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Supermarkt

 

Ich setze Schnitte in Kartons, die sich weigern. Ich suche einen Angriffspunkt. An den rauhen Seitenla­schen probieren meine Finger, wann das Gebilde aus Pappe, Leim und Metallklammern bricht. Man darf mich nicht erwischen bei erfolglos wiederhol­ter Tätigkeit, es muss gelingen.

 

Jetzt.

 

Einer ohne Wohngeld unterbricht mein Bemühen und hier, wo beinahe jede Frage ihre Berechtigung eingebüßt hat, sucht er seine.

 

Sie müssn doch versteeehn, lallt er dahin, ich habmehr geleistet alsjeejn Menschauffärden.

 

Ich denke kurz an: JesusChristusMichelangeloMozartTolstoiEinstein.

 

Was er getan habe.

 

Ich war Panzerfahrer. (Beinahe seufzt er.)

 

Die Stimme von überall ruft mich nach vorne. Aufwischen! Eine zufällige Mischung, die sich fand im Moment des gegenseitigen Berstens, durch drängende Kunden, die weiter darinnen den Kot der Straße zertrampeln. Das Gestell mit Wringer und blauem Plastikkübel ist nicht einsetzbar, da ist nur ein schmaler Durchgang zwischen den Kassen. Die Scherben wollen meine Hände zerschnitten sehen, noch lasse ich es nicht zu, ich bücke mich und die Kunden stoßen unrhythmisch ihre Wagen gegen mich. Etwas schlabbert zäh in den Lappen hinein.

 

Man schickt mich zum Keller, einen Werbeblock zu holen. Von der grauen Betondecke regnen Rohrbrüche herab. Des Marktleiters Zunge wird in der Mitte des Mikrowellenessens gebrüht. Ich verlagere den Block auf eine mechanische Ameise. Der, dessen LeberundMilz schon zerfressen sind, besänftigt seine torkelnden Organe mit einem kalten Zitronentee.

 

Vorsicht! Glas!

 

Hier: oben!

 

Türen aufreißen, an zwei ewigen Schlaglöchern vorbei, der Aufzug rattert langsam nach oben. An den Nirosta-Toren langweilen sich Preismarken, ich werde von oben neonfahl ausgeleuchtet. Das Mahl verendet in Telefonaten. Bangende Aufdringliche haben unabdingbare Vorschläge zu machen.

 

Mein Aufbau zerfällt. Eine schnarrende Lautan­sammlung setzt sich von oben herab. Ich sortiere kühlere Dosen nach oben. Kunden greifen immer nach unten. Eine Amerikanerin, zukünftig fette Mittelklassenhausfrau, versucht ein laszives Lächeln, das dumm gefriert. Blickt mich an. Schmales Brillengesicht schraubt sich aus seiner Spur, etwas zu förmlich gekleidet, der Kehlkopf giggert, letzter Ausweg des Kalks im Kessel. Der deutsche Telegrafenmeister und nun Kreisvorsitzende einer christlichen Partei erteilt mir Anweisungen. Preise müssten korrigiert werden. Er wäre ja lieber Schauspieler geworden, nicht. Er gibt eine motivierende Kostprobe aus dem Leben eines Mongoli­den, er muss sehr über sich lachen.

 

Waren vorziehen und spiegeln, Oliven glubschen in den Gläsern. Ein latent homosexueller Vertreter greift an meine Hüften, versucht, mich zu einem Kaffee einzuladen. Kühn von Kühne. Eine Frau sucht Alkohol für ihren toten Mann. Der Tod ist ein blaues Destillat (Curaçao). Vor meinen Augen werden Waren aufgerissen, zertreten, zermanscht.

 

Schenken Sie mir diese Tafel Schokolade. Nein, warum nicht. Gerade gefunden. Hier, und diese Tafel. (Gleiche Tafel, nur zertreten.) Können Sie sie mir jetzt schenken. (…) Ich schabe und kratze ab. Mehrere Bestellungen konnten nicht ausgeführt werden. Was lässt sich einordnen, ich verschiebe und drücke, bis alles passt. Haben Sie. Moment, ich schaue im Kühlraum nach.

 

Eine abgestandene Dose pissgelber Brauseplärre hastig hinuntergeschlungen.

 

Kohlensäurekatastrophe.

 

Rülpsrauschen.

 

Hintergrundmuzak.

 

?

 

 

Es ist lauter geworden. Trotz engem Synthetik eile ich, noch alles mitzubekommen. Der durstige Dieb schreit nach der Polizei, man misshandele ihn. Der Detektiv wälzt ihn in den Scherben zerschlage­ner Kaffeegläser. Ich überlege, wie ich der Tunke aus Instantpulver und Blut beikommen kann, der Fleischer eilt herbei, die Kristalle am Leib des Geschlagenen reizen ihn, er streicht mit seinem langen Schlachtermesser an dessen Kehle und mahnt. Jaaaa, Diebstahl ist kein Kavaliersdelikt, nicht wahr. (Sagen auch die Pappen über der Tür, abgeführt wird der am Boden liegende.)

 

Weibliche wohlanständige Kassenkräfte, Obsteinräumer, Fleischzerteiler entrüsten sich und sind anwesend. Sie tragen zur Anwesenheit der menschlichen Rasse bei. Ein quälender Aufstieg wird (zwar zugegeben) nie möglich sein, doch bei ihrem Mes­serriss durch die Pulsader (später, am Krebsende) stellen sie einen Suppenteller unter, möglichst wenig Schmutz zu hinterlassen. Ich wisch´ nich´ auf (schon gesagt!).

