Cover


1
Mit dem letzten Glockenschlag, der den Samstag einläutete, klopfte es an Audrey Lavalles Türe. Audrey sah blinzelnd vom Text auf, an dem sie arbeitete. Sie runzelte die Stirn. Ein Klopfen um diese Zeit gehörte eher in die Kategorie 'unheimliche Vorkommnisse'. Und nachdem, was Dupont passiert war ... Es klopfte erneut. Audrey seufzte: Was, wenn jemand ihre Hilfe benötigte? Sie rutschte von ihrem Sessel, zog die Schublade ihres Schreibtisches auf und holte ihre Ruhmeshand hervor. Die abgeschnittene Hand eines Gehängten trug an jedem Finger einen geladenen Ring. Audrey fasste den Daumen der mumifizierten Hand, worauf deren restliche Finger sich sanft auf ihren Handrücken legten. Wie der Verkäufer ihr geraten hatte, hielt sie die Ruhmeshand nahe an ihrem Körper. Der Stumpf, aus dem der Fluch bei Bedarf abgefeuert wird, wies nach vorne. So gewappnet schlich Audrey auf Zehenspitzen hinunter zur Tür.
In der Mitte der massiven Eichenplatte war ein Spion eingelassen. Rasch warf sie einen Blick hindurch. Nichts. Den Platz vor ihrer Türe beobachtend, wartete sie eine Weile. Das Nichts blieb stur bestehen. Audreys Neugier gewann die Oberhand. Sie zog vier massive Riegel zurück. Drehte den Schlüssel. Riss die Türe auf. Zielte mit der Ruhmeshand in die Dunkelheit. Weiterhin nichts. Vorsichtig tat sie einen Schritt nach vorne. Unter ihrem linken Fuß knisterte etwas. Sie sah zu Boden. Dort lag ein Briefumschlag. Mit spitzen Fingern hob sie ihn auf. Ihr Name stand darauf. Geschrieben in einer altertümlich anmutenden Schrift. Auf der Rückseite prangte ein Siegel. Vier Buchstaben waren im Wachs zu erkennen: HVDD.
Audrey trat zurück in ihre Stube, schloss die Tür ab und legte die Riegel vor. Sie setzte sich in einen der beiden Ohrensessel vor dem Kamin. Die Ruhmeshand legte sie auf den Salontisch. Unsicher starrte sie auf den Brief, drehte ihn erneut hin und her, hielt ihn gegen das Licht des Feuers. Sie gab sich einen Ruck, brach das Siegel und entfaltete das Dokument. Bis auf ihren Namen war es leer. Was zum Teufel …?
Was war das? Audrey spitzte die Ohren. Sie hörte ein zunehmendes Rauschen. Es kam ... aus dem Brief.
Audreys Augen weiteten sich. Sie sprang auf, knüllte das Papier zusammen, warf es in die Flammen im Kamin. Einen Moment lang herrschte Ruhe. Dann schoss eine Wassersäule in den Salon und riss Audrey von den Füßen. In Panik rappelte sie sich auf und rannte zur Tür. Kaum hatte sie den ersten Riegel zurückgezogen, wand sich Seetang um ihre Beine. Unerbittlich wurde sie zurück ins Zimmer gezogen. Audrey schrie und schlug um sich, versuchte sich irgendwo festzuhalten. Mehr und mehr Seetang wickelte sich um ihren Körper. Kurze Zeit später lag sie, einer grünen Mumie gleich, am Boden. Einzig ihre Augen konnte sie bewegen. Das Wasser bildete einen rasch wachsenden aber begrenzten Raum um sie herum. Für einen Außenstehenden hätte es ausgesehen, als würde sich ein flüssiger Sarkophag bilden. Schon leckte es an ihren Wangen, an ihren Mundwinkeln. Es schmeckte salzig. Trotzig presste Audrey ihre Lippen aufeinander. Dem Wasser war das egal. Es stieg, bis es durch die Nase Eingang in ihre Lungen fand. Ihr Todeskampf war kurz und heftig. Das Wasser floss zurück in den Brief, der unter den Sessel rutschte. Ruhe kehrte ein.

2
Es klopfte. »Ja, bitte?«, rief ich, schwang meine Beine vom Schreibtisch auf den Boden und ließ den Scroogeville Examiner in einer Schublade verschwinden. Den Artikel über ein Geisterschiff, das in den Gewässern vor der Stadt kreuzte, würde ich später fertiglesen.
Die Tür öffnete sich. Eine Frau in der Mitte der Zwanziger trat ein. »Mr. Bolt?«
»Ganz der Ihre, Miss …?« Ich sprang auf, hielt der Lady meine Rechte hin. Sie überraschte mich mit einem Händedruck, der von Entschlossenheit zeugte.
»Lavalle. Rose Lavalle.«
»Nehmen Sie Platz, Miss Lavalle.«
Ich wies auf den bequemen Sessel vor meinem Schreibtisch. Rose Lavalle setzte sich, strich ihren Rock glatt und sah mich unsicher an.
»Was führt Sie zu Demon's Eye, Miss Lavalle?«
»Der Mord an meiner Tante, Audrey Lavalle.« Miss Lavalle schniefte und wedelte mit ihrer Hand, als wollte sie verhindern, in Tränen auszubrechen.
»Erzählen Sie mehr«, bat ich, zog ein weißes Taschentuch aus meiner Brusttasche und reichte es meiner Besucherin. Aufmerksam beugte ich mich nach vorne ihr zu.
Rose Lavalle benutzte das Taschentuch, wobei sie sich diskret abwandte. Dann sah sie mir in die Augen. Die ihren hatten die Farbe von Flieder: »Ich befürchte, ich kann mir Ihre Dienste gar nicht leisten«, schniefte sie.
»Lassen Sie mich erst einmal hören, worum es geht«, ermunterte ich sie.
»Audrey, meine Tante, ist ertrunken. In ihrem Haus.«
»In der Badewanne?«, mutmaßte ich.
»Nein. Mitten in ihrem Salon.«
»Mitten in ihrem …«, ich verstummte.
»Ja. Und nirgends war Wasser. Außer in ihr.«
»Vielleicht ist es getrocknet oder aufgewischt worden?«
»Sie lag auf einem Teppich. Aufgewischt wurde es also sicher nicht. Getrocknet kann es ebenfalls kaum sein. Ich ging gegen elf Uhr zu Bett. Kurz nach zwölf hat mich ein Geräusch geweckt. Ich stand auf, ging in den Salon hinunter und fand meine Tante tot vor dem Kamin liegen.«
Ich dachte nach: Entweder hatte jemand Audrey Lavalle Wasser eingeflößt, bis sie ertrunken war. Das wäre jedoch schwierig gewesen, ohne den Teppich mit Wasser zu tränken. Oder jemand hatte Magie eingesetzt. Schwarze Magie. So oder so: Der Fall schien interessant zu sein.
»Gut. Wir unterstützen Sie.«
»Aber die Bezahlung?« Rose Lavalle war das Thema sichtlich peinlich.
»Keine Sorge. Wir sind finanziell unabhängig. Dafür nehmen wir nur Aufträge an, die uns fordern.«
»Oh. Vielen Dank, Mr. Bolt.«
»Keine Ursache. Dürfen wir uns im Haus Ihrer Tante umsehen?«
»Ich bitte darum, Mr. Bolt.« Miss Lavalle zögerte einen Moment. Ich wusste sofort weshalb. »Ach, Sie fragen sich, wer 'wir' ist«, sagte ich zu ihr. Darf ich Ihnen meinen Partner vorstellen: Dan Hazriel.«
»Zu Ihren Diensten, Miss«, schnurrte ein warmer Bariton hinter Rose Lavalle.
