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Prolog



Ich bin Niemand. Nobody. Das ist mein Name. Und dies hier ist meine Geschichte. Ich erinner mich noch an alles. An jeden Moment in meinem Leben. Die Erinnerungen sind so lebendig.

Kaum 2 Wochen alt. Entsorgt sollte ich werden, doch meine Mutter hatte mich weggebracht vom Ort meiner Geburt. Die Scheune eines Bauernhofes. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das Heu roch, indem ich und meine Geschwister geboren wurden.
Meine Geschwister habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Ich glaube, ich war der Einzige, den meine Mutter wegbringen konnte. Jedenfalls ging sie um die Anderen zu holen und kam alleine wieder. Sie trauerte nicht lange, ich dafür umso mehr. Grade um meine kleine Schwester. Ich zeigte es ihr nicht, wollte sie nicht wieder in die Trauer stürzten.
Meine Mutter verließ mich. Irgendwann kam sie einfach nicht mehr wieder. Ich war noch so jung. 8 Wochen zählte mein Leben erst. Ich verstand nicht wieso sie das getan hatte. Ich kannte damals halt noch nicht die Gefahren der Welt dort draußen, sollte diese aber früh genug kennen lernen.
So wartete ich zwei Tage auf meine geliebte Mutter. Doch sie kam nicht wieder. Und ich hatte Hunger. Und Angst. Man hatte mich ganz allein gelassen. Ich hatte Niemanden mehr. Und war auf mich allein gestellt. Ich war doch erst 8 Wochen alt!


Die Welt dort draußen



Es war Nacht gewesen, als ich das erste Mal meine Pfoten aus dem sicheren Unterschlupf bewegte. Meine Ohren zuckten aufmerksam hin und her. Meine Augen fingen ängstlich alles ein, was um mich herum geschah. Ich hatte verdammt große Angst, doch der Hunger trieb mich vorwärts.
Irgendwo über mir schrie Etwas und flog über mich hinweg. Ich zuckte erschrocken zusammen und drückte mich ins Gras. Ich wusste doch noch so gar nix, von der Welt. Von weiter weg vernahm ich so Etwas wie gleichmäßiges Brummen. Es klang fast wie das Schnurren meiner Mutter. Aber nur fast. Ich weiß noch, das ich dachte das dies andere Katzen sein könnten und wie ich auf diesen Gedanken hin den Weg dorthin einschlug.
Mir kam der Weg unendlich lang vor. Irgendwann sah ich etwas Helles in der Ferne. Das Brummen oder Schnurren war mit jedem Schritt in die Richtung lauter geworden, nun war es fast Ohrenbetäubend. In mir keimte die Angst, das es keine anderen Katzen waren, doch ich versuchte sie zu ignorieren.
Plötzlich erblickten meine Augen etwas Schwarz-Weißes nicht weit vor mir. Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich roch meine Mutter, aber irgendwas an dem Geruch störte mich. Zögernd lief ich weiter auf dieses Schwarz-Weiße zu. Ich erkannte Pfoten, Schwanz und Kopf. Meine Mutter! Freude keimte in mir auf, erstickte die Angst. Meine Pfoten trugen mich schneller als ich wollte.
Endlich war ich da. Schmiegte mich an den Körper meiner scheinbar schlafenden Mutter. Erschrocken zuckte ich zurück. Sie war so kalt. Und ihr Geruch war mit Etwas schmerzhaft in der Nase stechendem durchzogen. Ich starrte schockiert auf den Körper meiner Mutter, die sich nicht bewegte.
"Mama. Mama bitte wach auf." flehte ich mit leiser, erschrockener Stimme und stupste leicht mit der Nase. Doch meine Mutter bewegte sich nicht. Lag einfach nur auf der Seite.
Ich taumelte rückwärts. In mir die Gewissheit das meine Mutter sich nie wieder bewegen würde. Ich wusste nicht woher diese Gewissheit kam, aber sie war da und raubte mir fast den Atem. Nie wieder...
Durch das Rauschen in meinen feinen Ohren drang das Brummen, was mich hier her geholt hatte. Ich hatte nicht bemerkt das ich immer noch rückwärts lief. Ich schaute mich um. Etwas Helles blendete mich. Ich sah nichts mehr. Eine Woge der Angst überkam mich. Ich war unfähig mich zu bewegen. Saß nur da und starrte auf die näher kommende Helligkeit. Das Brummer schwoll ins unermessliche an. Dann huschte ein plötzlicher Gedanke durch meinen Kopf, der mich mit ängstlicher Sicherheit erfüllte.
Mama. Nun bin ich gleich wieder bei dir. Mama. Ich komme zu dir. Ich und Du wieder vereint.




Ein neuer Anfang



Als ich das nächste Mal meine Augen öffnete war das Brummen verschwunden. Und mit ihm die blendende Helligkeit. Doch meine Mutter lag noch immer unbeweglich an derselben Stelle. Ich erinnerte mich plötzlich an ein Gespräch zwischen mir und ihr. Das was dort eben auf mich zu kam, musste eins dieser Dinger gewesen sein, was sie Autos genannt hatte. Ich konnte mich daran erinnern, dass sie meinte diese Autos wären gefährlich. Sie konnten einen töten. Ich wusste nicht was der Tod war, aber Mutter hatte mir damals, nachdem sie ohne meine Geschwister wieder kam, erklärt, das diese nun tot waren. Und ich war mir irgendwie sicher, das auch meine Mutter tot war. Was sonst sollte sie sein, wenn nicht tot?
Der Schock saß mir immer noch in den müden Beinen. Soviel wie heute war ich mein ganzes, kurzes Leben noch nie gelaufen. Und doch wusste ich, das ich nicht hier bleiben durfte, so gerne ich auch bei meiner Mutter geblieben wäre. Doch ich musste stark sein. Wenn nicht für mich, dann für sie. Ich war ihr einzigstes Junges gewesen, das sie retten konnte. Und ich musste für sie weiter leben. Sie würde es sich nicht verziehen, wenn sie wüsste das ich ihretwegen aufgeben würde.
So lief ich los, weg von dem Ort an dem Autos mit gefährlich werden konnten. Immer weiter, ohne Ziel vor Augen. Wo sollte ich auch hin?

Ich war gelaufen, bis die Dunkelheit langsam der Sonne wich. Dann hatte ich unter einem Baum Schutz gesucht. Irgendwie wusste ich, das es nicht klug war um herzulaufen, wenn es hell war. Woher ich das wusste war mir nicht bekannt. So harrte ich im Schutz des Baumes, in einer Erdkuhle versteckt irgendwo im nirgendwo. Ich war allein. Und ich fror trotz das die Sonne schien. In mir tiefe Trauer. Meine Mama war tot. Und ich ganz allein auf mich gestellt. Wie sollte ich das schaffen? Ich kannte mich in dieser Welt doch überhaupt nicht aus.

Ich wurde geweckt von einer rauen Zunge auf meinem Kopf. Ich musste geschlafen haben. Alles nur ein böser Traum. Hier war ich und meine Mama leckte mir den Kopf, die Stelle, die ich besonders mochte - direkt zwischen meinen Ohren. Automatisch begann ich zu Schnurren. Mein Magen rebellierte. Fast drei Tage ohne Etwas, was ihn füllte. Ich hatte Hunger und so begab ich mich mit noch geschlossenen Augen auf die Suche nach Milch.
"Na Na kleiner Freund. Ich kann dir keine Milch geben." drang eine sanfte, mir unbekannte Stimme an meine Ohren.
Das war nicht meine Mutter. Mit einem Mal roch ich auch den unbekannten Geruch. Ich sprang so gut es ging rückwärts, presste mich an den Stamm des Baumes. Meine Augen erblickten eine hübsch getigerte, noch sehr jung aussehende Katzendame, während aus meiner Kehle ein schwaches Fauchen erklang. Dies alles geschah einfach so, ohne das ich darüber nachdachte.
"Ganz ruhig kleiner Freund. Ich tu dir nichts." murmelte die Tigerdame und legte leicht den Kopf schief. "Wie kommt es das du hier ganz alleine unterwegs ist?"
Da waren sie wieder. Die Erinnerungen an meine Mama, wie sie kalt und bewegungsunfähig da lag. Die Erinnerung an meinen lange, an mir zerrenden Lauf durch die Dunkelheit. Immer weiter ohne zu wissen wohin. In mir wieder diese Trauer.
"Meine Mama ist tot. Meine Geschwister schon lange. Ich bin allein." stieß ich leise, kaum hörbar zwischen dem Fauchen hervor und senkte den Blick, doch meine anderen Sinne waren auf die Fremde geschärft.
Stille. Die Katzendame erwiderte nix. Minutenlang war nur das Rascheln der Blätter über uns zu hören, mit denen der leichte Wind spielte.
"Es ist nicht gut das du alleine bist. Es gibt viele Gefahren, die dir noch nicht bekannt sind." stellte die Getigerte nach einigen Minuten fest. "Komm mit mir, kleiner Freund. Dann sind wir beide nicht mehr allein."

Ich muss nicht sagen, das ich nicht lange brauchte um zu überlegen. Was schon hatte ich zu verlieren? Nichts mehr. Und auch wenn irgendwo in mir Etwas war, das aufschrie als ich den Entschluss packte mit ihr zu gehen, so tat ich es doch. Es war alle Mal besser, als alleine zu sein.


Kitty, zeig mir die Welt



"Mein Name ist übrigens Kitty. Und mit wem habe ich das Vergnügen? Oder gefällt dir kleiner Freund so gut, das du mir nicht sagen magst, wer du bist?"
Wir waren schon einige Zeit schweigend unterwegs gewesen. Seite an Seite. Die Tigerdame hatte mich immer wieder aus dem Augenwinkel heraus beobachtet. Doch ich traute mich nicht, ihren Blick zu erwidern. Ich traute mich auch nicht etwas zu sagen. Deswegen hatten wir geschwiegen.
"Ich bin Niemand." antwortete ich wahrheitsgemäß. Es stimmte. Wer war ich schon? Ich hatte keinen Namen, so wie die zierliche Katzendame neben mir.
"Das geht aber nun mal gar nicht. Jeder brauch einen Namen. Wie soll man dich sonst erkennen?"
Nachdenklichkeit verschleierte nun den Blick von Kitty. Was sie wohl gerade überlegte? Ich konnte es nicht genau sagen. Als ihre Augen sich wieder auf mich richteten, schaute ich schnell weg.
"Dann heißt du ab jetzt Nobody, kleiner Freund. So kann man dich wenigsten erkennen."
So war es beschlossene Sache. Ich hatte einen Namen. Und er gefiel mir. Ich wusste nicht, was er bedeutete, doch das war erst mal egal. Irgendwann würde ich das Kitty noch fragen, doch nun freute ich mich erst mal darüber, das ich überhaupt einen Namen hatte.

