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Erweitertes Impressum

 

 

Alle Rechte liegen beim Autor. Die Verbreitung dieser E-Book-Ausgabe in jeglicher Form und Technik, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors.

 

Titel: Kaspar - Die Reise nach Feuerland

XXL-Leseprobe

Copyright © 2013 by Dan Gronie

 

Covergestaltung: Annette Eickert

Bilderquelle: http://123rf.com

Urheberrecht: isoga

 

E-Book-Ausgabe: BookRix GmbH & Co. KG, München

Auflage März 2016

Die Abenteuer von Sebastian Kaspar Addams

  

  

Band 1: Die Reise nach Feuerland

 

In Vorbereitung:

Band 2: Der magische Rubinschädel

Widmung

 

  

Dieses Buch ist

meinem Vater Jakob

und

seiner Hanni

gewidmet,

von ganzem Herzen.

Inhalt

  

  

Erstes Kapitel: Sommerferien - Leseprobe

Zweites Kapitel: Großvater Joe - Leseprobe

Drittes Kapitel: Erdgeistgeflüster - Leseprobe

Viertes Kapitel: Abenteuer Nummer Eins - Leseprobe

Fünftes Kapitel: Adler-Junge

Sechstes Kapitel: Kanau

Siebtes Kapitel: Zwielichtige Gestalten

Achtes Kapitel: Neue Freundschaft

Neuntes Kapitel: Dämonische Hexen

Zehntes Kapitel: Die Reise geht weiter

 

Personen-, Orts-, und Sachverzeichnis

 

Danksagung - Leseprobe

An meine Leserinnen und Leser - Leseprobe

Von Dan Gronie

Sommerferien

   

 

Es war noch früh am Morgen und eine schläfrige Stille lag über dem Londoner Stadtbezirk Bexley – nur bei Familie Addams dröhnte die Stimme von William durch das gesamte Haus: »Sebastian, steh endlich auf!«

William saß am Küchentisch und hatte mal wieder eine Stinklaune.

»Der Junge kommt einfach nicht aus den Federn«, schimpfte William laut und wandte sich seiner Frau Rebecca zu.

»Hab ein wenig Geduld, William. Er wird gleich kommen«, sagte Rebecca ruhig.

»Er hat nur diesen Unsinn im Kopf.«

»Was meinst du?«

»Na, diesen ... diesen Fantasykram – er schwärmt nur noch von anderen Welten, von Drachen und Zauberern – er spielt mit seinen Freunden diesen ... diesen Quatsch ... diese Fantasy-Rollenspiele: Drachenjäger – Teufelslord«, schimpfte William und holte kurz Luft. »Er soll mehr für die Schule lernen. Was soll aus diesem Jungen nur einmal werden?«, brüllte er und hämmerte mit der Faust auf den Tisch.

»Er ist noch ein Kind, William.«

Mit einem mürrischen Blick stand William auf und ging zur Küchentür.

»Sebastian«, hallte Williams dunkle Stimme das Treppenhaus hinauf, in den ersten Stock. »Steh endlich auf! Wenn du glaubst, du könntest am letzten Schultag zu spät zum Frühstück erscheinen, dann liegst du falsch, Bursche. Dann fährst du in den Ferien nicht zu Großvater. Hast du mich verstanden?«

»Ach, William, sei nicht so streng mit dem Jungen.«

»Er muss lernen, dass man im Leben nichts geschenkt bekommt, Rebecca«, sagte William mit Nachdruck. »Gar nichts, das kannst du mir glauben!« Dann brüllte William wieder das Treppenhaus hinauf: »Also, raus aus den Federn, Sebastian! Ich warne dich, übertreibe es nicht! Meine Geduld ist gleich am Ende!«

»Er ist erst zwölf Jahre, William«, ermahnte Rebecca ihn.

Sie nahm einen Schluck Tee zu sich und stellte die Tasse polternd auf den Küchentisch zurück.

William verzog missmutig das Gesicht. »Eben drum«, brummte er seine Frau an. »Sebastian soll früh lernen, was es heißt, erwachsen zu werden, Rebecca.«

»Sebastian, wo bleibst du?«, brüllte er aus voller Kehle.

»Ja, ich komme gleich, Vater«, stöhnte eine verschlafene Stimme aus dem zweiten Zimmer im ersten Stock. »Mein Vater hat eine Stimme wie ein Bergtroll«, fluchte Sebastian, der die lauten Gespräche zwischen seinem Vater und seiner Mutter mitbekommen hatte.

»Sofort!«, rief William das Treppenhaus hinauf. »Hast du mich verstanden, Söhnchen?«

 

***

 

Sebastian hörte, wie sein Vater in der Küche fluchend einen Kessel auf den Herd stellte. Sebastian schlug die Bettdecke zurück und kroch aus dem Bett. Er ging schlafwandelnd ins Bad und unterzog sich einer Katzenwäsche.

Als Sebastian hinunter in die Küche kam, empfing ihn sein Vater mit den Worten: »Hast du dir auch die Zähne geputzt?«

»Das mach ich nach dem Frühstück«, antwortete Sebastian verschlafen und genervt zugleich.

»Komm zu mir, Sebastian«, sagte Rebecca sanft und deutete auf den leeren Stuhl an ihrer rechten Seite.

»Nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder!«, brummte William Sebastian an. »Manuel ist stets pünktlich und wäscht sich immer gründlich.«

Sebastian sah zu Manuel, der ihm gegenüber neben seinem Vater saß. Manuel grinste Sebastian an. Als Sebastian leise aber unüberhörbar sagte: »Das hat Manuel auch nötig – er riecht halt wie ein Stinktier«, erlosch das Grinsen im Gesicht von Manuel abrupt, als hätte Sebastian seinem Bruder einen Eimer Eiswasser mitten ins Gesicht geschüttet.

»Was hast du da gerade gesagt, Sohn?« Williams Stimme schwoll verdammt gefährlich an.

»Nichts, Vater«, sagte Sebastian kleinlaut.

Williams düsterer Blick verriet Sebastian, dass er sich eben wohl etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte, und er stellte sich auf eine harte Strafe ein, doch zu seiner Verwunderung nickte sein Vater und sagte nur: »Gut, dann sei still und iss dein Frühstück!«

Vielleicht lag es an dem strafenden Blick seiner Mutter, den sie William eben zugeworfen hatte, dass Sebastian keine Strafe von seinem Vater erteilt bekommen hatte.

»Möchtest du ein Glas Milch, Sebastian?«, fragte Rebecca sanft.

Sebastian nickte mit vollem Mund.

»Wie heißt das, Sohn?« Williams Stimmung wollte einfach nicht besser werden. Das lag sicher daran, dass William heute an einer Mitarbeiterversammlung teilnehmen musste, bei der er die aktuellen Verkaufszahlen vorstellen sollte – und die waren für dieses Quartal miserabel.

»Gerne, Mutter«, sagte Sebastian mit vollem Mund.

»Mach den Mund leer, bevor du sprichst!«, ermahnte William ihn.

Sebastian aß schweigend sein Sandwich. Manuel lächelte gehässig und trat seinem Bruder unter dem Tisch vors Schienbein.

»Hey, du Furzbacke ...«, schimpfte Sebastian und schwieg, als er in die finstere Miene seines Vaters blickte.

»So, jetzt reicht es mir aber, Freundchen, du fährst nicht ...«

»William«, unterbrach Rebecca ihren Mann, »halt dich zurück!«, dann wandte sie sich Sebastian zu und sagte merklich streng: »Du gehst sofort nach oben und putzt dir die Zähne, Sebastian, bevor du in die Schule gehst!«

Sebastian war froh, dass ihn seine Mutter fortschickte, denn sein Vater hätte ihm sicherlich Hausarrest gegeben, und dann hätte er in den Ferien nicht zu Großvater fahren können. Sebastian lief die Treppe hinauf, als würde der Leibhaftige ihn verfolgen. Oben angekommen blieb er schwer atmend stehen.

»Vater, du Stinkstiefel – du Bergtroll«, leise schimpfend beugte sich Sebastian über das Treppengeländer und lauschte, was seine Mutter zu sagen hatte.

»Und du, Manuel«, Rebeccas Stimme hörte sich zornig an, »wenn ich noch einmal sehe, dass du deinem Bruder gegen das Schienbein trittst, und hoffst, dass Sebastian darauf etwas Schlimmes zu dir sagt, damit sein Vater ihn dafür bestraft, werde ich dir den Hosenboden mit einem Kochlöffel versohlen ...«, Rebecca machte eine kurze Pause, bevor sie streng weitersprach, »... und glaube mir, Manuel, dass du Tage danach noch Sitzprobleme haben wirst.«

William wollte seinem Sohn Manuel beistehen. »Aber Sebastian hat ...«

»Nichts hat Sebastian getan«, unterbrach Rebecca ihren Mann, »und hör endlich auf, deine schlechte Laune an dem Jungen auszulassen!«

William schwieg.

»Geh dir auch die Zähne putzen, Manuel!« Rebecca deutete mit einer Geste zur Küchentür.

»Aber ich bin noch nicht fertig, Mutter«, wandte Manuel ein.

Rebecca wartete geduldig, bis Manuel sein Glas Orangensaft ausgetrunken hatte.

»So, jetzt geh nach oben. Ich habe noch etwas mit deinem Vater zu besprechen«, sagte Rebecca in ruhigem Ton.

Als Manuel murrend die Treppe hinaufging, weil er natürlich gerne dabeigeblieben wäre, um zu hören, was seine Mutter mit seinem Vater zu bereden hatte, sagte Rebecca, unüberhörbar für Sebastian und Manuel: »Das ist absolut nicht richtig von dir, William, Manuel lässt du alles durchgehen, das geht nicht so weiter. Du kannst deinen Frust nicht dauernd an Sebastian auslassen. Das lasse ich nicht weiter zu. Du hättest Manuel bestrafen müssen, für das, was er eben getan hat.«

Sebastian war neugierig, was sein Vater antworten würde, doch er schwieg.

Sebastian drängelte sich im Treppenhaus an Manuel vorbei und lief hinunter, schwang seinen Schulrucksack auf den Rücken und gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange. »Bis nachher, Mutter«, sagte er und rannte zur Haustür.

»Hey, Sebastian, ich wollte dir sagen, dass ich vorhin ... also, es tut mir ...«

»Keine Zeit, Vater, sonst komme ich zu spät zur Schule«, und schon war Sebastian durch die Haustür verschwunden.

Sebastian hatte es nicht sonderlich eilig damit in die Schule zu kommen, er wollte nur raus aus dem Haus, weg von seinem strengen Vater und blöden Bruder – ein paar Minuten früher oder später im Unterricht zu sein, das war ihm im Augenblick völlig egal.

 

***

 

»Guten Morgen, Sebastian.« Niko Coleman kam fröhlich in die Klasse und setzte sich mit einem breiten Grinsen neben Sebastian und legte einen Schokoladenriegel auf das Pult.

»Ich hab überhaupt keinen Bock auf Mathe«, hörte Sebastian seinen Freund Lars Sandler hinter sich stöhnen.

»Ja, ich könnte auch das Kotzen kriegen, wenn ich daran denke«, erwiderte Niko und seine Fröhlichkeit verflog im Nu. »Mathe bei Herrn Titus – ich könnte glatt Furzbomben loslassen«, sagte Niko mit ernster Stimme, dann stand er auf und lächelte, hob mit beiden Händen seinen dicken Bauch empor und sagte mit dunkler Stimme: »Furzbomben extra für Henry Titus.«

Lars und viele Klassenkameraden hatten ihren Spaß, als Niko die Geste wiederholte. Nur Sebastian saß schweigend da und verzog missmutig die Mundwinkel.

»Ihr seid albern, Jungs«, empörte sich Juana über Nikos Benehmen. Sie kam von links und setzte sich an den Schultisch hinter Sebastian, neben Lars.

Niko setzte sich wieder hin und wandte sich ihr langsam zu. »Ah, unsere liebe Miss Portman hat heute wieder beste Laune. Hast du keine Lust auf Furz...«

»Ach, sei still du dicker Furzbär«, winkte Juana ab.

Lars lachte laut. »Dicker Furzbär«, wiederholte er. »Dicker Furzbär.« Lars bekam sich nicht mehr ein. Doch dann schwieg er sofort, als ihn der zürnende Blick von Niko traf.

»Was soll das heißen?«, fuhr Niko Juana an. »Was soll das heißen?«, sagte er wieder.

»Das heißt, dass du fett bist!«, kam es von Victor Bainbridge, der gerade an Sebastian vorbeiging und Niko belächelte. »Und dicke Jungs furzen für gewöhnlich mehr als dünne. Also bist du ein Furzbär – ein dicker Furzbär.«

Niko sprang auf. »Willst du eine Gesichtsverschönerung, Victor?«, sagte Niko mit wilder Entschlossenheit, und für Nikos Mitschüler sah es so aus, als wollte er seine Worte gleich in die Tat umsetzen. »Nur zu, komm her, Victor!«

»Lass es gut sein, Niko«, ermahnte Sebastian seinen Freund, als er sah wie Niko die Fäuste ballte.

»Ey Mann, da krieg ich ja Angst, wenn ich sehe, wie ein dicker Furzbär seine Fäuste ballt«, höhnte Victor.

»Es reicht, Victor Bainbridge, du wiederholst dich zu oft«, stand Juana Niko bei, »aber, was will man von einem ...«

»Sei still du Mauerblümchen«, fuhr Victor sie an. Juana wirkte hilflos, denn ihr blieb der Mund ein Stück offen stehen.

»So, das reicht jetzt aber wirklich, Victor«, sagte Niko, und Sebastian hatte alle Mühe seinen Freund zurückzuhalten. »Der Lehrer wird gleich kommen, und wenn du eine Prügelei anfängst, gibt es Nachsitzen. Heute ist der letzte Schultag, denk dran, Niko! Und wenn ich in eine Prügelei verwickelt werde und nachsitzen muss, dann lässt mich mein Vater nicht zu Großvater fahren, bitte sei vernünftig, Niko.«

»Ja, Niko, hör auf deinen Loser-Freund, Sebastian!«, fuhr Victor ihn an.

»Ich zeig dir gleich, wer hier ein Loser ist«, fauchte Niko.

Sebastian hielt Niko mit beiden Händen zurück.

»Halt du deinen Primaten-Freund gut fest, Sebastian!«, höhnte Victor. »Gib ihm eine Banane zur Beruhigung!«

Der Lehrer Henry Titus betrat das Klassenzimmer und mit einem Mal war es mucksmäuschenstill.

»Wie ich sehe, amüsiert ihr euch, Kinder«, sagte Herr Titus und ging zum Lehrerpult. Seine schmalen, braunen Augen hefteten sich an Niko fest. »Seite vierundzwanzig aufschlagen«, sagte er kühl und setzte sich auf seinen Platz. »Niko, du kommst an die Tafel und rechnest uns die dritte Aufgabe vor!«

»Ja, aber ...«, stotterte Niko, »ich würde ...«

»Gerne etwas essen – etwa deinen Schokoladenriegel«, beendet Herr Titus den Satz, und seine buschigen Augenbrauen bewegten sich auf und ab. »Nein – du willst nichts essen, Niko? Los, steck den Schokoladenriegel in deine Schultasche –«, sagte Herr Titus mit einem abwertenden Ton in der Stimme, »– und komm nach vorne und rechne uns die Aufgabe vor!«, grinste er Niko gefährlich an. »Oder willst du heute Nachmittag etwa alleine hier an der Tafel üben?«, sagte er grimmig. »Schnell an die Tafel mit dir, Junge, bevor ich die Geduld verliere!« Der Lehrer schlug mit der Handfläche auf den Tisch, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

Niko nickte ängstlich und ging langsam nach vorne. Als Niko einen Blick zurück, über die Schulter warf, sah Sebastian seinem Freund an, dass er liebend gern, das fies lächelnde Gesicht von Victor Bainbridge bearbeitet hätte.

»Äh, Herr Titus, jetzt habe ich mein Buch auf dem Tisch liegen gelassen«, stotterte Niko.

»Äh, Niko«, fing der Lehrer an, und wären seine Augen Dolche gewesen, hätten sie Niko geradewegs durchbohrt, »hier nimm!«, sagte er mit einem scharfen Tonfall und überreichte Niko sein Buch.

»Danke, Herr Titus.«

Niko verzog missmutig das Gesicht.

»Bitte, bitte, mein lieber Junge«, lächelte der Lehrer sanft und schrie dann gefährlich laut: »Fang endlich an zu rechnen!«

Niko wäre fast das Kreidestück aus der Hand gefallen. Nachdem er die Aufgabe gelöst hatte, was dem Lehrer natürlich viel zu lange dauerte, gab er Niko deswegen einen Rüffel mit auf dem Weg zu seinem Platz. Niko sah sich seine Kreide verschmierten, feuchten Händen an und ließ sich auf den Stuhl fallen.

»Jetzt sieh dir nur mal meine Hände an«, flüsterte Niko Sebastian zu. »Kann dieser Urmensch nicht einen Computer mit einem Beamer oder einen Overheadprojektor benutzen, wie die anderen Lehrer es auch tun? Was hast du, Sebastian? Warum guckst du so irritiert? Sag schon was?«

»Willst du uns etwas mitteilen, Niko?«, brüllte Herr Titus Niko ins Ohr.

Niko hatte nicht bemerkt, dass der Lehrer direkt neben ihm stand.

»Nein, Herr Titus«, sagte Niko, »alles ist in bester Ordnung – wirklich.«

Der Lehrer hob die Augenbrauen und beugte sich zu Niko und Sebastian vor.

»Wenn ich in dieser Stunde noch einen Mucks von euch höre, dann werdet ihr nachsitzen –«

Niko wich ein Stück zurück.

»– bis spät abends. Habt ihr mich verstanden?«

»Ja, Herr Titus«, sagte Niko schnell.

Sebastian nickte nur.

»Gut«, hauchte Herr Titus und wandte sich wieder der Klasse zu. »Wer will die nächste Aufgabe vorrechnen?«

Herr Titus sah sich um.

»Ah, fein, ein Freiwilliger«, sagte er freudig. »Dann komm mal nach vorne an die Tafel, Victor«, freute der Lehrer sich und sagte an Niko gewandt: »An diesem Jungen solltest du dir mal ein Beispiel nehmen, Niko«, dann wandte er sich Sebastian zu, »und du auch«, ergänzte er.

Der Lehrer kehrte zu seinem Platz zurück.

Victor grinste Niko zu, als er an ihm vorbei zur Tafel ging.

»Victor, dieser Schleimbeutel«, schimpfte Niko leise, »dieser Schleimscheißer.«

»Sei still, Niko«, ermahnte Sebastian ihn. »Hast du Herrn Titus eben nicht richtig zugehört? Ich habe keine Lust auf Nachsitzen.«

Niko schwieg.

Kurz danach war eine der schlimmsten Unterrichtsstunden zu Ende, als die Schulglocke die Pause einläutete und Herr Henry Titus das Mathebuch schloss.

»Komm mal zu mir, Sebastian. Ich habe dir noch etwas zu sagen, bevor du in die Pause gehst«, rief der Lehrer.

»Dann bis gleich, Freunde«, sagte Sebastian und brachte ein schwaches Lächeln zustand, bevor er zu Herrn Titus ging.

Sebastian hörte noch, wie Niko zu Lars sagte: »Das gibt Ärger. Ich möchte jetzt nicht an seiner Stelle sein.«

Sebastian sah seinen Schulkameraden hinterher, die wie vom Teufel besessen aus der Klasse rannten, und Sebastian hatte das Bild vor Augen, wie sie sich in eine Schlange von Schulkindern einfügten, die sich träge das Treppenhaus vom ersten Stock hinabbewegte und aus dem Schulgebäude auf den Schulhof kroch.

Sebastian blickte in das ausdruckslose Gesicht des Lehrers, der mit monotoner Stimme fragte: »Du bist doch ein kluger Junge, nicht wahr, Sebastian?«

Der Blick von Herrn Titus hielt Sebastian fest im Griff wie ein paar Handschellen einen Verbrecher.

»Ich denke, Niko und Lars sind kein guter Umgang für dich«, sagte er mit aller Deutlichkeit, »und warum Juana sich mit den beiden Nichtsnutzen abgibt, ist mir bis heute ein Rätsel.«

Sebastian hatte Angst zu antworten. Was hatte der Lehrer nur gegen Niko und Lars? Wie kam er überhaupt dazu, ihm solche Dinge zu sagen?

»Niko und Lars haben nur Flausen im Kopf und stören dauernd den Unterricht«, betonte der Lehrer, doch die Worte gingen an Sebastian vorbei, weil er innerlich total aufgewühlt war. »Deine beiden Freunde halten dich vom Lernen ab, und du weißt ja selbst, dass deine Noten schlechter geworden sind«, sagte der Lehrer noch. »Hast du mich verstanden, Sebastian?«

Sebastian nickte, obwohl er nur die letzte Frage mitbekommen hatte.

»Das war alles, was ich dir sagen wollte, Sebastian«, sagte der Lehrer. »Dann sehen wir uns nach den Ferien wieder.«

Sebastian rannte aus der Klasse hinaus auf den Schulhof. Als er seine Freunde sah, winkte er ihnen freudig zu und rief: »He! Wartet auf mich!«

»Endlich, das war die letzte Sklavenunterrichtsstunde vor den Ferien bei Herrn Henry Titus«, sagte Lars erleichtert, als Sebastian neben ihn trat.

Sebastian nickte zustimmend. »Ja«, sagte er nur und zeigte das erste Lächeln am heutigen Morgen.

»Was wollte Herr Titus von dir?«, fragte Juana.

»Nichts, was von Bedeutung wäre«, winkte Sebastian ab. »Ihr seid meine besten Freunde und daran wird sich auch nichts ändern«, fügte er hinzu.

»Henry Titus –«, sagte Niko schwer atmend, »– der muss als Kind eine Spaßbremse gewesen sein – ganz bestimmt.«

»Die Spaßbremse Henry Titus«, lachte Lars.

Juana ging neben Sebastian. »Henry Titus, der Werwolf – so wird er von den Achtklässlern genannt«, schmunzelte sie.

»Das wusste ich noch gar nicht«, sagte Sebastian, und seine Stimmung hellte sich auf, als er die Kosenamen für Herrn Titus hörte – Spaßbremse und Werwolf.

»Wie ich sehe, amüsiert ihr euch, Kinder«, äffte Niko Herrn Titus nach. »Seite vierundzwanzig aufschlagen«, äffte er weiter und fuchtelte mit den Fingern vor Juanas Gesicht herum und sagte dann mit der gleichen monotonen Stimme wie der Lehrer: »Juana, du kommst jetzt an die Tafel und rechnest uns die Aufgabe vor!«

Sebastian lachte laut, wie auch Lars und Juana, die ihren Streit mit Niko längst beiseite gelegt hatte.

»Henry Titus ...«, Juana richtete den Blick auf Niko, »... der Werwolf – aber so schlimm ist er doch nicht, oder?« Sie musste ein Lachen unterdrücken, als sie Niko mit den Händen kreuz und quer herumfuchteln sah, so wie es der Lehrer im Unterricht tat, wenn er sich über einen Schüler ärgerte.

»Nö, er ist nett, wenn man Werwölfe mag – ja, dann kommt man gut mit Henry aus, denke ich«, gab Niko von sich. »Victor zum Beispiel, er mag sicherlich Werwölfe, das glaube ich – ganz bestimmt, ja«, ergänzte Niko.

»Ja, das glaube ich auch«, lachte Sebastian.

Niko holte ein belegtes Sandwich hervor und biss so hungrig hinein, dass die Mayonnaise an der Seite herausquoll und zu Boden tropfte.

»Hey, pass doch auf!«, warnte Lars ihn, als Niko den zweiten Bissen machte und die Mayonnaise fast auf Lars' Schuhe getropft wäre.