Erschreckt drehte sie sich um. Wie aus dem Nichts war eine Gestalt aufgetaucht. (Um der Wahrheit Ehre zu tun: Danhazriel, wie er eigentlich heisst, hatte lediglich auf einer Chaiselongue hinter einem Paravent gedöst, weshalb er Roses Aufmerksamkeit entgangen war.) Danhazriel ist knapp 1.60 Meter groß, fast so breit wie hoch und war extravagant in dunkelvioletten Samt gekleidet. Von der Hose über die Weste bis zum Gehrock. Einzig das Hemd war mitternachtsblau. Und die Stiefel schwarz. Aus seinem runden Gesicht blitzen verschmitzt zwei smaragdgrüne Augen. Ein Bart in der Farbe von Salz und Pfeffer wallt bis auf seine Brust. Ein schlohweißer Haarkranz umwuchert eine polierte Glatze. Die ganze Persönlichkeit verströmt etwas Großväterliches, Vertrauenerweckendes. Das war schon manch einem zum Verhängnis geworden. Danhazriel ist mein Partner – und ein Dämon. Ein netter, friedliebender. Meistens. Einer von der alten Garde. Aus der Zeit, als Dämon eine Art Geist bezeichnete, der von der Gesinnung her neutral war. »Entschuldigen Sie bitte, Miss Lavalle.« Galant schnappte sich Danhazriel die rechte Hand unserer Klientin und hauchte einen Kuss in Richtung ihres Handrückens, ohne diesen zu berühren. Rose Lavalle errötete zart. »Ich wollte Sie nicht erschrecken,« fügte Danhazriel hinzu. »Aber hin und wieder schimmert meine wahre Natur durch.« Miss Lavalle schaute mich fragend an. Ich zuckte mit den Schultern. Ablenkung war gefragt: »Lassen Sie uns zum Haus Ihrer Tante aufbrechen. Auf dem Weg dorthin erzählen Sie uns alles, was Ihnen im Zusammenhang mit dem Mord an Ihrer Tante einfällt.«

3
Mit Getöse ratterte unsere Droschke über das Kopfsteinpflaster. Wir wurden auf den hart gepolsterten Bänken tüchtig durchgeschüttelt. So bekam kein Gedanke die Chance, sich festzusetzen. Rose hatte eben geschildert, wie sie ihre Tante gefunden hatte. Sie wohnt in einem Zimmer im zweiten Stock desselben Hauses. Am Samstag war sie kurz nach Mitternacht herunter in den Salon gegangen. Dort lag Audrey regungslos vor dem Kamin. Den Kopf hatte sie in den Nacken gedrückt. Die Augen waren panisch aufgerissen. Ebenso ihr Mund. Rose hatte sofort die Constables gerufen. Diese waren mit Bill Marley, dem Leichenbeschauer gekommen, der – erwartungsgemäß – den Tod Audreys feststellte. Was sie umgebracht hatte, war hingegen unklar. Weder entdeckte Marley Einstich-, Schuss- oder Schlagwunden, noch fand er Erdrosselungsmale. Erst als er die Tote auf die Seite drehte, um ihren Rücken zu begutachten, floss ein wenig Wasser aus ihrem Mund. Daraufhin ließ Marley die Leiche auf den Bauch legen und einen Constable tüchtig auf ihren Rücken drücken. Ein Schwall dunkles, brackiges Wasser ergoss sich auf den Teppich. Sie war ertrunken.
»Hatte dei …, Ihre Tante Feinde?«, fragte ich.
»Nicht, dass ich wüsste. Sie lebte zurückgezogen und war bei allen, die sie kannten, beliebt. Als ich sie gefunden habe, lag allerdings ihre Ruhmeshand auf dem Tisch vor dem Kamin.«
Ob Audrey Lavalle mit einem Angriff auf ihre Person gerechnet hatte? Laut fragte ich: »Was war Ihre Tante von Beruf?«
»Audrey hat Kindern Schreibunterricht gegeben. Daneben führte sie eine Schreibstube. Sie schrieb Geschäfts- und Liebesbriefe.«
»Liebesbriefe«, echote ich, während ich laut überlegte. »Möglicherweise hat jemand das Können Ihrer Tante in Anspruch genommen. Der Erfolg ist ausgeblieben und die Person hat daraufhin Ihre Tante aus Wut umgebracht?«
»Keine Ahnung«, antwortete Rose. »Vielleicht?«
Mich selbst überzeugte die Theorie nicht.
»Stellten Sie im Salon, wo Sie Ihre Tante fanden, eine Veränderung fest?«, fragte Danhazriel. »Fehlt etwas?«
Rose legte ihre Stirn in Falten: »Aufgefallen ist mir nichts. Aber ich habe auch nicht darauf geachtet. Ich werde das nachholen, sobald wir zu Hause sind.« Den Rest der Fahrt verbrachten wir in nachdenklichem Schweigen.

4
»Salzwasser. Eindeutig Salzwasser«, sagte Danhazriel und wischte seinen Zeigefinger am Gehrock trocken. Eben hatte er den Finger mit der Zunge befeuchtet, damit einen Fleck auf dem Teppich berührt und anschließend abgeleckt. Fast hätte sich mein Frühstück einen Weg zurück ans Licht gebahnt. Das Wasser war vor Kurzem in einer Leiche gewesen. Igitt! Ich war froh, dass Rose dies nicht mitbekommen hatte.
»Nun ja. Der Hafen ist nah«, meinte ich lahm.
»Das ist nicht alles, Damian«, raunte Danhazriel mir zu. »Daneben spüre ich Reste starker Magie. Das war definitiv kein normales Verbrechen!«
Ha! Diese Art von Fällen mochte ich mittlerweile am liebsten! Das war nicht immer so gewesen. Früher machte ich mir schier in die Hosen, kaum war die Rede von Magie. Inzwischen hatte ich ein unverkrampftes Verhältnis zu diesem Thema entwickelt. Zumal magische Verbrechen meist knifflig und damit spannend waren.
»Von wem ist dieser Brief?«, fragte ich und deutete auf den Salontisch.
Rose folgte meinem Finger: »Ach den habe ich ja ganz vergessen. Die Constables haben ihn unter dem Sessel gefunden und auf den Tisch gelegt.«
Sie nahm den Brief und öffnete ihn. »Seltsam. Schauen Sie mal.« Sie reichte mir das Papier. Bis auf den Namen von Roses Tante und einem Siegel, das den Brief verschlossen hatte, war er leer. Ich hielt das Papier gegen das Licht. Nichts. Nicht einmal ein Wasserzeichen. »Darf ich ihn mitnehmen und in Ruhe untersuchen?«
»Selbstverständlich.«
Ich hielt den Brief Danhazriel hin, der ihn nahm und einsteckte.