Ich und Kitty liefen stundenlang. Über Gras. Über Schotter. Über Asphalt. Sie erklärte mir alles, ohne das ich nur eine Frage stellen brauchte. Nur vor dem Asphalt hatte ich Respekt. Oder besser gesagt Angst. Es war das gleiche Gefühl unter den Pfoten wie in der Nacht, als der Vorfall mit dem Auto war. Kitty erklärte mir auch, das Asphalt fast immer Straße bedeutete und darauf fuhren die Autos. Und das man ganz besonders aufpassen musste, wenn man eine Straße überqueren wollte.
Ich mochte Kitty mit jeder Minute mehr. Sie war so freundlich und erklärungsbereit. Kitty zeigte mir diese Welt, ohne das ich etwas dafür sagen musste. Sie tat mir gut, das merkte ich. Natürlich trauerte ich noch immer um meine Mutter, aber die zierliche Katzendame gab mir wieder ein Stück Hoffnung, das nun alles besser werden würde. Und ich vertraute ihr, auch wenn ich sie kaum kannte.

Irgendwann stoppte die Getigerte und sah mich durchdringend an. Fast wäre ich in sie rein gelaufen, so neugierig hab ich die letzten Minuten die Umgebung beobachtet. Irgendwas war anders, aber ich konnte nicht sagen was es war. Die Luft roch anders. Gerüche die ich nicht kannte. Und Gerüche, die mir ziemliche Angst machten.
"Pass auf, kleiner Freund. Da wo wir gleich hingehen, musst du sehr aufpassen. Dort gibt es Autos, aber die sind bei weitem nicht die schlimmsten Gefahren. Dort leben die Zweibeiner. Menschen nennt man sie. Es gibt Katzen, die behaupten das es liebe Menschen gibt. Doch das vergiss. Auch wenn ich jung bin, ich weiß das es so was nicht gibt. Und das nur zu gut."
Ich hörte Kitty angespannt zu. Es schien, als wenn mehr in ihren Worten steckte, als sie sagte. Doch ich wollte nicht nachfragen. Ich war viel zu aufgeregt, auf das was nun kommen würde.
Menschen. Diese Wesen, die meine Geschwister entsorgt haben? Die Wesen, die diese Autos lenken? Ich mag sie jetzt schon nicht, dabei kenne ich sie nicht mal. Wieso nimmt Kitty mich an solch einen Ort mit?


"Kleiner Freund. Ich weiß du hast Hunger. Und hier in der Stadt - so nennen die Menschen die Orte, wo sie leben - gibt es genug um deinen kleinen Magen zu füllen. Deswegen sind wir hier. Aber sei immer auf der Hut und bleib bei mir, egal was passiert. Und hör auf das, was ich dir sage. Verstanden?"
So ernst und besorgt hatte ich sie die ganze Zeit noch nicht erlebt. Nicht Mal als sie mir von dem Asphalt und der Straße erzählte. Und das machte mir Angst, half mir aber gleichzeitig dabei zustimmend zu nicken. Kitty würde auf mich aufpassen, das wusste ich.


Die Stadt



Die ersten Schritte in eine neue Welt. Ich hatte doch kaum die andere Welt kennen gelernt. Schon wieder soviel Neues. Geduckt und in Angst folgte ich Kitty im Schatten der Häuser, wie sie diese riesigen Dinger am Rand der Straße nannte. Dort drinnen wohnten die Menschen. Das hatte mir Kitty schon erzählt. Niemals sollte ich dort rein gehen. Das wäre das Ende, hatte sie mir eingetrichtert. Als ob ich dort rein gehen würde.
Überall waren ungewohnte Gerüche. Doch gesehen hatte ich diese komischen Wesen namens Menschen noch nicht. Irgendwie war ich froh darüber. Kitty meinte da ich noch so jung bin, bestünde die Möglichkeit das sie mich wollten. Ich wollte aber nicht sie, auch wenn ich sie noch nie gesehen hatte. Ich hasste sie, für das was sie getan hatten. Sie hatten mir alles genommen. Und laut Kitty waren alle so. Auch sie hasste die Menschen, das konnte man an ihrer Art über sie zu sprechen heraushören.
"Nobody, duck dich!" zischte mir Kitty warnend zu und drückte sich tiefer in den Schatten des Hauses, eng an die Wand gedrückt. Ich tat es ihr gleich. Nur Sekunden später kam ein Wesen um die Ecke. Es lief auf zwei Beinen. Ein Mensch musste das sein. Er war riesig. Unbehaart, nur an einigen Stellen hatte er Fell, wie ich erkennen konnte. Aber statt Fell hatte er etwas Anderes am Körper. Ich konnte es nicht sagen, ich kannte so was nicht. Den Geruch prägte ich mir gut ein. Er war süßlich, ekelhaft süßlich. Mich würgte es.
Wir verharrten still einige Sekunden dort im Schatten an der Wand, dann war der Mensch um die nächste Ecke verschwunden und Kitty entspannte sich wieder. Mit einigen geschmeidigen Schritten stand sie neben mir und schaute sich nochmal sichernd um.
"Das dort war ein Mensch, wie du dir sicherlich denken kannst. Sie riechen alle anders. Sie benutzen etwas, was sie Deo nennen. Das verfälscht ihren wahren Geruch. Doch nicht für uns, wenn wir Übung haben. Irgendwo unter diesem ekelhaft süßen Geruch den du aufgenommen hast, kann man diesen erriechen. Auch du wirst das irgendwann können. Es ist leider nicht immer möglich ihnen aus dem Weg zu gehen, aber man sollte es immer versuchen. Und wenn es nicht möglich ist, dann nutze was sie nicht haben. Deine Krallen. Deine Zähne. Deine Schnelligkeit. Deine Wendigkeit. Und vor allen Dingen deine Intelligenz und deinen Instinkt!"
Ich versuchte mir alles zu merken, was die Getigerte mir von dieser Welt erklärte. Es war schwer für mich, ich war es nicht gewohnt, doch der Wille alles wissen zu wollen, was mir das Leben erleichtern könnte, half mir dabei. Ich dachte kurz über die Worte nach, während Kitty sich geschmeidig wieder auf den Weg machte, ans Ende des Schattens. Ich folgte ihr kurz darauf.
"Warte hier auf mich. Verhalte dich ruhig. Und komm mir auf keinen Fall hinterher!" befahl mir die zierliche Katzendame und verschwand ohne ein weiteres Wort um die Ecke, ins Sonnenlicht. Ich blieb zurück, allein und ängstlich an die Wand gedrückt.

Mir kamen die Minuten, die Kitty weg war, wie Stunden vor. In mir machte sich die Angst breit, dass sie nicht wiederkommen würde. So wie meine Mutter. Ein paar Mal war ich fast entschlossen ihr zu folgen, doch dann kamen mir ihre Worte wieder in den Kopf. Und so harrte ich einsam an der Wand im Schatten.
Laute Geräusche, die ich nicht kannte, ließen mich erschrocken zusammen zucken. Dann hörte ich das Geräusch von Katzenpfoten, die im schnellen Rhythmus auf Asphalt aufkamen. In mir spannte sich alles an, als Kitty um die Ecke gestürmt kam. In ihrem Maul hatte sie Etwas, was verlockend roch.
"Lauf, Nobody. Lauf!" rief sie mir zu und preschte an mir vorbei. Ich brauchte nicht lange um ihr zu folgen, so schnell mich meine kleinen Beine trugen. Hinter uns die Geräusche, die mir Angst einflößten. Doch ich hielt nicht an um zu sehen wer oder was diese Geräusche machte. Ich rannte einfach Kitty nach, kreuz und quer.

Irgendwann hielt die Getigerte an. Ich konnte nicht mehr. Ich war noch nie um mein Leben gerannt, aber ich konnte mir vorstellen das sich das genauso anfühlte. Auch Kitty schien erschöpft, aber glücklich. Langsam ließ sie das verlockend riechende Etwas aus dem Maul fallen. Ich näherte mich langsam, die Nase gekräuselt.
"Komm schon. Lass es dir schmecken. Das ist ein Wiener Würstchen. Du hättest den Menschen sehen müssen, an seinem Würstchenstand, als ich aus dem Nichts auftauchte und einfach seine Würstchen klaute." lachte die Katzendame, während sie sich ihr Würstchen vornahm und genüsslich verspeiste.
Das meinte Kitty also, als sie mir sagte, man kann es nicht immer verhindern mit den Menschen. Ob man immer mit den Menschen zusammen kommt, wenn man etwas zu Essen haben möchte?


Gedankenverloren machte ich mich daran, mein Wiener Würstchen zu fressen. Es war nicht die erste feste Mahlzeit in meinem Leben, aber viele vor dieser gab es nicht. Nur ein oder zwei Mäuse, die meine Mutter mir gebracht hatte. Es schmeckte gut. Und es füllte meinen krampfenden Magen.
"Kitty? Muss man immer mit den Menschen zusammen kommen, wenn man etwas Fressen will?" ließ ich meine sanfte Stimme zum ersten Mal an die Getigerte gerichtet erklingen.
Kitty schaute nur kurz überrascht auf, mit Freude in ihrem Blick. Sie hatte ihr Würstchen schon fast ganz gefressen, während ich immer noch am Anfang stand. Hatte halt nicht viel Übung.
"Nicht unbedingt. Man kann auch in Mülltonnen schauen." antwortet sie schließlich und deutete mit dem Kopf auf Etwas, was wohl einer dieser Tonnen darstellen sollte. "Die Menschen schmeißen soviel gutes Futter weg. Nur heute hatte ich mal Lust drauf. Diese verdutzen Gesichter der langsamen Zweibeiner, wenn sie verstehen was da eben geschah. Und wie sie dann versuchen einen noch zu erwischen. In den Genuss so was zu sehen wirst du auch irgendwann noch kommen, kleiner Freund."
Ich glaubte ein Schmunzeln in ihrem hübschen Gesicht zu erkennen und das erinnerte mich an Jemanden. Nur wollte mir doch tatsächlich nicht einfallen an wem, egal wie sehr ich darüber nachdachte.

