Egal wo ich hinsah, überall falsche Menschen. Da konnte man sich nur betrinken. Sobald klar war, dass ich den Auftrag bekommen würde, würde ich das auch machen, irgendwie muss man sich das hier ja schön trinken. Und dann würde ich mir ein Taxi rufen und nach Hause fahren. Naja, besser gesagt zu meinem Elternhaus. Ich selber wohne in Berlin, circa drei Autostunden von dem kleinen Kaff hier in der Nähe von Erfurt entfernt, wo ich vor drei Jahren mein Studium abgeschlossen habe und ich nun ehrfurchtsvoll Master of Arts in Architektur bin. Da es in Berlin einfach eine Millionen mal so viele Möglichkeiten gibt wie hier bin ich dort geblieben und hab mir meine eigene Firma und einen Ruf aufgebaut.
Ich bin nur hier, da in der nächstgelegenen Kleinstadt ein neues Gymnasium erbaut werden soll und da ich die Gegebenheiten hier besser als andere Architekten kenne, habe ich meinen Vorschlag eingereicht und hoffe natürlich nun darauf, auch das beste und kostengünstigste Angebot abgegeben zu haben.
Da es in der kleinen Stadt natürlich was ganz besonderes ist eine neue Schule zu bauen, wurde aus der Verkündung kurzerhand ein Basar gemacht, wo alle anderen Architekten anwesend waren, die ein Angebot abgegeben haben - natürlich alle meilenweit unter meinem Niveau - und dazu noch der Stadtrat des Landkreises und der komplette Gemeinderat. Alle in pikfeinen Anzügen und Kleidern, mit ihren aufgesetzten lächeln und geheuchelten Interesse. Nicht, dass es in Berlin anders ist, aber dort versteckte sich keiner hinter einer Maske, sondern die Leute trugen gleich zur Schau wie falsch sie waren. Das war mir irgendwie lieber als das hier.
Seuftztend erhob ich mich von meinem Platz, strich die Falten meines blauen Bleistiftrockes glatt und schlenderte zur Bar. Den Vortrag über die Geschichte der Stadt hing mir einfach zum Hals raus.
„Ein Wasser bitte.“ Ich lies mich auf den Barhocker nieder und vergrub mein Gesicht in den Händen.
„Jetzt schon traurig über die Niederlage?“, ich versteifte mich augenblicklich, als ich diese Stimme erkannte. Nicht dieser Idiot. Das darf doch einfach nicht wahr sein.
Ich richtete meinen Blick wieder nach oben, drehte mich langsam zu ihm um und starrte ihn abfällig an.
Wie er neben mir mit dem Rücken an der Bar lehnte, ganz lässig in seinem dunkelblauen Anzug, dem weißen Hemd und der passenden Fliege. Die Hände locker in den Hosentaschen vergraben blickte er mich schelmisch grinsend aus seinen grünbraunen Augen an.
„David.“ Ich lies seinen Namen wie ein ekelhaftes Insekt klingen. Denn genau das war er, ein Insekt und mein größter Konkurrent in der Architekturbranche. Eingebildet, Arrogant und ein Sexist.
„Wie kommst DU denn dazu eine Schule zu planen?“ Mit sowas gab er sich nämlich nicht ab. Denn er war ja was besseres.
Sein grinsen wurde breiter. „Hab durch Zufall gesehen das du ein Angebot abgegeben hast, da musste ich natürlich auch eins vorlegen, nur um deine Niederlage zu sehen.“ Ich verzog das Gesicht. Natürlich musste er dann auch ein Angebot abgeben, denn genau das tat er immer häufiger um mir eins reinzuwürgen und mich anschließend auszulachen, wenn er die Aufträge bekam. Aber zum Glück konnte ich mittlerweile genauso viel lachen wie er, denn auch ich hatte ihm schon genug Aufträge vor der Nase weggeschnappt.
„Natürlich hast du das. Wie könnte das auch anders sein.“ Ich nahm einen großen Schluck von meinem Wasser, welches der Barkeeper mir freundlicherweise hingestellt hatte.
