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Kapitel 1 - Ein Tag wie jeder andere

Es sollte ein Tag wie jeder andere werden. Ein Montag. Aufstehen, duschen, frühstücken, mich von Leonard zur Schule fahren lassen, den Unterricht überstehen, nach Hause kommen, Hausaufgaben machen, Blut spenden, Abendessen, nochmal duschen und dann ins Bett. Ein Tag wie jeder andere in meinem behüteten Leben.
Wer ich war? Isabella Lewington. Meine Familie stammt aus London. Zu dieser Zeit lebten wir jedoch in einem kleinen Kaff am Arsch von Deutschland. An meine Vergangenheit in der alten Heimat konnte ich mich nur noch bruchstückhaft erinnern. Ich war 2 Jahre alt, als wir London verließen. Danach waren wir nur noch selten zu Besuch bei meiner Großmutter. Als diese dann vor 12 Jahren starb, kehrten wir gar nicht mehr zurück.
Ich war 17 Jahre alt und besuche die 11. Klasse des Gymnasiums in der nächsten Stadt. Und ich hasste die Schule.
Der Wecker klingelte nun schon zum 4ten Mal. Langsam musste ich wirklich aufstehen, wenn ich verhindern wollte, dass meine Mutter in mein Zimmer stürmte. Das tat sie immer, wenn ich nicht rechtzeitig aus dem Bett kam.
Verschlafen tapste ich durch mein Zimmer. Es war modern und hell eingerichtet. In der linken vorderen Zimmerecke, direkt neben der Tür stand mein großes Himmelbett. Daneben an der Wand das lange Bücherregal, das bis zum Anschlag vollgestopft war mit Romanen, Erzählungen und Fantasygeschichten. Auch ein paar Krimis befanden sich darunter. An der Fensterseite gegenüber der Tür hingen noch zwei Regale neben den verglasten großen Flügeltüren, die auf die Terrasse führten. Naja, eigentlich war es ja ein Balkon, da mein Zimmer sich im ersten Stock befand, doch er war so groß, dass ich ihn Terrasse nannte. Der Balkon zog sich über die gesamte Hausseite. Darauf standen gemütliche Korbmöbel. Ein Tisch, zwei Stühle und eine Liege. Die Polster waren in einer kleinen Truhe eingeschlossen, damit sie nicht nass wurden, wenn es regnete.
Die Sonne lugte bereits durch die langen weißen Vorhänge. Oh Gott, ich war wirklich spät dran!
Schnell flitzte ich aus meinem Zimmer, auf den Flur, in das Badezimmer auf „meiner“ Etage. Es lag hinter der Tür neben meiner Zimmertür. Das gesamte Bad, die Fließen, die Amaturen, die Einrichtung, alles war in warmen Terrakotta- und Orangetönen gehalten.
Schnell schlüpfte ich unter die Dusche. Keine 10 Minuten später trat ich vor den Spiegel, mit einem Handtuch um den Kopf gewickelt. Ein hübsches, junges Gesicht sah mir entgegen. Hellgrüne Augen, mit blauen Sprenkeln blickten mir zwischen vollen, langen, aber viel zu hellen Wimpern entgegen. Auch meine Augenbrauen waren blond, genau wie meine schulterlangen, gelockten Haare, die sich jedoch noch unter dem Handtuch verbargen. Ein paar Sommersprossen zierten meine Nase und meine Wangenknochen. Ich mochte sie nicht. Darum verbarg ich sie, genau wie die blonden Wimpern, unter Make-Up. Viel mehr als Hautfarbene Schminke und Wimperntusche trug ich jedoch nie auf. Ich mochte es nicht, wenn jemand aussah, als wäre derjenige in einen Schminktopf gefallen.
„Isabella Johanna Ayleen Lewington!“, vernahm ich eine vertraute Stimme aus der unteren Etage. Meine Mum schrie nach mir. So lange hatte ich nun wirklich nicht gebraucht! Ich hasste es, wenn sie mich beim vollen Namen rief. Ich meine Hallo? Wie klang das denn?
„Ich bin gleich fertig!“, brüllte ich zurück. Ich mochte es nicht, wenn man mich am frühen Morgen stresste. Schnell föhnte ich meine Haare. Natürlich standen die wilden Lockern sofort in alle Richtungen ab. Ich hasste meine Frisur. Sie ließen sich kaum bändigen. Verzweifelt versuchte ich sie mit der Bürste und reichlich Haarspray unter Kontrolle zu bekommen. Das Ergebnis war nicht unbedingt zufriedenstellend, aber annehmbar. Also flitzte ich zurück in mein Zimmer, ging zu meinem begehbaren Kleiderschrank. (Ja, ich hatte einen begehbaren Kleiderschrank!) Ich wählte eine knielange, enge Stoffhose in schwarz und ein dazu passendes Top. Nicht zu tief ausgeschnitten, um einen Konflikt mit meiner Mum zu vermeiden, aber trotzdem figurbetont. Dazu zog ich Sandalen mit dünnen Schnürchen und leichtem Absatz an. Immerhin war Sommer.
Ich betrachtete mich in meinem großen Spiegel. Schlank mit Kurven, wo sie hingehörten. Auch wenn ich mir obenrum durchaus mehr wünschen würde. Aber immerhin hatte ich einen knackigen Hintern. Ich grinste mich an. Die Kerle standen auf mich, das war klar. Aber ich ließ keinen von ihnen an mich ran, denn ich hatte ein kleines Geheimnis, das es mir nicht ermöglichte Menschen zu nah an mein Leben zu lassen. Was mein Geheimnis war? Ich lebte unter Vampiren. Sowas gibt es nicht? Oh Doch! Und wie! Sie lebten verborgen unter den Menschen, waren zivilisiert. (Naja, zumindest die Meisten von ihnen.)Was ich damit zu tun habe? Ich war eine Blutprinzessin. Klingt komisch, ich weiß. Und nein, ich war kein Vampir. Ich war ein Mensch. Allerdings kein normaler Mensch. Das ist ein wenig kompliziert. Ich habe irgendetwas an mir, oder besser in mir, was mein Blut zu etwas besonderem machte für Vampire. Leonard hatte mir einmal erklärt (Ja, er war ein Vampire, der für meine Familie arbeitete), dass es besonders schmeckte und ihren Fähigkeiten irgendwie zu Gute kam. Wenn Vampire mein Blut tranken verstärkte es sie irgendwie und aus diesem Grund musste ich beschützt werden, sagten meine Eltern. Sie versuchten um jeden Preis zu verhindern, dass mir ein Vampir außer Leonard zu nahe kamen. Und er war zwar in den Jahren, die er jetzt mein Bodyguard war, zu einem Freund und Vertrauten geworden, da er mich wirklich überall hin begleitete, aber er blieb immer distanziert und freundlich. Ein Angestellter eben.
Als ich die Treppe herunter kam stand er schon in der offenen Küche mit Essbereich und lächelte mir entgegen. Dabei blitzten seine Fangzähne kurz auf. Entgegen der gängigen Filmmeinung konnten Vampire sie nicht einziehen. Sie konnten sich nur bemühen, sie beim Sprechen nicht zu zeigen. Nur hier zu Hause konnte Leo sich offen zeigen. Meine Eltern wussten schließlich auch über alles Bescheid. Er sah wie immer gut aus in seinem maßgeschneiderten Anzug. Seine langen blonden Haare trug er in einem lockeren Zopf. Er war knapp 1,95m groß und hatte ein breites, durchtrainiertes Kreuz. Den meisten Menschen und anderen Rassen flößte er Angst ein. Doch wie er so dastand, mit diesem spitzbübigen Grinsen im Gesicht und den blitzenden Fangzähnen fand ich ihn einfach nur nett. Mein Leo. Mein Beschützer, seit ich denken konnte. Seine kantigen Gesichtszüge wirkten ganz weich.
„Guten Morgen, Leo.“, begrüßte ich ihn freundlich.
„Du bist spät dran, Prinzesschen.“, tadelte er mich lächelnd.
„Nenn mich nicht so!“, knurrte ich ihn gespielt an. Er wusste, dass ich es hasste, wenn er mich so nannte, doch er konnte es nicht bleiben lassen.
„Isabella, das Essen ist fertig beeil dich!“, hörte ich die Stimme meiner Mutter aus dem Nebenzimmer.
„Ja Mooom.“, gab ich genervt zurück und setzte mich an den Tisch. Schnell schlang ich mein Frühstück herunter, stand dann auf, schnappte mir meine Tasche und stürmte aus dem Haus. Leo folgte mir auf dem Fuße.Wir stiegen ins Auto. Einen einfachen Audi A4 in Silber. Er drückte das Gas durch und in wenigen Minuten waren wir an der Schule. Ich verabschiedete mich, wie jeden Morgen, mit einem Kuss auf seine Wange und sprintete dann in die Schule. Gerade zum Stundenklingeln erreichte ich die Tür des Klassenzimmers, setzte mich schnell auf meinen Platz und packte meine Bücher aus. Ich war gut in der Schule, aber es langweilte mich. Frau Martens, unsere Chemielehrerin, mühte sich redlich darum, unser Interesse an ihrem Fach aufrecht zu erhalten. Doch es gelang ihr nicht wirklich. Der Tag schlich nur so dahin. In der Mittagspause blieb ich, wie immer, alleine auf meinem Platz in der Mensa. Die letzten Stunden gingen dann glücklicherweise schnell rum. Es würde noch einige Minuten dauern, bis ich abgeholt würde also ging ich noch schnell zu meinem Spind. Dort lauerte sie auf mich. Melanie. Meine größte Feindin. Möchtegern-Barbie der ersten Stunde! Sie stank nach Parfum, hatte 2 Tonnen Schminke im Gesicht, viel zu kurze Klamotten. Seit ihr Ex Bobby sie abserviert hatte, angeblich weil er in mich verknallt war, hatte sie es sich zu ihrem Ziel gemacht mir das Leben zur Hölle werden zu lassen. Ich hasste sie. „Na, Wischmopp?“, begrüßte sie mich mit ihrer fiepsigen Stimme. Es klingelte beinahe in meinen Ohren.
„WAS?“, knurrte ich sie an.
„Heeeyyy... Jetzt entspann dich mal.“, flötete sie vor sich hin. Schmierig freundlich. Ich hätte kotzen können. „Morgen steigt DIE Party des Jahrhunderts!“, teilte sie mir mit.
„Und?“, fragte ich genervt, während ich meinen Spind vor ihrer Nase wieder zuknallte.
„Du bist natürlich NICHT eingeladen!“, lachte sie mich an. Dachte sie wirklich, das könnte mich treffen? Es war mir völlig egal. Sie dachte jedoch, dass sie einen großen Erfolg gelandet hatte.Mit wehendem Minirock, der einen guten Blick auf ihre Cellulite an ihrem etwas zu breiten Hintern gab, zog sie ab. Mir war es nur recht.Ich verließ das Schulgelände und ging auf den Parkplatz. Dort wartete Leo auf mich. Dankbar stieg ich ins Auto ein.
„Anstrengender Tag?“, fragte er, während er auf die Straße sah. Er wusste immer, wenn ich schlechte Laune hatte.
„Ja, irgendwie schon.“, murrte ich und beließ es dabei. Er fragte selten mehr, als ich bereit war zuzugeben. Sehr feinfühlig, der Gute. „Ich will einen Eisbecher!“, sagte ich plötzlich. Er nickte nur und lenkte das Auto in die Innenstadt. Ein Eisbecher schien mir genau das Richtige zu sein um mich für mein Durchhaltevermögen zu belohnen.
Schweigend parkten wir neben einer kleinen und gemütlichen Eisdiele. Leo hielt mir, ganze Gentleman, die Tür auf und ich ging hinein. An der Theke bestellte ich einen riesigen Eisbecher, Leo wollte einen Eiskaffee. Ja, Vampire konnten „normale“ Nahrung zu sich nehmen. Sie konnten auch kurzzeitig davon überleben. Ohne Blut wurden sie jedoch irgendwann wahnsinnig und verfielen in einen richtigen Blutrausch. Dann töteten sie alles, was ihnen vor die Fänge kam. Bevorzugt kleine Blutprinzessinnen. Leo sagte mir einmal, dass mein Geruch so stark wäre, dass ein verrückter Vampir mich über Kilometer hinweg riechen könnte. Gruselig Vorstellung. Wir hatten schon ein paar unliebsame Zusammenstöße mit solchen Gestalten gehabt. Genau dafür war er an meiner Seite. Er war stark und beschützte mich, in dem er seinen Gegner, wortwörtlich, einen Kopf kürzer machte. Die einzige Methode einen Vampir wirklich zu töten. Da war Hollywood ausnahmsweise mal ganz nah an der Wahrheit. Silber, Holzpfähle, Kreuze und Knoblauch waren jedoch frei erfunden. Gut, ein herausgerissenes Herz oder andere lebenswichtige Organe zu entfernen schickte auch einen Vampir über den Jordan.
Sie atmeten, ihr Herz pumpte das Blut durch ihre Adern, genau wie bei Menschen. Unsterblich waren sie auch nicht wirklich. Wenn sie nicht regelmäßig ihre Portion Blut bekamen alterten sie genau wie Menschen. Wenn ich ehrlich bin sogar noch ein Stück schneller. Und dieser Vorgang ließ sich auch nicht mehr rückgängig machen. Sie konnten nur die Alterung wieder unterbrechen, wenn sie Blut tranken. Leo sah aus wie Mitte Zwanzig. In Wahrheit war er jedoch über 100 Jahre alt.
Er war ein reiner Vampir. Er war also als solcher geboren worden. Es gab auch verwandelte Vampire, doch die konnten nicht mit den Kräften der „Reinen“ mithalten. Und sie waren charakterlich auch nicht ganz so gefestigt. Sie rasteten schneller aus. Sie verfielen schneller dem Blutdurst. Ich bekam meinen Eisbecher und stürzte mich gleich darauf.
Während ich gut gelaunt vor mich hin schaufelte versteifte sich mein Wächter plötzlich. Und ich spürte es auch: Ein Vampir hatte den Laden betreten. Ich hatte die besondere Fähigkeit ihre Gegenwart wahrzunehmen. Und nicht nur das: Ich konnte sie meinem Willen unterwerfen. Allerdings musste ich sie dafür berühren, was nicht immer einfach war. Und ich hasste es, meine Fähigkeit einzusetzen, weil ich dann oft Bilder aus dem Leben meines „Opfers“ sah. Momente, die sie mit besonders starken Emotionen verbanden. Und bei Vampiren war das meistens ein Massaker. Ich wollte so etwas nicht sehen. Manchmal hatte meine Fähigkeit uns allerdings schon den Hintern gerettet. Möglichst unauffällig wandte ich den Kopf in Richtung Tür. Ein gutaussehender Typ, etwas älter als Leo, hatte das Lokal betreten. Er sog einmal scharf die Luft ein und sah mich dann unverwandt an. Seine Augen glühten. Kein gutes Zeichen. Leo legte wachsam den Löffel nieder. Äußerlich blieb er ruhig, doch ich spürte die Anspannung in seinem Körper. Blutlüsterne Vampire waren gefährlich. Sie konnten sich nicht beherrschen. Auch nicht, wenn haufenweise Menschen sie umgaben. Und die Rasse auffliegen zu sehen war so ziemlich das Schlimmste, was ein Vampir sich vorstellen konnte.
„Wir sollten gehen.“, knurrte Leo aus den Tiefen seiner Kehle.
Dieses Geräusch jagte mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken, obwohl ich wusste, dass ich keine Angst haben musste. Nicht vor meinem Beschützer. Ich nickte nur und wir standen auf, ohne, dass Leos Augen den Neuankömmling einmal verließen. Und dieser wiederum ließ mich nicht aus den Augen. Ich wurde nervös. Bloß nichts anmerken lassen und nicht panisch reagieren. Das würde den Jagdinstinkt unseres Gegenübers nur verstärken. Gemächlich verließen wir das Café. Der Vampir folgte uns lauernd. Gerade als wir ins Auto einsteigen wollten, verstellte er uns den Weg. Vampire waren übermenschlich schnell. Zu schnell für das Auge.
„Was wollen Sie?“, fragte Leo knurrend.
„Das weißt du!“, fauchte der Andere. „Gib mir das Mädchen!“
Er fing schon beinahe an zu sabbern.
„Steig ins Auto.“, wies Leo mich an und ich wollte sofort gehorchen, doch der Fremde packte mich am Arm. Noch bevor Leo ausholen konnte um ihn zu schlagen, zog er mich an sich. Ich konnte seinen Gestank nach Schweiß und Gier deutlich wahrnehmen. Ohne weiter nachzudenken sandte ich meine Kräfte in seinen Körper. Bilder von einer Orgie aus Blut und Sex jagten mir durch den Kopf. Beinahe hätte ich mich übergeben.
„Lass mich los.“, zischte ich ihn an. Und er gehorchte. Er konnte gar nicht anders. Schnell schlüpfte ich in den Wagen. Leo nutzte die Gelegenheit und schickte den verwirrten Vampir mit nur einem Schlag gegen den Kopf auf die Bretter. Ihn hier, mitten auf der Straße, umzulegen wäre zu auffällig. Schnell setzte er sich hinters Steuer und fuhr los. Erst jetzt begann ich am ganzen Leib zu zittern. Die Bilder ließen mich einfach nicht los. Es war so grausam und blutrünstig. Leo legte eine Hand auf meinen Oberschenkel.
„Ganz ruhig, Prinzessin.“, murmelte er. Seine Worte gaben mir ein wenig Stärke. Seine ruhige Art war eine Wohltat. Trotzdem verlangsamte sich mein panischer Herzschlag nur sehr zögerlich.
„Das hast du gut gemacht. Du hast gut reagiert.“, versuchte er mich weiter zu beruhigen.Ich nickte und schwieg. Es würde eine Weile dauern, bis ich die Bilder wieder loswurde. Das war immer so. Als wir zu Hause ankamen hatte ich nur ein wenig meiner Gesichtsfarbe zurückbekommen.
Mein Vater, ein freundlicher und gesitteter Mann mittleren Alters, sah sofort, dass etwas nicht stimmte. „Kleiner Zusammenstoß“, erklärte Leo nur kurz und mein Vater nahm mich in den Arm. Ich liebte ihn. Über alles. Mein Vater war mein größter Held. Seine starken Arme schenkten mir Halt und Sicherheit.
„Sch, Sch.“, machte er. Und ich beruhigte mich tatsächlich weiter. Langsam verschwanden die Bilder. So war es immer, wenn er mich in den Arm nahm. Er war eine große Stütze.
Doch trotz Allem wusste ich, dass noch eine unangenehme Pflicht heute auf mich wartete. Ich kannte es schon, seit ich denken konnte. Einmal in der Woche musste ich zum „Blut spenden“, wie wir es nannten. Und ich hasste Nadeln, wie die Pest! Doch es war nötig. Warum? Was denkt ihr, wie sich meine Eltern unser riesiges Haus leisten konnten? Richtig: Sie verkauften mein Blut an Vampire. Und das für nicht gerade wenig Geld. Schließlich war es wertvoll. Es hatte mich mal gestört, doch ich hatte mich irgendwann an diesen Gedanken gewöhnt. Ich ging in mein Bad, wusch meinen Arm gründlich und setzte mich dann auf einen der weichen, weißen Ledersessel in meinem Zimmer. Wie jedes Mal hörte ich die Tür ins Schloss schlagen. Ich wusste, dass Leo das Haus verließ um bei dem Geruch meines Blutes nicht durchzudrehen. Es war für Vampire einfach unwiderstehlich. Er würde nach der Prozedur als Erster etwas davon erhalten. Das war seine Bezahlung als mein Aufpasser. Ich gönnte es ihm. Immerhin musste ich mich auch nicht von ihm beißen lassen. Diese Vorstellung jagte mir immer wieder Angstschauer über den Rücken.
Ich lebte zwar mit ihnen, doch ich würde mich niemals von einem Vampir beißen lassen. Dafür hatte ich zu viele schreckliche Szenen in meinem Leben von ihnen sehen müssen. Meine Mum betrat das Zimmer mit dem ganzen Blutspendezeugs. Eine Nadel an einem Schlauch, einen Blutbeutel, Desinfektionsmittel. Alles was man eben brauchte. Sie war Krankenschwester und wusste also, was sie tat.
„Kann's losgehen?“, fragte sie liebevoll.
„Klar, wie immer.“, grummelte ich.
Sie wusste, dass ich diese Prozedur nicht mochte. Meine Armbeuge wurde desinfiziert, dann stach sie die Nadel durch meine Haut. Wie immer zuckte ich zusammen. Dann begann der rote Lebenssaft in den Beutel zu laufen. Für mich sah es nicht anders aus, als „normales“ Blut. Es roch auch nicht anders. Aber ich wusste um den Effekt, den diese Flüssigkeit auf Vampire hatte. Vorsorglich hatte meine Mutter alle Fenster geschlossen.
Nach 500ml war Schluss. Sie zog die Nadel aus meinem Arm und legte mir einen Druckverband an. Ein Wunder, dass mein Arm nicht aussah wie von einem Junkie. Ich schob es immer auf meine gute Wundheilung. Keine Wunde, die ich je hatte, hinterließ eine Narbe. Meine Mum verließ das Zimmer und ich machte mich an meine Hausaufgaben.
Irgendwann hörte ich, wie meine Eltern und Leo sich unterhielten. Er war also wieder da. Und demnächst würde er seine Bezahlung erhalten. Schnell waren die Aufgaben erledigt und ich ging zum Abendessen. Jeden Tag um 19 Uhr, wie immer. Die ganze Familie saß zusammen, Mum, Dad und Leo. Er gehörte wirklich dazu. Es gab Brot und Belag, wie immer. Eben ein ganz normaler Tag.