»Stell dich mal nicht so an, Lars, mein Freund«, bekam er von Niko zu hören, dabei blähten sich seine Pausbacken auf.

Sebastian stand in Gedanken versunken bei seinen Freunden. Ihm gingen die Worte von Herrn Titus nicht aus dem Kopf, der sagte, dass Niko und Lars kein guter Umgang für ihn wären.

Juana lächelte Sebastian kurz an und wandte sich dann wieder Niko und Lars zu, die in ein Gespräch vertieft waren.

»He, Kumpel«, Niko legte plötzlich die Hand auf Sebastians Schulter, »du bist so schweigsam.«

»Ich habe gerade über das Gespräch nachgedacht, dass ich mit Herrn Titus hatte.«

»Hör auf über das nachzudenken, was diese trübe Flasche dir gesagt hat«, winkte Niko ab, »der hat doch keine Ahnung vom tatsächlichen Leben.«

»Damit liegst du wohl richtig«, grinste Sebastian.

»Ich freue mich schon auf die Ferien«, lenkte Juana auf ein anderes Thema.

»Ja, ich auch, Juana.« Der Ausdruck von Abenteuerlust lag in Sebastians strahlend blauen Augen. »Endlich weg von zu Hause«, sagte Sebastian mit fröhlicher Stimme.

»Wenn ich an den großen Garten von deinem Großvater denke.« Lars Augen leuchteten auf. »Ich kann's kaum noch abwarten.«

Niko klopfte Sebastian auf die Schulter. »Ich freue mich schon auf die Süßigkeiten, die es bei deinem Großvater geben wird, Sebastian.« Niko wackelte mit seinem Bauch und strahlte über das ganze Gesicht, als er sagte: »Seht her, hier passt noch einiges rein.« Er wackelte weiter mit dem Bauch und brüllte: »Seht alle her, hier passt noch einiges rein.«

Lars pustete seine Wangen auf und ließ langsam die Luft ab. »Du kriegst noch so dicke Backen, Niko.«

»Na und? Ich freue mich trotzdem auf die Süßigkeiten.« Nikos Augen leuchteten wie ein heller Abendstern.

Sebastian lachte und machte Lars nach. »Ja, so dicke Backen«, lästerte er.

»Deiner Figur tut das bestimmt nicht gut.« Lars deutete mit dem Finger auf Nikos dicken Bauch.

Niko warf Lars einen finsteren Blick zu, worauf sich Lars' Mundwinkel zu einem breiten Lächeln verzogen.

»Entschuldigung, Niko, war nicht böse gemeint.«

Nikos Miene hellte sich schnell wieder auf. »Ach, egal, Lars, vergiss es. Ich weiß, dass ich dick bin. Was soll's?«

Juana lächelte sanft. »Bei Sebastians Großvater können wir wieder zusammen Drachenjäger oder Teufelslord aus dem Elfenreich spielen«, schwärmte sie ihren Freunden vor.

»Und das nicht nur einen Tag, Freunde, sondern eine ganze Woche lang.« Niko machte ein grimmiges Gesicht und sprach mit veränderter dunkler Stimme: »Es bereitet mir Unbehagen und es gefällt mir überhaupt nicht, an der Seite der Menschenwesen zu kämpfen.«

Lars trat ihm entgegen und sagte: »Ja, du hast recht, Teufelslord, sie sind schwach und sterblich.«

»Hey, das war gut, Jungs«, wandte Juana ein. Dann warf sie ihre langen Haare zurück, und sie sprach mit verstellter Stimme: »Vor vielen Tausend Jahren sind wir ohne die Menschenwesen ausgekommen, wir haben gegen Orks und anderes Pack gekämpft und wir haben gewonnen ...«

Sebastian trat an Juanas Seite und unterbrach sie mit lauter Stimme: »... doch nun müssen wir ein Bündnis mit den Menschenwesen schmieden, damit die Orks bezwungen werden können. Nicht nur unser Reich ist in Gefahr, sondern auch das der Menschen ...«

Victor Bainbridge und zwei seiner Kameraden kamen vorbei. »Na, Kinder, was spielt ihr denn schönes?« Victor verzog missmutig das Gesicht. »Kinderspiele, oder was?« Victor visierte Niko an, der seinem Blick standhielt.

»Verschwinde, Victor, bevor ...«

»Bevor was, Coleman?«, unterbrach Victor ihn.

»Ach, komm, Niko, lass ihn reden, wir wollen doch jetzt keinen Ärger bekommen ... so kurz vor den Ferien«, sagte Lars mit piepsender Stimme.

»Hat dich jemand nach deiner Meinung gefragt, Storchbein Sandler?«, Victor visierte nun Lars an und stupste ihn mit den Worten weg: »Dürrrippe Lars, halt's Maul!«

»Hey, du Flegel«, sagte Juana energisch und wandte sich Victor zu.

»Was willst du denn, Mauerblümchen?«

»Das nimmst du zurück!«, sagte Sebastian und stand Victor gegenüber.

»Oder, was?« Victor trat einen Schritt vor. »Willst du mich etwa herausfordern? Du kleiner, verwöhnter Furz.« Victor trat so schnell einen Schritt vor und stupste Sebastian von sich fort, dass Sebastian rücklings zu Boden fiel. Das wird eine üble Beule geben, war Sebastian überzeugt, als er mit dem Hinterkopf kurz auf den Boden aufschlug.

Juana war entsetzt über Victors Tat. Schnell war sie an Sebastians Seite und sah nach, ob sich ihr Freund bei dem Sturz verletzt hatte.

»Ein süßes Pärchen seid ihr – der verwöhnte Furz und das Mauerblümchen«, lachte Victor.

»Über deine dämlichen Witze kannst'wohl nur selber lachen«, schritt Niko ein, »und natürlich deine Primatenbande.« Niko deutete auf Victors Kameraden.

»Was willst du denn Dickerchen?«, fauchte Victor. »Oder soll ich dich besser Fettbacke nennen?«

Juana runzelte die Stirn und sah Niko mit einem Ausdruck an, als wollte sie sagen, wir sollten Victor eine Lektion erteilen. Niko zuckte mit den Schultern und machte einen Schritt auf Victor zu. Als Niko ein übler Geruch in die Nase stieg, fragte er Victor mit lässiger Haltung: »Hast du wieder Väterchens Duftwasser benutzt?«

Niko blieb standhaft, obwohl ihn Victor ansah, als ob er jeden Augenblick mit der Faust zuschlagen wollte. »Nur zu, Victor«, forderte Niko ihn heraus. »Ich würde dir nämlich gerne eine Gesichtsmassage verpassen«, brummte Niko und drohte mit den Fäusten. »Nur keine Panik, Victor«, sagte er mit einem aufmunternden Lächeln.

Niemand sah, woher die Lehrerin Olivia Sandrock kam. Sie war plötzlich da und legte ihre Hand auf Victors rechte Schulter, der einen Riesenschreck bekam und in sich zusammenfuhr.

»Du machst immer nur Ärger, Victor«, schimpfte sie laut, so dass sich ihnen mehrere Schüler zuwandten.

»Sebastian und seine Freunde haben angefangen«, verteidigte Victor sich. »Niko wollte mich sogar schlagen.«

»Du kleiner Nichtsnutz«, sagte Frau Sandrock empört. »Du lügst ohne rot zu werden. Dagegen habe ich ein gutes Mittel.« Die Lehrerin machte eine bedächtige Pause. »Nachsitzen«, brüllte sie Victor an. »Und ihr beiden, ihr werdet ihm Gesellschaft leisten!« Sie deutete auf Viktors Kameraden.

Dann ließ sie Victors Schulter los und packte sein rechtes Ohr. »Du und deine Kameraden kommen jetzt mit mir mit, auf der Stelle!« Frau Sandrock schleifte Victor am Ohr hinter sich her und seine Freunde folgten ohne Widerworte.

»Das hat Folgen, Sebastian«, rief Victor erbost, »wir werden uns wieder sehen und dann ...«

Die Lehrerin blieb stehen und sagte: »Vor den Ferien sicherlich nicht mehr, Victor. Dafür sorge ich.«

»Was für Idioten!«, schimpfte Juana leise an Sebastians Seite.

»Das, was sie mit mir vorhaben, werde ich meinem Vater sagen«, fuhr Victor die Lehrerin laut an, die mit den Schultern zuckte und antwortete: »Gut, tu das, Junge, wenn du dich dann besser fühlst.«

»Er wird zum Direktor gehen«, warnte Victor.

»Kann er ja tun, er weiß ja, wo der Direktor sitzt«, antwortete Frau Sandrock gelassen. »Dein Vater war ja schließlich schon oft genug bei ihm – wegen deinem unausstehlichen Benehmen«, ergänzte sie.

Die Lehrerin wandte sich kurz Sebastian und seinen Freunden zu und zwinkerte. Dann ging sie mit Victor und seinen Kameraden davon.

»Das geschieht denen recht«, freute sich Lars. »Victor, der Hohlkopf«, lästerte er.

Niko lachte. »Ja, Victor, der geborene Hohlkopf.«

»Lasst es gut sein, Lars – Niko«, lenkte Juana ein. »Victor und seine Freunde werden ihre gerechte Strafe erhalten, dafür wird Frau Sandrock schon sorgen«, sagte sie freudig und wandte sich Sebastian zu. »Geht es dir wieder besser?«

»Ja, danke, Juana«, antwortete Sebastian.

»Wir sollten den Blödmann vergessen«, Niko deutete in Richtung Victor, »und uns lieber auf die Ferien bei deinem Großvater konzentrieren.« Niko wandte sich Sebastian zu. »Ja, in dem Garten von meinem Großvater können wir toben und brüllen ...«

»... so viel und so laut wir wollen«, beendete Lars den Satz.

»Und wir dürfen im Garten Löcher graben, um nach versteckten Schätzen zu suchen«, schwärmte Niko.

Sebastian spürte sein Herz vor Freude bis in den Hals klopfen. »Ich habe mir extra eine neue Schaufel gekauft«, sagte er.

»Und, hast du sie schon ausprobiert?«, wollte Juana wissen.

»Mein Vater würde mir den Hintern versohlen, wenn ich seinen Rasen umgraben würde«, gab Sebastian deprimiert zurück.

»Na ja, mein Vater würde mir vermutlich auch den Hintern verhauen«, sagte Lars.

»So ein Unmensch ist dein Vater doch auch wieder nicht«, wandte sich Juana an Sebastian.

»Dann müsstest du mal ein paar Tage bei uns bleiben«, stachelte Sebastian sich selber auf. »Ich darf nur selten im Garten spielen und muss immerzu lernen – mein Vater lässt meinem Bruder alles durchgehen und an mir hat er immer etwas auszusetzen. Ich habe oft das Gefühl, dass er Manuel mehr liebt als mich. Ihm hört er immer zu ... immer – und zu mir sagt er immer bloß: RUHE! –«, Sebastian schwieg für einen kurzen Moment, »– und wie würdest du das nennen, Juana?«, fragte er.

Juana zuckte mit den Schultern. »Aber deine Mutter ist doch ganz in Ordnung.«

»Ja, das ist sie«, Sebastian nickte zufrieden, »sie ist genau das Gegenteil von meinem Vater, deswegen streiten sich die beiden auch oft – meistens wegen mir, das finde ich zum ...«

»Ach, komm, Sebastian, lass es gut sein«, Niko klopfte ihm auf die Schulter, »denk lieber an die Ferien bei deinem Großvater – dann geht es dir bestimmt wieder besser.«

»Ja«, sagte Sebastian, »eine ganze Woche bei Großvater Joe. Das wird bestimmt ...«

»... super cool werden«, beendete Niko den Satz.

»Dein Großvater hat ein riesiges Haus.« Juana war begeistert. »Nur leider lebt er allein, seit dem plötzlichen Tod deiner Oma. Das tut mir irgendwie leid«, sie blickte Sebastian traurig an.

»Mir auch«, gab Sebastian zu.

»Fährt uns dein Vater oder deine Mutter?«, wollte Niko wissen.

»Mein Vater fährt uns, meine Mutter hat leider keine Zeit.« Enttäuschung lag in Sebastians Stimme.

Die Schulglocke läutete das Ende der Pause ein.

 

***

 

»Na, Sebastian, freust du dich schon, auf den Urlaub bei deinem Großvater?«, fragte Rebecca nach dem Abendessen, als sie mit Sebastian alleine im Wohnzimmer war.

»Ja, sehr, Mutter. Großvater hat immer schöne Geschichten zu erzählen, und manchmal liest er aus einem alten Buch vor.«

»Ich freue mich für dich und deine Freunde«, sie nickte zufrieden, »wirklich, Sebastian.« Sebastian sah zu ihr auf. »Ich hatte leider nicht so einen netten Großvater wie du, Sebastian.«

»Das tut mir leid, Mutter.«

»Mir auch.«

»Ich gehe nach oben in mein Zimmer und packe meine Tasche.«

»Soll ich dir helfen?«

»Nein, das kann ich schon alleine, Mutter.«

»So langsam wirst du erwachsen«, lächelte sie.

»Ja, Mutter«, sagte Sebastian stolz und rannte die Treppe hinauf, in sein Zimmer.

Sebastian flitzte hin und her, schnappte sich T-Shirts, Jeans, Socken, Unterhosen und warf sie auf das Bett. Dann öffnete er eine Schublade, holte eine Taschenlampe und Batterien heraus, die neben seinen Jeans auf dem Bett landeten. Er holte dies und das noch aus dem Schrank und den Schubladen, und im Nu hatte er statt einer Reisetasche zwei gepackt. Endlich war er fertig und setzte sich ans Fenster, sah hinaus in eine sternenklare Nacht. Sebastian überlegte, mit welchen Fantasy-Rollenspielen sie sich bei Großvater Joe die Zeit vertreiben sollten, und plötzlich überkam ihn der absurde Gedanke, ob nicht doch ein Fünkchen Wahrheit an all den vielen Geschichten lag, die es über Elfen, Zauberer, Drachen, Trolle, Hexen und Feen gab.

Als er einen leuchtenden Stern beobachtete, stellte er sich die Frage, ob es wohl dort oben, irgendwo auf einem Planeten, auch jemanden gab, der jetzt wie er zum Fenster hinausblickte, sich den Himmel betrachtete und sich die gleichen Gedanken machte.

Sebastian wurde langsam müde. Seine Augenlider fühlten sich schwer an, und er beschloss ins Bett zugehen, doch zuvor warf er noch einen kurzen Blick hinauf zu den Sternen und machte ganz große Augen, als er eine Sternschnuppe mit einem leuchtenden Schweif am Himmel vorüberziehen sah. Sebastian presste die Lippen zusammen und wünschte sich mit seinen Freunden ein aufregendes Abenteuer in den Sommerferien zu erleben.

Als Sebastian im Bett lag dauerte es nicht lange, bis er einschlief. Ein mysteriöser Traum begleitete ihn in dieser Nacht.

 

***

 

Sebastian schwebte durch die Luft, nirgends war etwas zu erkennen, rings um ihn herum befand sich das absolut Nichts, das hell und freundlich strahlte. Die Reise, die er begonnen hatte, schien endlos zu sein. Sie bereitete ihm einen höllischen Spaß. Plötzlich tauchte in der Ferne eine kleine Stadt auf, er flog über Dächer hinweg und bewegte sich auf eine mächtige Erle zu, die mitten in einem Park stand. Bunte Luftballons stiegen empor und flogen an ihm vorbei. Plötzlich verschwanden die Luftballons, ebenso der Baum und der Park. Dann verschwanden auch die Häuser, und Sebastian war wieder allein. Eine bunte Wiese entstand unter ihm, auf der Sebastian landete. Er sprang fröhlich umher, als plötzlich ein harmonischer Chorgesang an seine Ohren drang.

 

»Kaspar, Kaspar nun wird es Zeit,

ein Abenteuer steht für dich bereit.

Die Lösung naht, sie ist nicht fern,

Kaspar, Kaspar dein Großvater hat dich gern.

Reise mit ihm durch die ganze Welt,

zu jedem Ort der euch gefällt,

aber morgen reist du in die Andere-Welt.«

 

Sebastian schüttelte den Kopf.

»Nein, ich fahre morgen zu meinem Großvater«, sagte er, »und außerdem heiße ich Sebastian.«

»Das wissen wir«, drang eine zarte, weibliche Stimme zu ihm vor. »Dein Name ist Sebastian Kaspar Addams, der neue ...«

»Ach, lass mich in Ruhe«, unterbrach Sebastian und winkte ab. »Ich will die Luftballons noch einmal sehen.«

»Kaspar, komm zu uns ...«

»Ach, hör auf damit! Mein Name ist Sebastian«, murrte er.

»Du bist Sebastian, das ist uns klar. Aber auch Kaspar heißt du, ja, das ist wahr«, flüsterte die Stimme.

Plötzlich verschwand die Stimme, und Sebastian befand sich mit einem Mal in einer Halle, die menschenleer war, bis auf eine geheimnisvolle Gestalt, die einen braunen Umhang trug und bewegungslos wie eine Steinfigur auf einer Empore stand. Die Gestalt lebte, denn sie bewegte die Finger der rechten Hand und sie schien zu warten, denn sie hatte ihre leuchtend giftgrünen Augen auf die große, hölzerne Pforte am anderen Ende des Raumes gerichtet – Sebastian rätselte wer oder was, ob früher oder später, durch die Pforte schreiten würde.

Sebastian ging auf die Empore zu, sein Blick war starr auf die fremde Gestalt gerichtet. »Wer bist du?«, fragte Sebastian schließlich, doch die Gestalt blieb stumm.

Der Lichtschein der Fackeln, die in Höhe der Empore an den Wänden brannten, verlieh der mysteriösen Gestalt zusätzlich ein unheimliches Aussehen.

Die große Pforte schwang nach innen auf, und ein stattlicher Mann mit einer goldenen Krone auf dem Haupt, die mit unendlich vielen Edelsteinen verziert war, betrat den Raum – es war ein König, wie Sebastian vermutete.

Sebastian schluckte. Seine Kehle wurde staubtrocken. Was soll ich jetzt ..., bevor Sebastian den Gedanken zu Ende fassen konnte, löste sich die unheimliche Gestalt auf der Empore in Luft auf und erschien direkt neben Sebastian. Sebastian suchte nach einer Ausrede, um der Gestalt zu sagen, was er hier zu suchen hatte. Doch die Gestalt nahm keine Notiz von ihm – sie schien ihn gar nicht zu bemerken, so wie auch der König, der jetzt vor der Gestalt stand und sie mit den Worten, »Ich freue mich dich zu sehen, Zauberer«, begrüßte.

»Ich bin gekommen, so wie Ihr es mir befohlen habt, mein König.«

Der König schwang ein unterarmgroßes Zepter, das mit einem goldenen Knauf versehen war. Der Zauberer schien sich davor zu fürchten, denn er wich einige Schritte zurück.

»Was hast du, Acaton?« Sebastian sah, wie der König seine Macht genoss. »Angst vor meinem Zepter?«, fragte er mit einem hämischen Grinsen. »Komm mit mir, Acaton!« Der König senkte das Zepter und vollführte mit der Hand eine Geste. »Wenn du tust, was ich von dir verlange, Acaton, wird dir nichts geschehen!«

Acaton nickte kaum merklich, und seine Augen funkelten zornig. Der König wandte sich der Pforte zu, und Acaton folgte ihm wortlos.

»Ich habe ein großes Problem, Acaton, mit den neuen Siedlern, die mein Land wie eine große Flut überschwemmen, dafür brauche ich deine Hilfe. Solltest du dich nochmals weigern und verschwinden, wird dir das nichts nützen, Acaton. Ich werde dich überall finden und dann werde ich dich töten.«

Eine beunruhigende Stille trat ein, als der König und der Zauberer die Pforte durchschritten. Sebastian folgte ihnen – neugierig zu erfahren, was der König dem Zauberer befehlen würde.

»Ich werde keine Truppen gegen die Siedler anführen können«, erklärte der König, »das würde bei meinem Volk und bei den Königen meiner Nachbarländer nicht gut ankommen. Um meinen Plan zu verwirklichen, brauche ich dich, Acaton.«

Seufzend folgte der Zauberer dem König. Sie schritten einen prunkvollen Flur entlang. Während Sebastian dem König und dem Zauberer folgte, betrachtete er die wundervollen Gemälde – etliche Porträts und Landschaftsbilder schmückten die weiß gekalkten Wände. Sebastian berührte eine mannshohe Marmorsäule, auf der eine goldene Öllampe brannte. Dutzende dieser Säulen standen rechts und links entlang des Flures verteilt.

»Ich habe befürchtet, dass Ihr etwas Schlimmes von mir verlangen würdet«, jammerte Acaton.

Sebastian trat schnell an Acatons Seite und wartete gespannt darauf, was der König dem Zauberer befehlen würde. Der Traum wirkte so real auf Sebastian, dass er für einen Augenblick zweifelte, ob es überhaupt noch ein Traum war.

Der König blieb stehen und sah dem Zauberer direkt in die giftgrünen Augen. »Die Siedler sind meine Feinde. Sie besetzen mein Land und bringen eine Kultur hierher, die ich in meinem Königreich nicht dulden werde!«

»Was für ein fieser Mensch«, fluchte Sebastian und hielt sich die Hand vor den Mund, als Acaton sich ihm zuwandte.

»Was hast du, Acaton?«, fragte der König.

»Verzeiht mir, mein König, ich dachte, ich hätte etwas gehört.« Sebastian blickte direkt in Acatons giftgrüne Augen. »Aber ich glaube, ich habe mich geirrt, mein König«, sagte Acaton und wandte sich dem König zu.

Doch Sebastian kam es so vor, als hätte der Zauberer ihn gehört und den König angelogen. Acaton sprach gelassen und mit aller Höflichkeit weiter: »Was verlangt ihr von mir, mein König?«

»Die Siedler müssen vertrieben werden ...« Acaton lauschte, als er dem König in das finstere Gesicht blickte. »... ich habe heute einen Siedler bestraft, der es gewagt hatte, königliches Vieh von der Weide zu stehlen.«

»Ich habe gehört, dass der junge Mann das Tier erworben hatte«, sagte Acaton.

»So, hast du das, Zauberer?« Der König blieb stehen. »Wer hat dir das erzählt?«, wollte der König sofort wissen.

»Ich habe es auf dem Marktplatz gehört.«

»So, so, auf dem Marktplatz«, erwiderte der König, »dort wird viel Tratsch verbreitet ...«, winkte der König ab. »Der Siedler leugnete stundenlang trotz großer Qualen, die der Folterer ihm angetan hatte. Er bettelte um Gnade und um sein Leben – doch der Folterer stieß ihm letztendlich ein glühendes Eisen in sein gottloses Siedlerherz. Er war ein Dieb, Acaton ...«

Der König wirkte sichtlich zufrieden.

»... und ein Dieb muss bestraft werden, so will es das Gesetz!«

Acaton schwieg – sichtlich entsetzt, über die grausame Tat, die der König angeordnet hatte.

»Ich könnte dem Folterer befehlen, dir ...«

Der König vollführte eine Geste mit der linken Hand und wollte gerade weitersprechen, doch Acaton kam ihm zuvor: »Ich fürchte die Folter nicht. Also, macht mit mir, was Ihr ...«

»Aber, das hier fürchtest du, nicht wahr, Acaton?« Der König hielt Acaton das königliche Zepter unter die Nase. »Du bist so schweigsam. Was hast du, Acaton?« Der König senkte das Zepter. »Angst?«, fragte er.

»So mutige Worte von jemand, der doch so verletzlich zu sein scheint«, höhnte der König. »Acaton, du weißt, dass ich viele verschiedene Arten der Folter kenne, und eine ist bestimmt darunter, die du gewiss nicht ertragen würdest.«

Acaton senkte den Blick und verzog die Mundwinkel.

