das ein Zeichen von Prestige und hohen Preisen oder von einem Ausfall des Computersystems.
In diesem Fall war es Prestige, die Rummelkatz hatte es zuletzt mehrfach in die Medien geschafft, weil Prominente sie für sich entdeckt hatten. Trotz der Tatsache, dass die Menschheit alle ihre Gebiete verloren hatte - außer dem Orion- und dem Rateri-System war nichts verblieben - war das Interesse an Klatsch und Tratsch ungebrochen.
Kein Wunder, dass manche Spinner behaupten, der Schatten wäre die Rache Gottes. Wenn ich eine derart dämliche Spezies erschaffen würde, würde ich sie auch auslöschen wollen.
Die Schlange an Wartenden ignorierend ging Seamus auf den Türsteher zu. Vor ihm angekommen, blieb er kurz stehen und gab dem Mann die Hand. Er kannte ihn nicht, aber mit dem Handschlag wechselten genug Scheine den Besitzer, um ihm prompten Einlass in die Diskothek zu verschaffen.
Die meisten Transaktionen wurden elektronisch erledigt, aber dennoch gab es noch immer Bargeld. Angeblich, um es einfacher zu machen, kleine Zahlungen zu erledigen oder auch bei einem Ausfall der Computersysteme bezahlen zu können, aber Seamus hatte eine andere Theorie: Elektronische Zahlungen waren leicht zurückzuverfolgen, was Anonymität ausschloss. Aber eben die war es, die viele Regierungsvertreter brauchten, um Bestechungsgelder anzunehmen. Er gestand sich aber immerhin ein, dass seine Sicht der Dinge sehr von seinem Hass auf die Regierung des Orion Paktes geprägt war, er also auch vollkommen falsch liegen könnte.
Die Diskothek war gut gefüllt und er hörte leise Musik. Sobald man die Tanzfläche betrat hörte man die Musik laut und deutlich, aber abseits davon war sie mehr ein Hintergrundrauschen. Dafür gab es außerhalb der Tanzfläche Lasershows und Rauchmaschinen. Obwohl die Diskothek voll war, war die Luft angenehm frisch und lud zum dableiben ein – ein großer Pluspunkt, seit Diskothekenbetreiber dazu übergegangen waren Lebenserhaltungssysteme von Erkundungsschiffen zu installieren. Da die Fabriken für die Schiffe mit der Erde und dem Mars zusammen verlorengegangen waren, hatten die Hersteller der Lebenserhaltungssysteme nicht mehr gewusst, wohin damit – und die Diskothekenbetreiber hatten, nach der unausweichlichen Pleite der Firmen, die Insolvenzmassen aufgekauft.
Statt neue Erkundungsschiffe zu bauen und weiter entfernte Systeme zu besiedeln, sammeln sie sich alle in den zwei verbliebenen Systemen und auf den wenigen bewohnbaren Planeten, die sie haben… Manchmal frage ich mich, ob wir es nicht verdient haben auszusterben, wenn wir offensichtlich nicht mal versuchen, uns zu retten.
Seine Gedanken und Gefühle wollten heute einfach nicht positiv werden. Seit er an die grausame Zeit in Gefangenschaft zurückgedacht hatte war er depressiv – und die Erkenntnis war alles andere als hilfreich. Aber er wusste, was helfen würde.
An der Bar konnte er eine Gruppe von fünf jungen Frauen sehen, die offenbar bereits gut angetrunken waren. Sie gestikulierten mit ausladenden Armbewegungen und hielten sich gegenseitig auf den Beinen. Eine sechste, er schätzte sie aus der Distanz, auf etwa einen Meter siebzig mit langen rot gefärbten Haaren und einer süßen Stupsnase, wirkte noch nicht ganz so betrunken. Im Gegenteil, sie wirkte nüchtern genug, um von ihren deutlich betrunkeneren Begleiterinnen genervt zu sein, die ihr immer wieder ein Glas mit einem dunklen Getränk hinschoben, von dem Seamus vermutete, dass es sich um einen Cocktail handelte, das sie aber immer wieder zurückschob.