„Heute gar kein Alkohol?“, fragte David mich unverhohlen musternd.
„Ich stoße dann mit dir auf meinen Sieg an, okay?“, das brachte ihn zum lachen. Er tätschelte mir die Schulter. „Wir werden sehen, Mary“, damit wandte er sich ab und ging. Vollidiot.
Es dauerte noch circa eine komplette Stunde bis wir endlich zum spannenden Teil dieses Abends kamen. Dankend nahm ich ein Glas Sekt in empfang, die die Kellnerinnnen gerade verteilten.
„Liebe Gemeinde, lieber Stadtrat und Architekten.“, begann Armin Prauß, der Bürgermeister der Gemeinde.
„Es fiel uns nicht leicht, eine Entscheidung darüber zu treffen, welche Variante wir für das Gymnasium wählen sollen. Alle Vorschläge waren wunderbar, aber schlussendlich müssen wir Kosten und Nutzen gegenüberstellen.“ Jaja, dachte ich mir. Labber nicht drum herum sondern komm zum Punkt.
Durch die Menge konnte ich David ausmachen, der seine Aufmerksamkeit gebannt auf die Bühne gerichtet hatte.
„Und damit haben wir uns für die Idee von Frau Marylin Porter entschieden...“ JA!
Ich stieß mit meiner Faust in die Luft, suchte den Blick von David, der mich im selben Moment anstarrte, kämpfte gegen das Verlangen ihm die Zunge zu zeigen wie ein kleines Mädchen und prostete ihm dann in meiner Unschuldsmiene zu.
„... und für den Vorschlag von Herrn David Müller.“, augenblicklich verschluckte ich mich an meinem Sekt und konnte kein Husten mehr unterdrücken. Was hatte der Trottel namens Bürgermeister da gerade gesagt?
Tränen schossen mir vom Husten in die Augen, jemand schlug mir sanft auf den Rücken bis ich mich wieder gefangen hatte.
Mein Blick fiel auf David, der mich belustigt anlächelte und dann MIR zuprostete.
„Liebe Leute, wir konnten uns einfach nicht entscheiden. Die Ideen der beiden waren einfach überwältigend. Also haben wir beschlossen die perfekte Mitte zu finden und wollen nun, dass beide Parteien für uns zusammenarbeiten.“ Mein Mittagessen kämpfte sich gerade die Speiseröhre wieder zurück, aber ich schluckte hartnäckig.
„Frau Porter, Herr Müller, bitte kommen Sie zu mir auf die Bühne und verlieren ein paar Worte.“ Neeee, oder?
Ich blickte mich nach dem Ausgang um, aber als hätte David meinen Fluchtinstinkt gerochen, stand er plötzlich vor mir und schob mich mit seiner Hand auf meinem Rücken langsam aber bestimmt neben sich Richtung Bühne. Scheiße.
„Ich bin genauso wenig begeistert wie du, aber Versuch wenigstens mich nicht mit deinen Blicken zu töten.“ Auch wenn ich ihn noch so abgrundtief verabscheute, hatte er leider recht. Auftrag bedeutete Geld und Arbeit und somit konnte es sich keiner von uns beiden leisten den Gästen zu zeigen wie sehr wir uns hassten. Also straffte ich mich und glättete meine Mimik in ein freundliches aufgesetztes lächeln, als wir uns durch die Menge kämpften die uns Beifall klatschten.
„Vielen Dank das ihr heute hier seit.“, begrüßte uns Armin als wir zu ihm traten.
„Wir haben zu Danken“, begann David mit seiner melodisch männlich klingenden Stimme. „Es ist mir und Marylin eine Ehre in dieser entzückenden Stadt etwas neues zu schaffen, denn immerhin ist Bildung das wichtigste Gut das wir besitzen können.“ Meine Wangen taten weh, als ich versuchte mein Lächeln weiterhin aufrecht zu erhalten und es kostete mich wirklich alle meine Selbstbeehrschung David nicht von mir zu stoßen, als er auch noch eine Hand um meine Taillie legte und mich näher zu sich zog.
