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Die Ewigen
Gestatten, Justinus von Hardenberg. Doch so gehaltvoll der Name auch klingen mag – ich bin es leider nicht! Ich bin nur ein kleiner Dorfreporter beim Tageblatt „so und so“ und verdiene mir damit meine harten Brötchen. Redaktioneller Alltag ist, na sagen wir mal, trocken – ganz im Gegensatz zu mir! Naja, jedenfalls trinke ich, um mich nicht selbst zu Tode zu langweilen. Ich muss auch zugeben, ich trinke schon gerne mal einen – auch über den Durst und eher übermäßig. Ist ja auch ganz praktisch, wenn es darum geht die lokalpolitischen Problematiken etwas aufzupeppen. Also gewissermaßen, um die sterbenslangweiligen Kleinstadtgeschichten etwas spannender ausschauen zu lassen, als sie wohl wirklich sind. Auch darum trinke ich. Aber nicht nur das! Um mir etwas Abwechslung zu verschaffen, habe ich vor Jahren schon angefangen etwas Geschichte – so nebenbei – zu studieren. Und ich habe es dabei sogar geschafft einen Abschluss darin zu machen, obschon der sicherlich nicht viel Wert ist, denn ein Fernstudium vom Sofa aus – mit reichlich Sprit in der Birne – erhebt wohl kaum einen Anspruch auf Vollständigkeit. Aber Leute, ich kann euch sagen! Man lernt so einiges daraus. Nicht nur, wie man richtig frankieren muss, sondern schlicht und einfach die historischen Fakten im komplexen Ganzen – wenn es so etwas denn geben sollte – zu betrachten. Naja, ganz ehrlich, die Fakten an sich waren dabei eher nebensächlich, aber was ich insgesamt an und in der Geschichte lernte, entbehrt jeglicher Menschlichkeit und Logik! Und auch mal abgesehen davon, stieß ich beim Durchsehen alter Dokumente für meine sogenannte Diplomarbeit, auf etwas wirklich Interessantes! Da gab es äußerst betuchte Personen – ganz ohne gehaltvolle Namen übrigens – die selbstverständlich irgendwann verstarben, dann aber, nach ein oder fünf Jahrhunderten, wieder aufzutauchen pflegten. Was sich mir selbst erst nur als ein simples Hirngespinst darzustellen versuchte, erwies sich dank eingehender Analysen als hieb- und stichfest, möchte ich sagen! Portraits, deren Ähnlichkeit sich nicht allein durch die sprichwörtliche Familienähnlichkeit über Jahrhunderte hinzog, nein, auch immer ähnliche Lebensläufe der betreffenden Personen. Ausschlaggebend waren handschriftliche Aufzeichnungen, die in Form von Verträgen, Urkunden oder dergleichen Dinge, überliefert worden waren. Die Namen der Urkundenverfasser waren immer ähnlich oder sogar gleich. Dies war der erste stichhaltige Beweis für mich! Nun galt es also die Handschriften zu vergleichen. Meist wurden diese und der Name selbst leicht abgewandelt, doch fiel mir eben das immer gleich bleibende Schriftbild auf. Und eine Computeranalyse, in der ich die einzelnen Typen immer und immer wieder miteinander verglichen habe, war schließlich ausschlaggebend für mich, dieser Sache näher auf den Grund zu gehen. Ich nannte, nach dieser Entdeckung, diesen speziellen Personenkreis – wie ich sagen möchte – die Ewigen. Richtige Menschen sind sie wahrscheinlich nicht oder zumindest nicht mehr. Ich glaube denen juckt nicht mal mehr die Nase. Die Ewigen müssen nichts Essen – vermute ich – folglich müssen sie wahrscheinlich auch nicht scheißen; ich meine einen ordentlichen Grompel aus dem Arsch drücken, während man die Morgenzeitung liest – tja, wahrscheinlich nicht! Und wahrscheinlich kenne ich auch keinen von ihnen persönlich. Aber ich vermute inzwischen, dass es ein ziemlich harter Schlag von Menschen sein muss, ein ziemlich knallharter! Ich meine, stell dir das mal vor! Jemand der ewig ist – im Sinne von dauerhaft existent! Das geht doch auf keine Kuhhaut! So jemand muss doch zwangsläufig völlig und komplett durchge knallt sein! Ich meine, was fängt man denn mit der Ewigkeit an!? Ich für meinen Teil fange, neben dieser neu entdeckten Passion, nicht all zu viel mit mir und meinem eigenen Leben an. Naja, außer dem Trinken und dem pfeffern der Lokalnachrichten haben ich und mein Leben nicht viel zu bieten. Aber ein Anfang muss gemacht werden, wenn ich in meiner Recherche weiter kommen möchte! So beginne ich also