»Wirkte Ihre Tante nervös in letzter Zeit? Hatte sie vor etwas Angst?«
»Jetzt wo Sie es sagen. Audrey schien tatsächlich schreckhafter zu sein. Erst vor ungefähr drei Wochen hat sie zusätzliche Riegel an der Tür anbringen lassen. Wie kommen Sie darauf?«
»Nur eine Vermutung. Wenn auch eine begründete. Wegen der Ruhmeshand.«
»Womit hat sie geschrieben?«, meldete sich in diesem Augenblick Danhazriel zu Wort. Wir wandten uns dem Dämon zu. »Wie?«, fragte Rose irritiert. »Womit hat Ihre Tante geschrieben?«, fragte Danhazriel erneut. »Ich sehe zwar Tinte und Papier aber keinen Bleistift, keine Feder oder ein anderes Schreibzeug.«
Rose eilte zu Danhazriel hin, der am Schreibpult stand. Sie durchwühlte das Schreibpapier. Hob den Deckel des Pultes. Suchte mit ihren Augen den Boden ab. »Hab ich alles schon erledigt, Miss. Da ist nichts.«
Rose blickte verwirrt. »Meine Tante benutzte zum Schreiben eine Kupferfeder. Die ist weg.«
»Eine Kupferfeder? War sie wertvoll? Wie hat sie ausgesehen?«
»Ich weiß nicht, ob sie wertvoll ist. Audrey hatte die Feder, solange ich mich erinnern kann. Sie sieht aus wie eine Rabenfeder.«
Nachdenklich schnippte ich mit dem Daumen gegen meine oberen Schneidezähne. »Sie sagten vorhin, Ihre Tante habe sich in der letzten Zeit verändert. Wissen Sie, was der Auslöser war?«
»Der Mord an Henri Dupont!«, dröhnte eine Stimme. Von uns unbemerkt war ein Mann eingetreten. Oder besser ein Männchen. Es sah aus, als müsste es bei Sturm seine Taschen mit Steinen füllen, um nicht fortgeweht zu werden. Die Stimme passte nicht zu ihm.
Danhazriel hatte seine linke Hand unauffällig in eine der zahlreichen Taschen seines Gehrockes versenkt. Sollte das Männchen eine Gefahr darstellen, würde es sein blaues Wunder erleben. »Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle«, dröhnte das Männchen. »Mein Name ist Morris Swan.«
»Schön für Sie. Was wollen Sie von uns?«, fragte Danhazriel mit einem unmissverständlich drohenden Unterton.
»Ihnen helfen. Oder besser: Ich hoffe, dass wir uns gegenseitig helfen können. Vorausgesetzt, Sie gehen eine Art Vertraulichkeitsvereinbarung ein.«
»Eine Vertraulichkeitsvereinbarung eingehen?«, fragte ich misstrauisch. »Ich dachte, so etwas unterzeichnet man.«
Swan reagierte nicht auf meinen Einwand: »Ja? Oder nein? Ihre Entscheidung.«
Ich sah Danhazriel an. Der zuckte mit den Schultern und deutete ein leichtes Nicken an.
»Gut«, antwortete ich. »Mein Partner und ich sind einverstanden. Was ist mit Ihnen, Miss Lavalle?«
»Ich ebenso«, flüsterte sie. Ihre Antwort klang eher wie eine Frage.«
»Perfekt.« Swan zog ein Buch aus einer Tasche seines Mantels und legte es auf den Salontisch neben die Ruhmeshand. Bitte richten Sie Ihren Blick auf dieses Buch.«
Wir taten, wie geheißen, woraufhin Swan ein Buchzeichen zwischen den Seiten hervorzog. Mein Hirn fühlte sich an, als wäre es vorübergehend in Schlagsahne verwandelt worden. Ich blinzelte und furchte meine Stirn. »Das war's. Danke«, sagte Swan.
»Wie jetzt. Keine Hand auf das Buch legen und schwören? Nirgends mit Blut einen Vertrag unterschreiben?«, fragte ich sarkastisch.
»Nichts dergleichen, meine Herren. Wir drei sollten nun gehen.«
»Wir drei? Was ist mit Miss Lavalle?« Ich sah zu Rose und stockte. Sie saß im Ohrensessel vor dem Kamin, starrte ins Feuer, den Blick in die Ferne gerichtet.
Bevor ich auf Swan losgehen konnte, machte dieser eine besänftigende Handbewegung: »Keine Sorge. In einigen Minuten wird sie wieder in diese Realität zurückkehren. Sie wird ganz die Alte sein. Nur wird sie sich nicht erinnern können, Sie engagiert zu haben. Wenn ich bitten darf.« Swan wies mit der Hand zur Tür.
4
Eine Viertelstunde später saßen wir im Hinterzimmer der Schenke 'zum abgestochenen Schwein'. Ich nippte an einem Grog. Danhazriel trank einen Gin und Swan einen Whiskey. »Sie schulden uns ein paar Antworten, Swan«, zischte ich wütend. »Was war das vorhin? Was haben Sie mit Rose gemacht? Weshalb sind wir nicht betroffen?«
Swan bedachte uns mit einem süffisanten Grinsen: »Keine Sorge. Sie sind betroffen – von Skriptoren-Magie.«
»Skriptoren-Magie? Nie davon gehört! Du, Dan?« Danhazriel schüttelte den Kopf. Ich wandte mich Swan zu: »Also?«
»Ich werde Ihnen gleich von den Skriptoren erzählen, einem geheimen Orden, der im frühen Mittelalter gegründet worden ist. Das Buch, das ich benutzt habe, bewirkt bei Ihnen zwei Dinge: Sie werden während der Ermittlungen zu den Morden keinem Außenstehenden von den Skriptoren erzählen können. Und Sie werden nach dem Abschluss des Falles alles vergessen, was Sie über die Skriptoren erfahren haben.«
»Falsch«, meldete sich Danhazriel zu Wort. Nun war die Reihe an Swan verwirrt zu blicken. »Was soll das heißen? Kein Mensch kann sich der Skriptoren-Magie entziehen. Akzeptieren Sie das einfach!«
Danhazriel begann zu flimmern. Rasend schnell wechselte er sein Aussehen: Lichtwesen, Zähne, Klauen und Stacheln bewehrtes Etwas, alte Frau, riesige Katze ...
»Au nom de dieu!«, stieß Swan überrascht aus. »Ein Dämon.«
»Gut erkannt«, sagte ich. »Keine Sorge. Meistens ist er recht umgänglich. Es sei denn, jemand will Zauber auf ihn wirken. Da wird er schon mal fuchsteufelswild.«
Danhazriel nahm seine ursprüngliche Großvatergestalt an. Er lächelte Swan an, wobei er eine Reihe unheimlich scharfer Zähne zeigte. Swan erbleichte.
»Ich erwarte von Ihnen, dass Sie diesen unnötigen Fluch von mir nehmen.«
»Unnötig!«, Swans Gesicht nahm eine rötliche Färbung an.
