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Tap. Tap. Tap. Tap. Tap.


Der Asphalt war kalt und dunkel vom Regen. Schwarze Bremsspuren zeichneten einsame Bögen auf der Straße. Nasse Blätter sprenkelten die Fahrbahn, die in vielen Kurven durch ein weites Tal führte, das weitgehend unbewohnt war. Die nächste Stadt war mehrere Autostunden von der Stelle entfernt, wo die Rückleuchten des verunglückten Renault Clio wie zwei rot glühende Augen Ausschau hielten.
Tap. Tap. Tap. Tap. Tap.


Es war ein klammer Herbsttag. Die Bäume waren kahl, und ihre Zweige waren wie dürre, skelettierte Gebilde. Der Himmel war eine undurchdringliche, graue Wand, und der Wind hatte seit dem Unfall wieder nachgelassen. Beinah parallel zum Seitenstreifen lag der Körper eines hochgewachsenen, schlanken Mannes. Er lag mit dem Gesicht nach unten, seine Arme waren ausgebreitet und schienen nach dem Dreck zu greifen. Das Auto ragte nur wenige Meter hinter ihm aus dem Seitengraben heraus.
Tap. Tap. Tap.


Das Geräusch sich nähernder Schritte endete. Für wenige Augenblicke war es wieder absolut still in diesem verlassenem Tal.
„Nibi?“
Der Mann, der auf der Straße lag, wurde mit unsicheren Blicken bedacht. Er reagierte nicht auf seinen Spitznamen. Die Nässe hatte bereits seine Kleidung durchdrungen und entzog dem leblosen Körper seine Wärme.
„Nibi? … Was ist denn … passiert? …“ Man hätte glauben können, die Frau sei belustigt; dennoch hatte ihre Stimme eine Unsicherheit, ein Beben inne, beinah ein Stottern, das von dem furchtbaren Anblick herrühren mochte. Die Frau bückte sich nach dem Mann und streckte die Hand aus, streichelte mit zitternder Hand das dichte, lockige Haar des Mannes. Sie zog die Hand schnell zurück, als hätte sie etwas Schlimmes damit angerichtet. Dann stand sie auf, drehte sich einmal um ihre eigene Achse und schlich zu dem Auto. Nach einigen scheuen Blicken auf und in die Karosserie und den verletzten jungen Mann, der bewusstlos über das Lenkrad gebeugt war, wandte sie sich erschüttert ab. Anschließend überquerte sie die Straße und besah die kläglichen Überreste des Motorrads, das bei dem Zusammenprall einige Meter weit weg geschleudert wurde. Der Fahrer lag abseits im Schmutz, die Gliedmaßen widerwärtig abstehend.
Die Frau zog eine Grimasse. Sie seufzte. Dann ging sie wieder zu dem Mann, den sie Nibi nannte, und rief seinen Namen einmal, zweimal, dreimal, viermal.
Doch Nibi reagierte noch immer nicht.
Nun pustete die Frau eine Strähne ihres hellbraunen Haars aus der Stirn. Sie kniete nieder, atmete tief durch und beugte sich runter, bis ihr Gesicht fast auf der Schulter des Mannes lag.
„Nibi“, flüsterte sie und legte ihm eine kalte Hand auf den Kopf. Sie streichelte sanft sein Haar, nahm eine Locke und ließ sie durch ihre Finger gleiten.
„Niiiiiiii-biiiiiii.“
Nichts.
„Nibi!“

, zischte sie und zog an seinem Ohrläppchen. Der Mann begann zu stöhnen und zu raunen. Er murmelte etwas Unverständliches.
Sie seufzte übertrieben laut. „Sprich b-bitte deutlich, man versteht kein Wort … wenn du deine Lippen in den Asphalt gräbst.“
Der Mann drehte seinen Kopf, jedoch weg von der Frau. Dann wiederholte er langsamer und verständlich: „Was machst du hier? Ich habe dich nicht gerufen.“
„Jani hat mich gebeten, nach dir zu sehen. Uhhh, ist das kalt hier, brrrr

