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Ich weiß, es war ein warmer Sommermorgen,
Als ich aufbrach und 's mich in die Ferne trieb,
Die Sonne und der Wind waren mir lieb:
Kein Schatten trübte meinen Weg mit Sorgen.
Der Himmel streckte über mir die Glieder,
Die Vögel sangen ihre schönsten Lieder.

Von sanften Höhen fiel ein zarter Hauch
Und strich durch meine Haare wie ein Geist,
Der mir mit Flüstern meine Richtung weist.
Die Blümchen winkten mir, die Bäume auch,
Wie wenn sie Glück mir wünschten auf der Reise,
Und lächelnd dankte ich es ihnen leise.

Doch plötzlich stockte meiner Füße Schritte
Und stille stand ich, rieb mir meine Augen,
Dass wirklich sie es sah'n und ihrer Sache taugen:
Da stand ein Bettler auf des Pfades Mitte.
Versperrte mir den kurvenreichen Pfad,
Dass ich verwirrt auf einer Stelle trat.

Starr mir in mein Angesicht er blickte,
Zeitgleich lächelte sein spröder Mund.
Und dann ertönte in dem grünen Rund
Sein Lachen, das die raue Stimme schickte.
Minuten stand er da und lachte mir entgegen.
Ich ließ ihn steh'n und folgte meinen Wegen.

Fortan schien kühler es zu sein und werden,
Gedanken kreisten seltsam mir durchs Haupt.
Dass nur der Bettler schuld war hätt' ich nie geglaubt.
Es musste etwas andres sein auf Erden.
Ich dacht' nicht länger nach, doch dann mir's graute,
Als ich in dieses Bettlerlächeln schaute.

Verwundert blickte ich in sein Gesicht.
Ich glaubte schon, ich sei im Kreis gelaufen –
Wie sonst ständ' ich jetzt vor dem Lumpenhaufen?
Er rührte, er bewegt' sich einfach nicht.
Es schien, er würde mich nicht registrieren
Und wollte auf mein Wort nicht reagieren.

Da packte mich ein unbekannter Brand,
Ich riss die Augen und den Mund weit auf:
„Warum behinderst du nur meinen Lauf?“
Er sagte aber nicht, wieso er vor mir stand.
Seltsam war sein Lachen, schlimmer noch sein Schweigen,
Dass plötzlich mir ein Zittern war zu eigen.

Da war 's vorbei mit meiner Seelenruhe.
Ich packte ihn und warf ihn in den Staub;
Doch plötzlich wurde sein Gesicht vor Schmerzen taub,
Und aus dem Mund lief Blut ihm auf die Schuhe.
Mit roten Lippen saß er da im Dreck
Und schaute an mir hoch – da war ich weg.

Die Luft war aus der Lunge mir geschlagen,
Die Sonne an dem Horizonte hing,
Als ich mit leeren Blicken weiterging.
„Ich hab ihn kaum berührt“, musst' ich mir sagen.
Ich sah auf meine Hände, und die Finger
Schienen mir wie krumme, kranke Dinger.

So den Blick von meinem Weg gewendet,
Wäre fast ich über was gestolpert
Und mit einem Bein vorbei geholpert.
Erschrocken sah ich auf, doch wie geblendet
Sah ich schnell zu meinen Füßen wieder,
Verzog den Mund und schloss die Augenlider.

Das kann nicht sein

, so dachte ich entsetzt,
Das ist ein Zauber, der hier seltsam waltet
Und über mir mit seinen Fängen schaltet.


Dann war 's, als wäre mir ein Schlag versetzt;
Getaumelt bin ich vor und dann zurück
Unter Bettlers aufmerksamen Blick.

Das trockne Blut verschmolz mit seinem Bart,
Verfilzter warn die Haare auf dem Kopf,
Noch schmutziger war er bis hoch zum Schopf;
So armselig sah ich noch keinen meiner Art.
Ich wollte nur noch weg und überwand
Mein Zittern und auch den, der vor mir stand.

Kaum war ich sieben Schritte weit gegangen
Und fühlte, wie mein Herz sich nun befreite,
Da sprach der Bettler – 's klang wie aus der Weite.
Er sprach ein Wort, und in mir war Verlangen
Zu hören, wo er solches Wort vernommen.
„Anatol“, sprach er und ich stand benommen.

Ich wirbelte umher und packte ihn am Kragen.
„Wie weißt du 's?“, klang es aus den Zähnen,
„Wie kannst du 's wissen, wie kannst du 's erwähnen?
Sprich denn, Bettler. Du musst es mir sagen:
Wie kannst du meinen Bruder denn nur kennen?
Sag es, sag, du musst die Wahrheit nennen!“

Doch lächelte er nur und schwieg bedächtig.
Ich konnte nicht durch die Fassade dringen
Und meinen Wissensdurst damit bezwingen.
Kälter wurde es und langsam nächtig,
Doch wollte er mir keine Antwort geben;
Und plötzlich trachtet' ich nach seinem Leben.