»Ja, zum Teufel!«, fuhr ich ihn wütend an: »Denken Sie, wir wären noch im Geschäft, wenn wir die Geheimnisse unserer Klienten an die große Glocke hängen würden? Sie sind doch unser Klient? Ja? Oder nein? Ihre Entscheidung.« Ich konnte mir nicht verkneifen, Swan nachzuäffen. Dieser fixierte mich finster. »Na gut. Einverstanden. Was kostet mich der Spaß?«
»Wissen. Über die Skriptoren. Waren das nicht die Mönche, die Bücher abgeschrieben haben?«
»Auch«, grummelte Swan. »Wie Sie bemerkt haben, betätigen sich die Skriptoren, die ich meine, auf magischem Gebiet. Sie erschaffen Bücher der Macht.«
»Bücher der Macht? Was bewirken die?«
»Wachstum und Wohlstand«, Swan ließ die Worte wirken, bevor er fortfuhr: »In jeder großen Stadt gibt es eine Loge mit vier Skriptoren. Jeder Skriptor ist einem Element verpflichtet. Sie wissen schon: Luft, Feuer, Erde, Wasser. Wegen der Harmonie vertreten Frauen die männlichen Elemente und umgekehrt. Mit ihren Büchern schützt die Loge die Städte vor Überschwemmungen, Missernten, Epidemien und anderen Katastrophen. Jedes Buch entfaltet seine Magie ein einziges Mal zu einem einzigen Zweck.«
»Wie funktioniert diese Magie?«, fragte ich.
»Das im Detail auszuführen ginge im Moment zu weit.« Es schien, als wollte Swan nicht mit der Sprache herausrücken. Ich ließ ihn nicht vom Haken: »Versuchen Sie wenigstens, uns eine Ahnung zu vermitteln.« Er überlegte eine Weile: »Wie gesagt, lernen Skriptoren, die Elemente zu beherrschen. Sie tun dies, indem sie magische Bücher schreiben. Die linke Seite symbolisiert die diesseitige Welt, die rechte Seite die Welt der Magie. Die Kunst des Skriptors besteht darin, Geschichten zu schreiben, denen Magie innewohnt. Ihre Wirkung erhalten die Geschichten durch das kunstvolle Verweben der beiden Seiten. Der Text wird aufgeteilt. Ein Teil wird auf der linken Seite in Spiegelschrift geschrieben, der andere Teil auf der rechten Seite in Normalschrift. Klappt man die beiden Seiten zusammen, entsteht ein Ganzes. Die Magie beginnt zu wirken. Damit kein Buch seine Macht ungewollt entfaltet, reicht es, irgendwo ein Blatt hineinzulegen, das links von rechts trennt.«
»Faszinierend«, bemerkte ich. »Wie wird man eigentlich Skriptor?«
»Schüler für die Bruderschaft zu finden ist Aufgabe der Skriptorin der Luft. Sie ist immer auch Lehrerin und gibt Schreibunterricht. Dort hält sie Ausschau nach besonders begabten Kindern. Die letztendliche Wahl treffen jedoch die Federn.«
»Die Federn?«
»Ja, die Prüflinge müssen mit jeder der vier Federn eine Geschichte schreiben. Normalerweise bringen sie nur unverständliches Gekritzel zu Papier. Erst wenn eine Feder einen Prüfling auswählt, ergibt der Text Sinn – und auch nur mit dieser einen Feder.«
»Audrey Lavalle und dieser, wie hieß er noch, haben den Test bestanden«, mutmaßte ich.
»Richtig, Audrey Lavalle war die Skriptorin der Luft. Und Henri Dupont der Skriptor der Erde.« »Weshalb sollte jemand solche Gutmenschen, die nur das Beste für alle wollen, umbringen?«, fragte ich. Den Sarkasmus in meiner Stimme konnte ich nicht unterdrücken.
Swan druckste herum. »Ich befürchte, dass ein anderer Skriptor dahinter steckt. Genau, um das zu klären, beanspruche ich Ihre Hilfe.«
»Weshalb sollte ein Skriptor seine Kolleginnen und Kollegen umbringen?«, wunderte ich mich.
»Seine Brüder und Schwestern«, präzisierte Swan. »Wie erwähnt, sind wir eine Bruderschaft.« Swan rieb den Nasenrücken, wollte Zeit gewinnen. »Uns gibt es seit der Mitte des 12. Jahrhunderts. Bis heute hat noch nie ein Skriptor seine Macht missbraucht. Obwohl dies ein Einfaches wäre. Nehmen wir die Skriptorin des Feuers. Anstatt ihre Stadt zu schützen, könnte sie diese zum Beispiel niederbrennen. Sie könnte mittels Feuerbrand die Obsternte vernichten. Oder Fieber verbreiten. Die Einzigen, die sie stoppen könnten, wären die anderen Skriptoren ihrer Loge …«
Danhazriel unterbrach Swan: »Also haben wir es mit einem abtrünnigen Skriptor zu tun, der dafür sorgt, dass ihn niemand aufhält?«
»Möglich. Ich hoffe sogar, dass es sich so verhält. Aber ich befürchte, die Lage ist ernster.«
»Noch ernster?«, warf ich ein. »Ernster, als ein bösartiger Magier mit unvorstellbarer Macht?«
»Ja. Denn bedenken Sie: Ein Skriptor kann zwar mit seinen Büchern immensen Schaden anrichten. Aber es benötigt viel Zeit, diese zu schreiben. Selbst ein einfacher Zauber kann hundert oder mehr Seiten umfassen. Dabei muss jeder Buchstabe präzise platziert werden. Allerdings gibt es da die Legende der schwarzen Feder.«
Ich hasste Legenden. Tauchte in einem Fall eine Legende auf, wurde es meistens hässlich.
»Die besagt, dass ...?«, fragte ich ungeduldig.
»Es kann sein, dass es irgendwann einen Skriptoren gibt, der mit allen vier Federn schreiben kann. Wenn dieser Skriptor die Elementefedern zusammenbringt, entsteht daraus die eine schwarze Feder. Zuvor müsste er die anderen Mitglieder seiner Loge töten und ihre Federn stehlen. Mit der schwarzen Feder wird jeder geschriebene Satz sofort Realität. Oder anders gesagt: Die Macht dieses Skriptors wäre so groß, wie dessen Fantasie: unbegrenzt!«
»Himmel und Hölle!«, fluchte ich. »Gibt es Maßnahmen, damit das nicht passieren kann?«
Swan nickte: »Hätte bei der Prüfung jemand mit allen vier Federn den Text schreiben können, wäre er oder sie nicht aufgenommen worden. Zudem wird jede Feder mit einem Bann belegt, sodass kein lebendes Wesen sie stehlen kann.«
»Trotzdem fehlt Audrey Lavalles Kupferfeder.«
»Ich hoffe, jemand hat sie in Lavalles Haus versteckt. Aus welchem Grund auch immer.« Es war Swan deutlich anzusehen, dass er nicht an seine Worte glaubte.
»Was ist mit Duponts Feder?«, fragte Danhazriel. »Genau!«, sagte ich und fügte hinzu: Und wie ist er gestorben?«
»Er wurde vergiftet. An einem Anlass der oberen Zehntausend. Zusammen mit fünf anderen Anwesenden. Das Gift war in einer Flasche Champagner.«
»Natürlich: die Belle Epoque-Morde vor drei Wochen! Daher kam mir sein Name bekannt vor. Der Sheriff glaubt, der Anschlag habe dem russischen Botschafter gegolten. Ein Anarchist soll dahinterstecken.«
»Das dachten wir auch. Bis letzten Samstag Audrey getötet wurde …«
»Daraus schlossen Sie, dass jemand die Skriptoren von Scroogeville aus dem Weg räumt.«
»Genau. Zudem habe ich von der Constabulary erfahren, dass Dupont ein leeres Notizbuch in der Fracktasche bei sich trug.« Danhazriel unterbrach Swan: »Mord mit vergiftetem Champagner, also mit einer Flüssigkeit. Tod durch Ertrinken zu Hause im Salon. Das Element Wasser spielt eine gewichtige Rolle, nicht?«
»Kommt dazu, dass es sich beim Gift um dasjenige des Kugelfisches handelte«, ergänzte Swan.
