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Auf großer Fahrt
Sie fuhren entlang endlos gerader Straßen. Längst war es Nacht
und es sollte auch bald der Morgen grauen. Grauen.
Es war ihr Nachhauseweg von einer dieser fürchterlichen Hochzeiten
eines guten Freundes von ihm oder von seiner kleinen
Schwester. Die beiden verband, dass sie nicht nur Schwartz heißen,
Bruder und Schwester sind, sondern auch der unbändig
starke Wille Schwarz zu sehen. Alles in allem und beinah Jeden.
Dorian fielen die tausend ätzenden Ansichtskarten an der Pinnwand
in der Küche ein. Die beiden wohnten zusammen. Für Außenstehende
ein mehr als schräges Paar. Karten und Fotos von
Freunden und Bekannten. Bildchen. Kinderzeichnungen und
Aufnahmen von viel zu fetten Babys mit viel zu fetten Mamas
mit glänzenden Gesichtern. Scheiß doch auf diese mustergültigen
Vorzeige-Familien, dachte er wohl bei sich und Jane für sich, immer
wenn sie an ihrer gemeinsamen Pinnwand zum Kühlschrank
gingen um sich Pilze, Trips oder einen Schluck beschissenes amerikanisches
Zuckerwasser zu holen.
Er wollte erst gar nicht auf diese „och nee nicht noch eine-Hochzeit“
und war nicht mal im Ansatz begeistert von dieser Idee.
Doch Freunde sind Freunde, egal, wie verspießt sie sind. „Und
wenn´s die größten Proleten der Welt wären, das sind unsere
Freunde, und von denen haben wir nicht viele.“, meinte Jane zu
Dorian. Warum muss das denn… verdammt heiraten… würde
Dorian nur Jane. Und Jane Dorian. Er würde alles für sie aufgeben.
Für seine kleine Schwester. Für Jane. Er liebte sie. Auf eine
Weise, die er sich selbst nicht erklären konnte. Und sie liebte ihn.
Es war bedingungslos.
Ein schiefer Mond grinste ihm hämisch ins Gesicht. Irgendwie
Gelb oder Orange. Und sein Hals krampfte sich zusammen. Sie
schlief neben ihm auf dem Beifahrersitz – unangeschnallt – und
dünstete Champagner aus und roch wie ein später August-Abend,
schwer, süß, nach Lavendel – nach dem beginnenden Herbst.
Er weinte. Still. Ohne einen Laut von sich zu geben. Lass dieses
wundervolle, zierliche Wesen nicht aufwachen, dachte er sich.
Doch die ganze verfluchte Welt müsste jetzt aufwachen. Von diesen
Schreien. Woher kamen die? So laut. Doch niemand da. Es
war wohl seine Seele, die schrie.
Die Bäume links und rechts der Straße huschten vorbei, wie
stille Kondulanten, so schien es ihm durch Tränenschleier.
Dunkle, stille Kondulanten, die sich sanft zum Abschied in den
Kronen wiegen. Wie ein Baum wollte er sein, so stark und
standhaft. So unnahbar... Weiße Nebelfetzen, wie Leichentücher,
die sich über den schwarzen Asphalt legten. So fing Dorian
an zu lächeln. Er lächelte ganz still in sich hinein. Endlich.
Und ließ das beschissene Lenkrad los.

Impressum

Texte: © 2008 Damien Schwartz Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt Satz und Layout: Anne Seidl Zeichnungen: © Damien Schwartz Foto Rückseite: © Anne Seidl
Tag der Veröffentlichung: 03.04.2009

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