 

Ich muss wegschicken, mein Gott, ich muss alles wegschicken, ich brauche Kartons, helfen Sie mir...! Niemand kennt seine Objekte und seine Ziele (auch ich werde ihn niemals danach fragen), graubekittelte Arschvergeiger gibt es genug. Überall fahndet er, spürt, findet und vernichtet jeg­liche Pappe in seinem eng begrenzten Lebenskreis ohne Tageslichter und klebt und fertigt zusammen. Hilfe wird erteilt.

 

Zwei Helden des Einkaufszentrums, die sich ge­fährlich finden und bereit, transportieren die Tages­einnahmen ab, ihre Waffen nötigen sie zu wat­schelndem Gang. Der verquollene Leib, der sie ein­gelassen hat, kippt ein stinkendes schwarzes Wasser hinab.

 

Ein stumpfer Buchhalter sprüht großflächig groß­zügig über jede Spalte, alle Kerben hinweg, ein fetter ausgemerzter Schweinebauch robbt und grunzt an die Fußstätten der Vernichtung heran. Ein Schaum entlädt sich, bläht sich und löscht die feigen fort gerollten Früchte drunten aus, gerinnt danach auf dem Boden zu Schlieren, vermengt sich wieder mit dem sauren Schweiß des Dicken und nagt ihn ab bis auf hohle Schweineknochen. Er grinst anämisch zu mir herauf und fast, als wollte er gleich einen schmerzvollen Veitstanz aufführen, doch dort unten schwirren immer noch paarbeflügelte Plagegeister. (Die ob der vergeblichen Vergeltungstat in unhörbares Lachen ausbrechen.)

 

Sie haben sich im Büro eingeschlossen.

 

Über einen Seitengang gewinne ich Einsicht, luge über den Fensterrahmen auf das geübte Spiel ver­zückter Kassenkräfte und sehe die lasziven Läche­leien wieder, vom Video abspielen ausgeleierte Arme und Bänder, die Münder verschränken sich, ich falte meine Hände, gleich möge der Dieb von vorhin oben klingeln, denn ein allgemeines barbarisches Begehren, draußen, hat ihn wieder mit zurück geschwemmt. Ob sie ihm nun bereitwillig öffnen oder sich in ihren Lagerkellern verstecken, wird von nun an nicht mehr wichtig sein.

 

Unbeteiligte Touristen (nebst hilfsbereiten Bürgern) plündern den Juwelier nebenan.

 

Die aus ihrer letalen Lethargie aufgeschreckten Wachleute und libanesischen Hilfskräfte verteilen ihr Feuer gleichmäßig.

 

In den Luftschächten werden primitive Brandbom­ben abgelegt, wertvolle Gegenstände in gefüllten Kinderwagen müssen auf der Flucht fallen gelassen werden, zertreten, zermanscht.

 

Im Markt selbst, sieht sich der Fleischer seinem Schicksal gegenüber, der tapfere Vertreter der frü­heren Ordnung, man gräbt ihm eine dritte Augen­höhle aus, genau zwischen die beiden anderen, der abartige Polyphem sucht im letzten Schnarren sei­ner Lungenflügel die Kristalle auf der Erde.

 

Bei manch anderen vollendet sich die Existenz im Sexualdelikt.

 

Wir aber, die übrig Gebliebenen, springen durch die Gläser der Vordertüren mitten in den Brand hinein und so wir nicht über Leiber stolpern und ebenfalls umkommen oder uns das kochende grüne Wasser aus den zerplatzenden Stundenglocken einer großen Uhr und Touristenattraktion bespritzt, be­springt, glotzen wir auf die Tode der Anderen.

 

Jeder stirbt durch einen Anderen.

 

Diesen Moment verfolgen wir gebannt und nur von unseren ureigenen Interessen beherrscht, Niemand wird löschen kommen. (Was ließe sich nicht noch alles mitnehmen und wegschicken.) Die Unver­ständigen aber stoßen wieder von hinten, im Rhyth­mus des Sterbens rundherum verloren, gegen mich.

 

Ich versuche zu atmen, was aber hier draußen mich umfängt, ist nicht, woran ich mich gewöhnen woll­te, torkele abseits von den noch spürbaren Resten von Kohlenhitze, scharf qualmendem Müll und streng versengter Luft, sehe, wie der Mutterleib ausbrennt, ausglüht.

 

Und die Verwalter kommen und bauen auf und lei­ten in die Wege. Ab und zu retten sie.

 

Ein paar Hunde gaffen (kläffen nicht) als man ei­nem brillenbewehrten Christen ob der Schwere sei­ner Wunden den Gnadenschuss erteilt.

 

Ich hoffe, dass die Watteluft von einem grauen Re­gen (wenigstens) zerteilt würde. Doch nichts ge­schieht. Unter Druck und Hitze spalten sich alle Fenster vor anständigen anwesenden Augenzeu­gen, brechen, bersten, zerfließen, dann umspülen und eine erstarrte Schmelze kristallisiert sie alle ein.

 

Irgendjemand zählt (am Ende) alle Opfer.

 

Ich aber trolle mich in die Spätvorstellung des nahe gelegenen Kinopalastes.

(Erbarmungslos. Ein Western.)

 

Zur selben Zeit wird einem Blinden die Bettelschale gestohlen werden.

Sie ist aus Pappe.


Impressum

Texte: Stephan Potratz
Bildmaterialien: Stephan Potratz
Tag der Veröffentlichung: 18.02.2009

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