Irgendetwas in ihr weckte seinen Beschützerinstinkt und er entschied, dass er ihren Ritter in strahlender Rüstung spielen und sie vor den bösen Hexen retten würde, die ihre Begleiterinnen waren. Er konnte zwar kein magisches Schwert bieten, aber er hatte seinen Charme – der auch ganz ohne Magie ausgesprochen effektiv sein konnte.
Spionageschiff Lupardus – Am Rand des Orionsystems
„Sprung erfolgreich abgeschlossen. Wir haben unser Ziel um fünfzig Millionen Kilometer verfehlt.“
General Roberto Rodriguez verzog die Mundwinkel.
„Das ist weit.“
Nachdem sie bei den letzten paar Sprüngen immer unter zweitausend Kilometer geblieben waren, hatte Roberto angefangen zu glauben, dass jemand einen Weg gefunden hatte, die Fehlsprünge der schiffsgroßen Sprungtore etwas einzuschränken, aber es war wohl doch nur Glück gewesen.
„Lieutenant Aru, setzen Sie eine Nachricht an die Admiralität ab: ‚Sprung mit fünfzig Millionen Kilometern erfolgreich, befinden uns im Anflug auf Orion III. Geschätzte Flugzeit‘“, er sah zu seinem Piloten und James hielt fünf Finger in die Luft, „‘fünf Tage.‘“
„Jawohl, Sir.“, antwortete seine Kommunikationsoffizierin und machte sich daran, die Textnachricht aufzusetzen.
Sprachkommunikation war in der Regel besser, aber bei der Lupardus handelte sich um ein Spionageschiff und die Regierung des Orion Paktes war sicher nicht begeistert davon, dass sich ein solches Schiff (womöglich das letzte, das noch existierte) in ihrem System aufhielt. Da ihre Mission nun nicht unbedingt darin bestand, Hauskatzen zum Angebotspreis zu kaufen, hatte das Rateri Protektorat auch wenig Interesse daran, den Aufenthalt publik zu machen.
„Alle Systeme funktionsbereit. Aktiviere Tarnsystem.“, Fähnrich Iriso hatte den Dienst auf der Lupardus erst vor wenigen Tagen angetreten, aber sich gut in seiner Rolle als Sensoroffizier eingefunden.
Mit aktiviertem Tarnsystem war die Lupardus für Sensoren unsichtbar. Während eines Sprungs musste es jedoch deaktiviert bleiben, da es zu Fehlfunktionen in Sprungtoren führen konnte. Ein Fehlsprung von fünfzig Millionen Kilometern war eine Kleinigkeit im Vergleich dazu, in Stücke gerissen zu werden.
Mit einer Länge von hundertfünfzig Metern und geformt wie ein Pfeil war die Lupardus ein normaler Vertreter ihrer Klasse. Ihre schmale, längliche Form erlaubt es ihr, schmalere Sprungtore zu benutzen und war daher etwas, worauf jeder Raumschiffhersteller achtete. Desto größer die Sprungtore, die man in einem System unterbrachte, desto größer die Gefahr, dass sie entdeckt wurden und desto höher ihr Energieverbrauch. Theoretisch hätten sie das seit Jahren im Orionsystem positionierte Geheimdienstsprungtor als Empfangstor nutzen können, aber ankommende Sprünge liefen immer Gefahr entdeckt zu werden. Besser jemand registrierte die Ankunft der Lupardus und schrieb sie dann, nachdem seine Scans nichts hervorbrachten, einem Systemfehler zu, als dass er den Bereich scannte und das Tor entdeckte. Nicht nur kamen Sprungtore nicht damit zurecht, wenn getarnte Objekte versuchten sie zu nutzen, das Verbauen von Tarntechnologie in ihnen hatte ähnlich desaströse Effekte.