»Und? Wer ist der Skriptor des Wassers?«, fragte ich das Offensichtliche.
»Charles Guldensteen«, antwortete Swan. »Er ist seit gestern verschwunden.«

5
Wir traten aus der Schenke auf die Straße. Ein Zeitungsjunge krähte den Passanten die letzten Schlagzeilen entgegen: »Geisterschiff kreuzt weiterhin vor Scroogeville. Sind wir alle verflucht?« Gefolgt von: »Bibliothekarin und Buchhändler zusammen tot aufgefunden! War es Liebe oder Mord?« Swan blieb stehen, als wäre er gegen die sprichwörtliche Wand gelaufen. »Los gib mir eine Zeitung«, fuhr er den Zeitungsjungen barsch an und warf ihm eine Münze zu.
Auf der Frontseite des Examiners prangte in Riesenlettern der Titel: »Liebestod der Bücherwürmer?« Die Zeitung war nicht für ihren gepflegten Journalismus bekannt. Das war vermutlich der Grund, weshalb sie die höchste Auflage der Stadt hatte.
Rasch überflogen wir zu dritt den Artikel. Thelma Carlyle, Bibliothekarin der Stadtbibliothek, und Charles Guldensteen, Inhaber eines renommierten Antiquariats, waren heute Morgen tot am Strand aufgefunden worden. Beide waren ertrunken. Neben ihnen lagen zwei Briefe, die nichts als ihre Namen und ein Siegel trugen. Der Examiner orakelte sofort, dass Carlyle und Guldensteen zusammen ins Wasser gegangen waren. Eine unmögliche, eine 'wortlose' Liebe habe sie verbunden. Beide waren verheiratet und hatten Kinder.
Swan senkte die Zeitung.
»So viel zum Hauptverdächtigen«, murmelte ich.
»Ja. Und zu Carlyle, der Skriptorin des Feuers«, fügte Swan hinzu.
»Damit sind alle vier Skriptoren tot«, brachte Danhazriel die aktuelle Lage auf den Punkt. »Was ist mit den Briefen? Es handelt sich kaum um einen Zufall, dass bei allen drei Opfern leere Briefe gefunden wurden – außer bei Dupont.«
»Bei Audrey ist ebenfalls ein solcher Brief gefunden worden? Weshalb haben Sie das nicht bereits früher erwähnt?«, fragte Swan sichtlich erregt.
»Weil wir dem keine Bedeutung beigemessen haben«, erwiderte Danhazriel auf den mitschwingenden Vorwurf. »Bis eben hatte ich ihn sogar vergessen.«
Danhazriel suchte den Brief hervor und reichte ihn Swan. Dieser untersuchte ihn akribisch. »Dass der Brief unbeschrieben ist, könnte einen Zusammenhang mit einem Skriptoren haben. Nachdem die Magie gewirkt hat, verschwindet der Text. Das habe ich bisher zu erwähnen vergessen. Allerdings ist die Papierfläche zu klein für einen wirkungsvollen Zauber. Die Falzung ist für den Einsatz von Skriptoren-Magie auch eher hinderlich. Sehen Sie hier.« Wir beugten uns vor. »Das Papier wurde erst zwei Mal der Höhe nach gefalzt und dann zwei Mal der Breite nach. Das ist unpraktisch. Ein Skriptor würde einen Mittelfalz machen. Dann liegen linke und rechte Seite passend übereinander.«
»Was ist mit dem Siegel?«, wollte ich wissen. »Gibt es da einen Zusammenhang mit den Skriptoren?«
»Nein. Es scheint sich um ein normales Siegel zu handeln. Einzig, dass die Initialen vier Buchstaben umfassen, fällt auf: HVDD.«
»Was ist mit Henri Dupont?«, nahm ich den Faden auf. »Hat er einen Brief erhalten oder nicht?«
»Keine Ahnung«, antwortete Swan. Lassen Sie uns Luc, seinen Sohn, danach fragen. Aber zuerst will ich wissen, ob die Wasser- und die Feuerfeder ebenfalls verschwunden sind.
»Apropos«, meldete sich Danhazriel zu Wort. »Sie haben vorhin gesagt, dass nur aus den Federn einer Loge eine schwarze Feder entstehen kann? Heißt das nun, da alle vier Skriptoren tot sind, ist die Gefahr gebannt. Selbst wenn die Federn verschwunden bleiben?«
»Davon gehe ich aus. Nur ein Skriptor der Loge kann eine schwarze Feder erschaffen. Trotzdem: Ich muss die Federn und den Mörder finden. Das bin ich der Bruderschaft und den Familien der Opfer schuldig.«

6
Unsere abendlichen Besuche bei den Familien von Carlyle und Guldensteen brachten keine neuen Erkenntnisse. Wie erwartet, wusste niemand, wo die Federn abgeblieben waren. Niemand hatte eine Erklärung für die Briefe. Die Skriptoren schienen allseits beliebt und ohne Feinde gewesen zu sein. Weil wir nichts anderes tun konnten, ließen wir die Menschen mit ihrer Trauer alleine.
Nach dem Besuch bei Thelma Carlyles Hinterbliebenen war es neun Uhr. Heute noch Luc Dupont zu besuchen, wäre höchst unhöflich gewesen. Deshalb zogen wir uns in die Wohnung über der Detektei zurück. Swan nahm das Angebot, auf der Couch übernachten zu können, dankbar an. Von wirren Träumen geplagt, verbrachte ich eine unruhige Nacht.
Erneut ratterten wir in einer Droschke durch die Stadt. Dieses Mal auf dem Weg zu Luc Dupont. Zwar hegten wir wenig Hoffnung, Neues zu erfahren. Doch man konnte nie wissen. Jeder von uns war in seine eigenen Überlegungen zu den Morden vertieft. Auf jeden Fall nahm ich das an.
»Ja, bitte?« Luc Dupont sah uns der Reihe nach an. Er hatte ein offenes Gesicht, freundliche Augen, die braun und groß in die Welt hinausschauten – und er saß im Rollstuhl.
»Wir ermitteln im Mordfall Ihres Vaters. Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?«
Traurigkeit schlich sich in Duponts Gesicht. »Selbstverständlich. Auch wenn ich nicht weiß, was ich Ihnen noch sagen könnte.«
Ich wollte keine Missverständnisse aufkommen lassen: »Wir sind nicht von der Constabulary.«
»Sondern?«
»Private Ermittler.«
»In wessen Auftrag?«, fragte Luc Dupont.
»Das ist vertraulich.«
»Nun gut. Kommen Sie rein.« Mr. Dupont führte uns in einen Salon und bat uns Platz zu nehmen. »Was kann ich Ihnen anbieten? Tee? Kaffee? Etwas Stärkeres?«
»Nein danke. Wir möchten Ihnen nicht unnötig zur Last fallen«, sagte ich mit Blick auf den Rollstuhl, was Luc Dupont sofort auffiel. »Keine Angst, das wäre kein Aufwand für mich. Ich sitze seit meinem vierten Lebensjahr im Rollstuhl und habe mich bestens daran gewöhnt.«
»Sehr freundlich von Ihnen, aber trotzdem: Wir möchten Sie nicht lange aufhalten.«
»Wie Sie meinen.«
Danhazriel und ich setzten uns auf die Couch und Swan auf einen Sessel. Luc Dupont rollte neben ihn. »Ihr Vater war Buchrestaurateur und Schriftsteller?«, eröffnete ich die Fragerunde.