„Wir freuen uns so sehr auf eine gemeinsame Zusammenarbeit, nicht wahr Miss Porter?“ Seine Stimme strotzte nur so vor Ironie.
„Aber natürlich, David. Schon lange habe ich auf so eine Chance gehofft.“, spielte ich seine Show mit.
Er lachte leise, was die Frauen die uns zuhörten erstrahlen lies. Erbärmlich.
„Ich weiß, ich weiß. Wer will schon nicht mit mir zusammenarbeiten?“ dazu sagte ich nichts mehr, denn mein Gesichtsausdruck war jede Sekunde dazu bereit in sich einzufallen.
„Wir freuen uns ebenso auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Und jetzt Applaus und prosit auf unsere neue Schule!“ Nach Armins Worten klirrten einvernehmend die Gläser, auch er stieß mit David und mir an und ich konnte einfach nicht anders als das Glas in einem Zug leer zu ziehen, mich aus Davids griff zu lösen und innerlich rasend vor Wut die Bühne zu verlassen.
Geschlagene 5 Shots und 2 Caipirihna später fand ich das ganze Drama garnicht mehr soooo schlimm. Es war ja auch nicht so, dass ich mit meinem verhassten Konkurrenten plötzlich zusammenarbeiten musste. Schon der Gedanke daran lies mich erschaudern. Was hatte ich in meinem Leben verbrochen um sowas zu verdienen? Aber gut, ich musste jetzt irgendwie das beste daraus machen. Auf meinem Hocker an der Bar drehte ich mich um und blickte in die tanzende Menge. Alkohol und Rauch lagen als Duftnoten im Saal, sogar eine mir unbekannte Band spielte auf der Bühne. Die hatten echt große Geschütze aufgefahren. Und sogar die Drinks waren kostenlos.
Eine Regung neben mir fesselte meine Aufmerksamkeit. Nur um dann genervt zu schnauben. David. Und neben ihm eine blondierte falsche Schönheit.
Er bestellte ihr einen Sex On The Beach, was sie wie ein kleiner verliebter Teenager kichern lies, und für sich einen Whiskey. Dann wandte er sich zu mir.
„Hast du deinen Frust schon weggetrunken, Mary?“
Ich schüttelte den Kopf, was keine so gute Idee war, denn leicht angeschwipst war ich schon.
„Ich kann garnicht so viel trinken wie ich kotzen könnte.“ David lachte. Ich musterte ihn jetzt einmal genauer. Seine braunen Haare standen ihm zerzaust in alle Richtungen ab und in Kombination mit seinem Drei-Tage-Bart und der gebräunten Haut sah er aus als wäre er gerade aufgestanden. Eigentlich ganz sexy, wenn da nicht sein mieser Charakter wäre.
Wir stießen zu dritt tatsächlich an und führten Smalltalk wobei die Blondine einfach unaufhörlich quasselte. Irgendwann taten mir davon die Ohren weh und ich schlenderte zum Buffet, wir hatten immerhin schon 20 Uhr, Zeit was zwischen die Kauleiste zu bekommen.
Ich war gerade dabei mir ein paar Weintrauben vom Obstteller zu stibitzen und vernaschen, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippte.
„Mary?“, ich versteifte mich. Diese Stimme würde ich unter Tausenden wiedererkennen, denn sie verfolgte mich jahrelang in meinen Albträumen, sogar jetzt noch ab und zu, noch einer langen Therapie.
Ich drehte mich um und blickte hinauf, direkt in die blauen Augen meinem Exfreundes und Schlägers Patrick.
„Was... was willst du hier?“ Okay, tief durchatmen. Du schaffst das, du musst ihm zeigen das er dich nicht mehr einschüchtern kann. Immerhin lag unserere Beziehung mehr als 8 Jahre zurück.
Er lächelte schief. Genau das lächeln was mich vor so vielen Jahren gefangen genommen hatte und ich mich Hals über Kopf in ihn verliebte. Jetzt allerdings stiegen mir dabei keine Glücksgefühle hoch sondern leichte Panik.