Fünf Tage waren eine lange Flugzeit, die aber wenigstens keine große Arbeit bedeutete. Das Schiff konnte die Strecke mithilfe des Autopiloten zurücklegen und sämtliche eingehende Nachrichten konnte Roberto auf ein Headset umleiten lassen. Theoretisch musste also niemand auf der Brücke sein, bis sie sich einem Planeten oder einem anderen Raumschiff näherten.
Dennoch würden immer zumindest zwei Personen anwesend sein, wie es die Vorschriften vorsahen. Für den Großteil der zwanzigköpfigen Besatzung bedeutete das viel Freizeit, aber nicht für Roberto. Er würde Streits schlichten, Einsatzpläne ausarbeiten und alles was sonst noch anfiel erledigen müssen. Als Kapitän eines Schiffes hatte man niemals Ruhe, selbst wenn man mehrere Tage Nichtstun vor sich hatte.
2. Januar 2253
Wie erwartet waren seine Aufgaben klar verteilt: Schlichte Streit hier, schreibe Einsatzpläne da und finde eine Mütze Schlaf, wann immer du kannst. Die beiden Streithähne vor ihm belegten ihn in der ersten Funktion und hatten ihn in letzterer unterbrochen.
„Hatten wir das Thema nicht schon beim letzten Einsatz? Hat es nicht geheißen, es wäre geklärt und ihr könntet zusammenarbeiten?“
„Aber…“
Roberto hob abwehrend die Hand.
„Kein Aber. Wenn ich noch einmal erlebe wie ihr zwei euch streitet, lasse ich euch beide zum militärischen Aufbaudienst versetzen – in unterschiedlichen Trupps. Ist das klar?“
Die beiden nickten zögerlich und sahen sich ängstlich an.
Huron Samuel und Loroa Aru waren ein Paar. Normalerweise wäre es nicht gestattet, dass sie beide zusammen dienten, aber Roberto hatte bisher beide Augen zugedrückt, weil er keinen von beiden verlieren wollte. Und natürlich stritten sie sich während jedes Einsatzes mindestens einmal. Die letzten beiden Male ging es um Kinder. Zuerst, ob sie welche haben wollten oder doch nicht, dieses Mal ging es um den Zeitpunkt.
Beides könnte Roberto nicht weniger interessieren, aber er wusste, dass er keine Ruhe hätte, wenn er nichts unternahm. Die Drohung mit der Versetzung war nur einer der Schritte, den er sich überlegt hatte, während er beide vor seinem Büro schmoren ließ, der zweite war sehr viel drastischer.
„Sergeant Samuel, hiermit ordne ich Ihnen, nach diesem Einsatz, einen neunmonatigen Erholungsurlaub an. Wenn Sie während dieser Zeit eine Frau schwängern würden, würde sie automatisch die gleiche Zeit an Urlaub bekommen.“
Er sah sie beide scharf an, doch dann lockerten sich seine Züge und er griff zu einem sanfteren Tonfall.
„Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“
Beide lächelten erleichtert.
„Danke.“
Samuel langte über den Tisch und ergriff seine Hand.
„Danke.“
Überschwängliche Gefühlsausbrüche waren ihm immer unangenehm, also wurde Roberto schlagartig wieder förmlich.
„Weggetreten!“
Nachdem beide sein Büro verlassen hatten atmete er tief durch. Auch wenn er sich nicht für den Streit der beiden interessierte, hatte er doch nie vorgehabt, seine Drohung mit der Versetzung ernst zu machen, das würde er jedoch niemals ihnen gegenüber zugeben. Es war wichtig, dass sie glaubten, er würde es tun.
Wenn es nach ihm ginge, müssten die beiden nicht herumschleichen und könnten ihre Beziehung offen ausleben. Das würde nicht nur die Streitigkeiten eindämmen, sondern würde sie auch zu besseren Besatzungsmitgliedern machen, weil sie nicht ständig Angst haben müssten, entdeckt zu werden. Aber es war nicht an ihm, die Regeln zu ändern. Er konnte lediglich dafür sorgen, dass seine Leute sie ungestraft umgehen konnten und ihnen den Weg zeigen, wie.