Kurz darauf zeigte Kitty mir ihren Unterschlupf außerhalb der Stadt. Gut getarnt in einem kleinen Waldstück unter einem Baum hatte sich die zierliche Katzendame im Wurzelreich. Eine Art Höhle, groß genug um auch uns Beiden Platz zu bieten
"Mein Reich ist auch dein Reich. Hier kannst du dich ausruhen und Kraft tanken. Kein Mensch kommt hierher. Es ist zwar ein kleiner Marsch bis zu Stadt, aber falls du plötzlich Heißhunger bekommst - Mäuse, Vögel und dergleichen findest du hier reichlich. Hast du überhaupt Erfahrung in der Jagd? Wie alt bist du eigentlich genau, kleiner Freund?"
"Nein, Erfahrung mit der Jagd hab ich keine. Aber Mäuse habe ich schon mal gefressen. Meine Mutter hatte mir damals welche gebracht. Acht Wochen und einige Tage bin ich alt."
Nachdem ich vorhin endlich über meinen eigenen Schatten gesprungen war, fiel es mir leichter mit ihr zu reden. Es war auch irgendwie befreiend nicht immer nur zu schweigen. Und auch Kitty schien ähnlich zu empfinden. Hatte sie sonst immer nur erklärt, stellte sie jetzt direkt Fragen an mich. Sie hatte es zuvor zwar auch versucht, aber nur kurz angebundene Antworten aus mir heraus bekommen, woraufhin sie es recht schnell wieder sein gelassen hatte. Doch nun konnten wir tatsächlich lockere Gespräche führen.
"So jung noch? Das hätte ich nicht gedacht. Aber das wird schon. Wir haben ja viel Zeit." lachte die Tigerdame und zwinkerte mir zu.

Schnell war die Nacht hereingebrochen. Ich war müde und erschöpft von dem Tag. Den vielen Eindrücken. Und dem ganzen Wissen, was ich an nur einem Tag erfahren hatte. Mein Körper schmerzte von dem vielen Laufen.
Kitty hatte sich rechts neben dem Eingang nieder gelassen und ich beobachtete sie, wie sie ihr schön gezeichnetes Tigerfell ordnete. Sie war wirklich hübsch. Und jung. Wie jung konnte ich nicht sagen. Auf jedenfall jünger als meine Mutter. Aber die Tigerdame war erfahren. Ich wollte so gern mehr über sie wissen, doch noch immer hemmte mich irgendwas in mir sie auszufragen.
"Nobody. Du solltest schlafen. Morgen wird wieder ein anstrengender Tag werden."
Ich wusste Kitty hatte recht, doch mir war kalt. Es war noch immer ungewohnt nicht an der Seite meiner Mama zu schlafen.
Als wenn Kitty das wusste, kam sie auf mich zu und legte sich sanft neben mich. Ihr warmer Blick ruhte auf mir und ich konnte mich sogar dazu zwingen zurückzuschauen. Dankbarkeit lag in meinem Blick, ehe meine müden Augen zufielen und ich in einen erholsamen Schlaf fiel.


So könnte es für immer sein



Kitty brachte mir die nächsten Wochen viel bei. Sie zeigte mir wie man in der Jagd Erfolg hatte. Sie zeigte mir die Umgebung ihres Reiches. Auch die Stadt zeigte sie mir Stück für Stück. Sie lehrte mir alles, was ich wissen musste, um mein Leben gut zu meistern. Ich wuchs unter ihrer Aufsicht, Zuwendung und Lehre zu einem kleinen, aber stattlichen Kater. War ich früher unbeholfen und unwissend, so war ich jetzt mit 16 Wochen schon ein ganzes Stück weiter. Lange noch nicht bereit für ein Leben ohne Kitty, doch das wollte ich auch nicht. Für mich könnte es ewig so weiter gehen.

"Nobody?" Kittys sanfte Stimme durchbrach die Stille des Abends. "Willst du deine eigenen Wege gehen?"
Ich erschauderte als Kittys Worte mich erreichten. Wollte sie mich loswerden? Mein ängstlicher Blick hing auf ihrem von einer Falte gezierten Gesicht.
"Willst du mich loswerden?" fragte ich, mit zitternder Stimme und versuchte das Zittern nicht auf meinen Körper zu übertragen.
"Nein. Nein, Nobody. So war das nicht gemeint." lenkte Kitty sofort ein und erhob sich. "Ich meine nur, du bist soweit das du deine eigenen Wege gehen könntest, wenn du magst. Das bedeutet nicht das ich dich loswerden möchte. Ich mag das Leben mit dir."
Erleichterung machte sich in mir breit, als sie genau das sagte, was ich fühlte. Auch ich mochte dieses Leben. Wir waren ein Team und es war verdammt schwer für mich, mir vorzustellen das es ein Leben ohne sie geben könnte. Ich wollt es mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen.
"Nein Kitty. Ich würde gerne bei dir bleiben. Wir sind doch ein Team, oder nicht?" hackte ich forschend nach und schaute der Tigerdame in die Augen.
"Ein Team, Nobody. Das stimmt." erwiderte Kitty und lächelte mir sanft zu. Ich wusste, sie würde mich nicht fort schicken.

Ich war nun schon öfter den Menschen ziemlich Nahe gekommen. Kitty hatte mir gezeigt, wie man sich Futter besorgte. Das gute Fressen aus den Tonnen war okay, aber den Menschen etwas klauen, das war viel besser. Nicht unbedingt das Fressen, das nahm sich nicht viel, aber ich hatte schnell verstanden was Kitty damals mit In-den-Genuß-wirst-du-auch-noch-kommen meinte. Es machte einen Heidenspaß, die verdutzen Gesichter der begriffsstutzigen Zweibeinern zu sehen. Und ihre Versuche uns zu erwischen. Natürlich waren wir schneller, weniger und schlauer als die Menschen.
Wir trieben uns - jetzt nachdem ich größer, schneller und wendiger geworden war - öfter in der Stadt rum. Wir brauchten uns auch nicht mehr allzu sehr im Schatten zu tarnen. Oft liefen wir im Gespräch vertieft einfach so durch die Straßen. Kitty meinte, dadurch das ich nun älter war, wäre ich nicht mehr so niedlich für die Menschen und das Bedürfnis mich haben zu wollen wäre nicht mehr so groß. Noch dazu sehe ich mit meinem schwarzen Fell aus wie fast jede Katze aussieht. Mir sollte es recht sein.

So wuchs ich mit Kitty an meiner Seite weiter heran. Aus 16 Wochen wurden 6 Monate. Ich führte ein unbeschwertes Leben ohne große Sorgen. Manchmal Nachts, da suchten mich Erinnerungen aus meiner Kindheit heim. Der Verlust meiner Geschwister. Der Tod meiner Mutter. Und auch das Kennenlernen von Kitty, die mir sehr wichtig geworden war. Mittlerweile wusste ich auch, woran sie mich erinnerte. An meine geliebte Schwester. Und vielleicht verstanden wir uns gerade deswegen wie Geschwister. Wir verstanden uns nur mit Blicken. Wir konnten über alles miteinander reden. Wir gehörten einfach zusammen. Sie hatte mir die Sonne und die Hoffnung zurück gegeben, die ich mit nur wenigen Wochen für immer verloren geglaubt hatte.
Doch die Zeiten ändern sich. Und somit auch ich. Ich war nicht länger das kleine Katerchen, das ich war als Kitty mich fand. Ich war erwachsen geworden. Und in mir erwachten Triebe, die ich nicht verstand. Ich mochte Kitty, keine Frage, aber manchmal das fühlte ich mich, als wenn mich Etwas von ihr weg zog. Eine innere Macht, die mich auch unvorsichtiger werden ließ. Kitty merkte davon noch nichts und ich fragte mich, ob ich sie darauf ansprechen sollte.


Wenn Triebe erwachen



Ich versuchte tagelang dieses Unbekannte in mir zu unterdrücken. Ich wollte mich nicht verändern. Jedenfalls nicht so. Ich wollte für immer bei Kitty sein, wieso also zog Es mich weg? Was war das? Ich verstand es nicht. Und Kitty hatte mir nie etwas davon erzählt.

Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Mit Kitty konnte ich über Alles sprechen. Warum also nicht auch darüber? So fasste ich eines Abends beim gemeinsamen Sitzen während des Sonnenuntergangs den Entschluss, mit ihr über das für mich Unbegreifliche reden.
"Kitty, ich habe da mal eine Frage an dich." begann ich, doch irgendwie wollten mir nicht die richten Worte dafür einfallen.
Verdammt wie soll ich Etwas nennen, das ich nicht begreife? Für das ich keine Worte finde? Das doch verrückt.


Kitty wandte mir den Blick zu, indem wie fast immer Wärme und Zuneigung für mich lag. Sie wartete das ich fortsetzte. Die Tigerdame hatte eine ungeheure Geduld und konnte Stunden auf Etwas warten, das wusste und schätze ich an ihr. Nur Etwas von Vielem.
"Weißt du, irgendwas ist da in mir. Ich weiß nicht genau. Es will mich wegziehen. Fort von hier. Als wenn mich Jemand ruft."
War das ein Schmunzeln, auf Kittys Gesicht? Und Sorge in ihrem Blick? Es sah ganz danach aus. Wusste sie also doch Etwas darüber, was sie mir nicht gesagt hatte?
"Nobody wird erwachsen." lachte die Getigerte leise, aber es war Sorge, die in ihrem Lachen mit schwang. "Das ist normal, mein kleiner Freund. Du suchst insgeheim eine Partnerin. Auch wenn dir das selber noch nicht bewusst ist. Aber dieser Trieb der da in dir erwacht ist, der ist auch nicht ungefährlich. Er macht unvorsichtig. Das kann gefährlich sein. Die Meisten unserer Artgenossen, die so leben wie wir, haben diesen Trieb. Und die Meisten sterben durch diesen Trieb."
Deswegen also die leichte Sorge in ihrer Stimme. Angst das ich sterbe. Suche ich denn wirklich eine Partnerin? Ist es das? Wieso weiß sie so gut darüber bescheid. Und warum vor allen Dingen hat sie diesen Trieb nicht?


"Mir wurde der Trieb schon genommen, bevor er erwachen konnte. Ich bin froh darüber, muss ich sagen. Ich kann mein Leben leben ohne ihn. Ich finde es besser. Ich brauche keinen Nachwuchs aufziehen, der an meinen Kräften zerrt. Früher hab ich mir das manchmal gewünscht. Einmal Nachwuchs. Aber ich muss sagen, ich hab jetzt soviel Leid gesehen, da ist es besser das ich Niemanden in diese Welt setzten muss oder kann."
Kitty schaute noch immer mich an. Ich hatte ihren Worten gelauscht und versucht sie zu verstehen. Doch irgendwie verstand ich nicht. Wer hatte ihr den Trieb genommen? Und wie? Und warum?
"Ich sehe du verstehst nicht. Wie solltest du auch. Dazu muss ich weit ausholen. Ich denke jetzt ist der richtige Zeitpunkt dir meine Geschichte zu erzählen." sprach Kitty weiter und wandte den Blick zum Horizont.