Kapitel 2 - Der Neue

Am nächsten Morgen erwachte ich mit Kopfschmerzen. Eine Nebenwirkung des Blutverlustes am letzten Abend. Ich duschte, zog mir einen knielangen weißen Rock und ein rotes Spagettiträger-Top an, bändigte meine Haare in einem Pferdeschwanz, frühstückte und ließ mich zur Schule fahren. Die ersten 2 Stunden verliefen langweilig und ohne Zwischenfälle. Erst in der dritten Stunde bei unserer Tutorin Frau Reimann gab es etwas Neues: Sie kündigte uns einen neuen Mitschüler an, der kurz nach ihrem Ruf das Klassenzimmer betrat. Die Aufmerksamkeit aller anwesenden Damen war ihm sofort sicher. Inklusive meiner.Er war gut über 1,90m, beinahe so groß wie Leo. Aber er war noch ein Stück breiter. Unter seinem schwarzen T-Shirt zeichnete sich ein wohlproportionierter und durchtrainierter Körper ab. Dazu trug er eine einfache dunkelblaue Jeans und abgelaufene Sneaker. Seine Haare waren etwas länger und standen wirr von seinem Kopf ab. Erst als er vor der Klasse stand besaß er die Höflichkeit, die Kopfhörer abzusetzen. Er ließ seinen Blick durch die Klasse schweifen. Und, oh Gott! Seine Augen! Sie waren von einem nahezu unnatürlichen Gelb. Er sah sich jeden Mitschüler genau an. An mir blieb sein Blick kurz hängen und er blähte die Nasenflügel auf. Schnüffelte er nach meinem Geruch? Aber... er war kein Vampir, da war ich mir ganz sicher. Trotzdem schlug mein Instinkt an. Doch nicht so, wie ich es gewohnt war. Skeptisch musterte ich ihn. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, dass ich ihn echt heiß fand. Er grinste mich plötzlich an. Verlegen senkte ich den Blick. Jessica, meine Banknachbarin, stieß mir ihren Ellbogen in die Seite.„Kennst du den?“, flüsterte sie. „Nein.“, murmelte ich zurück.
Unsere Lehrerin ergriff das Wort: „Heißen Sie unseren neuen Mitschüler willkommen.“, sagte sie und fügte noch hinzu: „Wollen Sie nicht ein bisschen was über sich erzählen?“
Er schnaufte gelangweilt und antwortete: „Mein Name ist Tom Jackson, meine Freunde nennen mich Jack. Ich wohne seit letzten Wochenende in der Stadt und kenne hier noch niemanden. Ich mag Hunde und wohne mit meinem Vater in einer Wohnung. Ich geh gern feiern und lese viel.“
Er zuckte mit den Schultern. Seine Stimme klang gelangweilt, als hätte er diesen Satz schon tausend Mal aufgesagt. Er hatte einen leicht englischen Akzent. Zog er etwa oft um? Das könnte erklären, warum er älter aussah als wir alle. Vielleicht 20? Oder 22? Ich war immernoch verwirrt, warum meine Instinkte bei ihm anschlugen.
„Vielen Dank, Herr Jackson.“, sagte Frau Reimann. „Nehmen Sie doch bitte neben Bobby Platz.“, lächelte sie und wies auf den freien Platz.
Er nickte nur und ließ sich dann lässig neben besagter Person auf den Stuhl fallen, nachdem er mich noch ein weiteres Mal durchdringend ansah. Komischer Typ, beschloss ich. Der Unterricht begann. Englisch im Leistungskurs. Klar, dass ich dieses Fach als gebürtige Engländerin wählte. Ich meldete mich, wie immer, um einen Gesprächsbeitrag zu leisten. Es ging um Genforschung und Frau Reimann versuchte eine Diskussion anzuregen. Normalerweise gelang ihr das nicht, da niemand außer mir mitarbeitete. Doch dieses Mal war es anders: Tom beteiligte sich ohne jegliche Zurückhaltung in fließendem Englisch. Wir lieferten uns ein Wortgefecht von höchster Güte. Frau Reimann war begeistert und gab uns beiden eine Eins. Ein paar Mal wäre ich beinahe ausgeflippt bei seinen Ansichten, doch er schaffte es immer wieder mich sprachlos zu machen. Das ärgerte mich. Seine Augen brachten mich völlig aus dem Konzept, wenn er sich bei einer besonders kniffligen Antwort zu mir umdrehte. Trotzdem endeten wir mit einem Unentschieden.
Das beschloss ich zumindest um mir nicht die Blöße zu geben. Dieser Typ hatte so ein arrogantes Lächeln drauf, dass ich ihm, wären da nicht diese verführerischen Augen gewesen, so manches Mal am Liebsten eine runtergehauen hätte. Nach der Stunde ging ich zu meinem Spind um meine Bücher zu tauschen. Als nächstes stand Geschichte auf dem Plan. Man hatte ich da eine Lust drauf! Eins der langweiligsten Fächer überhaupt. Als ich meine Spindtür schloss und mich umdrehen wollte lief ich gegen Jemanden.
„Hey! Pass doch auf wo du hinläufst!“, knurrte ich die Person an.
„Pass du lieber auf!“, bekam ich eine rotzfreche Antwort. Als ich zu dem Sprecher aufsah sprang ich vor Schreck einen Schritt zurück und knallte gegen meinen Spind. Tom hatte sich vor mir aufgebaut, die muskulösen Arme vor der Brust verschränkt und grinste mich überheblich an. Seine gelben Augen blitzten vor diebischer Freude.
„Ok, du hattest deinen Spaß, jetzt lass mich durch!“, grummelte ich und wendete schnell den Blick ab, damit er mich nicht wieder aus dem Konzept bringen konnte. Ich wollte ihn zur Seite schieben, doch er blieb einfach stehen. Seine Brust unter meiner Hand fühlte sich verdammt warm an.
„Ich hatte? Ich habe gerade Spaß!“, lachte er. Seine Stimme war tief und angenehm. Sie passte perfekt zu seiner düsteren Erscheinung. Ich hatte das Gefühl, seine Worte und sein Lachen würden in meinem Brustkorb vibrieren.
„Lass mich durch! Der Unterricht fängt gleich an!“, murmelte ich vor mich hin.
„Und wenn schon.“, sagte er schulterzuckend.
„Hast du von dieser Party gehört? Heute Abend?“, fragte er neugierig.
„Ja hab ich.“, gab ich missgelaunt zurück.
Mit hochgezogener Augenbraue fragte er: „Wirst du auch kommen? Ich wurde von so einer Melanie eingeladen.“
„Ich bin nicht eingeladen. Ich wäre so wie so nicht gekommen.“ Ich zuckte mit den Schultern und drückte mich an ihm vorbei.
„Ich lade dich ein! Sie meinte, ich kann jemanden mitbringen! Ich hol' dich um 19 Uhr ab!“, rief er mir hinterher. Ich lief schnell weiter. Als würde ich da hingehen! Was bildete sich der Typ eigentlich ein? Er ruft und ich springe? Wollte er den Wohltäter spielen? Nicht mit mir mein Freundchen!Glücklicherweise besuchten wir nicht den gleichen Geschichtskurs. Das bedeutete zwar, dass es langweilig wurde, doch ich hatte wenigstens meine Ruhe vor ihm. So ein aufgeblasener Idiot! Klar, dass Melanie ihn eingeladen hatte. Sie machte sich an alles ran, was nicht bei drei auf den Bäumen war und nur halbwegs männlich aussah! Und bei so einem attraktiven... Nein! Stopp! Sowas wollte ich gar nicht erst von ihm denken! Er war ein Blödmann. Punkt. Die letzten Stunden und die Pausen brachte ich mal wieder hinter mich. In der Mittagspause sah ich ihn bei Melanie und ihrer Gefolgschaft sitzen. Da passte er auch hin! Irgendwie versetzte es mir einen leichten Stich, ihn da sitzen zu sehen. Bei all diesen eingebildeten, blasierten Vollidioten. Aber nein, es war schon richtig so!
Nach der letzten Stunde brachte ich, wie immer, meine Bücher zu meinem Schließfach und ging dann zum Parkplatz, wo Leonard schon ungeduldig auf mich wartete. Ich hatte wohl getrödelt. Insgeheim hatte ich gehofft, den Neuen nochmal irgendwo zu sehen, um ihm sagen zu können, dass ich garantiert nicht kommen würde. Schnell stieg ich ins Auto und wir düsten davon.
Mein Beschützer wollte mich, wie immer, nach meinem Tag fragen, doch mit einem scharfen Seitenblick gab ich ihm zu verstehen, dass ich nichts darüber sagen würde.
Schweigend fuhren wir nach Hause und schweigend stapfte ich nach einem kurzen „Bin zu Hause“ in mein Zimmer. Was bildete sich dieser Typ bloß ein. Hoffentlich hatte er nur einen Scherz gemacht, als er sagte, er wolle mich abholen. Ich setzte mich an meine Hausaufgaben, doch ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich sah immer wieder diese gelben Augen vor mir. Ich wurde immer wütender. Ich war eigentlich immer ein ruhiger Mensch, außer wenn mich etwas wirklich reizte. Dann konnte ich richtig jähzornig werden.
Gestresst knallte ich meinen Stift auf den Tisch und stand auf. Das würde heute nichts mehr werden. Ich schnappte mir ein Buch aus dem Regal und verzog mich auf meine Terrasse. Ich nahm ein Polster aus der Kiste und ließ mich in der Sonne auf der großen Liege nieder. Am Nachmittag schien die Sonne genau auf meinen Balkon. Es war zwar warm, doch das merkte ich kaum, da ich schnell in der „unendlichen Geschichte“ versank. Seit meinen Kindertagen hatte ich dieses Buch bestimmt schon tausende Male gelesen. Doch immer wieder, wenn es mir schlecht ging, trug mich der Drache Fuchur auf seinem Rücken in eine abenteuerliche und aufregende Welt. Ich merkte gar nicht, wie die Zeit verging, bis mich die Stimme meiner Mum zurück in die Realität holte.
Sie kündigte das Abendessen in 5 Minuten an. Nur widerstrebend kehrte ich ins Haus zurück und ließ das Buch aufgeschlagen auf dem Beistelltisch meines Bettes liegen. Ich würde später weiterlesen.
Gerade als ich mich, pünktlich um 19 Uhr, an den Tisch setzen wollte, klingelte es an der Tür. Mein Daddy schnaubte missbilligend und ging hinaus. Ich hörte ein undeutliches Gespräch. Schließlich kam er in die Küche zurück. Doch er war nicht mehr alleine: Hinter ihm folgte eine große, breite Gestalt mit schwarzen strubbeligen Haaren. 'Oh nein', dachte ich.
Mein Dad lächelte. „Du hast gar nicht gesagt, dass du eine Verabredung hattest, Isa!“ Er wirkte ziemlich aufgeregt. Klar, er hatte mir schon oft vorgehalten, dass ich für mein Alter viel zu oft zu Hause mit meinen Büchern blieb und doch ab und zu mal ausgehen solle. 'Mist Mist Mist!', schimpfte ich in mich hinein.
Laut sagte ich: „Hatte ich auch nicht!“
Grinsend ergriff Tom das Wort: „Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich abhole.“
Beim Klang seiner Stimme versteifte sich Leo plötzlich. Erst jetzt sah er den Fremden im Haus an.
„Alexander“, wandte er sich an meinen Vater, „ich denke, Isabella möchte nicht mit ihm gehen.“, wobei er das „möchte“ ganz merkwürdig betonte. Was hatte er nur? War ihm auch diese merkwürdige Präsenz aufgefallen, die ich in Toms Nähe immer wahrnahm?
„Ach jetzt hab dich nicht so Leo!“, meckerte mein Vater gespielt und fügte mit etwas zu autoritärer Stimme hinzu: „Sie wird mit Tom zu dieser Party gehen.“
Was lief da nur zwischen den Beiden? Sie unterhielten sich ganz normal, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es um mehr als nur eine Partybegleitung ging.
Jetzt schaltete sich auch meine Mum ein: „Ich denke auch, dass es Isabella mal gut tun würde, aus dem Haus zu kommen. Geh nach oben und zieh dich um Schatz.“ Sie lächelte mich an und ich seufze. Wie hatte es dieser Typ nur geschafft, meine Eltern so schnell um den Finger zu wickeln? Tom grinste siegessicher und ich wollte keinen Streit provozieren. Ich stand also vom Esstisch auf und verzog mich nach oben. Schnell machte ich mich ein wenig frisch und zog dann schwarze Hotpants und eine kurzärmlige, dünne, schwarze Bluse an. Meine Haare ließ ich einfach offen. Ich trug noch etwas violetten Lidschatten und Eyeliner auf, schlüpfte in meine schwarzen Absatzstiefel an, die bis unters Knie reichten und trottete nach unten. Im Allgemeinen ein taugliches Partyoutfit, auch wenn ich eigentlich gar keine Lust auf diesen ganzen Quatsch hatte. Was tat man nicht alles seinen Eltern zu Liebe?
Als ich die Küche betrat wandten sich vier Augenpaare zu mir. Alle wirkten sehr angetan von meinem Auftreten. Meine Mutter beschwerte sich nicht einmal über meine sehr kurzen Hosen. Ich hatte gehofft, sie würde ausflippen und mir doch verbieten, so nach draußen zu gehen. Falsch gedacht. Leider. Leo bekam den Mund gar nicht mehr zu und blickte schnell auf den Boden. Tom dagegen musterte mich mit deutlichem Interesse vom Schopf bis zu den Stiefeln. Seine Augen blitzten. Ich wurde rot und senkte auch den Blick. Erst jetzt war mir aufgefallen, wie heiß er in seinen Klamotten aussah. Er trug eine enge schwarze Lederhose, die an den Oberschenkeln schon beinahe spannte (Das ich mal einen Typen in so einem Teil tatsächlich heiß finden würde...) und dazu ein schlichtes, schwarzes, ärmelloses Shirt, das über seiner Brust deutlich eng saß. Gott, war der Typ gut gebaut!
Er bot mir seinen Arm an. Wie kitschig ist das denn bitte?
Leonard wollte gerade aufspringen, wohl um mich zu begleiten, doch mein Vater hielt ihn lächelnd am Arm zurück. Ich sollte ohne Leo als Rückendeckung ausgehen? Seit wann denn das? Unbehagen stieg plötzlich in mir auf.
„Also wie besprochen“, sagte mein Vater, „um 23 Uhr bringen Sie sie nach Hause. Immerhin ist morgen Schule.“
„Wie versprochen, Herr Lewington. Ich werde Ihre Tochter wohlbehalten nach Hause bringen.“, antwortete Tom höflich. Leo setzte sich sichtlich angefressen wieder auf seinen Platz. Der Arme.
Ich hakte mich zögernd bei Tom ein und wir verließen das Haus. Es war immer noch warm und die Sonne sandte ihre letzten Strahlen in die Straßen des Dorfes. Mein Begleiter führte mich zu einem schwarzen BMW. So eine Bonzenkarre! Aber irgendwie passte dieses Monster zu ihm. Galant öffnete er mir die Beifahrertür und ich stieg ein. Nur wenige Sekunden später nahm er selbst auf dem Fahrersitz platz und startete den Motor.
„Darfst du überhaupt schon fahren?“, fragte ich schnippisch.
Er überhörte meinen Ton und sagte: „Natürlich. Ich bin schon 21.“
„Ziemlich alt für nen Elftklässler.“, stichelte ich.
„Ich bin oft umgezogen.“, sagte er nur schulterzuckend und fuhr los.
Nach einigen Minuten des Schweigens meinte er vorsichtig: „Bist du mir irgendwie böse? Ich hatte doch gesagt, ich würde dich abholen.“
Giftig schoss ich zurück: „Klar, ich finde es super, wenn einfach über meinen Kopf hinweg entschieden wird, dass ich auf eine saublöde Party gehen soll, auf der nur Leute sind, die ich nicht kenne oder nicht leiden kann.“
„Du kennst mich.“, antwortete er lächelnd.
„Ich sagte ja bereits: 'Oder, die ich nicht leiden kann!'“, knurrte ich.
„Ach komm schoooon! Entspann dich mal! Was soll den schlimmsten Falls passieren?“
Ich ließ diese Frage unbeantwortet und sah stur aus dem Fenster. Vor meinen Augen spielten sich Horrorszenarien von irgendwelchen liebestollen Vollidioten und zickigen Tussen ab. Das konnte ich wirklich gebrauchen. Irgendwann parkte er neben einem großen Haus, aus dem man bereits im Auto die laute Musik hören konnte. Zumindest wussten die Städter, wie man eine Fete schmiss.
Tom stieg aus und noch bevor er mir die Tür aufhalten konnte, stand ich auf dem Bürgersteig.
„Nicht sehr damenhaft.“, kommentierte er mein Benehmen. Mir doch egal! Damenhaft.. Tse!
Nebeneinander gingen wir auf die Haustür zu. Und im Türrahmen stand natürlich genau die Person, die ich heute gar nicht sehen wollte: Melanie.
„Hallo Jack! Schön, dass du gekommen bist!“, flötete sie sofort los und fiel ihm praktisch um den Hals. Dann drehte sich ihr Kopf zu mir:
„Und was machst DU bitte hier?! Hatte ich nicht eindeutig gesagt, du bist NICHT eingeladen?“
Wäre Tom nicht gewesen, hätte sie wohl angefangen zu toben.
Freundlich und ruhig erklärte er ihr, dass er mich eingeladen hatte, weil sie doch meinte, er könne eine Begleitung mitbringen. Melanie schnaubte nur und trampelte mit wehendem Rock (Oder eher Gürtel...) zurück ins Haus. Tom lächelte mich an und verdrehte überdeutlich die Augen. Dann nahm er meine Hand und zog mich einfach hinein in den Lärm und den Gestank nach Zigaretten, Parfum und Alkohol.

Kapitel 3 - Die Party

Es war laut, die meisten waren betrunken und ich saß alleine auf einem Sessel mit einem Becher billigen Bieres und langweilte mich zu Tode. Tom war nach einigen Minuten irgendwo im Haus verschwunden. Wahrscheinlich knutschte er mit irgendeiner Tusse rum. Sollte mir nur Recht sein. Da war nur ein Problem: Er musste mich um 23 Uhr nach Hause fahren. Wenn ich alleine aufkreuzen würde, wären meine Eltern wohl ziemlich sauer. Sie hatten doch deutlich gemacht, dass Tom auf mich aufpassen würde. Als ich einmal ausgerissen war, mit 7 Jahren, war die Hölle los, weil ich alleine unterwegs war, ohne Begleitschutz. So einen Stress wollte ich mir nicht antun. Außerdem hatten sie mich ja zu einer Party gehen lassen und das mitten in der Woche. Ich wollte ihr Vertrauen nicht enttäuschen. Also saß ich brav meine Zeit ab und nippte ab und zu an der widerlich schmeckenden Brühe. Ich hatte noch nie wirklich Alkohol getrunken und ich mochte ihn auch nicht. Es schmeckte ekelhaft. Ich verstand nicht, wie die Leute es mögen konnten so etwas literweise in sich hineinzuschütten und dann völlig auszurasten und sich zum betrunkenen Obst zu machen.