Sonnenstadt – Orion IV
Es hatte nicht lange gedauert Julia von ihren „Freundinnen“ zu trennen. Sie feierten den Junggesellinnenabschied einer der anderen Frauen in der Gruppe (Seamus hatte ihren Namen schon wieder vergessen) und Julia war nur aus Höflichkeit eingeladen worden, weil sie die Schwester des Bräutigams war. Weder mochte sie ihre zukünftige Schwägerin, noch wollte sie beim Junggesellinnenabschied dabei sein. Aber, genauso wie sie aus Höflichkeit eingeladen worden war, musste sie auch aus Höflichkeit mitgehen. Familienfrieden war ein anstrengendes Gut.
All das hatte sie ihm erzählt, nachdem sie den ersten Drink runtergekippt hatte, den er ihr anbot. Offenbar hatte sie durchaus trinken wollen, nur nicht mit den Frauen, mit denen sie in der Rummelkatz war.
Zu seiner Überraschung hörte Seamus sich all das an, statt sich eine andere Frau zu suchen, mit der er schlafen könnte. Warum er das tat, war ihm nicht klar. Zwar hatte er sich gefreut, ihren Retter spielen zu können, aber ihre Probleme hatte er trotzdem eigentlich nicht hören wollen. Er hatte sie retten und dann weitergehen wollen, seine eine gute Tat für den Tag (oder das ganze Jahr, wenn er ehrlich mit sich war), aber irgendetwas an ihr hatte ihn in ihren Bann gezogen und er hatte sich all das angehört – hätte sich noch viel mehr angehört, wenn sie mehr erzählt hätte.
Als er seinen Gleiter eine halbe Stunde später nach Hause flog, saß Julia neben ihm.
4. Januar 2253
Tiefen V Minenkomplex – Orion II
„Wie kommen die Arbeiten voran?“
Seit Tagen versuchten sie nun schon, ein Loch in die Kammer zu brechen, auf die sie gestoßen waren, aber ohne Erfolg. Die bestand aus einem Metall, das Tateres noch nie zuvor gesehen hatte. Bisher hatte es all ihren Bohrungen widerstanden.
„Gar nicht.“, sein Vorarbeiter klang ähnlich frustriert wie er sich selbst fühlte.
„Inakzeptabel. Ideen?“
„Mein Team arbeitet Tag und Nacht, aber… aber egal was wir tun, wir können nicht mal ein Bisschen Staub von den Wänden kratzen.“, stammelte er.
„Ich habe nach Ideen gefragt, nicht nach Ausflüchten.“, die Kälte in Tateres‘ Stimme lies den hünenhaften Mann vor ihm erbleichen.
Und das aus gutem Grund. Arbeitsplätze bei Matursi Metalle waren gut bezahlt, schwer zu bekommen - und brachten ihre eigenen Probleme mit sich. Der Mann wusste, dass Tateres kurz davor war, Leute zu feuern.
Wer seinen Job hier verlor, würde nie wieder Arbeit finden, denn Matursi Metalle neigte dazu, jede andere Firma wegen Diebstahls von Firmengeheimnissen zu verklagen, wenn sie ehemalige Angestellte von ihnen einstellten.
Keines der restlichen verbliebenen Minenunternehmen war groß genug, um sich mit der Macht von Matursis Anwälten zu messen – also versuchten sie es gar nicht erst. Wer hier arbeitslos wurde, der blieb es auch.
Tateres genoss die Macht, die ihm dadurch gewährt wurde. Tatsächlich war dieses Vorgehen seine Idee gewesen als er den Job als Operationsmanager vor zwei Jahren bekommen hatte – und Harald Matursi hatte sie geliebt. Macht war schon immer sein Ziel gewesen.
Vielleicht lag es daran, dass er in der Schule gehänselt worden war. Vielleicht lag es auch daran, dass er nur einen Meter fünfundsechzig groß war. Oder Vielleicht lag es daran, dass er kaum genug Muskeln hatte, um seinen eigenen, schmächtigen Körper aufrecht zu halten. Aber wahrscheinlich lag es auch einfach nur daran, dass er ein machthungriger Sadist war. Er selbst hätte jede der Ideen als Schwachsinn abgetan. Er wollte nur das Beste für Matursi Metalle, war das was er sich selbst (und Anderen) erzählte.