.“ Sie streichelte seinen Nacken.
Nibi stöhnte, und man konnte das Augenverdrehen seinen folgenden Worten deutlich anhören. „Und wieso kommt er dann nicht selbst vorbei? Weshalb macht er sich überhaupt Gedanken um mich?“
„Sei nicht immer so ein Griesgram, Ni-bi

.“
„Gib uns nicht immer diese dämlichen Spitznamen, Mai. Ich hasse das.“
Mai beugte sich noch weiter hinunter. „Wenn d-du endlich aufstehst, überlege ich es mir vielleicht anders, Ni-bi

.“ Sie pustete ihm ins Ohr. Nibi stöhnte und versuchte sie wegzustoßen, aber sein Arm schlug ins Leere.
Mai richtete sich auf und schlotterte jämmerlich. „Wie hältst du es n-nur immer in dieser Kälte aus?“, rief sie. „Darf ich?“ Sie breitete die Hände aus.
Nibi setzte sich hin und sah zu ihr auf. Seine Sachen hingen nass von seinem Leib. Mit einer gelangweilten Geste verdeutlichte er ihr, dass sie nur weitermachen sollte. Daraufhin schloss sie die Augen und atmete tief ein. Sofort war ein Temperaturumschwung zu bemerken, die kalte Luft erwärmte sich in Sekundenschnelle. Der Asphalt begann zu trocknen, eine warme Brise kam auf und das Gras zu beiden Seiten der Straße wurde satter und wuchs und wuchs.
„Das reicht. Hör auf“, befahl Nibi.
Sie folgte seinen Worten und blinzelte ihn aufgeregt an. Dann lächelte sie. „Schon besser.“
Nibi schnaufte abfällig. „Viel zu warm“, meinte er missmutig.
„Was hast du denn schon wieder?“
Er zog eine Augenbraue hoch und zeigte mit dem Daumen hinter sich.
„Oh …“
„Ja. Oh

. Haha. Und ich darf das dann wieder aufräumen.“
„Es sind doch nur ein paar Bäumchen“, meinte sie scheu. Im Umkreis von einigen Metern waren vielen Bäumen wieder frische Blätter und Triebe gewachsen, die als leuchtende Farbflecken in der grauen Umgebung sprossen.
„Klar. Meine Güte, es ist mein erster Arbeitstag dieses Jahr, und schon darf ich dank dir die ganze Arbeit mehrerer Monate wieder aufholen.“
„Also bitte. Das ist ein Aufwand von drei Sekunden für dich.“
Nibi spitzte trotzig die Lippen. „Es geht ums Prinzip“, meinte er. „Mit mir kann man es ja machen.“
„Jetzt stell dich nicht so an.“ Mai ging auf ihn zu und zog seinen Arm, um ihn zum Aufstehen zu animieren. Aber er blieb sitzen.
„Dass ihr Frühlingsmonate immer gleich übertreiben müsst.“
„So ist alles doch viel schöner, Nibi.“
„Um Himmels willen, hör auf, mich so zu nennen!“
„Ach komm, der Spitzname ist doch süß. Nibi klingt jedenfalls besser als November.“
„Manchmal hasse ich dich einfach.“
„Du alter Stinkstiefel!“ Sie versetzte ihm einen Klaps aus den Kopf.
„Nebelung ist ein altehrwürdiger Name. Kannst du mich nicht einfach so nennen, wie die anderen auch?“
„Kannst du nicht einfach mal gute Laune haben?“
Er schnaufte. „Warum sollte ich gut drauf sein? Ich hasse meinen Job, ich hasse die Menschen, die mir diese dämlichen Namen gegeben haben, ich hasse die Kälte und dass immer alles so grau ist. Aber am meisten hasse ich, dass mich die anderen immer bevormunden. Ich kann doch schließlich nichts dafür, dass ich der elfte von zwölf Monaten bin.“
„Dezember ist immerhin der letzte in der Reihe, und er sieht das ganze nicht so eng.“
„Auf den freuen sich ja auch alle. Ui, toll, Weihnachten steht vor der Tür,

