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Prolog: Die Legende des Falken

 

 

 

Es war einmal ein Falke, der mit saphirblauen Schwingen auf den Winden ritt. Sein Herz war weise und spiegelte sich in seinen smaragdgrünen Augen. Er sah das Böse und Gute in der Welt, doch er schritt nicht ein - der Preis würde ihn seine Flügel und sein Leben kosten.

Eines Tages aber sah er einen Jungen, bleich wie der Geist des Nebels mit feurigen Augen. Sein Herz war weiß und gut, doch in einer blutigen Nacht verfiel es dem Silber des Mondes und seiner Grausamkeit und es wurde schwarz und schlecht.

Der Falke trauerte um das unschuldige Herz und er rettete den Jungen aus der Dunkelheit. Er schenkte dem Kind seine Augen, damit er das Gute und das Schlechte in der Welt sehen konnte und nie wieder dem Bösen verfallen würde. Als Dank schenkte der Junge dem Falken sein Herz. Doch es war zu spät, der Falke fiel wie ein blauschimmernder Komet vom Himmel und das Herz brannte lichterloh. Nur eine einzelne Feder fand den Weg in das bleiche Haar des Jungen und färbte es blau.

Der Name des Falken war Emerald.

Kapitel 1: Emerald

 

 

 

Mama, heute war es ungewöhnlich kalt. Überall liegt Schnee und der Wind beißt einem in die Finger. Die Hafenleute hatten Schwierigkeiten, die Schiffe zu beladen und auslaufen zu lassen. Oh, und nebenbei – alle sind sauer auf mich, weil ich den Unterricht schwänze. Mama, ich will keine Prinzessin sein. Ist es komisch, dass ich mich immer bei Belphe verstecke? Sie ist so stark und niemand weiß es, aber ich glaube, im Herzen ist sie eine Kriegerin.

 

 

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Der Winter biss zum Anfang des zweiten Monats des Jahres besonders tief und schneidend in die Haut. Er kroch durch Ritzen in Hütten und Häuser und drängte alle Lebewesen zusammen.

Das Plätschern von Flüssen und Bächen, das normalerweise überall zu hören war, war durch die Eisschicht, die sich über das Wasser spannte, gedämpft. Selbst das ferne Rauschen des eisigen Bergfalls war fast verstummt. Ein Sturm hatte weiße Kälte und Schnee über Illyana gebracht. Schiffer arbeiteten hart daran, das Eis von ihren Decken zu schaben, Hafenarbeiter bemühten sich, den Haupthafen Illyanas schiffbar zu halten.

Illyana war die Hauptstadt und größte Hafenstadt des Südens, ein wichtiger Handelspunkt, der selbst im tiefen Winter nicht erfrieren durfte. Selbst jetzt wurde Markt geführt, es wurde über Waren verhandelt und gefeilscht und Händler preisten an, was sie aus fernen Ländern gebracht hatten. Schwarze, helle, rote Haare mischten sich unter die blau-grünen der Illyaner. Bürger und Reisende sammelten sich um Feuer, wärmten sich und suchten Schutz vor der Kälte, indem sie sich in dicke Mäntel und den Klang alter Lieder hüllten.

In diesem Land der alten Flüsse und Gewässer, Legenden und Traditionen schmiegte sich ein zierliches blauhaariges Mädchen an die Wärmer ihrer Stute. Der Duft von Heu, Kräuter und warmem Fell umgab sie, während sie in langen, ruhigen Bewegungen das goldene Fell glänzend bürstete und eine tiefe, melancholische Melodie summte.

„Kennst du die Klage Telobans, Belphe?“, fragte sie das Pferd, erwartete jedoch keine tatsächliche Antwort. Doch Belphe hob den Kopf wieherte leise und zupfte mit gutmütigen Lippen an den ungewöhnlichen Haaren des Mädchens.

„Es wird an Beerdigungen gesungen. Es ist ein sehr trauriges Lied.“ Für einige Augenblicke striegelte und bürstete sie weiter. Immer in eine Richtung. Es beruhigte sie. „Ich vermisse Mutter“, setzte sie dann hinterher.

Das Tier musterte sie mit einer Mischung aus Langeweile und Neugier, ehe es den Kopf wandte, um schnaufend nach irgendwelche Leckereien in der Tasche des Mädchens zu suchen. Lachend rieb dieses ihm die seidige Nase und präsentierte ihrer Stute dann mehrere kleine Möhren, die sie zuvor aus der Küche gestohlen hatte.

Belphe malmte genüsslich auf ihrem Gemüse, während das Mädchenwieder das Striegeln und Summen aufnahm – bis die Stalltür mit einem lauten Krachen aufgeschoben wurde und ein Stoß Kälte ins Gebäude drang. Die Pferde scheuten, warfen ihre Köpfe zurück, wieherten und schnaubten aufgeregt. Nur Belphe drehte lediglich die Ohren und mahlte die Karotten weiter.

„Emerald!“

Die Person, die nun die Stalltür wieder – leiser diesmal – schloss, war halb erfroren. Nase und Wangen waren von der beißenden Kälte gerötet und von seiner Kapuze, die leuchtendblaue Haare verbergen sollte, die sich dennoch vorwitzig darunter hervorschoben, tropfte schmelzender Schnee. Hitzige grüne Augen streiften die Boxen und fanden das Mädchen – Emerald.

„Hey, Bruderherz!“, rief sie, ehe sie sich wieder zu dem Pferd wandte, ihm einige letzte Leckerchen gab, den Hals tätschelte und dann aus der Box trat. Es war still, als sie die Tür schloss, doch sie spürte den heiß-kalten Blick ihres älteren Bruders in ihrem Nacken.

„Hast du eine Ahnung, wie sauer Vater ist?!“

„Nein, keine Ahnung“, antwortete sie ruhig, während sie ihre Handschuh, Jacke und Mütze vom Boden aufsammelte.

„Du kannst nicht ständig deine Stunden schwänzen. Vater hat gedroht, dein ach-so-geliebtes Pferd zu verkaufen, weil du so verdammt stur bist!“

Emerald wirbelte verärgert zu ihm herum. „Das soll er versuchen!“, zischte sie.

„Ally, wir wollten dir doch helfen! Nhymue – und selbst Parsley – versuchen Vater zu erklären, dass du keine arrangierte Heirat nötig hast, wie der Rest von uns – und ich auch.“

Der Junge, gerade 20 Jahre alt, sah aufgebracht aus. Er hatte dasselbe saphirfarbene Haar wie seine Schwestern und die aufsehenerregenden grünen Augen, doch auf seinen Schultern lastete das zukünftige Schicksal der Leute seines Landes. Er war der Kronprinz, doch auch er beugte sich dem Willen seines Vaters. – Nur Emerald wollte nicht.

„Ich weiß“, antwortete sie leise und zog sich die grüne Mütze über die Kopf. Ihre Mutter hatte sie für sie gestrickt, lange Jahre zuvor. „Ich weiß, dass ihr euch Mühe gebt.“

„Das glaube ich nicht. Du denkst nur an dich selbst – sonst würdest du endlich vernünftig werden, deinen Unterricht besuchen und uns so nicht behindern, wenn wir schon versuchen, alles in Bewegung zu setzen, um dir zu helfen“, zischte er.

„Ach, halt die Klappe, Tálír“, gab sie scharf zurück. „Ich will das alles nicht!“

Emerald wollte an ihm vorbei, doch er vertrat ihr den Weg. Einige Momente vergingen, ehe ein schmerzlicher Schatten über sein Gesicht huschte und er sie passieren ließ.

„Dann gib nicht uns die Schuld, wenn…“

Das Heulen des Sturms übertönte ihn.

 

 

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Emerald war die jüngste und kleinste der königlichen Geschwister, die dritte Prinzessin. Ihre zwei Schwestern und Tálír überragten sie allesamt um Längen.

Nhymue, die Älteste, war groß und schlank, elegant und kühl wie eine Amazonen-Königin. Sie liebte nichts mehr als ihre Bücher, deren Wissen, das sie sich erlas – und ihren Ehemann. Es war eine gezwungene Heirat gewesen – aus politischen Gründen – und doch hatte sie das Glück gehabt, in Fanleon, dem dritten Prinz aus dem Königreich im Norden, einen passenden, liebevollen Partner zu finden, der sie vergötterte. Nhymue war glücklich, doch sie verstand die Angst und Verzweiflung ihrer kleinsten Schwester und sie versuchte, zu helfen, wo sie konnte.

Parsley, die zweite Tochter des Hauses Seabhag, war wagemutig, wild und offen. Sie war nie lange an einem Ort und passte ebenfalls hervorragend zu ihrem Ehemann, einem jungen Botschafter, der zwischen Teloban und allen anderen Königreichen hin und her pendelte Zuerst wollte Parsley dieser Ehe entfliehen und war davongelaufen, mit der Absicht, sich in der Stadt von Illyana mitten im Blickfeld des Königs zu verstecken Durch Zufall begegnete sie dabei ihrem Zwangs-Verlobten und verliebte sich prompt. Es war eine typische kitschige Liebesgeschichte und Emerald beneidete ihre Schwester jedes Mal, wenn sie mit Amaryllion am Hofe erschien, damit dieser dem König Bericht erstatten konnte.

Tálír, das dritte Kind, der einzige Sohn des Königs und der Kronprinz, war ein Krieger. Er war groß und breit, dachte rational und kalkulierend und war gleichzeitig die warmherzigste Person, die Emerald bekannt war. Er liebte seine Schwester abgöttisch und versuchte, sie vor allem zu bewahren, das ihr irgendwelches Unglück zufügen würde. Und obwohl er selbst noch nicht verheiratet worden war, schien er Emerald besser zu verstehen als alle anderen.

Doch Emerald war stur und sie fühlte sich schrecklich einsam. Ihre Schwestern waren viel älter als sie und schon lange ausgezogen und ihr Bruder war die meiste Zeit mit Dokumenten und den Pflichten eines Kronprinzen überhäuft. Ihre Mutter, Avion, eine sanfte, gutmütige Königin, war gestorben als Emerald gerade vierzehn Winter alt gewesen war. Und Dogor, der König Telobans, der Herrscher über den Süden, hatte noch nie Zeit für sie gehabt.

Die einzige, die ihr blieb, war ihre wilde, treue Stute Belphe. – Also war es nicht logisch, dass sie tagtäglich zu ihr floh und Schutz und Gesellschaft bei ihr suchte? Sie war zu klein, um aufzufallen, zu scheu, um ihre Gedanken auszusprechen. Der Duft und die sanfte Geräusche, die im Stall hingen, beruhigten sie jedes Mal und sie redete sich ein, es war ihre eigene Art, sich gegen ihren Vater aufzulehnen – doch welche Art von Auflehnung war das?

Es war Feigheit.

 

„Ally, kannst du mir den Wälzer dort vorne reichen? – Den großen, roten – Ja, den, vielen Dank.“

Nhymue lächelte ihr zur. Sie war für kurze Zeit zu Besuch in ihrem einstigen Zuhause und Emerald nutzte jede Gelegenheit, um die kurze Zeit mit ihrer älteren Schwester zu teilen.

„Wie geht es Fanleon?“, fragte sie, einfach um mehr über Nhymues neues Leben zu erfahren. Sie hatte den Prinzen noch nie gesehen, doch sie hatte gehört, dass er ein arroganter Aristokrat war. Wie ihre Schwester mit so jemandem glücklich sein konnte, verstand sie nicht.

„Oh, er ist in guten Händen. Als drittältester Sohn fungiert er häufig als Botschafter und hat von seiner letzten Reise eine kräftige Erkältung mitgebracht. Deswegen musste er auf unseren Besuch hier verzichten.“

Nhymues Worte klangen höflich, distanziert, beinahe auswendig gelernt, doch in ihren dunkelgrünen Augen sah Emerald ernste Fürsorge.

„Und wie ist es in Tuath? Ist es dort so kalt wie hier?“, fragte sie. Sie hatte noch nie etwas von der Welt gesehen außer die Flüsse von Teloban auf ihren verbotenen Ausritten mit Belphe.

„Es ist eisig“, lachte ihre Schwester. „Das halbe Jahr über liegt Schnee.“

Emerald, klein und naiv für ihre sechzehn Jahre, machte große Augen. „Und da kannst du leben?“

„Es ist es wert. – Und mit der richtigen Kleidung und in warmen Häusern, ist es erträglich“, erklärte Nhymue mit einem warmen Lächeln. Emerald glaubte zu verstehen.

Für einige Augenblicke folgte Stille, die nur vom Knistern des Feuers und dem Blättern der Seiten von Nhymues Buch durchbrochen wurde. Der Flammenschein reflektierte von den außergewöhnlichen Haaren der Schwestern und ließ es in allen erdenklichen Farben des Ozeans leuchten.

„Was würdest du sagen, wenn ich dir sagen würde, dass ich die Welt sehen will?“, platzte Emerald schließlich hervor, ihre Augen groß, weit und grün. „So wie Parsley!“

„Du wirst die Welt sehen“, sagte Nhymue leise, als sie den Kopf hob. Ein eigenartiger Zug lag um ihren Mund. „Wenn Vater entschieden hat, wirst du bestimmt eines Tages aus Teloban herauskommen und einen neuen Teil der Welt entdecken.“

Nun verzog auch Emerald das Gesicht.

„Du meinst die Heirat! – Ich will nicht heiraten. Und ich will Teloban auch nicht verlassen, aber ich möchte wissen, was dort draußen ist.“ Ihre Stimme klang weinerlich wie die eines Kindes.

Nhymue hob eine Braue. „Du willst die Welt sehen, aber nicht fortgehen?“ Ein Lächeln huschte über ihre Züge. „Dann, kleine Schwester, solltest du aufhören, deinen Unterricht zu schwänzen. Dort würdest du vieles über andere Kulturen, Bräuche, Länder und Sitten lernen – und du musst Teloban dafür nicht verlassen. Du musst nicht einmal Illyana verlassen. Vielleicht wäre dann auch Vater einfacher zu überzeugen, dich nicht zu verheiraten.“

Sie zwinkerte und ihr Ton klang fröhlich und nonchalant, doch Emerald verstand die verborgene Nachricht: „Du bereitest uns Schwierigkeiten“ und Emerald dachte an Tálír.

 

 

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Mama, heute war mein siebzehnter Geburtstag.

Vater hat ihn wie immer vergessen.

 

 

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Doch auch wenn der König des Südens zu beschäftigt und zu besorgt um das Wohl seines Volkes war, um sich daran zu erinnern, dass seine jüngste Tochter siebzehn wurde, dachten ihre Geschwister jedes Jahr an sie – selbst dann noch, als sie schon längst weit weg waren.

 

Hey, kleine Schwester!

 

Der Brief, den Emerald in den Händen hielt, trug Parsleys eilige, unordentliche Handschrift.

 

Herzlichen Glückwunsch! Es tut mir leid, dass ich nichts Besseres gefunden habe, aber Talath hat erstaunlich wenig zu bieten, das dir gefallen würde. Oh, und ein kleiner Affe wollte es mir stehlen, also du Glück, dass du überhaupt bekommst.

 

Es war der fünfzehnte Tag des siebten Monats und es war heiß und stickig im Stall, das krasse Gegenteil von den Temperaturen fünf Monate zuvor. Die Sonne schien hell und warm und reflektierte von den Fenstern des Palastes und den zwei Flüssen, die vom großen Bergfall gespeist wurden und durch Illyana flossen ehe sie ins Mór mündeten.

Emerald faltete Paket des Geschenkes, das Parsley ihr geschickt hatte, auseinander und fand darin eine grüne Satteldecke, die seidig schimmerte und leicht war, passend für den Sommer. Es war ein wunderschönes Exemplar mit dem Siegel des Seabhan-Clans in den Saum eingearbeitet – zudem war es gleichzeitig auch ein Geschenk für Belphe, sodass Emerald es lieben musste.

Delayar-Seide bemerkte sie und ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Parsley war unruhig und zerstreut wie der Wand aber immer verlässlich.

Die zweite Prinzessin befand sich zurzeit in Delayar, einem Land, das über das Mór, einem Binnenmeer nördlich von Teloban zu erreichen war und berühmt für seine große Produktion an feinen und teuren Stoffen. Sie ist vor gerade einem Jahr an einen jungen Botschafter aus Illyana verheiratet worden, der genau wie Parsley nie lange einem Ort bleiben konnte. Zuerst wollte Parsley dieser Ehe entfliehen und war davongelaufen, mit der Absicht, sich in der Stadt von Illyana mitten im Blickfeld des Königs zu verstecken Durch Zufall begegnete sie dabei ihrem Zwangs-Verlobten und verliebte sich prompt. Es war eine typische kitschige Liebesgeschichte und Emerald beneidete ihre Schwester jedes Mal, wenn sie mit Adan am Hofe erschien, damit dieser dem König Bericht erstatten konnte.

 

P.S. Adan schickt dir herzliche Grüße und Glückwünsche.

 

Adan war ein optimistischer junger Mann, den Emerald sofort gemocht hatte, als sie ihn zum ersten Mal auf Parsleys Hochzeit getroffen hatte. Er hielt nicht viel von Konventionen und hatte mit jedem auf der Feier freundliche Gespräche führen können, doch er hatte einen gesunden Respekt vor dem König.

Emerald hoffte, ihre Schwester und ihr Mann würden sie bald wieder besuchen kommen.

Das nächste Geschenk war ein mysteriöses Paket von Nhymue, das Emerald eiligt aufriss.

 

Kleine Ally, ich erinnere mich daran, dass du die Welt kennen lernen wolltest. Deswegen schicke ich dir diese Maske. Sie ist eine Art Tradition hier im eisigen Amar und soll schlechte Geister abwehren. Ich hoffe, du kannst Fanleon und mich bald besuchen, ich würde dir gerne Arknar zeigen (das ist die Hauptstadt). Bis bald, Nhymue.

 

Die Maske war bizarr, um es milde auszudrücken. Sie war weiß mit schwarzen Schlitzen, um hindurchsehen zu können. Sie hatte hervorgehobene kantige Wangenknochen und ein langes Kinn. Das Grinsen, das für immer sie eingearbeitet war, war beinahe angsteinflößend und zeigte spitze dämonische Zähne.

Emerald betrachtete das seltsame Geschenk für einige Minuten interessiert und entschied sich schließlich, es vor die Tür der Waffenkammer zu hängen. – So könnte sie eventuell potenzielle Einbrecher verschrecken.

Dann machte sie sich daran, das letzte Paket zu inspizieren. Es war überraschend schwer und hatte die Größe eines Frühstücktellers. Eine Karte war auf ihm befestigt und Emerald erkannte sofort die krakelige Handschrift ihres Bruders – jeder würde sie sofort erkennen, wenn sie erst einmal sein Arbeitszimmer gesehen hatten, in dem er in dem Moment vermutlich über Dokumenten brütete und sich wünschte, er könnte irgendeinem Abenteuer an der frischen Luft nachgehen.