„Zeig mir die Kammer!“
Ohne zu antworten öffnete der Vorarbeiter, für ihn war es immer nur der gesichtslose Vorarbeiter, Namen waren nur im Weg, die Tür des kleinen Büros in dem sie sich befanden und hielt sie für Tateres auf.
Vor dem Büro sah Tateres nach oben und beobachtete das Flimmern der Luft unter dem Kraftfeld, das die Atmosphäre unter der Kuppel hielt. Orion II war unbewohnbar, aber sieben Biosphären waren auf seiner Oberfläche verteilt. Ursprünglich fanden unter diesen Biosphären ausschließlich Minen- und Fabrikarbeiten statt, aber in den letzten Jahren hatten sich auch vereinzelt bewohnte Gebiete unter ihnen gebildet.
Sie stiegen in einen kleinen Gleiter, auch hier hielt der Vorarbeiter wieder die Tür auf, der sie automatisch in die Kammer brachte. Tateres hätte ein Sprungtor bevorzugt, aber die Sicherheitsgesetze des Orion Paktes verboten den Einsatz von Sprungtoren innerhalb von Minenkomplexen und die Kontrollen waren zu häufig, als dass man sie einfach ignorieren könnte. Also fuhren sie für endlose zehn Minuten den Minenschacht entlang. Vorbei an Kraftfeldgeneratoren, die die dunklen Wände aufrecht hielten und Arbeitern, die andere Kraftfeldgeneratoren aufstellten, um Bohrungen vorzunehmen.
Herkömmliche Bohrungen oder Sprengungen waren kurz vor dem Fall der Terranischen Republik verboten, weil sie zu gefährlich waren, und durch Kraftfeldbohrungen ersetzt worden. Der Prozess war deutlich langsamer und teurer, aber Mineneinstürze gehörten damit der Vergangenheit an. Für Tateres eine der leidigsten Regelungen, mit denen er sich rumschlagen musste. Aber auch hier machten die Kontrollen ein Ignorieren praktisch unmöglich.
In der Kammer angekommen stiegen sie aus dem Gleiter aus und Tateres sah sich um. Der Hohlraum war kreisförmig angelegt und etwa fünf Meter breit, lang und hoch - zu gleichmäßig, um natürlichen Ursprungs zu sein, aber wer sollte ihn geschaffen haben? In den Unterlagen hatte er etwas von einer Gasblase verzeichnet, die den Raum geschaffen hatte, aber Untersuchungen hatten ergeben, dass sich keine Rückstände eines Gases nachweisen ließen. Er hatte es jedoch bevorzugt, eine Erklärung in den Akten zu haben, um unnötige Fragen zu vermeiden.
In der Mitte stand ein Kraftfeldgenerator, der die Wände stützte, auch wenn sie wegen der fehlgeschlagenen Bohrversuche gar nicht hätten gestützt werden müssen.
Vorschriften…
An mehreren Stellen an den Wänden standen größere und kleinere Bohrmaschinen an denen Minenarbeiter zugange waren und versuchten Löcher in die Wand zu bohren.
„Schalt es ab, schalt es ab!“
Konnte er plötzlich panische Rufe zu seiner linken hören und drehte sich in die Richtung.
Eine der Bohrmaschinen war dabei zu überhitzen und entweder hatten die Arbeiter die Sicherungsmechanismen deaktiviert oder sie waren defekt, denn die Hitzeanzeige stieg immer weiter in den roten Bereich, statt dass sich die Maschine von alleine abschaltete.
Beide Männer schlugen immer und immer wieder auf den Notausschalter an ihren Seiten ein, aber nichts passierte. Die Hitzeanzeige stieg weiter. Sich darauf verlassend, dass das Personenschild das er trug ihn schützen würde, beobachtete Tateres die Situation. Er würde es sich niemals eingestehen, doch in ihm stieg Vorfreude darüber auf, dass er in der Lage sein würde zu beobachten, wie die beiden Arbeiter von der Explosion der Bohrmaschine zerfetzt werden würden.