Der König richtete sich kerzengerade auf und ein grausames Lächeln umspielte seine schmalen Lippen.

»Ich denke, dies wird der geeignete Anreiz sein, um deinen Gehorsam zu erzwingen, Acaton.« Der König wandte sich einer Tür zu und zog sie an einem Metallring auf. Sebastian glaubte in der bösartig, schneidenden Stimme des Königs zu hören, dass ihm ein Menschenleben völlig bedeutungslos war.

Acaton erbleichte, als die Tür aufschwang und eine junge Frau mitten in der Halle kniete.

»Manju«, flüsterte Acaton entsetzt.

Sie war in Begleitung eines einzigen Wachsoldaten, der sie an den Handfesseln gepackt hielt.

»In deinen Augen lese ich, dass du mir den Tod wünschst, Zauberer«, lachte der König, »das ist gut so.«

Der König trat einen Schritt auf Acaton zu.

Sebastian sah, wie eine einzige Träne über die Wange der jungen Frau rollte, als sie in Richtung Acaton blickte.

»Tut Ihr nicht weh, mein König«, sagte Acaton und schüttelte ungläubig den Kopf, und zum ersten Mal glaubte Sebastian, ein leichtes Zittern in der Stimme des Zauberers zu hören. »Bitte, tut ihr nicht weh, mein König«, wiederholte er.

»Also wirklich, Acaton«, höhnte der König. »Warum sollte ich so einem wunderschönen Geschöpf weh tun wollen?«

Ein bösartiges Lächeln lag auf dem Gesicht des Königs.

»Wenn ihr das tut, was ich von euch verlange, Acaton, wird niemandem etwas geschehen«, sagte der König, »dir nicht«, der König deutete auf Manju, »und auch ihr nicht.«

Acaton gab sich geschlagen. Der König hatte ihn jetzt endgültig in der Hand.

»Sie ist so etwas wie eine Tochter für dich, nicht wahr, Acaton?«, belächelte der König den Zauberer.

Acaton nickte.

»Ja«, sagte er mit gesenktem Blick.

»Gut«, erwiderte der König, »löse ihre Fesseln mit einem Messer«, befahl er dem Wachsoldaten.

Sebastian sah, wie Blut zwischen den Fingern der jungen Frau hervorquoll.

»Nein!«, schrie Acaton. »Ihr habt versprochen, ihr nichts anzutun!«, wandte er sich an den König.

»Habe ich das?«

»Ja, das habt ihr.«

»Dann können wir ja unseren Handel abschließen«, fuhr der König fort.

»Ich werde alles tun, was Ihr von mir verlangt.«

»Nein, nicht, Acaton!«, schrie Manju.

»Schweig, Weib!«, befahl der König.

»Nimm sie, Acaton, und geh«, sagte der König, »bevor ich es mir anders überlege und sie meinen Soldaten überlasse – als Abendvergnügen versteht sich.«

Schnell wandte sich Acaton Manju zu und griff ihre Hand.

»Falls Manju etwas geschehen sollte, mein König, ist unsere Abmachung wertlos, und weder Himmel noch Hölle werden mich dann dazu bringen, mich Eurem Befehl zu unterwerfen!«

»Geht jetzt!«, befahl der König mit finsterem Blick. Er legte eine Pause ein und erwartete eine Erwiderung, doch Acaton blieb schweigsam.

Der König vollführte eine Geste mit dem Zepter und verließ geschwind die Halle – zurück blieb Acaton mit Manju und der Wachsoldat, der sagte: »Es tut mir leid, Mädchen, aber der König hat mir befohlen dich ...« Der Wachsoldat senkte den Blick, schüttelte stumm den Kopf und verließ bedrückt den Raum.

Acaton streckte einen Arm in Sebastians Richtung, während seine Worte flehend klangen: »Du willst dich mir nicht zeigen ...«

»Mit wem redest du, Acaton«, unterbrach Manju.

»Ich weiß es nicht«, begann Acaton an Manju gewandt, »ich kann dich zwar nicht sehen, Fremder«, wandte sich Acaton Sebastian zu, »aber ich kann dich hören.«

Acaton legte eine kurze Pause ein.

»Du scheinst mir ein mächtiger Zauberer zu sein, Fremder. Ich werde Schlimmes für den König tun müssen, wie du sicherlich gehört hast – ich kann nicht mehr von meinem Versprechen dem König gegenüber zurücktreten«, seufzte Acaton. »Du musst mir etwas versprechen, Fremder!«

Das Licht der späten Nachmittagssonne fiel durch die südlichen Fenster ein und überzog den Saal mit einem zarten Schimmer.

»Wie kann ich dir helfen?«, fragte Sebastian, der jetzt nicht mehr zwischen Traum oder Wirklichkeit unterscheiden konnte.

»Ja, ich kann dich hören, Fremder. Du stehst genau vor mir«, nickte Acaton.

»Ich kann nichts hören, Acaton«, sagte Manju. »Wer ist hier?«, wollte sie wissen und klammerte sich ängstlich an Acaton.

»Er hört sich noch jung an.« Acaton sprach einen Zauber aus. »Schade«, sagte er. »Ich hatte gehofft, dich so sichtbar zu machen, Fremder.«

»Willst du nicht von uns gesehen werden?«, fragte Manju mit ängstlicher Stimme.

»Ich weiß nicht, wie ich das machen soll«, gab Sebastian zu.

Sebastian sah in Manjus sanfte, braune Augen und bemerkte, wie ängstlich sie in seine Richtung blickten.

»Sag ihr, dass sie keine Angst vor mir zu haben braucht«, wandte sich Sebastian Acaton zu.

»Du kannst mich loslassen, Manju«, sagte Acaton, »der Fremde wird uns nichts antun.«

»Ich heiße Sebastian.«

Acaton lächelte. »Wie alt bist du, Sebastian?«

Sebastian zögerte, doch dann sagte er: »Zwölf.«

»Zwölf Jahrhunderte?«, fragte Acaton.

»Nein, zwölf Jahre«, sagte Sebastian lächelnd.

Acaton zuckte mit den Schultern. »Zwölf Jahre?« Seine Stimme klang erstaunt.

»Ja«, sagte Sebastian.

»Dann hast du eine ganz besondere Gabe, Sebastian«, sagte Acaton, »und ich hoffe, du kannst mir helfen, wenn ich scheitern sollte.«

»Wobei soll ich dir helfen?« Sebastian horchte.

»Wenn ich den Zauber, den ich bei den neuen Siedlern anwenden werde, nicht mehr rückgängig machen kann, dann musst du ihn auflösen.«

»Welchen Zauber und wie soll ich das machen?«

»Es ist so, wenn ...«

Als sich eine Tür öffnete, wandten Sebastian, Acaton und Manju sich gleichzeitig um und sahen den König kommen.

»Ihr seid noch hier, Zauberer?«, rief der König erstaunt.

Sebastian konnte in Acatons Gesicht Nervosität erkennen. Seine Gelassenheit, mit der er sich eben mit ihm unterhalten hatte, löste sich mit einem Mal auf.

Auf ein Kopfnicken des Königs hin stießen zwei Palastwachen die schwere Doppeltür auf.

»Der Folterer«, hauchte Manju, und ein schmächtiger Mann mit schlanken Händen und wässrigen Augen trat über die Schwelle. Sebastian wunderte sich, dass solch ein Kerlchen jemanden foltern konnte – er sah so zerbrechlich aus.

Sebastian sah, wie Manjus Hände zitterten und sie verzweifelt versuchte, sie unter Kontrolle zu bringen.

»Keine Angst, Mädchen«, sagte der König. »Wir sind hier, um einen Siedler zu verhören«, der König kam einige Schritte näher, »aber ihr solltet längst fort sein!«

Acaton schnappte sich Manjus Hand und zog sie hinter sich her. Schnell verließ Acaton mit ihr den Saal, ohne sich nach Sebastian umzudrehen.

»Du wirst deine gerechte Strafe erhalten ...«, fauchte Sebastian und ging furchtlos auf den König zu und wünschte sich innig, dass der König seine Worte mitbekam, »... und ich hoffe, dass die Strafe für dich nicht zu mild ausfallen wird, du fieser König.«

»Habt ihr das auch gehört?«, fragte der König und wandte sich den Palastwachen zu, die mit den Köpfen schüttelten. »Wer hat das gesagt?«, fragte der König verwirrt.

Großvater Joe

 

   

Sebastian wurde aus seinem tiefen Traum herausgerissen, als der Wecker neben ihm auf dem Nachttisch Musik spielte. Träge raffte er sich auf und stellte ihn leise fluchend aus. Dann ließ er seinen Kopf ins Kissen fallen und schloss die Augen.

Das war vielleicht ein ungewöhnlicher Traum, ging es ihm durch den Kopf. Ich habe von einem König und einem Zauberer geträumt, der zu mir sagte, dass ich die neuen Siedler erlösen soll, wenn er scheitern sollte. Sebastian atmete tief ein. Eigenartig, der Traum wirkte so echt – ich glaube noch, den Geruch des Königs in der Nase zu haben – ein Bad hätte ihm sicherlich nicht schaden können, dachte er weiter und öffnete dabei die Augen. Sebastian ließ den Blick im Zimmer umherschweifen, so als ob er jemanden suchen würde.

Dann warf er mit Schwung die Decke zurück, so dass sie vom Bett rutschte und zu Boden fiel. Als er aufstand und zum Schreibtisch ging, gähnte er laut und versuchte sich an den ganzen Traum zu erinnern. Die Rollläden hätte er besser unten gelassen, denn als er aus dem Fenster blickte, sah es verdammt trübe aus. Er setzte sich auf den Bürostuhl, schnappte sich einen Stift und schrieb den seltsamen Traum auf ein leeres Blatt Papier.

Gähnend ging Sebastian ins Badezimmer. Heute – an diesem ganz besonderen Tag, an dem Sebastian und seine Freunde zu Großvater Joe fahren würden – wollte er sich gründlich waschen; dafür nahm er Mutters besondere Seife und Vaters Lieblingsduschgel, denn an diesem Morgen wollte er keinen Rüffel von seinem Vater erhalten und sich von ihm anhören müssen, dass er sich wieder einmal einer Katzenwäsche unterzogen hätte.

Pah! Da wirst du gleich aber Augen machen und staunen, Vater, dachte Sebastian und drückte auf die Tube Duschgel und war fest davon überzeugt, dass er gleich ganz besonders gut riechen würde.

 

***

 

»Wo ist Vater?«, fragte Sebastian seine Mutter, als er freudestrahlend die Küche betrat und sich an den Tisch setzte.

»Die Zeitung holen«, antwortete Rebecca gelassen und Sebastian grinste sie freudig an.

»Und, wo ist mein Bruder?«

»Er hat schon gefrühstückt.«

Sebastian atmete laut aus und sagte: »Klasse, dann sind wir alleine – nur du und ich – kein Vater und kein Bruder«, sagte er, »niemand, der mir heute Morgen auf die Nerven gehen kann – das ist gut so«, nickte er zufrieden.

»Sei nicht so hart zu deinem Vater«, ermahnte Rebecca ihn, »und auch nicht zu deinem Bruder«, sie sah Sebastian in die strahlend blauen Augen. »Dein Vater hat es im Augenblick auf der Arbeit sehr schwer. Früher war er ...«

Sebastian winkte ab. »Ist schon gut Mutter. Wir sollten zusammen essen und nicht über meinen Vater und meinen Bruder sprechen. Ich weiß ja, dass Vater ...« Sebastian fand nicht die richtigen Worte.

»Dein Vater ist wirklich kein schlechter Mensch, Sebastian.« Rebecca ging zum Teekessel, der auf dem Herd stand und füllte die Teekanne mit heißem Wasser auf.

»Du möchtest bestimmt eine Milch?«, fragte sie.

»Gerne, Mutter.«

»Da hast du heute aber gründlich geduscht«, schnupperte Rebecca, als sie Sebastian Milch ins Glas goss.

»Ja, Mutter«, sagte Sebastian stolz.

»Ich hoffe, du hast nicht das ganze Duschgel aufgebraucht«, lächelte sie.

Sebastian schüttelte den Kopf.

»Wie ich an dir rieche, hast du auch meine Seife benutzt.«

Sebastian nickte, und ihm ging durch den Kopf, dass er das Badezimmer noch aufräumen musste.

»Freust du dich schon auf den Urlaub bei Großvater?«, lenkte Rebecca auf ein anderes Thema.

»Und wie«, kam es wie aus der Pistole geschossen aus Sebastian heraus, »ich kann es kaum noch abwarten. Dann brauche ich eine Woche lang Vater und Bruder nicht zu sehen.«

Rebecca sah bedrückt aus.

»Entschuldigung, Mutter«, sagte Sebastian und senkte den Blick, »ich hab' das nicht so gemeint.«

»Ist schon gut, Sebastian, ich kann dich ja verstehen.« Sie ging zum Toaster und nahm zwei fertige Toasts heraus, die sie auf einen Teller legte und Sebastian reichte.

»Danke, Mutter.«

Sebastian schmierte zwei Zentimeter dick die Erdbeermarmelade auf einen Toast und auf den anderen Nutella. Dann biss er ein großes Stück von dem Erdbeertoast ab. Trank einen Schluck Milch dazu und fragte mit vollem Mund: »Ist Vater schon lange fort?«

»Er müsste eigentlich jeden Augenblick zurückkommen.«

»Er hat doch nicht vergessen, dass er mich und meine Freunde heute zu Großvater fahren wollte?«, fragte Sebastian vorsichtig.

Rebecca lächelte sanft.

»Nein, das hat er nicht«, antwortete sie.

»Gut«, nickte Sebastian und nahm einen zweiten Bissen zu sich.

Das Haustürschloss knackte und Vater William kam herein. Als er sich mit: »Guten Morgen Sebastian«, an den Frühstückstisch setzte und die Zeitung aufschlug, fragte Sebastian: »Wann fahren wir los?«

»RUHE!«, brüllte William laut.

Rebecca reichte ihrem Mann eine Tasse Tee.

»Wenn deine Freunde da sind, wird dein Vater euch fahren«, sagte Rebecca.

Sebastian nickt zufrieden und biss in das Nutellatoast.

»Ahm – Vater – kann ich deine Taschenlampe haben? Ahm – meine ist mir eben hingefallen«, fragte Sebastian ganz vorsichtig.

»Nein«, sagte William scharf und sah Sebastian über den Rand der Zeitung an. »Wieso sollte ich sie dir geben? Damit du sie auch noch fallen lässt – dummer Junge. Und jetzt sei still, ich will meine Zeitung in Ruhe lesen!«

»Lass deinen Vater jetzt in Ruhe, Sebastian«, ging Rebecca dazwischen und füllte Sebastians Milchglas auf.

»Es steht nur dummes Zeug in der Zeitung«, brummte William.

Sebastian verzog missmutig das Gesicht.

»Warum liest du sie denn?«, fragte Sebastian vorwitzig.

William hob den Blick.

Sebastian schluckte.

»Es ist noch eine alte Taschenlampe im Keller. Die kannst du haben«, schlug Rebecca vor.

»Danke, Mutter.«

Sebastian hatte inzwischen das Nutellatoast aufgegessen und sah mit bedrückter Miene, wie sein Bruder in die Küche kam.

»Ey Mann, Brüderchen Tohuwabohu, was hast du da oben bloß wieder angestellt?«

William legte die Zeitung beiseite.

»Was gibt es denn, Manuel?«, wandte er sich seinem Sohn zu.

»Sebastian hat zwei Handtücher benutzt, die jetzt auf dem Boden herumliegen, und Mutters Seife liegt in der Dusche auf dem Boden. Sie ist total aufgeweicht – ach, ja, die Fliesen im Bad sind auch ein wenig nass geworden«, Manuel holte Luft und fuhr fort, »und die Zahnpastatube sieht aus, als hätte sich ein Elefant darauf gesetzt.«

Williams Blick bohrte sich wie ein Dolch tief in Sebastian hinein, noch bevor William etwas sagen konnte, kam ihm Sebastian zuvor: »Vater, du hast mir selbst gesagt, ich solle mich morgens richtig waschen, das habe ich getan – und die Zähne putzen sollte ich auch«, Sebastian sprach so schnell, dass sein Vater nichts anderes übrig blieb, als seinem Sohn zuzuhören, »das habe ich auch getan, Vater. Ich habe nur auf das gehört, was du mir immer wieder gesagt hast, Vater. Und außerdem übertreibt mein Bruder mal wieder. Die Fliesen sind gar nicht nass geworden, und die Zahnpastatube habe ich nicht zerdrückt, das stimmt nicht.«

»Bist du nun endlich fertig, mein Sohn?«, sagte William, seine Stimme klang dabei gefährlich ruhig.

»Die Handtücher muss ich noch wegräumen und die Seife ist mir hingefallen. Ich habe vergessen, sie aufzuheben, das werde ...«

»Schweig endlich!«, brüllte William. »Und du denkst jetzt bestimmt: Dafür hat Sebastian doch keine Strafe verdient«, wandte er sich Rebecca zu. »Du denkst bestimmt, dass dein Sohn für die Unordnung im Bad eine plausible Erklärung hat. Soll ich deinen Sohn dafür vielleicht auch noch belohnen?« William wartete kurz auf eine Antwort. »Dazu fällt dir wohl nichts ein, nicht wahr? Dein Sohn muss bestraft werden, und ich weiß auch schon, wie ich das tun ...«

Rebecca schnippte mit den Fingern und ihre Augen waren ganz schmal auf William gerichtet. »Falls du das schon vergessen hast, mein lieber Mann, Sebastian ist unser Sohn und nichts wirst du tun«, Rebecca stand in der Küche wie ein Fels in der Brandung, als sie weiterfuhr: »Bestrafen ist das Einzige, was dir dazu einfällt – natürlich, was kann dir auch sonst bloß einfallen«, sie fuchtelte mit den Fingern vor Williams Gesicht herum. »Sebastian und seine Freunde werden Großvater Joe besuchen«, Rebecca atmete tief ein, und ihr Blick erinnerte Sebastian an die zahlreichen Bilder von Kriegerinnen, die in Fantasy-Foren zu finden waren, »und du wirst sie dorthin fahren«, betonte Rebecca scharf, dann wandte sie sich Sebastian zu. »Und du, Sebastian, siehst zu, dass das Badezimmer wieder in Ordnung kommt, bevor du zu Großvater fährst!«

Sebastian nickte. »Ja, Mutter.«

»Also, worauf wartest du, Sebastian? Ab, nach oben mit dir!«, sagte sie, und Sebastian verschwand auf der Stelle.

»Und was ist mit der aufgeweichten Seife?«, hörte Sebastian seinen Bruder fragen.

»Wir haben reichlich Seife im Haus«, antwortete Rebecca kochend vor Wut.

»Und die Zahnpastatube?« Manuel ließ nicht locker.

»Warum, Manuel?«, fragte Rebecca. »Warum tust du das?«

Sebastian lauschte im Treppenhaus. »Na, warte, Bruder, dafür werde ich mich rächen, die Tube habe ich nämlich nicht zerdrückt.«

»Was denn, Mutter?«, fragte Manuel.

»Du tust alles, was notwendig ist, damit Sebastian von seinem Vater eine Strafe erhält. Wieso tust du das nur, Manuel?«

Manuel schwieg.

»Ich gehe hoch zu Sebastian und sehe mir mal an, was er wirklich angestellt hat«, sagte Rebecca. »Sebastians Freunde werden gleich kommen, also trink deinen Tee und ließ die Zeitung, aber vergiss nicht die Tür zu öffnen, wenn es klingelt!«, fuhr sie William an.

»Du lässt Sebastian zu viel durchgehen«, sagte William mit Nachdruck.

»Nein, das tue ich nicht«, antwortete Rebecca. »Normalerweise hätte ich ihn ja auch bestraft, aber nicht heute, das wäre falsch!«

Rebecca verließ die Küche.

»Ja, ich habe gewonnen«, jubelte Sebastian leise und sah zu, dass er schnell ins Badezimmer kam.

 

***

 

Sebastian stand mit seinem Gepäck oben im Flur und wartete auf seine Mutter, die in sein Zimmer gegangen war, um zu sehen, ob er alles aufgeräumt hatte, so wie er es ihr gestern Abend versprochen hatte.

Sebastian hörte die Türklingel und Juana war die Erste die kam.

»Guten Tag, Herr Addams«, sagte sie höflich, als William die Tür öffnete.

»Sebastian kommt gleich herunter. Er muss oben noch aufräumen«, erklärte William. »Du kannst schon mal ins Wohnzimmer gehen. Das Gepäck kannst du hier neben der Garderobe abstellen.«

»Möchtest du etwas zu trinken?«, fragte William.

»Ja, einen Orangensaft, bitte.«

William verschwand in der Küche.

»Sebastian hat das ganze Badezimmer verwüstet«, schimpfte Manuel, »oben sieht es aus, als ob ein Elefant sich ausgetobt hätte.«

Sebastian ärgerte sich, dass sein Bruder mal wieder total übertreiben und dass er ausgerechnet zu Juana so etwas sagen musste. Dass Juana darüber schmunzelte, konnte er ja nicht sehen.

»Na, warte, Brüderchen, so viele Lügen über mich zu erzählen, das zahl ich dir heim«, flüsterte Sebastian.

Juana ging ins Wohnzimmer. Manuel eilte zu seinem Vater in die Küche. Es klingelte wieder und Lars trudelte ein.

»Hallo, Herr Addams«, sagte er.

»Hallo, Lars«, begrüßte William ihn. »Du kannst dein Gepäck dort neben Juanas Tasche abstellen. Möchtest du auch einen Orangensaft?«

»Gerne, Herr Addams«, sagte Lars.

»Du kannst ins Wohnzimmer gehen. Juana ist auch schon da. Ich bringe euch dann den Saft.«

Sebastian schnippte ungeduldig mit den Fingern.

»Ist gut, Sebastian, du kannst nach unten gehen«, sagte Rebecca, als sie aus Sebastians Zimmertür trat.

Sebastian rannte die Treppe hinunter und stellte seine beiden Taschen neben die von Juana und Lars. Als Sebastian ins Wohnzimmer trat, sah er, wie Juana vor dem Bücherregal stand und Lars im Sessel saß und einen Orangensaft schlürfte. Nachdem sich die Freunde begrüßt hatten, fragte Sebastian vorsichtig: »Wo ist denn mein Vater?«

»Er wollte ein Geschenk für deinen Großvater einpacken und es schon mal in den Wagen legen«, antwortete Juana.

»Wo bleibt denn Niko?«, fragte Sebastian ungeduldig und blickte kurz zum Kaminsims, auf dem eine Uhr stand. »Er ist wieder zu spät«, fluchte er.

»Na ja, du kennst doch Niko«, sagte Lars und winkte ab, »der sitzt bestimmt noch am Frühstückstisch und stopft sich voll.«

Sebastian blickte aus dem Fenster.

»Scheiß Wetter, was?«, bekam er von Lars zu hören.

»Lars! Bitte!«, ermahnte Juana ihn.

»'tschuldigung, gnädige Frau«, lächelte Lars Juana an. »Ich meinte, das Wetter sieht nicht besonders gut aus«, Lars hob die Nase empor und alberte herum: »Der Himmel ist wolkenverhangen und es sieht nach Regen aus, gnädige Frau.«

»Lass den Blödsinn, Lars«, fauchte Juana.

»Ja, schon gut, Juana, will heute keinen Ärger mit dir bekommen«, winkte Lars ab.

Der Himmel hing voller dunkler Wolken, die, wie es aussah, nur darauf warteten sich zu entladen, um die Erde mit Wasser zu überschwemmen. Kein einziger Sonnenstrahl drang durch die dichten Wolken und es wehte ein kalter Wind.

»Morgen soll das Wetter aber besser werden«, wandte Juana ein.