Er hatte ihr das Geschenk früh am Morgen gegeben, vermutlich in der richtigen Annahmen, dass er im Verlauf des Tages keine weitere Gelegenheit haben würde, es ihr zu überreichen.

 

Liebste kleine Schwester, es tut mir leid, dass Vater ein weiteres Mal deinen Geburtstag vergessen hat aber ich schenke dir ein Symbol für Glück und Freude und ich wünsche dir beides. Wenn du willst, besuch mich in meinem Arbeitszimmer – ich war seit einem halben Jahr auf keinem Ausritt mehr gewesen und wäre erstaunt, wenn du nicht einen Weg gefunden hättest, wie wir uns hinaus schleichen könnten.

Wie auch immer – herzlichen Glückwunsch und mögen die Berge über dich wachen und die Flüsse all deine Sorgen mit sich nehmen. Tálír.

 

„Und mögen die Himmel dein Herz beschützen“, murmelte Emerald und lächelte über den traditionellen Tenobal-Vers. Er wurde an Silvestern und Geburtstagen gesprochen, um Gesundheit, Glück, Liebe und Freude zu bringen und alle Dunkelheit zu vertreiben.

Als sie das silberne Papier ihres Geschenks abzog, fand sie darunter eine schwarze, schwere Box. Neugierig öffnete sie sie und sog einen scharfen Atemzug ein, die Augen weit.

Es war ein altes Hufeisen, beinahe antik, aber immer noch glänzend. Ein Schatz, in den Saphire und Smaragde eingearbeitet waren. Das zierliche blauhaarige Mädchen drehte den Gegenstand bewundernd in ihren Fingern und betrachtete wie die Edelsteine das Sonnenlicht stolz und schimmernd reflektierten. Es war ein Glücksbringer, der die seltenen Steine Telobans verkörperte, für die das Königreich berühmt war. Es hatte noch mehr Bedeutung für sie durch ihre Beziehung zu Pferden. – Sie wusste nicht, wie groß diese Bedeutung sehr bald für sie werden würde. Doch für jetzt würde sie es an ihre Zimmertür hängen, nah bei sich.

Emerald hörte wie die Stalltür aufgeschoben wurde und duckte sich schnell hinter die Beine von Belphe, die sie irritiert musterte.

Sie hatte ihren Unterricht zwar wieder aufgenommen aber heute hatte sie sich einen Tag frei genommen – immerhin war ihr Geburtstag – und sie befürchtete, dass Tálír gekommen war, um sie wieder einmal zurecht zu stutzen. Vielleicht war es dieses Mal sogar ihr Vater, der seine Drohung wahr machen wollte und Belphe verkaufen würde.

„Ich dachte mir, dass du hier sein würdest.“

Emerald sah auf und fand zu ihrer Überraschung, dass ihre Tante Keona vor ihr stand, ein kleines Päckchen im Arm und auf sie hinab lächelte. Sie war beinahe das Ebenbild von Emeralds Mutter.

„Tante!“ Emerald lächelte und sprang auf, um die ältere Frau stürmisch zu umarmen. Sie roch nach frisch gebackenem Brot und Kuchen, wie immer.

„Herzlichen Glückwunsch, kleine Ally.“ Keona beugte sich ein wenig vor, um Emerald ihr Geschenk zu überreichen; ein kleines Paket, das locker in ihre Handfläche passte. Neugierig öffnete sie die kleine Box vorsichtig und sah für einen Moment etwas aufblitzen. Einen Atemzug später entnahm sie dem seidigen Papier, in dem der Gegenstand eingebettet war, eine lange, elegante Kette an deren Ende ein einzelner schillernder Smaragd hing, so grün wie ihre eigenen Augen und genauso wunderschön wie das Hufeisen. Emeralds Mund formte ein kleines O. Sie erkannte die Kette augenblicklich.

„Sie gehörte deiner Mutter“, sagte Tante Keona ihr sanft, obwohl sie sehr wohl den Glanz der Wiedererkennung in den Augen ihrer Nichte sah. „Dein Vater hat es beinahe in den Palast-Safe geschmissen, ich konnte es gerade noch retten.“

Ehe Emerald in ein faselndes Durcheinander von Tränen ausbrechen konnte, warf sie die Arme ein weiteres Mal um ihre Tante und bedankte sich tausend Mal. Keona tätschelte ihr den Rücken.

„Sie hätte gewollt, dass du es bekommen würdest.“

 

 

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Mama, manchmal frage ich mich ob Belphe nicht doch eine Kriegerin ist. Vielleicht hat sie ja auch spezielle Fähigkeiten, so wie wir. Oder wie die mysteriösen Brüder aus Daelwon, die zwei über die man immer wieder Gerüchte hört. Einer soll Pflanzen, Bäume und Blumen mit nur einem Gedanken aus dem Boden sprießen lassen können. Der andere soll Kontrolle über das Wasser haben und einen See aus dem Nichts erschaffen können.

Belphe ist der bedeutendste Grund, weshalb ich nicht fortgehen will, Mama. Ich könnte sie niemals mit mir über das Meer nehmen. Und ich halte deine Kette und bete jeden Tag, dass ich nicht weggeschickt werde. Ich weiß nicht ob du mich hören kannst, Mama, aber bitte bitte bitte beschütz mich. Vater hat angefangen, mit anderen Ländern eine Heirat zu erwägen, doch ich will nicht gehen. Ich bin nicht wie Parsley, ich kann nicht einfach mein Zuhause verlassen und ich bin nicht wie Nhymue, ich verstehe meine Pflicht nicht wie sie es tut. Warum kann ich nicht hier bleiben, so wie Tálír?

 

 

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Die magische Nummer siebzehn. Siebzehn, das Alter, als Nhymue in einem anderen Land von Bord eines Schiffes ging, die Augen weit und die Füße auf unvertrautem Boden. Der Tag, an dem sie herausfand, dass ihre Mutter krank geworden war. Doch es war ihr nicht erlaubt, umzukehren, denn sie hatte eine fürchterliche Pflicht zu erfüllen: Heirat. Das einzige Glück, das sie in dem Jahr gefunden hatte, war das Glück mit Fanleon.

Siebzehn, das Alter in dem die Eheverhandlungen für Parsley eher katastrophal und unglücklich begonnen hatten. Streitereien, laute Wortwechsel, wütend zugeschlagene Türen und Stunden von leisem Schluchzen hatten Parsleys Wut begleitet. Sie hatte ganze Nachmittage an der Seite ihrer Mutter und Emerald verbracht. Siebzehn, das Alter in dem ihre Mutter an ihrer mysteriösen Herzkrankheit gestorben war. Es war ein stilles Dahinscheiden gewesen, doch die Klagen, die aus dem Zimmer der Königin zu hören gewesen waren, waren alles andere als das.

Siebzehn, das Alter in dem Tálír zu seinem ersten Fall am Hohen Hof berufen worden ist. Es war ebenfalls der Tag, an dem sein bester Freund gestorben war, denn der König hatte ihn des Mordes schuldig befunden. Der gesamte Prozess war unscharf gewesen und Tálír weigerte sich, sich daran zu erinnern, was an dem Tag passiert war. Es war genau sein Geburtstag gewesen.

Und schließlich siebzehn, siebzehn für das Mädchen, das in die Fußstapfen ihrer Schwestern treten sollte. Das Mädchen, das ein gehorsames viertes Kind sein sollte und mit ihrem Verlobten zurechtkommen sollte, wer es auch sein würde. Denn dieses Mal erlaubte König Dogor kein „Nein“ als Antwort und jeder Versuch, seinen Plan zu durchqueren würde im Keim erstickt werden.

Emerald konnte nur demütig ihren Stolz in sich halten, die Unterlippe zitternd, Tränen vor ihren Augen. Doch sie hatte nur wenig Stolz, den sie halten konnte, denn sie war immer die kleine Prinzessin von Teloban gewesen, jedermanns kleines, liebes Kind, schwach und verletzlich. Sie konnte wenig anders tun als zu rennen. Sie konnte nicht mit Diplomatie und wichtigen Dingen umgehen wie ihre Bruder oder Nhymue es taten. Sie konnte nicht kämpfen, nicht eine Waffe führen, sie könnte nicht einmal einer Fliege etwas zu Leide tun, selbst wenn es ihr befohlen werden würde. Und sie war auch nicht so anmutig und wunderschön wie ihre Schwestern, egal was sie tat. Ihr einziger Trost waren ihre goldene Stute und ihre Stunden am Klavier.

Die Zeit in der ihr Vater sie von den Ställen verbannt hatte, mit der Absicht, sie langsam zu zügeln, um nützlich verheiratet werden zu können, verbrachte Emerald im Musikzimmer, wo ihre Finger von Note zu Note flogen. Ihre Stücke reflektierten immer ihre derzeitige Stimmung. Oft waren es aufgebrachte, schnelle Tonfolgen, die durch den Raum brandeten. An anderen Tagen, an denen sie an ihre Mutter dachte, waren die Melodien schwer und melancholisch, ähnlich wie die Klage Telobans. An fröhlichen Tagen waren es helle Stücke, die Sonnenlicht in den Raum zu bringen schienen. Ohne Ausnahme, war die Musik ihre Zuflucht, wenn nicht gerade der Wind durch ihr Haar wehte und das Hämmern von Hufen unter ihr war.

„Emerald.“

Eine sanfte Stimme, sanft wie die Töne des Klaviers. Eine Stimme, die offensichtlich zu Tálír gehörte, denn niemand sprach in der letzten Zeit mit ihr in diesem Ton. Doch seine Stimme war schwer und klang schmerzlich und auf einmal wusste sie einfach.

„Was ist los, Tal?“, fragte ich unbekümmert, tat so als wäre alles in Ordnung. Er sah nach unten, senkte den Kopf, ein paar dunkelblaue Strähnen fielen ihm in die Stirn. Unter seinen Augen waren dunklen Schatten und seine Schultern waren schlaff vor Müdigkeit. Er fragte sich, ob sie wusste, wie hart er dieses Mal für sie gekämpft hatte.

„Es ist entschieden.“

Nein.

Nein.

„Hatte ich nicht gestern noch zehn Bewerber gehabt? Wie kann es jetzt schon einfach entschieden sein?!“ Wütend schlug sie ihre Hände auf den Deckel des Flügels. Das Instrument vibrierte, ihr Buch voller selbstgeschriebener Stücke fiel zu Boden und verursachte einen misstönenden Klang auf den Tasten. Ihr Ausbruch war ziemlich beängstigend, aber Tálír reagiert kaum außer erneut schwer zu seufzen.

„Ich hab es versucht, Ally“, flüsterte er schwach und beinahe brach seine Stimme. „Ich hab es wirklich versucht.“ Er lehnte sich gegen den Türrahmen und sah aus als würde er jeden Moment zusammenbrachen. „Es tut mir leid.“

Tränen traten in ihre Augen, denn sie hatte die Arbeit ihres Bruders nie gewürdigt, sie war nie dankbar gewesen. Sie hatte nicht geahnt, wie viel ihre Bürde, die er angenommen hatte von ihm abverlangen würde. Das kleine blauhaarige Mädchen trat auf ihn zu und umarmte ihren älteren Bruder, seine Arme fielen müde um sie.

„Ich weiß, Tal. Danke.“

Kapitel 2: Der Plan

 

 

 

Mama, heute fand das Herbst-Fest statt. Überraschenderweise war es relativ amüsant. Habe ich bereits erwähnt, dass sie einen angemessenen Ehemann für mich gefunden haben? Ich bete an alle Himmel und Flüsse und Smaragde – und selbst an die dicke weiße Farbe auf meinem Gesicht, dass er nicht irgendein gruseliger alter Mann ist. Was wenn ich so ein ekelhaftes Monster heiraten soll wie Parsley es beinahe hätte tun müssen? Mama, ich will Tenobal nicht verlassen, ich will Belphe nicht verlassen. Ich könnte davon laufen – aber wohin? Ich will kein fremdes Land betreten. Und sie haben mir nicht einmal seinen Namen gesagt! Wie soll ich einen Mann heiraten, dessen Namen ich nicht kenne?

 

 

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Tenobal war eine helle, fröhliche Nation, eine Gesellschaft voller Traditionen und Gebräuche. So gehörte es sich zum Beispiel, dass die Männer an formellen Anlässen blau-grüne Farbe auf ihre Schläfen auftrugen und auch über ihren Nasenrücken. Vor langer Zeit hatte dieser Brauch mal eine Bedeutung gehabt, aber die ist über die Jahrhunderte vergessen worden. Alles, was übrig blieb, war die Tatsache, dass er noch immer angewandt wurde.

Auch die Frauen zierten sich ihre Gesichter, manchmal komplizierter und detaillierter als die Männer.

Der Standard war, dass eine dicke Schicht weißer Farbe auf das Gesicht einer Frau aufgetragen wurde, um sie so bleich und schön wie den Mond zu machen. Ein Streifen über den Nasenrücken symbolisierte den Status der Frau. Blau stand für die Ehe, wenn eine Frau verheiratet war. Die Schattierungen der Farbe variierten, je nachdem wie lange die Frau verheiratet war.

Ein silbernes Grün stand für die Reinheit eines Kindes, eine Mädchens.

Und ein roter Strich symbolisierte eine Verlobung.

Viele Mädchen und Frauen fügten zu den Standard-Farben noch weitere Symbole und Farben hinzu. Schmetterlingsmuster in Blau, Schwarz oder Grün an den äußeren Augenwinkeln, verschnörkelte Ornamente in Gold oder Silber, die sich über die Schläfen hinab zu  den Wangenknochen zogen.

Nhymue hatte immer ein elegantes, schlichtes Design; blutrote Lippen und kühle Farben um die Augen.

Parsley war extravagant. Sie trug auffällige Muster, brillante Schattierungen um Augen und Mund. Sie war immer aufsehenerregend.

Emerald jedoch war schlicht und einfach, sie beschränkte sich lediglich auf den Standard. Doch sie folgte den Traditionen und setzte sich auf einen Schemel, damit ein junges Mädchen, eine entfernte Cousine von ihr, die Farben auf ihr Gesicht auftragen konnte.

„Cousine, ich finde, Ihr würdet mit ein wenig Gold umwerfend aussehen“, sagte das Mädchen leise. Sie war mit Emerald über die Familie ihrer Mutter verwandt und hatte somit nicht das auffallende Saphir-Haar wie die Mitglieder des Seabhag-Geschlechts. Manchmal beneidete Emerald ihre Cousine um ihr einfaches braunes Haar.

„Bemale mein Gesicht wie du meinst“, antwortete Emerald. „Es ist mir egal.“

Das Mädchen zögerte, öffnete den Mund, um zu protestieren. Sie wusste, dass Emerald Traditionen wichtig waren.

„Wie Ihr wünscht, Cousine.“

Obwohl sie offensichtlich mit Emeralds Antwort nicht zufrieden war, kannte das Mädchen sie gut genug, um zu wissen, dass Emerald die einfachen Farben bevorzugte, nicht mehr, nicht weniger und Emerald hatte dem Gold weder zugestimmt, noch es abgelehnt, also ließ ihre Cousine es aus, sie wollte Emerald nichts aufdrängen.

„Danke“, sagte Emerald, als das Mädchen fertig war und ihre Cousine nickte und tätschelte ihr aufmunternd die Schulter, ehe sie sich erhob.

Etwa eine Stunde später, nachdem Emerald Gast nach Gast stolz durch Palasttore hat kommen sehen, würde das Herbst-Fest beginnen. Sie hatte keine Gästeliste, also musste sie die Herkunft der Gäste nach ihrem Aussehen erraten.

Ein Mann mit streng zurückgekämmten Haar und dem merkwürdigsten Schnäuzer, ein Adliger aus dem Cuinn-Clan, wenn man seinem Clan-Wappen Glauben schenken durfte. Hinter ihm folgten seine Männer.

Ein Trupp voller Rothaarigen, unverkennbar aus Morion, einer kleinen Inselgruppe mitten im Mór. Der Daimhín-Clan.

 Ein eher einfach aussehendes Gefolge von Männern, die eine Kutsche begleiteten. Trotz des großen Aufwandes, war nirgendswo ein Banner zu sehen. Emerald fragte sich, welchen Sinn es hatte, dass man solch ein Aufsehen erregte und sich dann doch nicht preisgab.

Sie erkannte ein paar Adlige aus Tenobal und ein paar von nahegelegenen Inseln.

Emerald wurde es schließlich zu langweilig, alle Gäste, die im Palast eintrafen, zu beobachten. Es gab niemanden, der ihr Interesse weckte, obwohl sie innerlich angespannt war, zu erfahren, wer in der Welt ihr Ehemann sein würde. Vielleicht war er gar nicht anwesend.

Nach einer halben Stunde Nachdenken, klopfte Parsley an ihre Tür.

„Bist du bereit, Schwesterchen?“, fragte sie.

Emerald sah hinüber und sah ihre lebhafte ältere Schwester. Das Haar fiel ihr in natürlichen Wellen über den Rücken und sah aus als wäre gerade eben ein Windstoß durch es hindurch gefahren. Ihre Lippen waren dunkelrot und ihre Augen durch Gold und Orange betont, die Wimpern dicht und lang.

„Ich kann es kaum erwarten“, antwortete Emerald trocken.

„Es wird schon nicht so schlimm“, sagte Parsley in einem Versuch, sie aufzumuntern. Emerald wollte gerade bissig antworten, als ihre Schwester weiter sprach. „Und keine Sorge, ich habe herausgefunden, dass dein zukünftiger Ehemann heute nicht hier sein wird.“

Emerald war sich nicht sicher, ob sie dessen erleichtert sein sollte oder nicht. Auf der einen Seite atmete sie erleichtert aus – und gleichzeitig war sie frustriert und wütend. Wann sollte sie ihren Verlobten kennenlernen?

Vielleicht niemals.

Aber wirklich, dachte sie, habe ich nicht die Absicht, zu heiraten. Sie musste sich vorher einen Plan ausdenken. Kein gewagter, so wie Parsley, aber dennoch clever.

„Kommst du?“ Parsley stand in der Tür und sah über ihre Schulter hinweg zurück. Emerald folgte ihr, mehr als bestrebt, das alles endlich hinter sich zu bringen.

Auf ihrem Weg nach unten, fügte sich Nhymue ihnen an, leise wie eine Katze, die Augen mit violettem Puder umrandet. Tálír stand am Eingang zur Großen Halle und grüßte jeden Gast mit so viel Enthusiasmus wie er aufbringen konnte.

„Willkommen, liebste Schwestern“, sagte er in gedehntem Sarkasmus.

„Ah ja, Grüße auch an dich“, witzelte Nhymue und sank in einen anmutigen Knicks. Ihr Kleid, ein fließendes, mehrschichtiges Stück, auf dem das Symbol von Amar eingearbeitet war, wirbelte um sie.