Kittys Geschichte



"Meine Kindheit war ganz anders, als das Leben, was ich jetzt mit dir führe. Ich wuchs wohl behütet auf. Meine Mutter war eine Katze der Menschen. Ja, damals lebte ich bei den Menschen. Ein Leben ohne Sorgen. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, wie ich mir Futter besorgen sollte. Schließlich gaben uns die Menschen etwas. Ich dachte damals alle Menschen sind gut. Alle Menschen mögen uns. Unsere Menschen mochten uns ja auch."
Kitty machte eine Pause. In ihren Augen funkelte Wut und Verbitterung. Aber auch irgendwas anderes leuchtete in den grünen Augen der Katzendame.
"Ich dachte es, denn irgendwann wollten sie uns loswerden. Einer nach dem Anderen verschwanden meine Geschwister einfach mit irgendwelchen fremden Menschen. Schließlich war nur noch ich über. Für mich war noch Niemand gekommen. Die Menschen wurden ungeduldig, wollten mich loswerden. Und so kamen Leute, die ich irgendwie nicht wirklich mochte. Aber man gab mich ihnen mit. Viel zu früh von meiner Mutter getrennt."
Wieder stoppte die getigerte Katzendame und wandte ihren Blick nun mir zu. Dieser Blick von ihr - er war mir unbekannt. Nicht von diesem Funkeln erfüllt, was ich sonst von ihr kannte.
"Das Leben war anders, als das was ich davor hatte, doch schlecht ging es mir nicht. Aber ich war allein. Niemand kümmerte sich wirklich um mich. Ich musste mir selbst Beschäftigungen einfallen lassen, was wiederum den Menschen nicht gefiel. Sie verstanden nicht, das ich einfach nur ein bisschen Zuwendung wollte. Und so wurde ich ihnen lästig und sie warfen mich mit nur 4 Monaten vor die Tür. Ich kannte nichts von der Welt hier. Ich war allein. Hatte Niemanden. Für mich gab es Niemanden der mir half."
Mir kam das Szenario so bekannt vor. Jung. Allein. Niemand der Einem hilft diese Welt zu verstehen. Doch ich hatte das Glück Kitty zu treffen. Was hätte ich gemacht, hätte ich sie nicht getroffen? Wenn sie mich nicht gefunden?
"Doch ich kämpfte. Allein. Ich schlug mich durch. Lernte diese Welt kennen. Die Gefahren die hier lauerten. All das. Allein. Als ich dann ein halbes Jahr alt war, ging ich in die Falle eines Tierschützers, wie sich der Zweibeiner nannte. Er nahm mich mit an einem Ort, an dem ich noch nie gewesen war. Die Luft war von Hoffnungslosigkeit erfüllt. Und genau dort nahm man mir den Trieb. Die Menschen nennen es Kastration. Ich kann mich nur daran erinnern das ich eine Spritze bekam. Das ist Etwas, mit dem die Menschen dir Flüssigkeiten, die sie Medikamente nennen, in die Blutbahn geben. Daraufhin schlief ich lange. Als ich erwachte hatte ich eine Wunde am Bauch, die aber nicht schmerzte. Und ich war in einem Raum mit vielen anderen Katzen. Ich lernte Einige kennen. Unter ihnen auch viele Artgenossen, die sich aufgegeben hatten. Die jahrelang dort waren. Das was man Tierheim nennt. Ich hatte Mitleid mit ihnen. Viele waren alt. Manche hatten Handicaps. Doch ist das ein Grund, der sie weniger liebenswert macht? Ich denke nicht."
Gedankenverloren wandte Kitty ihren Blick in den nun von Sternen geschmückten Himmel. Die Sonne war längst am Horizont untergegangen.
"Ich war nicht lange dort. Bald kamen Leute und nahmen mich mit. Ich hatte mitlerweile Misstrauen gegenüber den Menschen, doch ich wollte es noch ein Mal versuchen mich ihnen zu öffnen. Vielleicht hatte ich vorher nur Pech gehabt? Meine neuen Menschen verwöhnten mich von vorne bis hinten. Ich fühlte mich wie im Paradies. Und ich ließ sie in mein Herz. Doch nur ein zwei Monate später, als die Urlaubszeit begann, endete auch mein Leben bei den Menschen. Wir fuhren Auto. Ich war aufgeregt. Irgendwann hielten wir an und stiegen aus. Sie gingen mit mir in ein kleines Waldstück am Rand der Straße. Und dort setzten sie mich aus."
Nun schwang Hass in der sonst so sanften, liebevollen Stimme der Getigerten mit, als die Erinnerungen so greifbar wurden.
"Ich ging von da an meinen Weg alleine, hielt mich von den Menschen fern. Sie sind doch alle gleich. Egal wie gut sie am Anfang wirken. Am Ende lassen sie dich im Stich. Und bald darauf traf ich dich. Und du hast mich an mich erinnert, als ich damals mit 4 Monaten ganz alleine war. Und ich konnte dich unmöglich zurück und dir selbst überlassen."
Ich schwieg. Die Geschichte von Kitty nahm mich mehr mit, als ich gedacht hätte. Man sah ihr an, wie sehr sie mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen hatte. Ohne zu überlegen stand ich auf und schmiegte mich an sie. Sie erwiderte es dankbar. Und so saßen wir da, schauten in die Nacht hinaus.

Nur wenig später waren wir in unseren Unterschlupf geschlichen. Es war Zeit uns auszuruhen. Wie immer schliefen wir aneinander geschmiegt. Die Geschichte von Kitty ließ mich immer noch nicht los.
"Kitty, wie alt bist du eigentlich?" fragte ich die zierliche Katzendame neben mir.
"Nobody, mein Leben zählt ungefähr 1 Jahr und 3 Monate. Wenn man so unterwegs ist, ist das Alter nicht wirklich von Bedeutung."


Tierschützer und das Ende vom Trieb



Es vergingen weitere Tage, in denen ich meinem Trieb standhalten konnte. Ich wollte nicht unvorsichtig werden. Und ich wollte bei Kitty bleiben. Diese jedenfalls hatte keine Angst das ich sie verlassen würde, auch wenn ich dem Trieb nachgeben würde. Sie meinte, der Trieb würde recht schnell wieder nachlassen und sie würde auf mich warten. Doch ich wollte sie nicht alleine lassen.
Ab und Zu streunerte ich jetzt auch alleine durch die Gegend. Soweit hatte der Trieb mich bekommen. Doch immer kehrte ich bald darauf zu der Tigerdame zurück. Ich war stark. Ich gab nicht einfach einem Trieb nach. Doch an diesem Abend sollte alles anders werden, nur ich wusste noch nichts davon, als meine Pfoten mich leise über das frische Gras trugen. Erst vor kurzem hatte der Frühling den Winter vertrieben.
Plötzlich hatte ich einen Duft in der Nase, der mir den Verstand raubte. Der Trieb in mir rebellierte. Ich konnte kaum noch klar denken. Wie von selbst trugen mich meine Pfoten in die Richtung aus der der Geruch kam, der mich so verrückt machte. Bald darauf hörte ich das Rufen einer Katze. Und ich lief schneller. Ich bekam kaum noch Etwas von der Welt um mich herum mit. Das dies gefährlich war, war mir in dem Moment nicht klar. Ich konnte nicht denken. Nur laufen. Dem Trieb gehorchen.
Plötzlich ein Zischen über mir. Bevor ich rennen konnte, war ich gefangen. Fauchen und schreiend wehrte ich mich gegen den unbekannten Feind, der mich in den Fängen hielt. Engmaschiges Netz, was meinen ganzen Körper gefangen hielt. Und egal wie sehr ich mich wehrte, ich saß in der Falle und kam nicht freit.
"Dich hab ich hier ja noch nie gesehen. Ein schönes Lackfellchen bist du. So wehrhaft?"
Es war das erste Mal, das ich die Stimme eines Menschen so nah vernahm. Ich erstarrte und schaute mich um. Da stand er, der verhasste Zweibeiner. Und so wie es aussah war er der Grund, das ich gefangen war. Fauchend machte ich dem Menschen klar was ich davon hielt gefangen zu sein.
"Nun aber. Du brauchst keine Angst haben. Ich tue dir nichts. Ich will dir nur helfen. Auch wenn du das sicherlich anders siehst. Kleiner Freund."
Bei den Worten verstummte ich. Nur Kitty hatte mich bisher so genannt. Und nun fiel mir auch auf, wie sanft und zärtlich die Stimme des Menschen war. Ganz anders als die Stimme der Menschen, die hinter mir und Kitty her waren, wenn wir von ihnen geklaut hatten. Doch in meinen Ohren hallten die Worte der Getigerten nach.
Unter Protest verfrachtete mich dieser Zweibeiner in ein Auto. Ich hatte solch ein Ding noch nie von Nahem geschweige denn von Innen gesehen. Ich hatte Angst vor dem, was nun kommen würde. Und doch blieb mir nichts übrig außer der Dinge zu harren. Befreien konnte ich mich nicht.

Wir waren eine Weile gefahren, dann hielt das Auto und der Mensch kam zu mir. Ich fauchte wieder, als er mich nahm und in eins dieser Häuser trug. Ich wollte dort nicht rein, aber ich konnte nichts dagegen tun.
Ein stechender Geruch in meiner Nase, der fast meine Augen zum tränen brachte. Weiße Wände und eine kühle Atmosphäre machten mir zusätzlich Angst. Auch wenn ich nun älter war als das 8 Wochen alte Kitten, was Kitty gefunden hatte, so hatte ich doch immer noch Angst vor Unbekanntem.
"Hallo Frau Meyer. Was bringen Sie mir den heute." vernahm ich die Stimme eines weiteren Menschen. Also war der Mensch, der mich gefangen hatte, eine Frau. "Ein schönes Lackfellchen ist das. Zirka ein halbes Jahr alt dürfte er sein. Und unkastriert, wie ich sehe."
Man verfrachtete mich in ein viereckiges Ding aus kaltem Material. Auch hier gab es kein Entkommen. Die Frau murmelte beruhigende Worte zu mir, doch ich wollte nur noch hier weg. Mit meinem Blick beobachtete ich den anderen Menschen, der irgendwas in der Hand hielt und auf mich zu kam. Ich drückte mich in die hinterste Ecke des Teils, in dem ich gefangen saß.
Plötzlich ein kurzer Schmerz. Ich fühlte wie Müdigkeit mich überkam. Die Glieder schwer wurden. Fauchen konnte ich auch nicht mehr richtig.
Was ist nur los mit mir? Warum werde ich auf ein Mal müde? Und was wollen die Menschen von mir? Ich will hier weg.