Außerdem hatte ich schon als kleines Kind gelernt, dass ich meinen Blutkreislauf möglichst frei von irgendwelchen Schadstoffen halten musste.

Irgendwann begannen die Gäste alle Möbel zur Seite zu rücken um Platz zu schaffen. Murrend musste ich meinen Sessel verlassen. Nach wenigen Minuten war ein freier Platz geschaffen und als Melanie mit ihren Anhängerinnen auftauchte wurde auch schnell klar, wofür dieser gedacht war:Sie hatten eine Tanzfläche gebaut.

Die Weiber ließen ihre Hintern und Brüste mehr oder weniger im Takt wippen und schwingen. Dies brachte ihnen begeisterte und anfeuernde Rufe der anwesenden postpubertären Vollidioten ein. Sahen die denn nicht, dass diese Weiber gar nicht tanzen konnten? Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Nach und nach gesellten sich weite Gäste zu den Tanzenden und es schien, als würde der ganze Raum in Bewegung geraten. Ich fühlte mich eingeklemmt und mitgerissen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, mir würde die Luft wegbleiben. Ich hasste Menschenmassen. Zwischen ihren eingeklemmt zu sein hasste ich noch mehr. Verzweifelt versuchte ich, mir einen Weg nach draußen zu bahnen, doch ich kam nicht durch. In dem Moment in dem ich kurz davor war vor Panik zu schreien, fasste mich eine kräftige Hand an der Schulter. Ich wollte gerade herumfahren und dem dreisten Typen eine knallen, als er mich einfach hochhob und durch die Menge trug. Ich kreischte vor Schreck auf. Ich zappelte, doch ich kam nicht weg. Dann bemerkte ich, wer mich da aus der Menge trug: Wuschelige schwarze Haare und breite Schultern. Tom? Er hatte mich einfach über seine Schulter geworfen und ließ mich erst wieder runter, als wir das Haus durch die Hintertür verlassen hatten. Vorsichtig setzte er meine Füße auf den Boden und machte einen Schritt zurück, doch er ließ seine Hand auf meiner Hüfte.

„Alles in Ordnung?“, fragte er. Und er klang... Ehrlich besorgt. Konnte er doch nett sein?

„Ähm... Ja... Danke...“, murmelte ich verlegen vor mich hin. Er hatte mich einfach nach draußen GETRAGEN! Ich hasste es, wenn man mich hochhob. Doch er hatte mich aus einer unangenehmen Situation gerettet.

„Du hast etwas verstört ausgesehen.“, lächelte er freundlich.

„Ja, ich mag keine Menschenmassen.“, gab ich vorsichtig zu.

„Ich nur unter gewissen Umständen.“, antwortete er mit einem verschmitzten Lächeln. Was sollte das denn heißen?

Ich atmete tief durch und langsam beruhigte sich mein aufgeregter Herzschlag. Toms Anwesenheit hatte gleichzeitig etwas Beruhigendes und etwas Aufwühlendes. Er machte mich irgendwie nervös, aber auf eine angenehme Art und Weise. So etwas hatte ich noch nie einem Mann gegenüber empfunden. Ich musste mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass er ein Arsch war. Meine so sorgfältig aufgebaute Mauer gegenüber anderen Menschen durfte nicht ins Wanken geraten. Er durfte mir nicht zu nahe kommen.

Als hätte er meine Gedanken gelesen nahm er seine Hand von meiner Hüfte und trat noch einen Schritt zurück. Seine fehlende Berührung hinterließ einen merkwürdig kalten Fleck auf meiner Haut. Ich sah vorsichtig zu ihm auf. Seine durchdringenden Augen waren direkt auf mein Gesicht gerichtet.

„Du bist verdammt hübsch, weißt du das?“, sagte er plötzlich.Ich wurde sofort rot. Komplimente hörte ich selten. Schnell sah ich wieder zu Boden, damit er meine Verlegenheit nicht sah. 'Lass dich nicht blenden! Er ist nur ein Schürzenjäger!', rief ich mir erneut ins Gedächtnis.

„Was ist? Hab ich was falsches gesagt?“, fragte er unsicher. Unsicher? Dieser Typ konnte unsicher sein? Was war nur los mit ihm? Strotzte er nicht sonst immer vor Selbstsicherheit?

„Nein, nein.“, sagte ich schnell, „Ich bekomme nur selten Komplimente.“, gab ich zu.

Er lachte laut auf. Erschrocken sah ich ihn an. Lachte er mich etwa aus? So ein Idiot! Innerhalb von Sekunden war ich auf 180. Schnaubend drehte ich mich um und stolzierte zurück ins Haus.

„Isa!“, rief er mir hinterher, doch ich drehte mich nicht um.

Ich hatte wirklich gedacht er konnte nett sein, doch er hatte so eben das Gegenteil bewiesen. Was fiel ihm eigentlich ein, mich auszulachen? Ich versuchte, mich in der Menge zu verstecken, auch wenn mir gleich wieder unwohl wurde.

Plötzlich spürte ich eine Hand auf meinem Hintern und einen stinkenden Atem an meinem Ohr.

„Na Süße? Bock auf Schweinereien?“, lallte mir irgend ein Typ ins Ohr und presste seinen schwitzigen Körper an mich. Mir wurde schlecht.

„Nein danke!“, sagte ich und versuchte mich seinem Griff zu entwenden. Er ließ nicht locker:

„Ach komm schoooon! Is doch nur bisschen Spaß!“ Er rieb sich weiter an mir. Ich wollte ihn wegstoßen doch er hielt mich weiter fest und drängte mich gegen eine Wand. Dann begann er an meinem Hals zu saugen und zu schmatzen. Ich hätte mich beinahe übergeben. Verzweifelt versuchte ich ihn von mir wegzuschieben. Ich hatte keine Chance. Ich schrie um Hilfe, doch in dem Lärm schien mich niemand zu hören. Gerade als der Typ mir ungeniert in den Ausschnitt greifen wollte, versteifte er sich plötzlich und wurde mit Wucht von mir weggerissen.

„Finger weg!“, knurrte eine tiefe, vertraute Stimme. Seine Augen blitzten fuchteufelswild auf den kleineren Kerl herunter. Sein Knurren jagte auch mir einen Angstschauer über den Rücken. Es schien fast, als würde er die Zähne blecken. Irgendwie gruselig.

„Hey Mann! Keinen Stress!“, stammelte mein „Angreifer“ ängstlich. In seiner Situation hätte ich mir wohl auch in die Hose gemacht.

Knurrend stieß Tom ihn zur Seite und sah mich an. „Wir gehen.“, knurrte er aus tiefster Kehle. Das klang noch bedrohlicher als Leo, wenn er wütend war. Ich nickte nur, er nahm meine Hand und zog mich aus dem Haus, mitten durch die Menschenmassen. Wer ihm im Weg stand wurde einfach weggestoßen. Das brachte ihm natürlich aufgebrachte Zurufe ein, doch es schien ihn nicht zu interessieren. Meine erste richtige Party und es war ein absoluter Reinfall!

Er zerrte mich einfach ins Auto. Bevor ich protestieren konnte drückte er das Gaspedal durch und raste mit quietschenden Reifen vom Parkplatz.

„Tom?“, wimmerte ich, während ich mich am Sitz festklammerte.

„Was?!“, fuhr er mich an.

„Kannst du dich bitte beruhigen?“, fragte ich vorsichtig.

Jetzt erst schien er zu begreifen, dass er mit fast 90 Sachen durch die Innenstadt raste. Er verlangsamte das Tempo und entspannte seine Hände, die sich ums Steuer gekrallt hatten. Seine Gesichtszüge wurden wieder etwas weicher.

Ich atmete erleichtert durch.

„Entschuldige.“, seufzte er. „als ich dich mit dem Typen da gesehen habe, ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt. Ich dachte du... also er... naja...“, er schwieg plötzlich.

„Dachtest du etwa, ich würde mit dem rummachen?“, fragte ich empört.

„Hm naja... Nein... Also... Ja, irgendwie schon...“, stammelte er.

„Spinnst du?! Der war ekelhaft!“, protestierte ich.

„Da bin ich ja beruhigt.“, murmelte er.

War er etwa eifersüchtig? Oh mein Gott... Ich musste plötzlich kichern.

„Was?“, knurrte er geknickt.

„Nichts, schon gut.“, kicherte ich.

Er sah kurz auf die Uhr.

„Wir haben noch 2 Stunden. Soll ich dich heim bringen?“, fragte er, jetzt wieder in neutralem Ton.

Ich überlegte kurz. Klar, ich könnte den Abend endlich beenden. Doch irgendwie hatte ich keine Lust.

„Hmmm nein, lass uns noch irgendwas machen.“, sagte ich deshalb freundlich und lehnte mich zurück.

„Du willst wirklich mit mir alleine etwas unternehmen?“, grinste er belustigt, „Ich dachte du kannst mich nicht leiden?“

„Vielleicht ändere ich meine Meinung ja noch, wenn du dir Mühe gibst. Ich schulde dir was, du hast mich heute 2x gerettet.“ Ich zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern. In Wahrheit wünschte ich mir eigentlich noch etwas Zeit mit ihm zu verbringen. Vielleicht war er ja wirklich gar nicht so übel, wenn man ihn besser kennenlernte.

„Sicher? Ich könnte dich jetzt einfach entführen und verbotene Dinge mit dir anstellen!“, versuchte er mir Angst zu machen. Von der Seite konnte ich jedoch das Lächeln sehen, das seine Mundwinkel umspielte. Seine strahlenden Augen waren fest auf die Straße gerichtet.

„Sicher. Wenn du frech wirst, beiß' ich dir was ab!“, lachte ich. Gespielt ängstlich sah er kurz zu mir herüber und legte eine Hand schützend in seinen Schritt.

„Ich bin brav! Hoch und heilig versprochen!“, winselte er spielerisch.

„Na dann sind wir uns ja einig.“, kicherte ich und reckte das Kinn in die Luft.

„Wohin möchte die Prinzessin denn kutschiert werden?“, fragte er in einem altertümlichen Tonfall. Kurz stutzte ich bei dieser Anrede. Er konnte es doch nicht wissen, oder? Nein! Quatscht. Er machte doch nur Spaß!

„In die Stadt Kutscher! Bringe er mich in ein Lokal, in dem es Smoothies und Eis gibt!“, kicherte ich und zeigte mit einem Finger in die Nacht.

„Wie Prinzessin wünscht!“, lachte er und gab Gas. Sein Lachen war ein ungemein angenehmes Geräusch, dass in meiner Brust widerhallte.

Ich entspannte mich und beschloss, einfach den Abend zu genießen.

Wir hielten an einer kleinen Smoothiebar, die noch geöffnet hatte. Er hielt mir galante die Autotür und dann auch die Tür des Lokals auf. 'Ein richtiger Gentleman.', dachte ich.

Wir setzten uns in eine gemütliche Ecke und bestellten jeweils einen Blaubeer-Smoothie. Wir unterhielten uns über Gott und die Welt. Wir lachten und alberten rum. Er war tatsächlich ein netter Kerl, wenn er wollte. Und seine Augen waren einfach der HAMMER! Die zwei Stunden vergingen beinahe wie im Fluge. Ich ärgerte mich schon beinahe, als er bezahlte und mir seinen Arm anbot um mich zum Auto zu geleiten. Ich hakte mich ein und wir verließen lachend das Lokal.

Wir liefen gerade auf den Wagen zu und gerade, als er mir die Tür öffnen wollte, riss ihn irgendetwas von den Füßen. Es krachte.

„Was zur...“, wollte ich gerade ansetzen, da sah ich, was passiert war. Jemand hatte sich auf Tom gestürzt und ihn zu Boden geworfen. Ich hörte ein tiefes Knurren und Kampfgebrüll, während die beiden miteinander rangen. Was war denn bitte hier los? Ich hörte es noch einmal krachen. Der Fremde flog zur Seite und gab den Blick auf den ramponierten Tom frei. Seine Wange war geschwollen. Sein Gesicht war eine Maske der Wut. Es wirkte sogar, als ob seine Zähne zu langen spitzen Fängen geworden waren. Ich schüttelte den Kopf, doch der Eindruck verschwand nicht. Er sprang auf die Füße und wirbelte zu dem Angreifer herum. Seine Muskeln waren bis aufs Äußerste angespannt. Ich konnte mich vor Schreck nicht bewegen. Schützend stellte sich Tom vor mich, doch ich erhaschte einen Blick auf den Angreifer. Der fette Vampir von gestern! Seine Augen glühten und seine Fänge waren zu voller Länge ausgefahren. Was zur Hölle? Nein! Tom hatte ihn gesehen! Doch... Er wirkte nicht sonderlich geschockt... Ganz im Gegenteil... Er knurrte den Angreifer sogar noch an. Hatte er denn gar keine Angst vor ihm?

„Aus dem Weg du räudiger Köter!“, fauchte der blutdürstige Vampir. „Diese Prinzessin gehört mir!“

„Träum weiter!“, knurrte Tom zurück, „Nur über meine Leiche!“

Was ging hier nur vor? Ich begann vor Angst zu zittern. Tom war ein Mensch und er stellte sich einem tobenden Vampir in den Weg. Das würde er nicht überleben!

Ich wollte ihn gerade am Arm packen um ihn zurückzuhalten, da heulte er plötzlich laut auf. Ja, er heulte! Es klang wie ein Wolf. Wie ein wütender Wolf! Und als wollte er mir beweisen, dass ich mich nicht verhört hatte sah ich, wie er plötzlich noch größer und breiter zu werden schien. Seine Schultern bogen sich nach vorn, sein Shirt riss an den Schultern ein, auch seine Oberschenkel wurden noch muskulöser. Ich sah von hinten, wie seine Ohren länger wurden und auch seine Haare wuchsen plötzlich und hörten erst auf länger zu werden, als sie im struppig bis über seinen Rücken fielen. Seine Hände verwandelten sich plötzlich in lange Krallen. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Er war ein Werwolf! Natürlich! Darum hatte mein Instinkt angeschlagen! Er war kein Mensch!

Ich hatte von Werwölfen gehört und gelesen, doch ich hatte noch nie einen gesehen. Meine Eltern hatten mich immer vor seiner Rasse gewarnt. Sie sollten blutrünstig und rücksichtslos sein. Mein Tom, der liebe, freundliche Kerl, mit dem ich eben noch Blaubeer-Smoothies geschlürft hatte, war ein Werwolf? Oh mein Gott!

Mit einem tiefen Knurren stürzte er sich plötzlich auf den Vampir. Ich stieß einen erschrockenen Schrei aus. In Sekunden hatte er den Angreifer in eine angrenzende Gasse gezerrt und ich hörte reißende Geräusche und Schreie. Mir war klar, was ich da hörte. Einer der beiden wurden gerade zerfetzt. Obwohl ich Angst hatte und am ganzen Leib zitterte, wollte ich wissen, dass es nicht Tom war, der da im Kampf unterlag. Vorsichtig näherte ich mich der Gasse und was ich sah, trieb mir die Galle in die Kehle.

Tom hatte sich über den anderen gebeugt und riss ihn in Stücke. Ja wirklich! Er riss ihm die Gliedmaßen aus! Der Vampir schrie und wand sich vor Schmerzen. Ich beugte mich vor und erbrach mich in die Gasse. Bier, Blaubeer-Smoothie und Galle klatschten auf den Asphalt. Ich sah nicht mehr, wie Tom dem Fremden den Kopf abriss.

Als ich den Kopf wieder hob, wandte sich der halb verwandelte Werwolf zu mir um. Er schaufte vor Anstrengung und war von oben bis unten mit Blut verschmiert. Ich wich zurück, bis ich die Wand im Rücken spürte. Ich wollte nur noch weg. Dieser Anblick war zu viel für meine schwachen Nerven.

„Isabella...“, hörte ich eine vertraute, doch irgendwie noch tiefere Stimme und sah in vertraute gelbe Augen. Er streckte seine blutroten Krallen nach mir aus. Ich kauerte mich zitternd an der Wand zusammen.

„Nein... Komm mir nicht zu nahe!“, stammelte ich. Ich sah, wie meine Worte ihm einen Stich versetzten. Er blieb stehen und sah mich nur an. Ein kurzer schwarzer Flaum überzog sein Gesicht.

„Bitte...“, flüsterte er. „Bitte... Es tut mir Leid... Ich... Ich wollte dich doch nur beschützen!“, stammelte er.

„Du... Du bist ein Werwolf!“, wimmerte ich.

„Ja, das bin ich. Aber ich werde dir nichts tun! Ich... Bitte... Isabella!“

Ich zitterte immer noch. War das die Wahrheit? Hatten meine Eltern nicht immer gesagt, ich solle mich von Werwölfen fern halten?

Aber trotzdem... Zwischen all dem Blut sah ich immer noch Tom. Wenn ich in seine Augen sah, konnte ich den lachenden jungen Mann erkennen, der eben noch mit mir geredet hatte. Er ließ die Schultern hängen und sah mich traurig und unsicher an. Er hatte mich nur beschützt. Zum dritten Mal an diesem Abend. Ich beschloss, dass ich es ihm schuldig war, jetzt nicht wegzulaufen.

Vorsichtig streckte ich, immer noch zitternd, streckte ich eine Hand aus. Ganz langsam näherte er sich mir weiter. Er ließ den Blick gesenkt, bis meine Hand ganz vorsichtig seine Wange berührte. Ich spürte das weiche Haar unter meinen Fingern. Es war etwas verklebt, doch ich versuchte mich nicht daran zu stören. Meine Hand wanderte von seiner Wange zu seinen langen, weichen Ohren. Er senkte den Kopf und ich strich durch seine Haare. Sie waren genauso weich wie der Rest. Sie fühlten sich nicht länger menschlich an. Eher wie das Fell eines großen Hundes. Ich sah, dass er meine Berührung genoss. Ein tiefes Grummeln kam aus seiner Kehle. Es klang aber nicht länger bedrohlich. Eher wie ein Schnurren. Ich lächelte vorsichtig.

Nach einigen Sekunden hob er wieder den Kopf. Vor meinen Augen verwandelte er sich zurück in den menschlichen Tom. Sein Gesicht und seine Kleidung waren immer noch blutverschmiert.

„Du hast mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt.“, versuchte ich zu scherzen. Er sah verschämt zu Boden.

„Ich bringe dich jetzt besser nach Hause.“, murmelte er. Ich nickte zur Antwort nur. Als wir zum Auto gingen bemerkte ich, dass er humpelte.

„Hast du Schmerzen?“, fragte ich vorsichtig.

„Es geht schon. In ein paar Stunden ist das wieder heil.“, antwortete er, ohne mich anzusehen. Aha, Werwölfe hatten also ähnliche Heilungskräfte wie Vampire. Interessant.

Ich setzte mich neben ihm ins Auto. Ohne auf die teuren Polster zu achten ließ er sich neben mir auf den Fahrersitz nieder. Ich kramte Taschentücher aus meiner Handtasche um meine Hand sauber zu wischen. Es gelang mir nicht wirklich. Aber zumindest würde es nicht sofort auffallen.

Tom setzte mich vor meiner Haustür ab. Bis auf ein kurzes „Bis morgen“, sagte er nichts mehr. Ich war ein wenig enttäuscht. Schämte er sich so sehr dafür, dass ich seine Natur entdeckt hatte?Ich schloss die Haustür auf und wollte gerade in mein Zimmer schleichen, da erschien Leo am oberen Ende der Treppe.

„Was ist passiert?“, fragte er sofort und ohne Umschweife. Schnell schob ich meine verschmierte Hand in die Tasche meiner Hotpants.

„Was meinst du?“, fragte ich unschuldig.