nach den Ewigen zu suchen. Fange dort an, wo es eigentlich nahe liegen sollte. Im städtischen Irrenhaus – in der Psychiatrie. Abteilung 14 C. 3. Stock. Die Langzeitpatienten. Aber wie sieht so ein Ewiger eigentlich aus? Dieser Frage werde ich mir erst gewahr, als ich mit meinem Diktiergerät bewaffnet vor dem Stationsleiter stehe und ihm irgendetwas von irgendwelchen Studien für irgendeine Abschlussarbeit vorphantasiere. Ich planloser Kerl, jetzt stehe ich hier und habe eigentlich keine Ahnung wonach ich suchen soll! Gut. Ich kann mir die Gesichter anschauen und vielleicht Auskunft über manche der Lebensläufe bekommen, doch ich fühle mich genauso planlos wie sonst auch. Es ist nichts zu entdecken als die üblichen Psychosen und Wahnzustände, hier in der ersten Einrichtung und auch in der Zweiten, der Dritten und der Vierten, die ich im Laufe der nächsten Wochen abklappere. Ja sicher habe ich studiert! Und vielleicht sogar promoviert, mein Herr! Ich hab´s vergessen. Im Laufe der letzten acht Jahre, die ich diese Recherche schon betreibe, bin ich, glaube ich, selbst zum Fall für die Psychiatrie geworden, bin den dubiosesten Hinweisen gefolgt, fuhr hunderte von Kilometern in Klöster, die so dermaßen abgelegen sind, dass wahrscheinlich nicht einmal der Papst selbst von deren Existenz weiß. Dort war es auch das erste Mal, dass ich – meiner Meinung nach – einen von ihnen zu Gesicht bekam. Naja, zumindest indirekt. Und, ich stellte in eben einem dieser abgelegenen Klöster nur rein zufällig die richtigen Fragen. So wurde ich von einem hartnäckig schweigendem Kloster-Bruder in die Bibliothek geführt. Dieser knallte mir ein paar dicke, vergilbte Bände mit Goldkante aufs Pult und nickte mir, schon im Gehen, noch zu. Zunächst fiel mir aber rein gar nichts auf und ich wollte nach zwei Kopfschmerz bereitenden Stunden schon aufgeben, als sich mir – endlich – ein Bild in einem dieser dicken Wälzer aufdrängte; ein Holzschnitt, dessen Züge mir sehr bekannt vorkamen. Hatte ich dieses Gesicht nicht schon vor knapp dreitausend Seiten schon einmal gesehen? Ja, ganz genau dieses Gesicht! Dieser fast fünfhundert Jahre alte Holzschnitt und dieses knapp dreihundert Jahre alte Ölportrait zeigen eindeutig dieselbe beschissene Hackfresse! Ich bin also nicht verrückt! Gut. Schön. Portrait und Holzschnitt lassen sicherlich Raum für Interpretation, aber ich bin mir sicher! Sogar sehr, jawohl meine Herren! Sicher bin ich mir da! Und dieses Gesicht sehe ich nicht zum ersten Mal... In der Abteilung 14 C 3.Stock finde ich diesen Mistkerl allerdings nicht. Ich verabschiede mich also still vom allgegenwärtigen Wahnsinn. Mir ist mehr als unwohl in meiner Haut – oder vielmehr in meinem Verstand – und ich brauche frische Luft, laufe nach draußen und finde mich im friedlichen Park dieser unseligen Einrichtung wieder. Ich schlendere etwas unter den alten knorrigen Bäumen umher. Abteilung so und so viel, Abteilungsleiter Eichhörnchen grüßt noch nett und Schwester Elster grinst und gackert mich an. Wieso wiehert dieser blöde Vogel so? Ich diktiere dem Gerät meine Erfolglosigkeit mit dem beschissenen Vogel im Hintergrund. „ Ich kenne Sie.“, höre ich es leise hinter mir schreien. Ich war allein im Park – das könnte ich beschwören. Und ich staune über mich selbst insofern, dass ich nicht im Geringsten überrascht bin, ein inzwischen sehr vertrautes Gesicht zu sehen, als ich mich um drehe. Nun blickt mir der Holzschnitt äußerst lebendig in mein wohl sehr verdattertes Gesicht und schickt sich sogar an, äußerst hämisch zu grinsen. „Sie schnüffeln schon sehr lange hinter mir her.“, sagt der Namenlose. „Ähm – tja – ja! Ja das tue ich, Herr... ähm?“ Natürlich bekomme ich keine Antwort von meinem Namenlosen. „Vielleicht sollten Sie das unterlassen, Herr von Hardenberg! Denn es wird nichts Gutes dabei für Sie herauskommen, das kann ich Ihnen versprechen!“, seine Stimme kam mir irgendwie verschwommen und unklar, seltsam trübe vor, und er selbst schien sehr müde, als er den folgenden Satz nicht einmal zu Ende sprach: „Nichts Gutes für uns beide… Sie wissen schon…“ „Na wissen Sie, dies wird mir sehr schwer fallen, mein Herr! All die bereits investierte Zeit, Sie verstehen?