„Nun, ich bin für die Gelder der Stadt tätig und somit hatte ich auch entscheidungsgewalt darüber wer hier die neue Schule bauen wird.“
„Okay.“, ich schluckte. „Du machst mir keine Angst mehr, Patrick.“, schob ich hinterher. Vielleicht auch um mir selber etwas die Angst zu nehmen, die langsam aber sicher besitz von mir ergriff. Ich hatte viele Selbstverteidigungskurse belegt und wusste mich eigentlich zu wehren, aber irgendwie war mein Kopf wie leergefegt. Selbst der leichte Alkoholrausch war komplett verschwunden.
Sein lächeln erstarb und er runzelte die Stirn. Seine blonden Haare trug er sehr kurz und sein Gesicht war markanter und männlicher seitdem ich ihn das letzte mal gesehen hatte.
„Hör zu Mary, ich bin nicht hier um dir Angst zu machen. Ich wollte dir meine Freundin vorstellen, Bella.“ Er zeigte neben sich und erst jetzt fiel mir auf das neben ihm eine kleine zierliche Frau stand mit roten kurzen Haaren, mit denen sie wie eine Elfe aussah. Ich konnte nicht verhindern das mein Blick sofort prüfend über sie schweifte, alle Stellen, die ihr schwarzes Etuikleid nicht verhüllte genauestens unter die Lupe nahm und nach blauen Flecken oder Blutergüssen Ausschau hielt. Aber nichts. Mein Blick flog wieder auf Patrick.
„Ich habe eine Therapie gemacht. Und ich wollte mich bei dir aufrichtig für das was ich dir damals angetan habe entschuldigen. Das war falsch.“
„Sie weiß es?“
Er nickte. „Ich habe keine Geheimnisse vor ihr, Mary. Sie weiß alles über meine Vergangenheit.“ Ich runzelte die Stirn. Konnte das denn wirklich stimmen? Er schien erwachsener und reifer zu sein, ja. Aber konnten sich Menschen wirklich ändern?
„Dafür ist es zu spät, Patrick. Tut mir leid.“
„Ich weiß.“ Er lächelte traurig. Nein. Er wusste garnichts. Er wusste nicht was ich die ersten Jahre nach unserer Trennung durchgemacht hatte. Er hatte mich irgendwo zerstört, als er begann unter Alkohol aggressiv zu werden und es an mir auszulassen. Wie oft ich meinen Hals oder andere Körperteile verdecken musste, weil er mich bis zur Bewusstlosigkeit würgte oder verprügelte, weil seine T-Shirts nicht akkurat genug gefaltet waren. Und ich blieb bei ihm, weil er mich von sich abhängig machte. Bis nach der Schule. Dann floh ich von ihm weg nach Berlin, begann eine Therapie, baute mir ein neues leben auf und verschloss mein Herz für Männer hinter 10 Schlösser. Niemals würde mich ein Mann mehr so kontrollieren.
Und das würde ich mir nicht von ihm kaputt machen lassen. Nicht noch einmal.
Bella lächelte mich zaghaft aber verstehend an, bevor sie sich abwandten.
Ich schloss die Lider und massierte mir den Nasenrücken. Was für ein beschissener Tag.
„Wer war das denn?“ davids Stimme holte mich zurück ins jetzt.
„Niemand“, erwiderte ich schwach.
„Also dein Ex“, schlussfolgerte er absolut richtig.
„Geht dich nichts an.“
„Hmm...“ David nahm mein Kinn in seine Finger und zwang mich so zu ihm auf zu blicken.
„Wir sind jetzt Partner, Mary. Mich geht ab sofort alles etwas an was mit dir zu tun hat.“ Seine raue sexy Stimme und seine Finger auf meiner Haut ließen mich erschaudern.
Ich riss mich zusammen, denn er grinste wissend.
„Mein Leben geht niemanden etwas an und ganz besonders nicht Sie, Mister Müller.“
Mit meinem übrig gebliebenen Stolz verließ ich den Basar.
Mein Wecker klingelte Punkt 7:30 Uhr mit dem Titellied von Spongebob (Ja, ich stehe auf diesen scheiß.)