„Du riechst nach Blut... Und... Nach Hund!“, knurrte er.

Ich wich ein Stück zurück. War er wütend?

„Ich weiß nicht, was du meinst.“, versuchte ich unschuldig zu klingen.

Er warf verzweifelt die Hände in die Luft.

„Da passe ich einmal nicht auf dich auf und dieser Köter bringt dich in Gefahr! Ich glaube es nicht!“ Er war stinkwütend.

„Hat er nicht!“, fauchte ich zurück. Er wusste es, warum also lügen. „Er hat mich vor diesem einen Vampir von gestern beschützt!“

„Beschützt?! Das ich nicht lache! Er wollte sich bestimmt nur an dich ranmachen! Diese Viecher sind alle gleich! Er will doch nur an dein Blut, Prinzessin!“, fauchte er.

Jetzt wurde ich richtig sauer. „Im Gegensatz zu dir hat er nichts davon bekommen!“, warf ich ihm an den Kopf. Das ließ ihn sofort verstummen. „Ihr Vampire nehmt doch mein Blut! Ich wüsste nicht, dass meine Eltern an Werwölfe verkaufen!“, fauchte ich.

„Das hat auch seinen Grund!“, gab er etwas kleinlauter zurück.

Ich wollte nichts mehr hören. Er kannte Tom nicht und wagte es über ihn zu urteilen. Ich stürmte einfach nach oben in mein Zimmer, direkt an ihm vorbei. Wie konnte er nur?

Ich knallte meine Zimmertür zu. Nur wenige Sekunden später hörte ich die Haustür ins Schloss schlagen. Frustriert ließ ich mich auf mein Bett fallen. Erst jetzt merkte ich, wie sehr mich die Erlebnisse erschöpft hatten. Ohne mich auszuziehen schlief ich ein.

Ich träumte sehr wirr in dieser Nacht. Doch immer wieder sah ich ein gelbes Augenpaar, das mich ungemein beruhigte. Erst in den frühen Morgenstunden hörte ich auf, mich hin und her zu wälzen und schlief traumlos.

Kapitel 4 - Unstimmigkeiten

Am nächsten Morgen erwachte ich ziemlich erschöpft. Der Schlaf hatte mir nicht wirklich gut getan. So schlecht hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen. Ich hätte meinen Wecker am liebsten gegen die Wand geknallt. Leider blieb mich nichts anderes übrig als aufzustehen. Ich schleppte mich ins Bad. Nicht einmal eine Dusche konnte mich aufwecken. Ich schminkte mich halbherzig. Ich wählte einen Knielangen violetten Rock und ein dazu passendes Spagettiträger-Top. Dazu einfache schwarze Sneakers. Ich war so demotiviert an diesem Morgen, dass ich mich nicht weiter um meine Haare kümmerte. Die wilden Locken umrahmten mein Gesicht mit den dunklen Augenringen.

Ich verschlang mein Frühstück in Schweigen. Leo lehnte an der Anrichte und blickte düster. Meine Mutter wollte wissen, was zwischen uns passiert sei, doch ich schwieg dazu.Ebenfalls ohne ein Wort zu wechseln fuhren wir zur Schule. Ich wollte so schnell wie möglich von Leo wegkommen. Ich hatte ihm seine Worte in der letzten Nacht immer noch nicht vergeben. Er sollte ruhig spüren, dass ich wütend auf ihn war. So sehr hatten wir uns noch nie gestritten. Sein trauriges Gesicht tat mir weh, doch ich sah nicht ein, warum ich nachgeben sollte. Er hatte sich daneben benommen. Er kannte Tom nicht. Ich war mir sicher, dass er mir nichts tun würde. Und ich hatte Recht: Nur Vampire tranken mein Blut und bezahlten dafür. Bisher war ich schließlich noch keinem einzigen Werwolf begegnet! Also konnte Leo auch nicht behaupten, dass diese nur mein Blut wollten!

Bevor ich aussteigen konnte sagte Leo traurig: „Ich will dich doch nur beschützen, Prinzessin.“Schnippisch gab ich zurück: „Wenn dein Schutz bedeutet, dass du Personen, die ich mag, vorverurteilst, ohne sie zu kennen, dann kann ich gut darauf verzichten!“

Mit diesen Worten stieg ich aus und eilte zum Unterricht. Die erste Stunde war Englisch. Ich freute mich darauf, Tom wiederzusehen. Lächelnd ließ ich mich auf meinen Platz sinken. Nicht einmal Melanies stechende Blicke konnten mich von meiner guten Laune abbringen. Es klingelte zur Stunde. Tom war noch nicht da. 'Vielleicht hat er sich nur verspätet.', dachte ich und versuchte, mich nicht verunsichern zu lassen. Er würde bestimmt noch zur Schule kommen. Schließlich wollte ich ihn wieder sehen! Er musste einfach auftauchen!

Je näher die Stunde dem Ende kam, desto unruhiger wurde ich. Er würde doch nicht krank sein, oder? Gestern war er doch noch richtig fitt. Naja, bis auf diesen kleinen Zwischenfall. Er hatte doch aber gesagt, seine Wunden würden heilen. Wo war mein Werwolf jetzt? Moment... MEIN Werwolf? War er das denn? Irgendwie wünschte ich mir, dass er mir gehörte. Wenn ich an ihn dachte wurde mir ganz warm. Ich spürte so etwas wie... Besitzerstolz in meiner Brust aufsteigen. Was war nur los mit mir?

Die Stunde ging zu Ende und er tauchte nicht auf. Auch in der zweiten und dritten Stunde erschien er nicht in der Schule. Langsam begann ich mir Sorgen zu machen. In der großen Pause fasste ich mir ein Herz und ging zum Sekretariat. Dort sagte man mir, dass Tom Jackson heute morgen angerufen hätte um sich krank zu melden. Meine inneren Alarmglocken begannen zu schrillen. Da stimmte etwas nicht!

Ich beschwatzte die Sekretärin so lange, bis sie mir Toms Adresse gab. Ich sagte ihr, ich wolle ihm die Hausaufgaben und Mitschriften des heutigen Tages bringen. Sie bläute mir ein, dass ich niemandem verraten sollte, dass sie mir die Adresse gegeben hatte. Sonst würde sie großen Ärger bekommen.

Die letzten Stunden verbrachte ich wie auf glühenden Kohlen. Das ungute Gefühl in meinem Bauch verstärkte sich, je länger der Unterricht dauerte. Als es endlich zum Schulschluss klingelte, rannte ich förmlich zum Parkplatz. Dort wartete Leo natürlich auf mich. Das war ein Problem, das ich nicht bedacht hatte. Ich ärgerte mich. Er würde mich sicherlich nicht einfach zu Toms Adresse fahren. Immerhin hatte er ein Problem mit meiner neuen Bekanntschaft. Ich überlegte fieberhaft, wie ich ihn loswerden konnte. Eine Grenze, die ich nie überschritten hatte. Ich war doch immer das brave, folgsame Mädchen gewesen. Warum hatte ich jetzt plötzlich solche Gedanken? Egal! Ich musste nach Tom sehen, sonst könnte ich nicht mehr ruhig schlafen. Irgendetwas in mir sagte mir, dass etwas nicht in Ordnung war und ich hatte nicht vor meinen Instinkt zu ignorieren.

Nachdem ich eingestiegen war sagte ich zu Leo: „Ich will in die Stadt, ich brauche neue Klamotten.“

Er schnaubte, doch er tat, was ich verlangte. Das war schließlich seine Aufgabe und ich war mir sicher, dass er nicht auf seine Bezahlung verzichten wollte.

Wir fuhren zu einer kleinen Boutique in der Innenstadt. Natürlich wusste ich, dass es von hier aus nicht weit zu Toms Wohnung war.

„Du wartest hier.“, befahl ich Leo. Er würde sicher nicht widersprechen. Er hatte schon oft vor dem Geschäft im Auto auf mich gewartet. Ich hatte meine eigene Kreditkarte und ich wusste meine Privatsphäre beim Shoppen schon immer zu schätzen. Das nutzte ich jetzt aus und schlenderte in den Laden. Um keinen Verdacht zu erwecken studierte ich tatsächlich die Auslagen und kaufte einen hübschen weißen Sommerrock. Außerdem noch eine dünne Mütze und eine Sommerjacke. Ich spazierte zur Kabine und probierte alles an. Es passte perfekt. Ich sprach eine der Angestellten an und sagte, dass ich die neuen Sachen am liebsten gleich anlassen würde. Sie wunderte sich zwar, aber die holte eine Schere, entfernte die Preisschilder und zog sie über die Kasse. Ich bezahlte mit Daddys Kreditkarte und spähte aus dem Laden. Leo saß immer noch im Auto und las ein Magazin. Perfekt, er war abgelenkt. Ich verstaute meine anderen Sachen in einer Tüte und spazierte einfach aus dem Laden. Ich wollte nicht direkt am Auto vorbeigehen, damit er mich nicht doch erkannte. Mit klopfendem Herzen entfernte ich mich von Leo. Ich wagte es nicht, zurückzublicken. Entweder er entdeckte mich und es gab sofort Ärger oder ich kam davon und musste mir erst später ein Theater anhören. Das war mir aber egal, wenn ich es nur schaffte nach Tom zu sehen.

Tatsächlich entfernte ich mich immer weiter von der Boutique, ohne, dass Leo mich aufgriff. Schnell verschwand ich in einer Seitengasse. Glücklicherweise hatte ich einen ganz passablen Orientierungssinn. Schnell und sicher fand ich die Adresse, nach der ich suchte. Es handelte sich um ein älteres Hochhaus. 10 Etagen und eine abgehalfterte Fassade. Ganz anders, als ich es gewohnt war. Schließlich war ich behütet in unserem schönen sauberen Haus aufgewachsen.

Ich suchte das Klingelschild ab und fand seinen Namen. Ich drückte den Knopf und wartete. Niemand ging an die Sprechanlage. War er nicht zu Hause? Aber er hatte sich doch krank gemeldet! Nein, er musste zu Hause sein! Immerhin hatte ich riesigen Ärger auf mich genommen. Da konnte er doch jetzt nicht abwesend sein! Ich war frustriert. Ich drückte mit der flachen Hand so viele Knöpfe wie möglich. Eine Stimme erklang aus der Sprechanlage.„Post für Sie!“, sagte ich. Der Summer ertönte und ich ging hinein. Laut Klingelschild wohnte Tom in der neunten Etage. Ich stieg in den Fahrstuhl und fuhr nach oben. Auf der Etage angekommen suchte ich die Klingelschilder nach seinem Namen ab und fand ihn schließlich an der letzten Wohnungstür. Dort hämmerte ich gegen die Tür.

„Tom! Mach auf! Ich bin es, Isabella! Komm schon, mach die Tür auf!“ Keine Reaktion. Ich horchte und meinte, aus der Wohnung Geräusche zu hören.

„Ich weiß, dass du da bist!“, rief ich noch einmal. „Mach die verdammte Tür auf und sag mir, warum du nicht in der Schule warst!“

Ich hörte es hinter der Tür poltern und schließlich öffnete sie sich tatsächlich. Was ich allerdings dahinter fand verschlug mir beinahe die Sprache.

Vor mir stand ein riesiger schwarzer Wolf. Erst als ich die gelben Augen sah erkannte ich ihn. Er machte eine Kopfbewegung, die mir sagte, ich solle eintreten. Ich hatte keine Angst. Warum wusste ich nicht, doch ich folgte dem Wolf, Tom, der mir in dieser Gestalt fast bis zur Brust reichte. Erst jetzt, während er vor mir durch den Flur lief, sah ich, was nicht stimmte. Er humpelte stark, sein Fell war zerzaust und an einigen Stellen verkrustet. Er sah völlig zerstört aus. Was war nur passiert? War er nach gestern in noch einen Kampf geraten? Er sah furchtbar aus.

Er führte mich durch die einfache, kleine Wohnung. Es war alles sehr einfach und farblos eingerichtet. Im Wohnzimmer befand sich ein kleiner Fernseher, eine einfache schwarze Ledercouch, eine alte Schrankwand und vor dem Sofa war ein Lager aus Decken und Kissen errichtet worden. Darauf ließ der Wolf Tom sich schnaufend nieder. Der kurze Gang zur Tür schien ihn erschöpft zu haben. Ich blieb wie angewurzelt stehen.

„Was ist passiert?“, fragte ich bestürzt. Er schüttelte nur seinen mächtigen Kopf. Wollte er nicht mit mir reden oder konnte er es in dieser Gestalt einfach nicht?

„Tom, bitte rede mit mir!“, sagte ich verzweifelt. Was war meinem Wolf nur widerfahren? Es brach mir das Herz ihn so zu sehen. Er begann über eine Wunde zu lecken, die sich an seiner linken vorderen Pfote geöffnet hatte. Als ich genauer hinsah erkannte ich, dass auch die Kissen und Decken in seinem Lager etliche Blutspuren aufwiesen. Sein Atem ging nur stoßweise. Ich musste ihm irgendwie helfen. Sein Zustand war so schrecklich. Ich ging ein paar Schritte auf ihn zu. Er knurrte mich warnend an. Er wollte wohl nicht, dass ich ihm zu nah kam.

„Ich will dir nur helfen.“, redete ich beruhigend auf ihn ein. Er sah mich mit hochgezogenen Lefzen an. In seinem Blick sah ich zum ersten Mal mehr das Tier in ihm, als den Menschen. Er war verletzt. Er war ein verletztes und verstörtes Tier. Genauso versuchte ich mich ihm nun zu nähern.

Ich redete beruhigend auf ihn ein, versuchte ihn mit meiner Stimme einzulullen. Immer wieder knurrte er. Ich meinte sogar, ein „Nein“ aus diesen Lauten zu hören. Ich ließ mich nicht beirren. Irgendwann sagte ich frustriert:

„Du hast mich rein gelassen! Jetzt halt die Klappe und lass mich dir helfen!“

Er zuckte sichtlich zusammen und senkte endlich den Blick. Er knurrte zwar immer noch, doch er ließ mich endlich zu sich treten. Ich legte eine Hand auf seinen riesigen Kopf und begann vorsichtig ihn zwischen den Ohren zu kraulen. Er entspannte sich sichtlich, wenn er auch wachsam blieb.

„Wir müssen dich erst einmal sauber bekommen.“, sagte ich bestimmt. „Komm, wir gehen ins Bad und sehen mal zu, dass wir den ganzen Schmutz von dir runter bekommen. Sonst entzünden sich die Wunden noch.“ Ich redete ruhig auf ihn ein, als würde ich mit einem kleinen Kind sprechen. Nach einer scheinbaren Ewigkeit erhob er sich schnaufend. Mir schien es, als würde sich in seinem Gesicht deutlich der Schmerz zeigen, den er spüren musste. So gut es ging stützte ich ihn auf dem Weg zum Badezimmer. Ihn in die Badewanne zu bekommen gestaltete sich mehr als schwierig. Er konnte kaum eine Pfote heben. Also beschloss ich, einfach das Bad unter Wasser zu setzen. Es handelte sich um eine vollgefließte Nasszelle und in einer Ecke befand sich ein Abfluss. 'Perfekt', dachte ich. Ich schloss die Tür und stopfte Handtücher in den Türspalt. Tom ließ sich während meiner Vorbereitungen auf den Fliesenboden sinken. Er war schon wieder zu erschöpft um zu stehen. Ich ging zur Badewanne und zog den Duschkopf aus der Halterung. Ich drehte lauwarmes Wasser auf. Vorsichtig näherte ich mich damit dem geschundenen Wolf zu meinen Füßen. Ich begann damit ihn an unverletzten Körperstellen einzuweichen. Dreck löste sich in Strömen aus seinem langen schwarzen Fell. Als ich mit dem Wasserstrahl die erste Wunder erreichte hob er den Kopf und knurrte mich gefährlich an. Er hatte große Schmerzen. Beruhigend begann ich wieder seinen Kopf zu kraulen.

„Alles gut. Ich will dir nicht weh tun, aber ich muss das sauber machen.“, flüsterte ich und drückte ihm einen Kuss auf die breite, pelzige Stirn. Er ließ den Kopf auf seine Vorderpfoten sinken und entspannt sich wieder.

So Leid es mir auch tat, ihm weh zu tun, es musste sein, wenn ich seinen Zustand verbessern wollte. Blut und Dreck lösten sich aus Fell und Wunden und flossen als braune Brühe in den Abfluss. Ich achtete darauf, nicht zu sehr auf den Wunden zu verweilen, doch ich tat mein bestes, sie zu reinigen. Tom ertrug meine Behandlung tapfer. Eigentlich wusste ich gar nicht, was ich tat. Ich war schließlich keine Krankenschwester. Doch ich handelte instinktiv. Ich brauchte beinahe eine Stunde um ihn einigermaßen sauber zu bekommen. Zwischendurch schafft er es, sich auf die Seite zu legen, damit ich mich um seinen Bauch kümmern konnte. Ich vergaß, dass ich mich gerade um Tom kümmerte und sah nur noch den verletzten Wolf vor mir. Ansonsten wäre ich wohl nicht so locker geblieben, während ich ihn wusch. Sein langes Fell klebte an seinem mächtigen Körper. Selbst jetzt konnte ich die Muskeln unter seiner Haut erkennen. Trotzdem sah er aus wie ein begossener Pudel und ich musste kichern. Er hob den Kopf und sah mich skeptisch an. Ich hätte nicht gedacht, dass man in einem Wolfsgesicht so viele Emotionen erkennen könnte.

Als ich ihm sagte, wie witzig er aussah schnaubte er nur und schnappte einmal spielerisch nach meiner Hand. Ich zog sie nicht zurück. Er würde mir nicht weh tun, da war ich mir sicher.

Nachdem ich die Dusche beendet hatte rubbelte ich ihn vorsichtig mit einem Handtuch trocken, damit er nicht anfing zu frieren. Schließlich griff ich mir einen Föhn, der auf einem wackeligen Regal lag und begann ihn trocken zu föhnen. Bei so einem riesigen Körper und so viel Fell gestaltete sich das ziemlich langwierig. Nachdem auch diese Prozedur beendet war fragte ich:

„Hast du irgendwo Wundsalbe?“

Er deutete mit der Nase auf einen kleinen Hängeschrank. Dort fand ich die gesuchte Salbe und außerdem noch Verbände. Perfekt.

Ich versorgte alle Wunden und verband sie so gut wie möglich. Beim Auftragen der Salbe hatte er geknurrt und gewinselt, doch ich ließ mich nicht beirren. Es würde ihm schließlich helfen. Auch wenn er eine überdurchschnittlich gute Wundheilung hatte, ich war mir sicher, dass so viele und so tiefe Wunden ziemlich lange brauchen würden um zu heilen. Nachdem ich ihn zurück ins Wohnzimmer verfrachtet hatte und sein Lager gesäubert hatte, wischte ich das Bad sauber und gesellte mich dann zu ihm. Er hatte die Augen geschlossen und atmete gleichmäßig. Scheinbar ging es ihm schon besser. Das Fell, das zwischen den weißen Verbänden hervorlugte, glänzte seidig. Er war schön, wenn man mal von den Mullbinden absah. Ich wusste, dass ich bald nach Hause musste. Ich würde mächtigen Ärger bekommen. Ich hatte geschlagene 2 Stunden gebraucht um Tom zu versorgen. Meine Kleidung war völlig verdreckt und durchnässt, doch das war mir egal. Ich wollte immer noch wissen, woher diese schrecklichen Wunden kamen. Ich setzte mich zu dem riesigen Wolf aufs Lager und kraulte wieder seine Stirn. Vertrauensvoll legte er seinen Kopf auf meine Beine und wieder vergaß ich, dass dieser Wolf auch eine menschliche Gestalt hatte. Es wäre mir sicher unendlich peinlich gewesen, wenn Menschen-Tom so in meinem Schoß gelegen hätte.

„Glaub ja nicht, dass das zur Gewohnheit wird.“, sagte ich tadelnd, während ich ihn weiter kraulte. Er schnaubte. Ich glaubte, er hatte mich verstanden. Aber er genoss meine Nähe ganz offensichtlich. Ich hatte mal gelesen, dass Hunde gerne mit anderen Artgenossen kuschelten, weil es ihr Rudeltrieb verlangte. Vielleicht war es ja bei Werwölfen ähnlich.