»Hoffentlich«, sagte Sebastian. »Verregnete Sommerferien wären nämlich blöde.«

Die Haustür stand weit offen, deshalb konnte Niko hereinspazieren, und er brüllte, als er ins Wohnzimmer trat: »Hallo, Freunde! Auf geht's in ein Ferienabenteuer.«

»Mensch, Scheiße, Niko«, fluchte Lars, der regelrecht in sich zusammenfuhr. »Ich hab mich vielleicht erschrocken.«

Sebastian und Juana erging es nicht anderes.

»Verdammt«, fluchte auch Juana.

»Schön dich zu sehen, Niko«, lächelte Sebastian.

»Na, wenigstens einer der sich freut, mich zu sehen«, brummte Niko.

Niko setzte die Tasche ab und schwang sich in den Sessel neben Lars. »Gemütlich«, sagte er und fasste mit beiden Händen auf die Armlehnen. »Captain James Kirk an Lieutenant Sulu, hören sie mich?«, sagte Niko im hektischen Ton und wandte sich Sebastian zu. »Lieutenant Sulu, bitte melden Sie sich, die Lage ist sehr ernst«, wiederholte Niko.

»Commander Scott, hören Sie mich?«, fragte Niko und sah zu Lars.

»Ja, hier ist Scotty, Captain, ich höre Sie klar und deutlich.«

»Wissen Sie, wo Lieutenant Sulu ist, Scotty?«

»Er arbeitet im Maschinenraum am Fluxkompensator«, sagte Lars mit verstellter Stimme.

Juana zog die Augenbrauen hoch.

»Fluxkompensator?«, sagte sie mit lehrerhaftem Blick. »Hast du da nicht etwas verwechselt, Lars? Ein Raumschiff fliegt mit Warpantrieb«, klärte sie ihn auf.

Niko verzog mürrisch die Mundwinkel.

»Ist doch völlig egal, Juana. Sei locker, es sind Ferien, und außerdem ist es doch nur ein Spiel«, wandte Niko ein.

Juana zuckte nur mit den Schultern.

»Ja, hier Lieutenant Sulu, ich höre Sie Captain«, grinste Sebastian, und Niko fuhr mit der rechten Hand über die Armlehne, so als ob er einige Regler am einstellen wäre.

»Tagchen, Mr. Addams«, schreckte Niko hoch und sprang mit einem Satz aus dem Sessel.

»Guten Morgen, Captain James Tiberius Kirk«, empfing William ihn, und dies war seit langer Zeit das erste Mal, das Sebastian seinen Vater lächeln sah.

»So, können wir los, Lieutenant Sulu?«, fragte William an seinen Sohn gewandt.

»Ja, Vater«, nickte Sebastian und fügte schnell hinzu: »Wir sind dann soweit.«

Juana stellte das Buch ins Regal zurück, Lars trank sein Glas aus, und Niko schnappte sich seine Tasche.

Sebastians Vater blickte hinüber zu Lars und sagte im ernsten Ton: »Commander Scotty, Sie können mir bei der Warp-Maschine helfen, es muss noch etwas Treibstoff nachgefüllt werden.«

»Jawohl, Sir«, grinste Lars.

Sebastian stand startklar im Flur. William hatte schon die Tür geöffnet, als er sich Sebastian zuwandte und ihn fragte: »Was ist los, Sohn? Hast du keine Lust mehr zu Großvater zu fahren?«

»Doch natürlich«, antwortete Sebastian verstört darüber, dass sein Vater gute Laune zu haben schien, »aber ich muss mich noch von Mutter verabschieden.«

Rebecca kam die Treppe herunter und blieb vor Sebastian stehen.

»Ich hab dich lieb, Mom«, sagte er.

Rebecca schloss ihn in die Arme und gab ihm einen Kuss.

»Ich dich auch, Sebastian. Ich wünsche dir und deinen Freunden viel Spaß in den Ferien«, sagte sie, »aber denke daran, dein Großvater ist schon zweiundsiebzig Jahre!«, ergänzte sie.

Sebastian nickte. »Wir werden artig sein, Mutter!«

»Die Jungs werden sich schon benehmen, Frau Addams«, kam es von Juana, »dafür werde ich schon sorgen!«

»Gut«, lächelte Rebecca, »dann bis bald, Sebastian.«

Endlich war es soweit. Sebastian und seine Freunde saßen im Van und warteten darauf, dass William endlich den Wagen startete. Als sie losfuhren, fielen die ersten Regentropfen vom Himmel herunter.

Eine Stunde Autofahrt lag vor ihnen.

 

***

 

William lenkte den Wagen durch den Stadtverkehr und nahm schließlich die Schnellstraße, die in nördlicher Richtung von London wegführte. In der Ferne blitzte es und Sekunden danach folgte ein gewaltiger Donner. Der Regen nahm zu.

»Falls das Wetter sich nicht bessert, Kinder, dann legen wir bei der nächsten Möglichkeit eine Pause ein«, schlug William vor.

Die Scheibenwischer liefen auf Höchstleistung, um die Wassermassen von der Windschutzscheibe zu beseitigen.

»Hier, Sebastian, nimm das Handy und ruf deine Mutter an! Bei diesem Wetter macht sie sich bestimmt schon sorgen.«

William wandte sich kurz Sebastian zu, der rechts auf dem Rücksitz neben Juana saß, und reichte ihm das Handy.

»Willst du ein Stück Schokolade, Juana?«, fragte Niko, der hinter Juana saß.

»Nein, danke.«

»Toll, so ein Van, man hat sooo vieeel Platz hier drin«, schwärmte Lars, wandte sich nach links Niko zu und nahm ihm das Stück Schokolade aus der Hand. »Danke«, sagte er kurz und stopfte sich die Schokolade schnell in den Mund.

William verließ die Schnellstraße und nahm die Landstraße, lenkte den Wagen durch eine tiefe Talsenke und bog auf der nächsten Höhe rechts ab. Die Baumkronen bewegten sich im heftigen Wind hin und her. Der starke Regen hatte zum Glück etwas nachgelassen.

Sebastian sah sich um, hinter ihnen tauchte ein Kleinbus auf, der Gas gab und bei dem Sauwetter zum Überholen ansetzte. Als der Kleinbus vorbeifuhr, schimpfte William lautstark: »Verdammter Idiot!«, und trat leicht auf die Bremsen. »So ein Bestusster ...« William schwieg.

Niko lachte, und Lars hob wutschnaubend die Hand: »Blöder-überheblicher-schwachsinniger-Sonntagsfahrer!«

»Also, Kinder«, fing William an, »es tut mir leid, das hätte ich eben nicht sagen sollen.«

»Sie hatten doch recht, Herr Addams«, sagte Niko, »bei so einem Wetter überholt man doch nicht.«

»Und das auch noch in einer leichten Kurve«, schimpfte Juana.

William verließ die Landstraße und bog in eine schmale Straße ein. In der Ferne tauchten die ersten Häuser auf. Durch das schlechte Wetter brannte in vielen Häusern Licht.

William lenkte den Wagen am Ortseingangsschild vorbei und schon bald passierten sie die ersten Häuser. Eine ältere Frau trat aus der Haustür heraus, an der Leine führte sie einen kleinen Hund.

Sebastian schüttelte den Kopf.

»Ich weiß, was du jetzt sagen willst«, kam ihm Niko zuvor.

»Sei lieber still, Niko!«, ermahnte Juana ihn.

Niko zuckte mit den Schultern und brach noch ein Stück Schokolade von der Tafel ab. »Dann eben nicht«, sagte er kauend.

Dann bog William in eine Seitenstraße ein und endlich tauchte das Herrenhaus von Sebastians Großvater auf. Das rostige Gitter der großen Toreinfahrt stand weit offen. William lenkte den Wagen durch die Einfahrt und fuhr im Schritttempo die schmale Schotterstraße entlang, die direkt zum Haus führte. Der Regen hatte fast aufgehört.

»Super cooles Haus«, schwärmte Niko immer wieder, wenn er das alte Herrenhaus sah, das noch aus dem vorigen Jahrhundert stammte.

»Ja, es ist wunderschön«, sagte William, »mein Vater hatte es extra für meine Mutter gekauft.«

»Er muss viel Kohle haben«, stellte Niko fest.

»Ja, das hat er. Ihm gehörte eine Kleiderfabrik«, erklärte William.

»Warum haben sie nicht dort gearbeitet?«, fragte Lars.

»Hey, Lars!«, sagte Juana.

»Ist schon gut, Juana«, kam es von William, »ich habe mich damals nicht sonderlich gut mit meinem Vater verstanden. Außerdem wollte ich studieren und hatte eigene Pläne für meine Zukunft. Na ja, so ist das im Leben. Es läuft nicht immer alles wie man es plant. Mein Vater hatte die Fabrik verkauft, als er in den Ruhestand ging. Damals ging es mir auch sehr gut, als ich noch eine Stelle als Ingenieur hatte.«

Sebastian hatte in diesem Moment Mitleid mit seinem Vater und erinnerte sich, wie sein Vater den Job verloren hatte und danach lange Zeit zu Hause gewesen war, bevor er endlich eine neue Stelle als Vertriebsmitarbeiter ergattern konnte. Die Firma, bei der sein Vater nun angestellt war, produzierte Staubsauger – die besten der Welt, sagte sein Vater immer dann, wenn er oder sein Bruder ihn nach seiner Arbeit fragten.

Sebastian blickte träumerisch aus dem Seitenfenster, auf die zehn mächtigen Buchen, die kreisförmig aus dem Boden wuchsen, und bei diesem Wetter auf ihn wirkten wie Ungetüme aus einer fernen Urzeit.

Es regnete jetzt nicht mehr. Die schweren Wolken lagen noch immer wie eine graue Decke über dem Himmel.

Die fünf kreisrunden, bunten Blumenbeete sahen etwas verwüstet aus. Sie erinnerten Sebastian daran, wie er immer am frühen Morgen aussah – mit unfrisiertem Haar.

Sebastians Blick fiel auf die Holzhütte, in der Großvater Gartengeräte, alte Möbel und sämtliches Zeug, das im Haus nicht mehr gebraucht wurde, verstaut hatte.

»Da ist ja unser Hauptquartier«, klopfte Niko Sebastian auf die Schulter und deutete auf die Holzhütte.

William parkte den Wagen unmittelbar vor dem Haus. Großvater stand mit seiner Pfeife unter dem Vordach vor der Haustür, das rechts und links von zwei runden, weißen Marmorsäulen gestützt wurde, und wartete bereits ungeduldig auf seinen Besuch.

»Hallo, Vater.« William ging auf ihn zu und umarmte ihn kurz.

»Hallo, mein Sohn«, sagte Großvater Joe, und seine Augen hatten etwas kindlich leuchtendes an sich, als er Sebastian und seine Freunde sah.

»Hier, das ist für dich, Joe.« William übergab ihm ein kleines Päckchen.

»Danke, mein Sohn.«

William schüttelte den Kopf. »Das Haus ist viel zu groß für dich, Vater. Warum ziehst du nicht in die Stadt?«, sagte er.

Großvater Joe verzog mürrisch das Gesicht. »Was soll ich in der Stadt? Hier ist mein Zuhause«, winkte er ab, »hier bin ich mit meiner Frau zusammen hingezogen und hier werde ich auch sterben«, brummte er, »wir sollten ins Haus gehen«, schlug Großvater vor, und sein Gesicht hellte sich wieder auf, als er Sebastian ansah.

»Es sind die vielen schönen Erinnerungen, die mich mit diesem Haus verbinden, William, das musst du verstehen. Ich habe hier schöne Dinge mit deiner Mutter erlebt – natürlich auch weniger schöne Dinge«, lächelte Großvater in sich hinein und ging voraus, direkt ins Wohnzimmer. »Ich werde meinen Lebensabend hier verbringen, William, und nichts auf der Welt kann mich davon umstimmen!«

»Ist schon gut, Vater. Ich will mich nicht mit dir streiten«, gab William nach.

»Das ist gut so, William«, sagte Großvater Joe lächelnd, »du würdest eh den Kürzeren ziehen.« Er zwinkerte Sebastian zu und zog an seiner Pfeife, die einen angenehm süßlichen Geruch im Raum verbreitete.

Großvater deutete auf den schweren Esstisch, der vor dem großen Fenster stand, durch das man einen herrlichen Blick auf die Terrasse und den Garten hatte.

»Ich habe eine Kanne Tee vorbereitet«, sagte Großvater, »und für euch, Kinder, habe ich Limonade gemacht.«

»Prima«, jubelte Niko, »deine Limonade ist nämlich super«, und schon hatte Niko sich auf einen der schweren Holzstühle niedergelassen.

»Niko!«, ermahnte Juana ihn mit einem strengen Blick. »Du hast wirklich kein Benehmen!«

»Setzt euch!«, sagte Großvater und legte die Pfeife beiseite. »Ich gehe und hole den Tee und die Limonade.«

»Warte, Vater, ich helfe dir.«

Großvater Joe und William gingen zusammen in die Küche.

»Geben Sie mir den Krug, Herr Addams«, sagte Juana, als William wieder zurückkam.

Juana schenkte die Limonade der Reihe nach ein, während Großvater die Teetassen auffüllte, bevor er das Päckchen von seinem Sohn öffnete.

»Danke dir, William«, freute sich Großvater Joe über das Geschenk, »das ist mein Lieblingstabak«, sagte er und stellte die Tabakdose auf den Tisch.

Niko griff in die Schüssel, die bis zum Rand mit Süßigkeiten gefüllt war. »Lecker«, schwärmte er, als er in einen Schokoladenriegel biss.

Lars schlürfte Limonade und Juana wollte einen Tee.

Im Nu war eine Stunde verflogen und Großvater Joe fragte: »Ich weiß, es ist schon etwas später geworden, aber möchtest du nicht zum Mittagessen bleiben, William?«

Sebastian fuhr erschrocken zusammen, als er die Frage von Großvater hörte. Doch zu seinem Glück sagte William: »Nein, danke, Joe, aber ich muss noch etwas für den Garten besorgen und will pünktlich zum Tee zu Hause sein.«

Sebastian atmete erleichtert auf.

»Aber, wenn ich Sebastian und seine Freunde wieder abholen komme, bringe ich Rebecca mit und wir können dann ja gemeinsam zu Abend essen«, schlug William vor.

»Das wäre schön«, sagte Großvater Joe und trank einen Schluck Tee. »Manuel kommt doch auch mit?«, fragte Großvater Joe. »Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen.«

»Natürlich«, antwortete William und trank die Tasse aus. »So, jetzt muss ich aber fahren. Das Wetter sieht ja wieder besser aus.«

Die Wolkendecke riss an einigen Stellen auf und blauer Himmel kam zum Vorschein. Sonnenstrahlen fielen durch das große Fenster auf den Esstisch und legten einen hellen Lichtschein über den Boden, der aussah wie ein glänzender Teppich.

William schritt über den Lichtschein zur Tür. Großvater und die Kinder folgten ihm, in den breiten Flur, bis zur Haustür.

»Schade, dass du schon gehen musst«, sagte Großvater Joe und umarmte seinen Sohn zum Abschied.

»Bis bald, Vater«, sagte William und ließ ihn los.

Sebastian stand da wie versteinert und blickte zu seinem Vater auf. »Auf wiedersehen, Vater«, sagte er.

»Auf wiedersehen, mein Sohn.« Williams Blick wirkte unbeholfen.

William drehte Sebastian den Rücken zu und ging zum Wagen.

»Grüß Mutter von mir«, rief Sebastian ihm nach.

William wandte sich um.

»Ja, das werde ich tun.« Dann, aus heiterem Himmel, sagte William in einem schroffen Ton: »Und denk dran, Sebastian! Benimm dich bei deinem Großvater, sonst komme ich dich vorzeitig holen und es gibt Stubenarrest, für den Rest der Ferien!« Dann stieg William in den Wagen und fuhr die Schotterstraße zurück zum Tor.

»Hmmm«, kam es von Großvater Joe, der neben Sebastian stand. »Hast du Streit mit deinem Vater?«

»Ach, ja, das ist so eine Sache mit ihm und mir«, stotterte Sebastian. »In letzter Zeit habe ich dauernd Streit mit ihm«, gab Sebastian zu.

»Na, das wird sich bestimmt wieder legen«, wollte Großvater Joe ihn beruhigen und legte ihm dabei die Hand auf die Schulter. »Jetzt hast du erst einmal Ferien«, sagte Großvater freundlich. »Kommt, wir holen uns neue Limonade und Süßigkeiten aus der Küche und setzen uns auf die Terrasse. Was haltet ihr davon?«

»Klasse«, kam es von Niko. »Ich liebe Süßigkeiten vor dem Mittagessen.«

»Das sieht man dir an«, sagte Lars und streckte seinen Bauch heraus.

»Na, wenn schon, Lars. Das ist mir so was von egal!«, schnauzte Niko. »Ehrlich, es ist mir völlig egal, Lars Storchbein.«

 

***

 

Am frühen Nachmittag schien die Sonne häufiger und es war bereits angenehm warm geworden. Sebastian saß auf dem dunklen Holzboden der Terrasse und ließ seinen Blick über den Garten schweifen, dann sah er nach links, zu dem turmähnlichen Anbau, wo sich Großvaters Schreibzimmer befand.

Niko griff in die Schüssel Süßigkeiten, die Großvater Joe wieder bis zum Rand aufgefüllt hatte.

»Mensch, Niko, du hast doch heute Mittag schon ein ganzes Rind verdrückt. Lass mir noch etwas von den Süßigkeiten übrig!«, hänselte Lars ihn.

»Für dich ist noch genug da, Storchbein!«, giftete Niko ihn an.

»Ihr wollt euch doch nicht streiten?«, ermahnte Großvater Joe die beiden.

»Ach, ne, ...«, sagte Lars.

»Das ist doch kein Streit«, winkte Niko ab. »Wir sind die besten Freunde.«

Großvater Joe lächelte zufrieden. »Dann ist es ja gut.« Er zündete sich eine Lesepfeife an.

»Das ist ja eine außergewöhnliche Pfeife«, bemerkte Juana.

»Ja, in der Tat, das ist sie wirklich«, sagte Großvater Joe und tat geheimnisvoll, »sie hat einmal meinem Großvater gehört«, betonte er, »und er hat sie wiederum von einem König geschenkt bekommen.«

»Von einem König?«, fragte Lars verblüfft.

»Ja«, sagte Großvater Joe nickend, nahm einen sanften Zug und blies den Qualm langsam aus, »aber das ist eine andere Geschichte, die ich euch später einmal erzählen werde.«

»Bist du sicher, dass die Pfeife von deinem Großvater ist?«, fragte Sebastian.

»Ja«, nickte Großvater. »Warum?«

Sebastian zuckte mit den Schultern.

»Vom wem sollte sie sonst sein, wenn nicht von meinem Großvater?«, überlegte Joe.

Sebastian schwieg.

Großvater griff mit der linken Hand nach dem dicken Buch, das rechts von ihm auf dem Holzboden lag. »Jetzt möchte ich euch eine Geschichte aus diesem geheimen Buch vorlesen«, hauchte er.

Großvater Joe rauchte seine Pfeife und blickte dabei in die Runde. Er betrachtete sich für einen kurzen Moment den langen Stiel der Pfeife und legte sie dann bedächtig beiseite, nahm das Buch in beide Hände und schlug den ledernen Einband auf, auf dessen Mitte eine Sonne und Sterne zu erkennen waren, darüber befand sich eine seltsame goldene Inschrift. Sebastian, der neben seinem Großvater saß, wagte einen Blick auf die handgeschriebenen Seiten.

»Ich möchte euch nun die Geschichte von der goldenen Kugel vorlesen«, sagte er, »die mein Großvater einmal geschrieben hat.«

Sebastian horchte erwartungsvoll wie auch seine Freunde. Doch Großvater Joe ließ sich Zeit und griff noch einmal nach seiner Pfeife. Sebastian grübelte über die Worte seines Großvaters nach. War das Buch wirklich von seinem Ururgroßvater?

Großvater Joe räusperte sich.

»Also, dann will ich euch mal die Geschichte vorlesen: Von Tag zu Tag häuften sich die Berichte über schwarzmagische Zauberer, die sich in der Hauptstadt Arasin, das im Königreich Nebra lag, versammelten. Der Himmel hing ...«, las er mit ruhiger Stimme vor. Sebastian und seine Freunde saßen stillschweigend da und horchten gespannt, als Großvater Joe mit der Geschichte fortfuhr: »... voller dunkler Wolken, die sich wie eine große Glocke über das Königreich Nebra gelegt hatten. Kein einziger Sonnenstrahl drang an diesem Morgen durch die dichte Wolkendecke, und es wehte ein verdammt eisiger Wind, der aus östlicher Richtung auf die Stadt traf. Der Winter kündigte sich in diesem Jahr früher an. Das Südtor stand weit offen. Die Türme, die sich rechts und links des Tores befanden, waren von jeweils zwei Wachen besetzt. Regungslos blickten sie nach Süden, wo die ersten Schneeflocken das Land in eine weiße Landschaft verwandelten. Hoch auf der mächtigen Stadtmauer beugte sich ein alter, weißbärtiger Mann über die Brüstung, gehüllt in einen braunen Umhang, stand er da und blickte ebenfalls nach Süden. Der Schnee interessierte ihn nicht – er schien auf etwas oder jemanden zu warten.«

»War ihm nicht kalt, bei diesem miesen Wetter?«, fragte Lars.

»Tschsch ...«, zischte Juana.

»Ich kann ja wohl mal fragen«, bekam sie von Lars zu hören.

»Nein, ihm war nicht sonderlich kalt, denn er war ein weißmagischer Zauberer und hatte mit einem Zauber vorgesorgt, dass er – na ja, sagen wir mal, er musste kaum frieren«, erklärte Großvater Joe und las die Geschichte weiter vor.

»Der Zauberer zeigte ein freudiges Lächeln, als er vier Fremde entdeckte, die auf das Südtor zukamen. Die vom Wind zerzausten weißen Haare, strich er sich aus dem Gesicht.«

Großvater schlug eine Seite um und trank das Glas Limonade aus, bevor er weiter aus dem Buch vorlas: »Kaspar Addams und seine drei Freunde verließen gerade einen lichten Laubwald und näherten sich den Toren von Arasin ...«

»Wieso taucht denn der Name meines Ururgroßvaters in dieser Geschichte auf?«, fragte Sebastian erstaunt. »Soll er etwa in Arasin gewesen sein?«

Großvater Joe nickte.

»Ja, in der Tat, er war dort gewesen, Sebastian«, bestätigte Großvater.

»Wie ist er denn dorthin gekommen?«, wollte Juana wissen.

»Kaspar und seine Freunde haben eine magische Karte besessen, mit der sie in die Andere-Welt reisen konnten«, erklärte Großvater Joe.

»Ach, ja«, zweifelte Lars.

Großvater Joe nickte wieder.

Sebastian und Juana wechselten skeptische Blicke. Mein Großvater denkt wohl, wir sind noch kleine Kinder, denen man so eine Geschichte als wahr aufschwatzen kann, dachte Sebastian und fand die Äußerungen seines Großvaters äußerst peinlich. Was mochten seine Freunde bloß von seinem Großvater denken?

Niko schob sich einen Schokoladenriegel in den Mund und sprach: »Ist ja weit herumgekommen, Ihr Großvater.« Niko kaute und sagte dann: »Ach, kommt, Leute«, sprach Niko seine Freunde an. »Seid mal was lockerer und hört einfach zu.«

»Ich glaube, die ...«, fing Lars an, und Niko winkte ab: »Hör doch einfach zu, Lars! Wir kämpfen ja auch gegen Drachen und Orks und spielen den Teufelslord.«

Lars schwieg.

»Wie geht es denn weiter?«, sprach Niko Großvater Joe an.