»Genau. Er hat …, er hatte sein Atelier im ersten Stock.«
»Wenn er schrieb, hat er eine Feder aus Stahl verwendet«, stellte Swan fest.
Luc Dupont sah uns argwöhnisch an: »Woher wissen Sie das? Was hat das mit dem Mord zu tun.«
Ich ignorierte die Frage: »Ist die Feder da?«
»Ich … keine Ahnung. Soll ich nachsehen? Ist das wichtig?«
»Ja, sehr.«
»In Ordnung. Ich sehe gleich nach. Wollen Sie mich begleiten?«
Wir wollten. Luc rollte zur Wand und drückte auf einen verborgenen Knopf. Ein Teil der Verkleidung schwang zur Seite. Dahinter kam ein Aufzug zum Vorschein. Er öffnete das Scherengitter und rollte hinein. »Bitte. Der Platz reicht für uns alle.« Wir quetschten uns in den Aufzug. Luc Dupont schloss das Gitter und drückte den Knopf für die erste Etage. Ächzend und klopfend setzte sich der Fahrstuhl langsam in Bewegung. Dank meiner leichten Klaustrophobie schien die Fahrt ewig zu dauern. Schweiß rann meinen Rücken hinunter und kitzelte wie verrückt.
Das Erste, was in Henri Duponts Atelier auffiel, war: Ordnung. Jedes Ding hatte genau einen Platz, an dem es liegen durfte. Und dort lag es dann auch. Bis auf die Stahlfeder. Die fehlte. Luc Dupont rollte ein wenig unbeholfen kreuz und quer durch den Raum auf der Suche nach der Feder. Wir unterstützen ihn, indem wir uns diejenigen Orte vornahmen, die für Mr. Dupont unerreichbar waren: unter Gestellen, auf Schränken und auf Regalen.
»Keine Feder«, hielt ich nach einer halben Stunde intensiver Suche fest.
»Was ist mit dieser Feder? Was hat das mit dem Mord an meinem Vater zu tun? Ich dachte, der Anschlag habe dem russischen Botschafter gegolten und mein Vater sei ein Zufallsopfer gewesen.«
Inzwischen saßen wir wieder im Salon.
»Es besteht die Möglichkeit, dass es sich genau andersherum verhält, Mr. Dupont.«
»Wollen Sie damit sagen, dass mein Vater Ziel des Anschlages gewesen ist?«
»Davon gehen wir aus.«
Luc Dupont sackte in seinem Rollstuhl zusammen. »Aber weshalb? Mein Vater wurde von allen gemocht. Er hat sein Leben lang nie jemandem Schaden zugefügt.«
»Genau das versuchen wir herauszufinden. Haben Sie nach dem Tod Ihres Vaters zufälligerweise einen Brief gefunden? Einen leeren Brief, auf dem nur der Name Ihres Vaters stand?«
Mr. Dupont blickte verwirrt: »Nein, warum?«
Swan seufzte: »Es gibt drei Morde, von denen wir glauben, dass sie mit demjenigen an Ihrem Vater zusammenhängen.« Swan umschiffte es elegant, das Thema Skriptoren beim Namen zu nennen.
»Wer sind die anderen Opfer?«, fragte Dupont.
»Thelma Carlyle, Audrey Lavalle und Charles Guldensteen«, zählte Danhazriel auf. »Kennen Sie sie?«
»Klar. Mein Vater pflegte mit ihnen allen losen Kontakt. Sie hatten alle mit dem Schreiben und mit Büchern zu tun. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, weshalb jemand L…«, er zögerte. »Ich meine Lavalle, Carlyle, Guldensteen und meinen Vater umbringen sollte.«
Wir stellten Luc noch ein paar weitere Fragen. Wie bei den anderen Opfern ergaben sie keine neuen Anhaltspunkte. Frustriert und gereizt riefen wir eine Droschke und fuhren zurück in unsere Wohnung.

7
Danhazriel kam mit einem riesigen Tablett aus der Küche. Darauf standen verschiedene Töpfe, die einen Duft verströmten, der direkt mit meinen Geschmacksnerven interagierte. Ein Wunder, dass ich nicht wie ein Hund zu sabbern begann.
Während des Essens diskutierten wir die Fälle erneut eingehend. Ohne Resultat. Vielleicht halfen Zigarren und Rum? Wir entschieden, dass dies einen Versuch wert war, und zogen uns in den Salon zurück.
Wir hatten kaum Platz genommen, als von draußen her aufgeregte Stimmen laut wurden. Ich öffnete das Fenster zur Straße. Dutzende Menschen strömten Richtung Hafen. Satzteile und Worte trieben zu mir hinauf. Wenn ich sie richtig verstand, hatte im Hafen ein Geisterschiff angelegt. Faszinierend. Wir beschlossen, ebenfalls zum Hafen zu gehen. Einerseits, um unsere Sensationsgier zu befriedigen. Andererseits erhofften wir uns, auf andere Gedanken zu kommen. Und im besten Fall auf neue Schlüsse, was die ermordeten Skriptoren anbelangte.
Im Hafen herrschte ein reges Gewimmel. Ein paar gewiefte Händler hatten Stände aufgestellt und verkauften Brot, Würste, Suppen, Bier, Wein und Stärkeres. Der Duft der Waren vermischte sich mit demjenigen von Salzwasser, Algen und verrottetem Holz. Wir bahnten uns einen Weg durch die Menge und wurden schließlich mit einem überwältigenden Anblick belohnt. Vor uns lag ein Dreimaster wie aus einem Gruselmärchen. Dunkles, raues Holz. Zerfetzte Segel. Überall hing Seetang, selbst aus dem Krähennest auf dem mittleren Mast. Dazu kamen Muscheln, die sich ebenfalls bis hoch zu den Mastspitzen am Holz festklammerten.
»Macht den Anschein, als hätte das Schiff viel Zeit unter Wasser verbracht!« Danhazriel sprach aus, was ich dachte.
»Weshalb ist es aufgetaucht und hat hier angelegt?«, fragte ich mich laut. »Und wo ist die Mannschaft?«
Eine Gestalt rannte aufgeregt übers Deck auf die Planke zu, die vom Pier zum Schiff gelegt worden war. Aufgeregt rief sie: »Es ist der Fliegende Holländer! Der Fliegende Holländer!« Ein Raunen ging durch die Menge. Einige Damen nutzen die Gunst der Stunde und fielen theatralisch in Ohnmacht. Die Menschen wurden unruhig. Drohte vom Schiff her Gefahr? Bunkerte es unermessliche Schätze? Oder beides? Bevor die Menge das herausfinden konnte, bildeten die Männer des Sheriffs einen Schutzkordon vor dem Schiff. Ein Dutzend schwer bewaffnete Männer wurden aufs Schiff beordert und die Planke eingezogen. Wir machten uns vom Acker, da wir nicht dabei sein wollten, sollte die Situation eskalieren.