Aber bevor es dazu kommen konnte, ging die Maschine plötzlich aus – komplett. Enttäuschung breitete sich in ihm aus.
„Was habt ihr zwei Idioten angestellt?“, hörte er seinen Vorarbeiter plötzlich losdonnern.
Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass der Mann nicht mehr neben ihm stand, sondern vom Hauptkraftfeldgenerator in der Raummitte auf die Männer zuging. Jetzt konnte Tateres auch sehen, warum die Bohrmaschine derart komplett ausgefallen war: Das Starkstromkabel das vom Hauptgenerator zur Maschine führte war ausgesteckt. Der Vorarbeiter hatte die Notentriegelung betätigt und damit die Energiezufuhr zur Bohrmaschine unterbrochen.
Tateres achtete nicht darauf, was sich weiter zwischen dem Vorarbeiter und den beiden Beinahetoten abspielte, sondern stieg in den Gleiter und ließ sich wieder aus der Mine herausfahren.
Regenwall – Orion IV
Es war spät als Seamus von der Arbeit nach Hause kam, wie jeden Tag. Erschöpft ließ er sich in den Sessel in seinem Wohnzimmer fallen und versank in ihm. Er liebte seinen antiken Sessel. Es war gar nicht leicht gewesen, ihn zu bekommen. Überbleibsel von der Erde waren heiß begehrt – und teuer. Aber als er ihn zufällig in einem Auktionskatalog gesehen hatte, hatte er sofort das Gefühl gehabt, ihn besitzen zu müssen.
Normalerweise ging er nicht zu Auktionen und auch den Katalog hatte er nur gehabt, weil ihm eine Arbeitskollegin eine Lampe gezeigt hatte, die sie unbedingt haben musste. Er hatte nicht das geringste Interesse an der Lampe gehabt, oder daran, mit Jana zu reden, aber er versuchte sich auf der Arbeit höflich zu verhalten. Nicht anzuecken. Und das bedeutete, dass man sich ansah, was einem die Kollegen vor die Nase hielten – selbst wenn es einen nicht interessierte.
Im Regelfall gelang ihm das auch ganz gut, aber Jana war ein besonders schwieriger Fall. Er wusste, dass sie Interesse an ihm hatte, wer konnte ihr das auch verübeln, aber er interessierte sich nicht für sie. Beziehungen mit Kolleginnen waren einfach ein Wespennest, in das er nicht greifen wollte. Vor allem, weil sein normaler Umgang mit Frauen darin bestand mit ihnen zu schlafen und sie dann zu vergessen. Auf der Arbeit wäre das nicht möglich gewesen, könnte sogar zu Komplikationen führen. Dennoch hatte er sich den Katalog angesehen und ihre sanften Berührungen seines Arms über sich ergehen lassen.
Den Sessel, den ihm das gebracht hatte, sah er als Belohnung für seine Ausdauer mit Jana.
Als er sich in seinem Wohnzimmer umsah musste er daran denken, wie angenehm das Gefühl gewesen war, als sich Julia am Morgen nach ihrem Treffen in der Diskothek auf seinen Schoß gesetzt hatte, während er in seinem Sessel versunken war.
Was war los mit ihm? Warum dachte er seit ihrer gemeinsamen Nacht immer wieder an die Frau? Das war nicht normal. Zumindest nicht für ihn.
Vergiss sie.
Ich versuche es ja…
Alkohol. Er brauchte Alkohol. Er ging in die Küche, griff sich ein Bier aus dem Kühlschrank und kippte es förmlich herunter, aber das brachte keine Besserung. Also nahm er sich ein Weiteres und ging zurück ins Wohnzimmer, um das zweite Bier in Ruhe zu trinken und sich einen Film anzusehen.
