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Viola




"Hey, Vi. Na? Gut geschlafen?", grinste mir das Gesicht meiner besten Freundin Sally entgegen.
"Was glaubst du denn?", brummte ich noch total verpennt.
Es war Montagmorgen und die Schulwoche begann von vorn.
"Ich konnte kaum schlafen. Ich schwöre dir, ich werde nie wieder in meinem Leben mit dir am Abend Kaffee trinken gehen. Ich war sowas von aufgedreht, ich bin die ganze Nacht in meinem Zimmer herumgetigert", erzählte ich ihr.
Grinsend lief sie neben mir her, während wir auf unsere Schule zugingen.
"Och du Arme", frech streckte sie mir ihre Zunge raus.
Ich brummelte noch etwas von wegen gute Freundinnen sind für einen da, wenn es einem schlecht ging und marschierte mit ihr in unser Klassenzimmer. Wir liessen uns auf unsere Plätze fallen und packten unsere Schulsachen aus. Während Sally fröhlich vor sich hin pfiff und dabei wahrscheinlich an Alex, ihren Freund, dachte - verfluchte ich diesen Tag. "Na du, hast mal wieder zu wenig geschlafen?", zwinkerte mir Kenneth von der Seite zu. "Mhm", murmelte ich und gähnte einmal herzhaft.
"Wieder der Kaffee?", Leon der direkt hinter mir sass, lachte laut auf, "Oh Mann! Ich kenne niemanden der so auf Kaffee reagiert wie du."
Ich guckte ihn mit meinem berüchtigten "Todesblick" an, als die Tür aufging und Mell, eine gute Freundin von mir und Sally, gerade total verzettelt und ausser Puste in das Zimmer gerauscht kam. Völlig fertig liess sie sich ein Platz vor mir fallen und drehte sich auch schon zu mir um.
"Schreiben wir heute diesen blöden Mathe-Test?", fragte sie mich total verzweifelt.
Ich knurrte nur zustimmend. Anscheinend verstand sie mein Herumgeknurre, denn sie stöhnte nur einmal auf und drehte sich wieder um. Tja, das war unsere Mell, wie wir sie kennen und lieben. Da kam schon Mr. Qenston, unser Mathelehrer, rein. Er hatte wie immer seine viereckige, schwarze Brille auf und eine total dämlich rote Fliege um den Hals an.
"So, dann fangen wir doch gleich mit dem Unterricht an. Markus? Verteile bitte die Prüfungen. Alle anderen versorgen alles ausser einem Stift", verkündete er.
Na toll, ein Test hatte mir grade noch gefehlt. Super, echt jetzt. Während des Tests versuchte ich Mell ein paar Lösungen von hinten zuzuflüstern. Nachdem die Doppelstunden Mathe endlich vorbei waren, klingelte es auch schon zur Pause.

Gerade schlenderte ich mit Sally und Mell nichtsahnend um die Ecke, als ich mit voller Wucht gegen eine steinharte Brust knallte. Erschrocken knallte ich auf meinen Hintern - mitten im Schulflur. War ja klar das ich nicht plötzlich in starken Armen lag, die mich vor dem harten Aufprall zwischen Boden und meinem Hintern bewahrt hätten. Doch als ich aufsah und ich in kalte blaue Augen blickte, war ich doch froh, denn ich wollte ehrlich nicht in SEINEN Armen liegen. Lucien starrte von oben herab zu mir herunter, als wär ich ein ekliger Insekt. Toll. Der Tag wird immer besser und besser. Und er machte keine Anstalten mir auch nur aufzuhelfen.
"Pass doch auf", murrte er mich an und lief einfach an mir vorbei.
Während ich hier so am Boden rumsass, als wäre ich ein Kleinkind - glotzte ich ihm einfach hinterher. Was? Wie bitte? Bin jetzt im falschen Film oder was ist hier los? ER ist doch gegen MICH gerannt. Nicht umgekehrt.
"Oh ja! Lauf einfach an mir vorbei. Keine Sorge, mir ist nichts passiert. Echt. Brauchst dir keine Sorgen zu machen. MIR GEHT`S SUUUUPEER!", schrie ich ihm noch wütend hinterher. Doch er machte sich nicht mal die Mühe sich umzudrehen. Ich war mir nicht mal sicher, ob er mich gehört hat. Gnädigerweise halfen mir meine Freundinnen auf die Beine und erkundigten sich, ob ich mich verletzt hätte.
"Nein. Alles gut. Ausser vielleicht, dass ich kleine Sternchen vor meinen Augen fliegen sehe. Oh und ... ist das Bambi?", fragte ich dümmlich vor mich hingrinsend während ich ein Punkt in der Luft fixierte.
"Oh - Oh. Der hat dich ganz schön erwischt. Vielleicht sollten wir dich mal durchchecken lassen. So ein Vollpfosten. Hat sich nicht mal entschuldigt", vorwurfsvoll blickte Mell Lucien hinterher,"Komm, wir gehen ins Café."
Links und rechts von Mell und Sally flankiert, die mich entschlossen festhielten, nicht das ich plötzlich anfing mich merkwürdig zu benehmen. Oder so. Langsam marschierten wir auf das Café, das direkt gegenüber der Schule lag, zu.