8
Ein paar Stunden später saßen Danhazriel, Swan und ich im 'toten Trommler'. Zuvor waren wir ziellos durch die Stadt geschlendert. Wir hatten Theorien entwickelt und verworfen und dabei zugesehen, wie ein Geistesblitz nach dem anderen erlosch. Wir hatten keine vernünftige Idee, weshalb die Skriptoren umgebracht worden waren. Und weshalb Dupont auf andere Weise umgebracht worden war, konnten wir uns ebenfalls nicht erklären. Das Rätsel der verschwundenen Federn nagte an uns wie eine Ratte an einem Stück Käse. Im Moment kritzelte Swan in ein Notizbuch. Ich war dabei zum Boden meines Glases mit Rum vorzustoßen und Danhazriel las den Examiner.
»Heilige Dämonenscheiße!«, entfuhr es ihm.
»Was?«, fragte ich. »Ist irgendwo ein Kalb mit zwei Köpfen geboren worden? Ist auf einem Toast das Gesicht unseres Herren Jesu erschienen?« Das waren typische Examiner-Geschichten.
»Nein. Hier ist ein Artikel über den Fliegenden Holländer. Hört euch das an: Der Sage nach war Hendrik Van der Decken, der Kapitän des Fliegenden Holländers, ein furchtbarer Wüterich und Sturkopf. Auf dem Weg um das Kap der Guten Hoffnung geriet das Schiff am Weihnachtstag 1680 in einen Sturm. Die Mannschaft bat den Kapitän, die nächste Bucht anlaufen zu dürfen. Einerseits, um aus dem Sturm zu kommen. Andererseits, um bei einem guten Rum Weihnachten zu feiern. Van der Decken weigerte sich, dies zu tun. Zuvorderst im Bug stand er, den Brechern, die das Schiff durchschüttelten, trotzend und schrie: 'Eher will ich bis zum jüngsten Tag über die Meere segeln, als dass ich diesem Sturm nachgebe.' Der Wunsch wurde ihm erfüllt. So kreuzt er mit seinem Fliegenden Holländer, bis in alle Ewigkeit auf den Ozeanen. Ohne je in einen Hafen einlaufen zu dürfen. Viele Schiffe, die den Fliegenden Holländer gesichtet haben wollen, wurden danach vom Unglück verfolgt. Sie gerieten in schwere Stürme, gerieten in Untiefen, liefen auf Klippen auf oder die Mannschaft ging an der Pest zugrunde.«
»Schön und gut«, unterbrach ich Danhazriel. »Aber was ist so bemerkenswert an der Geschichte? Außer, dass der Fliegende Holländer am Hafen liegt, was er nicht dürfte.«
»Einen Moment Geduld. Gleich siehst du, worauf es hinausläuft«, wies mich Danhazriel zurecht. Na gut. Wartete ich halt.
»Für Van der Decken gibt es zwei Möglichkeiten der Erlösung: Alle sieben Jahre darf er für eine Nacht an Land gehen. Findet er in dieser Nacht eine Frau, die ihn aufrichtig und treu liebt, wird der Fluch aufgehoben. Allerdings würden er und seine Geliebte bei Anbruch des Tages sterben.«
»Das macht ihn nicht gerade zu einer guten Partie«, gab ich von mir. Der Blick Danhazriels brachte mich gleich wieder zum Schweigen.
»Da sind noch die Briefe und der Seelenring.« Wie bitte? Ich hielt mich zurück, sagte nichts.
Danhazriel fuhr fort: »Also: Manchmal überbrachte eine Geisterhand in einem Beiboot anderen Schiffen einen Packen Briefe. Diese waren immer an Verstorbene adressiert. Deshalb mussten sie verbrannt oder an den Mast genagelt werden. Andernfalls war das Schiff auf sicher dem Untergang geweiht.«
Aha, daher wehte der Wind: »Unsere Opfer, falls du darauf hinaus willst, lebten noch, als sie die Briefe erhielten«, warf ich ein.
»Das Beste kommt wie so oft zum Schluss!« Danhazriel beherrschte die Kunst der Dramaturgie. »Van der Deckens Familie besitzt einen Ring, der Hendrik ebenfalls die Erlösung bringen könnte. Dazu muss der aktuelle Besitzer des Rings, das ist immer der letzte Erbe, drei Opfer benennen. Die Geisterhand wird diesen einen Brief überbringen, worauf sie sterben. Sobald das letzte Opfer tot ist, endet der Fluch. Und zwar damit, dass Hendrik Van der Decken und seine Mannschaft zur Hölle fahren.«
»Das nennt man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben«, gab Swan trocken zum Besten.
»Immerhin würde die Geschichte erklären, weshalb nur Carlyle, Lavalle und Guldensteen mittels des Briefes umgebracht worden sind. Für ein viertes Opfer hat es nicht gereicht.«
Danhazriel schlug mit der einen Hand auf den Tisch, dass es knallte. »Könnte es sein, dass diese Geisterhand die Federn gestohlen hat? Sie haben erwähnt, dass kein lebendes Wesen die Federn stehlen kann. Wie steht es mit einem Geist?«
»Stimmt, Geister sind in diesem Bann nicht vorgesehen«, antwortete Swan nachdenklich.
Ein Puzzleteil fügte sich zum anderen. Neue entstanden, was auch Swan sofort bemerkte: »Die Sage mag zwar ein paar Antworten liefern. Dafür tauchen mindestens fünf neue Fragen auf: Erstens: Weshalb sollte ein Nachfahre Van der Deckens daran interessiert sein, die Skriptoren umzubringen? Zweitens: Weshalb will er die Federn. Er kann nichts mit ihnen anfangen. Drittens: Wie hat er von den Federn erfahren? Viertens: Wie hat er die Erdfeder Duponts gestohlen? Da hatte kein Geist die Hand im Spiel. Und fünftens: Es ist weit und breit kein Nachfahre Van der Deckens in Sicht.«
Danhazriel und ich hatten vermutlich gleichzeitig denselben Einfall. Auf jeden Fall suchte Danhazriel aus den unergründlichen Tiefen seines Mantels ein Buch hervor. Dort versteckt sich, neben einer Menge anderer nützlicher Dinge, eine ganze Bibliothek. Um dies möglich zu machen, manipulieren Dämonen das Raum-Zeit-Gefüge. Wie, habe ich bis heute nicht verstanden. Wie dem auch sei: Danhazriel blätterte kurz in dem Buch, nickte mir zu und steckte es wieder weg. »Lassen Sie uns noch einmal zu Dupont fahren«, sagte ich und Danhazriel fügte hinzu: »Dort werden wir Antworten auf unsere Fragen finden.«
Swan bat uns inständig, unser Wissen mit ihm zu teilen. Wir hielten dicht. Der Spannung wegen.

9
Luc Dupont sah uns erstaunt an. »Guten Abend die Herren. Gibt es Neuigkeiten?«
»Möglicherweise. Dürfen wir eintreten und Ihnen weitere Fragen stellen?«
Luc rollte zur Seite, gab den Weg frei und führte uns erneut in den Salon.
»Und?«, fragte Luc. »Was glauben Sie, herausgefunden zu haben?«
Im Wechselspiel erzählten wir Luc alles, was wir rund um die Morde an den Skriptoren wussten. Bis hin zur Sache mit dem Fliegenden Holländer und den Briefen.
»Sie glauben, dass ein Nachfahre von Hendrik Van der Decken meinen Vater umgebracht hat? Weshalb hätte er oder sie das tun sollen?«, fragte Luc, nachdem wir geendet hatten.