Genervt schaltete ich ihn aus und drehte mich noch einmal in meinem Bett. Was ich jedoch nicht bedachte war, dass ich mich nicht in meinem zwei Meter großem Boxspringbett in Berlin befand, sondern in meinem alten 1,40 Meter Futonbett bei meinen Eltern. Zack, ich landete unsanft auf dem Boden und war nun Hellwach.
Ich rieb mir meine Hüfte und stand wehleidig auf. Blöder Mist aber auch.
Als allererstes schnappte ich mir meinen Laptop vom Schreibtisch und öffnete mein E-Mail Postfach. Zwei neue Mails.
Die erste von heute, 7 Uhr.
Von: Stadtverwaltung Straußfurt
Sehr geehrte Frau Porter, sehr geehrter Herr Müller,
Ich würde gern den ersten Termin zur Besprechung und Planung für heute auf 11 Uhr im Versammlungsraum der Stadtverwaltung legen.
Bitte um Bestätigung des Termins.
Mit freundlichen Grüßen
Armin Prauß
Die zweite Mail war von David selbst, kurze Zeit später.
Guten Morgen,
Hab den Termin für uns beide bestätigt, soll ich dich mitnehmen?
D.
Jetzt bereute ich es mit dem Zug hier her gekommen zu sein.
Ich tippte meine knappe Antwort an David-Ich-bin-ein-arroganter-Mistkerl in der ich zusagte und meine Adresse durchgab.
Leise klopfte es an der Tür und meine Mutter steckte den Kopf in mein Zimmer.
„Guten Morgen Mausi, ich hab Frühstück gemacht. Arbeitest du etwa schon wieder?“, mit einem besorgten Blick musterte sie meinen Laptop, doch ich zuckte nur mit den Schultern nachdem ich ihn weggelegt hatte. „Ich komme, Mom.“
„Also, was steht heute bei dir an?“, Mom grinste mich an und feine Lachfältchen bildeten sich um ihre Augen. Sie war durch und durch eine liebevolle Mutter die ihr einzigstes Kind abgöttisch liebte. Ihre kurzen braune Haare trug sie in einem Minipferdeschwanz und ihren zarten Körper hatte sie in einem XXL Rollkragenpullover und einer Leggings verpackt.
Ich hatte nach der erholsamen Dusche einen dunkelblauen Hosenanzug, kombiniert mit einer weißen engen Bluse und schwarzen Riemchenpumps gewählt. Meine langen Naturgelockten braunen Haare trug ich hochgesteckt und abgerundet hatte ich das ganze mit einem schlichten Make-Up.
Ich legte ein Salamibrot zur Seite und sah zu ihr. „Ich hab später einen Termin in der Stadtverwaltung zur Besprechung der Schule.“
„Bitte denk daran das wir in 3 Tagen Weihnachten feiern wollen. Und das bitte ohne deine Arbeit.“ Ich verdrehte die Augen.
„Ich weiß Mom, deswegen bin ich ja schon eher hier her kommen, damit ich die Zeit vorher für die Arbeit nutzen kann.“
„Soll ich dich nach Straußfurt mitnehmen?“ Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, ich werd abgeholt.“
„Von wem denn da?“ Ihre Stimmlage änderte sich, es sollte beiläufig klingen, aber ihre Neugier hörte man förmlich raus.
„Von meinem... Kollegen sozusagen.“ Ich runzelte die Stirn bei den Worten. David würde nie mein Kollege werden.
„Kollegen also, soso.“
„MOM! Er ist ein Idiot.“ Sie zuckte die Schultern, ich schnaubte.
Wieder in meinem Zimmer angekommen betrachtete ich die Pinnwand über meinem Schreibtisch an der noch viele alte Fotos hingen. Die von Patrick und mir hatte ich natürlich alle zerrissen und verbrannt, aber die Fotos mit meinen Freundinnen aus der Klasse von früher hatte ich drangelassen. Und Mikes Briefe aus Amerika. Er war damals mein bester Freund gewesen, ging dann aber für ein Jahr nach Amerika zur Sprachreise. Somit erlebte er Patrick nicht und nachdem ich nach Berlin ging und er in den USA blieb verlor sich irgendwann der Kontakt zueinander.