blablabla. Was ist mit mir? Ich bin der letzte Herbstmonat, mit mir endet eine von nur vier Jahreszeiten. Und trotzdem wollen alle nur, dass ich so schnell wie möglich verschwinde, damit alle Winter haben können.“
„Das ist nun mal die Aufgabe, die dir Zeit deines Lebens …“
„Das Leben ist scheiße.“
„… dir Zeit deines Lebens zugeteilt ist. Daran kannst du nun mal nichts ändern.“ Sie beugte sich hinunter und schaute in seine tiefschwarzen Augen. „Denkst du, Sepi … ich meine, September und Oktober ärgern sich wegen ihrer Jobs?“
„Die haben doch gar nicht genug Grips im Kopf, um sich über irgendetwas aufzuregen. Die einzige, die noch bescheuerter ist als die beiden, ist April.“
„Worauf ich eigentlich hinaus wollte …“
„Ich mein, was denkt die sich dabei? Immer diese dämliche Getue. Sie. Ist. Nicht. Witzig. Warum will sie das nicht kapieren?“ Er ereiferte sich in seinen Hasstiraden. Mai ahnte, was ihr nun bevorstand: eine unaufhörliche Ekstase der Verachtung.
„Hihihi! Da sitzt eine Spinne auf deiner Schulter!“

Er ahmte Aprils hohe Stimme nach. „April! April! Hihihihi.

Was zur Hölle soll das? Warum wiederholt sie immer ihren Namen? Ich glaub, sie hat einen Gehirntumor – wenn sie überhaupt so etwas wie ein Hirn hat. Und was ist überhaupt mit Juni und Juli los? So etwas Versnobtes und Arrogantes hab ich seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen, und ich sage dir, wenn sich August noch ein einziges Mal in meine Nähe wagt, damit er mich vollstinken kann, dann setzt es was. Warum stinkt der eigentlich immer so? Ich versteh es nicht. Ich dachte, im Sommer regnet es oft genug, da muss man doch mal zum Duschen kommen? Ohh, und Februar, dieser faule, einfältige Sack. Macht nicht einen Finger krumm, aber Hauptsache die paar Tage Arbeit absitzen und ein wenig die Temperatur hochschrauben, und nicht einmal das

macht er ordentlich.“
Er zog ein grimmiges Gesicht und stopfte die Hände in die Taschen seiner schmutzigen schwarzen Stoffhose. Er schnaubte wütend und Speichelbläschen sammelten sich in seinen Mundwinkeln.
Mai hatte die ganze Zeit über mit verschränkten Armen dagestanden und mehr oder weniger aufmerksam zugehört. Sie kannte Nibi – oder November oder Nebelung oder wie viele Namen er auch hatte – schon unzählige Jahre, und sie wusste, wie sie mit ihm umspringen musste, wenn er in dieser Stimmung war. Und dazu gehörte, ihn einfach in Ruhe zu lassen, bis er endlich fertig war.
Es vergingen noch an die zehn Minuten, in denen Nibi mit allem und jedem abrechnete. Mai achtete gar nicht darauf, was er sagte. Sein Monolog verkam zu einem Rauschen, ein Flüstern, das bei Mais einem Ohr herein- und beim anderen wieder herauskam. Als er irgendwann verstummte, war sie so von den fröhlich blühenden Bäumen um sie herum vereinnahmt, dass sie es erst nach einigen Augenblicken bemerkte. Aber Nibi bemerkte es nicht einmal. Er starrte nur sinnentleert zur Seite. Die Wut war abgeflaut und durch Melancholie ersetzt worden. Es war immer das gleiche. Aufregen, abkühlen, bereuen.
Mai reckte das Kinn in Richtung der Unfallstelle hinter ihnen. „Was ist passiert?“, frage sie ruhig. Sie umging bewusst das vorangegangene Thema.
Nebelung starrte weiter ins Nichts. „Der Autofahrer hat die Kontrolle verloren. Ist am Steuer eingeschlafen. Als er wieder aufgewacht ist, kommt doch so ein Typ auf einem Motorrad entgegen, und – bumm