„Kannst du in der Gestalt reden?“, fragte ich neugierig.

Der Wolf neben mir knurrte leise. Es dauerte eine Weile, bis ich meinte aus dem Knurren Worte zu verstehen:

Kann ich, wenn man mir richtig zuhört.“, verstand ich plötzlich. Ich lächelte. Irgendwie war es lustig, dass er durch sein Knurren zu mir sprach. „Danke.“, fügte er hinzu.

„Wie ist dir das passiert?“, sprach ich direkt an, was die ganze Zeit in mir rumorte.

Tom senkte den Blick und atmete tief durch. „Ich kann es dir nicht sagen.“, knurrte er.

„Sag es mir, Tom.“, befahl ich ihm.

Leonard.“, grummelte er.

„Wie bitte?!“, ich meinte, mich verhört zu haben.

Er wollte mir zeigen, dass ich mich von dir fern halten soll. Das war seine Art mir eine Lektion zu erteilen.“ Plötzlich nahm er seinen Kopf von meinem Schoß und legte ihn wieder auf seine Vorderpfoten.

„Das kann nicht sein!“, protestierte ich. „Das glaube ich dir nicht! So etwas grausames würde Leo niemals tun!“

Er tötet seine Rasse um dich zu beschützen. Meinst du wirklich, er würde nicht Hand an einen Werwolf legen?“, knurrte mein Wolf.

Das klang plausibel. Viel zu plausibel.

„Warum sollte er mich vor dir schützen wollen? Du tust mir doch nichts... Oder?“, fragte ich vorsichtig.

Nein. Ich nicht.“, antwortete er vorsichtig.

„Was soll das heißen?“ Ich rückte ein Stück von ihm ab. Er atmete noch einmal tief durch, bevor er knurrend antwortete:

Das Rudel will dich haben. Du bist eine Blutprinzessin. Ich kann das riechen. Sie würden alles tun um an dich heran zu kommen.

„Das Rudel? Welches Rudel?“, fragte ich weiter nach.

Mein ehemaliges Rudel. Sie jagen dich schon, seit du geboren wurdest.“ Er winselte leise. Es klang irgendwie schuldbewusst.

„DEIN Rudel?!“ Ich konnte es nicht glauben. „Seit ich geboren wurde? Aber warum?“

Ehemaliges Rudel!“, knurrte er und ich konnte spüren, dass ihm dieser Unterschied sehr wichtig war. „Sie wollen dich, genauso wie die Vampire. Aber das warum solltest du von deinen Eltern erfahren. Das ist nicht meine Aufgabe.“

„Wie bitte?“ Ich verstand die Welt nicht mehr. Die Vampire und die Werwölfe wollten mich? Und meine Eltern wussten warum? Warum hatten sie mir nichts darüber gesagt? Hätte ich das nicht wissen sollen? Meine Gedanken überschlugen sich und mir wurde beinahe schwindelig. Was hatte das Alles zu bedeuten? Meine Eltern hatten ein Geheimnis vor mir. Eines, das scheinbar ziemlich weitreichend war. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Ich hatte wohl mit einigen Personen ein Hühnchen zu rupfen. Allen voran Leonard. Er würde büßen für das, was er meinem Wolf angetan hatte. Ja, MEINEM Wolf! Ich legte meine Arme um seinen Hals und vergrub mein Gesicht in seinem weichen Fell. Er roch ein wenig nach Hund, aber vor allem roch er nach Tom. Ein erdiger, männlicher Geruch und ein wenig Zitrone. Ein Geruch, der in mir eine unglaubliche Wärme und das Gefühl von Geborgenheit auslöste.

Nach einigen Sekunden löste ich mich wieder von ihm. Bestimmt und sicherer als ich mich fühlte sagte ich:

„Ich habe einige Dinge zu klären und du wirst mich begleiten!“

Tom schreckte bei diesen Worten auf. „NEIN!“, bellte er beinahe.

„Doch!“ Ich wollte ihn unbedingt bei mir haben, denn er gab mir die Sicherheit, die ich brauchte und er kannte die Wahrheit. Wenn er dabei war konnten meine Eltern mich kaum anlügen.

Leonard wird mich umbringen!“, knurrte er und zog die Lefzen hoch.

„Nein wird er nicht, dafür werde ich sorgen.“, sagte ich sicher. „Vertrau mir.“

Resigniert ließ er den Kopf sinken. „Ich vertraue dir mein Leben an. Lass mich nicht hängen.“, winselte er.

„Nein, keine Angst. Kannst du dich in einen Menschen verwandeln? Ein so riesiger Wolf würde auffallen...“, sagte ich vorsichtig. Ich war froh, dass er scheinbar verstanden hatte, dass ich dringend Antworten brauchte.

Wenn ich mich in einem Menschen verwandle, bringen mich die Wunden um.“, gab er vorsichtig zu. „Aber ich kann das hier...“, sagte er und plötzlich begann sein Körper zu schrumpfen, bis er die Größe eines großen Wolfshundes erreicht hatte. Nun schlackerten die Verbände um seinen Körper und ich zog sie schnell nach, damit die Wunden nicht wieder aufrissen. Danach zückte ich mein Handy. Ich hatte 35 verpasste Anrufe. Ich drückte die Kurzwahltaste und rief Leo an. Er klang sehr wütend, als er ans Telefon ging. Bevor er mir irgendwelche Vorhaltungen machen konnte sagte ich ihm, wo er mich abholen konnte. Ich legte auf, bevor er noch etwas sagen konnte. Gemeinsam mit Tom verließ ich die Wohnung. Er trottete neben mir, wie ein Hund, der vor kurzem in eine Beißerei geraten war. Als wir im Aufzug waren wurde ich nervös. Ich musste schnell sein, damit Leo keine Chance bekam, meinem Freund zu nahe zu kommen. Ich hatte meine Gabe noch nie bei ihm angewandt. Ich hatte Angst vor dem, was ich sehen würde. Als hätte Tom meine Nervosität gespürt stupste er mit seiner feuchten Nase gegen meine Hand. Ich kraulte über seine Stirn und er schmiegte seinen Kopf in meine Handfläche. Er beruhigte mich so ein wenig. Ich würde das schaffen, ganz sicher!Kaum, dass wir das Haus verlassen hatten, stoppte der silberne Auto mit quietschenden Reifen vor uns und Leo sprang heraus. Gerade als er mich anfahren wollte entdeckte er Tom in seiner Hundegestalt neben mir. Er fauchte und wollte auf ihn losgehen, doch ich erwischte Leo am Arm. In Sekundenschnelle schickte ich meine Gabe durch seinen Körper. Er erstarrte. Und dann kamen die Bilder:

Ich sah ein Baby, in den Armen einer fremden Frau. Ich sah, wie Leo aus einem Blutbeutel trank. Ich sah... Mich. Im Alter von 10 Jahren. Dann noch einmal mit 15 und schließlich sah ich mich auf der Treppe, in meinem Partyoutfit von gestern. Die gefühlsintensivsten Momente, die mein Beschützer seit Kindertagen erlebt hatte, hatten alle etwas mit MIR zu tun? Das hieß... Er war in mich verliebt? Nein! Das konnte doch nicht wahr sein. Wieso hatte ich das nie bemerkt? Schnell schüttelte ich diesen Gedanken ab, bevor Leo meiner Gabe entkommen konnte.

„Du wirst ihm NICHTS tun! Nie wieder!“, befahl ich dem Vampir vor mir. Ich spürte, dass er sich wehrte, dass er nicht gehorchen wollte, doch er hatte keine andere Chance. Er nickte, wenn auch widerstrebend.

„Fahr uns jetzt nach Hause. Wir müssen dringend reden. Und kein Wort!“, knurrte ich. Wieder nickte Leonard. Vorsichtig ließ ich ihn los. Er drehte sich um und stieg ins Auto. Ich winkte Tom zu, dass er mir folgen sollte und ins Auto steigen. Er sah fragend und misstrauisch zwischen mir und Leo hin und her.

„Erklär ich dir später.“, sagte ich nur und öffnete ihm die hintere Tür. Er kam langsam und mit wachsam aufgestellten Ohren auf mich zu, bevor er auf den Rücksitz kletterte. Es bereitete ihm sichtliche Schwierigkeiten. Ich half ihm, so gut ich konnte. Schließlich ließ er sich auf der Rückbank nieder und ich setzte mich auf den Beifahrersitz. Wie in Trance steuerte Leo den Wagen zu meinem Elternhaus. Dort angekommen half ich Tom von der Rückbank und er folgte mir uns Leonard durch den Garten zur Tür. Kaum übertraten wir die Türschwelle war der eine Bann, den ich Leo aufgeladen hatte, gebrochen. Er fuhr mich wütend an:

„Wie kannst du es wagen mich zu kontrollieren? Ich will dich schützen und du stellst dich zwischen mich und diesen räudigen Köter! Was fällt dir eigentlich ein einfach abzuhauen?! Ich habe die ganze verdammte Stadt nach dir abgesucht! Und du warst bei diesem Mistvieh! Und DU!!, wandte er sich an Tom, der sich ruhig auf seinen Hinten gesetzt hatte, „WIE kannst du es wagen, sie in deine Nähe zu lassen! Ich dachte meine Lektion war dir eine Lehre gewesen!“

KLATSCH! Meine Hand landete mitten in Leos Gesicht und hinterließ dort einen roten Abdruck. Ich hatte ihn geschlagen. Seine übermenschliche Geschwindigkeit hatte ihm nichts genützt. Ich hatte ihn überrascht. Erschrocken griff er an seine Wange. Sein Blick zeigte mir, dass ich mehr als nur seine Wange verletzt hatte. Ich hatte die Hand gegen ihn erhoben und das verletzte sein Herz.

Ich nutzte seinen Schrecken und warf ihm an den Kopf: „Erstens: Er ist kein räudiger Köter! Sein Name ist Tom Jackson und er ist ein Werwolf! Zweitens: Ich treffe mich mit wem ICH will! Drittens: Wie kannst du es wagen einen Freund von mir zu verletzen!? Du bist ein Angestellter meiner Familie! Nichts weiter!“ Die letzten Worte schrie ich ihm förmlich entgegen.

In seine Augen kehrte der Zorn zurück. Er antwortete laut: „Oh nein Prinzessin! Ich bin viel mehr als ein Angestellter! Ich bin dein Verl...“

„Leonard!“, donnerte die Stimme meines Vaters durchs Haus. Sofort verstummte der Angesprochene. Mein Dad kam durch den Flur auf uns zu. Er wirkte verstimmt. Als er uns erreicht hatte sagte er gezwungen ruhig: „Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir uns alle mal unterhalten.“ Er sah von einem zum Anderen. Leonard setzte plötzlich ein siegessicheres Lächeln auf. Tom nickte zustimmend und ich schnaubte vor Wut. Ich war stinkwütend auf alle. Außer auf den Wolf, der immer noch hinter mir kauerte. Ich spürte, dass er wieder seine natürliche Größe annahm und hörte Verbände reißen. Schnell drehte ich mich um, doch entgegen meinen Erwartungen begann er nicht aus allen Wunden zu bluten. Er schüttelte die Stofffetzen ab und stand nun in ganzer Pracht vor uns. Ein schwarzer Wolf mit glänzendem Fell. Ein riesiger schwarzer Wolf. Seine Wunden schienen plötzlich verheilt. Scheinbar hatte meine Hilfe sehr viel gebracht. Doch er machte keine Anstalten sich zurück in einen Menschen zu verwandeln. Scheinbar fühlte er sich gerade in dieser Gestalt am sichersten.

„Lasst uns in den Garten gehen.“, sagte mein Vater und ging uns allen voran durch die Hintertür aus dem Haus. Wir ließen uns alle auf der großen Terrasse auf Holzmöbeln nieder. Meine Mutter wartete bereits auf uns. Sie saß auf einem der Stühle und wirkte etwas blass um die Nase. Leo und mein Vater setzten sich auf die zwei anderen Stühle und ich nahm auf der Bank platz. Tom setzte sich neben mich und beinahe automatisch vergrub ich eine Hand in seinem weichen Fell. Er gab mir Halt und darüber war ich sehr froh. Ich konnte einen Freund gerade gut gebrauchen.

„Es ist wohl an der Zeit, dass du einiges über dich erfährst...“, setzte mein Vater an. Ich ahnte, dass dieses Gespräch mein Leben nachhaltig verändern würde.

Kapitel 5 - Die Last einer Blutprinzessin

Mein Vater hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und begann zu erzählen:

„Bevor ich beginne: Eigentlich solltest du das Alles erst zu deinem 18ten Geburtstag erfahren. Doch mir scheint, dass Herr Jackson dir bereits ein paar Dinge erzählt hat und ich sehe dir an, dass du dringend Antworten brauchst.“ Er seufzte einmal leise. „Damit du alles verstehst muss ich etwas weiter ausholen:

Wie du weißt, bist du eine Blutprinzessin und dein Blut ist etwas Besonderes für Vampire. Aber nicht nur das: Alle Rassen, außer den Menschen, sind so zu sagen scharf darauf. Werwölfe, Vampire, Werkatzen, Centauren, sie alle wollen es haben. Es stärkt sie ungemein und jeder Clan oder jedes Rudel, das dich in die Finger bekommt hätte davon einen riesigen Vorteil. Deine Mutter und ich wussten nichts davon, dass du etwas so besonderes bist, als du geboren wurdest. Wir waren in den ersten Wochen eine ganz normale Familie. Wir waren glücklich in England, bei deiner Großmutter. Doch schon nach einiger Zeit tauchte Leonard bei uns auf. Er war von seinem Clan geschickt worden, dem mächtigsten in ganz England. Die Vampire waren die ersten, die irgendwie von der Geburt einer neuen Blutprinzessin erfahren hatten. Er erklärte uns, was du bist und was das bedeutete. Wir wollten ihm nicht glauben. Wir hielten ihn für einen Verrückten mit angeklebten Fangzähnen. Du musst wissen, dass es nicht normal war, dass eine Familie nicht wusste, was sie da für ein Wunder in die Welt gesetzt hatten. Die Vorfahren deiner Mutter waren einmal von einem großen Geist gesegnet worden, auf das sie Blutprinzen und -prinzessinnen gebären konnten. Doch deine Großmutter starb, bevor sie deiner Mutter etwas darüber erzählen konnte. So erfuhren wir erst davon, als sich plötzlich alle möglichen Rassen bei uns die Klinke in die Hand gaben um uns Angebote für dich zu unterbreiten. Sie wollten dich uns abkaufen! Kannst du dir vorstellen, wie wütend wir waren? Nachdem wir sämtliche Angebote abgelehnt hatten wurden die Versuche langsam aufdringlicher und teilweise sogar gewalttätig. Sie alle wollten dich unbedingt in ihren Besitz bringen. Das konnten wir natürlich nicht zulassen! So entschieden wir, dass wir Schutz brauchten. Letzten Endes landeten wir so bei Leonard und seinem Clan. Er war uns nie feindlich gesonnen gewesen. Er hatte uns nie Geld geboten für dich. Wir befanden, dass er der ehrlichste von allen gewesen war. Also versprachen wir ihm, dass du... Nunja...“, er geriet ins Stocken, „wir versprachen ihm, dass du ihn heiraten würdest und zu seinem Clan gehen, sobald du 18 Jahre alt wärst. Dafür hatte er geschworen uns und dich zu schützen, bis es so weit sein würde...“

Mir blieb der Mund offen stehen und meine Hand verkrampfte sich in Toms Fell, was er mit einem kurzen Grummeln kommentierte.

Ich war verlobt? Mit Leonard? Und das, seit ich ein Baby war? Wie krank war das denn bitte?! Ich konnte einfach nicht glauben, was mir mein Vater da erzählte. Doch warum sollte er lügen?

„Ich will Leo aber nicht heiraten!“, begehrte ich auf. „Ich will mir meinen Mann selbst wählen!“

Ich war zu tiefst geschockt.

„Wir wussten, dass du so reagieren würdest...“, meldete sich meine Mutter mit dünner Stimme zu Wort. „Schätzchen... Bitte... Ich kann verstehen, dass das alles für dich wirklich verwirrend sein muss... Aber denk doch bitte auch an uns! Wir mussten dich beschützen! Wir mussten unsere Familie beschützen.“

„Und dafür habt ihr mich verschachert? Gegen meinen Willen?!“, ich kreischte beinahe. Das war alles zu viel für mich. Ich wollte nur noch weglaufen. Ich liebte Leonard nicht. Ganz sicher nicht!

„Jetzt weißt du es.“, ergriff Leonard das Wort. „Du gehörst mir und meinem Clan!“ Er war aufgesprungen und hatte mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Plötzlich sprang auch Tom auf und knurrte ihn bedrohlich an.

„Ruhe! Alle beide!“, donnerte mein Vater. Sie stierten sich immer noch an, doch sie gaben keinen Ton mehr von sich. Tom hatte sein Fell gesträubt und wirkte plötzlich doppelt so breit wie sonst. Ich zog schnell meine Hand weg.

„Ich gehöre niemandem!“, schrie ich in die Runde.

Ich habe es immer gesagt!“, knurrte Tom plötzlich. „Es ist ihre Entscheidung!

Ich sah ihn verwirrt an. Meine Mutter schüttelte entschieden den Kopf. Mein Vater nickte langsam.

„Annabelle und ich sind uns da nicht einig.“, sagte er langsam. „Ich denke auch, dass du selbst wählen solltest, mein Kind.“

„Und ich bestehe darauf, dass der Handel eingehalten werden muss!“, zischte meine Mutter dazwischen.

Ich sah zwischen meinen Eltern hin und her.

Isabella... Es wird Zeit, dass du auch erfährst, was ICH mit der Sache zu tun habe.“, schaltete sich nun wieder Toms tiefe knurrende Stimme ein.

Ich sah ihn erschrocken an. Er? Er hatte auch damit zu tun? „Was?“, zischte ich ihn an. Er zuckte sichtbar zusammen und sein Fell legte sich augenblicklich.

Eigentlich wurde ich von meinem Rudel gesandt, dich zu stehlen.“, gab er kleinlaut winselnd zu. „Ich und viele andere, von anderen Rassen, waren beziehungsweise sind, hinter dir her. Doch ich habe mich von meinem Rudel abgewandt. Ich wollte nichts mit all dem zu tun haben. Sie haben mich verstoßen. Du musst mir glauben wenn ich sage, dass dies das Schlimmste ist, was einem Werwolf passieren kann. Ohne die Familie und das Rudel sind wir nichts. Ich wurde von einer Gruppe aufgegriffen, die sich 'Die Rose' nennt. Wir sind eine Verbindung, die sich für den Schutz von Blutprinzen und -prinzessinnen einsetzt. Wir treten dafür ein, dass diese Menschen selbst entscheiden können, was sie werden wollen!“ Bei seinen letzten Worten knurrte er Leonard gefährlich an.

„Was sie werden wollen?“, fragte ich verwirrt nach.

Nun schaltete sich mein Vater wieder ein: „Es ist so mein Schatz: Je nach dem, für welche Rasse du dich entscheidest, wirst du zu einer von ihnen. Nicht gänzlich, aber du erhältst Fähigkeiten der jeweiligen Rasse. Du musst dich also entscheiden, was du werden willst.“

Ich sah ihn schockiert an. Ich war doch ein Mensch... Wie war das möglich. Mein Vater musste die Frage in meinen Augen erkannt haben, denn er sagte:

„Du bist kein normaler Mensch, meine Tochter. Du bist ein Wandler.“

Ich sank förmlich in mich zusammen. Das war alles einfach zu viel. Ich war verlobt, seit ich ein Baby war, ich wurde von allen möglichen Rassen gejagt, Tom war geschickt worden um mich zu holen und nun war er hier um mich zu schützen, meine Mutter wollte mich tatsächlich Leonard überlassen, ich war kein normaler Mensch... Was kam als nächstes? Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Ich war völlig überfordert.

Und anstatt es damit gut sein zu lassen setzte Leo noch einen drauf:

„Isabella, bitte. Ich möchte, dass du eines weißt: Ich wurde gesandt um dich in den Clan zu holen aber... Ich habe dich aufwachsen sehen und... Ich habe mich tatsächlich in dich verliebt...“, stammelte er.