Ich pflanzte mich auf meinen Schreibtischstuhl und drehte mich langsam im Kreis. Meine Mutter hatte Sorge um mich, dass ich irgendwann mal meine Arbeit heiraten würde. Nachdem ich mich von Patrick getrennt hatte gab es keinen neuen Mann in meinem leben. Oder besser gesagt gab es keine Männer die ich ihr hätte vorgestellt. Ich begnügte mich mit One Night Stands. Eine heiße Nacht, das wars. Und in Berlin gab es viele schöne Männer die ebenso dieses Motto lebten.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich ihr meinen Wintermantel anziehen und nach draußen gehen sollte.
David kam - wie nicht anders zu erwarten - mit einem schwarzen Sportwagen von Audi angedüst.
Zitternd stieg ich ein und vergrub mich auf dem Ledersitz tiefer in meinem Mantel. Schnee lag keiner, dafür war es aber verschissen kalt geworden.
Er musterte mich, dann stellte er die Sitzheizung für mich auf einen großen Touchscreen ein.
„Danke“ murmelte ich, denn mein Hintern wurde Augenblick wärmer.
Er grinste. „Wir wollen ja nicht, dass dein Knackarsch einfriert.“ Ich verdrehte die Augen, dann fuhren wir los.
„Mary?!“ So langsam hatte ich dieses Spiel satt. Gerade stand ich mit David und dem Bürgermeister vor der Eingangstür der Stadtverwaltung, als mich jemand ansprach.
Ich drehte mich um und sofort musste ich breit grinsen.
„Mike?! Was machst du denn hier?“ Er lachte.
„Das gleiche könnte ich dich fragen. Komm endlich her!“
Ich überbrückte die paar Meter zu meinem großen starken schwarzhaarigen besten Freund und schmiss mich in seine ausgebreiteten Arme. Dieser scheute nicht davor mich fest zu packen und im Kreis zu schleudern. Dann gab er mir einen Kuss auf meinen Scheitel.
„Ich hab den Auftrag für die Schule bekommen“, erklärte ich als er mich wieder abstellte.
„Das ist der Wahnsinn, Mary“ Mike strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
„Ich dachte du bist in Amerika.“
„Nein, schon lange nicht mehr. Ich bin zurück gekommen und arbeite nun bei der Bank der Stadt, die auch für die Stadt mitverantwortlich ist.“ Erst jetzt fiel mir auf, dass er unter seinem grauen Wollmantel einen Anzug trug. Früher wäre er niemals so vor die Tür gegangen, er war eher der Holzfällertyp mit lockeren Kleidungsstücken.
Ich schüttelte nur ungläubig den Kopf.
„Ich konnte gestern nicht bei der Verkündung dabei sein, musste Leni ins Bett bringen.“ Mit einer entschuldigenden Geste fuhr er sich durch das kurze Haar.
„Leni?“
„Meine Tochter.“ Mein Mund klappte auf.
„Du bist Vater? Man Mike und das erfahre ich erst jetzt?!“ Schuldbewusst senkte er seinen Blick.
„Also bist du glücklich vergeben?“ , schlussfolgerte ich.
Er verzog sein Gesicht. „Nein, nicht mehr. Aber es ist gut so wie es jetzt ist.“ Sein Blick sprang zu David, der uns interessiert musterte.
„Willst du mir nicht deinen Freund vorstellen?“ Ich konnte mein schallendes Gelächter nicht unterdrücken.
„Mein Freund? Himmel, nein! Er ist“, ich überlegte kurz „niemand.“ David biss hörbar die Zähne zusammen und sein Kiefer mahlte.
Mike schüttelte nur grinsend den Kopf, trat dann ganz vernünftig an David heran und stellte sich vor.
„Hey, ich bin Mike. Entschuldigen Sie dieses schlechterzogene Biest alias meine beste Freundin.“
David entspannte sich etwas und schüttelte Mike‘s dargebotene Hand.