Emerald beneidete ihre Schwester wie sooft; sie war nicht mehr an die einengende Kleidung von Tenobal gebunden. Emerald trug auch ein Kleid, doch ihres hatte einen hohen, einengenden Kragen und ein steifes Mieder. Der Rock war seidig und floss in zwei Schichten elegant zu Boden. Es wäre einer Königin würdig, doch Emerald fühlte sich alles andere als königlich.

„Ihr seid die letzten Gäste“, informierte Tálír sie. Parsley schnappte in gespielter Empörung nach Luft.

„Wir sind doch keine Gäste!“, rief sie und jeder warf ihr einen entnervten Blick zu.

Beim dem Eintritt der Geschwister in die Große Halle, neigten mehrere Gäste ihre Köpfe, unter denen sich zu Emeralds Entsetzen auch einige ihrer vorigen Bewerber befanden. Hatte Parsley sich getäuscht? War ihr Verlobter doch hier?

„Ah, Lord Cuinn, meine Kinder sind eingetroffen. Lasst mich Euch die Prinzessinnen vorstellen“, verkündete König Dogor, seine Stimme tief und widerhallend in dem großen Raum. „Ich bin mir sicher, dass Ihr Prinz Tálír bereits kennt.“

„Gewiss“, sagte der Mann mit dem merkwürdigen Schnäuzer. Sein Haar glänzte dick und klebrig. Er trug einen lächerlich hohen Kragen und einen schwarzen dreieckigen Bart und Emerald befand, dass er ihr nicht gefiel.

„Milady“, sagte er gedehnt, stumpfe blaue Augen huschten zu jedem der drei Schwestern und Emerald dachte schon entsetzt, dass sie gemeint war, doch der Cuinn-Mann beugte sich über die Hand von Nhymue, ehe er Tálír die Hand schüttelte. Doch die plötzliche Steifheit in Nhymues Rücken war deutlich sichtbar. In Tenobal war Körperkontakt selten und auch wenn Emeralds älteste Schwester bereits mehrere Jahre in einem anderen Land lebte, sogar auf einem anderen Kontinent, war es noch immer ungewohnt. Emerald verstand diese Empfindung.

„Ein ansehnlicher junger Mann“, bemerkte der Mann aus Delayar und klopfte Tálír auf die Schulter. Es war beinahe witzig, zuzusehen, wie der kleine Mann jemanden von der hohen, breiten Statur wie Tálír belobte.

Dann drehte er sich zu Emerald um, die versuchte, nicht zusammen zu zucken.

„Ah, Dritte Prinzessin, es ist eine Ehre, Euch kennen zu lernen.“

„Die Ehre ist ganz meinerseits, Lord Cuinn“, erwiderte sie und sank in einen fehlerlosen Knicks, so wie sie es ihr ganzes Leben lang gelernt hatte. Er neigte höflich den Kopf.

Es war dann, dass Emerald die Kleidung ihres Gegenübers wahrnahm, die über und über mit Nadelstreifen bestickt war. Das allein reichte aus, um Emerald ein Grinsen zu entlocken, denn dieser Stil sah so amüsant aus, dass selbst Tálír sich einen Kommentar an Nhymue gewandt nicht verkneifen konnte, die versuchte, stoisch und nonchalant weiter zu lächeln.

„Lord Cuinn, wenn Ihr Euch davon abhalten könntet, das arme Mädchen mit Eurem offensichtlich geschmackslosen Stil zu erdrücken, ich kenne einige Damen und Herren, die heute gerne Eure Bekanntschaft machen würden.“

Die Stimme, die quer durch den Saal klang, war klar und imposant. Nicht scharf und unfreundlich, aber auch nicht demütig. Es war eine bekannte Stimme, die zu einem Mann gehörte, den die Seabhag-Geschwister früher oft nur „Onkel“ genannt hatten, selbst wenn dieser nur sehr, sehr weit entfernt mit ihnen verwandt war.

Das Haupt des Daimhín-Clans, ein gealterter Mann mit Haaren wir silberne Seide und den Überbleibsel von Jahren voller Lächeln in den Augenwinkeln.

„Onkel!“, platzte Emerald hervor und schlug sich gleich die Hand auf den Mund, als sie den scharfen Blick, den ihr Vater ihr zuwarf, bemerkte. Doch innerhalb einer Sekunde war der alte Daimhín an ihre Seite getreten.

„Ich bin froh, dass du mich noch so nennst, Kind“, sagte er und seine Augenwinkel knitterten in seinem warmen Lächeln. „Doch um auf ein anderes Thema zu sprechen zu kommen, Lord Cuinn …“

„Lord Daimhín“, grüßte der Adlige und neigte den Kopf in seiner Verbeugung auffällig tiefer als er es bei den Geschwistern getan hatte. „Der König von Delayar schickt die besten Empfehlungen und Grüße.“

„Dann übermittelt ihm, dass es mir gut geht – wie geht es seinem Bruder?“

„Das werde ich. Jedenfalls habe ich, Lord Daimhín …“

„Ihr habt nichts, denn Ihr werdet meine Neffen und Nichten kennen lernen, vielleicht auch meine Enkeltochter Tsuki, denn sie hat sich extra die Zeit genommen, ihren alten Großvater zu besuchen und mich zu dieser wundervollen Herbst-Gala zu begleiten.“ Er wandte sich ab und winkte eine jungen Frau mit leuchtend rotem Haar zu sich heran.

Tálír war offensichtlich bemüht, ein Lächeln zu unterdrücken, denn Onkel hatte immer die eloquentesten Wege, jemanden dazu zu bringen, den Mund zu halten. Es war deutlich, dass der Daimhín den Cuinn in niedrigem Ansehen hielt. Und der Verwirrung und der Frustration, die sich auf dem Gesicht des Cuinn abzeichnete, nach zu urteilen, hatte auch der es bemerkt.

Onkel Daimhín war mittlerweile alt, sehr alt, doch er sah aus wie jemand dreißig Jahre jünger. Es schien als wären alle Daimhín so, mit ihrer unvorstellbaren Lebenskraft und ihrer jungen Aura. Die Frau des Clanführers war berühmt als „ewiger Rubin“, denn selbst in ihren älteren Jahren hatte ihr Haar noch dasselbe Kirschrot wie alle Daimhín es hatten.

„Ich freue mich darauf, jeden einzelnen kennenzulernen“, sagte der Cuinn durch zusammengebissene Zähne. Er behielt seinen Stolz für sich, hinter diesen Zähnen, denn er wusste, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren und gespannt darauf warteten, dass er das Angebot ablehnen würde.

„Ich warte auf den Tag, an dem ihm die Geduld reißt und er uns alle eliminieren will“, kommentierte Tálír leise.

„Tal!“, rief Nhymue empört, doch das amüsierte Glitzern in ihren Augen verriet sie.

„Aber vielleicht jagt ihm unser Make-up einfach nur Angst ein“, setzte Tálír dann hinterher und erhielt als Antwort verärgerte Blicke der drei Schwestern, denn er wusste es besser, als die Gesichts-Pastellfarben „Make-up“ zu nennen. Make-up war dazu da, sich hübsch zu machen, die Pastellfarben standen für Traditionen.

„Oder, es warst ganz einfach nur du“, sagte Emerald trocken und bezog sich dabei auf den überdeutlichen Größenunterschied zwischen dem Cuinn und Tálír.

„Hey, ich bin ein ansehnlicher junger Mann und was bist du, Dritte Prinzessin?“ Ein Lächeln und Emerald schlug ihm gutmütig gegen den Oberarm.

„Wenn ich mir all Eure Namen merken soll, müsst Ihr neben mir sitzen“, sagte der Cuinn nun.

Es ist alles nur ein Akt, dachte Emerald. Der Cuinn dachte, er würde den Leute um sich herum geschickt schmeicheln, doch er bemerkte nicht, dass die Daimhín es sofort durchschauten, vor allem Onkels Enkeltochter, die gerade zu ihnen gestoßen war. Wenn er tatsächlich dachte, dass er sie in irgendeiner Weise bezirzen konnte, dann lag er weit daneben.

„Milady, wollt Ihr mir nicht Euren Namen verraten und was Eure Stellung in Morion ist?“, fragte der Cuinn höflich, ja sang es fast schon.

„Ich bin keine Lady vom Land“, antwortete die Daimhín ebenso ungezwungen wie er. „Ich bin die Enkeltochter des Clanoberhaupts der Daimhín.“

Das Aufblitzen von Überraschung und Verwunderung auf dem Gesicht des Cuinn war genauso amüsant wie das plötzliche Geraderichten seines Rückens, viel zu steif für ein ungezwungenes Gespräch. Parsley prustete Emerald einen Witz darüber ins Ohr, während sie die Gäste in den Großen Speisesaal eskortierten.

„Dann, Prinzessin, müsst Ihr mir Euren Namen verraten“, schnurrte der Cuinn und es war ein solch höflicher Ton, dass Parsley dieses Mal laut über seinen Versuch, zu flirten, lachen musste.

„Vielleicht“, antwortete die Prinzessin aufziehend und Emerald sah den Blick, den die rothaarige Prinzessin mit Parsley austauschte. Ein spöttisches Verdrehen der Augen.

„Setzt Euch neben mich, schöne Prinzessin.“ Der Adlige führte die Clanstochter durch den Türbogen und in Richtung eines freien Platzes.

„Lord Cuinn“, unterbrach Parsley und schwang die Doppelflügeltür zu. „Wusstet Ihr, dass hier in Tenobal, verlobte Frauen einen roten Strich über der Nase tragen?“

„Ah.“ Verwirrt ob der Wahllosigkeit dieses neuen Themas nickte der Cuinn, die beinahe non-existenten Brauen zusammengezogen. „Das wusste ich nicht, aber ich habe bemerkt, dass Eure jüngere Schwester ein solches Symbol trägt.“

„Ja, das tut sie“, antwortete Parsley. „Und wusstet Ihr, dass ein blauer Streifen bedeutet, dass die Frau verheiratet ist? Die Schattierung der Farbe reflektiert dabei die Länge der Ehe – je tiefer und dunkler der Ton, desto länger dauert die Ehe schon an.“

„Das ist sehr interessant.“ Der Klang seiner Stimme sprach Bände in die gegenteilige Richtung.

„Das ist es allerdings“, zwitscherte sie. „So würde zum Beispiel ein Strich in einem satten Navyblau zur Frau von Lord Daimhín passen, findet Ihr nicht?“

„Das würde ich nicht wissen“, sprach der Cuinn, der langsam ungeduldig wurde. „Ich kenne mich nur mit Traditionen aus Delayar aus.“

„Das ist eine Schande. Dabei sind die Kulturen anderer Nationen doch so interessant. – Aber zurück zu unserem Thema. Welche Farbe würde Lady Tsuki, die neben Euch sitzt, heute tragen, würde sie die Pastellfarben von Tenobal tragen?“

Für einige erstaunte Momente starrte der Cuinn-Adlige die elegante blauhaarige Frau an. Als die Implikation schließlich zu ihm durchsickerte, huschten seine Augen plötzlich zu der schönen Daimhín zu seiner Linken, die das Ganze ruhig und amüsiert betrachtete.

„Ich habe keine Ahnung“, hauchte er ungläubig. Hatte er sich gerade tatsächlich selbst lächerlich gemacht, indem er mit einer verheirateten Frau geflirtet hatte?

„Ich glaube, ein hübsches Himmelblau wäre passend, oder, Parsley?“

Emerald befand, dass die Frau eine schöne Stimme hatte, leicht und freundlich wie die eines Singvogels, der in ihrer Sprache sprach. Sie passte gut zu ihren Gesichtszügen, von den angenehmen Linien ihres Mundes, den roten, vollen Lippen über elegant gemeißelte Wangenknochen zu den klaren hellblauen Augen und dem rubinroten Haar, das in einem edlen Zopf um ihren Kopf geflochten war. Mit der delikaten Form ihrer Schultern, der Porzellanhaut und feingliedrigen Fingern, sah sie beinahe aus wie eine Puppe, doch ihr offener, freundlicher Gesichtsausdruck und der bodenständige Ton, in dem sie sprach, gaben Emerald das Gefühl, dass diese Frau ihr ohne eine Frage Trost spenden würde, sollte sie es irgendwann brauchen.

„Das denke ich auch, Lady Tsuki“, sagte Parsley, absichtlich laut.

Der Cuinn sah auf seine Hände hinab, blinzelte mehrmals und sah dann wieder zu Tsuki auf. „Der Mann, der Euch geheiratet hat, muss der glücklichste Mann auf den Morion-Inseln sein.“

Das brachte einen überraschend vergnügten Ausdruck auf Tsukis Züge und sie lachte, lebhaft und beinahe atemlos.

„Das ist eine weitere fehlerhafte Annahme, Lord Cuinn“, beschied sie ihm gut gelaunt.

„Habt Ihr Euch nicht über die Neuigkeiten des Südkontinents auf dem Laufenden gehalten? Als Nachbarn hören wir schnell von so etwas.“ Oh, es machte Parsley unbezahlbaren Spaß, diesen kleinlichen, herablassenden Cuinn zu ärgern.

„Das … habe ich bedauerlicherweise nicht“, gab er zu, mittlerweile äußerst nervös. Er debattierte mit sich selbst, ob er dem König von Delayar tatsächlich dazu raten sollte, die Winter-Gala zu besuchen, denn er erfuhr hier bereits auf der Herbst-Gala äußerste Demütigung.

„Ich habe in Kyoba eingeheiratet“, erklärte Tsuki. Kyoba war die berühmte Hauptstadt des Landes Daelwon, das östlich von Tenobal auf dem Südkontinent lag, abgegrenzt durch einen reißenden Fluss, hohe Gebirge und einer jahrzehntealten Fehde.

„Ah, Kyoba, eine Stadt, fast ein eigenes Land voller wohlhabender Clans.“ Der Cuinn erholte sich, in der Hoffnung, seine vorigen Ausrutscher wett machen zu können. „In welchen Clan, wenn ich fragen darf, habt Ihr geheiratet? Die Arata? Die Barsheen? Oder vielleicht die Innís?“

„Nein, aber ich habe sie alle kennengelernt.“

„Verratet mir … sind es vielleicht die Galew? Oder die Kione? Oder … könnten es die berühmten, wohlhabenden Kyrean …“

„Die Allaidh.“

Und es war ein Fakt, den jeder kannte, dass die Cuinn eine milde Abneigung gegen die Allaidh hegten. So sprach das zufriedene Lächeln auf Tsukis Gesicht Bände für ihre Gedanken. Und für ein einziges Mal war der Cuinn vollkommen sprachlos. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder wie ein deplatzierter Fisch außerhalb des Wassers.

Von dort an lenkte Tsuki das Gespräch auf solch geschickte Art und Weise in eine andere Richtung, dass es war, als wäre nicht passiert. – Abgesehen von dem Stolz, der wortwörtlich vom Gesicht des Cuinns gewischt worden war.

 

 

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Mama, es ist später Oktober, gerade eine Woche seit dem Herbst-Fest. Vaters Fuchs und Tálírs Hengst streiten sich schon wieder. Es sieht so aus, als wären die Weidenabgrenzungen nicht genug, um als territoriale Schranken zu wirken. Aber die zwei waren wohl schon immer so. Und dann ist da Jibril, das alte Pony, das wie einer dieser grummeligen alten Männer ist, die alle aus ihren Vorgärten scheuchen. Belphe ist auch launisch, die Streitereien der Jungs nerven sie. Erinnerst du dich daran, als wir Belphe zum ersten Mal gesehen haben? Ich erinnere mich natürlich noch. Manchmal frage ich mich, Mama, warum du sie mir gekauft hast? Was hast du wirklich gesehen?

 

 

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Ein neunjähriges Mädchen spähte durch den Zaun eines Korrals, das blaue Haar in einen Schal gewickelt. Zu kurz, um über den Zaun sehen zu können und zu klein, um ernst genommen zu werden, beobachtete sie das Stutfohlen voller Bewunderung.

„Pass auf, kleines Mädchen!“, spie der Pferdehändler

Aber Emerald war kein kleines Mädchen, nicht wirklich. Sie war einfach mit einem natürlich zierlichen Körperbau gebaut und einem runden Gesicht, wie ein kleines Mädchen.

„Ally, verirr dich nicht“, rief die fünfzehnjährige Nhymue und zog sie schützend an ihre Seite. Neben ihren Schwestern verblasste Emerald immer und in dem Moment sah sie aus wie ein sechsjähriges Mädchen, das von ihrer älteren Schwester mitgezogen wurde, der man ihr Alter auch tatsächlich ansah.

„Nhymu, das Pferd!“

„Wir sind hier, um für Tálír ein Pferd zu kaufen, du hast bereits ein Pony.“

„Nein, guck. Das da.“

Nhymue sah auf und in die Richtung, in die ihre kleinste Schwester zeigte, doch dann schüttelte sie vehement den Kopf. „Das ist ein Flusspferd. Es ist wild, weißt du das nicht? Niemand kann ein Flusspferd vollkommen zähmen.“

Flusspferde schimmerten golden und waren Tenobals Diamanten unter den Pferden. Eins zu sehen, war herrlich, eins anzufassen noch mehr; eins in einem Korral gefangen zu haben, war selten, aber auch viel debattiert. Viele waren der Meinung, dass Flusspferde frei sein mussten, während andere verzweifelt versuchten, sie einzufangen.

„Mama!“, rief Emerald und ignorierte Nhymues kleinen Vortrag. Die wunderschöne Königin Avion, eine Frau mit weichem schokoladenfarbenen Haar und feingemeißelten Zügen, kniete sich zu ihr hinab.

„Was ist, Emerald? – Hast du das große Schwarze gesehen, das Tálír reitet?“

„Mama, kann ich das Pferd haben?“

Als sie das Flusspferd sah, schüttelte die Königin schnell den Kopf. „Es gibt viele Dinge, die du haben kannst, aber das ist keins davon.“ Sanfte haselnussbraune Augen trafen auf hellgrüne. „Du hast doch dein Pony Jibril. Würde es sich nicht einsam fühlen, wenn du es für eine Stute verlassen würdest, die niemals gezähmt werden kann?“

„Jibril hat doch die Tochter vom Stallmeister.“ Das war ein Argument, aber es war nicht Emeralds größte Sorge. Der plumpe Pferdehändler mit der lockeren Zunge war das Problem. Sie hatte gesehen, wie er die armen Tiere halb zu Tode peitschte und nichts an der Schönheit der goldenen Stute schonte. Auch wenn sie nicht gezähmt werden konnte, wollte Emerald dem armen Tier helfen. „Das Pferd ist in Schwierigkeiten“, argumentierte sie. „Wir setzen es wieder frei.“

„Emerald, das ist nicht möglich. Wir leben mitten in Illyana.“

Doch der Widerspruch dieser Worte lag in Avions Augen selbst, denn sie lagen für längere Sekunden auf dem Pferdehändler und der bösartigen Peitsche, die er handhabte.