Langsam erwachte ich aus einem ruhigen, traumlosen Schlaf. Ich fühlte mich dennoch erschöpft. Nur langsam kamen die Erinnerungen an das Geschehene wieder. Ich saß noch immer in diesem viereckigen Ding. Doch die Menschen waren weg. Und ich befand mich nicht mehr in diesem weißen Raum, dessen Geruch so in meiner Nase stach. Ich roch andere Katzen.
Wo bin ich denn jetzt schon wieder? Ich will doch nur nach Kitty. Sie macht sich sicherlich Sorgen. Wie lange habe ich geschlafen. Und warum fühle ich mich so komisch?


Ich konnte nicht sagen was anders war, aber irgendwas war anders mit mir. Mir bleib auch keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn auf ein Mal wurde es hell und die Frau, die mich gefangen hatte kam zu mir. Ich war zu schwach um zu fauchen und schaute nur mit funkelndem Blick und angelegten Ohren auf das, was sie in der Hand hatte. Es roch nach Futter, wenn auch anders als das Futter was ich sonst gewohnt war.
"Hier Lackfellchen. Das wird dir gut tun. Du musst fressen, damit du bald wieder zu Kräften kommst und wieder raus kannst, in die Freiheit."
Ich verstand nicht was sie mir damit sagen wollte, aber irgendwie freuten mich ihre Worte. Ich hatte irgendwo in mir das Gefühl das ich Kitty wiedersehen würde. Schon recht bald.
"Was hältst du von dem Namen Nobody? Jeder braucht einen Namen. Ich denke das passt zu dir. Du bist wie ein Niemand einfach aufgetaucht. Also Nobody, lass es dir schmecken."
Nun wusste ich also, was mein Name bedeutete. Niemand. Wie passend. Und woher wusste dieser Mensch wie mein Name lautete? Das konnte sie unmöglich gewusst haben. Oder doch?

Bald hatte ich mich an ihre Anwesenheit gewöhnt. Sie kam immer um mir was zu Fressen zu bringen. Dann sprach sie mit mir. Doch sie versuchte nicht mich an zufassen. Sie hielt mich auch nicht lange in dem komischen Ding, was sie Käfig nannte. Bald durfte ich im Zimmer rum laufen. Ich hatte natürlich sofort einen Ausweg gesucht, doch es gab keinen. Und so harrte ich in der hintersten Ecke und fraß nur, wenn ich alleine war. Die anderen Katzen, die ich riechen konnte, bekam ich nie zu Gesicht. Wer sie wohl waren?

Nur einige Tage später kam die Frau wieder mit diesem Netz. Misstrauisch beobachtete ich sie, währen sie sich langsam nährte. Anfauchen tat ich sie schon länger nicht mehr. Sie tat mir ja nichts. Im Gegenteil, sie brachte mir Futter. Dennoch, sie hielt mich gefangen und das allein schon war ein Grund ihr zu misstrauen.
"Komm schon Nobody. Du darfst wieder in die Freiheit. Dorthin wo ich dich gefunden habe. Nun sei doch nicht so." versuchte sie mich zu beruhigen und es gelang ihr zum Teil, doch in mir herrschte Misstrauen und Angst, die mich rückwärts weichen lies. Als ich jedoch mit der hinteren Wand in Berührung kam und kurz den Blick abwandte, hatte sie mich schon im Netz.

Wieder fuhren wir im Auto. Ich hasste es. Die Geräusche erinnerten mich an den Tag, als ich meine Mutter fand. Und ich wollte nicht erinnert werden. Doch was sollte ich machen. Ich hatte mich erst gar nicht gewehrt, als mich die Frau hatte. Es wäre eh sinnlos gewesen. Wieso also Kraft verschwenden.
Wir hielten und sie holte mich aus dem Auto. Die Gegend kam mit bekannt vor. Das war der Ort wo sie mich gefangen hatte. Was wollte sie hier mit mir? Ich verstand es nicht, aber ich verstand diese Frau allgemein nicht.
Sie ging ein Stück mit mir Richtung Waldstück. Nur zwei Waldstücke weiter war der Unterschlupf von mir und Kitty. Mein Herz schlug bis zum Hals, als die Frau mich am Rand der Baumgruppe absetzte und das Netz beiseite nahm. Ich konnte es nicht glauben. Sie ließ mich wieder frei? Wirklich?
Ich nutze die Gunst der Stunde und rannte los. Schnell trugen mich die Beine ins Gebüsch. Dort harrte ich versteckt und schaute zurück. Sie hatte mir nachgesehen, doch nun fesselte eine andere Katze ihre Aufmerksamkeit. Diese Schwarz-Weiße sah schlimm aus. Gerupft. Abgemagert. Sie schien alt und krank zu sein. Und sie hatte nur noch einen Stummel als Schwanz.
"Else meine Kleine. Wie geht es dir heute?" sprach die Frau mit der Katzendame, ich konnte sie hören wenn ich mich anstrengte. "Ich kann es immer noch nicht fassen das Menschen euch so was antun. Einfach den Schwanz abhacken. Und dann zurücklassen. Sei froh das ich dich gefunden habe und dir helfen konnte. Hier hast du was zu futtern."
Auch diese Worte verstand ich nicht, aber bei dem Wort abhacken und zurücklassen zog sich Etwas in mir Zusammen. Irgendwie würde ich diese Frau vermissen, das wusste ich, als ich mich abwandte und in Richtung Kittys Geruch davon lief.


Wiedersehen und ein Anderer



Ich brauchte nicht lange bis zum Unterschlupf, der jedoch leer war. Keine Kitty. Und es roch nicht so, als wenn sie vor kurzem hier gewesen wäre. Ihr Geruch war auch nicht mehr frisch. Vom letzten Tag, wenn ich das richtig aufnehmen konnte. Doch wo war sie hin? Verwirrt schaute ich mich suchend um. Nichts. Sie war wirklich nicht hier.
Flugs drehte ich mich Richtung Stadt. Vielleicht war sie dort. Meine Pfoten trugen mich sicher und schnell durch die nun hereinbrechende Dunkelheit der Nacht. Der Mond blieb heute verschwunden, doch ich sah mit meinen scharfen Augen genug. Links von mir huschte eine Maus durch das Gras, doch ich interessierte mich jetzt nicht dafür. Ich lief einfach weiter.

Ich war schon eine Weile ziellos durch die leeren Straßen gelaufen. Ich konnte sie riechen, doch sehen konnte ich sie nicht. Kitty war vor nicht all zu langer Zeit diesen Weg gelaufen. Das verriet mir ihr Geruch, der langsam intensiver wurde. In meinem Sichtfeld tauchte der Park auf. Viele Stunden hatten wir dort zusammen am kleinen Teich verbracht. Hatten uns über alles mögliche unterhalten. Ich wusste gar nicht, das sie mir so sehr fehlen konnte. So sehr, das es weh tat. Tief in mir.
Der Asphalt unter meinen Pfoten wurde zu Gras. Ich rannte weiter, immer geradeaus, zum Teich hin. Meine Augen suchten die Umgebung ab. Ich hörte das sanfte Plätschern des Wassers. Die Wellen, die sich am Ufer brachen. Ich hoffte so sehr sie dort zu sehen.

Da war sie. Ihr getigertes Fell hob sich mystisch vom Spiegelbild des Mondes im Wasser ab. Ich freute mich. Ich freute mich wirklich sie zu sehen. Ich nahm den Anderen nur am Rand wahr. Rot getigertes Fell. Und es versetzte mir einen Stich einen Anderen an ihrer Seite zu sehen. Doch dafür war noch Zeit.
Sie hörten mich. Ich wollte auch gar nicht leise sein. Überraschung in den wunderschönen, grünen Augen von Kitty. Und ehrliche Freude, als sie sah wer da auf sie zu kam. Sie stand auf, lief mir geschmeidig einige Schritte entgegen. Hatte sie mich auch vermisst?
"Nobody." hauchte sie mir voller Wärme in der Stimme zu. "Mein kleiner Freund. Wo warst du? Ich habe dich gesucht."
Ich schmiegte meinen Kopf an ihren. Es tat gut ihre Wärme zu fühlen. Ihr wieder nah zu sein. Wie sehr hatte ich das die Tage ohne sie vermisst. Nun hatte ich es wieder.
"Das ist er also. Der Niemand." durchbrach eine heisere Stimme die traute Zweisamkeit. Leichte Belustigung schwang in der Stimme mit, aber auch so was wie Erleichterung.
Ich wandte mich von Kitty ab, dem Fremden zu, der diese Worte gesprochen hatte. Meine Ohren wanderten wie von selbst nach hinten. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Aus meiner Kehle kam eine Mischung aus Knurren und Fauchen, während meine gelben Augen den Fremden musterten.

Es vergingen Minuten. Keiner von uns Dreien sagte etwas. Der Fremde starrte mich unverwandt an, wie ich dort stand. Knurrend und fauchend meinen Blick nicht von ihm wandte. Er sollte verschwinden. Was wollte er von Kitty? Von meiner Kitty?
"Verschwinde, Fremder." zischte ich ihn an. "Lass sie in Ruhe. Sie gehört zu mir."
"Ach? Sie hat deinen Namensstempel? Tut mir Leid, hab ich nicht gesehen" lachte mir der Fremde zu und wandte seinen Blick kurz auf Kitty, die nur dastand, überrascht von dem Geschehen. "Und warum bitte hast du sie dann zurückgelassen in Sorge um dich? Sie hat die ganze Stadt nach dir abgesucht!"
Nun war ich es, der Kitty anstarrte. Sie hatte sich wirklich Sorgen gemacht um mich? Und die Stadt nach mir abgesucht? Tagelang? Nun sah ich auch, wie erschöpft sie war. Ihr Fell schien schon länger nicht mehr sorgfältig gepflegt worden zu sein. Und Ihre Augen hatten einen müden Glanz.
"Nobody beruhige dich. Branko hat mir geholfen bei der Suche nach dir. Glaub mir, er ist unser Freund." versuchte mich die zierliche Katzendame zu beruhigen. Und es gelang ihr auch. Ich entspannte mich und musterte den Kater nun mit freundlichen, aber dennoch misstrauischen und forschenden Blick.
"Nun bleib mal ganz ruhig, Kleiner. Ich wäre der Letzte, der dir die Freundschaft zu Kitty nehmen will. Ich weiß was es heißt sie als Freundin zu haben, auch wenn es bei mir und ihr nicht so intensiv ist, wie zwischen euch. Ich kenne sie schon sehr lange. Sah sie vor einigen Tagen dann wieder. Erschöpft und in Sorge um dich."