„David. Der, dessen Angebot ebenfalls akzeptiert wurde.“ Mike‘s Augen wurden groß und er schaute ungläubig zwischen David und mir hin und her.
„Oh, was? Na das kann ja heiter werden.“ Dann lachte er wieder, nahm mich an der Hand und allesamt gingen wir ins Gebäude. Mike‘s Berührungen und seine Nähe waren vertraut für mich und die Anspannung fiel sofort von meinen Schultern. Er war ein absoluter Gute-Laune Mensch. Immer. Und er merkte sofort das ich David nicht mochte.
„Bist du ihm schon begegnet?“, flüsterte Mike mir zu, als er sich neben ich an den großen Tisch im Versammlungsraum setzte. Ich wusste sofort wen Mike meinte, daher nickte ich knapp.
„Gestern. Er hat sich bei mir entschuldigt.“, antwortete ich knapp und ignorierte Davids Blick auf uns, der sich gegenüber von mir platziert hatte.
„Denkst du das er sich geändert hat?, flüsterte nun auch ich. Mike verengte die Augen.
„Ich traue ihm nicht.“
„Gut. Ich auch nicht.“
„So.“, Bürgermeister Armin rieb sich aufgeregt die Hände aneinander nachdem alle Platz genommen hatten. Patrick war auch dabei, aber ich versuchte ihn zu ignorieren.
„Sie wollen beide unsere Ideen in ein Projekt vereinbaren, dazu müssen wir wissen was Sie sich genau vorgestellt haben und inwieweit wir das umsetzen können.“ David faltete seine Hände auf dem Mahagonitisch. Armin nickte und bat einen Glatzkopf namens Ralf den Beamer anzuschalten. Das Bild klärte sich nach einiger Zeit auf und zeigte meine sowie Davids 3D-Skizze nebeneinander. Während ich die Schule eher schlicht gehalten hatte und versuchte, Sie in das restliche Stadtbild einfließen zu lassen, hatte David einfach maßlos übertrieben. Das Gebäude bestand aus sehr viel Glasflächen und war absolut modern. In Berlin hätte das sicher gepasst, aber nicht hier. Und doch hatte es etwas zeitloses an sich, was irgendwie auch einen gewissen Charme widerspiegelte.
Armin trat vor und zweigte abwechselnd auf meine und Davids Zeichnung.
„Dieser Kontrast zwischen beiden Vorschlägen gefällt uns. Das eine verspielt und unauffällig, das andere modern und architektonisch ein Meisterwerk“ - bei dem Wortlaut grinste David - „und wir wollen von beiden Dingen etwas dabei haben. Etwas klassisches mit dem kleinen Kick an Verrücktheit.“ Ich spielte mit meinem Kugelschreiber in der Hand und machte mir knappe Notizen.
Ich verstand was er wollte, jetzt lag es an uns seinen Vorstellungen gerecht zu werden und zu schauen, ob einige Sachen überhaupt Statisch und Gesetzmäßig umzusetzen gingen. Aber das müsste ich wohl oder übel mit dem Großarsch klären müssen.
„Der Rest ist ja ziemlich ähnlich, die Inneneinrichtung müssen wir dann später anpassen sobald der Plan für die Hülle steht. Wie weit ist denn die Genehmigung des Staates dafür?“, warf ich in die Runde.
Die Tür ging auf und Patrick trat in den Raum. Sofort versteifte ich mich merklich und Mike ergriff meine Hand auf dem Tisch. Eine liebevolle beruhigende Geste, wofür ich ihm einen dankbaren Blick zuwarf. Und mit Patricks Anwesenheit war meine Konzentration dahin. Die restlichen zwei Stunden Konferenz war ich Ur noch körperlich anwesend, aber David übernahm einfach die Beantwortung der Fragen des Rates und dafür empfand ich ihm gegenüber das erste mal in den drei Jahren die ich ihn schon kannte so etwas wie Dankbarkeit.