»Meinen Sie nicht, dass es an der Zeit ist, das Theater zu beenden, Luc?«, fuhr ich unseren Gastgeber an. »Oder sollte ich Sie besser Henri nennen?«
Luc Dupont zuckte zurück: »Was soll das? Sehe ich aus wie mein Vater?« Ich ignorierte seinen Einwand. Dafür registrierte ich mit Befriedigung, dass Danhazriel große Augen machte. Darauf war er nicht gekommen. Swan sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren, dann veränderte die Erkenntnis seine Mimik. Mit einer Handbewegung bedeutete ich ihm, vorerst zu schweigen. Ich wollte meinen Moment auskosten.
»Die ganze Zeit fragten wir uns, wie ein Außenstehender von den Skriptoren erfahren haben könnte. Weshalb er die Skriptoren umbringen und deren Federn an sich bringen sollte. Sind alle vier Skriptoren einer Loge tot, verlieren deren Federn ihre Macht. Übrigens: Sie haben nicht ein einziges Mal gefragt, was Skriptoren sind. Weshalb nicht, Luc?«
»Mein Vater hat mir von ihnen erzählt.«
»Das kann nicht sein,« warf Swan ein. »Das Abschlussritual umfasst einen Zauber, der bewirkt, dass kein Skriptor jemandem von seiner Arbeit erzählen kann. Auch nicht den nächsten Verwandten. Aber das wissen Sie ja. Henri!«
»Hören Sie auf, mich Henri zu nennen!«, schrie Luc wütend.
»Swan: Ist es möglich, dass ein Skriptor einen Seelentausch vornehmen könnte, also den Wechsel von seinem Körper in einen anderen?«
»Das wäre zwar eine verdammt kniffelige Sache. Aber wie ich sagte: Alles, was ein Skriptor sich vorstellen kann, kann er Wirklichkeit werden lassen.«
»Ihr Plan war teuflisch, Henri. Sie vergifteten den Champagner im Belle Epoque und tranken davon. Als Sie spürten, dass das Gift zu wirken begann, zogen Sie das Buchzeichen aus dem Buch in Ihrer Fracktasche. Dessen Zauber bewirkte, dass Sie in den Körper Ihres Sohnes und dieser in den Ihren wechselte. Gleich darauf starb er!«
»Das ist krank. Sie sind verrückt!« Duponts Gesicht glich farblich einer Tomate. Hoffentlich sprengte seine Wut nicht gleich seinen Kopf. Das gäbe eine schöne Sauerei. »Ist das so?«, konterte ich. Ich ballte die Linke zur Faust, streckte den kleinen Finger und tippte mit dem Zeigefinger meiner Rechten darauf: »Sie sitzen seit Ihrem vierten Lebensjahr im Rollstuhl. Trotzdem hatten Sie in der Werkstatt sichtlich Mühe mit dem Manövrieren.« Der Zeigefinger tippte auf den linken Ringfinger: »Sie erwähnten, dass Ihnen kein Grund einfiele, weshalb jemand die vier Skriptoren umbringen sollte. Dabei sprachen Sie von 'L...', stockten und retteten sich, indem Sie Lavalle nannten. Ich bin sicher, dass Sie Luc sagen wollten.« Der Mittelfinger der linken Hand folgte: »Das Buch. Weshalb zum Teufel hätte Henri Dupont ein Buch der Macht ins Belle Epoque mitnehmen sollen. Außer um einen Zauber zu wirken.«
Swan und Danhazriel nickten beifällig.
»Selbst wenn Ihre absurde Theorie wahr wäre«, fauchte Dupont aufgebracht: »Was ist mit den anderen Morden? Sie haben selbst gesagt, dass nur der letzte Erbe Van der Deckens den Ring hätte benutzen können.«
»Mit dem Körperwechsel und dem Mord an Ihrem Sohn waren Sie der letzte Erbe.«
»Das ändert nichts daran, dass ich nicht Van der Decken heiße, Sie Wahnsinniger!«
Ich nickte Danhazriel zu: »Ein weiteres Buch, das Ihnen zum Verhängnis wird, Henri.« Danhazriel zückte dasselbe Buch wie vorhin in der Schenke. »Darf ich vorstellen: ein Wörterbuch. Niederländisch – Französisch. Schauen wir unter 'Deck' oder besser 'Dek' nach. Der ursprünglichen Schreibweise des Wortes. Danhazriel blätterte extra umständlich. »Aha. 'Dek' bedeutet neben anderem 'Schiffsdeck'. Also bedeutet Hendrik Van der Decken Hendrik von dem Deck. Passt zu einem Seemann, nicht wahr? Und jetzt Französisch: Da wird Deck gleich übersetzt wie Brücke. Mit 'pont'! Dupont heißt nichts anderes als 'von dem Deck'.« Dupont knirschte hörbar mit den Zähnen. »Sie …«, wir erfuhren nie, was Dupont sagen wollte. Genau in diesem Augenblick erschien nämlich eine Geisterhand. Sie packte Dupont im Genick und beide verschwanden. Zurück blieb der Rollstuhl. Verdutzt starrten wir darauf. Ich fluchte los: »Verdammt und zugenäht es darf nicht sein, dass Dupont seiner Strafe entkommt!« Danhazriel legte seine Stirn in Falten: »Moment, ich habe da eine Idee!« Er kramte in seinen Taschen. Nach einer Weile zog er einen Folianten in der Größe von Duponts Salontisch hervor. Er pustete den Staub von dem Buch und platzierte es mit einem Knall auf dem Tisch. Rasch begann er, den Folianten durchzublättern. Ich sah altertümlich anmutende Zeichnungen. Als Danhazriel einen Moment innehielt, vermeinte ich lateinischen Text zu erkennen.
»Es scheint, als hätte der Examiner bei seiner Recherche nicht die ursprüngliche Sage um den Fliegenden Holländer gefunden«, bemerkte Danhazriel. Ich hörte Schadenfreude in seiner Stimme. »Dieses Buch wurde 1694 von einem Jesuiten geschrieben. Es enthält zahlreiche Sagen und Legenden aus der damaligen Zeit.«
»Und?«, fragte Swan verwirrt. »Was hat das mit Dupont zu tun.«
»Die Sage vom Fliegenden Holländer ist ebenfalls darin enthalten. Zur Erlösung mit dem Seelenring steht hier mehr als im Examiner: Wer den Ring verwendet, muss den Platz mit Hendrik tauschen und selbst in alle Ewigkeit über die Sieben Meere segeln. Ohne Aussicht darauf, dass der Fluch je gebrochen werden kann. Offensichtlich wusste das Henri Dupont nicht.«
Kaum hatte Danhazriel geendet, hörten wir erneut Rufen von der Straße. Wir sahen uns an: »Denkt, ihr, was ich denke?«, fragte Swan. »Schauen wir nach«, erwiderte ich. Und tatsächlich: Der Fliegende Holländer hatte eben abgelegt und segelte der offenen See entgegen. Vom Deck, so wurde gesagt, waren unheimliche Schreie zu hören.
Und die schwarze Feder? Wir fanden weder sie noch die einzelnen Elementefedern, obwohl wir das Haus von Henri Dupont auf den Kopf stellten. Vielleicht war sie zusammen mit Dupont verschwunden. Und falls nicht … würden wir das mit Sicherheit erfahren. Irgendwann.

Impressum

Texte: Daniel Hellstern
Bildmaterialien: Daniel Hellstern
Tag der Veröffentlichung: 18.01.2013

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