Lucien




Heute war echt nicht mein Tag. Zuerst hatte ich mich mit meinem älteren Bruder geprügelt und jetzt krachte dieses Mädchen volle Kanne in mich hinein. Belustigt fing ich an zu grinsen. Sie hat mir meterweit weg hinterher geschrieen. Anscheinend dachte sie wohl, ich würde ihr aufhelfen. Darauf konnte sie lange warten. Ihr Gesicht erschien zum wiederholtem Male vor meinem Gesicht. Sie war hübsch, aber das wusste die ganze Schule. Viola hatte bronzefarbenes-leicht rötliches Haar und grüne Augen mit langen, schwarzen Wimpern. Die Hälfte der männlichen Schüler stand auf sie. Ich wusste auch warum. Sie sah einfach nur heiss aus. Sie hatte tolle Lippen, einen schlanken, grazilen Körper und eine unbeschreibliche Anziehungskraft ging von ihr aus. Sogar ich war vor einem Jahr versucht sie anzusprechen, aber was hätte das gebracht. Wahrscheinlich hätte sie mich vor versammelter Mannschaft ausgelacht. Ich war für alle unsichtbar und das war auch gut so.

Da heute wirklich ein beschissener Tag war, schwänzte ich kurzerhand die letzten Stunden und hing im Park ab. Ich ging nicht nach Hause, denn ich war mir sicher Lyke würde mich hochkant wieder hinausschmeissen. Nach der Sache mit dem Kellnerjob, den ich geschmissen hab, weil der Chef eine Schwuchtel war und mich sexuell belästigt hatte. Ich hatte nichts gegen Homosexuelle, aber dieser war charakterlich schon ein Arschloch und ich hatte was gegen Arschlöcher. Seufzend zündete ich mir eine Zigarette an und sah mich um. Die Blätter der Bäume strahlten in bunten Farben mit der Licht der Sonne um die Wette, während Spaziergänger und Jogger an mir vorüber gingen. Eigentlich ein ruhiger, friedlicher Tag. Es war Herbst, dass hiess bald würde es eisig kalt werden und ich hatte noch kein Geld um mir einigermassen warme Kleidung kaufen zu können, geschweige denn die Heizkosten zu bezahlen. Stöhnend raufte ich meine Haare und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Wie schön es wär, wenn ich ganz normal wär. Einer der sich nicht um Geld sorgen brauchte oder keine Scheu empfand ein Mädchen anzusprechen. Halt. Falsch. Nicht ein Mädchen, sondern Viola. Kurz stellte ich mir vor, wie ich sie auf ein Date einlud und sie tatsächlich ja sagte. Eine wirklich schöne Vorstellung, aber mehr als unrealistisch. Ich erinnerte mich zurück, als sie mir das erste Mal auffiel.

"Ey, du hässliches Entlein, wenn du mich noch einmal so begaffst, dann setzt es was, klar? Schliesslich will ich mich nich mit dem Scheiss-Loser-Virus anstecken, den du mit dir rumträgst", hämisch lachend stand Severina vor der neuen Schülerin.
Ich sah sich die Szene mit deutlichem Unmut an. Sollte ich mich einmischen oder mich lieber raushalten? Es wäre nämlich nicht schlau, sich mit der gebürtigen Serbin anzulegen. Sie wurde schnell aggressiv und scharte um sich eine ebenso gefährliche, balkanische Clique. Diese war berüchtigt für ihre Ausraster und Wutanfälle. Während ich eine innere Disskusion mit mir führte, trat plötzlich eine andere Neue aus der Masse der gaffenden Menge hervor. Mit brennendem Blick stellte sie sich neben das gepeinigte Mädchen, welches sich so klein wie möglich machte. Aber jetzt schaute das Mädchen mit ungläubigem zu ihrer Retterin auf.
"Hör auf Sally zu drohen! Sie hat dir nichts getan", wandte sie sich an die Anführerin.
Mit offenem Mund starrte diese sie an, dann fing sie sich wieder und lachte aus vollem Halse los: "Oh mein fucking Goodness! Ich check grad nix. Biste hier um sie zu retten, häh? Biste jetzt Engel odr was? Kümmere dich um dein Scheiss, bevor ich mich dich zum Opfa mach."
"Wieso tust du das eigentlich? Hast du Spass daran jemanden zu verletzten? Was wurde dir angetan, dass du so geworden bist?", fragend schaute Vi sie an.
Plötzlich verstummte Severina, dann breitete sich Wut über ihre Züge aus und wandte sich ab.
"Biste mein Scheiss-Psychologe odr was? Brauch ich nich, klar? Also piss mich nich an, dann piss ich dich auch nich an", damit wandte sie sich ab und ihre Clique folgte ihr wortlos.
Ungläubig starrte ich dieses wunderschöne, mutige Mädchen an und wusste: Scheisse - ich hab mich verliebt.

Viola




Nachdem wir im Café alle etwas essen und trinken konnten - wohlgemerkt kein Kaffee für mich, sondern fruchtigen Orangensaft -, gingen wir auch schon wieder zurück zum Schulgebäude. Während wir zu unserem Klassenzimmer marschierten, hielt ich Ausschau nach Lucien, um ihm noch meine Meinung über den Zusammenstoss im Flur geigen zu können. Doch leider war er wie vom Erdboden verschluckt und egal wie hochkonzentriert ich jeden in meiner Nähe begaffte, was mir viele irritierende Blicke einbrachte, konnte ich seine schwarzen, längeren Haare leider nicht ausmachen. Aber ungewöhnlich war das nicht, er tauchte nicht immer zu den Unterrichtsstunden auf und die Lehrer gaben es auf ihn darauf anzusprechen. Ich wunderte mich ein bisschen darüber, dass ich solche Dinge über ihn wusste. Anscheinend hat mein Gehirn Sachen aufgeschnappt und gespeichert, von denen ich keinen Schimmer hatte.
"Hey, Vi. Sehen wir uns nachher?", schelmisch grinsend lehnte Kenneth sich von seinem Platz aus zu mir.
Verwirrt runzelte ich die Stirn.
"Öm..ja klar", stammelnd antwortete ich ihm und drehte mich sogleich zum hereintretenden Lehrerin um.

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Tag der Veröffentlichung: 10.03.2012

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