Wir hatten uns viel zu erzählen. Beide lauschten meinem Bericht der vergangenen Tage. Ich vermied es geschickt zu sagen, das ich die Frau irgendwie vermisste. Kitty sagte mir, das nun auch mir der Trieb genommen war. Es erklärte, warum ich mich anders fühlte, aber nicht sagen konnte warum. Auch Branko war kastriert. Er wurde wie auch Kitty damals von den Menschen im Stich gelassen und streunte seither alleine durch die Welt. Seit kurzem erst war er in diese Stadt gekommen. Und er wollte bleiben. Kitty freute es. Ich konnte nicht beschreiben was dieser Entschluss bei mir auslöste.


Höhen und Tiefen



Alles war wieder so, wie es vor meiner Gefangenahme war. Mit Ausnahme von Branko, der uns jetzt öfter auf unseren Streifzügen begleitete. Er war eigentlich ein ganz angenehmer Gefährte und ich brauchte nicht lange um ihn zu mögen. Zu unserem Unterschlupf kam er aber nie mit. Kitty meinte er wäre anders als wir. Er wäre lieber allein, auch wenn er unsere Gesellschaft als angenehm empfand. Die Zwei hatten sich früher kennen gelernt, bevor Kitty mich fand, und eine Weile gemeinsam umher gezogen. Doch die Getigerte sagte mir auch, das es anders gewesen war als unsere Beziehung zueinander.

So verging der Rest des Frühlings und der ganze Sommer ohne weiter Zwischenfälle. Ich war der Frau irgendwie dankbar, das sie mir den Trieb genommen hatte. Es lebte sich leichter ohne ihn. Ich verstand nun auch, was Kitty mir damals damit sagen wollte, das es ohne Trieb besser zu leben war. Ich konnte bei ihr sein ohne das mich Etwas wegziehen wollte. Und ich hatte Kontrolle über mich, in jeder Situation. Wenn ich mir vorstelle statt dieser Frau hätte mich ein Auto erwischt...

Zum zweiten Mal in meinem Leben kam der Winter über das Land. Ich war mittlerweile knapp ein Jahr alt. Mein Körper hatte sich gut entwickelt. Ich war muskulös und groß gewachsen. Kein Vergleich mehr zu dem kleinen Kitten, was Kitty gefunden und aufgezogen hatte. Sie hatte ihre sich selbst gestellte Aufgabe mehr als nur gut gemeistert. Das Leben fiel mir leicht. Und ich mochte es. Ich mochte sie. Wie eine Schwester.

Wir waren wiedermal auf dem Weg in die Stadt. Unsere Mägen verlangten nach Futter. Leise suchten sich Schneeflocken den Weg vom Himmel auf die Erde. Alles um uns herum war weiß. Schnee unter unseren Pfoten. Die Kälte spürten wir kaum durch unsere Winterfelle. Hinter uns Spuren im Schnee. Unsere Spuren. Nebeneinander, wie fast immer.
Wir hatten die ersten Häuser der Stadt hinter uns gelassen und steuerten die Tonnen eines Restaurants an. Hier gab es immer gutes Fressen für uns. So auch heute. Wir fanden Fressen in Hülle und Fülle. Eigentlich fanden wir immer Etwas um unsere Mägen zu füllen. Ich wusste jedoch aus Kittys Erzählungen, das nicht jeder Artgenossen solch ein gutes Leben, wie wir es hatten, führte.
Mir wurde bei diesem Gedanken immer ganz komisch. Wie gerne würde ich den Anderen etwas von diesem Festmahl abgeben. Ich verstand nicht wieso die Menschen - Kitty hatte mir erzählt das wir einst wild waren und von den Menschen gezähmt wurden, was aber schon sehr lange her war - unsere Art gezähmt hatte, nur damit wir jetzt im Schatten ihres Daseins dahin vegetierten.

Wir befanden uns auf dem Rückweg zu unserem Unterschlupf, als Kitty plötzlich erstarrte. Ich folgte ihrem Blick und was ich sah, ließ mich ebenfalls erstarren. Wir hatten Branko ein paar Tage nicht gesehen. Das war nicht ungewöhnlich für den Streuner. Doch nun wussten wir beide, das wir ihn nie wieder sehen würden.
Auf der anderen Seite, am Rand der Straße lag er. Ich wusste das sein Körper sich kalt anfühlen würde. So kalt wie damals der Körper meiner Mutter. Branko bewegte sich nicht. Und er würde sich nie mehr bewegen. Branko war tot. Ich konnte sehen das der Schnee um ihn herum rot gefärbt war. Ich konnte mir denken, wie er gestorben war. Ein Auto, wie damals bei meiner Mutter.
Kitty begann zu zittern. Sie hatte Branko gemocht. Die Beiden hatten eine Freundschaft geführt, die lange Zeit und weite Entfernungen überstanden hatte. Und nun hatte der Tod ihre Freundschaft für immer genommen. Ich konnte mir vorstellen, wie sie sich fühlte. Bestimmt ungefähr so, wie ich, als ich meine Mutter gefunden hatte.
Ich schmiegte mich an den zitternden Körper der Katzendame und drückte sie sanft weg, Richtung unserem Unterschlupf. Ich wusste nicht wie ich sie trösten sollte. Nur es war nicht gut hier zu verharren, im Licht der Straßenlaterne. Die Menschen konnten uns sehen. Kitty gab schließlich nach und lies sich von mir richtig Unterschlupf führen.
"Ich konnte mich nicht mal verabschieden." hauchte sie leise und mit Trauer in der Stimme. Ich schwieg. Was sollte ich auch sagen?


Fast tot



Kitty trauerte. Sie zeigte es zwar kaum, aber ich wusste es. Ich lies sie machen, was immer sie wollte. Und ich war für sie da, so wie sie damals für mich da war. Sie dankte es mir auf ihre Art. Mit ihren Blicken. Es brauchte keine Worte zwischen uns. Wir verstanden uns auch so.
Ich zog die nächsten Tage alleine los und holte Fressen für uns. Ich fand es nicht weiter schlimm. Damals als ich noch klein war, hatte Kitty das auch für mich getan. Ich war froh ihr wenigstens ein wenig von dem, was sie für mich getan hatte, zurück geben zu können.

Ich war wiedermal allein in der Stadt. Mein Magen knurrte. Ihrer auch, das wusste ich. Die Sonne lies den Schnee unter meinen Pfoten tauen. Dennoch war es kalt. Ein kühler Wind wehte aus Norden. Mein Weg führte mich zielsicher zum Marktplatz. Zwar sammelten sich hier die Menschen, aber es gab gutes Futter. Überall standen Stände, von den aus es verführerisch duftete.
Ich tarnte mich so gut es mit schwarzem Fell auf weißem Schnee möglich war. Lautlos huschte ich von Stand zu Stand, bis ich endlich den Geruch von Brathähnchen roch. Alle meine Sinne waren geschärft, als ich mich langsam und bedacht ins Innere des Standes vor schlich. Der Mann schien mich gar nicht zu bemerken, als ich lauernd in der hintersten Ecke auf meine Chance wartete.
Da war sie. Blitzschnell sprang ich vor, schnappte mir das nächst beste Hähnchen und rannte los. Hinter mir hörte ich den Aufschrei, der durch die Menge ging. Doch ich drehte mich nicht um. Ein leichtes Grinsen lag auf meinem Gesicht. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie dümmlich dieser Mensch geschaut hatte, als er begriffen hatte was geschehen war. Doch ich war schon zu weit weg, als das er mich noch finden oder kriegen würde.
Ich muss unvorsichtig gewesen sein, in Gedanken verloren. Ich hörte es nicht kommen. Die Gefahr, auf die ich sonst immer besonders achtete. Es erwischte mich an meiner Hinterhand. Das Hähnchen lies ich fallen, als der Schmerz mich durchzuckte. Ich hatte nicht aufgepasst auf die Straße. Die Autos. Und das war mir zum Verhängnis geworden.

Langsam kam ich wieder zu Bewusstsein. Mein Körper schmerzte. Besonders meine Hinterbeine. Meinen Schwanz konnte ich kaum fühlen. Das Hähnchen lag im Schnee vor mir. Ich lag am Straßenrand. Ich wusste nicht wie lange ich da gelegen hatte, doch ich musste weiter. Unter Schmerzen schleppte ich mich weiter. Ich wusste es war nicht mehr weit zum Unterschlupf. Das Hähnchen lies ich einsam zurück. Ich hatte keine Kraft es mit zu nehmen.

Ich spürte Wärme neben mir. Langsam schlug ich die Augen auf. Alles tat mir weh. Ich lag auf der Seite. Wie war ich zur Höhle gekommen? Ich wusste es nicht, aber ich war da. Die Schmerzen in meinen Hinterbeinen waren fast unerträglich. Vor mir lag die Hälfte des Hähnchens, welches ich für Kitty und mich holen wollte. Bis das Auto mich erwischt und verletzt hatte.
"Nobody. Kleiner Freund."
Ich vernahm Angst in der Stimme von Kitty. Langsam wandte ich den Kopf, sah in ihre vor Angst geweiteten grünen Augen. Sie war hier. Sie war bei mir. Alles würde gut werden.
"Was ist passiert? Bitte bleib bei mir. Nicht auch noch du. Erst Branko. Jetzt du. Bitte bleib bei mir, Nobody!" flehte Kitty leise, während ich schon wieder in die Dunkelheit flüchtete.

Ich weiß nicht wie lange ich weg gewesen war. Irgendwann erwachte ich. Durch den Eingang kam Licht in die Höhle. Kitty war nicht da. Das Hähnchen auch nicht mehr. Mein Magen knurrte. Und noch immer hatte ich Schmerzen, die mich fast um den Verstand brachten. Wo nur war Kitty.
Wie auf Kommando erschien die zierliche Katzendame im Höhleneingang und ich freute mich unglaublich sie zu sehen. Meine Kitty.
"Kitty. Meine Kitty." murmelte ich leise und mit erstickter Stimme. Mein Hals war rau. Es fiel mir schwer zu sprechen. Alles tat weh.
"Nobody. Du bist wach." lies die Getigerte überrascht ihre Stimme erklingen und kam auf schnellen, leisen Pfoten zu mir. "Wie geht es dir? Was ist passiert? Ich hab gedacht ich verliere dich. Als ich dich sah wie du dich her geschleppt hattest. Und dann zusammengebrochen bist. Ich habe dich hierher geschliffen und hatte solche Angst, du wachst nicht mehr auf."
Ihre Stimme wurde zum Ende hin immer leiser und verstummte dann ganz. Sie hatte Angst gehabt. Angst das ich sie allein lasse. Das ich sterbe, so wie Branko. Doch ich war hier und kämpfte gegen die mich rufende Dunkelheit an.
"Ein Auto. Kitty. Es hat mich erwischt. Ich habe solche Schmerzen Kitty. Ich verlass dich nicht. Es tut so weh." antwortete ich ihr mühsam und schaute sie mit schmerzerfüllten Blick an.
"Du musst dich ausruhen, kleiner Freund. Du musst wieder gesund werden. Ich werde für dich sorgen und für dich da sein, wenn du mich brauchst." murmelte die Tigerdame leise und schmiegte sich an mich, ehe ich wieder in die Dunkelheit verschwand.