„Mutter! Mutter! Wir sind bereit für den Verkauf!“

Tálír kam auf einem großen Hengst angaloppiert, ein riesiges schwarzes Tier mit Hufen so groß wie Teller. Der stolze Kronprinz trabte einen prahlerischen Kreis um seine Schwestern in einer schönen Darstellung seiner Reitkunst, als der Hengst das Kinn zu seiner Brust anzog und große, anmutige Schritte tat.

„Lady Königin“, sagte der Pferdemeister, dem der schwarze Hengst gehörte, leise. Er beugte sich in einer angemessenen Verbeugung vor.

„Eine Minute, guter Mann“, sagte Avion. Sie erhob sich wieder auf die Füße, eine Königin in jeder Faser ihres Wesens und ging auf den Pferdehändler zu, der mit der Flussstute im Ring stand und achtlos die Peitsche schlug. Sie rief ihn mit fester Stimme und er drehte sich um, seine Augen weiteten sich und er sank auf ein Knie.

Die goldene Stute stand in einer Ecke, an den Rand gedrängt, die Augen vor Angst verdreht, die Ohren angelegt. Ihr Atem war schwer und ihr Brustkorb weitete sich bei jedem Luftholen.

„Wie kann ich Euch helfen, Lady Königin?“

„Du wirst mir dieses Pferd verkaufen. Und alle anderen in deinem Stall.“

Mit weiten Augen sah er zu der Königin auf und stammelte, darum bemüht, einen halbwegs verständlichen Satz zu formen. „Ihr … Milady Königin … Sicher ist das …“

„Nenne deinen Preis, Pferdehändler.“

Er nannte ihn und sie bezahlte. Dann wandte sie sich zu dem kleinen alten Mann um, dem der schwarze Hengst gehörte und sie bezahlte das Tier mit zwei kastanienbraunen Hengstfohlen aus dem Stall, den sie eben erkauft hatte.

„Mutter?“

Die vier Geschwister sahen mit voller Neugier in ihren grünen Augen zu ihr hin. Sie wandte ihnen ihr müdes Gesicht zu und die Kinder wussten, dass sie den Schmerz von Tieren nicht ertrug.

„Denkt daran, ihr vier“, sagte sie matt. „Das Leben eines fühlenden, atmenden Lebewesens ist so wertvoll wie euer eigenes.“

Sie sagte nichts, als ein Stab von Stalljungen mit der anstrengenden Arbeit begann, fünfzig Pferde in die Ställe des Palastes zu transportieren.

 

 

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Die Stute ängstigte jeden in den königlichen Ställen zu Tode. Der Reitmeister schüttelte den Kopf und flüsterte der Königin einen leisen Kommentar zu, die seufzte.

„Lasst sie frei, Lady Königin“, schlug der Reitmeister vor.

„Dann bringen wir sie zum nördlichsten Ende der Stadt. Dort wird sie es am kürzesten zum Großen Fluss haben.“

Emerald saß auf dem Zaun, weil sie zu klein war, um von außen sehen zu können. Irgendwann kam die Stute vorsichtig an sie heran geschlichen. Sie war ein knochiges Tier, ihre Hüften mager und ihre Knochen hervorstechend. Doch obwohl die dünne Haut sich um die deutlich sichtbaren Rippen und den schlanken Hals spannte, bewegte sich das Pferd mit fließender Eleganz, dem Schritt eines wunderschönen Tiers.

Dann, wie ein Hurricane, wirbelte es in einem reißenden Kreis herum, hob die Vorderbeine und wieherte scharf. Ihre schimmernde Mähne wurde zurückgeworfen, als sie wieder auf dem Boden aufkam und gleich darauf mit den Hinterbeinen austrat. Sie kam so nah an Emerald heran, dass ihre Hufe beinahe das Kinn des Mädchens streiften.

„Ally, komm vom Zaun runter!“, rief die Königin.

„Nein, sieh nur, Mama.“

Die Stute war nun still und streckte ihre Nase nach vorn.

„Sie ist freundlich“, beharrte Emerald. Manchmal fragte sich Avion, ob ihre neunjährige Tochter noch immer ein Baby im Herzen war, ein Kleinkind, das alle kleinen schönen Dinge im Leben schätzte, mit einem lebhaften Lächeln und einem sprudelnden Lachen.

Das kleine blauhaarige Mädchen hüpfte vom Zaun und als sie ruhig die Koppel auf und ab ging, folgte ihr die Stute. Als Emerald stehen blieb, blieb auch das Pferd stehen. Als Emerald weiter ging, ging das Pferd weiter. Als Emerald rannte, trabte das Pferd hinter ihr her, die Ohren aufgestellt, die Augen leuchtend mit Neugierde. Als Emerald sich dann schließlich umdrehte, um dem Pferd gegenüber zu stehen, warf sich die Stute mit einem Schnauben und einem Tritt herum.

„Emerald, komm aus der Koppel heraus!“, befahl Avion, energischer diesmal. Doch bevor Stallwächter eintreten konnten, um das Kind mitzunehmen, war die goldene Stute einen langsamen Kreis um Emerald getrabt und war dann stehen geblieben, die Nase an Emeralds Schulter. Sie schnaufte leise und kitzelte das Mädchen mit ihrem Hafer- und Heu-Atem.

„Dritte Prinzessin, wollt Ihr dem Pferd einen Namen geben?“, rief der Reitmeister. Emerald strahlte ihn an. „Sie hat niemanden berührt außer Euch, wisst Ihr“, fügte er hinzu. „Vielleicht hat sie sich mit Euch angefreundet in dem Moment, in dem sie Euch sah?“

Sie nannte sie Belphe.

 

 

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Mama, da ist dieser fürchterliche Schmerz in meiner Schulter. Ich glaube, es ist, weil ich gestern mal wieder von Belphe gefallen bin, aber es ist ein wenig anders. Ich bin schon so oft von Belphe gefallen – aber diese Art von Schmerz ist irgendwie anders. Ich kann es nicht wirklich beschreiben. Es ist am Rand meines rechten Schulterblattes, ein wenig auf meinem Rücken, was keinen Sinn macht, denn ich bin gestern auf meine linke Seite gefallen. Aber dann und wann tut es weh, wenn ich müde bin und einfach nur dasitze und nachdenke. – Aber abgesehen davon, haben sie mich heute wieder sticken lassen. Sticken. Ernsthaft, Mama, von allen Sachen, warum sollte ich das tun?

 

 

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Sie war vier gewesen, ein winziges Wesen mit einem flauschigen Schopf blauer Haare, das durch den Palast getappst war, das glücklichste Lächeln auf dem Gesicht. Emerald hatte die Tendenz, ein, zwei Jahre jünger auszusehen als sie war, unter anderem weil sie herum irrte, als wüsste sie nicht, was sie tat.

Und das wusste sie tatsächlich nicht.

Ihre liebsten Beschäftigungen waren die Reit- und Klavierstunden und das Spielen mit ihren Geschwistern. Nach der anstrengenden Aufgabe, eine Zeile eines Kinderstücks zu lernen, saß Emerald auf ihr dickes kleines Pony Jibril auf, das pflichtbewusst an allen unangebrachten Stellen stehen blieb und sich weigerte, sich von der Stelle zu bewegen, egal, wie sehr die kleinen Fersen sich in die Seiten drückten. Und nach all der Arbeit hatte Emerald immer noch die Energie, mit ihren Geschwistern Verstecken spielen zu wollen.

„Wo spielen wir heute?“, fragte Tálir, verkleidet als Tenobal-Soldat, komplett mit schwarzem Kragen und allem. Am Tage zuvor hatte er sich als Daimhín verkleidet und hatte sich sogar rotes Puder über die Haare gekippt, das allerdings lediglich alle zum Niesen gebracht hatte und seine hellen blauen Haare nicht hatten abdecken können. „Es ist langweilig, immer drinnen zu spielen“, fügte er hinzu. Seine Abenteuerlust glich beinahe der von Parsley und wurde später eine seiner größten Qualen, eingesperrt in seinem Arbeitszimmer. „Können wir raus gehen?“

„Nicht, wenn Nhymu es uns nicht erlaubt“, sagte Parsley und zupfte am Saum ihres Kleides.

Darin kannst nicht spielen.“

Parsley warf ihm den grimmigsten Blick zu, den ein kleines Mädchen aufbringen konnte.

„Ich werde mich umziehen und dann gehen wir Nhymu suchen.“

Und so flitzte das Trio von blauhaarigen Kindern durch die Halle der Palast-Bibliothek, wo sie den größten Teil ihrer Unterrichtsstunden hatten. Dort fanden sie ihre älteste Schwester über ein dickes, staubiges Lehrbuch gebeugt.

„Hey, Nhymu, bist du fertig?“ Tálír stemmte sich auf den Tisch, schlanke Arme streckten sich nach dem Buch aus. Nhymue zog es automatisch aus seiner Reichweite.

„Lass mich noch diese letzte Seite beenden.“

„Warum liest du das überhaupt?“ Tálír verschränkte die Arme und blies sich eine blaue Strähne aus dem Gesicht, die in seine Augen gefallen war.

„Warum tust du es nicht?“, erwiderte Nhymue, erwartete aber keine Antwort darauf.

Das Trio wartete darauf, dass ihre älteste Schwester zu Ende las schließlich den Band zuklappen ließ.

„Also, was machen wir?“

„Verstecken!“, sagte Tálír und hielt eine Hand hoch, um seine Schwester davon abzuhalten, ihn zu unterbrechen. „Aber dieses Mal gehen wir nach draußen.“

Nhymue starrte ihn an und Tálír drehte sich zu seinen Schwestern um.

„Seht ihr, sie kann es uns auch nicht erlauben.“

„Nein. Nein, das kann ich nicht, aber wir können uns rauschleichen und vorsichtig und unauffällig sein.“

Sie alle sprinteten dann aus der Tür und Parsley bestimmte sofort, dass Nhymue suchen müsste. Das älteste Mädchen stöhnte innerlich, als ihre Geschwister in alle Richtungen davon stoben, doch sie drehte sich zu Wand um und zählte bis Hundert.

 

 

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Der Wasserfall hinter dem Palast war wie eine geheime Schatztruhe und natürlich gelangten alle drei Geschwister dorthin. Trotz ihrer verschiedenen Wege, trafen sie sich am selben Punkt und erschreckten sich gegenseitig, als sie zur gleichen Zeit auf die Lichtung stolperten.

„Was macht ihr denn hier?“, rief Parsley, wartete aber gar nicht erst auf eine Antwort und tauchte sofort ins Unterholz des Waldes.

Tálír warf seiner jüngeren Schwester einen Blick zu, der sie davor warnte, ihm zu folgen und ließ Emerald allein neben dem kleinen Teich stehen, der von dem Plätschern und Rauschen des Wasserfalls gespeist wurde.

Es war ein heißer Tag und Emerald genoss den kleinen Sprühregen, der vom Wasserfall zu ihr hinüber wehte. Sie trug ein hübsches Kleid mit einer einfachen Hose darunter, aber das würde sie nicht davon abhalten, im Lehm herum zu kriechen. Denn sie hatte nun keinen Ort mehr, an dem sie sich verstecken könnte. Parsley hatte sich zwischen den Bäumen verborgen und Tálír hatte den Platz neben den Felsen in Beschlag genommen. Sie konnte keinem von ihnen folgen.

Ein entferntes Rascheln und Knacken kündigten Nhymue an.

Emerald musterte den Wasserfall und sprintete dann in die Richtung der Felsen hinter denen Tálír verschwunden war, dann kletterte sie über ein paar scharfe Steine. Dort war ein kurzer Abhang und dann ein schmaler Pfad, der hinter den Wasserfall führte. Sie erinnerte sich daran, dass ihre Mutter ihn ihr mal gezeigt hatte.

„Ich weiß, dass ihr alle hier seid“, war eine Stimme aus der Ferne zu hören.

Emerald sprang so hoch sie konnte – was nicht sehr hoch war –, um den Vorsprung zu erreichen, der sie von ihrem Versteck trennte. Es war, wie die Geschwister später realisierten, ziemlich unverantwortlich, ein vierjähriges Kind allein eine Felswand hochklettern zu lassen.

Nhymue brach auf die Lichtung hinaus und ihre Füße traten auf plattgedrücktes Gras, Pflanzen erdrückt von den Schuhen der drei anderen.

Erschrocken versuchte Emerald verzweifelt, die Kante des Vorsprungs zu fassen bekommen. Sie wollte es bis in die kleine Alkoven schaffen, die hinter dem Wasserfall verborgen waren. Dort könnte sie sich verstecken und man würde sie nie finden.

Doch der Stein war nass und rutschig vom Sprühregen des Falls und sie war zu klein und so schaffte sie es nicht.

„Emerald!“, schrie Nhymue, die Augen weit voller Entsetzen. Sie hatte nicht einmal Zeit, nachzudenken; sie war zu spät. Sie blinzelte durch die Tropfen, die durch die Luft stoben und sich in ihren Wimpern verhingen und sah wie ihre kleine Schwester von dem Felsen stürzte und auf einen anderen schlug. Und dann, ihre kleinen Finger suchten nach Halt auf der glitschigen Oberfläche, fiel sie wieder. Ein scharfer Schrei war zu hören, als sie mit ihrer Schulter auf die schroffe Kante eines Steines fiel.

Wie ein Blitz war Nhymue über die Steine und platschte durch die kleinen Pfützen. Sie krabbelte über die scharfen Felsen und beugte sich über Emerald.

Zusammengerollt, die rechte Schulter in Rot getaucht, zitterte und wimmerte sie. Sie wusste nicht, was um sie herum dann geschah. Sie hörte die Stimmen ihrer Geschwister, dann die ihrer Mutter und ihrer Tante und dann vergaß sie.

Emerald erwachte, um sie herum ein sanftes Summen und der Duft von frisch gebackenen Keksen. In ihrer Schulter loderte ein abscheulicher Schmerz. Sie lag auf ihrer Wunde, ein fürchterlicher Schnitt an der Kante ihres rechten Schulterblattes. Es war keine lange Wunde, aber tief und es fühlte sich an, als hätte der Stein einmal durch sie hindurch gestochen. Sie war klein und dünn, deswegen hatte der Stein sie schlimm erwischt, doch es war kein Knochen gebrochen und nichts bleibend geschädigt. Es war beinahe ein Wunder.

„Versprich mir, dass du nie wieder so unvorsichtig bist“, sagte ihre Tante leise. „Deine Mutter war krank vor Sorge, weißt du.“

„Wo ist Mama?“

„Sie ist draußen und redet mit deinen Geschwistern, Liebes.“

Emerald starrte an die Decke. Sie wollte nicht mehr zum Wasserfall und das Rauschen, das manchmal bis in ihr Zimmer zu hören war, war beinahe schmerzhaft für eine Zeit. Nach einigen Tagen, als es auf den Juli zuging, war das einzige, was sie sich für ihren Geburtstag wünschte, dass der brennende Schmerz aufhören würde. Ihre kindliche Begeisterung war für einen Monat lang erloschen.

Die Kinder spielten danach nie wieder Verstecken.

 

 

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Mama, dieses Jahr scheint der Winter erst spät einzutreten. Es hat noch kein einziges Mal geschneit, abgesehen von dem bemitleidenswertesten Matsch, den ich jemals gesehen habe, ein paar Tage zuvor. Und kannst du es glauben, sie haben mir noch immer nicht gesagt, wohin ich gehen werde. Vielleicht ist das das Werk von Parsley und Nhymue? Vielleicht wollen sie, dass ich das gute Kind bin und gehorsam heirate? Ich weiß nur, dass Tal auf meiner Seite ist, denn ich habe gesehen, wie er versucht hat, mir zu helfen. Er strengt sich in allem so sehr an. Manchmal frage ich mich, wie er das macht. – Doch abgesehen davon, findet heute die Winter-Gala statt und ich überlege, so zu tun, als wäre ich krank. Wärst du enttäuscht von mir, wenn ich es versuchen würde, Mama? Ich glaube jedoch nicht, dass Lord Cuinn dieses Mal auftauchen wird, was witzig ist. Vielleicht wird ja dieses Mal mein Verlobter dabei sein. Wobei ich mir noch immer nicht sicher bin, ob ich das wollen würde. Irgendwelche Ideen für meine epische Flucht? Doch so oder so wären irgendwelche deiner Ideen wohl sowieso nur meine eigene Vorstellung sein, oder?

 

 

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Da war ein Brief, adressiert an Emerald, den ein eiliger Diener, der viel zu nervös für die Übergabe war, zu ihr in den Stall brachte. Zuerst war Emerald begeistert – hatte Parsley plötzlich beschlossen, sie zu besuchen? Oder vielleicht wurde Nhymue Mutter und sie eine Tante?! Oder vielleicht war es ein freundlicher Brief aus Morion, der sie zu der Eröffnung irgendeines Gebäudes einlud?

Doch bevor ihre Ideen ins Lächerliche geraten konnte, dass vielleicht der König von Delayar beschlossen hatte, eine Brücke hinüber nach Teloban zu bauen, nahm der  Name auf dem Brief das Lächeln von ihrem Gesicht.

Tálír.

Und dann fühlte sie sich ungemein schlecht, denn es war Tálír gegenüber nicht fair. Vor allem, da er oben in seinem Arbeitszimmer selten Zeit für irgendetwas hatte und kaum einen Fuß hinaus setzen konnte. Dass er ihr einen Brief hatte schicken müssen, was traurig genug.

 

Komm zu mir. Es gut um deinen „Plan“.

 

Selbstverständlich erzählte Emerald Tálír in seltenen Momenten der Freizeit alles. In diesen wertvollen Minuten schüttete ihm ihr Herz über alles aus und stoppte erst kurz vor ihren tiefsten Geheimnissen, die nicht einmal ihre Mutter in den Himmeln wusste.

Eilige schmiss sie die Bürste, die sie hielt in einen Eimer und stürzte zu Stalltür hinaus. Draußen hörte sie die Gärtner des Palastes darüber streiten, ob der König rote oder gelbe Rosen angeordnet hatte und sie machte einen Bogen um sie.

Dein Plan.

Was sollte das heißen? Sollte sie endlich von ihrem mysteriösen namenlosen Ehemann erfahren?

Tálírs Arbeitszimmer befand sich im oberen Stockwerk einer der Türme und Emerald hatte eine herrliche, schwer atmende Zeit, sich die endlosen Treppen nach oben zu arbeiten. Manchmal wünschte sie sich, sie hätte Flügel, sodass sie nach oben schweben konnte.

Ein Krieger würde keine Schwierigkeiten mit diesen Treppen haben, dachte sie und dachte an Tálír und all die anderen Nationen, die starke Männer ausbildeten und Krieg führten. Sie hatte schon immer eine kleine Faszination für sie übrig gehabt. Irgendwann mal hatte sie selbst einer werden wollen.