. Auto im Graben, Motorradfahrer auf dem Asphalt.“
„Und warum bist du hier? Seit wann interessiert es dich, was mit den Menschen passiert?“
Er schien darauf keine Antwort zu wissen. Aber nach einer Weile sagte er: „Er fuhr fast drei Stunden und ist dabei keinen fünf anderen Fahrern begegnet. Es ist doch seltsam, dass er gerade dann einschläft, wenn ihm ein etwas entgegenkommt. Seltsam und auch traurig. Ich bin hergekommen, weil ich die Trauer spüren wollte. Es gibt mir das Gefühl, ich bin doch nicht die ärmste Sau auf der Welt.“
„Das ist herzlos.“
Dazu sagte er nichts.
„Wie heißen die zwei?“, fragte sie dann.
Nebelung schaute sich zu ihnen um und seufzte. „Unser Dornröschen dort heißt Marcel, Matschgesicht hört – beziehungsweise hörte – auf den Namen Klaus. Als er auf dem Boden aufschlug, gab es so ein ekelhaftes Geräusch. Mir wird jetzt noch schlecht, wenn ich daran denke …“
„Der Autofahrer lebt noch.“ Es war keine Frage.
„Ich weiß. Aber er macht's nicht mehr lange. Hier kommt so gut wie keiner vorbei, um ihm zu helfen.“
„Aber es wird jemand kommen. Ich habe ihn bereits auf den Weg geschickt. Nun, er weiß natürlich nicht, dass ich ihm den Gedanken eingepflanzt habe, die Abkürzung über die Landstraße zu nehmen.“
„Das dauert noch Stunden. Bis dahin ist er verblutet.“
„Dann passt es ja, dass du schon hier bist.“
Er zog fragend eine Augenbraue hoch.
„Jani bittet dich um deine Hilfe.“
Nebelung schaute sie von unten an. Sekunden verstrichen. „Wobei mir einfällt, dass du meine Frage vorhin nicht beantwortet hast. Warum macht sich Januar Gedanken um mich?“
„Weil wir deine Fähigkeiten brauchen, Nibi. Marcel braucht sie.“
Er verzog das Gesicht.
„Januar will, dass …“
„Ich weiß, was er will“, unterbrach er sie barsch, während er aufstand. „Nur frage ich mich, was an diesem Menschen so besonders ist, dass ich ihm helfen soll?“
„Weil er einer von den Guten ist“, meinte sie nach einiger Zeit milde.
Nebelung schnaufte verächtlich. „Es sterben jede Minute Unzählige. Und zwar nicht nur die Bösen. Ich höre sie sterben, Mai. Ich höre es. In diesen dreißig Tagen, die ich auf der Erde bin, erlebe ich so viel Leid, dass es für ein ganzes Leben reicht. Und das Jahr für Jahr, schon seit Jahrtausenden. Es ist ein sinnloses Treiben.“
„Sag nur, die Menschen, die du so hasst, gehen dir doch ans Herz?“
„Darum geht es nicht, es …!“ Er wedelte mit den Armen, zwang sich aber zur Ruhe. Nebelung wandte sich ab.
Mai sah ihn an. Sie musste lächeln. Sein Charakter war alles andere als einfach. Aber sie kannte ihn lange genug. Er würde richtig handeln. Alles, was er brauchte, war ein Anstoß …
„Januar hat nicht entschieden, dass Marcel überleben soll.“
„Das wäre ja noch