„Du willst mir also nicht dein Wissen teilen“,
Ich sprach es langsam, fast schon wie im Schlaf,
Als ich ihn auch schon mit der Faust hart traf.
„Dann wirst du, Bettler, ewig hier verweilen.“
Ich warf ihn hin und griff mir einen Stein
Und schlug wie ein Verrückter auf ihn ein.

Es zitterte die Lippe nach der bösen Tat,
Des Bettlers Leichnam lag wie Schmutz vor mir,
Lag vor meinen Füßen wie ein Tier.
Schnell verschwinden war nun guter Rat.
Den Kopf hatt' ich in Raserei zertrümmert,
Um den im Zwielicht dunkles Blut jetzt schimmert'.

Rote Punkte glänzten auf den Armen
Und meine Rechte brannte von dem Schmerz,
Der langsam um sich Griff, nach meinem Herz.
Ich kannte weder Rücksicht noch Erbarmen
Und Wut war mir nur übrig in der Stunde.
Keuchend ging ich weiter in der Runde.

Was ich dann hörte packte mich mit Klauen,
Es schoss mir wie ein Blitz durch Mark und Bein.
Es war unmöglich, konnte gar nicht sein.
Wie angewurzelt stand ich, um zu schauen:
Rückwärts sah ich und mein Kopf zerkrachte.
Da stand der alte Bettler, und er lachte.

Lauthals lacht' er mit gespaltnem Schädel.
Es konnte nur ein Geist dort vor mir stehen
Und mich mit toten Augen bös' ansehen.
Zwar blinkten sie wie Diamanten, edel,
Doch war kein Feuer hinter diesem Glas.
Nur alter Zorn, der durch mich durch sich fraß.

Ich schluchzte schwer und rannte wie ein Wilder
Den Weg hinunter, den ich wollt' bewandern.
Es gab nur diesen, sonst gab 's keinen andern.
Durch mein Gedächtnis zuckten alte Bilder.
Anatol war es, an den ich mich entsann,
Und auch an das, was ich ihm angetan.

Vorbei an alten Wäldern lief ich blind,
Vorbei an Bächen und an tiefen Stollen –
In denen war die Zuversicht verschollen.
Es pumpte mir das Blut wie einem kleinen Kind,
Doch konnte ich nicht anders als zu laufen,
Weit weg von diesem toten Lumpenhaufen.

Da wuchs aus Schatten plötzlich ein Gemäuer,
Mit leeren Fenstern und mit hohen Wänden,
Die ihre Grüße in den Abendhimmel senden.
Ich lief zur Tür hinein, doch war 's mir nicht geheuer,
Aber ich erkannte Teppich und die Steine:
Dies fremd-vertraute Haus, es war das meine.

Der kalte Schweiß lief mir von meiner Haut
Und perlte auf den Boden ohne Trost.
Dies harte Schicksal hatt' ich selbst gelost.
Ich dachte es und sprach es dann auch laut.
Zu oft hat durch mich Anatol gelitten,
Bis ich ihn dann mit meinem Dolch geschnitten.

Jetzt schickt' er aus dem Leichenreich den Bettler her,
Um sich mit Angst und Furcht an mir zu rächen
Und meinen schwachen Geist nochmal zu schwächen.
Es fühlte meine Seele sich so schwer,
Dass es mich quälte mit gefror'ner Glut
Und mich überließ der Asche Wut.

Gespenstig klang der Wind in meinen Ohren,
Wisperte durch alle kleinen Lücken
Von der Nacht und ihren alten Tücken:
Ich war in seinem Singgesang verloren.
Da pochte es entsetzlich an der Türe.
Ich fiel vorn über und auf alle Viere.

Fast fünf Minuten klang der Trommelschlag,
Eh er erstarb und Stille mich umfing.
Und mitten in die Totenruhe ging
Ein Lachen, wie es einer nur vermag.
Da raffte ich mich auf und schlich voran
Und hob dann meine Klagestimme an:

„Du Foltergeist, der du mich reißt in Fetzen
Innerlich und äußerlich mich brennst,
Der du dem Anschein keine Gnade kennst:
Ich dachte nie, es könnte so verletzen,
Was hier im Herzen ich nun fühle.
So geh und lass allein mich in der Kühle!“

Doch unvermindert ging es weiter,
Am Tag von vorn und Nachts nochmal,
Zu jeder Stunde leb ich Qual,
In meinen Augen sammelt sich der Eiter.
Und durch man Flehen und mein Zagen
Hör ich tausend Trommeln schlagen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.04.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Trommeln

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