»Die Geschichte ist wirklich wahr«, bestätigte Großvater Joe und las weiter: »Der Wind blies nun stürmisch und trieb Laub hinter Kaspar und seinen Freunden her, und Kaspar schien es plötzlich so, als ob der Wind eine Melodie mit sich tragen würde. Kaspar sah eine Gestalt, die über die Brüstung lugte und ihm zuwinkte. Kaspar wusste zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht, dass es der Zauberer war, der ihn da so freudig begrüßte. Plötzlich blieb Kaspar stehen. Er hörte eine zarte, weibliche Stimme, die seine Freunde nicht wahrnahmen. Sie flüsterte ihm zu: Die Begegnung mit dem weißmagischen Zauberer und dem König von Nebra steht dir und deinen Freunden eines Tages bevor. Doch zuerst müssen du und deine Freunde ein anderes Abenteuer bestehen. Folge den Spuren des Bären, um zu finden, was spätere Generationen von dir begehren.«

Niko schob sich einen weiteren Schokoladenriegel in den Mund.

»Man, schmatz nicht so laut!«, schimpfte Lars, und auch Juana blickte Niko angewidert an.

»Ihr stellt euch vielleicht an«, knurrte Niko.

»Was sollte Kaspar denn finden?«, fragte Sebastian.

»Wenn ihr wissen wollt, wie die Geschichte weitergeht, dann hört zu, Kinder«, sagte Großvater Joe und las weiter: »Dann erklang ein leiser Chorgesang, hinter ihnen im Wald. Ein schwerer Donner unterbrach die harmonische Melodie und der Gesang verstummte abrupt. Kaspar fasste den Entschluss, nicht nach Nebra zu gehen, sondern zurück in den Wald. Die Dunkelheit des Waldes verschluckte sie wie der Schlund eines riesigen Drachen. Noch bevor der weißmagische Zauberer Kaspar vor den dunklen Gestalten warnen konnte, waren Kaspar und seine Freunde im Wald verschwunden. Etwa vor vier Monden waren erste Gerüchte über die dunklen Gestalten aufgetaucht, die Reisende in den Wäldern auflauern sollten. Die unheimlichen Dunkel-Wesen, wie sie die Bewohner von Arasin nannten, seien wie Schatten – dunkler als die Nacht, mit langen Fingernägeln, so scharf wie die Schneidfläche einer Sense. Gegen dieses nächtliche Grauen konnte auch die Armee des Königs von Nebra nichts ausrichten. Und nun, da es langsam dunkel wurde, würde es nicht lange dauern, bis Kaspar und seine Freunde den Dunkel-Wesen in die Hände fallen würden.«

Großvater Joe blätterte eine Seite um und sah Sebastian an, dann wanderte sein Blick der Reihe nach umher. Keiner sagte ein Wort und so fuhr Großvater Joe fort: »Niemand reiste mehr gerne nach Sonnenuntergang durch den Wald, der früher einmal sicher gewesen war. Als Kaspar zurück blickte, huschte ein Schatten an einem Baum vorbei – das Laub wurde sofort welk und fiel zu Boden. Furcht befiel jetzt nicht nur Pepino, der eh immer etwas ängstlich war, sondern auch Kaspar, Leo und Jonna. Fast schon wollte Kaspar nach Arasin umkehren, da die Dämmerung ihnen langsam die Sicht nahm. Doch als in der Ferne ein brauner Bär zu sehen war, der zwischen zwei weißen Felsbrocken verschwand, beschloss Kaspar ihm zu folgen. Hinter ihnen tauchten in Scharen die geheimnisvollen Dunkel-Wesen auf, die mit ihren langen Fingernägel an den Baumrinden entlang schabten. Kaspar und seine Freunde rannten um ihr Leben, gejagt von den Dunkel-Wesen, die bestimmt keine guten Absichten verfolgten, denn jeder Baum, den sie berührten verlor auf der Stelle sein Laub. Kaspar und seine Freunde erreichten die beiden weißen Felsbrocken und aus der Höhle, die sich rechts in ein Felsmassiv bohrte, drang ein lautes Brummen heraus. Leo, der immer einen kleinen Rucksack mit allen möglichen Dingen bei sich trug, kramte eine Taschenlampe hervor und gab sie Kaspar, der in die Höhle hinein leuchtete und mutig vorausging. Kaspar wischte sich mit dem Handrücken die Wassertropfen aus dem Gesicht, die von der Decke fielen, und folgte dem Gang, an dessen glatten Wänden bunte Zeichnungen verschiedener bekannter und unbekannter Tierarten zu finden waren. Ein Bild fiel Kaspar ins Auge, das die Dunkel-Wesen vor einem Höhleneingang darstellte. Sie wurden durch ein grelles Licht vom Betreten der Höhle abgehalten. Und so war es auch, die Dunkel-Wesen versammelten sich vor dem Höhleneingang, jedoch folgten sie ihnen nicht. Als die Höhle sich in zwei Gänge aufteilte, folgte Kaspar dem Gang, in dem er ein sonderbares Schriftzeichen an der Höhlenwand entdeckte. Kaspars schmale Lippen verzogen sich zu einem freudigen Lächeln, als sie einen runden Höhlenraum betraten. Sechs brennende Fackeln leuchteten das Innere aus – Kaspar und seine Freunde rätselten, wer die Fackeln angezündet hatte – Freund oder Feind. Hier, in diesem Raum lag ein Geheimnis verborgen, davon war Kaspar fest überzeugt, als er von Fackel zu Fackel schritt, verfolgt von den Blicken seiner Freunde. Jonna entdeckte auf der Höhlenwand eine verblasste Zeichnung, die Kaspar an eine Kugel erinnerte. Als Kaspar die Hand auf das Bild legte, fiel in der Mitte der Höhle der Boden in sich zusammen und ein kleines Loch entstand, in dem eine eigroße, goldene Kugel lag, auf der sich die Lichtscheine der sechs Fackeln widerspiegelten und das Wort Feuerland in flammender Schrift zu lesen war. Als Kaspar die Kugel nahm, erlosch die Schrift. Und so fanden Kaspar und seine Freunde ihren ersten Schatz in der Anderen-Welt.«

Großvater Joe schlug das Buch zu.

»Wow, was für eine tolle Geschichte«, kam es von Niko.

»Was ist Feuerland?«, fragte Juana.

»Es ist ein gefährliches Land in der Anderen-Welt. Das aber ist eine andere Geschichte. Ich könnte sie euch morgen vorlesen, wenn ihr sie hören wollt«, antwortete Großvater Joe.

»Ja, prima«, johlte Lars.

»Ich hätte da eine tolle Idee für ein neues Fantasy-Rollenspiel: Die vier besten Freunde reisen nach Feuerland, um dort magisch gefährliche Abenteuer zu erleben«, sagte Niko so voller Begeisterung, dass er die Wort fast verschluckte.

»Viel zu langer Titel«, schüttelte Lars den Kopf. »Wie wär's mit: Die Reise nach Feuerland?«

»Von mir aus, mein Freund«, sagte Niko, »dann spielen wir: Die Reise nach Feuerland.«

»Ja, die Geschichte war wirklich gut«, nickte Sebastian seinem Großvater zu, jedoch konnte Sebastian sich nicht vorstellen, dass die Geschichte der Wahrheit entsprechen sollte.

»Haben denn Kaspar und seine Freunde die goldene Kugel mitgenommen?«, wollte Juana wissen und in ihrer Stimme lag ein misstrauischer Unterton verborgen.

»Natürlich! Kaspar hat die Kugel an sich genommen«, sagte Großvater Joe und legte das Buch beiseite. »Du glaubst doch etwa nicht, dass ich euch anschwindeln würde, Juana.«

Juana schüttelte den Kopf. »Nein, das wollte ich damit nicht sagen – ehrlich.«

»Ist schon gut, Juana.« Großvater Joe griff in die Tasche seiner Strickjacke. »Hier ist die goldene Kugel«, sagte er und überreichte sie Sebastian. »Sie gehört von nun an dir, Sebastian.«

Sebastian nahm sie wortlos entgegen.

»Leider habe ich die magische Karte von meinem Großvater nie gefunden, von der im Buch so oft die Rede war.«

Gemächlich erhob sich Großvater Joe und verschwand im Haus, um das wertvolle Buch zurück in sein Schreibzimmer zu bringen.

»Wie sollte mein Großvater denn auch etwas finden, dass nicht existiert«, sagte Sebastian an Juana gewandt.

Juana rückte ein Stück näher an Sebastian. »Die Kugel ist wunderschön«, sagte sie und ging nicht weiter auf Sebastians Bemerkung ein. »Aber sie könnte auch in irgendeiner Goldschmiede angefertigt worden sein.«

»Ja, das vermute ich auch«, sagte Sebastian, »aber mein Großvater würde mich doch niemals anlügen«, wechselte Sebastian seine Meinung, um seinen Großvater ein wenig in Schutz zu nehmen.

»Sag niemals nie«, antwortete Niko und versuchte dabei erwachsen zu klingen.

Sebastian lachte wie auch Lars und Juana.

»Nein, Großvater hat mich nicht angelogen«, sagte Sebastian überzeugt. »Niemals«, ergänzte er mit fester Stimme.

»Das glaubst du doch jetzt wohl selber nicht«, warf Lars ihm an den Kopf.

Juana verzog zweifelnd das Gesicht und ließ ihren Blick über die goldene Kugel gleiten, während sie sich eine Strähne aus der Stirn strich.

Großvater Joe kehrte zurück.

»Was haltet ihr davon, wenn wir Drachenjäger spielen?«, fragte Niko.

»Super«, bestätigte Lars schnell.

»Ja, dazu hätte ich auch Lust«, nickte Juana.

»Dann geht schon mal, ich habe noch etwas mit Sebastian zu besprechen«, sagte Großvater Joe.

Sebastian atmete tief durch.

»Was willst du denn von mir, Großvater?«, fragte Sebastian zurückhaltend.

»Komm, setz dich neben mich, Sebastian«, sagte Großvater, als er sich auf den Boden niederließ.

Es war bereits spät am Nachmittag und die dunklen Wolken waren gänzlich verschwunden.

Sebastian warf einen kurzen Blick hinüber zu seinen Freunden, die nahe bei der Holzhütte kreisförmig beisammenstanden und vermutlich diskutierten, welche Szene sie vom Drachenjäger spielen sollten.

»Also, Sebastian«, fing Großvater an, »was ist los mit dir? Du wirkst so traurig.«

»Nichts, Großvater.«

»Du kannst mir nichts vormachen, Sebastian, dafür kenne ich dich schon zu lange«, rügte Großvater ihn. »Ist es wegen deinem Vater?«

Sebastian schaute zu Boden.

»Also, wegen deinem Vater«, stellte Großvater Joe fest. »Mir ist es ja nicht entgangen, wie ihr euch heute verabschiedet habt«, erklärte Großvater, »sieh mich an, Sebastian!«

Sebastian hob den Blick.

»Ich habe recht, stimmt's, Sebastian?«, sagte Großvater.

Sebastian nickte schweigend.

»Worüber habt ihr euch denn gestritten?«, wollte Großvater wissen.

»Wir streiten uns dauernd«, fing Sebastian an, und dann sagte er mit finsterer Miene: »Immerzu muss ich lernen und wenn ich im Garten spielen will, verbietet mir mein Vater das – meistens. Süßigkeiten gibt es nur an Feiertagen – und die sind selten, wie du sicherlich weißt, Großvater. Wenn ich Löcher im Garten grabe, bekomme ich Stubenarrest von meinem Vater aufgebrummt.«

»Löcher im Garten hat nicht jeder gern, Sebastian«, lächelte Großvater, »aber das ist natürlich keine Entschuldigung dafür, dass dein Vater dir Stubenarrest gibt, wenn du sie gräbst«, versuchte er ernst zu bleiben.

»Das Schlimmste ist jedoch, dass mein Vater dauernd etwas an mir auszusetzen hat. Meinem Bruder lässt er alles durchgehen. Ich habe das Gefühl, dass er ihn mehr liebt als mich. Wenn mein Bruder mal etwas anstellt, sagt mein Vater nichts – mir dagegen droht er mit Stubenarrest. Meinem Bruder hört er immer aufmerksam zu – zu mir sagt er immer bloß: RUHE!«, erzählte Sebastian mit trauriger Stimme.

Sebastian und Großvater sahen sich für einen Moment schweigsam an.

»Lass den Kopf nicht hängen, Sebastian. Das kriegen wir schon wieder hin – dass mit deinem Vater und dir«, sagte Großvater und legte ihm kurz den Arm auf die Schulter. »Ganz bestimmt kriegen wir das wieder hin, Sebastian, du wirst sehen.«

Sebastian wandte den Blick von Großvater ab. Er sah zu, wie seine Freunde spielten. Niko war mit wenigen Schritten wieder bei Lars und hielt ihn mit einem Stock in Schach, der ein Schwert darstellen sollte. Noch hatte Niko sich zurückgehalten, doch nun trat er einen Schritt vor und zückte sein Schwert, dass er quer über dem Rücken trug.

»Willst du mit deinen Freunden spielen?«, fragte Großvater.

Sebastian schüttelte den Kopf.

»Ich habe doch die besten Freunde der Welt«, fing Sebastian an. »Oder siehst du das anders, Großvater?«

»Es gibt nichts, was ich an deinen Freunden auszusetzen hätte.«

»Ehrlich nicht?«

»Nein. Wie kommst du denn darauf, Sebastian? Hat dein Vater etwa ...«

»Nicht mein Vater«, unterbrach Sebastian, »aber Herr Henry Titus.«

»Dein Mathelehrer?«, stutzte Großvater.

Sebastian nickte.

»Was hat er denn zu dir gesagt?«

»Er meinte, dass Niko und Lars kein guter Umgang für mich wären, und ihm ist rätselhaft, warum Juana sich mit den beiden abgibt. Dann hat Herr Titus noch etwas gesagt, aber ich habe ihm nicht weiter zugehört.«

»Ich glaube, da sollte deine Mutter mal ein Wörtchen mit Herrn Titus reden«, schüttelte Großvater den Kopf. »Das geht ja nicht, dass Herr Titus dir so etwas sagt.«

Sebastian schüttete sein Herz weiter aus, und Großvater Joe hörte ihm geduldig zu.

»Ich finde, dass Niko ein guter Freund ist, Großvater. Er hat immer gute Sprüche auf Lager, über die alle lachen müssen – na ja, manchmal sind sie etwas derbe, das muss ich zugeben, Großvater, und besonders deftige Sprüche lässt er los, wenn er sich über Herrn Titus lustig macht. Ob er Niko deswegen nicht leiden kann?«, Sebastian holte kurz Luft, bevor er fortfuhr: »Aber auf Niko kann man sich immer verlassen, und wenn eine Situation brenzlig wird, lässt er einen nicht im Stich. Was meinst du dazu, Großvater?«

Großvater hob die Schultern.

»Also, meiner Meinung nach ist Niko ganz in Ordnung. Er ist ein bisschen wüst und redselig, und seine Sprüche sind manchmal etwas ausgefallen«, lächelte Großvater, »aber das ist noch lange kein Grund, dass er ein schlechter Umgang für dich wäre. Und warum, denkst du, hat Herr Titus etwas gegen Lars?«

»Das weiß ich auch nicht, Großvater. Lars und Niko albern oft zusammen herum – vielleicht ist es das, was den Lehrer stört? Aber Lars tut keiner Fliege etwas zu Leide, und das im wahrsten Sinne des Wortes«, schmunzelte Sebastian.

Großvater horchte.

»Niko ärgert sich oft über die dämlichen Fliegen, wenn sie im Sommer um seinen Kopf herum surren. Dann schlägt er nach ihnen, und Lars tritt dazwischen und schimpft Niko lautstark aus, dass er die armen Dinger in Ruhe lassen soll.«

Großvater lächelte wieder.

Sebastian kratzte sich am Kinn und war überzeugt, dass Lars ein wirklich guter Freund war.

»Lars ist völlig in Ordnung, Sebastian«, bestätigte Großvater ihm.

Sebastian sah kurz zu Juana, bevor er zu Großvater sagte: »Der Lehrer ist sehr angetan von Juanas außergewöhnlicher Begabung. Sie ist aufgeweckt, ehrgeizig und überaus klug. Sie ist die Lieblingsschülerin von Herrn Titus, und deswegen, vermute ich, mag er es nicht, wenn sie sich mit Niko und Lars abgibt.«

»Denk mal nicht so viel darüber nach, was der Lehrer zu dir gesagt hat, Sebastian. Ich denke, er liegt völlig falsch mit seinen Behauptungen«, erklärte Großvater.

»Herr Titus ist ein fieser und hinterhältiger Mensch, und er ist launisch und eingebildet – er weiß doch überhaupt nicht, was Freunde sind«, schimpfte Sebastian.

»Es sind Ferien, Sebastian. Denk nicht an Herrn Titus, sondern spiel lieber mit deinen Freunden«, sagte Großvater.

»Und in der Schule habe ich oft Ärger mit dem blöden Victor Bainbridge«, seufzte Sebastian. »Ach, Großvater, ich wünschte, ich könnte mein Leben neu beginnen.«

»Sebastian, Sebastian«, sagte Großvater, »über all die Dinge solltest du dir nicht so viele Gedanken machen«, schüttelte er den Kopf und fuhr behutsam fort: »Und was deinen Vater betrifft, Sebastian, er ist kein schlechter Mensch. Er hat im Augenblick so einiges um die Ohren. Er wird schon wieder zur Vernunft kommen.« Großvater nahm eine kurze Pfeife zu Hand und stopfte sie mit dem Tabak, den er von seinem Sohn geschenkt bekommen hatte. »Aber ich werde mit deinem Vater mal über die Dinge reden, die er dir antut.« Großvater zündete mit einem langen Streichholz die Pfeife an.

»Ehrlich«, kam es geradewegs von Sebastian heraus.

Großvater nickte und zog an der Pfeife.

»Ja«, sagte er nickend, »wenn dein Vater dich abholen kommt, rede ich mit ihm.«

»Danke, Großvater.«

»Das mache ich gerne für dich, Sebastian.«

Großvater zog wieder an der Pfeife.

»Aber du musst mir dafür etwas versprechen, ...«

»Was denn, Großvater?«, unterbrach Sebastian.

»... dass du – solange du hier bei mir in Ferien bist – nicht an deinen Vater oder an Herrn Titus denkst.«

»Darauf kannst du dich verlassen, Großvater.«

Großvater hob den Blick, als Juana laut brüllte.

»Sie spielt einen Drachen«, erklärte Sebastian.

»Das muss aber ein gewaltiger Drache sein«, lächelte Großvater.

»In der Schule bin ich für die anderen ein Loser«, erklärte Sebastian.

»Wie kommst du denn darauf?«

»Wie gesagt, mit Victor Bainbridge und seiner Gang liege ich oft im Streit. Mit ihnen kann ich es nicht aufnehmen.«

»Deswegen bist du doch noch lange kein Loser«, sagte Großvater auf Sebastians deprimierten Blick hin. »Du hast gute Freunde, auf die du dich stets verlassen kannst Das ist viel mehr Wert, als irgendwelche Nichtsnutze in einer Keilerei besiegen zu wollen.«

»Das schon, Großvater, aber ...«

»Glaube mir, Sebastian«, unterbrach Großvater ihn, »das ist sehr viel mehr Wert.«

Sebastian horchte, als Großvater an der Pfeife zog.

»Mit Victor wirst du eines Tages auch noch fertig werden«, war Großvater überzeugt.

»Victor ist zu stark für mich, Großvater.«

»Das glaube ich nicht, Sebastian«, sagte Großvater und beugte sich ein Stück vor, »du bist klug und flink – Stärke hat nicht unbedingt etwas mit Kraft zu tun, Sebastian. Und jetzt kein Wort mehr über diesem Victor – genieße die Ferien, Sebastian.«

»Wenn ich doch nur neu anfangen könnte – in der Schule, meine ich, dann ...«

»Warum willst du neu anfangen, Sebastian?«

Sebastian schwieg.

»Es ist nie zu spät, um sich zu ändern. Jeder Mensch hat sein Schicksal in der eigenen Hand – du auch, Sebastian. Du kannst deine Sterne neu ordnen, glaube mir.«

»Aber wie?«

»Du musst es nur ganz fest wollen, Sebastian, dann wird dir das auch gelingen.«

Sebastian blickte erschrocken auf, als Lars einen entsetzlich lauten Schrei abließ.

»Niko hat ihn mit dem Schwert erwischt«, lachte Sebastian.

»Hoffentlich hat er sich nicht weh getan.« Großvater blickte erschrocken, als Lars zu Boden fiel.

»Ach, nein, Großvater, Lars stirbt immer so laut.«

Großvater zog an der Pfeife.

»Ich merke schon, du willst jetzt zu deinen Freunden«, sagte Großvater. »Na, geh schon, wir reden ein anderes mal weiter.«

Sebastian ging, dann wandte er sich noch einmal seinem Großvater zu und sagte: »Das ich mein Schicksal selbst in der Hand habe und die Sterne neu ordnen kann, das gefällt mir, Großvater.«

Sebastian rannte zu seinen Freunden.

Erdgeistgeflüster

 

  

Es scherte Sebastian nicht weiter, dass Niko düster wie eine Gewitterwolke dreinblickte. Soll Niko nur sauer auf ihn sein. Er war im Recht, als er Niko das Toast aus der Hand riss und ihn aufforderte nach draußen zu kommen, um mit ihm und seinen Freunden an so einem schönen sonnigen Morgen Drachenjäger zu spielen.

Was sollte er von Niko, der Essen über alles liebt, auch anderes erwarten? Nein, ihn wunderte es nicht, dass Niko in der Küche saß und sich lieber den Bauch vollstopfen wollte.

»Wie lange willst du eigentlich noch hier herumsitzen?«, fragte Sebastian in einem derart nörgelnden Ton, dass Niko ihm die Antwort verweigerte.

»Oh, dem edlen Herrn hat's wohl die Sprache verschlagen«, stichelte Sebastian.

»Elender Krötenfurz!«, empörte sich Niko nun.

»Was soll das heißen?«, knurrte Sebastian.

»Lass mich einfach in Ruhe!«, fuhr Niko ihn an. »Ich hab nämlich noch Hunger und werde mir noch ein oder zwei Toast reinziehen – und ich habe nicht die geringste Lust, mit dir zu reden.«

Laut schnaufend stand Sebastian vor Niko, der am Küchentisch saß und sich ein neues Toast machte. Die Sonnenstrahlen fielen durch das breite Küchenfenster, auf die hochglanzpolierten Marmorfliesen des Küchenbodens. Der Raum schien in dem hellen Licht förmlich zu ertrinken. Das schöne Wetter würdigte Niko jedoch mit keinem Blick – er nahm das Toast und schmierte dick Erdbeermarmelade drauf.

»Anstatt den King zu spielen, solltest du die Marmelade mal probieren, hat nämlich dein Großvater selber gemacht«, sagte Niko barsch.

Lars kam in die Küche gestürmt.

»Wann kommst du endlich?«, fragte er ungeduldig an Niko gewandt.

»Siehst nicht, das ich noch esse?« Niko war wütend. »Hast wohl die Tomaten beim Frühstück auf deine Augen gelegt, anstatt zu essen.«

»Was hält dich denn hier fest?«, fragte Lars.

»Selbst gemachte Erdbeermarmelade von Joe«, sagte Niko.

Lars schwang sich auf den Stuhl neben Niko.

»Die muss ich auch mal probieren.«

»Soll ich dir ein Toast machen?«, fragte Niko.

»Gerne«, nickte Lars.

Sebastian stand daneben und seine Miene verfinsterte sich zunehmend, als nun auch noch Juana hereinkam, sich an den Tisch setzte und nach einem Marmeladentoast fragte, verließ Sebastian wütend die Küche, blieb jedoch vor der Küchentür stehen, so dass ihn seine Freunde nicht sehen konnten.

»Was hat er denn?«, hörte Sebastian Juana fragen.