„Herein“, kam die Antwort auf ihr Klopfen.

„Tal“, stieß Emerald atemlos hervor. „Was ist passiert?“

Bevor Emerald irgendwelche wilden Theorien über Parsley oder Nhymue und irgendwelche Kinder zusammenfaseln konnte, deutete Tálír ihr, näher zu kommen. Sie näherte sich ihm, ihr Brustkorb hob und senkte sich stark bei jedem Atemzug.

„Dein Plan, Emerald“, sagte Tálír, zum vierten Mal, denn Emerald plapperte schon wieder Unsinn vor sich her. Von allen Leuten war Nhymue diejenige, die das oft sinnlose Schwätzen, das von Zeit zu Zeit aus ihrem Mund floss, am besten ignorieren konnte. Oft genug, wenn Emerald sich sicher fühlte und man sie dazu bringen konnte, zu sprechen, war der Schwall von ihrem fröhlichen Gerede fast überwältigend. Dennoch würde der Zuhörer nur in Bewunderung dasitzen und abwesend nicken, während sie mit ihrer melodischen Stimme daherredete, ehe sie realisierte, dass sie wieder zu weit gegangen war und schnell ihren Mund schloss.

Tálír hatte seine Mühen, seine kleine Schwester zu beruhigen.

„Hast du ihn gefunden?!“, fragte Emerald aufgeregt und Tálír verkniff sich sein Grinsen.

„Das habe ich. Endlich“, sagte er und rieb sich die Stirn.

„Nein! Warte! Erzähl es mir langsam!“ Emerald war plötzlich wieder verängstigt, nicht in der Lage, ihre Emotionen auszumachen. Wie sollte sie damit umgehen? Ruhig und gelassen und alles auf einmal aufnehmen, oder Stück für Stück, damit sie daran gewöhnen konnte? „Eins nach dem anderen. Fang damit an, wohin ich gehen werde.“

„Du wirst nach Kyoba gehen. Von unserem Hafen zu einer Hafenstadt von Daelwon.“

Nein, nein, Moment. Das klang, als wäre ihre komplette Reise bereits geplant. Sie rollte ihre Hände zu Fäusten zusammen, ihre Nägel gruben in ihre Handflächen.

„Dann … dann also irgendein Lord?“

„Nein.“ Tálír schlug gelassen ein paar Seiten um und sah dann auf. „Allaidh“, sagte er dann einfach, ohne jegliche Erklärung.

Emerald verschränkte ihre Arme, denn es schien als wäre ihr Bruder darauf aus, sie warten zu lassen. Doch Emerald blieb still und überlegte, denn wo hatte sie den Namen schon mal gehört? Allaidh. Ein Name, der mit „Kyoba“ verbunden wurde und einem legendäre „Kriegergott“, ein Mann, den sie niemals gesehen hatte. Sie stellte ihn sich als einen grausamen, aber brillanten Kämpfer vor, jemand der die Erde mit einem Seufzer erschüttern konnte.

„Du wirst nach Kyoba geschickt, um den jüngeren Bruder des Clanführers und Königs von Daelwon zu heiraten“, erklärte Tálír ihr, die Stimme unbewegt, als würde er ablesen.

Emerald starrte ihn an.

„Was?!“

 

 

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Mama, ich werde heiraten.

Im Juni.

 

 

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Der Frühling brachte einen nassen April und Regengüsse zogen über das Land. Und mit ihnen kam eine erdrückende Stimmung, die sich über den ganzen Palast legte und nur  die schneidenden Befehle des Königs schüttelten die Bewohner aus ihrer Benommenheit.

Vorbereitungen zu ihrer Linken.

Vorbereitungen zu ihrer Rechten.

Vorbereitungen vor ihnen.

Emerald rollte sich auf ihrem Kissen zusammen und beobachtete das aufgewühlte Treiben. Bis zum Ende des Monats hatte Parsley sie zweimal besucht und das obwohl sie sich kaum von Adan trennen wollte, der momentan am anderen Ende der Welt zu tun hatte. Und die meiste Post kam aus dem nördlichen Amar von Nhymue.

Es waren kurze Notizen wie Hast du schon gepackt? Oder Vergiss nicht, deine Gesichts-Pastellfarben mitzunehmen.

Königliche Boten reihten sich aneinander, ein Fließband der Kommunikation. Wenn der eine gegangen war, traf bereits der nächste ein. Und wenn der gegangen war, war schon wieder ein anderer da. In regelmäßigen Abständen stürmten sie nach Kyoba und verursachten Emerald Kopfschmerzen.

Dann kam der Mai und mit ihm blühten die Blumen auf. Eines Tages fand sie das Album ihrer Tante, in dem sie gepresste Hibiskus-Blüten aufbewahrte auf ihrer Matratze. Darauf lag ein Brief.

 

Mein liebes Mädchen, es tut mir leid, dir mitteilen zu müssen, dass dein Onkel, der Bruder deiner Mutter und mir, gestorben ist. Ich trage die Verantwortung für seine Beisetzung und bin deshalb auf dem Weg aufs Land.

Es tut mir leid, dass ich so plötzlich und kurzfristig gehen muss, vor allem in dieser Zeit. Ich hoffe du verstehst, Ally, wie sehr ich bei dir sein möchte, wenn du zu deiner Reise aufbrichst. Ich kann nicht verstehen, was du durchmachst, denn ich hatte nie die Erfahrung, doch ich würde deine Hand anstelle deiner Mutter halten. Aber du bist mittlerweile eine erwachsene Frau und ich glaube in gewisser Hinsicht, du brauchst keine Hand mehr zum Festhalten.

Bitte nimm meine Sammlung als Andenken, denn ich weiß nicht, wann ich nach Illyana zurückkehren werden – und wen ich es tue, wirst du schon lange fort sein. Deine Mutter fügte die letzte Hibiskus hinzu, falls du jemals etwas brauchst, um deine Nerven zu beruhigen. Ich vermisse dich bereits, mein Liebes, und wünsche dir viel Glück und Freude. Deine Mutter und ich sind immer bei dir.

In Liebe,

Tante Keona

 

Emerald starrte auf die gepressten Blüten in allen Farben, die bereits ein wenig vertrocknet waren, wie es wohl zu erwarten war nach mehreren Jahren. Doch als sie zur letzten Seite blätterte, fand sie ein Exemplar, das ein wenig heller schien. Saphirblau, mit violetten und türkisen Tupfern und einem roten Herzstück. Die letzte Blume. Emerald beugte sich darüber, als ob sie den Willen ihrer Mutter und ihrer Tante einatmen konnte, wenn sie die Nase an den dünnen Film drückte, der die Blüten auf die Seiten presste.

Dann, lautlos, rollte sie sich in ein Bündel auf ihrem Bett zusammen und schloss fest die Augen, sodass kein Licht in ihr Gewissen dringen konnte.

 

 

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Mama und Tante Keona, heute ist der vorletzte Tag des Mai. Morgen werde ich abreisen. Ich bin achtzehn, fast neunzehn – Mama, wie alt warst du, als du dein Zuhause verlassen und Vater geheiratet hast? Aber ich glaube, das zählt eh nicht, denn ihr beide habt euch verliebt. Würdet ihr den Schmerz verstehen, Mama oder Tante Keona, den ich fühle, wenn ich weiß, dass mein Schicksal bereits entschieden ist? Nach jenem Tag in seinem Arbeitszimmer, hat Tálír es nicht mehr geschafft, mir eine weitere Nachricht zukommen zu lassen oder mit mir zu sprechen, denn er war zu beschäftigt. Deshalb wurde mein „Plan“ niemals umgesetzt.

Nun, das liegt vielleicht auch daran, dass ich niemals einen gehabt hatte.

Ich bin immer verloren.

Kapitel 3: Kyoba

 

 

 

Reisetagebuch – Tag 1

Ich hatte nie gewusst, wie viele Wachen vor den Toren Illyanas stehen. Jetzt tu ich es. Der Weg hinunter zum Hafen ist endlos lang, doch er könnte nie lang genug sein. Wenigstens hat Vater mir erlaubt, Belphe zu reiten. Doch irgendwie macht es das noch schwerer. Ich werde nachher von ihr absteigen müssen und sie zurücklassen, wenn ich das Schiff betreten muss. – Besteht irgendeine Chance, auszubrechen und meiner Eskorte zu entkommen, die mich von allen Seiten umringt?

 

 

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Die Küste von Teloban war flach und die Wellen brachen sich sanft an den Pieren des Hafens, in dem ein großes, majestätisches Schiff ankerte, dessen Flagge im sanften Wind flatterte und stolz der Welt das Wappen von Daelwon zeigte. Nein, korrigierte Emerald sich. Das ist das Wappen von Kyoba.

„Was für ein Schiff“, sagte einer ihrer Wächter und lächelte sie an, während er an seinem engen Kragen zupfte. Selbst zu Beginn eines heißen Sommers waren die Soldaten verpflichtet, ihre Uniform zu tragen. „Seht Ihr die Flagge? Kyoba schafft es immer, prächtig zu erscheinen, ohne den Snobismus von Delayar.“

„Lady Prinzessin.“ Der Kapitän des Schiffs begrüßte sie mit einem weiten, freundlichen Lächeln und Emerald fand ihn auf Anhieb sympathisch. Er war ein alter Geselle mit breiten Schultern, einer Botenmütze und geflickter Weste. Er war durch seine Erzählungen und Lieder als Balladion bekannt und war nichts besonderes, doch er war warm und herzlich.

„Kapitän Balladion“, sagte Emerald. „Es ist eine Freude, Euch kennen zu lernen.“

„Die Freude ist ganz die meine, Lady Emerald.“

Das Schiff war kräftig und der Wind in ihrem Rücken; sie kamen schnell voran und gleichzeitig nur schleppend.

 

 

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Reisetagebuch – Tag 3

Es ist unser dritter Tag auf See und ich muss gestehen, dass ich Boote nicht unbedingt liebe. Daran gemessen, dass ich noch nie Tenobal verlassen habe, macht es wohl Sinn, dass ich Boote nicht leiden kann. Es schwankt tierisch und es fällt schwer, zu schreiben.

Es wird etwa eine Woche dauern, bis wir in Daelwon ankommen werden, glaube ich. Ich bin aber nicht sicher. Das einzige, dessen ich mir sicher bin, ist, dass ich froh bin, keinen Schiffer heirate oder einen Botschafter, wie Parsley.

 

 

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Der Boden schien plötzlich unter ihren Füßen zu buckeln, die Welle überraschte sie vollständig und Emerald streckte eine Hand aus, um sich an der Wand abzustützen. Vier Zofen begleiteten sie auf ihrer Reise, von denen eine ihr ihre Hand hinstreckte. Das Schwanken des Schiffes schien sie nicht im Geringsten aus der Fassung zu werfen.

Emerald nahm die Hand dankbar an, während sie auf der anderen Seite von einem Soldaten gestützt wurde, der ebenso wenig begeistert von der Bootsfahrt zu sein schien wie sie.

„Lady Prinzessin“, sagte er und man hörte seiner Stimme sein Unwohlsein an. „Der Kapitän lädt Euch dazu ein, Euch morgen den Sonnenaufgang anzusehen. Er sagte, dann würde das Wasser nicht so rau sein. Er sagte, wir würde gerade nur durch unruhige Strömungen segeln.“

„Das klingt … reizvoll“, erwiderte Emerald und stolperte beinahe ein weiteres Mal über ihre eigenen Füße. Sie war dankbar für die Gastfreundschaft des Kapitäns, vor allem in Anbetracht der Unterschiede in ihren Kulturen, vor allem ihre Gesichtsfarben. Während die meisten sie akzeptierten oder sie voller Bewunderung anstarrten, gab es andere, die sie jedes Mal mit Verwirrung, stumpfen Blicken, manchmal sogar Entsetzen ansahen.

„Ich habe gehört“, fuhr der Soldat fort. „Dass es in Kyoba Häuser eingemeißelt in einen Berg gibt. Das werde ich erst glauben, wenn ich es sehe.“

„Ich habe auch gehört, dass sie dort Schlangen und Krähen und andere merkwürdige Kreaturen essen, ich bin mir also nicht so sicher, was stimmt und was nicht“, fügte eine von Emeralds jungen Zofen hinzu.

„Krähen“, schnaubte der Soldat amüsiert.

„Ich meine es ernst!“, verteidigte sich das Mädchen und ein schüchternes Lächeln schlich sich auf ihre Gesichtszüge. „Ich habe auch gehört, dass es dort einen Mann geben soll, der zaubern kann und Pflanzen aus trockener Erde wachsen lassen kann. Und ein anderer kann Wasser aus der Luft holen.“

„Das ist lächerlich“, lachte der Soldat gutmütig. „Das heißt, sie würden niemals verhungern oder verdursten können.“

„Genau“, kicherte die Zofe.

Emerald beobachtete den Wortwechsel mit neugierigem Interesse und vielleicht, nur vielleicht, mit ein wenig Neid. Es war deutlich, dass die zwei auf verspielte Art und Weise miteinander flirteten und Emerald fühlte sich plötzlich fehl am Platz und aufdringlich. Sie begab sich in ihr Zimmer und überließ die beiden sich selbst.

Dort öffnete sie ihr Notizbuch und starrte auf den Namen, den sie hastig hinein gekritzelt hatte. Der Name ihres Ehemannes.

 

 

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Reisetagebuch – Tag 5

Der fünfte Tag auf See und ich glaube, so langsam gewöhne ich mich daran. Und dann werde ich bei meiner Ankunft ganz erbärmlich an Land stolpern und vergessen, wie man geradeaus läuft, was fürchterlich ironisch ist, denn gerade das Geradelaufen habe ich mein Leben lang lernen müssen. Erinnerst du dich, Mama? Tante Keona hat mir immer ein Buch auf den Kopf gelegt und du hast mich hunderte von Knicksen üben lassen, bis ich es richtig konnte. Das und ich erinnere mich, dass man mir gesagt hat, dass ich die schlimmste von allen war. – Naja, es war mehr so, dass ich es zufällig mitbekommen habe. – Tja, nur um es dich (und Vater) wissen zu lassen: all das Prinzesinnentraining ist nutzlos auf einem Schiff. Ich mein nur.

 

 

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Emerald war eine Prinzessin. Das war natürlich offensichtlich. Sie war das vierte Kind, die dritte Tochter eines Königreichs, ohne wirkliche Chance, jemals den Thron besteigen zu können. Das bedeutete, dass sie lediglich ein politisches Werkzeug war, oder anders ausgedrückt, sollte sie verheiratet werden und als Stütze einer Allianz wirken.

Nhymue war ein Musterbeispiel einer fortgeschickten Tochter. Ihre Ehe war von beträchtlicher Bedeutung. Amar war ein großes Land voller Mineralien und Erze mit einem starken Militär.

Parsleys Ehe hingegen war lediglich ein Kompromiss. Ursprünglich war sie für einen Lord aus Delayar, mit dem Teloban eine freundliche wirtschaftliche Beziehung hegte, die gestärkt werden sollten, gedacht, doch Parsley war davon gerannt und hatte Adan kennengelernt.

Natürlich führte Teloban auch mit Morion, der Inselgruppe der Daimhín im Mór, eine feste Allianz, wo das Seabhag-Geschlecht doch mit dem der Daimhíns verwandt war.

Und dennoch war der Westen eine große Bedrohung. Daelwon war ein sehr großes, sehr fruchtbares Land. Sie hatten die vermutlich größte Bevölkerung und ein Militär doppelt so stark wie das von Amar. Zudem lag eine Fehde, eine simple Streitigkeit zwischen Teloban und Daelwon, die allerdings unter dem letzten König des westlichen Lands bereits einmal in einen Krieg ausgeartet war. Teloban hatten der starken Nation stark unterlegen und einiges an Reichtum und Territorium einbüßen müssen, so war es keine Überraschung, dass Teloban alles daran setzte, sich mit Daelwon, vor allem Kyoba gut zu stellen.

Die Überraschung war, dass Kyoba darauf einging und sogar noch eine Heirat in ihren mächtigsten Clan anboten.

Und hier war Emerald, die wortwörtlich hinüber geschifft wurde wie ein Tauschobjekt. Ihr ganzes Leben war sie für solch eine Ehe ausgebildet worden. Sie war immerhin eine Prinzessin.

Seit dem Augenblick, in dem sie das Laufen lernte, lernte sie, wie man gerade lief. Und war ihr ein Buch vom Kopf gerutscht oder hatte sie einen schlaksigen, undamenhaften Schritt getan, war sie ans Ende des Korridors zurückgeschickt worden.

Von dem Moment an, seit dem sie sprechen konnte, wurde ihr beigebracht, höflich und respektvoll und sprechen, unterrichtet in ihrer Position, ihrer Situation und wie viel Autorität sie im Vergleich zu ihrem Gegenüber hätte und alles, was man als königliches Mitglied in der Gesellschaft benötigte. Die Anzahl der Förmlichkeiten, die in ihren Kopf gedrillt worden waren, war ermüdend.

Kultur,  Geschichte, Unterricht. Wie tief sie wann wo bei wem knicksen musste.

Die Gesichtsfarben, ihre Bedeutung, wie man sie auftrug, woher man sie bekam.

Und das Reiten.

Das einzige, was ihr natürlich zuflog, war das Klavierspiel. Auch das hatte sie von Klein lernen und üben müssen und es wurde zu einer ihrer liebsten Tätigkeiten.

„Brauttraining“ nannte sie es.

Mehr Kultur. Mehr Geschichte. Unterrichtsstunde über Unterrichtsstunde über Unterrichtsstunde.

„Du darfst niemals dazwischen reden.“

„Du darfst niemals respektlos sein oder den Namen deiner Familie und deines Landes beflecken.“

„Du musst immer wie eine Lady gehen. Tu so als ob du in von einem Seil in eine tiefe Schlucht fallen würdest, solltest du es nicht tun.“

„Die Farbe verdeckt nicht nur dein Gesicht, es verdeckt deine Intentionen. Sei dir immer deren bewusst, die um dich herum sind, Kind.“

„Es gibt einen Grund für all dies und mit der Zeit wirst du ihn erkennen.“

Achtzehn Jahre lange hatte sie all das ertragen und fragte sich noch immer, wie viel Zeit noch vergehen musste, bis sie es tatsächlich verstand.

 

 

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Reisetagebuch – Tag 10

Es ist Morgen, frühester Morgen und trotz allem hatte ich nicht erwartet, so zögerlich zu sein. Wir werden etwa um den Mittag herum ankommen und unsere letzten Stunden auf See werden voraussichtlich ruhig und friedlich verlaufen. Doch wenn ich könnte, würde ich mich zwischen den Fässern, Kisten und Vorräten verstecken, sodass ich wieder von Bord gehen kann, wenn das Schiff nach Teloban zurückkehrt. – Ich verstehe nun, warum ich niemals einen Fluchtplan gehabt hatte, denn dieser ist so voller Lücken und Fehler, dass ich fast drüber lachen könnte.