Also hatte meine Vision doch nicht gelogen. Er liebte mich tatsächlich. Aber machte es das besser? Nein! Ich musste ja zugeben, dass ich einmal eine Schwärmerei für ihn gehegt hatte, aber das war noch während der Pubertät gewesen. Irgendwann hatte ich mich damit abgefunden, dass er einfach nur mein Beschützer war. Und jetzt? Mein Verlobter? NEIN!

Ich sprang auf und schrie: „Ich will nichts mehr hören! Ich will euch alle nicht mehr sehen!“ Mit diesen Worten rannte ich zurück ins Haus, rauf in mein Zimmer und schloss mich ein. Ich zog die Vorhänge vors Fenster und verkroch mich in meinem Bett. Allein und unter meiner Bettdecke versteckt fing ich an zu weinen. Das durfte alles nicht wahr sein! Ich wollte nichts mehr sehen, nichts mehr hören, nichts mehr wissen. Ich wollte nicht mehr da sein. Ich weinte noch stundenlang. Es ging mir einfach nicht in den Kopf, dass mein geliebter Beschützer mein ganzes Leben lang nur einen Plan mit mir gehabt hatte. Er liebte mich? Das ich nicht lache! Er wollte doch nur mein Blut! Und Tom? Mich beschützen? Mir meine eigene Entscheidung lassen? Er mochte sich zwar von seinem Rudel abgewandt haben, doch am Ende wäre doch auch er glücklich, wenn ich mich für die Wölfe entschied! Nein! Nein! Ich würde mich niemals entscheiden! Ich würde ein Mensch bleiben! Und ich würde keinem von diesen Blutsaugern mehr mein Blut geben! Ich gehörte nur mir, genau wie mein Blut! Es gehörte mir und niemandem sonst!

Mehrmals klopfte es an meine Tür. Ich hörte die Stimme meines Vaters, ich hörte das Knurren von Tom und seine Krallen, die an meiner Tür kratzten. Ich hörte, wie Leonard sich 1000 Mal bei mir entschuldigte und mir seine Liebe versicherte. Ich wollte es einfach nicht glauben.

Irgendwann hörte ich auch, wie meine Mutter meinen Namen sagte und mir mitteilte, dass sie etwas zu Essen vor die Tür gestellt hatte. Von ihr fühlte ich mich am aller meisten verraten. Sie war mit All dem einverstanden! Und von ihr hatte ich dieses verfluchte Gen, das an all dem Schuld war! Ihrer Familie hatte ich meine Lage zu verdanken! Ich fühlte mich völlig verlassen.

Als ich ein erneutes Kratzen an meiner Tür hörte stand ich schließlich doch auf. Von all den Personen in diesem Haus, war Tom der Einzige, den ich noch einigermaßen in meine Nähe lassen konnte. Nur durch ihn hatte ich von all dem erfahren und er war für mich da gewesen und war beinahe von Anfang an ehrlich zu mir gewesen.

Ich öffnete ihm die Tür und der schwarze Wolf spazierte an mir vorbei in mein Zimmer.

Hübsch.“, kommentierte er knurrend.

Ich verzog mich wieder auf mein Bett. Wenigstens blieb er in seiner Wolfsgestalt und fiel nicht als Mensch über mich her. Ich hatte mich zur Wand gedreht und mein verheultes Gesicht im Kissen verborgen. Plötzlich ächzte mein Bett. Er hatte sich tatsächlich neben mich gelegt! Ich spürte seine Wärme in meinem Rücken. Ich konnte nicht anders, als mich umzudrehen und mich an sein weiches Fell zu schmiegen. Es war wie ein Bedürfnis für mich. Genauso, wie ich mir eingestehen musste, dass ich mir ein Leben ohne Leonard kaum vorstellen konnte, so musste ich mir eingestehen, dass ich auch auf diesen großen Wolf nicht mehr verzichten konnte. Ich streichelte durch sein Fell und er knurrte genüsslich.

„Denk ja nicht...“ „Jaja, denk ja nicht, dass das zur Gewohnheit wird!“, unterbrach er mich. Ich spürte, wie sein Körper unter einem Lachen vibrierte. „Du trägst die Anlagen jeder Rasse in dir. Zu einem kleinen Teil bist du auch ein Wolf, Prinzessin. Und für Werwölfe ist es normal, die Nähe eines Artgenossen auf diese Art zu genießen.“, seine Stimme war ganz weich vor Belustigung. Ich nahm seine Worte einfach so hin und kraulte ihn weiter am Hals.

„Nenn mich bitte nicht Prinzessin.“, murmelte ich in sein Fell.

Wie du willst Isabella. Aber ob du es willst oder nicht, auch für mich bist du eine Prinzessin. Du bist etwas besonderes. Aber trotzdem ich gesendet wurde um dich zu schützen... Als ich dich da in der Klasse sitzen sah... Ich konnte mich einfach nicht von dir fern halten. Ich hätte es tun sollen, denn es ist uns bei der Rose verboten, uns unseren Schützlingen anzunähern. Es ist verboten einen 'Vorteil' herauszuschlagen. Aber ich konnte einfach nicht anders. Bitte versteh mich nicht falsch. Du bist eine wirklich gute Freundin. Du hast mich gepflegt. Du hast mich tatsächlich gerettet. Ohne deine Hilfe hätte ich den Kampf gegen meine Verletzungen vielleicht verloren.“ Er schnaubte.

„Du willst mich also nicht für deine Rasse gewinnen?“, fragte ich vorsichtig.

Doch, das will ich. Das will jeder von uns. Aber ich werde dich nicht zwingen. Ich meine Hey, es ist ziemlich cool ein Wolf zu sein! Aber andere Rassen haben auch ihre Vorzüge. Du musst entscheiden. Ich will nur, dass du weißt, dass ich immer für dich da sein werde. Als Freund.

„Danke.“, sagte ich ehrlich. Er hatte mich wirklich von seinen Absichten überzeugt. Er wollte als Freund für mich da sein? Als Freund... Wollte ich das? Irgendetwas in meinem Inneren meldete daran Protest an. Er war doch... Er war doch MEIN Wolf...

„Tom?“

Hm?

„Ist es normal, dass Wölfe... Naja... Sowas wie... Besitzansprüche an einem anderen Wolf fühlen?“, fragte ich vorsichtig. Mit einem Mal rückte er ein Stück von mir weg. Er sah mich durchdringend mit seinen gelben Augen an. Vorsichtig antwortete er:

Ja, so etwas kann vorkommen... Aber das... Nunja...“, er zögerte deutlich, „So etwas ist eigentlich ein Zeichen für eine tiefe Verbundenheit... Also... Wenn Werwölfe solche 'Ansprüche', wie du es nennst, fühlen... Dann ist das im Allgemeinen ein Zeichen, dass sie... Füreinander geschafften sind.“ Die letzten Worte flüsterte er beinahe. Wenn man bei seiner knurrenden Sprache von Flüstern sprechen konnte. Ich war verwirrt. Füreinander geschaffen? Sollte das etwa heißen, ich war in ihn verliebt? Nein! Er war nur ein Freund! Außerdem schien mein Geständnis ihn nicht zu freuen. Also versuchte ich, es runter zu spielen indem ich sagte:

„Also... Ich hab das nur mal gelesen... Irgendwo... Ich weiß gar nicht mehr wo... Hat mich nur mal interessiert...“

Sein Körper unter meiner Hand entspannte sich wieder. Es versetzte mir einen kleinen Stich, dass es ihn so zu erleichtern schien, dass ich scheinbar nicht meine Gefühle mit dieser Frage beschrieb.

Isabella... Darf ich dich etwas fragen?“, setzte er vorsichtig an, den Blick an irgendeinen Punkt an der Wand gerichtet.

„Ja klar.“, sagte ich und versuchte, mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

Liebst du Leonard?“ Seine Frage fühlte sich für mich an, wie ein Schlag ins Gesicht. Und doch brachten mich seine Worte dazu, noch einmal nachzudenken. „Ich meine“, setzte er hinzu, „er liebt dich ehrlich. Ich kann seine Zuneigung spüren, wenn er dich ansieht. Und... ich konnte seine Wut riechen, als er mich angriff. Eine Wut, die aus Liebe zu einer Frau geboren wurde... Nicht aus irgendwelchen Abkommen und Versprechungen für seinen Clan.“ Er nuschelte die letzten Worte vor sich hin. Es schien ihm schwer zu fallen, sie auszusprechen. Ich drehte mich auf den Rücken, ohne meine Hand aus seinem Fell zu nehmen.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete ich ehrlich und ich spürte, wie er sich kurz verspannte. „Ich kenne ihn, seit ich denken kann. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das Leben ohne ihn wäre. Mit ihm zu streiten tut mir weh... Ich habe mal für ihn geschwärmt... Aber... Ob ich ihn wirklich liebe... Ich weiß es nicht. Er war immer nur mein Beschützer und ein Freund. Nicht mehr und nicht weniger. Das Alles ist so neu für mich... Ich weiß es nicht.“

Er knurrte bei meinen Worten, doch er sagte nichts. Er schien mich zu verstehen. Das spürte ich irgendwie. Es war merkwürdig, doch wenn er mir nah war, dann hatte ich das Gefühl, dass zwischen uns eine Art Verbindung existierte. Es war wie bei Leo, wenn er meine Gedanken und Gefühle förmlich erraten konnte. Ich war völlig verwirrt von meinen Gefühlen. Ich brauchte dringend Klarheit über alles.

„Kannst du mir etwas versprechen?“, fragte ich Tom.

Was immer du willst.“, antwortete er freundlich, beinahe liebevoll.

„An meinem 18ten Geburtstag wirst du mich zu den Leuten der Rose bringen!“, sagte ich fest. Ich brauchte einfach Gewissheit. Ich wollte mich frei entscheiden. Und ich spürte, dass diese Leute mir dabei helfen konnten.

Ich verspreche es Isabella.“, knurrte er ruhig.

Ich lächelte und kuschelte mich wieder an ihn. Kurze Zeit später war ich, eingehüllt von seiner Wärme und seinem tiefen Brummen, traumlos eingeschlafen.

Kapitel 6 - Ein Tag wie kein anderer

Als ich am nächsten Morgen erwachte war das Erste, was ich wahrnahm, ein leises Schnarchen. Verwirrt öffnete ich die Augen. Beinahe hätte ich vor Schreck gequiekt, als ich nur schwarze Haare vor mir sah. Nur langsam schaltete sich mein verschlafener Verstand ein. Das schnarchende Fellkneul da neben mir... Das war Tom! Natürlich! Ich war gestern neben ihm eingeschlafen. Moment... Er schnarchte? Ich musste kichern. Ein schnarchender Werwolf! Ich setzte mich vorsichtig auf. Die Sonne knallte in mein Fenster. Moment! Wie spät war es? 12 UHR?! Ich hatte völlig verschlafen! Ich wollte gerade aufspringen und mich anziehen, da schlugen die anderen Erkenntnisse des vergangenen Tages über mir zusammen. Ich blieb wie versteinert sitzen. Plötzlich bewegte sich Tom neben mir. Ohne die Augen zu öffnen murrte er: „Leg dich wieder hin. Ich habe deinen Wecker ausgeschaltet. Dein Vater war einverstanden dich heute krank zu melden.“ Er streckte sich auf meinem Bett aus. Er legte sich auf die Seite, öffnete aber immer noch nicht die Augen. Er gähnte herzhaft, wobei er eine Reihe spitzer Reißzähne zeigte. „Leg dich wieder hiiiin!“, murrte er noch ein weiteres Mal. „Wir haben heute frei.“

Ich musste kichern. „Du bist wirklich kein Morgen... Wolf, oder?“, lachte ich.

Nein.“, grummelte er zurück. „Wölfe lieben den Mond. Nicht die Sonne.“ knurrte er den Feuerball an, der seine Strahlen durch die Vorhänge sandte.

Es hätte nur noch gefehlt, dass er sich die Decke über den Kopf zog. Ich trat neben das Bett und strubbelte kräftig sein Fell durch. „Looos! Aufstehen du Faulpelz!“ Rief ich ihm zu.

Er knurrte spielerisch und bleckte die Zähne. Dann stürzte er sich ohne Vorwarnung auf mich. Ich landete auf dem Rücken und er war plötzlich über mir.

Kleine Morgenwäsche gefällig?“, knurrte er spielerisch. Er ließ die Zunge heraushängen und hechelte wie ein Hund.

„Ooooh Nein! Tom! Nein! Wag es jaaa nicht! Nein nein neineinein! AAAHHHHH!“ ich kreischte. Er leckte mir quer übers Gesicht. Und er ließ nicht locker. Ich schrie lachend um mein Leben.

Und dann ging plötzlich alles ganz schnell: Es krachte und meine Tür sprang auf. Leonard stürmte ins Zimmer und zerrte Tom von mir fort. Er hatte vor Wut die Fangzähne gebleckt und fauchte wie wild. Gerade als er ausholen wollte stoppte er mitten in der Bewegung. Er konnte es nicht. Ich hatte ihm verboten Tom anzugreifen. Ich hatte mich erschrocken, doch nun atmete ich erleichtert auf. Leo hatte die Situation wohl falsch interpretiert. Er hatte meine Schreie gehört und dann Tom über mir gesehen. Er musste gedacht haben, dass ich in Gefahr war. Ich wischte mir die Wolfssabber aus dem Gesicht und sagte, nach Luft ringend:

„Beruhige dich Leonard! Es war nur Spaß! Wir haben nur rumgealbert!“

Er fuhr zu mir herum, als wollte er sicher gehen, dass mir tatsächlich nichts fehlte.

„Ich habe dich nur schreien gehört... ich dachte... Also, dass er...“, stammelte er verwirrt.

„Ganz ruhig, mir geht es gut. Ich bin nur etwas..... vollgesabbert.“ Das letzte Wort knurrte ich zu Tom, der sich gerade wieder aufrichtete und sein Fell schüttelte, als wäre er nass geworden.

Ist der immer so cholerisch?“, knurrte er Leo an, doch die Frage ging eindeutig an mich.

Ich antwortete: „Nur, wenn es um meine Sicherheit geht.“, und zuckte mit den Schultern. Das war völlig normal für mich. Ich war ihm nicht böse, dass er so reagierte. Trotz allem, oder gerade deswegen, wollte er mich nur beschützen. Ich sah zwischen ihm und Tom hin und her. Zwei Männer... oder eher... Wesen... wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Mein strahlender weißer Vampir, mit seinem blonden Haar, den feinen Zügen und der hellen Kleidung. Gegenüber mein schwarzer Wolf. Ich rief mir seine menschlichen Züge in Erinnerung. Er hatte ein kantiges, groberes aber nicht weniger attraktives Gesicht. Seine Haare waren kurz und schwarz. Beide Männer waren breit gebaut und groß. Leonard war etwas größer, Tom dafür ein Stück breiter. Leonard war der Inbegriff von Eleganz. Tom stand für ungezähmte Wildheit. Und beide konnten tödlich sein. Und beide wollten mich beschützen. Konnten sie sich nicht einfach vertragen?

„Leo, wir müssen reden!“, beschloss ich laut. „Tom, du bleibst hier im Zimmer oder gehst nach unten, etwas essen. Ich brauche Zeit mit Leo unter vier Augen.“

„Wie du wünschst, meine Prinzessin.“, sagte Leo. Tom stand auf, kam auf mich zu, schmiegte kurz seinen Kopf an meine Brust und verließ dann mein Zimmer. Ich sah zu Leo auf und bedeutete ihm, mir auf den Balkon zu folgen. Ich brauchte ein bisschen frische Luft. In der Sonne ließ ich mich auf einem der Stühle nieder. Er tat es meinem Beispiel gleich. Wir saßen uns gegenüber. Die Sonne ließ seine blonden Haare leuchten. Ich überlegte fieberhaft, wie ich das Gespräch beginnen sollte. Er schwieg und ließ mir Zeit. Nach einigen Minuten des Schweigens setzte ich vorsichtig an:

„Du sagst du liebst mich. Stimmt das?“ Ich sah ich fest in die Augen. Tom hatte es mir bereits bestätigt, doch ich wollte es aus seinem Mund hören.

„Ja.“, antwortete er schlicht, doch es lag so viel Gefühl in diesem einen Wort, dass ich gar nicht anders konnte, als ihm zu glauben.

„Warum willst du mich dann in mein Schicksal zwingen?“, fragte ich offen.

„Ich... Ich will dich nicht zwingen... Also... Nicht mehr.“, stammelte er. „Ich würde mir wünschen, dass du dich aus freien Stücken für mich entscheidest.“ Er spielte unsicher mit dem Ring an seinem Finger. Sein Familienring. „Aber du musst bitte auch verstehen, dass... Weißt du... Mein setzt zu Hause hohe Erwartungen in mich. Der Clan... Meine Eltern... Sie wollen dich in unserer Mitte wissen. Ich wurde zu deinen Eltern geschickt um dich für mich und somit für die Familie zu gewinnen. Und bis dieser... Wolf... auftauchte war ich mir auch sicher, dass du mich nehmen würdest, wenn du von unserer Verlobung erfährst...“, stammelte er weiter. Ich hatte ihn noch nie so unsicher erlebt. Dann fuhr er fort: „Ich kann es kaum ertragen, dass du ihn mir vorziehst...“, in seinen Augen sah ich deutlich, wie sehr ihn das verletzte. Klar, ich hatte noch nie einen anderen Mann in meine Nähe gelassen, als ihn. Und jetzt hatte ich sogar die Nacht mit Tom verbracht. Gut, in meinen Augen mit Wolf-Tom und nicht mit Menschen-Tom, was für mich einen großen Unterschied ausmachte, doch für Leo war das so ziemlich das Selbe. Ich konnte ihn irgendwie verstehen. Er war schlicht und ergreifend eifersüchtig.

„Und was, wenn ich nicht mit dir zu deinem Clan gehen möchte?“, fragte ich vorsichtig.

„Dann kann ich es nicht ändern. Doch sie würden mich verstoßen.“ Er senkte traurig den Blick. Er tat mir Leid. Doch ich konnte einsehen, dass ich nur wegen seiner Familie gegen meine Gefühle handeln sollte. Vorher brauchte ich Sicherheit. Ich musste mehr erfahren. Ich stellte Leonard eine ähnliche Frage wie gestern Tom:

„Wirst du mich zu meinem 18ten Geburtstag zur Rose begleiten?“

Er zögerte. Ich sah, dass er einen inneren Kampf ausfocht. Er wusste, dass ich trotzdem gehen würde, wenn er ablehnte. Und dann würde er mich ganz verlieren. Und auch wenn er mich begleitete bestand die Chance, dass ich mich gegen ihn entschied. Und doch bestand dann auch die Möglichkeit, dass ich mich FÜR ihn entschied. Er nickte schließlich zögernd.

„Wie du wünschst, meine Prinzessin.“, sagte er schicksalsergeben.

„Tom wird uns auch begleiten.“, stellte ich trocken fest.

„Das habe ich mir schon gedacht.“, grollte Leo.

„Du wirst dich mit ihm vertragen!“, befahl ich mit fester Stimme. Er nickte, während er sich auf die Lippen biss.