»Keine Ahnung«, sagte Niko laut, so dass es Sebastian hören musste, »er stänkert schon den ganzen Morgen herum.«

»Vielleicht hat er schlecht geschlafen«, kam es von Lars.

»Du verhältst dich Sebastian gegenüber aber auch nicht gerade kameradschaftlich, Niko«, ermahnte Juana ihn. »Wir warten schon eine ganze Stunde auf dich.«

»Na und! Ihr hättet ja auch ohne mich anfangen können Drachenjäger zu spielen.«

»Das wollten wir ja auch«, sagte Juana, »aber Sebastian wollte, dass du dabei bist, wenn wir Drachenjäger spielen.«

»Ehrlich«, staunte Niko, »das wollte er?«

»Ja«, kam es von Lars.

»Ist ja gut, Freunde, jetzt seht mich nicht so an, als ob ich ein Monster wäre«, sagte Niko, »ich esse noch schnell das Toast, dann können wir zu Sebastian gehen.«

Sebastian öffnete die Terrassentür und ging in den Garten. Am Springbrunnen blieb Sebastian stehen und beobachtete wie silberne Fische ihre Bahn zogen. Sebastian hörte, wie von den Johannisbeersträuchern, die etwas abseits von den mächtigen Buchen standen, etliche Vögel zwitscherten. Neben dem Springbrunnen standen bunte Tontöpfe mit roten Blumen. Als sich sein Blick auf die Terrassentür richtete, strahlte er plötzlich.

»Na, endlich«, flüsterte Sebastian, »das wurde aber auch Zeit«, sagte er laut, als seine Freunde auf ihn zukamen.

»Wie soll ich das nun wieder verstehen?«, fragte Niko genervt.

Sebastian zögerte.

»Ähm ... tja, also ... ich bin froh, dass ihr hier seid«, stotterte Sebastian.

»Kommt, lasst uns zu den Bäumen gehen«, schlug Juana vor.

Es war ein sonniger Ferientag und die Bäume spendeten einen angenehmen Schatten in der grellen Sonne.

»Also, was machen wir jetzt?«, fragte Lars.

»Wir können Drachenjäger spielen«, antwortete Sebastian, »natürlich nur, wenn du Lust dazu hast, Niko«, sagte er.

Nikos finstere Miene hellte sich langsam auf. Er zuckte mit den Schultern und sagte: »Von mir aus.«

»Von mir aus auch«, kam es von Lars.

Sebastian blickte zu Juana.

»Ich bin einverstanden«, sagte sie.

Sebastian strahlte.

Niko trat einen Schritt auf Sebastian zu. Er sprach mit einer dunklen Stimme: »Wir Drachenjäger können auf das Wohlwollen des einfachen Volkes getrost verzichten. Im Kriegsfall müssen wir vier fest zusammenhalten – egal, ob wir unterschiedliche Vorstellungen vom Tagesablauf haben, die alten Zwistigkeiten müssen wir hintenanstellen. In ganz Phantasien kennen die Helden jetzt nur ein Ziel: Nabor, der finstere Drache – er muss mit allen Mitteln aufgehalten werden.«

»Das war gut gesprochen«, schwärmte Sebastian.

»Na, klar, war es das«, Niko war sehr von sich überzeugt und auch von seiner Kunst zu schauspielern.

»Ich schlage vor, dass wir in den Schuppen gehen, uns die Sachen holen, die wir zum Drachenjägerspiel brauchen, und endlich anfangen Nabor zu jagen ...«, Ungeduld lag in Lars Stimme, »... bevor der bösartige Drache das nächste Dorf angreift und zerstört.« Lars fieberte dem Spiel entgegen.

»Ich bin Sareg«, sagte Sebastian. »Lars spielt Lox und Juana ist Taschin.« Sebastian überlegte. »Du kannst Itzaban, den Zauberer, spielen.«

»Wirklich?« Nikos Pausbacken blähten sich vor Freude auf.

»Na, endlich, geht es los«, Lars war Feuer und Flamme, als Sebastian das Schwert erhob.

 

***

 

»Lox, sieh nur, die Drachen, sie fliegen hoch! Wir werden wieder einen schönen Tag bekommen«, sagte Sebastian, der im Drachenjägerspiel den Sareg mimte und gerade sein imaginäres Pferd – einen alten Besenstiel – zügelte.

Lox schüttelte den Kopf. »Du irrst dich, Sareg«, sagte er und sah in dessen tiefblaue Augen. »Ich frage mich oft, mein Freund«, kam es von Lox, der die rechte Augenbraue hochzog, »ob du schon mal den blauen Himmel von dort oben gesehen hast?«

»Steig auf dein Pferd, Lox!«, befahl Sareg. »Wir sollten weiter, bevor uns die Drachen entdecken!«

Lox stieg auf sein imaginäres Pferd und trieb es an. Mit federndem Trab ritt er den lichten Waldweg entlang.

Sareg folgte Lox lachend mit seinem Pferd. »Weißt du, was dein Fehler ist, mein Freund?«, rief Sareg ihm nach. »Du bist nur verrückt aufs Kämpfen.«

»Sieh, dort oben auf dem Felsvorsprung.« Lox deutete gen Norden. »Taschin wartet bereits auf uns.«

Als sie endlich die Gesteinsformation erreicht hatten, begrüßte ihre Gefährtin sie mit Ungeduld.

»Da seid ihr ja endlich, ihr Raufbolde. Kommt, lasst uns den Drachen folgen«, sagte sie und ritt voraus.

Als Sebastian mit seinem imaginärem Pferd im Schatten einer Buche stand, wirbelte ein kühler Wind sein Haar durcheinander. Er glaubte einen leisen Gesang zu hören.

 

»In der Tiefe der Erde, dort ruhe ich,

in der Tiefe der Erde, dort findest du mich.

Suche nach mir, bitte suche mich.

In der Tiefe der Erde, dort findest du mich.«

 

***

 

»Sebastian, Sebastian – alles in Ordnung mit dir?«, fragte Juana besorgt und rüttelte an seiner Schulter.

»Was ist los?« Lars schaute in Sebastians starre Augen.

»Woher kommt der Wind?« Niko begann zu frösteln.

»Fürchte dich nicht vor mir, Kaspar«, flüsterte eine sanfte, männliche Stimme, die nur Sebastian hören konnte. Sie schien schon etwas älter zu sein. Sebastian sah sich im Garten um. Sein Blick wirkte hektisch. Als der Wind nachließ, hörte er wieder dieselbe Stimme: »Komm zu mir, Kaspar! Komm!«

»Mein Name ist Sebastian«, sagte er trotzig und rief dann aus voller Kehle: »Wohin soll ich kommen?«

Ein kurze Stille trat ein.

»Folge deinem Schicksal, Sebastian.« Das waren die letzten Worte, die ihm zu Ohren kamen.

»Was ist mit dir, Sebastian?« Juana machte sich Sorgen.

»Unheimlich«, bemerkte Lars.

Niko sagte keinen Ton.

Sebastian wusste nicht, warum er sich der Holzhütte zuwandte. Es war nur so ein Gefühl, das ihn plötzlich überkam.

»Folgt mir!«, sagte er hastig.

»Sollten wir nicht deinen Großvater rufen, Sebastian?«, fragte Lars ein wenig ängstlich.

Niko winkte ab. »Damit Joe uns den Spaß verdirbt?«

»Joe wird uns bestimmt nicht den Spaß verderben«, antwortete Lars.

»Und wenn doch?«, sagte Niko.

Lars schwieg.

Sebastians Stimme klang heiser vor Anspannung, als er langsam die Tür der Holzhütte öffnete und hineinging. »Hallo, ist da jemand?«

Juana folgte ihm. Dicht hinter Juana folgte Niko. Lars zögerte, bevor er mit einem Satz in die Holzhütte sprang. Die Tür fiel ins Schloss und Juana fuhr erschrocken herum.

»'tschuldigung«, sagte Lars.

Nur wenige Sonnenstrahlen drangen durch die staubigen, kleinen Fenster und tauchten den Raum in dämmriges Licht. Ein kühler Windzug streifte Sebastians Nacken, dann hörte er ein Knurren.

»Ich habe Hunger«, sagte Niko und fasste sich an seinen dicken Bauch.

»Wie kann man jetzt nur ans Essen denken?«, warf Lars ihm vor.

Sebastians Blick wanderte schnell von rechts nach links und wieder zurück. Er spürte, dass sie nicht mehr alleine waren. Irgendetwas war bei ihnen, das eine Eiseskälte ausstrahlte und Reif auf den Fensterscheiben hinterließ.

»Hast du etwas gesehen?«, fragte Juana und stupste ihn an.

»Nein«, sagte Sebastian.

Ein Schatten streifte ihn und irgendetwas berührte seinen linken Arm.

»Was war das?« Sebastian zuckte zusammen.

»Was war was?«, fragte Lars ängstlich.

Dann fiel Sebastians Blick auf zwei Nachttische aus edlem, poliertem Holz, die früher einmal im Schlafzimmer seiner Großeltern gestanden haben. Er ging in die Hocke und griff nach dem kleinen, runden Knauf der obersten Schublade und zog sie langsam heraus.

»Hast du was gefunden?« Nikos Vorfreude etwas kostbares zu finden wuchs.

»Nein«, sagte Sebastian enttäuscht. »Sie ist leer.«

Er öffnete die zweite, dann die dritte Schublade, aber außer Staub und toten Spinnen fand er nichts. Auch das zweite Nachtschränkchen war leer. Plötzlich hörte er wieder diesen seltsamen Gesang.

»Hört ihr das auch?», fragte Sebastian.

»Ich höre nichts«, sagte Juana.

»Ich auch nicht«, sagte Niko und zuckte mit den Schultern.

Lars schwieg. Seine Storchbeine zitterten vor Angst.

»Etwas Besonderes wartet von dir entdeckt zu werden, Kaspar«, flüsterte eine ältere, männliche Stimme.

Sebastian ärgerte sich, weil die Stimme ihn wieder Kaspar nannte und fragte dann missgelaunt: »Warum sagst du mir nicht, was ich wissen muss?«

»Mit wem redest du?«, fragte Juana verstört.

»Mit dieser seltsamen Stimme«, antwortete Sebastian und sah, wie Juana die Mundwinkel verzog.

Lars seufzte, als Sebastian erneut auf den Nachttisch seines Großvaters zuging.

»Wir sollten gehen!«, sagte Lars deutlich.

Doch Sebastian zog hastig die Schubladen ganz heraus, polternd legte er sie beiseite.

»Ich hätte schwören können, ich finde hier etwas«, sagte er und griff in den Nachtisch hinein. »Was ist denn das?« Er zog ein mysteriöses Pergament hervor, das in der hinteren Ecke geklebt hatte.

»Wow, eine Schatzkarte«, staunte Lars.

»Sei nicht albern, Lars«, schmunzelte Juana. »Was soll schon groß auf diesem kleinen Fetzen geschrieben stehen?«

Sebastians Hände zitterten leicht vor Aufregung, als er das Pergament auseinander faltete, auf dem mit Bleistift zehn Bäume gezeichnet waren.

»30 und 15«, hauchte Juana und deutete auf die Stelle der Zeichnung, auf der sie die Zahlen bemerkt hatte. Einen kleinen Pfeil hatte dort jemand neben einen der Bäume gekritzelt.

»Wir haben eine Schatzkarte gefunden«, jubelte Sebastian.

»Ich hatte also doch recht, es ist ...«, kam es von Lars, doch Juana fuhr ihm energisch ins Wort. »Wir sollten herausfinden, was die Zahlen zu bedeuten haben.«

»Sollten wir nicht zu deinem Großvater ...«, wandte Lars ein, doch nun fuhr ihm Niko dazwischen. »Ein großes Abenteuer wartet auf uns«, sagte er mit leuchtenden Augen.

»Und was machen wir jetzt?«, leierte Lars die Worte herunter. Er war verärgert, weil niemand ihm zuhören wollte.

»Wir gehen zum Haus und besprechen alles in Ruhe«, sagte Sebastian, »aber kein Wort zu Großvater!«, ermahnte er Lars.

»Warum willst du deinem Großvater denn nichts von unserem Fund erzählen?«, fragte Juana und ihre strahlend grünen Augen waren ganz schmal.

»Ich will dieses Geheimnis selber lösen«, Sebastian hielt das Pergament seinen Freunden vor, »dann werde ich natürlich zu Großvater gehen und ihm alles erzählen.«

»Ich bin auch dafür, dass wir alleine auf Schatzsuche gehen sollten«, stand Niko Sebastian bei.

»Okay«, platzte Juana heraus, »ich bin auch dafür.«

Sebastian blickte zu Lars.

»Ist schon gut, Freunde, ich will mich euch ja nicht in den Weg stellen«, sagte Lars ein wenig mürrisch, »suchen wir halt alleine den Schatz.«

Der Mittag nahte und die Sonne stand hoch am Himmel.

»Was mag es wohl zum Mittagessen geben?«, fragte Niko.

»Du denkst immer nur ans Essen«, bekam er von Lars zu hören.

Niko verzog trotzig die Mundwinkel und wollte gerade die passende Antwort geben, als Sebastian beide ermahnte, dass sie mit den kindlichen Streitereien endlich aufhören sollten.

 

***

 

Seit einer geschlagenen Stunde saßen Sebastian und seine Freunde nun schon auf der Terrasse, bei Kürbissaft und einer Schüssel voll Süßigkeiten. Die große Fensterfront hinter ihnen glitzerte im Sonnenlicht. Niko griff gierig nach einem Schokoladenriegel.

»Die Bäume auf der Zeichnung sind eindeutig die aus eurem Garten«, stellte Juana fest. »Aber welcher von denen könnte der mit dem Pfeil sein?«

»Gib mir mal die Karte, Sebastian!«, befahl Juana.

Sie hatte eine Idee und drehte die Karte im Kreis, dann sagte sie ohne Luft zu holen: »So ist es richtig. Dort drüben, das muss der Baum sein.«

»Wie kommst du denn darauf?« Lars staunte darüber, dass Juana für alles immer Einfälle und Lösungen parat hatte.

»Das ist der kleinste Baum auf der Zeichnung, und dort drüben steht er. Hier, Sebastian, deine Schatzkarte«, sagte sie.

»Kommt mit, Freunde!« Sebastian ging zielsicher auf die Bäume zu. Ihre mächtigen Wurzeln hatten sich im Laufe der Jahrzehnte so im Erdreich festgekrallt, dass selbst ein mächtiger Sturm sie nicht hätte herausreißen können.

Lars entfernte sich etwas von der Gruppe, so dass er einen Blick hoch zu den Baumkronen werfen konnte.

»Die Zahlen könnten eine Entfernungsangabe bedeuten«, rätselte Juana.

Sebastian nickte.

Lars ging zur Gruppe zurück. »Sieht wie ein ganz normaler Baum aus.«

Niko hatte inzwischen die Buche umrundet und stand wieder bei seinen Freunden.

»Der Pfeil deutet die Richtung an, in die wir gehen müssen«, davon war Sebastian fest überzeugt, »also gehen wir mal 30 Schritte dort entlang.«

»Eins, zwei, drei ...« Lars zählte laut mit.

»Und warum gerade dort entlang?«, fragte Juana.

»Es sieht so aus, als ob der Pfeil dort hin zeigen würde«, antwortete Sebastian, »und da die 30 an erster Stelle steht, dachte ich ...«

»Ein Versuch ist es Wert«, unterbrach Juana und zählte laut mit. »Fünf, sechs, sieben ... dreißig.«

»Was könnte die Zahl 15 bedeuten? Etwa weitere 15 Schritte?«, fragte Niko, als sie das Ziel erreicht hatten.

»Aber in welcher Richtung?« Juana zog nachdenklich die rechte Augenbraue hoch.

»Oder müssen wir hier 15 Meter tief graben?« Lars hielt sich den Bauch vor Lachen fest.

Über ihnen zogen Wolken dahin, die ab und zu die Sonne verdeckten.

»Sei nicht so kindisch, Lars!«, wandte Juana ein.

»Hey, was soll das nun schon wieder heißen, Miss Erwachsen? Ich bin schließlich noch ein Kind –«, ärgerte sich Lars, »– und als solches darf ich kindisch sein!«

»Du bist zwölf Jahre, Lars«, sagte Juana mit aller Deutlichkeit, »denk mal darüber nach. Es wird langsam Zeit erwachsen zu werden.«

»Hört endlich auf, euch dauernd zu streiten! Das bringt uns nicht weiter!«, ermahnte Sebastian die beiden.

»Das musst du gerade sagen«, fuhr Juana Sebastian an, »seit wir bei deinem Großvater sind, streitest du dich dauernd mit Niko.«

»Hey, Freunde, hört jetzt auf«, stellte sich Niko zwischen Sebastian und Juana, »wir sollten zusammenhalten und den Schatz finden.«

Lars sah, wie ein großer Vogelschwarm vorüberzog. »Hoffentlich kommt da nichts heruntergefallen«, stöhnte er.

Niko lachte laut, als Vogelkot Lars nur um Zentimeter verfehlte.

»Ja, äußerst witzig, Dicker!«, fuhr Lars ihn an.

Niko ignorierte die Beleidigung.

»So, suchen wir nun weiter, oder was?«, fragte Niko.

Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann sagte Sebastian: »Klar doch! Vorschläge?«

Niko lächelte ihm zu.

»Wir könnten uns ja mal das Buch von deinem Großvater ansehen«, schlug Juana an Sebastian gewandt vor. »Vielleicht ist dort ein Hinweis versteckt.«

Sebastian verschluckte fast die Wörter, als er sagte: »Wie kommen wir bloß an Großvater vorbei?«

»Frag ihn doch einfach, ob wir uns mal das Turmzimmer ansehen dürfen«, schlug Niko vor.

»Und wenn er mit uns kommt, was machen wir dann?«, fragte Sebastian.

»Dann müssen wir uns etwas anderes überlegen«, sagte Juana.

 

***

 

»Und?«, fragte Juana Sebastian, sobald sie das Wohnzimmer verlassen hatten. Großvater Joe blieb Pfeife rauchend im Schaukelstuhl zurück. »Bist du nun zufrieden mit deinem Großvater?«

»Hätte ich nicht gedacht –«, sagte Lars an Sebastian gewandt, »– dass dein Großvater uns alleine in sein Schreibzimmer lassen würde.«

Sebastian und seine Freunde hasteten die alte Holztreppe im turmähnlichen Anbau hinauf, die unter dem Ansturm ächzte, als würde sie unendlichen Qualen ausgesetzt. Als sie endlich das Schreibzimmer betraten, überfielen Sebastian Erinnerungen. Juana, Lars und Niko sahen sich sofort im Zimmer um, während Sebastian zu Großvaters Schreibtisch ging. Ein Regal mit alten, verstaubten Büchern zog Juana in den Bann, während Niko und Lars in einer Holztruhe wühlten. Sebastian rückte den alten Holzstuhl zurecht und ließ sich vor Großvaters Schreibtisch nieder. Er sah aus dem Fenster und dachte an seinen Großvater, der oftmals zu ihm gesagt hatte: ›Gute Geschichten entstehen nicht über Nacht. Sie müssen erlebt und dann geschrieben werden.‹ Was hatte sein Großvater ihm damit sagen wollen? Sebastian erinnerte sich an die Abenteuerspiele mit seinem Großvater. Als Aron der Sucher, streifte sein Großvater mit ihm als Sohn Sareg durch den Garten, der nun für sie den Todeswald in der Anderen-Welt darstellte, auf der Suche nach einem sagenumwobenen Schatz.

»Träumst du etwa?«, vernahm Sebastian Juanas Stimme von rechts.

»Ich habe an meinen Großvater gedacht«, flüsterte er.

»Habt ihr schon etwas gefunden?«, rief Niko.

»Nein«, rief Sebastian zurück.

Lars wandte sich von der Truhe ab und stöberte im Bücherregal. Plötzlich jauchzte er: »Ich habe das Buch von deinem Großvater gefunden.«

Sebastian schien für einen kurzen Augenblick wie versteinert.

»Hast du nicht gehört, Sebastian?«, fuhr Juana ihn an.

»Doch, natürlich«, sagte Sebastian schnell.

Als Lars links von Sebastian stand, reichte er ihm das Buch. Sebastian nahm es erwartungsvoll entgegen und schlug die erste Seite auf.

»Wow«, staunte Niko, der hinter Sebastian stand und ihm über die Schulter lugte, »was für eine schöne Schrift.«

Sebastian blätterte langsam die Seiten um.

»Gibt es ein Inhaltsverzeichnis?«, fragte Juana.

Sebastian blätterte weiter. »Nein«, sagte er, als die erste Geschichte anfing.

Sebastian versuchte, eine angenehme Position auf dem Stuhl zu finden.

»Das kann ja noch Stunden dauern, bis wir das Buch durchgeblättert haben«, stöhnte Lars Sebastian ins Ohr.

»Na und, was soll's? Hast du keine Zeit?«, sagte Niko.

»Na, klar, ich schon, aber was ist mit Sebastians Großvater«, brummte Lars, »er wird uns bestimmt nicht solange hier oben alleine lassen.«

Niko zuckte mit den Schultern. »Womöglich nicht«, sagte er.

Sebastian blätterte weiter.

Juana blieb für einen Augenblick der Mund offen stehen, dann sagte sie: »Sieh nur, Sebastian, die Überschrift!«

Sebastian las laut vor: »Der magische Kreis (30/15).«

»Lies weiter«, forderte Lars ihn auf.

Die Sonne wanderte weiter und ein weißer Lichtstreifen tauchte das Turmzimmer in ein gleißendes Licht. Sebastian musste seine Hände heben, um nicht geblendet zu werden.

Juana ließ die Jalousie ein wenig herab.

»Besser so?«, fragte sie.

»Ja«, antwortete Sebastian, »danke, Juana«, dann begann er vorzulesen: »Es war eine wunderbare Vollmondnacht, als Aron die magische Karte zur Hand nahm, um in die Andere-Welt zu reisen – das war nämlich nur bei Vollmond möglich. Dort angekommen, wanderte er zur Hauptstadt Arasin im Königreich Nebra und besuchte einen guten Freund. Sein Name war Balthasar. Als Aron wieder in die Menschenwelt zurückkehrte, wurde er krank. Er vergaß immer mehr aus seinem früheren Leben und er spürte, dass ihm keine Zeit mehr blieb, um Balthasar aufzusuchen, damit er ihn um Rat fragen konnte. Im Kreis der Bäume fand er ein sicheres Versteck ...« Sebastian legte das Buch beiseite. Schweigend sah er aus dem Fenster hinaus in den Garten.

Sebastians Stimme vibrierte. »Mein Großvater hat im Spiel den Namen Aron benutzt und die Bäume dort, sie bilden einen Kreis.«

»Wie ist er eigentlich auf den Namen Aron gekommen?«, fragte Juana neugierig wie sie nun mal war.

»Der Name Aron taucht in einigen Geschichten auf, die Großvater mir aus diesem Buch schon mal vorgelesen hat«, erklärte Sebastian.

»Ach, ja, natürlich, er hat den Namen aus dem Buch genommen«, nickte Juana.

»Der Durchmesser könnte 30 Meter betragen, und 15 bedeutet die Kreismitte« sagte Juana, als würde sie einen Text aus einer wissenschaftlichen Abhandlung vorlesen.

»Unheimlich«, flüsterte Lars.

»Was denn?«, lachte Niko.

»Der Nebel zwischen den Bäume«, antwortete Lars und deutete aus dem Fenster.

Sekunden später tauchte ein zerfurchtes Gesicht aus dem Nebel auf, das finster dreinblickte. Als die Gestalt ganz zum Vorschein kam, bestand sein Gewand aus sich ständig erneuernden Wurzeln.

»Ein Geist«, schrie Lars, seine Beine zitterten.

»Hör auf zu jammern, Lars!«, ermahnte Juana ihn mit einem strengen Lehrerblick.