“, ich versuche mich gepflegt und höflich auszudrücken. Ich versuche ihn zu beruhigen: „Und wissen Sie, niemand weiß von meiner Arbeit! Und selbst wenn, es würde mich jeder für einen rettungslos verlorenen Spinner halten! Wer glaubt denn schon an die Unsterblichkeit. Und…“ Er unterbricht mich: „Ich weiß wieviel Sie bereits von ihrer kostbaren Zeit investiert haben.“ Mir wird auf einmal furchtbar schwindelig und ich kann mich kaum noch auf die sowieso schon verschwommene Stimme konzentrieren. Sicher bin ich mir aber, dass er mit meiner kostbaren Zeit meine knapp bemessene Lebensspanne meinte. Mir schwindelt immer mehr. „Das sind ganz normale Erscheinungen, wissen sie.“, raunt er, „Machen Sie sich keine Sorgen!“ Und ich mache mir keine, doch werde ich das Gefühl nicht los, dass dieser Mann – oder was auch immer er sein mag – es versteht mich wie ein Buch zu lesen. Und alles dreht sich auf einmal. Und Schwester Elster lacht mich gackernd aus, als ich bemerke plötzlich ganz allein dazustehen. Selbst als ich zu Hause bin und versuche mir des ganzen Geschehens gewahr zu werden, höre ich immer noch dieses blöde Vieh in meinen Ohren. Ich versuche Aufzeichnungen am PC zu machen, doch nichts gelingt mir – kein Satz! Nicht einmal als die Flasche leer ist. Kein einziger blöder Satz. Und als ich schon längst schlafe, gackert dieser Vogel immer noch in meinen Gehörgängen. Ich träume sogar von diesem Tier – die ganze Nacht – nichts weiter als von diesem Vogel! Doch als ich am nächsten Morgen verkatert doch pünktlich aufwache, kann ich mich erinnern, oder vielmehr habe ich das Gefühl, dass irgendetwas Großes passiert sein muss. So wälze ich mich also mit einem gigantischen Durst aus meinem Bett – irgendetwas muss doch passiert sein, gestern! Ich weiß es genau! Ich pfeife, wie immer, auf morgendliche Kosmetik und begebe mich brav an meinen Arbeitsplatz in das heißgeliebte Großraumbüro. Ich gehe meine e- mails durch und bin sehr überrascht, als ich eine Nachricht von meinem Namenlosen öffne, den ich gestern, wie mir siedendheiß einfällt, im Park der Psychiatrischen so unverhofft getroffen habe. „Sie werden sich sicherlich im Klaren darüber sein, dass es für Sie, ich möchte sagen, ernsthafte Konsequenzen wird es für Sie haben, Herr Hardenberg, unser gestriges Treffen. Ich muss Ihnen auch sagen, dass es nun kein Zurück mehr geben wird, weder für Sie noch für mich. Sie werden jetzt alles stehen und liegen lassen müssen, ich möchte sagen, schlicht alles aufgeben, was Sie ihr Leben nennen und mir unbedingt Folge leisten! Denn Sie waren sich bereits gestern voll und ganz bewusst, dass es nun kein Zurück mehr für Sie geben wird.“ Die letzte Zeile beschreibt Ort und Zeit unseres nächsten Treffens, was mich veranlasst Hals über Kopf die Redaktion zu verlassen, mit der fadenscheinigen Begründung einer dringenden Recherche nachgehen zu müssen, die keinen Aufschub duldet – ist ja auch fast nicht gelogen. Wir schlendern diesmal durch den öffentlichen Park und ich bin gespannt – ja, werde förmlich mit tiefem Schweigen auf die Folter gespannt. Ich denke mir gerade noch, dass der Kerl doch endlich etwas sagen muss, doch urplötzlich finde ich mich vor meinem Rechner mit einem randvollen Glas wieder. Wache eigentlich erst wieder recht auf, als ich diese Worte in die Tastatur hacke: „Dies ist mein Testament.“ Unsere Konversation begann und endete wortlos. Worte bildeten sich nur in mir, in meinem Inneren. Wir werden uns nun auf eine Reise begeben –ich denke, so ließe sich das am Besten für dich beschreiben. Eine Reise – ja, denn Reisen besitzen die Eigenschaft Charaktere neu zu bilden oder gar erst sie zu formen oder sie zu verändern. Dies ist, was nun mit dir geschehen wird. Worte werden unbedeutend. So wurde ich selbst zu einem Ewigen.

Impressum

Texte: © 2008 Damien Schwartz Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt Satz und Layout: Anne Seidl Zeichnungen: © Damien Schwartz Foto Rückseite: © Anne Seidl
Tag der Veröffentlichung: 03.04.2009

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