Ich fürchte mich vor der See und gleichzeitig ich fürchte mich vor dem Land. Dort wartet kein vertrautes Pferd, das mich nach Hause bringt.

 

 

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Reisetagebuch – Tag 12

Wir brauchen vier weitere Tage, um Kyoba zu erreichen. Ich sitze in einer klapprigen, schlichten aber sehr willkommenen Kutsche. Manchmal gehe ich, aber dann muss ich an Belphe denken, wenn ich die matten Pferde, die die Wagen ziehen und setze mich wieder hinein. Der Rhythmus der Bewegungen beruhigt mich.

Ich erinnere mich daran, dass ich kurz vor dem Besteigen des Schiffes in Illyana fürchterlich geweint habe. Ich habe mich ganz verzweifelt an die Mähne von Belphe geklammert und die Soldaten hatten mich von ihr fortreißen müssen. Ich muss furchtbar ausgesehen haben und Vater würde einen Anfall haben, wenn er jemals davon hören sollte.

Vater. Wann habe ich angefangen, ihn „Vater“ zu nennen? Mama war für mich immer Mama. Habe ich ihn jemals Papa genannt? Warum nenne ich ihn nicht so?

 

 

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Daelwon. Malerisch, ja. Magisch und berauschend? Nein.

Emerald blieb am Rand des Weges stehen und betrachtete die langen grün-gelben Gräser voller Bewunderung, die ihr bis über die Hüfte reichten und Felder über Felder bis zum Horizont säumten. Rechts und links von ihr ersteckten sich ganze Meere aus Gold, die im Sonnenuntergang flammend glänzten.

Es war nicht so atemberaubend wie die Landschaften in Teloban, die Emerald aus ihrem Fenster beobachten konnte, doch es war definitiv ein sehenswerter Anblick.

„Ich frage mich …“, sagte eine ihrer Zofen, die neben ihr ging. „Was man in Kyoba traditionell isst.“

„Ich auch“, erwiderte Emerald mit einem sanften Lächeln.

Sie ging vorne ran, nur einer der Soldaten hatte darauf bestanden, vor ihr zu gehen und warf immer wieder irritierte, besorgte Blicke zu ihr zurück. Die kleinen grauen Kieselsteine auf dem Feldweg bohrten sich bei jedem Schritt in ihre Sohlen und sie spürte jeden einzelnen durch ihre dünnen Schuhe. Es waren hellblaue, niedliche Slipper, die bequem waren, aber äußerst unpraktisch. Emerald hatte sie nicht tragen wollen, doch ihre älteste Zofe hatte darauf bestanden, dass sie sie bei ihrer Ankunft in Kyoba tragen müsse.

„Ich habe gehört, dass diese … Reisbällchen …“ Das Mädchen neben ihr sprach das Wort mit einem merkwürdigen Akzent aus und einem Zug um den Mund als würde das Wort unvertraut schmecken. „… sehr gut sein sollen. Ich würde sie gerne mal probieren.“

„Das würde ich auch gerne“, sagte Emerald nickend.

Sie sah an sich hinunter. Sie trug noch immer ihr Teloban-Kleid, schmal an der Taille, hochgeschlossen, mit seidigen Ärmeln und dem einfachen Schnitt, der elegant aussehen sollte, doch ihr auf der Reise nur Schwierigkeiten bereitete. Es war bereits lockerer als die meisten, doch noch immer unbequem.

„Milady, ihr scheint mir einfach bei allem zuzustimmen“, lachte die Zofe gutmütig. Es war ein Versuch, die Stimmung zu lockern, denn Emerald war offensichtlich abgelenkt. Doch das Thema, das Emerald durch den Kopf ging, war nicht das, was die Zofe annahm. Das Mädchen dachte, Emerald wäre um ihre bevorstehende Heirat besorgt, dabei dachte sie lediglich über die Unbequemlichkeit ihrer Kleider nach.

„Ich bin an der Kyobas Kleidung interessiert“, brach es aus Emerald plötzlich hervor. „Welche Art von Kleidung tragen sie? Welche Art von Kleidung tragen die Krieger oder die Kriegerinnen?“

Kyoba war berühmt für vieles, doch die Gerüchte über die vielen Krieger-Clans waren die bekanntesten. Manche Boten hatten erzählt, dass selbst Frauen die Kampfkunst erlernten. Es gab viele Erzählungen über Frauen, die den einen oder anderen Krieg entschieden. Und es waren Krieger, keine Soldaten, denn sie waren groß und stark, manchmal laut und chaotisch und konnten nicht in ordentliche Reih und Glied aufgestellt werden wie Soldaten. Kyoba war das Land der Vielfalt und Emerald hatte einmal geträumt, dazu zu gehören.

„Vielleicht werde wir ein paar treffen“, sagte die Zofe mit einem aufmunternden Lächeln. Es war dieselbe Zofe, die zwei Tage zuvor mit dem Soldaten, der vor ihr ging, geflirtet hatte, erinnerte sich Emerald und sie war froh, das wenigsten ihre Leute glücklich waren.

Wie auf Befehl, raschelte das hohe Gras zu ihrer Linken und augenblicklich war Kapitän Balladio vor ihr. Er hatte ihnen von seinem Status erzählt und dass es seine Mission war, sie nach Kyoba zu eskortieren.

Eine kleine Gruppe von Leuten tauchte aus dem Gras auf und landete mit einem kleinen Sprung direkt vor ihr auf leisen Sohlen. Emerald schnappte nach Luft und musterte sie. Es waren drei Kinder und eine Erwachsene. Emerald erinnerte sich daran, dass Nhymue ihr erzählt hatte, dass selbst kleine Kinder in Kyoba als Krieger erzogen wurden und in Teams unter die Aufsicht eines Erwachsenen gestellt wurden.

Die Erwachsene war in diesem Fall eine Frau mit einem ernsten, strengen Gesicht, hohen Wangenknochen und Haut so hell, dass Emerald dachte, dass ihr nicht viel fehlte, um so bleich zu sein wie ihre Gesichtsfarben. In starkem Kontrast dazu stand ihr Haar, das tiefschwarz und zwei einem Knoten an ihrem Hinterkopf zusammengesteckt war. Sie war ein Bild von Ordnung und Disziplin, ihre Rüstung schimmerte im Sonnenlicht und Emerald fragte sich, wie viel Wahres an den Gerüchten über das chaotische Kyoba dran waren.

Die Kinder waren da eine andere Sache. Einer von den drei Jungs war eher untersetzt, mit einem breiten Lächeln. Er aß etwas aus einer Tüte und seine Wangen röteten sich, als einer seiner Teamkameraden ihm sagte, er solle sich nicht so vollstopfen.

Der zweite hatte ein listiges Grinsen auf seinem Gesicht und eine lockere, entspannte Haltung, doch sein wachsamer Blick, der durch die Gegend huschte, ließen erkennen, dass er bereit war, zu reagieren, wenn nötig.

Der letzte junge Krieger hatte wie die anderen beiden dunkle Haare. Er schien ruhiger und stiller als seine Kameraden zu sein Blick war so zornig, dass es Emerald beinahe erschreckte. Wie alt war das Kind? Zehn oder elf Jahre? Dieser finstere Ausdruck auf seinem Gesicht war viel zu hart für ein Kind seines Alters, er wirkte kalt und kalkulierend.

„Lady Tharja“, grüßte Balladion und sein Lächeln kehrte auf seine Züge zurück. „Wie geht es Euch und Eurem Team?“

„Und geht es gut“, antwortete die Frau mit einem kurzen Nicken. Ihre steife Haltung hatte sich ein wenig entspannt, als sie sie erkannt hatte, doch gegenüber den unbekannten Soldaten war sie auf der Hut. „Wie ich sehe, hast du deine eigene Mission. Es ist selten, dass man dich außerhalb Calhenheris findet.“

„Ah, Calhenheri ist mein Leben und die See ist meine Liebe“, stimmte Balladion zu. „Aber Nidans Aufträge sind dasselbe.“

„Nidan würde über eine solche Aussage lachen“, bemerkte Tharja.

„Aber er würde noch viel mehr lachen, wenn seine eigene Cousine ihm erzählen würde, dass sie für seine Missionen lebt.“

Tharja lachte und ein weicherer Ausdruck ersetzte die nüchterne Maske auf ihrem Gesicht.

Emerald erkannte, dass diese Frau also mit dem König Kyobas verwandt sein musste, das bedeutete, sie war eine Allaidh, oder? Das blauhaarige Mädchen wollte schon etwas frage, doch der kleine untersetzte Junge kam ihr zuvor.

„Meisterin Tharja, es ist schon später Vormittag, wir kommen noch zu spät!“, rief er.

Tharja drehte sich zu ihm um und nickte. Sie hatte kaum einen Blick für Emerald übrig, als die Gruppe sie passierte. Ihr Blick huschte wachsam über die Soldaten, dann waren sie verschwunden.

Der Allaidh-Clan.

Tharja.

Emerald warf diese Worte in ihrem Kopf hin und her, versuchte, ihnen irgendwelche Informationen zu entnehmen, bis sie keinen Sinn mehr ergaben.

„Milady, wir haben gesehen, wie Kriegerinnen aussehen“, bemerkte ihre Zofe.

Emerald nickte. „Du hast recht. Das haben wir.“ Und dieses Mal stimmte sie nicht einfach nur zu.

 

 

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Reisetagebuch – Tag 15

Es ist dunkel draußen und schwer zu schreibe, aber dieses Feuer wird genügen. Morgen wird der letzte Tag unserer Reise sein. Ich hasse, wie ich automatisch die Tage abzähle, als würde ich es nicht erwarten können, anzukommen. Mama, ich will umdrehen und so schnell rennen wie ich kann. Wenn ich eine Kriegerin werden würde, würde ich über das Wasser laufen können. – Zumindest habe ich gehört, dass Kyobas Krieger über Wasser laufen können, doch ich bin mir nicht sicher, ob das möglich ist. Es klingt auf jeden Fall lächerlich. Und nach dem, was ich bisher gehört habe, können sie wohl auch Bäume wachsen lassen, Wasser aus der Luft holen und sie essen Krähen und Schlangen. – Sonst noch was?

 

 

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Die Reise war schwer und langsam und der vierte Tag der schlimmste. Balladion wurde immer angespannter und wachsamer, denn immer wurden sie von Kyoba-Kriegern passiert. Nicht alle davon fanden sich in den Viererteams, wie sie sie zuerst gesehen hatte und nicht alle davon enthielten Kinder. Manchmal waren es nur zwei oder auch nur ein einziger. Die Krieger waren aller möglicher Altersgruppen. Kinder, junge Erwachsene, manchmal auch ältere. Einmal passierte sie ein Team aus sechs Personen, sie alle trugen Masken, die Emerald ein wenig an das abscheuliche Ding erinnerten, das Nhymue ihr zum Geburtstag geschickt hatte.

Doch nicht nur Krieger begegneten der Truppe auf ihrem Weg. Da waren Reisende, Händler, die schwere Karren hinter sich herzogen und ihnen freundlich zulächelten.

Und – drei Stunden nach dem Mittag – die Tore von Kyoba. Der gewaltige Eingang, rechts und links umschlossen von einer riesige, weitlaufenden Mauer, ragte über sie hinauf, groß und mächtig.

„Willkommen in Kyoba“, sagte Balladion stolz. „Prinzessin Emerald, ich hoffe, Ihr werdet es so schön finden wie ich und die Bewohner so freundlich wie die Euren.“

Ein weiteres Mal wünschte Emerald sich, sie wäre größer und stärker, während sie zu den gigantischen Toren hinauf starrte. Sie hörte kaum die Worte von Balladion, sie nickte nur abwesend. Wenn sie ein paar Zentimeter größer wäre, würde sie sich vielleicht nicht ganz so winzig und unwichtig fühlen. Zumindest dachte sie das, ihr Körper jedoch blieb stolz und gerade, während sie ohne Fehltritt aus der Kutsche stieg.

Ein vertrautes Gesicht in den Toren brachte schließlich fast Tränen in Emeralds Augen, denn sie war so erleichtert, das freundliche, offene Gesicht von Tsuki zu sehen, das rote Haar wieder um ihren Hinterkopf geschlungen. Nun stürzte sie beinahe aus der Kutsche und vergaß fast, damenhaft zu gehen und eilte auf die Frau zu.

„Lange nicht gesehen“, sagte Tsuki. Die Rothaarige stand den Seabhag nicht besonders nahe und sie kam auch nicht oft zu Besuch, doch als Daimhín galt sie quasi als selbstverständliches Familienmitglied.

Emerald war so erleichtert, dass sie die Frau umarmen wollte, doch mittlerweile sahen einige Reisende und Passanten zu ihnen hinüber, neugierig, was der Aufstand und der Trupp fremder Soldaten zu bedeuten hatte.

„Lange nicht gesehen“, stimmte Emerald zu.

„Sag mir, wie geht es dem werten Lord Cuinn?“ Es war eindeutig ein Witz und die Unbeschwertheit dessen machte Emeralds Herz fast leichter.

„Wir haben nichts mehr von ihm gehört.“

„Oh, das ist gut“, gluckste Tsuki lächelnd. Emerald bestaunte, wie ein einfaches Lächeln die schöne Daimhín noch schöner machen konnte. „Dann, Liebes“, fuhr Tsuki fort, „lass mich dir Kyoba zeigen. Sie hübsch aus und lächle, in Ordnung?“

Sieh hübsch aus und lächle?

Das klang vertraut in Emeralds Ohren.

 

 

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Kyoba – Tag 1

Meine ersten Stunden in Kyoba waren eine Führung. Eine Führung! Ich glaube nicht, dass mich irgendetwas hätte glücklicher machen können, denn die ganze Zeit hatte ich mich als Außenseiterin, als Touristin gefühlt, ein Gast, nicht jemand, der hier bleiben sollte. Unglücklicherweise werde ich bleiben und es gibt nichts, was ich daran ändern könnte. Es ist beinahe Zeit für das Dinner (das heißt, ich werde Kyobas Essen kennenlernen), aber ich genieße gerade das große Zimmer, das man mir gegeben hat. Es ist gemütlich und hat ein paar Ähnlichkeiten zu meinem Zimmer zu Hause.

Ich habe meinen Verlobten noch immer nicht getroffen. Man sagte mir, er wäre im Moment nicht zu Hause.

Oh, und der Soldat hatte Recht: es gibt Häuser, die in einen Berg gemeißelt sind. Man sagte mir, dass dort der Clan der Kyrean lebe, warum auch immer. Es sieht ein wenig ungemütlich aus.

Und das Oberhaupt Kyobas trägt gar nicht den Titel eines Königs. Hier wird er lediglich Dubh genannt.

 

 

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Mit einem Mythos bestätigt, hatte Emerald noch drei weitere, die sie hinterfragen musste. Aßen die Bürger Kyobas tatsächlich Krähen und Schlangen? Tsuki brach als Antwort darauf in ein solch undamenhaftes Gelächter aus, dass Emeralds Augen groß wie Untertassen wurden.

„Entschuldige“, lachte Tsuki, leiser diesmal, und hielt sich die Hand vor den Mund. Die anmutige Lady von der Herbst-Gala hatte sich auf einmal, fast magisch, in einen fröhlichen, zwanglosen Menschen verwandelt. Und das war keine schlechte Verwandlung. „Das war wirklich witzig“, fuhr Tsuki fort. „Wer hat dir das erzählt?“

„Einer meiner Wächter“, antwortete Emerald verlegen.

„Nun, dann sag ihm, Liebes, das wir keine Schlangen und auch keine Krähen essen.“ Sie zwinkerte ihr zu. „Du wirst auch heute Abend nichts allzu ungewöhnliches vorfinden – hoffentlich.“

„Hoffentlich?“ Emerald lächelte.

Ihre alabasterfarbenen Pastellfarben verdeckten im Grunde genommen jede Regung in ihrem Gesicht. Die Blässe und das Deckvermögen der Farben machten es schwer, zu erahnen, welchen Ausdruck sie gerade trug, wenn man nicht genau auf ihre Augen achtete.

„Man weiß ja nie“, sagte Tsuki scherzhaft. Sie war an die Traditionen des südlichen Landes mehr oder weniger gewöhnt und so störten sie die Farben nicht. Sie brauchte nur in Emeralds Augen zu sehen, um zu bemerken, dass dieses Gespräch ihr die Nervosität nahm. Tsuki war froh darüber, denn sie erinnerte sich daran, dass ihre Reise ins Land ihrer unbekannten Ehe ebenso angsteinflößend gewesen war. Allerdings hatte sie sich tatsächlich in den attraktiven, wenn auch ein wenig albernen, aber starken Dubh verliebt.

„Emerald?“ Tsuki war stehen geblieben und musterte das blauhaarige Mädchen, das in Gedanken versunken war.

„Entschuldige“, murmelte Emerald und holte zu der Daimhín mit schnellen, aber eleganten Schritten auf.

Sie gingen gerade durch einen wunderschön angelegten Park, an einem malerischen See entlang. Emerald befand, dass die Szene es mit der Landschaft Tenobals aufnehmen konnte und war erstaunt darüber. Sie hatte eine steinerne, kalte Stadt erwartet, eingefangen hinter hohen Mauern und bewohnt von rauen, unfreundlichen Kriegern. Doch was sie fand, waren hübsche Parks, grüne Bäume, geschäftige, bunte Straßen und Märkte und gutmütige Zivilisten. Die Reflektion der Sonne berührte gerade das Ufer des Sees und verwandelte die spiegelglatte Oberfläche in ein prächtiges Farbenspiel. Tsuki warf, nur für den Effekt, einen Stein hinein und das Sonnenlicht glitzerte auf den Wellen, die er verursachte.

„Kyoba ist wunderschön“, murmelte Emerald. Doch Tsuki hörte den Anflug von Trauer, Einsamkeit und Heimweh.

„Ich kann dir nicht sagen, was du fühlen sollst“, sagte die Rothaarige ernst, „aber ich kann dir sagen, dass wenn ich hier nicht unglücklich bin, wirst du es auch nicht sein.“

Tsuki selbst war die Grundlage für diese Behauptung, doch sie wusste nicht, ob Emerald hier glücklich sein würde oder nicht. Sie konnte nur das Beste für das Mädchen hoffen. Schließlich kannte sie noch nicht einmal das Gesicht ihres zukünftigen Ehemannes und Tsuki betete, dass Zejidan freundlich und gütig zu ihr sein würde – doch diese Hoffnung war bereits jetzt klein und mager.

Emerald wurde still und die zwei Frauen verbrachten den Rest ihres Weges zum Anwesen der Allaidh in angenehmer Wortlosigkeit.

Der Alldaidh-Komplex überraschte Emerald mit einem Gefühl von Gemütlichkeit und Ruhe. Die Häuser waren einstöckig mit geschwungenen Dächern und Holzveranden, die sich einmal ringsum zogen.