Eine 2. Chance



Kitty kümmerte sich rührend um mich. Die Schmerzen plagten mich Wochen lang, doch ich kämpfte. Für sie. So wie ich damals geschworen hatte nicht aufzugeben, weil meine Mutter es sich nicht verziehen hätte. Ich kämpfte und ich gewann den Kampf. Ich merkte wie es mir langsam wieder besser ging. Ich konnte meinen Schwanz wieder fühlen. Der Schmerz in den Beinen lies nach. Ich hatte wieder richtigen Appetit. Und das alles hatte ich der Getigerten zu verdanken.

Irgendwann war es soweit. Ich tat unter Schmerzen meine ersten Schritte, als Kitty auf Futtersuche war. Sie hatte mir verboten aufzustehen, doch irgendwann musste ich wieder laufen. Es war ungewohnt. Ich hatte wochenlang nur da gelegen und ohne Kitty wäre ich verloren gewesen. Doch sie war da gewesen, die ganze Zeit.
"Nobody!" rief die Getigerte plötzlich erschrocken. "Leg dich wieder hin! Es muss heilen. Wenn du läufst wächst der Bruch nicht richtig zusammen!"
Erschrocken zuckte ich zusammen. Sie war so schnell wiedergekommen. Und wieder sorgte sie sich um mich. Ich erwiderte ihren sorgenvollen Blick mit einem wie ich hoffte belustigten Blick. Hoffentlich sah man mir meine Schmerzen nicht an.
"Es geht schon, Kitty. Schau, ich kann wieder laufen." sprach ich, als meine Hinterbeine mir müde und schmerzvoll nachgaben. Ich lies mich auf die Seite fallen. Mir wurde schwindelig und schwarz vor Augen.
"Ein paar Tage noch, kleiner Freund. Dann versuchen wir es zusammen. Versprochen." In ihrer Stimme lag soviel Wärme und Zuneigung mir gegenüber.

Weitere Wochen verstrichen. Der Schnee machte wieder dem Frühling Platz. Kitty hatte ich Versprechen gehalten. Mit ihr als Stütze lernte ich wieder laufen. Mittlerweile ging das wieder recht gut. Nur manchmal, bei plötzlichem Wetterumschwung hatte ich Schmerzen in den Hinterbeinen. Doch es war auszuhalten. Nichts im Vergleich zu den Schmerzen nach dem Unfall.
Das Band zwischen mir und Kitty war durch den Unfall noch intensiver geworden. Sie hatte mir erzählt wie groß ihre Angst gewesen war mich zu verlieren. Wie sie sich gefühlt hatte. Das sie kaum schlafen konnte. Und keinen richtigen Hunger hatte. Und wie es sie gefreut hat zu sehen das ich wieder auf die Beine kam.
Ich war nun auch schon anderthalb Jahre alt. Ich und Kitty waren schon so lange zusammen. Ich versuchte mir vorzustellen wie ich mich gefühlt hätte, wäre ich an ihrer Stelle gewesen und sie hätte fast tot in der Höhle gelegen. Es war ein grausamer Gedanke, über den ich nicht weiter nachdenken wollte.


Die Zeit vergeht wie im Flug



Nachdem ich vollständig gesund war, lief mein Leben mit Kitty wieder geregelte Bahnen. Wir lebten in den Tag hinein und es ging uns gut. Wir hatten uns. Das war mehr als wir uns je erträumt hatten. Wenn schon ein Unfall uns nicht trennen konnte, was dann? Wir würden auf ewig zusammen bleiben, so dachte ich in dieser Zeit. Und auch Kitty dachte so.

Wir saßen wieder mal, als die Sonne unterging, gemeinsam vor unserer Höhle und füllten unsere Mägen. Um uns herum der Spätsommer in all seiner Pracht. Hinter uns lag mehr als ein Jahr unbeschwertes Leben. Ich zählte nun fast 3 Lebensjahre. Und es waren bis auf wenige Ausnahmen wunderschöne Jahre gewesen. Zwar hatte ich auch Leid und Qual erfahren, auch gesehen, doch ich mochte mein Leben. So wie es war. Mit Kitty an meiner Seite. So könnte es für immer sein.
"Kleiner Freund?"
Ich mochte es wenn die Getigerte mich so nannte. Zwar war ich schon lange nicht mehr das kleine Kitten von damals, doch ich würde es immer schön finden, wenn sie mich so nannte. Es war Zeuge des Verbundenheit, die wir Beide hatten.
"Ich bin froh das mein Weg mich zu dir geführt hat. Damals. Mein Leben ist seitdem viel besser als früher. Ich hoffe du verstehst was ich meine?"
Und wie ich es verstand. Meine gelben Augen suchten ihre grünen Augen. Die Antwort lag in meinem Blick und Kitty verstand, ohne das ich etwas sagen musste. Leicht schmiegte sie ihren warmen Körper an meinen.

Es vergingen weitere Tage. Weitere Wochen. Weitere Monate. Es wurde Herbst. Dann Winter. Dann wieder Frühling. In unserem Leben passierte nichts Außergewöhnliches. Man traf uns nach meinem Unfall nur noch zusammen. Bei unseren Freunden und Artgenossen waren wir schnell die Unzertrennlichen. Gab es früher vereinzelt Kater, die meinen Platz einnehmen wollten, so wollte dies nun keiner mehr. Vielleicht lag das auch daran, das ich bis zum bitteren Ende um den Platz an ihrer Seite gekämpft hätte und man mir das ansah? Ich weiß es nicht, aber es war gut nicht kämpfen zu müssen.
Die Zeit verging fiel zu schnell. Mein Leben zählte nun schon dreieinhalb Jahre. Dreieinhalb Jahre in denen ich die meiste Zeit mit Kitty zusammen war. Wir taten alles zusammen. Umherstreunen. Futter beschaffen. Fressen. Schlafen. Trinken. Wirklich alles. Ich konnte mir unmöglich vorstellen von ihr getrennt zu sein. Und auch sie konnte es nicht, wie sie mir mehrfach in Gesprächen erzählte. Und es tat gut das auch sie so empfand.


Nichts ist für die Ewigkeit



Der Sommer hatte gerade begonnen. Überall um uns herum erblühte die Welt. Unser Waldstück grünte und blühte ebenfalls. Ich mochte den Sommer. Ich mochte es, wenn die Sonne mein schwarzes Fell erwärmte. Und Kitty sich neben mir genüsslich in der Sonne reckelte. Manchmal hatte sie wirklich komische Stellungen drauf.

Es war ein sonniger, schöner Tag. Nichts deutete daraufhin, das sich heute etwas ändern würde. Das unsere Leben sich komplett wenden würde. Und doch sollte es geschehen.
Wir waren auf dem Weg zum Futter holen. Seite an Seite. Wie Immer. Gingen den Weg zum Würstchenstand in trauter Zweisamkeit. In ein Gespräch vertieft. Ich mochte sie. Und wie ich sie mochte. Wie eine Schwester. Ich wollte immer für sie da sein und sie immer für mich. Nichts konnte uns trennen.
Gemeinsam schlichen wir uns an den Stand. Wir waren oft hier und holten uns, was wir wollten. Der Mensch war so dumm. Er hatte nie begriffen das wir immer wieder kamen. Es war alles so einfach. Ich ignorierte die innere Stimme, die mich warnen wollte. Irgendwas war anders, doch ich wollte es nicht wahr haben.
Da war unsere Chance. Wir sprangen auf den Stand, schnappten uns jeder ein Würstchen. Wir liefen Seite an Seite los. Lachend über die Dummheit des Menschen. Wir waren glücklich. Und freuten uns über die gemeinsame Tat, die uns wieder ein Festmahl bescheren würde. Gemeinsam im Sonnenuntergang. Darauf freuten wir uns Beide. Alles wie immer.
Plötzlich traf mich Etwas in der Rippengegend. Ich wurde aus dem Lauf gerissen. Erschrocken und geschockt ließ ich das Würstchen fallen. Ich sah Kitty, wie sie stehen blieb und sich nach mir umsah. Ich sah ihren vor Angst geweiteten Blick. Dann spürte ich Schläge. Schmerzen. Mir wurde schwarz vor Augen.
Kitty. Lauf. Bleib nicht stehen. Lauf Kitty. Es wird alles gut werden. Glaube mir. Alles wird gut. Lauf.



Es war dunkel um mich herum. Ich hörte Geräusche, die mir in den Ohren schmerzten. Mir war übel. Alles tat mir weh. Was war geschehen? Hatte mich wieder ein Auto getroffen? Ich hatte nichts gehört. Und auch das Gefühl war anders gewesen.
"Das kann wirklich nicht wahr sein. Ich hab gesehen wie dieser Jugendliche auf ihn ein geprügelt hat. Selbst als er schon reglos am Boden lag, hat das Arschloch einfach nicht aufgehört."
Ich kannte diese Stimme. Sie kam mir so bekannt vor. Ich wollte die Augen öffnen, doch es ging nicht. Wo war ich? Und warum war ich hier? Und wieso wusste ich, das es in diesem Gespräch um mich ging?
"Er hat schwere Prellungen. Eine Rippe ist gebrochen. Ebenso der Schwanz. Innere Verletzungen hat er zum Glück keine. Ich hoffe so sehr das er wieder auf die Beine kommt."
Die Stimme in meinen Ohren schmerzte. Ich wollte sie nicht hören und flüchtete dankbar in die schmerzfreie Dunkelheit.