Zweieinhalb Stunden später war der Film vorbei, er hatte ein drittes Bier getrunken – und dachte noch immer an Julia. Für einen Moment überlegte er, ob er sich ein viertes Bier nehmen sollte, entschied sich aber dagegen. Sich zu betrinken war keine Lösung. Aber vielleicht eine andere Frau. Ja, Sex mit einer anderen Frau würde ihn ablenken und Julia vergessen lassen. Es funktionierte mit Depressionen und Angstzuständen, warum also nicht auch hier?
Es war zwar erst früher Abend, aber da würde er durch müssen, auch wenn das für gewöhnlich bedeutete, dass die wirklich gutaussehenden Frauen erst später kamen. Er war nicht auf der Suche nach einer Schönheitskönigin, nur nach einer Ablenkung.
Sonnenstadt – Orion IV
Da er zu viel getrunken hatte, um selbst zu fliegen, ließ er sich vom Autopiloten bringen und landete dadurch wieder vor der Diskothek vom Samstag. Er überlegte einen Moment, ob er wirklich hineingehen wollte, aber entschied sich dann, dass er keine Lust hatte, woanders hin zu gehen.
Vor dem Eingang hatte sich bisher noch keine Schlange gebildet, aber er drückte dem Türsteher trotzdem ein paar Scheine in die Hand. Es schadete nie, wenn der Türsteher einen positiv in Erinnerung behielt.
Im Inneren war nicht wirklich mehr los als draußen. Selbst die Laser und der Rauch waren noch nicht eingeschaltet. An der Bar saßen ein paar Männer, aber keine Frauen. Offenbar war er nicht der einzige, der hoffte noch vor dem eigentlichen Besucheransturm etwas abstauben zu können. Auf der Tanzfläche konnte er zwar ein paar Frauen sehen, die hatten aber alle einen Partner.
Für einen Moment überlegte er, ob er gehen und sich eine andere Disko oder Bar suchen sollte, entschied dann aber, dass es dort kaum anders aussehen würde. Er setzte sich an die Theke und bestellte einen alkoholfreien Drink. Besser den Alkoholpegel etwas zu senken, bevor mehr Frauen hereinkamen. Er hätte nichts davon, wenn er nicht mehr in der Lage wäre, geradeaus zu gehen.
Eine halbe Stunde später begann es so langsam, sich zu füllen. Aber obwohl mehr Frauen hereinkamen, und einige davon auch alleine oder zumindest ohne männliche Begleitung, konnte er sich nicht aufraffen, eine anzusprechen. Was war nur los mit ihm?
Als sich zwei Frauen, eine blond und eine rothaarig, neben ihn setzten, zwang er sich dann doch dazu, sie anzusprechen.
„Kann ich euch einen Drink ausgeben?“
„Nur einen? Aber wir sind doch zu zweit.“, entgegnete ihm die Blonde mit einem Schmollmund.
„Und ihr wollt euch keinen Drink teilen?“
Die beiden sahen sich an und diesmal antwortete die Rothaarige.
„Keinen Drink, nein.“
„Wenn das so ist…“, er stockte einen Moment, als wenn er sich den nächsten Teil überlegen müsste, „Dann zwei Drinks.“
Die beiden Frauen lachten und ließen sich von Seamus die Drinks ausgeben. Zwanzig Minuten später saß er trotzdem wieder alleine da.
Als sie sich zu ihm gesetzt hatten, schienen sie bereit, einiges mit ihm anzustellen, aber irgendwo in den letzten zwanzig Minuten hatte er etwas gesagt, was sie verschreckt hatte. Oder zumindest das Interesse an ihm verlieren ließ. Jetzt saß er wieder alleine da und konnte sich nicht dazu entscheiden eine andere Frau anzusprechen.
Wenn er wenigstens wüsste, was er gesagt hatte, das die beiden Frauen davon abgebracht hatte, sich auf ihn einzulassen. Aber was auch immer es war, er konnte sich nicht erinnern. Er konnte sich allgemein kaum an das Gespräch mit ihnen erinnern.
Was ist los mit mir?
Das weißt du nicht?
Wenn ich das wüsste, würde ich nicht fragen, oder?