Umso verwunderter war Emerald, als Tsuki sie in ein großes Gebäude führte, die Empfangshalle, die mit Clanmitgliedern und Ehrengästen gefüllt war, die sich aufgeregt und lachen unterhielten. Emerald beäugte den fröhlichen Trubel misstrauisch.

„Das ist nicht für mich, oder?“, fragte sie.

„Willst du, dass es für dich ist?“ Tsuki musterte die Blunette, ihr Ton und ihr Blick ernst. Doch der hilflose Blick, der lediglich in den grünen Augen zu sehen war, denn ihre Maske war stoisch und blass wie der Mond, war Antwort genug.

„Dann lasse ich dich wissen“, sagte Tsuki, „All diese Leute sind lediglich hier, um ein weiteres Jahr des Amtsantritts des Dubhs zu feiern. Es sind viele Ausländer anwesend heute, also wirst du kaum auffallen. Um ehrlich zu sein, die Gäste aus dem Norden sind ziemlich bizarr.“

Bizarr. Emerald musste beinahe lachen. Es war das erste Wort, das ihr eingefallen war, um die Maske zu beschreiben, die Nhymue ihr aus dem Norden geschickt hatte.

„Nur wenige der Allaidh wissen, wer du bist“, fuhr Tsuki fort, während sie Emerald zu einem der Tische führte. „Du musst nichts weiter tun, das kann ich dir versichern. Ich werde dich meinem Ehemann Nidan vorstellen. Ich bin mir sicher, du wirst ihn mögen. Er ist die warmherzigste Person, die ich jemals getroffen habe.“

Der Dubh war ein beschäftigter Mann, aber nicht beschäftigt genug, um seine Frau inmitten des ganzen Trubels zu finden und ihr einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Das Lächeln auf Tsukis Gesicht war dieses Mal ganz anders, denn die Wärme, die aus ihrem inneren emporzusteigen schien, war aus einer Liebe, die Emerald so nicht kannte.

„Und du musst Prinzessin Emerald sein“, sagte Nidan dann. Seine Stimme hatte einen überraschend tiefen, warmen Klang. Zu ihrer Überraschung umarmte er sie herzlich und schenkte ihr ein breites Lächeln.

Nidan war ein gutaussehender Mann, mit breiten Schultern und dunklem, dichten Haar, das er im Nacken zu einem kurzen Zopf gebunden hatte. Sein Gesicht sah ernst, aber sanft aus und in seinen dunklen Augen spiegelte sich etwas, das Emerald nicht ganz deuten konnte.

„Lord Dubh, es ist eine Ehre, Euch kennen zu lernen“, erwiderte Emerald. Das Zucken in seiner Braue, das auf ihre Antwort folgte war ebenso unerwartet, wie das tiefe Lachen, das auf einmal aus ihm hervorbrach. Emerald sah ihn verwirrt an.

„Meine Liebe, du musst bei mir keine Titel benutzen“, gluckste er und legte eine große, warme Hand auf ihre schmale Schulter. „Ich würde es bevorzugen, wenn du mich Nidan oder einfach Dan nennen würdest, kleine Schwester.“

Sprachlos sah Emerald zu ihm auf. Er sah ihr direkt in die Augen, ignorierte die Unnahbarkeit ihrer weißen Pastellfarben und nickte. Mit einem leichten Drücken ihrer Schulter wandte er sich kurz an Tsuki, um ihr leise etwas mitzuteilen, ehe er wieder unter den Gästen verschwand.

Er hatte sie „kleine Schwester“ genannt. Er hatte sie ungeachtet ihrer Haarfarbe und ihrer bizarren weißen Gesichtsfarbe akzeptiert und obwohl sie nur wenige Momente mit ihm gesprochen hatte, hatte seine Stimme Güte ausgestrahlt. Es war jedoch nichts, das besonderer Beobachtungsgabe verlangte – denn Nidan hatte die Fähigkeit, Leute seine Akzeptanz fühlen zu lassen. Seine Liebe, unerwidert, bedingungslos und vollkommen frei. Es war nicht so, dass er sie an jeden gab, doch Emerald hatte das Gefühl, wenn Nidan jemanden beruhigen wollte, konnten seine Gefühle die des anderen überwältigen und so verändern.

„Emerald.“

Tsukis Stimme riss sie aus ihren Tagträumen und sie wurde zu einem Tisch geführt.

Der Große Speisesaal war so erheblich anders als der im Palast Illyanas, dass Emerald einige Momente brauchte, um sich zurechtzufinden. Anstatt der rechteckige Tische, die einen Kreis formten, standen hier überall runde Tische verteilt, an denen bis zu acht Personen sitzen konnten. Die Sitzordnung in Illyana war nach Wichtigkeit der Gäste geordnet und in der Mitte stand ein gutorganisiertes Büffet. Hier saß jeder wie es ihm beliebte und eifrige Kellner wühlten sich durch die Menge und verhinderten hier und da geschickt, dass etwas überschwappte.

Emerald saß neben Tsuki und neben ihr der momentan leere Platz von Nidan. Daneben saß ein Mädchen mit hohen Wangenknochen, die Emerald an die Alladih erinnerte, die sie auf der Reise getroffen hatte. Neben dem Mädchen saß ein junger Mann mit Sommersprossen, der verloren in die Runde sah. Offensichtlich ein Ausländer.

Der letzte am Tisch war ein wilder Junge von etwa zehn oder elf Jahren. Er saß als wäre er Schuld an irgendeinem Vergehen, als säße er mit Absicht am falschen Tisch und wie Emerald feststellte, lag tatsächlich eine Gästeliste in der Mitte des Tisches, um die Gäste zu arrangieren, wo sie doch gedacht hatte, dass jeder saß, wie er wollte. Doch sie konnte nicht erraten, wer der Junge war und so warf sie ihm nur ein paar neugierige Blicke zu.

„Anto“, rief Nidan über den Tisch hinweg. Der Junge sah auf, ein schalkhaftes Funkeln in den Augen, bevor er es hinter einer guttrainierten Maske versteckte.

„Ja?“, fragte er unschuldig. Er hatte ein breites Lächeln, helle Augen, ein unordentliches Nest brauner Haare und ein aufgeregtes Auftreten.

„Du sitzt hier nicht“, sagte Nidan.

„Ich warte auf Meister Zejidan“, erklärte der Junge.

„Das weiß ich. Ich werde ihm sagen, dass er dich finden soll.“

„Ach Mann.“

„Du kannst später wiederkommen. Im Moment versuchen wir, hier alle zu organisieren.“ Nidan hatte sich gerade hingesetzt und sich eine kurze Verschnaufpause gegönnt, bevor er nun den Jungen wegscheuchte und einige verirrte Gäste zu ihren Plätzen brachte.

Anto hüpfte gutgelaunt davon und schlang den Arm um einen bekannten Jungen, dessen kalter Blick sich kaum verändert hatte, und der den anderen genervt von sich schob.

Wo der Junge vorher gesessen hatte, setzte sich nun eine Frau mit blassen, scharfen Zügen hin. Sie grüßte mit leiser Stimme und ließ ihren Blick über den Tisch wandern. Als ihre Augen auf Emerald trafen, blieben sie dort für kurze Zeit liegen und in ihren Augen fand sich Erkennen wieder. Dann wandte sie sich an Tsuki.

„Tharja, wie war deine Mission?“

„Reibungslos“, antwortete die Frau. „Eyck und Veith haben sich ausnahmsweise gut genug vertragen, um die Übergabe schnell genug hinter sich zu bringen.“

„Und wie ist Kay?“

„Er hat nach wie vor die Höhenangst, aber ansonsten schlägt er sich gut.“

Die Frauen führten diese ungezwungene Unterhaltung fort, als sich ein weiterer Mann an den Tisch setzte. Er hatte ebenfalls dunkle Haare, doch seine waren so schwarz, dass sie im Licht bläulich schimmerten. Er fuhr sich mit einer Hand hindurch, ehe er nahtlos in die Unterhaltung mit einstieg.

„Hallo“, sagte er schließlich. „Ich bin Kidan Allaidh. Ihr müsst Prinzessin Emerald sein.“

Die unerwartete Ansprache überraschte Emerald, wie so vieles an dem Tag, doch die fing sich schnell und lächelte ihn an und streckte ihre Hand aus. Er nahm sie an und drückte sie, eine andere interessante Sache. In Teloban hätte der Mann ihr zumindest die Hand geküsst; doch Emerald befand, dass ihr das Händeschütteln gefiel und lächelte noch breiter.

Kidan nahm das als Einladung, sie sofort in ein freundliches Gespräch zu verwickeln. Wie fand sie Kyoba bis jetzt? Welche Unterschiede gab es zu Illyana und was gefiel ihr besonders? Emerald fand heraus, dass er Pferde ebenso sehr liebte wie sie und selbst ein paar besaß.

Wenn dieser Mann ihr Mann werden sollte, dann konnte sie kaum ein Wort dagegen einwenden, doch zwischen ihr und Kidan war noch ein weiterer freier Platz und so verwarf Emerald diese Idee, auch wenn sie verlockend klang.

„Kidan, du und deine Pferde“, scherzte das Mädchen in Emeralds Alter. Sie zwinkerte Emerald zu. „Langeweile die arme Prinzessin bloß nicht mit deinen schlechten Witzen.“

„Ich glaube, die Prinzessin würde sie sogar amüsant finden“, verteidigte Kidan sich. „Wenigstens mach ich keine schlechten Witze über Bäume, Feya.“

Das Mädchen warf den Kopf zurück und schnaubte ein Lachen. Der Sommersprossen-Mann gab ein nervöses Kichern von sich. Wie Emerald schien er nicht zu wissen, was er von all dem halten sollte. Feya verdrehte die Augen und Emerald erkannte eine bekannte Vertrautheit zwischen ihr und Kidan – die zwei mussten Geschwister sein.

„Genug jetzt“, ging Tharja dazwischen, obwohl ihr anzusehen war, dass sie ebenso amüsiert von den beiden war. „Wo ist dieser idiotische Strohkopf schon wieder? Er kann doch selbst in dieser Menge nicht so schwer zu finden sein.“

Jeder außer Emerald und dem sommersprossigen Mann zuckte die Schultern; die zwei Ausländer hatten keine Ahnung, wen Tharja meinte.

„Er hat Übung darin, sein weißes Haar zu verstecken“, bemerkte Nidan trocken. „Er wird wortwörtlich zum Geist.“

Emerald war noch immer verwirrt, doch so langsam verstand sie. Es musste sich um denjenigen handeln, dessen Platz neben ihr noch immer unbesetzt war und sie hoffte und fürchtete, dass von ihrem Verlobten die Rede war.

„Offensichtlich will er das hier vermeiden“, sagte Feya, den Kopf auf amüsierte Weise geneigt. Dann, als würde sie etwas realisieren, weiteten sich ihre Augen und sie korrigierte sich schnell. „Ähm, er … mag immerhin … keine großen Menschenmengen.“

Tsuki sah aus, als wolle sie Feya mitteilen, dass es absurd sei, doch sie verstand das Gewicht dieses Ausrutschers, denn sie hatte soeben impliziert, dass Emerald’s Ehemann das Treffen mir ihr vermeiden wollte. Ein kurzer Blick zu Emerald bestätigte Tsuki, dass sich diese wieder in ihre Maske zurückgezogen hatte und diesmal gaben ihre Augen nichts preis.

„Ich sollte dann wohl anfangen, oder …?“, sagte Nidan und hievte sich von seinem Platz, ehe er scherzhaft mit einem Ausbruch zur Seite fliehen wollte. Doch Tsuki bekam ihn am Ärmel zu fassen und schubste ihn in die Richtung des Podests, das sich am Ende des Raumes befand. Emerald musste trotz allem lächeln.

Nidan räusperte sich, als er seinen Platz auf dem Podium erreicht hatte und seine tiefe Stimme trug überraschend weit. Das Geplapper der Gäste verstummte.

„Nun denn … Wo soll ich anfangen?“ Er kratzte sich nachdenklich am Kopf, dann zeigte sich ein breites Lächeln auf seinem Gesicht. „Ah ja – wie wäre es hiermit.“ Er räusperte sich abermals, ehe er mit lauter Stimme durch den Saal rief: „Zejidan, wo bist du, kleiner Bruder?!

Dröhnendes Lachen antwortete ihm und an einem der Tische entstand ein kleiner Tumult. Eine Gruppe von Jungs schubste einen Gast aus seinem Sitz. Eine Kapuze mit nordischem Muster tuschte von seinem Kopf und gab Sicht auf das Gesicht des Mannes, der sich wohl unter der Kleidung eines fremden Landes hatte verstecken wollen und stattdessen nun in der Mitte aller Gäste auffiel wie ein bunter Hund. Er breitete die Arme in einer nonchalanten Geste aus.

„Hier, Bruder“, sagte er trocken, seine Stimme tief und beinahe monoton, ehe er sich dann zu dem Tisch hinüber begab, an dem auch Emerald saß. Das Kichern einiger Mädchen und das spöttelnde Gejohle einiger männlicher junger Schüler begleiteten ihn.

„Somit sieht es aus, als wäre unser Wo-ist-Jid-Spiel bereits beendet“, fuhr Nidan unbeeindruckt fort. „Wie dem auch sei, möchte ich euch alle herzlich willkommen heißen. Danke, dass ihr heute so zahlreich erschienen seit …“

Der Rest seiner Rede rückte für Emerald in den Hintergrund. Alles, was sie sah, war der hochgewachsene Mann, der sich seinen Weg in ihre Richtung bahnte. Sein Blick war irritiert und dunkel und um seinen Mund lag ein missbilligender Zug. Emerald zuckte unwillkürlich vor ihm zurück, als er sich lautlos neben sie setzte und keines Blickes würdigte. Die Aura, die ihn umgab, war genug, um ihn einzuschüchtern. Dennoch blieb ihr Blick noch ein wenig länger auf ihm, denn er war ein seltener Anblick.

Er hatte scharfe, spitze Züge mit einer stolzen Nase und einem spitzen Kinn. Sein Haar war ein fast schneeweißes Durcheinander und seine Augen glimmten im Licht des Saals blutrot. Er sah Nidan in keinster Weise ähnlich und Emerald dachte, dass er tatsächlich ein Geist sein konnte, ein Dämon. Der zornige Blick, den er auf seinen Bruder geheftet hatte, half dabei nicht. Doch er wurde kurz darauf von einem offensichtlichen Tritt unter dem Tisch unterbrochen, Tsukis Augen funkelten verärgert. Zejidan wandte den Blick ab und starrte stattdessen leer auf die Tischdecke.

Nicht ein Mal sah er Emerald an.

Als Nidan sich wieder setzte, kehrte der wütende Blick zurück und Nidan bemerkte es und er hob eine Hand.

„Sag nichts – du warst es, der sich in der Öffentlichkeit blamiert hat.“

„Das ist normalerweise deine Rolle“, zischte Zejidan. Er verschränkte grollend die Arme und bestellte im knappen Tonfall bei einem der Kellner, der an ihrem Tisch angehalten hatte.

„Jid, wenn ich an dich ran kommen würde, ich würde deinen Hinterkopf hinüber nach Delayar befördern“, knurrte Tharja vom anderen Ende des Tisches. Es war eindeutig, dass sie und der Dubh wenig Toleranz für das Verhalten des weißhaarigen Allaidhs hatten.

„Nur zu“, murmelte Zejidan und stach mit einer Gabel in seinen Reis. Das brachte ihm weitere Blicke ein, diesmal auch von Tsuki und es schien als würde der drohende Blick der Rothaarigen ihn mehr besänftigen können, als die seiner Verwandten, denn er sah vorsichtig auf seinen Teller hinab.

„Emerald“, sagte Tsuki schließlich, ihre Stimme unnötiger Weise laut, wo sie doch gleich neben ihr saß. „Wie ist das Essen?“

Das Essen, bemerkte Emerald, war gut, sogar sehr gut. Weit und breit keine Krähen und Schlangen in Sicht.

„Es ist hervorragend“, antwortete sie, ein wenig erschrocken über die Lautstärke der Stimme.

Zejidan“, fuhr Tsuki noch lauter fort, „mag dieses Gericht wirklich besonders.“

Sie gestikulierte beinahe wild auf eine Schüssel mit Reis und Gemüse, der besser schmeckte als er aussah. Er hieß tatsächlich „Gemüsereis“ und Emerald mochte ihn sehr.

„Und“, fügte Tsuki noch hinzu und betonte das eine Wort mehr als nötig, „er würde sich dir gerne vorstellen.“

Die Drohung in dem einen Satz wurde dieses Mal überdeutlich und Emerald dachte sich, dass, sollte ihr Verlobter immer noch nicht darauf reagieren, Tsuki heute jemanden einen Kopf kürzer machen würde. Zumindest wies das Brennen in ihren Augen darauf hin, dass sie bald in die Luft gehen würde. Und wenn sie auch nur ansatzweise auf solche Art wie Parsley in die Luft ging, dann würde Emerald sich auf den Boden schmeißen und nach Deckung suchen. Auf der anderen Seite allerdings hatte sie gehört, dass das Temperament der Daimhín viel heißer war, als es das der Seabhag jemals sein könnte, und so müsste jeder Hinweis auf dieses Temperament Grund genug sein, einen Bunker aufzusuchen.

„Natürlich mag ich Essen, Tsuki“, brummte Zejidan. „Und wie schon gesagt, mein Name ist Zejidan, ich bin der Bruder von diesem Idioten von einem Dubh dort hinten.“

„Zejidan!“, rief Tsuki. Sie war irritiert, dass ihr Schwager so viele Beleidigungen aneinander reihen würde, wo er sonst ein stiller Mann von nur ein paar scharfen Bemerkungen war. „Benimm dich!“

„Ich bin erwachsen, Tsuki“, seufzte Zejidan und schien beinahe müde. „Ich glaube, ich kann auf mich selbst Acht geben.“

„Das meinte ich nicht!“

Zejidan tat es mit einer Handbewegung ab. „Jetzt wo ich darüber nachdenke, mag ich Essen doch nicht so sehr. – Dan, lass eine Schüssel Reis für mich übrige, ich gehe.“

Für einen Moment war Nidan still, dann: „Setz dich.“

Zejidans Miene war eine Mischung aus Unglaube und Wut. „Entschuldigung?“

Die Kombination aller Allaidh-Blicke an dem Tisch, inklusive Tsuki, war beängstigend. Und als Zejidan sich dann immer noch nicht rührte, war es Kidan, der aufstand. Obwohl er nicht ganz so groß war wie Zejidan, legte er eine unnachgiebige Hand auf dessen Schulter  und drückte ihn mitleidlos auf seinen Platz zurück.