Schließlich befand ich, dass alles gesagt war, was gesagt werden musste und stand auf. Ich kehrte in mein Zimmer zurück und betrat meinen Kleiderschrank. Ich entschied mich für ein leichtes Sommerkleid in einem dunklen Grün. Es hatte einen Gürtel, der die Taille betonte und ging bis zu den Knien. Der V-Ausschnitt zeigte ein wenig meiner weichen Haut im Dekolletee. Ich war trotz des Sommers noch ziemlich blass. Ich wurde nie wirklich braun. Das ärgerte mich ziemlich. Ich war einfach viel zu weiß. Meine Augenbrauen, meine Wimpern, meine Augen, meine Haut. Alles viel zu hell für meinen Geschmack. Ich verzichtete trotzdem auf neue Schminke, nachdem ich die Überreste von gestern entfernt hatte. Das Meiste hatte Tom ja schon weggeschlabbert. Ich kicherte bei der Erinnerung. Ich ging barfuß nach unten. Die Fliesen waren warm unter meinen Fußsohlen. Als ich in die Küche kam, musste ich lächeln. Tom saß mit meinem Vater am Esstisch und verschlang ein reichhaltiges Frühstück. Er hatte sich wieder in seine menschliche Form verwandelt und trug eine Hose von Leo und ein Shirt von meinem Vater. Er sah absolut nicht gestylt aus, sondern irgendwie ganz natürlich. Er lächelte sein unwiderstehliches Aufreißerlächeln, als er mich erblickte. Mein Vater deutete auf den eingedeckten Platz am Tisch. Omelette und Toast grinsten mich förmlich an. Erst jetzt merke ich, wie hungrig ich eigentlich war. Ich setzte mich an den Tisch und stürzte mich auf mein Frühstück. Es schmeckte köstlich. Leo lehnte an der Anrichte, wie immer. Er schien sich ein wenig entspannt zu haben, auch wenn ihm Toms Anwesenheit nach wie vor nicht zu passen schien. Er warf ihm immer wieder Blicke zu, die einen Menschen wahrscheinlich getötet hätten. Ich versuchte das weitestgehend zu ignorieren.

In Schweigen beendeten wir unser Essen, auch wenn ich meinen Blick manchmal über Tom schweifen ließ und dann zu Leo. Wie hatte ich es nur geschafft, zwei solch heiße Kerle als Bodyguards zu bekommen. Und einer von beiden liebte mich sogar... Und eins stand für mich fest: Egal was passierte, wenn wir zu den Leuten der Rose gingen, ich würde mich gegen keinen der beiden entscheiden. Ich würde ein Mensch bleiben. Da war ich mir sicher. Wenn eine Entscheidung bedeutete, einen von ihnen zu verlieren, würde ich sie nicht treffen.

Ich befand, dass es nun an der Zeit war, meinen Vater und meine Mum über meine Entscheidung zu informieren. Ich rief nach meiner Mutter, die kurze Zeit später die Küche betrat. Sie sah sehr müde aus. Ihr Gesicht war verquollen. Scheinbar hatte sie die ganze Nacht geweint. Ich teilte meinen Eltern meine Entscheidung mit, nach meinem 18ten Geburtstag die Rose zu besuchen. Mein Vater nickte verständisvoll. Meine Mutter schluchzte nur und verließ die Küche. Sie hatte kein Wort gesagt. Ich hatte sie wohl bitter enttäuscht. Aber das war mir egal. Ich versuchte fröhlich zu wirken und sagte in die Runde:

„Und was machen wir jetzt mit dem angefangenen Tag?“ Alle sahen mich an. Vermutlich hatte mir keiner der Anwesenden zugetraut, dass ich das Erlebte so gut wegstecken würde. Das Einzige, das mir die Kraft gab durchzuhalten und nicht verrückt zu werden war die Tatsache, dass ich bald mehr erfahren würde. Und der Anblick meiner Zwei Beschützer. Ich wusste nicht warum, aber wenn ich sie hier so vor mir sah fühlte ich mich sicher. Ich wusste, dass die beiden sich vermutlich gegenseitig zerfleischen würden, wenn sie könnten, doch ich würde das nicht zulassen. Irgendwann würden sie sich vertragen, da war ich mir sicher.

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht merkte, wie ich mir in den Finger schnitt, während ich eine Orange schälte. Erst als Leo und Tom gleichzeitig zusammenzuckten und mich durchdringend ansahen bemerkte ich den Schmerz in meinem Finger. Oh Mist! Ich war doch sonst immer so umsichtig mich in Gegenwart anderer Rassen nicht zu verletzen! Ich hatte geträumt!Erschrocken sah ich zwischen den beiden hin und her und versuchte meinen Finger im Stoff meines Kleides zu verbergen. Ich wusste, dass sie es trotzdem riechen konnten. Leos Augen begannen zu blitzen und Tom begann zu Knurren. Ich sah, wie ihm langsam Fell im Gesicht spross und seine Haare länger wurden. Leos Gesichtszüge wurden härter. Seine Fänge blitzten auf. Schnell stand ich auf und rannte in mein Bad. Doch es war schon zu spät. Sie hatten das Lied meines Blutes vernommen und die Bestien in ihnen waren erwacht. Sie stürzten mir zeitgleich hinterher. Sie wären beinahe noch übereinander gestolpert. Wäre die Situation für mich nicht so gefährlich, hätte ich es komisch gefunden. Ich erreichte gerade so das Badezimmer. Gerade als ich die Tür abschließen wollte krachte es und ich wurde zurückgestoßen. Ich hatte die Tür gegen den Kopf bekommen und mir wurde kurz schwarz vor Augen. Ich stolperte nach hinten und landete auf meinem Hintern. Ein halb verwandelter Tom und ein fauchender Leonard stürzten durch die Tür. Ich schrie erschrocken auf, als sich zwei mächtige Körper auf mich stürzten.

„Stopp!“, kreischte ich ängstlich. So wild hatte ich sie noch nie erlebt. Ich wusste ja, dass mein Blut eine besondere Wirkung hatte, aber, dass mich meine eben noch lieben Beschützer deswegen angreifen würden machte mir richtig Angst. „Hört auf!“, schrie ich noch einmal, gerade als Leo seine Fänge in meinen Hals schlagen wollte. Plötzlich erstarrten beide. Mein Atem ging heftig und mein Herz flatterte wie ein kleiner Vogel im Käfig. Leo lehnte über mir, ganz nah an meinem Hals und Tom hielt mein Handgelenk in seinen Klauen. Ich zitterte vor Angst. Beinahe gleichzeitig prallten beide von mir zurück. Ich sah, wie sehr sie sich zusammen reißen mussten. Wolf und Vampir zitterten vor Anstrengung. Tom hatte sich schneller wieder in der Gewalt und stieß Leo von mir runter. Vermutlich, weil er den Geschmack meines Blutes noch nicht kannte. Schnell krabbelte ich auf dem Hintern ein Stück von den beiden weg. Ihre Gesichtszüge waren immer noch animalisch verzerrt.

„Tom! Leonard! Wacht auf! Ich bin es! Isabella! Ich bin nicht euer Frühstück!“, fauchte ich sie an. Meine Stimme brach am Ende. Langsam kehrten beide wieder zu mir zurück. Ich konnte förmlich mit ansehen, wie aus den Bestien wieder meine Freunde und Beschützer wurden. Tom heulte schmerzverzerrt auf. Leo wandte verschämt den Blick von mir ab. Plötzlich taten sie mir Leid. Alle beide, wie sie da am Boden knieten. Es tat ihnen Leid, was sie beinahe getan hätten. Sie konnten nichts gegen ihre Natur tun. Sie blieben beide sitzen. Keiner bewegte sich. Ich stand vorsichtig auf und wusch meinen Finger. Die Wunde war so klein, dass sie sich schon geschlossen hatte. Sie hatten sich immer noch nicht bewegt. Ihre Blicke waren zu Boden gesenkt.

Entschlossen ging ich auf sie zu. Ich musste ihnen zeigen, dass ich nicht böse war für das, was passiert war. Ich trat von vorn zwischen die beiden und legte jeweils eine Hand auf jeweils eine angespannte Wange. Sie zuckten beide bei dieser Berührung zusammen und sahen zu mir auf. Ich sah in ein paar strahlend blaue und ein Paar leuchtend gelbe Augen. Beide flehten mich mit Blicken um Vergebung an. Auf einmal waren sie gar nicht mehr so verschieden. Ich musste plötzlich lächeln.

„Alles ist gut. Es ist nichts passiert.“, sagte ich ruhig. Ich war mächtig stolz auf mich, dass ich mit meinen 17 Jahren so ruhig auf eine solche Situation reagieren konnte. Plötzlich brachen die beiden ihre Starren.

„Es tut mir so Leid...“, „Ich wollte nicht...“, „Dein Blut...“, „Bitte verzeih...“, fielen sie sich gegenseitig ins Wort um sich zu entschuldigen.

„Hört auf! Alle beide!“, fuhr ich dazwischen. „Und jetzt steht auf. Wie sieht das denn aus, wenn ihr beide hier auf Knien kriecht!“ Erst jetzt registrierten sie, dass sie neben ihrem erklärten Rivalen auf dem Boden knieten und sprangen auf. Wieder musste ich lachen. Sie konnten alle beide so knuffig sein, wenn sie wollten. Oder eher, wenn sie es nicht wollten.

„Ich möchte jetzt einen Kakao und ein Buch!“, stellte ich fest und spazierte aus dem Badezimmer. Hinter meinem Rücken hörte ich es plötzlich knurren und fauchen. Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie sich die beiden wie Hund und Katz' anstarrten und versuchten, den anderen einzuschüchtern. Ich kicherte.

In der Küche machte ich drei Kakao und trug sie nach oben auf meinen Balkon. Dann schnappte ich mir die „unendliche Geschichte“, die immer noch da lag, wo ich sie vorgestern zurückgelassen hatte. War das wirklich erst zwei Tage her? Es erschien mir schon fast wie ein halbes Leben. Ich streckte mich auf der Liege aus und nippte an meinem Kakao. Nur wenige Sekunden später erschienen meine beiden Schatten, zu denen sie in kurzer Zeit geworden waren, in der Balkontür.

„Macht es euch bequem!“, lächelte ich ihnen entgegen.

Tom lächelte verschmitzt und sprengte mit einer schnellen Verwandlung einfach seine Klamotten. Leo schnaufte missbilligend wegen seiner Hose. Mein Vater würde den Verlust seiner Shirts wohl nicht einmal bemerken. Der riesige schwarze Wolf ließ sich neben meiner Liege nieder und legte seinen Kopf in meinen Schoß. Ich kraulte seinen Nasenrücken und er schnaubte genüsslich. Leo funkelte ihn wütend an, weil er sich so einfach in meine Nähe gestohlen hatte. Ich lächelte ihn beruhigend an und machte hinter mir auf der Liege ein Stück Platz.

„Setz dich.“, ordnete ich einfach an.

Er sah mich verwirrt an, doch dann folgte er meiner Aufforderung und nahm hinter mir Platz. Ich lehnte mich einfach an ihn, ohne damit aufzuhören, Tom zu kraulen. Mit einem Mal war ein eingehüllt von einer Aura der Wärme, Geborgenheit und Zuneigung. Ich hatte meine beiden engsten Vertrauten um mich. Auch wenn ich Tom erst vor ein paar Tagen kennengelernt hatte, würde ich ihm mein Leben anvertrauen und es kam mir vor, als kenne ich ihn genauso lange wie Leo. Und bei dem kam es mir vor, als würde ich ihn gerade erst kennenlernen. Seine teilweise schüchterne Art war mir vorher nie aufgefallen.

Ich hob das Buch vor meine Augen und begann mit ruhiger Stimme daraus vorzulesen, wobei ich mich enger an Leo schmiegte und Tom weiter das Fell kraulte. Die Stimmung war auf einmal ganz entspannt und die beiden vergaßen tatsächlich für eine Weile ihre Feindschaft. Beide lauschten aufmerksam meiner Stimme. Irgendwann bemerkte ich, dass Tom die Augen geschlossen hatte. Nur seine großen Ohren zuckten ab und an in meine Richtung, was mir zeigte, dass er immer noch der Geschichte folgte.

Irgendwann bemerkte ich, dass langsam die Sonne unterging. Wir mussten stundenlang hier gesessen haben. Ich hörte erst auf zu lesen, als ich vor lauter Dunkelheit nichts mehr erkennen konnte. Ich musste plötzlich gähnen. Leo hatte inzwischen seine Hände auf meine Hüften gelegt und Toms Kopf ruhte immer noch auf meinem Schoß. Ich wollte mich nicht bewegen. Es war einfach zu schön.

Kapitel 7 - Eine unerwartete Reise

Wenn ich gewusst hätte, was mich in der Zukunft erwarten sollte wäre ich wohl nie mehr von dieser Liege aufgestanden, zum Abendessen gegangen und danach ins Bett. Tom sollte erst einmal in unserem Gästezimmer wohnten, im ausgebauten Kellergeschoss unseres Hauses. Wie sich herausgestellt hatte lebte er eigentlich alleine. Die Sache mit seinem Vater hatte er nur erfunden um an der Schule mit diesem Thema alleine gelassen zu werden. Apropos Schule. Am nächsten Morgen klingelte mein Wecker wieder in aller Herrgottsfrühe. Ich stöhnte genervt auf. Nur noch eine Woche und ein paar Tage, dann wären endlich Sommerferien, die 11te Klasse wäre geschafft, ich hätte nur noch ein Schuljahr zu schaffen und ich hätte dann bald meinen 18ten Geburtstag. Und dann würden wir die Rose besuchen. Tom und Leo hatten es versprochen. Allein der Gedanke daran, was mich erwarten könnte versetzte mich in Aufregung und es viel mir nicht mehr schwer, endlich aufzustehen. Ich wurde plötzlich von einer Welle Tatendrang erfasst und sprintete schon beinahe in mein Bad. Gerade als ich aus der Tür stürmte rannte ich mit jemandem zusammen. Ich wollte schon laut schimpfen, da erblickte ich zwei verschlafene gelbe Augen.

„Tom..“, keuchte ich erschrocken. Dann wurde mir klar, dass ich nur ein Höschen und ein langes Schlaf-Shirt trug. Ohne BH natürlich. Schnell verdeckte ich meine Brüste mit den Armen. „Was willst du hier oben?“, meckerte ich drauf los.

Er zuckte nur mit den Schultern und sagte entspannt: „Deine Eltern meinten, ich solle das obere Badezimmer benutzen und es ist Zeit, sich für die Schule fertig zu machen.“ Er strich sich einmal die zerzausten Haarsträhnen aus der Stirn. Erst jetzt registrierte ich, dass er nur Boxershorts trug. Augenblicklich machte mein Herz einen Satz. Dieser Kerl sah einfach so unglaublich heiß aus. Bei jeder Bewegung konnte ich sehen, wie seine definierten Muskeln unter der Haut arbeiteten. Ich klappte erschrocken den Mund zu, als ich bemerkte, dass ich ihn angestarrt hatte. Er zog nur grinsend eine Augenbraue nach oben und sagte:

„Na, gefällt dir, was du siehst?“, fragte er frech.

„Ähm... Ja... Nein... Äh...“, stotterte ich. Dann setzte mein Verstand wieder ein und ich sagte schnell: „Ich geh zuerst ins Bad!“ und rannte an ihm vorbei ins Badezimmer. Dort angekommen schlug ich die Tür zu und schloss ab. Oh mein Gott. Noch ein oder zwei solcher Begegnungen zum frühen Morgen und ich würde an einem Herzinfarkt sterben. Schnell stieg ich unter die Dusche. Ich würde wohl früher aufstehen müssen um ihm nicht jeden Morgen zu begegnen. Oder er... Schließlich war er der Gast!

Nach dem Duschen stellte ich fest, dass ich nichts zum Anziehen mitgenommen hatte. Mist! Eigentlich brauchte ich das ja auch nicht, weil ich ja immer alleine auf meiner Etage war. Also blieb mir nicht anderes übrig, als mir das Handtuch um den Körper zu wickeln, mich zu schminken und dann so in mein Zimmer zu huschen. Auf dem Gang sah ich mich schnell um. Tom schien nicht da zu sein also ging ich schnell zu meiner Zimmertür. Dort angekommen schloss ich mich erleichtert wieder ein. Ich wählte ein dunkelrotes Sommerkleid ohne Träger, das mit einem lockeren Faltenrock bis zu den Knien reichte. Dazu wählte ich einen schwarzen breiten Gürtel, den ich um die Taille schnallte und eine dünne Silberkette ohne Anhänger. Meine Locken ließ ich offen. Irgendwie sah ich heute richtig gut aus. Ich lächelte mich im Spiegel an, zog schwarze Chucks an, die bis über die Knöchel reichten und ging schließlich zum Frühstück.

Unten wartete wie immer Leo an den Küchentresen gelehnt auf mich und lächelte freundlich. Er trug heute eine schwarze Jeans und ein einfaches dunkelblaues Hemd, dessen oberster Knopf offen war. Seine blonden langen Haare hatte er zu einem lockeren Zopf geflochten. Er sah zum Anbeißen aus. Und als würde diese eine Ladung geballte sexy Männlichkeit nicht reichen, saß Tom mit einem schwarzen T-Shirt und einer dunklen Jeans am Frühstückstisch und grinste ebenfalls mit vollem Mund, als ich mich auf den Stuhl fallen ließ und mich über meinen Toast hermachte. Seine Haare waren gekonnt zerzaust gestylt. Ebenfalls zum Anbeißen. Ich hatte ja so ein Glück. Ich musste breit grinsen.

Nach dem Frühstück verließen wir zu dritt das Haus. Die Sonne strahlte schon, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich blinzelte gegen die Helligkeit an. Mein Lächeln wollte einfach nicht verschwinden. Tom verabschiedete sich kurz und ging zu seinem schwarzen Wagen. Wann hatte er den denn geholt? Ich setzte mich wie immer zu Leo auf den Beifahrersitz. Wir fuhren schweigend los, bis er auf einmal das Wort an mich richtete:

„Wie lange soll dieser Wol... Tom eigentlich bei uns leben?“, fragte er etwas verstimmt. „Ich finde es gar nicht gut, dass deine Eltern so etwas erlauben. Deine Mutter ist deswegen übrigens sehr verstimmt.“

„Leo, ich dachte, das wäre geklärt.“, murrte ich. Wenn er jetzt von diesem Thema anfing, könnte er es schaffen, meine gute Laune doch noch zu dämpfen.

„Wir sind verlobt Isabella, du sollst meine Frau werden, natürlich finde ich es nicht gut, wenn ein anderer Mann in deiner Nähe ist!“, knurrte er.

Ich konnte nur die Augen verdrehen. „Leo, ich habe schon gesagt, dass ich damit in keinster Weise einverstanden bin! Ich entscheide selbst wen ich heiraten will und wen ich liebe! Bis dahin, und das solltest du dir hinter die Ohren schreiben, seid ihr beide für mich nur gute Freunde! Und das wird sich auch nicht ändern!“, gab ich sauer zurück. Warum konnte er es nicht einfach hinnehmen, dass ich ihn auf keinen Fall heiraten würde, wenn er so weitermachte? „Damit ist dieses Thema beendet!“, maulte ich.

Er seufzte enttäuscht aber antwortete: „Wie du wünschst, Prinzessin.“

Noch einmal verdrehte ich die Augen, doch ich sah davon ab, ihn zu berichtigen. Von da an schwieg er, bis wir die Schule erreichten.

Er fuhr auf den Parkplatz und stellte den Motor ab. Ich wollte gerade aussteigen, da hielt er mich am Arm fest. Verwirrt sah ich ihn an. Er verzog sein Gesicht zu einem Schmollmund. Erst wusste ich nicht, was er wollte, doch dann viel es mir ein. Lächelnd gab ich ihm seinen Kuss auf die Wange. Er konnte ja so süß sein.

Grinsend ging ich auf das Schulgebäude zu. Auf halbem Wege holte mich Tom ein. Er grinste mich ebenfalls an und gemeinsam betraten wir die Schule. Wir witzelten gerade über das verrutschte Toupet eines Lehrers, als Melanie auf uns zustürmte. Genauer gesagt, stürmte sie auf Tom zu und warf sich plötzlich in seine Arme.

„Hallooohooo, schön, dass du wieder da bist! Ich habe dich ja soooo vermisst!“, flötete sie, schnappte sich seinen Arm und zog ihn mit sich. Er warf mir einen hilfesuchenden Blick zu, doch ich winkte nur. Äußerlich ließ ich mir nichts anmerken, doch innerlich kochte ich. Wie konnte sie es wagen, Hand an meinen Wolf zu legen? Beinahe hätte ich geknurrt. Ich erschrak mich selbst über diese Reaktion. Da ich jedoch keine Lust auf eine Szene hatte schluckte ich meine Wut einfach runter. Ich hatte es selten auf Konfrontation angelegt und das sollte sich auch nicht ändern. Ich wollte einfach nur dieses eine Jahr noch hinter mich bringen und das bitte ohne Zwischenfälle. Schnell holte ich meine Bücher aus dem Schließfach und ging dann ins Klassenzimmer. Biologie. Dieses Fach hatte ich wohl ohne Tom. Schließlich gab es davon zwei Kurse. Ich war ein wenig enttäuscht, doch das ließ sich schließlich nicht ändern. Wir sahen uns erst in der Mittagspause wieder. Dort sah ich ihn an Melanies Tisch sitzen und augenblicklich schoss mein Puls wieder auf 180. Allerdings wirkte sein Gesichtsausdruck dieses Mal eher gequält aus, was mir ein kleines, schadenfrohes Grinsen entlockte. Es war beruhigend zu wissen, dass er sich nicht wohl fühlte in dieser Gesellschaft. Ich ließ mich an meinem Tisch in der Ecke nieder und vertilgte mein Essen. In der nächsten Stunde sollten wir Englisch haben. Da würde Tom wieder vor mir sitzen und wir könnten diskutieren. Ich freute mich richtig darauf.