Und wann hatte er eigentlich damit angefangen, Selbstgespräche in seinem Kopf zu führen? Seit er Julia getroffen hatte, war irgendetwas anders. Aber was?
„Ist der Platz belegt?“, hörte er eine Frauenstimme hinter sich?
Geistesabwesend schüttelte er den Kopf.
„Nein, da ist frei.“
Dann versank er wieder in Gedanken.
„Ich hatte mir eigentlich eine etwas freudigere Begrüßung erhofft.“
„Was?“, fragte er verwirrt und drehte seinen Kopf.
Neben ihm saß Julia und lächelte ihn an.
„Du wirkst geistesabwesend. Ist alles in Ordnung?“
„Nein. Ja. Ich… schon okay.“
Er konnte sich nicht helfen, aber er verspürte Freude darüber, dass sie hier war. Und Wut und Verwirrung darüber, dass er Freude verspürte. Eine seltsame Kombination.
Sie lachte und riss ihn damit endgültig aus seinen Gedanken.
„Was hab ich so lustiges gesagt?“
„Nichts. Und alles.“, sie versuchte, ihr Lachen unter Kontrolle zu bekommen, „Du verbringst erst eine hemmungslose Nacht mit einer Frau und wenn du sie dann wiedersiehst, bist du verwirrt wie ein Kind, das seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Süß.“
Hatte sie das grad wirklich gesagt? Hatte sie ihn „süß“ genannt? Das hatte zuletzt seine Mutter zu ihm gesagt. Und damals hatte er es gehasst. Bei Julia war er sich noch nicht sicher, was er davon halten sollte.
Sie stupste ihn von der Seite an.
„Lebst du noch?“
„Ja. Tut mir leid. Ich bin heute irgendwie nicht ganz da.“
„Soll ich dich allein lassen?“
Für eine Sekunde überlegte er, ja zu sagen.
„Nein. Aber nimm es mir nicht übel, wenn ich zwischendurch abdrifte.“
„Einverstanden. Wollen wir tanzen?“
Statt zu antworten griff er ihre Hand und zog sie auf die, mittlerweile gut gefüllte, Tanzfläche.
Eine Stunde später war Seamus geschafft und verschwitzt, während Julia noch immer frisch wirkte. Aber als er sagte, er würde gerne eine Pause einlegen, stimmte sie sofort zu.
Statt sich an die Theke zu setzen, suchten sie sich eine ruhige Ecke. Als sie eine gefunden hatten, stand Seamus wieder auf, um ihnen ein paar Drinks zu besorgen.
Wollte ich mich nicht eigentlich von ihr ablenken?
Ja. Und? Ist es nicht schöner so?
Ich weiß nicht. Vielleicht.
Für einen Moment überlegte er, ob er nicht einfach gehen sollte. Wenn er jetzt ging und sie nie wieder sehen würde, könnte er sie vergessen. Da war er sich sicher.
Stattdessen brachte er die Drinks zurück in ihre Ecke.
New Dublin – Orion III
Tateres saß in seinem Büro und ging die Unterlagen des Tages durch. Im Asteroidengürtel um das Orion-System herum hatten sie etwas mehr als die angesetzte Tagesmenge an Rohstoffen abgebaut. Er ließ den Überfluss, und ein wenig mehr, in ein Lager umleiten und senkte die Zahlen im offiziellen Bericht. Angebot und Nachfrage. Wenn sie das Angebot senkten, konnten sie den Nachfragepreis erhöhen.
Wenn sie das Metall in Tiefen V herausbekommen würden… das könnte er teuer verkaufen. Es war die einzige bekannte Quelle im gesamten von Menschen besiedelten Raum. So klein dieser mittlerweile auch geworden war, in den verlorenen Gebieten hatten sie
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Daniel Isberner
Bildmaterialien: Coverdesign: Daniel Isberner Coverlayout: Peer Bieber
Lektorat: Roswitha Druschke
Tag der Veröffentlichung: 08.07.2013
ISBN: 978-3-7309-3595-8
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