„Ich würde dir gerne zwei neue Gäste in Kyoba vorstellen“, sagte er und klang dabei überraschend freundlich, als hätte man die Luft nicht mit einem Messer schneiden können. Er wies mit einer Hand zuerst auf den sommersprossigen Mann, dann auf Emerald. „Einer ist der Verlobte meiner lieben kleinen Schwester, Kell aus Sedal. Und die andere ist die liebenswürdigste Frau, die ich an diesem Abend kennen gelernt habe, deine Verlobte, Emerald Seabhag.“

Tsuki schenkte Kidan ein anerkennendes Nicken.

„Kidan, ich brauche dich nicht, damit du mir das sagst“, grollte Zejidan, so leise, dass nur diejenigen ihn hören konnten, die direkt neben ihm saßen.

„Hör auf, solch ein Arsch zu sein“, zischte Kidan. Seine Augen huschten auf der Suche nach etwas über Zejidans Gesicht. „Deine zukünftige Frau sitzt gleich neben dir. Fragst du dich nicht, was sie denkt? Ein ziemlich schlechter erster Eindruck.“

Zejidan musste eine Millionen Antworten darauf parat haben, doch er behielt sie für sich. Mittlerweile sah er mehr müde als verärgert aus, als er sich in seinem Stuhl zurück lehnte. Doch trotz der Veränderung in seiner Stimmung, änderte sich nichts an seinem knappen Verhalten, während er sich zu ihr umwandte. So oder so, hätte er sich mit einem von Nidans Lächeln zu ihr umgedreht, sie wäre ebenso erschrocken. Sie war wie ein Kaninchen und zuckte bei jedem Geräusch und kleinem Hindernis zusammen, das über ihren Weg wehte.

„Ich entschuldige mich für meine heutigen Launen, Prinzessin“, sagte er mit flacher Stimme und klang als würde kein Wort ernst meinen. „Allerdings sind es die Umstände, dass der Dubh und ich … in der Mitte einer Auseinandersetzung sind.“

„Das ist bedauerlich zu hören“, erwiderte Emerald leise und war sich nicht, ob ihre Stimme zitterte und sie schwach klang oder ob ihr gesamter Körper zitterte und die Worte zum Vibrieren brachte. „Ich hoffe, ihr kommt bald zu einer Lösung.“

„Das tun wir beide.“

Sein Blick huschte über ihr Gesicht und es schien, als wüsste er nicht, wohin er sehen sollte. Emerald fiel ein, dass es vermutlich die Gesichtsfarben waren, an die er nicht gewöhnt war, und er ihre Miene lesen wollte und scheiterte. Es war als starre man ein leeres Blatt Papier an – die Augen nichts, auf das sie sich fokussieren konnte. Bestürzt darüber und dem verlorenen Blick, den sie in seinen ungewöhnlichen Augen sah, drehte sie sich wieder zu ihrem Teller um.

Das entmutigte Herumstochern in ihrem Essen, blieb nicht unbemerkt von Nidan, der solchen Details gegenüber sehr sensibel war.

„Zejidan“, sagte er entschlossen. „Wir werden uns nachher unterhalten.“

„Werden wir das wirklich, Bruder?“, kam die genervte Antwort. Nidan warf seinem Bruder einen strengen Blick zu, der nur spöttisch die Brauen hob.

„Das werden wir. Aber bis dahin werden wir auf dieser Feier nur angenehme Unterhaltungen führen“, antwortete Nidan, ehe er dazu überging, Zejidan zu ignorieren, der immer wieder jene zornige Blicke zu ihm hinüber warf.

In der Mühe, eine erneute Konversation zu starten, wandte sie sich nach rechts.

„Ähm“, stieß sie hervor und bemerkte im selben Atemzug, dass sie einen Fehler begangen hatte. Prinzessinnen-Vokabular beinhaltete keine Stotterer oder Füllworte. Sie sprach schnell weiter. „Aus Neugierde, was ist Eure Beziehung zu Lady Tharja und Lord Kidan?“

„Sie sind meine Cousins“, antwortete Zejidan knapp. Die Art, wie er sie ansah und dann schnell wieder auf seinen Teller, sagte ihr, dass er nicht in der Stimmung für Konversationen war. Sie ließ es fallen. Doch wie sollte sie ihren Ehemann kennenlernen? Stille? Nicken? Gar nicht?

Verwirrung.

Ich will nach Hause.

 

---

 

 

Konversationen zu überhören, die nicht für ihre Ohren bestimmt waren, schien eine unglückliche Tendenz von ihr zu sein, denn egal, wohin sie ging, ständig rannte sie in Argumentationen, die sie vielleicht besser nicht mitbekommen hätte.

Als nach dem Essen die meisten aufstanden, um sich ihre Desserts von einem Buffet zu holen, schlich Zejidan sich davon, die abweisend hochgezogen. Nidan beobachtete es ungerührt und wortlos, während er sich lebhaft mit Kell unterhielt.

Als schließlich alles vorüber war und es draußen spät und dunkel wurde, zogen sich die meisten Gäste langsam zurück, andere blieben noch sitzen, in der Hoffnung, noch einige Worte mit dem Dubh wechseln zu können, oder um einfach die Gesellschaft der anderen zu genießen. Tsuki fragte sie, ob sie noch etwas sehen oder besuchen wollte, doch Emerald verneinte höflich. Stattdessen machte sie sich auf den Weg zum großen Haupthaus, in dem sich ihr Zimmer befand, denn sie hatte vor, ein Bad zu nehmen und den Rest des Abends ohne ihre Gesichtsfarben und die straffe Frisur, in der ihre Haare steckten, in ihrem Zimmer zu verbringen.

Doch wie das Schicksal es wollte, hörte sie schneidende Stimmen, kaum dass sie nur noch eine Ecke vom Haupthaus entfernt war und sie gefror auf der Stelle.

„Ich bin enttäuscht“, zischte Nidan, seine Stimme ungewohnt zornig und hart.

„Von was?“, erwiderte Zejidan und verschränkte die Arme in einer abwehrenden Haltung. Emerald konnte sie von dort wo sie hinter einer hohen Mauer saß, sehen und die Bewegung erinnerte sie so sehr an ihren Bruder, dass sie für einen Moment am liebsten auf ihn zugerannt wäre. Es war als wäre es ihr Bruder, der sich mit dem Dubh stritt. Doch die Stimme, der hasserfüllte Blick, das Mondlicht-Haar – all das war gar nicht wie Talír. Wenn sich Talír stritt, dann tat er es für einen guten Zweck, für die Familie – für sie.

„Deine Verlobte saß neben dir und du hast so getan als wäre sie gar nicht da! Du hast mich vor all den Leuten unverschämt angeredet und …“

„Ist das hier nun über dich? Über dein Aussehen, oh mächtiger Dubh? Sag mir, Dan, geht es mittlerweile in all dem hier nur über dich?“

„Zejidan! Ich werde dieses Verhalten von dir nicht tolerieren und …“

„Und was?!“, verlangte Zejidan, doch kaum öffnete Nidan den Mund, blaffte er ein lautes „Still!“. Es war schockierend, wie viel Respektlosigkeit man gegenüber einem älteren Bruder aufbringen konnte. „Du weiß gar nichts!“, zischte Zejidan. „Ich wollte gar nicht erst heiraten. Doch du hast mein Vertrauten missbraucht, Nidan, du hast mich einfach verheiratet wie irgendein Werkzeug.“

„Kein Werkzeug, Zejidan, ich…“

„Dann erklär mir das hier! Erklär mir, warum eine Frau, still wie ein Geist und ohne Emotionen, die spricht wie ein Roboter, in unserem Haus lebt! Du erwartest von mir, dass ich mit sowas lebe?!“

„Du überreagierst, Jid.“

Ich überreagieren? Du hast deine Frau gewählt, wäre es nicht fair, dass ich meine wählen kann?“

„Du hast keinen solch großen Aufstand gemacht, seit du zwölf warst.“

„Lenk nicht vom Thema ab!“, fuhr der Jüngere Nidan an und ging auf ihn zu, packte dessen lockeren Kragen fest in seinen Fäusten. „Du hast all das hier einfach gegen mich arrangiert und weißt du was? Es ist das beschissenste Arrangement, das diese verdammte Welt je gesehen hat!“

„Du hättest dein Leben allein und immer depressiver gelebt und letztendlich hättest du etwas kreiert, das dein Ende gewesen wäre“, sagte Nidan ruhig. Die Augen seines Bruders flackerten, rote Seen voller Hass. So rot, dass Nidan sich schmerzhaft an seinen Vater erinnert fühlte, dessen Liebe so stark gewesen war, dass sie zu Finsternis geworden war. Er würde seinen Bruder nicht ein ähnliches Schicksal fallen lassen, für immer in einer Traumwelt gefangen, eine Hölle aus Verzweiflung. Auch wenn Zejidan nicht sein Vater war, war er immer noch für Hass empfänglich.

„Nun redest du Schwachsinn, Dan“, spottete Zejidan. „Vielleicht bist du es, der wahnsinnig wird.“

„Das tu ich nicht. Ich habe Tsuki, um mich am Boden zu halten“, erwiderte Nidan, nur um zu sehen, wie sich Zejidans Miene in eine Maske des Zorns verzog. Er packte Nidans Hemd noch fester und drückte seinen Bruder heftig gegen die Wand. Der Anprall war so hart, dass Emerald ihn bis auf die andere Seite spürte. Sie sank langsam auf die Knie, den Atem für lange Zeit angehalten. Sie hatte sich schon vorher von der Ecke zurückgesehen, von der sie aus gespäht hatte, doch nun trat sie noch weiter in die Schatten, zitternd.

„Schlägst du vor, dass mich irgendeine dahergelaufene Frau am Boden halten könnte? Wenn du willst, dass ich mich auf irgendeine Weise an sie binde, dann wird es das letzte sein, was ich tue!“

Emerald konnte darauf Schritte hören, die sich entfernten. Als Zejidan erneut sprach, klang auch seine Stimme weiter weg und Emerald nahm an, dass er von seinem Bruder abgelassen hatte.

„Schick sie nach Hause.“

„Das werde ich nicht.“

„Schön, sei grausam. Sei grausam zu uns beiden.“

„Du bist derjenige, der grausam ist. Du behandelst sie wie ein Objekt.“

„Wer behandelt wen wie ein Objekt?“, verlangte Zejidan. „Komm zu Verstand, Nidan!“

Dann das Schlagen einer Tür und schließlich Stille. Es schien als würde ein Engel vorbeischweben, denn das Schweigen war leicht auf den Ohren und schwer im Herz.

Selbst durch die Wand konnte Emerald Nidans Müdigkeit fühlen und seine feste Entschlossenheit, keinen Muskel zu bewegen, selbst als Zejidan ihn am Krage gepackt hatte. Wenn der jüngere Allaidh ihn geschlagen hätte, er hätte es ihm nicht vergolten, dafür liebte er seinen kleinen Bruder zu sehr.

Emerald spürte eine sanfte, beruhigende Welle vom Dubh ausgehen, eine stille, beinahe tröstende Emotion. Es rann über sie, beruhigte sie und ihre wild schlagendes Herz. Es war so wie zuvor, als er sie umarmt hatte. Sie konnte seine Intentionen, seine Gedanken klar spüren.

Es kam ihr in den Sinn, dass es tatsächlich eine Fähigkeit war, etwas, das er kontrollierte und aussandte.

Sie hörte auf, darüber nachzudenken, denn wenn sie richtig lag, dann wusste er, dass sie hinter der Mauer war. Er wusste es die ganze Zeit. Doch da war keine Bewegung auf der anderen Seite, selbst als unter ihrem Fuß ein Ast brach. Emerald erstarrte, wartete darauf, dass etwas passierte. Sie hörte, wie er sich bewegte, dann seufzte er.

Er schien zuerst unentschieden, dann schuldbewusst und entschuldigend. Sie realisierte, dass er sich ihr gegenüber entschuldigte, eine stille Botschaft, bevor er ins Haus schlich.

 

 

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Mama, ich habe entschieden, nicht mehr die Tage  zu zählen. Jeder einzelne scheint so lang.

Hast du jemals etwas gehört, das du nicht hören solltest? Ich gebe zu Mama, dass ich schon so oft Dinge gehört habe, die niemals meine Ohren hätten erreichen sollen. Auch Zeug, das du mit Nhymue, Parsley oder Talír besprochen hast. Manchmal mit Vater.

Heute habe ich mitbekommen, dass ich die Gastfreundschaft der Allaidhs überbeansprucht habe – zumindest von einem. Erbärmlich, nicht wahr? Ich war hier für … nicht einmal einen Tag.

 

 

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Zejidan hatte noch ein paar Mal mehr mit ihr gesprochen, doch jedes Mal war es in derselben brüsken, unfreundlichen Weise wie beim ersten Mal.

Jeden Morgen begegnete sie Nidan, der sie mit einem Lächeln und einem fröhlichen „Guten Morgen, meine Liebe“ begrüßte, doch die Gefühle, die von ihm ausgingen, waren noch immer entschuldigend. Emerald fragte sich, ob sie einfach sehr sensibel gegenüber den Stimmungen anderer war, doch zweifelte daran, als die Welle einer Emotion, die sich merkwürdig verschmitztes Zwinkern anfühlte, sie erreichte und sie konnte nicht anders, als Zejidan zu beobachten, wie er in sein Frühstück biss.

„Warum ist das salzig?“, wollte er auf der Stelle wissen.

Lachen antwortete ihm und ein Schnauben von Nidan, der Emerald angrinste. Emerald, die sich nicht sicher war, was sie tun sollte, versuchte es mit einem schmalen Lächeln. Niemand konnte wirklich festlegen, dass sie lächelte, denn sie trug jeden Morgen pflichtbewusst ihre Pastellfarben auf ihr Gesicht auf, doch das Funkeln in ihren Augen war genug für Nidan.

Tsuki kicherte und schlug ihrem Schwager auf die Schulter, der ihr einen verärgerten Blick zuwarf.

„Du bist solch ein Pessimist“, warf sie ihm vor. „Hör auf damit.“

Er verdrehte die Augen. „Hör auf womit?“

„Weißt du, ich hatte erwartet, dass du der witzige kleine Bruder bist und was kommt raus?“ Sie stieß einen Finger gegen Nidans Schulter. „Der hier ist in Wirklichkeit der Idiot.“

„Einmal sind wir einer Meinung“, kommentierte Zejidan.

„Nein, er ist mein Idiot, ich liebe ihn und er ist eigentlich sehr intelligent.“

Zejidan verdrehte abermals die Augen, denn für ihn ergab das keinen Sinn. Emerald lächelte unter ihrer Maske, ehe sie sich anmutig einen Bissen ihres Brötchens in den Mund schob, immer noch ganz damenhaft.

Als Zejidan den Raum verließ, traute sie sich, zu sprechen.

„Denkt ihr, dass die die Pferde von Kidan sehen könnte?“, fragte sie höflich.

„Emerald, du musst doch nicht fragen! Natürlich kannst du, geh einfach“, rief Tsuki.

„Ich weiß nicht, wo sie sind“, gestand Emerald.

„Die Ställe sind quasi in der Mitte des Komplexes – ich zeige dir den Weg“, erwiderte Nidan und nachdem er seiner Frau beim Abwaschen des Geschirrs geholfen hatte (Emerald war noch immer erstaunt, dass die Allaidhs darauf bestanden, alles selbst zu erledigen, anstatt eine Dienerschaft einzustellen, wie sie es in Illyana gewohnt war) und führte sie hinaus zu ihrem Ziel.

Der reiche, süße Duft von Heu und die wohlvertrauten Geräusche im Stall, beruhigten Emerald auf der Stelle, wie sie es immer taten, und beruhigten ihre Nerven. Sie fragte sich, warum sie nicht schon eine Woche vorher hierhergekommen war. Andererseits war sie damit beschäftigt gewesen,  jeden Ort in Kyoba auf der Karte auswendig zu lernen, denn Feya war eine begeisterte Fremdenführerin.

„Prinzessin Emerald“, rief Kidan, der sie nun erblickte und so froh und freundlich wie immer war. „Kommt her, ich war gerade dabei, eins meiner Pferde hinauszuführen.“

„Deine zwei Hengstfohlen, nicht wahr?“, fragte Nidan. Er ging auf eins besagter Pferde zu und der Braune rieb sogleich seine Nase an ihm, die Ohren gespitzt. Tiere schienen den Dubh zu mögen und Emerald befand, dass das eine hervorragende Eigenschaft war.

„Immer eine Freude, dich zu sehen, Nidan.“ Kidan lächelte und fuhr dann fort, von den zwei Jungpferden zu berichten, die gerade lernten, sich unterm Sattel zu bewegen, wenn auch noch kein Reiter drauf saß.

Kurz darauf verabschiedete sich Nidan jedoch, der noch andere Angelegenheiten und Pflichten hatte und überließ die zwei Pferdemenschen sich selbst.

„Er hat einen wundervollen Schritt“, bemerkte Emerald, während sie beobachtete, wie einer der Hengste ruhig und ebenmäßig seine Hufe setzte. Er hatte noch schmächtige Schultern und einen geraden, dünnen Hals, doch er wirkte vielversprechend.

Das zweite Pferd war ebenfalls braun, doch sein Fell glänzte rötlich und hatte eine breite Blässe. Emerald beobachtete auch, dass er weitaus verspielter war und sich weigerte, ihn einem richtigen Kreis um Kidan herum zu gehen. Stattdessen kam er ständig näher und suchte nach Leckereien.

„Der hier hat einen ebenso guten Schritt, aber er ist immer abgelenkt“, sagte Kidan und lachte, als das Tier an seinen Taschen herum schnüffelte. „Ich hab nichts für dich, Dummerchen!“

Der Allaidh lachte und stieß die neugierige Nase sanft von sich. Emerald war glücklich, ihrem neuen Freund zuzusehen. Für einen Moment fühlte sie sich wohl, als sie sich gegen den Zaun lehnte und beobachtete, wie Kidan mit dem vorwitzigen Pferd Fangen spielte, das seine Handschuhe aus seinen Taschen geklaut hatte und sie zwischen seinen Zähne durch die Luft schleuderte.

Dann, am anderen Ende des Weges, spürte sie einen Blick auf sich, rot und zornig. Als sie aufblickte, um dem rubinroten Blick zu begegnen, schrak sie sofort zurück. Sie wusste nicht, warum er dort war oder warum er sie ansah, doch sie wusste, dass seine Meinung von ihr, nach dem Streit mit Nidan, sich beinahe schon in Abscheu verwandelt hatte. Als ob er sich fragte, warum sie noch hier war, in seinem Zuhause und mit ihnen lebte.

Zejidan verschonte sie und verschwand schnell.

 

 

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Mama, nun ist es eine Woche. Heißt das, dass ich bald nach Hause kann? Oh warte, die Hochzeit ist am Ende des Monats.

Impressum

Texte: Victoria Marck
Bildmaterialien: Coverbild: Smaragdscherbe; Bearbeitung: Victoria Marck
Tag der Veröffentlichung: 24.07.2014

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