Ich weiß nicht wie lange ich in der Dunkelheit verharrt hatte. Irgendwann jedoch erwachte ich. Ich kannte diesen Raum. Er kam mir bekannt vor. Und ich wusste auch woher. Hier war ich gewesen, als mich diese Frau gefangen hatte. Nach der Kastration war ich tagelang hier gewesen. Warum war ich nun schon wieder hier.
"Nobody. Du bist endlich aufgewacht. Ich dachte schon du wachst gar nicht mehr auf." sprach mich eine Stimme an, mit Freude und Trauer.
Ich wandte erschöpft den Kopf. Ich hatte nur leichte Schmerzen, doch erschöpft war ich dennoch. Mein Magen krampfte. Wie lange hatte ich nichts zu mir genommen? Ich erblickte sie. Die Frau, die mich damals gefangen hatte. Und ich spürte Etwas, was mich grob an Kittys Zunge auf meinem Fell erinnerte. Ich war zu schwach mich zu wehren, als ich sah das sie es war, die mich berührte.
"Was dieser Kerl dir angetan hat. Armer Nobody. Ich habe dich nach damals nie wieder gesehen. Ich dachte du bist weiter gezogen. Und dann finde ich dich so wieder. Reglos am Boden liegend. Ich werde es nie verstehen, warum Menschen euch so was antun."
Langsam kamen Erinnerungen wieder. Verwischte Bilder vor meinem inneren Auge. Ein Mensch, der die Hand hob und auf mich einschlug. Kitty, wie sie da stand. Ihre vor Angst geweiteten Augen. Kitty. Wo war sie und wie ging es ihr? Ich merkte das irgendwas mit meinem linken Auge nicht stimmte. Ich konnte nicht richtig sehen. Irgendwie als wenn ein Schatten über allem lag.
"Ganz ruhig. Es wird alles gut. Du wirst hier bleiben dürfen. Dein linkes Auge hat Schaden davon getragen. Aber hier wird es dir an nichts mangeln. Ich werde für dich da sein, bis zum Ende."
Die Aussichten gefangen zu bleiben für den Rest meiner Tage machten mir Angst, doch gleichzeitig wusste ich, das es das Beste für mich war. Der Gedanke Kitty nie wieder zu sehen schmerzte mich enorm. Ich wollte zu ihr. Zu meiner Kitty. Doch in der Stimme der Frau lag Etwas, was mich irgendwie beruhigte und mir sagte, das es sinnlos wäre einen Versuch zu starten zu der Getigerten zu kommen. Und das alles gut werden würde.


Ohne Kitty

Ich kam schnell wieder auf die Beine unter der Pflege der Frau, die den Namen Jasmin trug. Ich hatte keine Sorgen. Futter bekam ich immer von ihr hingestellt. Das erinnerte mich an die Geschichte von Kitty. Allgemein kreisten meine Gedanken meist um sie. Ich vermisste sie. Oft saß ich stundenlang am Fenster und sah hinaus in die Welt. Wie oft waren wir durch diese Straßen gelaufen? Zusammen, als Team. Das es nun nicht mehr gab. Wie es ihr wohl ging?
Ich durfte mich nicht viel bewegen. Genauso wie damals nach dem Autounfall. Die Frau brachte mir mein Futter, genau so wie es damals Kitte getan hatte. Sie erinnerte mich allgemein sehr an Kitty. Ihr sanfter, warmer Blick mit dem sie mich oft anschaute. Auch die Getigerte hatte mich oft so angeschaut. Ich vermisste sie wirklich sehr. Ihre Stimme. Ihre Augen. All das, was ich wohl nie wieder sehen würde. Und diese Gedanke tat irgendwo tief in mir verdammt weh. Ich hatte sie gemocht. Ja ich würde sogar sagen ich hatte sie geliebt. Wie eine Schwester.

Die Tage zogen ins Land. Ich hatte es gut bei dieser Frau, doch ich vergaß nie Kittys Worte. Und deswegen blieb ich misstrauisch ihr gegenüber. Zwar bewegte ich mich frei im Haus, nachdem sie mir den Zugang zu allen Räumen ermöglichte, doch anfassen lies ich mich von ihr nicht. Noch nicht jedenfalls.

Ich lernte die anderen Katzen im Haushalt kennen, doch Keine von ihnen war wie Kitty. Alle hatten ihre Geschichte. Alle hatten schlechte Erfahrungen mit den Menschen gemacht. Und alle sagten mir das Jasmin sie gerettet hatte. Das Jasmin oft so was tat. Das eigentlich ihr ganzes Leben daraus bestand. Und das sie ein guter Mensch war. Ein Tierschützer, wie ich es damals schon vermutet hatte, nachdem sie mich das erste Mal gefangen hatte.

Irgendwann lies ich Jasmin an mich ran. Ich weiß noch genau wie die Freude in ihrem Blick leuchtete. Und wie sich ihre Hand auf meinem Fell anfühlte. Sie war glücklich. War ich es auch? Ich hatte alles was ich brauchte. Hatte keine Sorgen mehr. War keinen Gefahren mehr ausgesetzt. Und doch fehlte mir Etwas. Besser gesagt Jemand. Kitty. Auch Jasmin merkte das mit Etwas fehlte, doch sie wusste nicht was. Wie sollte sie es auch wissen? Manchmal konnte ich Sorge in ihrem Blick sehen, wenn sie mich ansah, wie ich im Fenster saß und an Kitty dachte.

Und so wich der Sommer dem Herbst - ohne Kitty an meiner Seite.


Epilog

Hier liege ich. Im Fenster. Sehe in die Welt hinaus. Mein Leben zählt nur etwas über 4 Jahre, doch ich habe soviel erlebt und soviel gesehen. Kitty habe ich leider nie wieder getroffen. Ein Mal war ich der Meinung sie drüben an der Hausecke gesehen zu haben, doch sie war so schnell wieder verschwunden, das ich mir nicht wirklich sicher sein kann. Vielleicht auch nur ein Trugbild, projiziert aus meinem Wunsch sie nochmal zu sehen. Ich habe der hübschen Katzendame soviel zu verdanken. Und ich wünsche ihr vom ganzen Herzen, das sie Jemanden trifft wie ich. Einen Menschen, der ihr zeigt das es doch noch gute Menschen auf Erden gibt. Ich weiß das es sie mehr als nur freuen würde zu leben, so wie ich es nun tue. Friedlich und ohne wirkliche Sorgen.
Ich höre Jasmin. Sie ist traurig. Ich habe vor einigen Tagen gehört wie "Er wird sterben" aus ihrem Mund kam, als sie mit einer Freundin sprach. Ich weiß das ich damit gemeint bin. Doch ich habe keine Angst mehr. Ich habe ein schönes Leben. Jetzt. Und so möchte ich gehen. Mit dem Gefühl geliebt zu werden. Mit dem Gefühl Jemanden zu haben, dem man Etwas bedeutet hat. Es tut mir Leid für sie. Ich merke das es sie traurig macht. Ich würde sie so gerne trösten, ihr sagen das sie nicht traurig sein soll. Doch es geht nicht. Es bleibt mir nur, ihr meine ganze Liebe zu geben.
Jeden Tag gibt sie mir Tabletten. Ich mag den bitten Geschmack nicht, aber ich merke das es mir hilft. Es nimmt die Schmerzen, die ich hatte, bevor meine Krankheit entdeckt wurde. Folge von Vermehrung ohne Sinn und Verstand, hat sie es genannt. Ich bin ihr so dankbar dafür. Dennoch merke ich wie meine Zeit dahin geht. Ich habe kaum noch Hunger. Ich fresse schon lange schlecht. Ich werde so schnell müde. Wie gerne würde ich mit Jasmin spielen, aber ich habe schon länger keine wirkliche Kraft mehr. Es tut mir Leid.
Sie kommt zu mir. Sie weint. Hat den Tierarzt dabei. Ist es wirklich schon soweit? Ich würde gerne noch länger für sie bleiben, aber ich weiß es geht nicht. Ich werde friedlich sterben, das spüre ich tief in mir. Mit ihr an meiner Seite. Mir ihrer Liebe als Wegweiser. Es tut mir wirklich Leid. Ich würde so gerne noch für sie.
Der Tierarzt. Ich war nie gerne bei ihm gewesen, aber es war immer zu meinem Besten. Sie wollte immer nur das Beste für mich. Der einzige Mensch, der das für mich wollte. Und dafür bin ich ihr so unendlich dankbar. Ich wünsche mir so sehr das sie das weiß. Sieht sie meinen warmen, von Liebe erfüllten Blick, mit dem ich sie ansehe?
Ich spüre die kalte Nadel in meiner Haut. Ich weiß das es zu Ende geht. Sie tut es für mich, das weiß ich. Und ich bin dankbar dafür. Ihre Tränen auf meinem Fell, Zeugen der Liebe, die sie für mich empfindet. Ich lecke ihr sanft mit meiner rauen Zunge über die Hand. Und ich sehe ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht.
Ich fühle wie mir anders wird. Ich werde müde. Gleichzeitig fühle ich mich von Ruhe und Frieden erfüllt. Gleich wird es vorbei sein. Und es ist der richtige Weg. Ich hab bis zum Schluss bekommen, was ich nie gedacht hätte - Liebe, Geborgenheit und ein Zuhause für Immer.
Kitty. Lange haben wir uns schon nicht mehr gesehen. Vergessen habe ich dich nie. Ich hoffe du mich auch nicht? Ich habe dir soviel zu verdanken. Ich wünsche dir nur das Beste. Frauchen, auch dir habe ich soviel zu verdanken. Ich werde auf euch beide warten. Drüben auf der anderen Seite. Und irgendwann sehen wir uns wieder.


Müde schließe ich die Augen. Nochmal sehe ich Kitty und mein Frauchen Jasmin vor meinem inneren Auge. Ich bin glücklich. Ich hab soviel Gutes erleben dürfen. Schließlich ruft mich der ewige Schlaf.

Sie schaut aus dem Fenster. Leise fallen die ersten Schneeflocken dieses Jahr. Tauchen alles unter eine weiße, weiche Schneedecke. Der Himmel hat einen Engel mehr. Irgendwann wird sie alle wiedersehen. Und bis dahin wird sie weiter machen. Für die Tiere...

Traurig und Einsam geht sie ihren Weg nach Hause, nachdem sie Nobody der Erde übergeben hatte. Er würde ihr fehlen, auch wenn die gemeinsame Zeit so kurz war. Ein Geräusch lässt sie aufschauen. Ihre Augen erblicken eine getigerte, zierliche Katzendame mitten im Schnee. Langsam geht sie auf die Getigerte zu.
Nobody hätte es so gewollt, denke ich. Niemand wird seinen Platz einnehmen, aber ich habe genug Platz für euch alle. Ich werde für dich da sein, so wie für ihn.


Große, wunderschöne, grüne Augen schauen sie ängstlich und misstrauisch an...

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 29.07.2010

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Widmung:
"Tierschutz ist Erziehung zur Menschlichkeit." ( Albert Schweitzer )

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