schöner. Dieser Typ ist schon so viel zu anmaßend.“ Er spuckte auf den Boden.
Sie kicherte. „Ja. Aber diese Entscheidung hat nicht er gefällt.“
„Wer denn dann?“ Noch während er sprach, hatte er eine gewisse Ahnung, wen sie meinte. Mai grinste hämisch und deutete mit ihrem dünnen Zeigefinger in den Himmel, wo sich genau über ihnen ein kreisrundes Loch in der dichten Wolkendecke auftat; das Werk des Frühlings.
Nebelung formte mit dem Mund ein tonloses „Oh“, dann räusperte er sich und legte wieder eine missgönnende Miene auf. „Na schön!“, blaffte er, bevor er zu dem Auto stapfte. Seine Schuhe waren verklebt von braunen und gelben Blättern.
Mai sah zu, wie er an das Auto trat. Ihr Auftrag war damit erledigt. Sie blies eine Strähne aus der Stirn und war mit dem nächsten warmen Windstoß verschwunden.
Nebelungs Arm glitt mühelos durch die verbeulte Fahrertür und betastete Marcels Stirn. Dann seine Brust. Und schließlich seinen Rücken. Er schloss die Augen und bewegte den Verletzten vorsichtig so vom Lenkrad weg, dass er mühelos an seine Atemwege gelangen konnte.
„Nun dann …“ Jetzt steckte Nebelung zusätzlich seinen Kopf durch die Tür. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von dem Marcels entfernt.
Seine Nasenflügel begannen, sich rhythmisch zu zu weiten und zusammenzuziehen, als er einatmete. Das tat er fast fünf Minuten lang, ohne dabei wieder auszuatmen. Er spürte, wie sich seine Lungenflügel immer weiter füllten. Schließlich presste er seine Lippen auf Marcels Brust; und ließ die Luft entweichen. Der Atem des Novembermonats floss durch die Menschenkleidung und -haut und drang direkt in die Lunge ein, wo sie sich ausbreitete. Die belebende Kraft seines Atems erweckte den Geist Marcels. Nebelung konnte sehen, wie neues Leben in diesen Körper drang, der sonst dem Tode geweiht gewesen wäre. Nun widmete sich Nebelung den Verletzungen. Der Airbag hatte sich nicht aktiviert – ein Gefahrenherd, dessen sich der Fahrer mehr als bewusst gewesen war, aber nie einen Wert darauf gelegt hatte –, und Marcels Brustkorb war beim Aufprall zusammengequetscht worden. Auch an Kopf und Beinen waren schwere Wunden.
Nebelung entschied, die Wunden nicht zu heilen; dazu war er durchaus imstande, und von allen zwölf Monaten war er der einzige mit dieser besonderen Gabe. Doch statt die Schnitte zu schließen, die Knochenbrüche zu beheben und die Blutungen zu stoppen, begann er, die Schwere der Verletzungen abzuschwächen. Dafür sog er die Luft durch die Nase ein. Ein. Ein. Er schmeckte den Schmerz förmlich, den er auf sich übertrug. Aber er fuhr fort, bis er der Ansicht war, er hatte genug getan.
Er verließ das Auto und war mit seiner Arbeit zufrieden, ohne sonderlich erfreut darüber zu sein. Sein Blick wich von dem Leben, das er soeben gerettet hatte, ab und streifte den Motorradfahrer. Matschgesicht. Für einen Moment spürte er Mitleid, aber dieses Gefühl hielt nicht lange vor.
Nebelung seufzte. Warum Marcel unbedingt am Leben erhalten bleiben sollte, war ihm nach wie vor schleierhaft. Aber Fragen zu stellen, das lag außerhalb seiner Befugnisse. Er war ja nur der elfte von zwölf. Das vorletzte Glied der Kette.
Jetzt gab es nur noch eins zu tun.
Er schloss die Augen und breitete die Hände aus. Er ließ in vorsichtigen Maßen Luft aus dem Mund strömen. Dabei achtete er darauf, nicht zu viel seines wertvollen Atems zu verlieren. Der Novemberatem war einer der mächtigsten der zwölf Monatslüfte. Doch darauf legte er keinen Wert. Nein. Er würde auch in Zukunft ein wehmütiges Häuflein Elend bleiben.
Als er die Augen wieder öffnete, waren die blühenden Bäume wieder die grauen, kahlen und trostlosen Bildnisse, die sie vorher gewesen waren.
Grau. Kahl. Trostlos.
Das war sein Job.
Er war der November. Schon immer gewesen. Einer von zwölf.
Nebelung steckte die Fäuste in die Hosentaschen. Es war wieder kalt geworden und die Wolkendecke hatte sich geschlossen. Er blinzelte einmal mit seinen tiefschwarzen Augen, dann war auch er nur noch ein klammer Wind in diesem leeren Tal.

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Tag der Veröffentlichung: 15.11.2011

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