Wieder sprach eine sanfte, männliche Stimme zu Sebastian: »Ich kann aus meiner Welt leider nicht in deine, aber du kannst in meine.«

Sebastian schlug das Buch geräuschvoll zu. Stille hatte sich in dem Raum ausgebreitet.

»Wer bist du?«, fragte Sebastian schließlich, während die alte Standuhr in der Ecke plötzlich fünf Uhr schlug.

Anstatt auf eine Antwort zu warten, stand Sebastian auf und stürmte aus dem Zimmer, rannte die alte Holztreppe hinunter, warf einen schnellen Blick ins Wohnzimmer und sah, dass Joe im Schaukelstuhl saß und schlief. Er stürmte hinaus in den Garten, in den Nebel hinein. Juana, Niko und Lars folgten ihm. Stille herrschte in der Runde. Der Fremde bewegte sich gefährlich nah auf Sebastian zu. Er reichte Sebastian zwar nur bis zur Brust, dennoch war Sebastian vorsichtig.

»Wer bist du?«, krächzte Sebastian. »Was willst du von uns?«

Statt gleich zu antworten, ließ der Fremde ein wenig Flüssigkeit aus einem ledernen Trinkbeutel in seinen Mund laufen. Sebastian hätte ihm am liebsten den Beutel aus der Hand gerissen.

»Wir sollten Ruhe bewahren«, meldete Juana sich zu Wort. »Der Geist kann uns nichts anhaben, wenn wir es nicht zulassen.«

»Woher hast du denn diese Weisheit?«, fragte Lars leise und seine Stirn legte sich in Falten.

»Ihr müsst wissen, so eine Reise macht durstig«, krächzte der Fremde, als er den Lederbeutel senkte.

Bevor Sebastian weitere Fragen stellen konnte, fragte der Fremde mit belegter Stimme: »Habt ihr auch Durst?«, und streckte den Trinkbeutel Sebastian und seinen Freunden entgegen. Als sie keine Reaktion zeigten, fuhr er fort: »Nein, nicht – auch gut, werdet ihr aber sicherlich noch bekommen, wenn ihr mit mir zurückreist. Ihr müsst wissen, so eine Reise macht durstig, ach, ja, das sagte ich ja schon – außerdem müsst ihr wissen, dass das Böse große Macht hat, und es wird nicht ruhen, ehe alles Gute in meiner und eurer Welt zerstört ist.« Eine unheimliche Pause trat ein. »Ich bin Nox, ein Erdgeist.«

Als Nox in die verblüfften Gesichter der Kinder blickte, sagte er kopfschüttelnd: »Habt ihr noch nie einen Erdgeist zu Gesicht bekommen?« Nox schüttelte wieder den Kopf und hängte den Trinkbeutel an seinen Wurzelgürtel. »Menschenkinder«, sagte er, »kleine unwissende Geschöpfe seid ihr.«

Lars fasste all seinen Mut zusammen. »Bist du ein guter oder ein böser Geist?«

Nox lächelte. »Ich bin kein Geist, Menschenkind, ich bin ein Erdgeist, das ist kein Geist im klassischen Sinne, Menschenkind – also, ein Gespenst, das meinst du sicher, das bin ich nicht – ich bin ein Erdgeist und nicht hier, um euch etwas anzutun«, erklärte er. »Ich bin hier, um euch in die Andere-Welt zu geleiten. Eigentlich ist dies nur in einer Vollmondnacht möglich, jedoch habe ich einen Einmal-Zauber, mit dem uns die Reise trotzdem gelingen sollte.«

»Das verstehe ich nicht«, flüsterte Lars Sebastian zu. »Ist er nun ein Geist, oder nicht?«

»Also, ich glaube, dass, was er uns damit sagen will ist, dass er so lebendig ist wie wir«, sagte Sebastian.

Nox nickte. »Genau, Kaspar, das wollte ich damit sagen.«

Juana und Niko standen sprachlos da.

»Was um alles in der Welt ist ein Einmal-Zauber?« Juana fand vor Niko die Sprache wieder.

»Das Elixier ist von Balthasar, dem Zauberer ...«

»Von einem Zauberer ...«, warf Niko ein und wurde von Juana unterbrochen: »Pssst! Sei still, Niko!«

Das Schweigen, das nun eintrat, wurde nur vom Zwitschern einiger Vögel unterbrochen, die in den Johannisbeersträuchern saßen.

»Du musst in die Andere-Welt, daran führt kein Weg vorbei, Kaspar«, sagte Nox und fuchtelte mit der kleinen Hand vor Sebastians Gesicht herum, »und jetzt kein Wort mehr! Keine Zeit mehr für Erklärungen – die Andere-Welt ist in großer Gefahr.«

»Warum nennst du mich dauernd Kaspar?«, fragte Sebastian und musste dabei an die Stimmen und den Chorgesang denken, die ihn auch bei diesem Namen nannten.

»Na, weil das dein Name ist«, schüttelte Nox verständnislos den Kopf.

»Mein Name ist Sebastian.«

Nox blickte mit seinen kreisrunden Augen Sebastian stumm an.

»Hast du die Sprache verloren?«, fragte Sebastian frech.

»Fragen, Fragen und nochmals Fragen – Menschenkinder«, schüttelte Nox wieder den Kopf. »Warum? Wieso? Weshalb? Blablabla«, brummte Nox. »Wenn dir Sebastian besser gefällt, werde ich dich halt so nennen.«

Nox Blick wirkte verärgert.

»Ich glaube, du hast ihn mit deiner Frage, ob er die Sprache verloren habe, beleidigt«, flüsterte Juana Sebastian zu.

»Warum sollten wir dir vertrauen?«, fragte Lars und trat einen Schritt zurück – hinter Niko lugte er hervor und wartete auf die Antwort von Nox.

Nox verzog missmutig das kleine, faltige Gesicht. »Kleines misstrauisches Menschenkind«, schimpfte er. »Was, um alles in der Welt soll ich denn noch tun, damit ihr mir endlich glaubt? Die Zeit läuft, Menschenkind.«

»Mein Name ist nicht Menschenkind«, sagte Lars und trat aus dem Schatten von Niko heraus, »mein Name ist Lars – Lars Sandler!«

»Jaja, ist schon gut«, winkte Nox ab, »dann werde ich dich eben Lars nennen«, Nox lächelte nun, »Lars, den Empfindlichen.«

Das gefiel Niko, denn er lachte laut.

»Sei still«, fuhr Lars Niko an.

»Ist schon gut, Kumpel. Warum regst du dich gleich immer so auf?« Niko sah Lars streng an, bevor er mit einem Lächeln fortfuhr: »Lars Storchbein, der Empfindliche.«

»Hört bitte damit auf!«, ermahnte Sebastian die beiden, und als er sah, dass Lars Niko eine Antwort geben wollte, sagte Sebastian in eindringlichem Ton: »Bitte, Lars, lass es sein!«

Lars nickte. »Ja – gut, ich bin ja schon still«, murmelte er und kratzte sich verlegen an der Nasenspitze.

»Dein Name ist also Niko«, sprach Nox Niko an.

»Ja, Niko Coleman.«

Nox wandte sich Juana zu.

»Wieso sprichst du eigentlich unsere Sprache?«, fragte Juana stutzig.

»Wer ich?« Nox zeigte mit dem Wurzelfinger auf sich. »Nein, das tue ich doch nicht – ganz gewiss nicht, Mädchen, nein.«

»Also, komm mal auf den Punkt!«, fuhr Niko ihn an.

»Kinder, keine Geduld haben sie – ich habe Balthasar davor gewarnt ...«

»Nox, jetzt sag schon!«, unterbrach Juana neugierig.

»Jaja Kinder, ist schon gut – hier, das hat Balthasar mir für euch mitgegeben.«

Nox fasste in einen ledernen Beutel, der an seinem Wurzelgürtel hing, und holte drei winzige, runde, smaragdgrüne Steine hervor, die an langen Lederbändern befestigt waren.

»Diese Transkribierer ...«, sagte Nox, und als er merkte, dass er nicht verstanden wurde, korrigierte er sich: »Diese Steine werden euch helfen, die Sprachen meiner Welt zu verstehen – und natürlich werden sie eure Sprache in unsere übersetzen.«

»Wow, ist ja ein tolles Ding«, staunte Niko. »Muss ich es mir um den Hals hängen?«

»Kannst du tun – du kannst den Stein aber auch in die Tasche stecken – ganz wie du willst – eigentlich genügt ein Stein, der in eurer Nähe ist, aber besser ist es, wenn jeder von euch einen hat, falls ihr mal getrennt werdet«, erklärte Nox.

Juana nahm den Stein entgegen und hängte ihn sich um den Hals.

»Danke, Nox«, sagte sie.

Niko und Lars erhielten ebenfalls einen Stein.

»Und was ist mit mir, Nox? Bekomme ich keinen Stein?«, fragte Sebastian erstaunt.

»Du?«, fragte Nox erstaunt zurück. »Nein, du doch nicht, Sebastian«, winkte er ab und trat einen Schritt näher. »In dir steckt etwas ganz Besonderes, Sebastian. Du brauchst keinen Transkribierer – du versteht unsere Sprache auch so und wir verstehen dich, obwohl du in deiner Sprache zu uns sprichst und wir in unserer Sprache zu dir sprechen«, erklärte Nox.

»Wow, ist ja ein tolles Ding«, staunte Niko wieder.

»Wie geht denn das?«, wollte Juana wissen.

Nox zuckte mit den Schultern.

»Das kann ich – keine Ahnung, Mädchen. Da musst du Balthasar nach fragen, der kann dir das bestimmt erklären«, nickte Nox. »Ganz bestimmt sogar«, sagte er und wandte sich Niko zu.

»Ich heiße nicht Mädchen, sondern Juana Portman«, sagte sie verärgert. »Du darfst mich aber Juana nennen.«

Nox nickte ihr zu.

»Oh, was ist denn das für ein königliches Wappen?«, fragte Nox und deutete auf das T-Shirt von Niko.

Niko starrte Nox mit großen Augen an, dann kullerte er sich vor lachen und sagte: »Das ist die Fahne von Großbritannien.«

Nox blickte verdrießlich drein.

»Gut, gut«, sagte Niko, um Nox wieder aufzumuntern, »irgendwie hast du ja recht. Es ist eine königliche Flagge.«

Nox nickte und sagte zu Sebastian gewandt: »Doch bevor wir alle in die Andere-Welt reisen, Sebastian, müssen wir noch etwas finden, dass hier im Garten vor langer Zeit versteckt wurde.«

»Was ist es denn, wonach wir suchen?«, fragte Sebastian schnell.

»Finde es selbst heraus, Sebastian, ich will euch doch die Freude an der Schatzsuche nicht verderben«, antwortete Nox.

»Hmmm, du weißt es nicht«, brummelte Sebastian.

»O, doch, Sebastian«, Nox hob den Zeigefinger – eine neue Wurzel wuchs aus dem Ärmel des Gewandes und schlängelnd bewegte sie sich, bis zur Fingerspitze, »ich weiß genau, wonach wir suchen.«

Sebastian musterte Nox eindringlich, dann sagte er mit fester Stimme: »Gut, Nox, ich glaube dir, und ich denke, ich weiß, wo der Schatz vergraben ist.«

»Woher wissen wir, dass wir dem Erdgeist tatsächlich vertrauen können?«, flüsterte Lars Sebastian zu.

Sebastian schwieg.

»Wir müssen zuerst die Kreismitte ausmessen«, sagte Sebastian und sah Nox direkt in die dunkelbraunen, kreisrunden Augen, wo er große Fragezeichen zu sehen glaubte, »die zehn Buchen hier bilden einen Kreis, Nox, und wir müssen die Kreismitte ausfindig machen«, erklärte er.

Die Wurzel am Zeigefinger war mittlerweile über die Fingerspitze hinausgewachsen. Nox wandte sich um und wedelnd bewegte er den Zeigefinger hin und her – die Wurzel schwang dabei mit. »Ionar exkalibar«, sagte Nox und etwas weiter vor Nox brannte der Zauber ein tiefes Loch in den Boden, und in einem kreisrunden Umkreis um das Loch herum brannte der Rasen lichterloh. »So, das hätten wir geschafft, Sebastian. Das ist die Kreismitte.« Nox nickte zuversichtlich.

»Boh«, ließ Niko laut ab, »das ist ja wohl voll krass, Freunde – ein Wurzelzauberfinger, das hab ich ja noch nie gesehen«, staunte Niko.

»Verdammt, Nox, sieh dir an, was du getan hast. Wenn Vater das erfährt, wird er mir Hausarrest geben, bis ich erwachsen bin«, fluchte Sebastian lautstark. »Lösch das Feuer! Aber schnell!«

»Ich geb' ja zu, der Zauber war etwas stärker, als ich vermutet hatte«, sagte Nox und schwang wieder den Zeigefinger. »Ionar exkalibar abstusa«, sagte er, und das Feuer erlosch auf der Stelle.

»Boh«, staunte Niko wieder, »kannst du mir ein Stück von der Wurzel abgeben?«

»Es ist nicht die Wurzel, womit ich zaubere, Niko«, erklärte Nox, »die Macht zu Zaubern steckt in mir.«

Nox holte eine Schaufel hinter seinem Rücken hervor und drückte sie Sebastian in die Hand.

»Wie hast du das gemacht?« Lars rollte vor Verblüffung die Augen.

»Hast du mir nicht zugehört, Lars? Ich sagte ja eben, ich kann ein wenig zaubern«, sagte Nox in einem ruhigen Ton, als hätte er alle Zeit der Welt, doch dann kam es aus ihm herausgeschossen: »Die Zeit drängt, Kinder, rasch an die Arbeit!«

»Warum zauberst du den Schatz nicht einfach aus der Erde hervor?«, fragte Niko.

»All die unnötigen Fragen, die nur Zeit vergeuden – ich will ihn nicht beschädigen.« Nox verschwand von der einen auf die andere Sekunde und tauchte plötzlich am Rand des tiefen Lochs wieder auf. »Jetzt kommt endlich her und fangt an zu graben!«, rief er.

»Kannst du mir meinen Rucksack aus dem Zimmer holen, Lars?«, fragte Sebastian.

»Ja, natürlich«, antwortete Lars.

»Da ist die goldene Kugel, eine Taschenlampe und noch anderes Zeug drin«, sagte Sebastian, »und sieh nach, ob Großvater noch schläft.«

»Mache ich sofort«, sagte Lars und rannte zum Haus.

Sebastian hüpfte ins Loch und fing an zu graben.

»Warst du schon mal in unserer Welt gewesen?«, fragte Juana an Nox gewandt.

»Ja, natürlich war ich schon mal hier, aber das ist schon lange her«, erklärte Nox, »seit damals vereitelte der schwarzmagische Zauberer Drawen jeden Versuch von mir, in die Menschenwelt zu reisen.«

»Und wie hast du es jetzt geschafft, und wer ist dieser Drawen?«, wollte Juana wissen.

»Also, Balthasar hat einen Weg gefunden«, sagte Nox, »wie er es geschafft hat, das musst du ihn selber fragen. Dieser Drawen ist ein ganz übler Bursche. O, ja, das ist er – durch und durch böse. Er will die Macht über alle Königreiche an sich reißen und dazu ist ihm jedes Mittel recht. Aber genug der Worte, Balthasar wird euch alles genau erklären.«

»Ich finde, der Zwerg redet ein wenig wirr«, flüsterte Niko Juana zu.

Nox warf einen ungeduldigen Blick in das Loch.

»Hast du schon etwas gefunden, Junge?«, fragte er ungeduldig.

»Hast du mich jubeln gehört?«, antwortete Sebastian.

»Wie bitte?«, kam es von Nox.

»Sebastian hat noch nichts gefunden«, klärte Niko Nox auf.

»Kannst du nicht noch eine Schaufel herbeizaubern?«, fragte Niko. »Dann kann ich Sebastian helfen.«

»So tief kann der Schatz doch nicht vergraben sein«, sagte Nox kopfschüttelnd. »Ist das hier denn wirklich die richtige Stelle?«, zweifelte er.

Sebastian warf die Schaufel in hohem Bogen von sich – sie fiel neben Nox auf den Boden.

»Ich bin auf etwas gestoßen«, rief Sebastian und grub mit den Händen weiter, bis ein Holzstück sichtbar wurde, auf dem eine Sonne, Sterne und eine Inschrift eingeritzt waren.

Lars kam mit dem Rucksack zurück, gerade als Sebastian die Schatzkiste ganz freigelegt hatte.

»Dein Großvater schläft tief und fest«, sagte Lars, »ihr habt ja was gefunden«, johlte er vor Freude.

»Hättest uns ja auch eine Jacke mitbringen können«, fuhr Niko Lars an, als er die dünne Strickjacke sah, die Lars über seinem T-Shirt trug. »Kannst ja auch mal an deine Freunde denken«, setzte er einen drauf.

»Mir war kalt«, verteidigte Lars sich, »du bist ja gut gepo...«, Lars schwieg. »Soll ich euch auch eine Jacke holen?«, fragte er.

»Keine Zeit dafür, mein Junge«, fuhr Nox schnell dazwischen. »Später, später, bekommt ihr eine warme Felljacke von mir«, sagte er.

»Wenigstens haben wir alle unsere Jeans an«, sagte Niko, »werden wenigstens unsere Beine nicht so kalt.«

Sebastian las die Inschrift vor: »Das Weltentor«, stand in geschwungener Schrift über der Sonne geschrieben.

»Wir haben tatsächlich einen Schatz gefunden«, hauchte Lars und bohrte in der Nase.

»Ja«, antwortete Juana angewidert, »und du wirst bestimmt auch gleich einen finden.«

Lars zog den Finger aus der Nase. »'tschuldigung«, sagte er.

Sebastian und Niko zogen die kleine Kiste aus dem Erdreich und stellten sie vor Noxs Füßen ab.

»Du hast tatsächlich den Schatz gefunden.« Nox nickte zufrieden.

»Jetzt öffne die Kiste endlich!«, forderte Niko Sebastian auf.

Sebastian rüttelte am bronzefarbenen Schloss. »Es geht nicht«, sagte er, »es ist abgeschlossen.«

»Verdammt!«, fluchte Niko.

»Jetzt haben wir einen Schatz gefunden und kommen nicht dran«, sagte Lars ärgerlich.

»Nox, kannst du nicht das ...«

Nox nickte, »Ich kann«, sagte er und die Wurzel, die immer noch über den Zeigefinger hinausragte, berührte das Schloss. Es machte klick und das Schloss sprang auf.

»Boh«, kam es aus Niko heraus, »kannst du mir nicht doch ein Stück von der Wurzel abgeben?«, fragte er wieder.

»Ich sagte dir doch schon, dass es nicht die Wurzel ist, die Zauberkräfte besitzt, Niko«, brummte Nox. »Hast du mir etwa nicht zugehört?«

»Jaja, schon gut, Nox«, brummte Niko zurück. »Das ist ja noch kein Grund gleich in die Luft zu gehen.«

Sebastian entfernte das Schloss und öffnete mit leicht zitternden Händen den Deckel. Ein aufgerolltes Pergament lag darin, das mit einem goldenen Band zusammengebunden war.

»Nimm es!«, forderte Nox Sebastian auf.

Sebastian griff in die Kiste.

»Was jetzt?«, fragte Sebastian, als er den Schatz in Händen hielt.

»Sieh nach, was darauf geschrieben steht«, sagte Juana.

Sebastian entfernte das goldene Band, klappte die Schatzkiste zu, rollte das dunkelbraune Pergament auf und legte es auf den Deckel.

»Wahnsinn«, staunte Lars.

»Wow«, sagte Niko, »das ist ja voll krass.«

Ringsum am Rand der Karte befanden sich fremdartige Symbole. Rechts oben war eine Sonne abgebildet. In der Mitte der Karte befand sich ein großes, halbrundes Tor, das geschlossen war.

»Ist das nicht die goldene Kugel, die dein Großvater dir gestern geschenkt hat?«, fragte Juana und deutete auf die Karte, unterhalb des Tores.

»Ob das die Karte ist, von der mein Großvater gesprochen hatte?«, fragte Sebastian an Juana gewandt.

»Dein Großvater hat uns womöglich doch die Wahrheit erzählt«, antwortete Juana.

»Ja«, hauchte Sebastian, »und ich habe ihm nicht geglaubt – kein einziges Wort.«

»Das haben wir alle nicht getan, Sebastian«, sagte Juana.

»Ob die Karte wertvoll ist?«, fragte Lars.

»Ganz bestimmt«, antwortete Niko. »Sie sieht ziemlich alt aus.«

»Diese Karte ist sehr alt, Niko«, erklärte Nox, »und in der Menschenwelt unbezahlbar, das kannst du mir glauben, Niko.«

»Tue ich«, nickte Niko und warf einen gierigen Blick auf die geheimnisvolle Karte.

»Diese Symbole hier sehen irgendwie ägyptisch aus«, stellte Juana fest und deutete auf den rechten Rand.

»Hat jemand eine Ahnung, was die Zeichen zu bedeuten haben?«, fragte Lars mit heller Stimme.

»Nox kann uns bestimmt etwas darüber erzählen«, sagte Juana und wandte sich Nox zu, der zu ihr aufsah und schnell sagte: »Es ist eine magische Karte. Mehr braucht ihr im Augenblick nicht zu wissen. Wenn wir drüben sind, werde ich euch mehr über diese Karte, über mich und den Zauberer Balthasar erzählen.«

»Das ist ja ein krasses Ding – eine magische Karte – Mensch ey, wir sind reich«, jubelte Niko.

»Krieg dich wieder ein, Niko!«, rügte Juana ihn und verzog die Mundwinkel.

Was hast du mit 'wenn wir drüben sind' gemeint?«, fragte Sebastian vorsichtig.

»Die Andere-Welt natürlich«, sagte Nox genervt. »Was sollte ich denn wohl sonst damit gemeint haben?« Nox zuckte mit den kleinen Schultern. »Hab ich euch doch eben schon gesagt, dass ich von dort komme, oder?«

»Ist kein Grund gleich so aufbrausend zu werden«, empörte sich Sebastian und prüfte das Material der Karte – Papier schien es nicht zu sein. Wie ein Gewebe, oder etwas ähnliches, fühlte es sich auch nicht an. Sebastian fuhr mit dem Finger über den Kartenrand, der rundherum ausgefranst war.

»Vielleicht«, sagte Sebastian etwas verspätet auf Nox Antwort, »könnte sein, dass du uns erzählt hast, woher du kommst.«

»Jetzt können wir Schatzsucher spielen!«, schwärmte Niko.

»Ein Spiel wird das nicht werden – nein – keinesfalls ein Spiel, Niko«, ermahnte Nox ihn mit warnendem Zeigefinger, und die Wurzel, die über den Finger hinauswuchs, bildete sich langsam zurück.

»Für die Reise hättest du dir besser eine modernere Bluse anziehen sollen, Juana, die passt nicht zu deiner Jeans und zu den Sandalen«, grölte Niko, »die Bluse könnte ja von meiner Oma sein.«

Juanas Augen funkelten Niko herausfordernd an, und es sah so aus, als ob sie ihm jeden Moment an die Kehle springen würde.

»Ich meine ja nur ...«

Juana fuhr Niko ins Wort: »Die Bluse habe ich extra für unser Fantasy-Rollenspiel besorgt«, zischte sie.

»Trotzdem, sie ist ...«

»Scht«, zischte Juana.

»Ja, aber ich wollte ...«

»Ich sagte: Scht«, flüsterte Juana und rollte die Augen. »Hüte deine vorlaute Zunge, Niko.«

»Sebastian!« Großvater Joe war aufgewacht und stand auf der Terrasse. »Sebastian!«, rief er wieder. »Wo bist du?«

Mittlerweile lag fast der ganze Garten im Nebel verborgen.