„Heute Abend“, Mike wackelte belustigt mit den Augenbrauen, „findet die große Weihnachtsparty hier statt. Na, wie wärs?“
„Was, die gibts noch?“, fragte ich etwas schockiert. Diese Party existierte schon als ich noch hier lebte und sie war natürlich immer ein Hit, denn ansonsten gab es hier nichts was zum feiern geeignet gewesen wäre, keine Clubs wie in Berlin.
Mike nickte eifrig. „Na klar! Das ist legendär. Du musst mitkommen!“, er wandte sich an David, der etwas abseits zu uns stand und mit seinem Handy in der Hand eine Zigarette rauchte.
„Was ist mit dir, David? Bist du auch mit am Start?“ Meine Mimik hätte Mike sofort klar machen müssen das das das letzte war was ich wollte, aber der Trottel ignorierte mich einfach eiskalt.
Dann sah ich zu David, der auch noch nickte. „Natürlich, sowas lass ich mir doch nicht entgehen.“ Sein Gesicht zierte ein schiefes lächeln. Ich verdrehte die Augen.
„Super, ich nehm euch mit, muss sowieso an allen vorbei.“, entgegnete Mike. Es stimmte. Leider. Mike wohnte in der Nachbargemeinde etwas auswärts auf einem Hof. Davids Elternhaus befand sich irgendwo am Waldrand dazwischen und ich wohnte direkt am Ortseingang von Vehra.
Meine erste Begegnung mit David liegt beinahe drei Jahre zurück. Damals war ich noch an der Uni, als er eingeladen wurde um uns einen Vortrag über seine frisch gegründete Firma, wie sein Lebenslauf abgelaufen ist und was sein Erfolgsrezept war zu halten.
Ich hatte bis dato noch keinen so eingebildeten Menschen kennengelernt. Er war absolut von sich überzeugt, genauso wie jetzt.
Ich hatte damals gerade wieder einen Rückschlag was Patrick anbelangt und war psychisch nicht ganz auf der Höhe, litt unter Verfolgungswahn und sowas.
In einer kurzen Unterbrechung musste ich aufs Klo, durch strömende Massen an Studenten hindurch. Mein Kopf ruckte immer wieder über meine Schultern, solche Angst hatte ich davor das Patrick plötzlich hinter mir stehen könnte.
Am Ziel der Begierde angelangt musste ich mich nach dem Hände waschen erst einmal am Waschbecken abstützen und tief durchatmen um mein wie verrückt schlagendes Herz zu beruhigen. Aber statt besser wurde es immer schlimmer, mir schnürte es förmlich die Kehle zu und mir unglaublich warm.
Auf dem Weg zurück in den Flur stolperte ich förmlich aus der Klotür raus und wäre fast gefallen, hätte mich nicht jemand am Arm gepackt. Ich war natürlich völlig neben der Spur und riss mich gewaltsam los, strauchelte zurück gegen die Wand und blickte direkt in Davids Gesicht, welcher verwirrt die Stirn runzelte. Mein Atem kam stoßweise, es war mir sowas von peinlich.
„Alles okay?“, fragte David vorsichtig.
Ich nickte, hörte mich aber im gleichen Moment „Nein“ sagen. Herrje, was würde er nur über mich denken?
Als meine Freundin Juliette angelaufen kam und sich um mich kümmerte, ging David ohne ein weiteres Wort. Da wusste ich, dass er ein selbstverliebter Idiot war.
Später dann, als ich meine eigene Firma mit Juliette und James, unserem schwulen Kommilitonenkumpel, gründete, traf ich David immer mal wieder bei diversen Veranstaltungen oder Baubesichtigungen. Als er dann auch noch mitbekam das ich eine ernstzunehmende Konkurrenz für ihn war, obwohl er 10 Architekten beschäftigte und wir nur zu dritt waren, fingen die Sticheleien zwischen uns an. Ich konnte ihn zwecks seiner diversen Frauengeschichten, die er offen zur Schau stellte, nie ernsthaft als eigenständig denkendes Individuum betrachten. Und schon garnicht als ehrenwerten Mann.
Tag der Veröffentlichung: 21.12.2020
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