»Du bist der Schlüssel, Sebastian«, sagte Nox hastig. »Mit der Karte und dem Einmal-Zauber wird uns die Reise gelingen.«

»Ich muss Großvater noch Bescheid sagen.«

»Keine Zeit dafür, Sebastian«, Nox wühlte in der Wurzeltasche seines Gewandes. »Der Einmal-Zauber könnte schon bald seine Wirkung verlieren«, erklärte er. »Wo hab ich das Fläschchen denn nur?«

Sebastian lauschte. Eine zarte, weibliche Stimme, die nur er hören konnte, drang ihm ans Ohr und zog ihn in den Bann.

 

»Kaspar, Kaspar nun wird es Zeit,

ein Abenteuer steht für dich bereit.«

 

»Wir brauchen dich, Kaspar. Die Andere-Welt ist in großer Gefahr«, flüsterte die Stimme. Sebastian hatte es aufgegeben, sollte sie ihn nur Kaspar nennen, das war ihm egal geworden.

Ein kurzer Windstoß fuhr durch Sebastians lockige, rotbraune Haare und wirbelte sie durcheinander. Juana schrie auf. Bevor Sebastian eine Frage stellen konnte, fing die goldene Kugel auf der Karte an zu leuchten. Juana schrie wieder kurz auf.

»Was geht hier bloß vor?«, fragte Lars erschrocken.

»Das ist Magie«, flüsterte Nox ihm zu, und gleichzeitig fing ein Symbol am rechten Kartenrand an zu leuchten. In dem runden weißen Feld über dem Tor tauchte plötzlich ein weißbärtiges Gesicht auf.

»Seht doch! Wer ist denn das da?«, Lars' Stimme überschlug sich, als er auf das Bild deutete.

»Das ist Balthasar«, flüsterte Nox ihm wieder zu.

Die magische Karte hatte Sebastian und seine Freunde in ihren Bann gezogen; sie konnten ihren Blick einfach nicht mehr von ihr nehmen.

»Du musst das Tor nun berühren, Sebastian«, erklärte Nox mit fester Stimme. »Na, los, Sebastian, trau dich!«, fügte er hinzu.

Zögernd berührte Sebastian mit dem Zeigefinger das Tor auf der Karte. Das Tor glühte, als würde es von einem Feuer angestrahlt.

»Das Tor zur Hölle«, flüsterte Lars ängstlich.

»Sei nicht albern, Lars!«, sagte Juana. »Nox würde uns bestimmt nicht in die Hölle schicken«, sagte sie, »oder?«, wandte Juana sich vorsichtig Nox zu.

»Natürlich nicht!«, antwortete Nox empört.

Als das Weltentor sich öffnete, erlosch das Symbol am rechten Kartenrand und auch Balthasars Gesicht verschwand aus dem weißen Kreis, dann gab das geöffnete Tor einen Blick auf ein Meer aus Sternen frei.

»Boh«, sagte Niko, »das ...«

»... ist ja voll krass«, leierte Juana herunter, »das wissen wir bereits, Niko«, säuselte sie sarkastisch und fing sich einen finsteren Blick von Niko ein.

»Zeig mal her!«, sagte Niko und griff nach der Karte.

»Nein, nicht«, schrie Nox auf.

Als Niko sie berührte, wölbte sich das Weltentor vor und breitete sich blitzschnell aus.

»Scheiße!«, fluchte Niko laut. »Was ist denn das?«

Wie der Schlund eines riesigen Monsters, verschlang es Sebastian und seine Freunde und Nox, der vorher aber noch das Fläschchen in seiner Wurzeltasche fand, in dem sich der Einmal-Zauber befand, den er auf der Stelle freisetzte. Sie glitten in einen dunklen Trichter hinein. Das Tor bekam haifischartige Zähne und es schnappte schließlich zu, um seine Beute zu verschlingen. Das Leuchten der goldenen Kugel erlosch und das Weltentor auf der Karte war wieder geschlossen. Kurz darauf verschwand auch die Karte aus Sebastians Welt.

Abenteuer Nummer Eins

 

  

Schummriges Licht, das von einer alten, rostigen Öllampe abgegeben wurde, umgab Sebastian und seine Freunde, als sie aus dem Nichts kamen und stolpernd auf einen Holzboden fielen. Die magische Karte tauchte vor Sebastian auf und flatterte zu Boden.

»Das ist deine Schuld!«, fauchte Lars Niko an.

»Wieso denn das?«, entgegnete er verständnislos.

»Du blöder, dicker Bär hast die Karte berührt«, schimpfte Lars.

»Hey, Storchbein, wie hast du mich gerade genannt?« Niko trat zwei Schritte vor und rempelte Lars mit herausgestrecktem Bauch an.

Lars trat ihm entgegen und nahm all seinen Mut zusammen, als er in einem scharfen Ton sagte: »Blöder, dicker Bär ... o, ja, das bist du. Ein blöder, dicker Bär.«

»Lars, also, bei aller Freundschaft, das geht zu weit«, sagte Niko in einem lauten Ton.

Zögerlich sprach Juana: »Was ist geschehen? Wo ist Nox?«

»Frag den da!« Lars deutete auf Niko.

»Pass bloß auf, sonst ...«

Sebastian unterbrach die beiden Streithähne: »Hört endlich auf damit! Es mag ja sein, dass Niko Schuld hat ...«

»Aha, du stehst also auf Lars' Seite.«

»Ich steh auf keiner Seite, aber Nox schrie 'nein, nicht', aber du, du musstest ja nach der Karte grapschen.«

Niko schwieg und verzog grimmig das Gesicht.

»Ändern können wir ja jetzt nichts mehr, also machen wir das Beste draus«, schlug Sebastian vor und hob die Karte vom Boden auf. Er nahm das goldene Band aus der Hosentasche, rollte die Karte auf und band sie zusammen. Sebastian sah sich um. Der Raum mit Wänden aus Lattenholz war nicht allzu groß. In der rechten Ecke stand eine Holztruhe, die schon viele Jahre alt sein musste; denn Holzwürmer hatten sich an ihr zu schaffen gemacht. Links an der Wand stapelten sich eine Reihe von Säcken auf. Sebastian vermutete, dass sie mit Getreide oder ähnlichem gefüllt waren.

Plötzlich erklang ein Lied in schiefer Tonlage, gesungen von einem Chor mit rauchigen Stimmen.

»Was ist das? Wo sind wir?«, Lars sah ängstlich zur Decke hoch.

 

»Wir plündern, brandschatzen, tagaus, tagein

dadurch kommt sehr viel Gold herein.

Wir plündern dort, wo es uns gefällt,

denn wir sind die gefürchtetsten Piraten in der ganzen Welt.«

 

Sebastian und seine Freunde fuhren erschrocken zusammen. Sie begriffen immer noch nicht, was eigentlich mit ihnen geschehen war. Erst jetzt bemerkten sie, dass der Boden unter ihnen schwankte.

»Wir sind auf einem Schiff«, hauchte Juana.

»Ich glaub, ich mach mir gleich in die Hose«, flüsterte Lars.

»Das sieht dir wieder mal ähnlich«, bekam er von Niko zu hören.

Wieder erklang das Lied und dieses Mal schien die ganze Mannschaft zu singen.

 

»Wir plündern, brandschatzen in dieser Welt,

und leben dort, wo es uns gefällt,

denn wir sind die gefürchtetsten Piraten in der ganzen Welt.«

 

Sebastian hielt die magische Karte fest umklammert. Es sah so aus, als hätte er Angst, dass jemand sie ihm wegnehmen könnte.

»Verdammt, was ist hier los?«, fluchte Lars. »Wie kommen wir wieder nach Hause?«, jammerte er.

»Hör auf zu flennen, Lars!«, ermahnte Juana ihn. »Wir sollten uns umsehen«, schlug sie vor.

Sebastian nickte.

Juana wandte sich der kleinen Tür zu und wollte gerade den gusseisernen Türöffner herunterdrücken, als Sebastian sie zurückhielt.

 

»Gebt Acht und bewegt euch lieber bei Nacht,

schleicht über das Deck und geht bis zum Ende vom Heck!«

 

Sebastian stutzte.

»Was hast du, Sebastian?«, fragte Juana.

»Ich höre wieder diese weibliche Stimme«, sagte er.

»Was sagt sie?«

»Das wir warten sollen, bis es dunkel wird.«

 

»Ihr müsst in die Schatzkammer der Piraten gehen,

um euren ersten Schatz zu sehen.«

 

»Und die Stimme sagt weiterhin, dass wir in die Schatzkammer der Piraten gehen sollen, um den ersten Schatz zu finden.«

»Wow, einen Schatz«, jubelte Niko. »Wir werden reich.«

»Hast du nicht zugehört, Niko?«, kam es von Lars. »Hast du etwa das Wort 'Piraten' überhört?«

»Na, wenn schon«, zuckte Niko mit den Schultern.

»Woher sollen wir wissen, wann es Nacht wird?«, fragte Juana.

Sebastian ignorierte die Frage. »Abends saß ich oft alleine in meinem Zimmer am Fenster und blickte hinauf zu den Sternen«, begann Sebastian, »dann habe ich davon geträumt, solche Abenteuer zu erleben. Ich stellte mir vor, dass ich in einer fernen Welt auf einem Piratenschiff über die Meere fuhr; und auf der Suche nach versunkenen Schätzen war. Ich kämpfte gegen Drachen und Zwerge, die einen magischen Schatz bewachten«, Sebastian sah in die Runde, »und nun sind meine Träume wahr geworden. Ich werde dieses Abenteuer annehmen und ich werde die Schatzkammer der Piraten aufsuchen – egal, was auch geschehen wird, ich nehme die Herausforderung an«, sagte er fest entschlossen, »wenn ihr hier warten wollt, nehme ich es euch nicht übel, Freunde, ...«

»Ich komme mit dir, Sebastian«, unterbrach Juana, »das ist ja wohl klar.«

»Ich will auch auf Schatzsuche gehen«, sagte Niko trotzig.

Alle Blicke ruhten jetzt auf Lars.

»Gut, gut, meine Freunde, ich werde mit euch kommen ... was bleibt mir denn schon and'res übrig?«, sagte Lars trotzig.

Als Juana die Hand auf den gusseisernen Türöffner legte, wandte sie sich Sebastian zu und sagte: »Du hast eben gut gesprochen, Sebastian, wie ein Erwachsener.«

Juana öffnete die Holztür ein Stück und lugte durch den Spalt hinaus. Links von ihr führte eine Treppe hinauf zu einer Öffnung, durch die Tageslicht fiel. Der Gesang drang durch alle Ritzen des Schiffes. Als Juana die Tür ganz öffnete, ging Sebastian an ihr vorbei, gefolgt von Niko und Lars. Juana ermahnte die Jungs zur Vorsicht. Vor dem Treppenabsatz blieben sie stehen. Sebastian übernahm die Führung und schlich mit Juana die Treppe hinauf. Niko und Lars folgten ihnen. Sebastian und Juana spähten über die Bodenöffnung auf das Deck.

»Was siehst du?«, fragte Niko und stupste Sebastian an.

»Wir sind tatsächlich auf einem Piratenschiff«, antwortete Sebastian.

»Mist, ich habe ja gehofft, dass alles nur ein böser Irrtum ist«, kam es von Lars, der sich nun an Juana vorbei drängte und die ersten Piraten zu Gesicht bekam. »Es ist tatsächlich kein Irrtum. Wir sind wirklich auf einem Piratenschiff – Scheiße!«

Juana wandte sich Sebastian zu. »Die Stimme hat doch zu dir gesagt, dass wir uns lieber bei Nacht über das Deck bewegen sollen. Ich bin dafür, dass wir warten, bis es dunkel ist!«

»Das bin ich auch«, sagte Sebastian. »Wir sollten zurück in die Kammer gehen.«

Sie schlichen die Treppe hinunter.

»Ach, ja, hier ist dein Rucksack, Sebastian«, sagte Lars, der ihn die ganze Zeit auf dem Rücken getragen hatte.

Sebastian nahm den Rucksack entgegen.

»Danke, Lars.«

»Hast du eine Taschenlampe dabei?«, fragte Niko.

Sebastian wühlte im Rucksack.

»Hier«, sagte er.

Sie betraten wieder den kleinen Raum, und Niko leuchtete sofort die dunklen Ecken ab, in denen das Licht der Öllampe nicht mehr genug Helligkeit spendete. Juana blickte auf ihre Armbanduhr.

»Die Sonne stand fast senkrecht, also muss es so gegen Mittag sein«, erklärte sie wie eine Lehrerin, »aber auf meiner Uhr ist es schon fünf Uhr.«

»Tja, das haben magische Welten halt so an sich«, erklärte Niko, »die Zeitverschiebung«, lachte er.

Juanas Blick traf Niko wie eine Pfeilspitze. Sebastian lenkte ein, denn er sah Juana an, dass sie gleich in die Luft gehen würde.

»Mit Juanas Uhr haben wir einen Anhaltspunkt, wann es draußen dunkel wird«, sagte Sebastian.

»Vorausgesetzt, dass hier ein Tag nicht achtundvierzig Stunden hat«, sagte Juana und wieder traf ihr abwertender Blick Niko, der die Augenbrauen hochzog und leise fluchend mit der Taschenlampe hinüber zu dem Stapel Säcke ging. »Kotz-Blitz-Krötenschiss – Mädchen, immer wollen sie recht haben und einen belehren – die machen viel Lärm um nichts«, brummte Niko leise vor sich hin und zog die Nase hoch. »Kotz-Blitz-Krötenschiss.«

»Was hast du gerade gesagt, Niko?«, kam es von Juana mit einem strengem Blick.

»Ach«, brummelte Niko, »nichts, was von Bedeutung wäre.«

 

***

 

Die Stunden waren im Nu verflogen und es wurde lauter auf dem Schiff. Sebastian sah Niko an, dass er immer noch eine Stinklaune hatte. Er wandte sich Juana zu und fragte sie nach der Uhrzeit. Die Nacht musste bald anbrechen. Jetzt wurde Sebastian so langsam hundemüde, zitterte vor Kälte und zog die Ärmel seines roten Sweatshirts über die kalten Finger.

»Frierst du?«, fragte Juana.

Sebastian nickte.

Niko rieb sich die nackten Arme. »Hätte mir eine Jacke über das T-Shirt ziehen sollen«, sagte er und sah Lars dabei direkt in die Augen. »Ist sie warm, deine Strickjacke?«, fragte er bissig.

»Nicht besonders.« Lars hatte die Taschenlampe in der Hand, saß zitternd in der Ecke und leuchtete im Raum umher. »Hatte keine Zeit, eure Jacken auch noch mitzubringen«, entschuldigte er sich.

»Mach die Taschenlampe aus«, ermahnte Sebastian Lars, »ich habe keine Ersatzbatterien dabei.«

Lars knipste die Lampe aus. Sebastian stieß einen schweren Seufzer aus. Lars knipste die Lampe wieder an und leuchtete hinüber zu dem Stapel Säcke.

»Hast du nicht gehört, was Sebastian dir gesagt hat?«, kam es von Niko. »Mach das Ding endlich aus!«

Lars ließ sich nicht irritieren. »Uns ist doch kalt«, sagte er, »und dort sind unsere Gewänder.«

»Wie? Was?«, fragte Niko verstört. »Drehst du jetzt völlig ab, Lars?«

»Lars«, hauchte Sebastian, »das ist genial von dir«, sagte er und stand schon bei den Säcken. »Los, helft mir mal!«

Lars war sofort zur Stelle und schüttete mit Sebastian den ersten Sack aus. Korn rann aus dem Sack zu Boden und türmte sich zu einem Haufen auf.

»Tolle Idee, Lars«, lobte Juana und knotete den nächsten Sack auf.

Niko staunte. »Ja, ich muss zugeben, Lars ...«, stotterte er und half Juana beim ausschütten.

Dann trat Niko auf Lars zu. »... wirklich gut gemacht, Lars«, und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Verzeih mir«, sagte er noch.

»Ist schon gut, Niko«, winkte Lars ab, »ich bin dir nicht böse.«

Die Piraten riefen nach Rum und feierten an Deck und sangen dabei Lieder. Ab und zu erschallte ein metallisches Scheppern, das bis hinab in den kleinen Raum drang, in dem Sebastian mit seinen Freunden war.

»Die Piraten kämpfen mit ihren Säbeln«, vermutete Juana.

Sebastian nahm ein Taschenmesser aus dem Rucksack und schnitt Öffnungen für Arme und Kopf in die vier leeren Säcke.

»Na«, sagte Lars, »wir sehen doch gut aus in unserer Kluft.«

»Jo«, johlte Niko, »das sind unsere Kampfgewänder«, brüllte er, »jetzt können sie kommen, die Piraten«, Niko hob die Faust.

»Nicht so laut, Niko«, ermahnte Juana ihn.

Immer wieder ließ die Mannschaft den Kapitän hochleben, in dem sie seinen Namen rief. Fast wie im Chor erklangen die Worte: »Hoch lebe unsere Kapitän, der beste Kapitän dieser Welt – hoch lebe Kapitän Blackbeard!«

Sebastian stutzte. »Doch nicht etwa der Kapitän Blackbeard, an den ich jetzt denken muss?«, sagte er mit weit aufgerissenen Augen.

Wieder ließ die Mannschaft ihren Kapitän hochleben und verlangte nach mehr Rum.

»Doch, Sebastian, ich denke, dass es genau dieser Kapitän Blackbeard ist«, flüsterte Juana. »Edward Teach alias Blackbeard, der bei weitem berüchtigtste und gefürchtetste Pirat, der je gelebt hatte«, hauchte sie ihm ins Ohr.

»Gelebt hatte?«, Lars stotterte ängstlich. »Soll das heißen, dass wir tot sind?«, jammerte er mit kläglichem Blick.

»Sei nicht albern, Lars«, sagte Niko energisch, »sehen wir etwa tot aus?«

»Aber, wie ist denn so etwas möglich?«, fragte Sebastian an Juana gewandt.

»Die magische Karte besitzt vielleicht die Macht, jemanden in die Vergangenheit zu schicken«, vermutete Juana.

»Glaubst du das wirklich?«, fragte Sebastian.

»Wie sonst, würde sich das hier erklären?«

»Wir sind nicht nur Drachenjäger«, jubelte Niko leise, »sondern jetzt auch noch Zeitreisende.«

»Hast wohl keine Angst, Niko?«, zitterte Lars.

»Nö, hab ich nicht«, antwortete Niko, »noch nicht«, gab er zu.

»Was weißt du noch von Blackbeard?«, fragte Sebastian schnell an Juana gewandt. Sebastian bekam umgehend eine Antwort von ihr und wünschte sich, er hätte sie lieber nicht danach gefragt.

»Blackbeard war der blutrünstigste Pirat, von dem ich je gelesen habe. Vor jeder Schlacht, wenn sich die feindlichen Schiffe näherten, steckte er sich brennende Lunten an das Ende seines wuchernden, schwarzen Bartes«, Lars bekam den Mund nicht mehr zu, und auch Niko staunte, »und wenn er dann mit seinem teuflisch glühenden und rauchenden, schwarzen Bart an Deck stand, ergaben sich die meisten Kapitäne der Handelsschiffe«, Juana blickte in die Runde und fuhr mit flüsternder Stimme fort, »und wenn ein Kapitän sich ihm nicht ergab, ließ Blackbeard die Kanonen sprechen und die Säbel rasseln.«

»Jetzt ist es aber gut, Juana!«, ermahnte Lars sie.

»Bekommst wohl Angst?«, sagte Niko.

»Ja, verdammt«, antwortete Lars.

»Ich so langsam auch«, gab Niko leise zu.

»Lasst uns mal überlegen, wie wir an den Piraten vorbeikommen sollen«, schlug Sebastian vor.

»Wir warten ab, bis sie sturzbesoffen sind«, kam es aus Lars herausgeschossen.

»Hey – sturzbesoffen«, lachte Niko, »das gefällt mir.«

»Dann kannst du ja den Button 'Gefällt mir' drücken«, lachte Lars.

»Werd ich tun, Lars«, nickte Niko lachend.

»Gut, dann warten wir noch etwas ab«, sagte Sebastian so trocken wie ein Mathelehrer. Dann schaute Sebastian in die Runde und lächelte: »Den 'Gefällt mir' Button, den muss ich jetzt auch sofort drücken, Lars.«

»Ihr seid wirklich albern, Jungs«, ermahnte Juana sie. »Das hier ist kein Spiel! Wenn uns die Piraten entdecken, wer weiß, was sie mit uns anstellen werden – Blackbeard hat viele Feinde den Haien vorgeworfen.«

Es wurde mucksmäuschenstill.

Die Stunden vergingen wie im Flug, und endlich wurde es ruhiger an Deck; die Piraten hatten wohl genug getrunken.

»Wir sollten nun gehen, oder?«, zögerte Sebastian. Er stellte sich vor, wie eine Horde von ungewaschenen, bärtigen Männern mit Macheten zwischen den Zähnen betrunken auf dem Deck herumlagen und nur darauf warteten, dass er mit seinen Freunden an Deck ging. Vor seinem geistigen Auge sah er, wie sich die Piraten auf ihn und seine Freunde stürzten und sie dann über Bord warfen, direkt in die Rachen der Haie.

Sebastian wurde von einem Knacken aus seinen Fantastereien gerissen. Er sah, wie Juana behutsam die Tür öffnete.

»Los, kommt, Jungs!«, sagte Juana und war auch schon durch die Tür verschwunden.

Sebastian folgte Juana.

»Warte auf mich, Juana«, flüsterte Sebastian.

Niko kam hinterher und schließlich folgte Lars.

Sie schlichen die Treppe hinauf und betraten vorsichtig das Deck.

Hoch oben am Nachthimmel stand ein leuchtend roter Vollmond, der ein geisterhaftes Licht auf das Piratenschiff warf.

 

 

. . .

 

Ende der Leseprobe

 

 

Vielen Dank für das Interesse an diesem Buch. Über eine Bewertung in Eurem Onlineshop zu dieser Leseprobe wäre ich dankbar.

 

Falls Euch die Leseprobe gefallen hat und Ihr wissen möchtet, wie die Geschichte weitergeht, das gesamte Buch ist als eBook und als Buch im Handel erhältlich. 

Danksagung

 

 

Die Geschichte von Sebastian Kaspar Addams zu schreiben, hat mir große Freude bereitet. Die Ideen zu diesem Buch sind wieder aus etlichen Kurzgeschichten hervorgegangen, die ich vor einigen Jahren einmal geschrieben habe. Auch hier wollte ich mehr auf die einzelnen Charaktere eingehen als es in Kurzgeschichten üblich ist, deswegen ist der Plot auch etwas umfangreicher geworden. Ich entschloss mich daraufhin aus einem Band zwei zu machen, wobei der ersten Band schon zu einem gewissen Abschluss gebracht wird.

 

Mein ganz besonderer Dank gilt meiner Frau Ursula, die dieses Manuskript mit Leidenschaft las und mir viele nützliche Ratschläge gab.

Darüber hinaus einen ganz lieben Dank an Annette Eickert für die Erstellung des Buchcovers.

An meine Leserinnen und Leser

 

 

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

 

Ich hoffe, Ihr hattet Spaß beim Lesen von Kaspar - Die Reise nach Feuerland.

 

Mich würde es natürlich sehr interessieren, was Euch an der Geschichte gefallen hat – und was nicht.

 

Wer mit mir in Kontakt treten oder mehr über mich und meine Bücher erfahren möchte, der kann mich gerne auf meiner Homepage besuchen:

 

www.dangronie.jimdo.com

 

 

Mit ganz herzlichen Grüßen

Dan Gronie

 

Impressum

Texte: Dan Gronie
Bildmaterialien: Bilderquelle: http://123rf.com; Urheberrecht: isoga
Cover: Annette Eickert
Tag der Veröffentlichung: 23.04.2013

Alle Rechte vorbehalten

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