Leider jedoch tauchte Tom in dieser Stunde nicht auf. Was war denn jetzt schon wieder los? Er konnte doch nicht schwänzen! Ich entschuldigte mich um auf die Toilette zu gehen und begann ihn im Schulhaus zu suchen. Er war nirgendwo zu finden. Ich war schon kurz vorm Verzweifeln, da überkam mich plötzlich das Gefühl, dass ich wusste, wohin ich gehen müsste. Es war nur eine unbestimmte Ahnung, doch ich folgte ihr einfach. Als ich auf einem Flur in der zweiten Etage ankam hörte ich auf einmal Lärm und drei wütende männliche Stimmen. Eine davon hätte ich unter tausenden wiedererkannt. Die Geräusche kamen aus der Männertoilette.

„...niemals!“, hörte ich Tom knurren, als ich die Tür erreichte. Lauschen war nicht höflich, doch ich hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend, also legte ich mein Ohr an die Tür.

„Du gehörst zu uns!“, hörte ich eine unbekannte tiefe Stimme.

„Du bist in ihre Nähe gekommen, deine Aufgabe für das Rudel ist erfüllt!“, vernahm ich nun eine bekannte Stimme. Bobby? Was hatte der jetzt damit zu tun? Ich war verwirrt.

„Ich gehöre nicht mehr zum Rudel!“, knurrte Tom.

„Du wirst immer zum Rudel gehören und hast deine Verpflichtungen!“, erklärte die fremde Stimme gezwungen ruhig.

„NEIN!“, brüllte Tom und plötzlich gab es einen lauten Knall. „Ich werde sie euch niemals überlassen!“ Ich hörte mehrstimmiges Knurren und... Kampfgeräusche. Was war da los verdammt?!

Ohne darüber nachzudenken stieß ich die Tür auf und stürmte in die Toilette. Als ich sah, was sich dort abspielte blieb ich stehen. Es fühlte sich an, als wäre ich gegen eine Wand gelaufen. Zuerst sah ich Tom, der sich halb verwandelt hatte, außerdem Bobby, der am Boden lag und sich das Kinn hielt und unseren Lehrer Herrn Thomas. Mein Geschichtslehrer! Auch er war halb verwandelt. Doch sein... Fell... war beinahe silbrig, so wie seine menschliche Haarfarbe. Seine Augen glühten in einem unmenschlichen Grün. Toms schönes Gesicht war wutverzerrt.

Als sie mich bemerkten richteten sich plötzlich alle Augenpaare auf mich. Leider schaltete Herr Thomas als erster und stürmte plötzlich auf mich zu. Tom reagierte nur eine Sekunde später und stellte sich ihm in den Weg, was ihm einen Faustschlag in Gesicht einbrachte. Ich war so erschrocken, dass ich nicht einmal schreien konnte. Jetzt erwachte auch Bobby aus seiner Starre und kam auf mich zu. Tom knurrte zwar vor Schmerzen, doch er blieb stehen. Seine Verwandlung schritt weiter fort. Wenn er hier in der Schule auf einmal als großer Wolf herumrannte gäbe das einen Skandal. Und was, wenn jetzt jemand hier herein kam. Panik erfasste mich. Mit einem Mal bekam ich meine Stimme zurück und schrie:

„AUFHÖREN!“

Alle drei Männer... Nein Werwölfe... erstarrten mit einem Mal. Ich schnappte mir Toms Arm und zog ihn aus der Toilette. Er war erschrocken, doch er schaffte es noch gerade so, seine Verwandlung rückgängig zu machen, bevor wir den Flur betraten. Ich hoffte einfach, dass sie uns nicht auf den Flur folgen würden um uns einzuholen. Ich zerrte ihn einfach weiter. Hinaus aus der Schule. Auf dem Weg zückte ich mein Handy und rief Leo an.

„Komm zur Schule.“, sagte ich nur und legte wieder auf.

Erst auf dem Parkplatz blieb ich stehen, drehte mich zu Tom um und sah ihn an.

„WAS zur verdammten Hölle war da los?!“, fuhr ich ihn an.

Er zögerte kurz, bevor er antwortete: „Die beiden gehören zu meinem ehemaligen Rudel und... Sie wollten, dass ich dich ihnen ausliefere.“

„Und du befandest es als unnötig mich darüber zu informieren?!“, fauchte ich aufgebracht.

„Ich dachte nicht, dass sie so reagieren würden... Bobby hat es ja schon einmal versucht an dich ran zu kommen, doch du hast ihn ja abblitzen lassen... Und naja, danach hatten sie es aufgegeben... Bis sie mich schickten... Doch ich hab mich ja von ihnen abgewendet. Doch sie sehen das irgendwie nicht ein... Also... Irgendwie haben sie ja Recht... Einmal ein Teil des Rudels, immer ein Teil des Rudels, weißt du? Aber denk jetzt bitte nicht, dass das etwas an meiner Einstellung ändert! Ich werde dich ihnen niemals übergeben!“, knurrte er.

Ich schüttelte einfach nur den Kopf. „WARUM hast du nichts gesagt?!“, schrie ich ihn an.

„Einfach, weil ich nicht dachte, dass du in der Schule tatsächlich in Gefahr wärst! Zu viel Öffentlichkeit!“ Er fuhr sich nervös mit einer Hand durch die Haare. Sein Blick war verzweifelt. Plötzlich tat es mir Leid, dass ich ihn so angefahren hatte.

Neben uns quietschten Reifen und ich fuhr erschrocken herum. Es war jedoch nur Leos silberner Audi. Ich öffnete die hintere Tür und schubste Tom auf den Rücksitz. Unsere Sachen und sein Auto würden wir in der Schule zurücklassen, doch das war mir gerade egal. Ich wollte nur weg von hier. Hier bestand die Gefahr, dass ich einfach entführt wurde. Durch die Szene gerade wurde mir bewusst, wie ernst es dieses Wesen war, mich in ihre Finger zu bekommen. Ich setzte mich neben Leo nach vorn.

„Nach Hause.“, sagte ich nur und starrte aus der Windschutzscheibe.

„Aber die Schule ist noch nicht zu Ende..“, versuchte der Vampir mir zu widersprechen.

„JETZT!“, brüllte ich nur. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er erschrocken zusammenzuckte und mit besorgtem Gesicht losfuhr.

„Was ist denn eigentlich los?“, wollte er wissen, kaum, dass wir das Schulgelände verlassen hatten.

„Ich habe gerade erfahren, dass sich mindestens zwei Werwölfe in meiner Schule aufhalten, die mich entführen wollen!“, fauchte ich, immer noch aufgebracht.

„Wie bitte?!“ Geschockt sah Leo in den Rückspiegel, vermutlich um einen Blick auf Tom zu erhaschen. Dieser antwortete verstimmt:

„Ja, sie hat Recht. Bobby und Andreas sind Mitglieder meines ehemaligen Rudels.“, murmelte er und verschränkte die Arme.

„Moment...“, stockte Leo. „Andreas Thomas? SIR Thomas?!“, keuchte er, wobei er seinen Nachnamen englisch aussprach.

„Sir Thomas?“, fragte ich verwirrt nach, „Ist der irgendein hohes Tier?“

„Er ist der stellvertretende Rudelführer.“, murrte Tom hinter mir.

„Und du hast dich gegen ihn gewendet?“, fragte Leo weiter.

„JA!“, knurrte Tom aufgebracht.

„Aber wie konntest du...?“ Leo war offensichtlich schwer verwirrt.

Ich konnte den beiden nicht so ganz folgen.

Tom senkte den Blick auf seine Knie und murmelte: „Ich habe eine andere Aufgabe. Eine wichtigere Aufgabe.“

„Du weißt, was das für dich bedeutet, oder?“, fragte Leo vorsichtig.

„Nicht unbedingt!“, begehrte Tom auf.

„Wovon sprecht ihr?!“, fuhr ich dazwischen.

„Nicht so wichtig.“, knurrte Tom von hinten. „Du würdest es nicht verstehen.“ Leo schien von seinem Widerspruch unbeeindruckt und antwortete für ihn:

„Werwölfe sind sehr fest in ihren Rudel verankert und dazu zählt auch die Hierarchie.“

„Halt die Klappe!“, knurrte Tom, doch Leo ignorierte ihn weiter und fuhr fort:

„Es widerspricht einfach ihrer Natur, sich einem höhergestellten Rudelmitglied zu widersetzen. Und wenn sie es doch tun... Hat das weitreichende Folgen für sie.“

„Welche Folgen?“, fragte ich tonlos. Gerade als Leo antworten wollte sagte Tom an seiner Stelle:

„Sich gegen das Rudel zu stellen, bedeutet irgendwann, dass ein Wolf wahnsinnig wird. Wir brauchen das Rudel und die Nähe zu Artgenossen.“

Ich keuchte erschrocken. „Ich verstehe das nicht.“, murmelte ich.

„Hab ich doch gesagt!“, seufzte Tom resigniert.

Um es besser zu erklären sagte Leo: „Es ist ähnlich wie für Vampire der Blutrauch.“

„Das ist ja schrecklich!“, keuchte ich. Dann drehte ich mich auf meinem Sitz zum Tom um und sah ihm direkt in die Augen: „Warum tust du dir das an?“ Es war nicht der Umstand, den ich nicht verstand, sondern das warum. Warum tat er sich so etwas wegen MIR an? Ich hatte bereits Vampire im Blutrausch erlebt und Leo hatte mir einmal erklärt, dass das für seine Rasse schon fast schlimmer war, als der Tod. Sie erlitten dabei körperliche Schmerzen, weil sie so sehr nach Blut verlangten. Würde Tom dann auch Schmerzen haben?

Er zögerte, bevor er sagte: „Ich habe diese Entscheidung bereits getroffen, bevor ich dich wirklich kannte. Und heute bin ich mir noch sicherer, dass ich es ertragen kann, so lange es bedeutet, dass du in Sicherheit bist und deine eigene, freie Entscheidung treffen kannst. Ich bin bereit dafür dieses Opfer auf mich zu nehmen.“ Seine Stimme war so voller Zuversicht und ehrlicher Zuneigung, dass ich einen Kloß in meinem Hals herunterschlucken musste. Trotzdem konnte er die Angst in seinen Augen nicht verbergen. Er wollte es zwar ertragen, doch er hatte auch Angst davor, das sah ich ihm ganz deutlich an. Seine Finger hatten sich so fest in seiner Hose verkrampft, dass die Knöchel weiß hervortraten.

„Gibt es gar nicht, das man dagegen unternehmen kann?“, fragte ich verzweifelt. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass mein Wolf dem Wahnsinn verfallen sollte und das nur wegen mir.

Tom schwieg, doch jetzt schaltete sich Leo wieder ein:

„Es gibt ein paar Möglichkeiten, die aber ziemlich unwahrscheinlich sind. Entweder er tötet seinen Rudelführer und wird selber zum obersten Wolf, er findet ein neues Rudel, das ihn aufnimmt oder er gr..“

„Ruhe!“, fuhr Tom ihm ins Wort.

„Oder was, Tom?“, fragte ich ihn entschlossen. Ich würde mich nicht mit der Hälfte der Wahrheit abfinden. Er seufzte tief und verzweifelt. Nach einigem Zögern sagte er dann leise: „Oder ich finde meine Seelenverwandte und gründe mein eigenes Rudel.“

„Und was ist daran das Problem?“, fragte ich neugierig. Es versetzte mir zwar einen Stich, dass mein Wolf sich vielleicht mit einer anderen Frau verbünden könnte und Kinder mit ihr bekommen sollte, doch wenn das bedeutete, dass er 'normal' weiterleben konnte...

„Das ist nicht so einfach...“, murmelte mein Wolf geknickt. Ich sah ihm an, dass er nicht weiter reden wollte. Auch Leo schwieg verbissen. Seit Toms letzter Antwort schaute er sehr düster drein. Anscheinend verstand er mehr, als ich.

Wir erreichten schließlich mein Elternhaus. Schweigend gingen wir hinein. Im Flur überraschte uns mein Vater.

„Was ist denn hier los?“, fragte er verwirrt, als er sah, dass wir zu früh aus der Schule heim kamen. Leo packte meinen Vater an der Schulter und führte ihn in die Küche. Scheinbar wollte er Kriegsrat mit ihm halten. Was würde mich jetzt erwarten? War es in der Schule jetzt zu gefährlich? Würden sie mich von der Schule wegnehmen? Es war doch nur noch eine Woche. Tom und ich gingen gemeinsam ins Wohnzimmer und setzten uns auf die große Couch. Wir schwiegen uns eisern an. Irgendetwas war auf einmal merkwürdig an ihm. An seinem Verhalten. Naja, vermutlich machte er sich nur Sorgen um meine Sicherheit. Nach scheinbar endlosen Minuten kamen mein Vater und Leo ins Wohnzimmer. Ihre Gesichter waren sehr ernst.

„Wir werden verreisen.“, sagte mein Vater auf einmal.

Kapitel 8 - Der Wald

Ich war heute morgen mit mega-guter Laune aufgestanden. Es hätte ein wunderschöner, sonniger Tag werden sollen, doch nun befand ich mich in meinem Zimmer und packte einen großen Reisekoffer. Ich verstand die Welt nicht mehr. Es war eine Woche zu früh um in die Ferien zu fahren. Doch wenn ich wirklich über die Umstände nachdachte unternahmen wir wohl eher eine Flucht und keine entspannte Ferienreise. Ich versuchte möglichst schnell zu packen und trotzdem an alles zu denken, was ich so brauchte. Einige T-Shirts, ein paar Kleider, Hosen, Röcke, Unterwäsche, zwei Bücher, Schminksachen und und und. Am Ende bekam ich den Koffer kaum noch zu. Aber ich wusste ja nicht, wie lange wir verreisen würden. Von unten hörte ich immer wieder die aufgebrachte Stimme meiner Mutter, die mein Vater wohl von der Arbeit abgeholt hatte. Die beiden stritten sonst nie, aber heute hörte ich sie laut diskutieren. Irgendwann war Tom nach oben gekommen, um mir beim Packen Gesellschaft zu leisten. Ich konnte jedoch nicht aus ihm herausbekommen, wo wir hinfahren wollten. Er meinte nur, dass das alles zu meiner Sicherheit nötig war. Seine Stimmung hatte sich immer noch nicht wirklich gebessert. Er wirkte auf einmal so distanziert. Das verwirrte mich zu tiefst. Hatte er mit den beiden Werwölfen von meiner Schule noch mehr geredet, als ich mitbekommen hatte? Hatten sie ihm irgendetwas offenbart, das ich nicht wissen sollte. Die Sorge um mich stand ihm jedenfalls ins Gesicht geschrieben. Auch wenn er kaum mit mir redete. Es ärgerte mich immer mehr, je länger er mich anschwieg.

Schließlich betrat mein Vater mein Zimmer und fragte, ob ich fertig wäre mit dem Packen. Ich bejahte und wir brachten meinen Koffer nach unten. Ich schnappte mir noch eine dünne Sommerjacke, bevor ich half, die Autos zu beladen. Irgendjemand hatte wohl Toms Auto von der Schule geholt, während dieser bei mir gewartet hatte. Mein Vater hatte beschlossen, dass es zu fünft zu eng in unserem Audi werden würde. Kurzentschlossen stieg ich zu Tom ins Auto. Wenn wir eine Weile auf engstem Raum waren, würde er wohl wieder mit mir reden. Hoffte ich zumindest. Stundenlanges Schweigen wäre hoffentlich auch für ihn unangenehm. Leo verzog zwar kurz das Gesicht, sagte aber nichts weiter dazu. Scheinbar hatte auch er verstanden, dass es gerade wichtigeres gab, als seine persönlichen Belange.

Ich sah aus dem Auto noch, wie mein Vater das Haus abschloss, das Gartentor schloss und sein Handy zückte. Klar, er musste in der Schule anrufen um mich anzumelden und natürlich auf seiner Arbeit. Meine Mutter würde wohl bald auch bei ihrem Chef anrufen. Dann setzten sich die Autos in Bewegung. Tom schwieg weiterhin eisern. Ich seufzte entnervt und lehnte mich zurück. Wir ließen mein Heimatdorf hinter uns und fuhren über Landstraßen in Richtung Autobahn. Ich war eine Niete in Geografie, daher hatte ich immer noch keine Vorstellung, in welche Richtung wir eigentlich fuhren. Irgendwann döste ich weg.

Ich erwachte, als plötzlich ein Ruck durch das Auto ging und ich Bremsen quietschen hörte. Ich wurde aus meinem Sitz geschleudert. Nur der Gurt hielt mich schmerzhaft an meinem Platz. Erschrocken quietschte ich. Das Auto mit meinen Eltern war bereits quer auf der Fahrbahn zum Stehen gekommen. Wir befanden uns auf einer verlassenen Landstraße.

„Mist!“, knurrte Tom plötzlich. Ich folgte seinem Blick und sah ein paar dunkle Gestalten mitten auf der Straße stehen. Ich zählte 5 Personen.

„Was ist los?“, fragte ich ängstlich.

„Sie haben uns gefunden.“, knurrte Tom wütend. Seine Augen begannen zu glühen.

„Wer?!“

„Das Rudel!“, grollte er.

Die Gestalten bewegten sich auf unsere Wagen zu. Ich sah, dass es sich bei allen um halb verwandelte Werwölfe handelte. Angst erfasste mich.

„Was wollen die?“, fragte ich ängstlich.

„Na dich, Prinzessin.“, knurrte er wütend. Ich sah, wie seine Verwandlung einsetzte. „Keine Angst, ich werde dich beschützen.“, versprach er. Ich nickte nur zögernd. Ich glaubte ihm. Langsam stieg er aus dem Auto. Auch Leo sah ich aussteigen. Genau wie meinen Vater. Meine Mum blieb sitzen. Ich wollte gerade die Tür öffnen, da fuhr Tom mich an:

„Bleib sitzen!“ Dann knallte er seine Tür zu und lief angespannt zu Leo. Ich dachte gar nicht daran, einfach sitzen zu bleiben, immerhin ging es hier um mich! Eine leise Stimme in meinem Hinterkopf sagte mir zwar, dass ich weder kämpfen, noch sonderlich schnell rennen konnte, doch ich ignorierte sie einfach.

Gerade als ich Leos Wagen erreichte sah ich, dass einer der fremden Wölfe sich von der Gruppe gelöst hatte und auf Tom losging. Dieser verwandelte sich innerhalb von Sekunden in den großen schwarzen Wolf, um dem Angriff zu begegnen. Auch der andere verwandelte sich im Sprung vollständig. Sie gingen als ein knurrendes Fellbündel zu Boden. Leo fauchte auf einmal laut und auch die anderen vier setzten sich in Bewegung. Ich hörte Kleidung reißen und sah nur noch 4 große Wölfe. Zwei waren braun, einer von ihnen hatte beinahe rotes Fell und einer war grau. Scheinbar war er ein älterer Wolf. Er hielt sich zurück, während die anderen auf meinen Vater und Leo losgingen. Der Kampf war blutig und laut. Ich hörte Kampfgebrüll, Knurren, brechende Knochen. Ich konnte nicht anders, als die Szene zitternd zu beobachten. Ich wollte eingreifen, doch ich wusste nicht wie. Ich konnte einfach nicht mit ansehen, wie meine Liebsten verletzt wurden. Doch ich wusste nicht, was ich tun sollte. Am meisten Sorgen machte ich mir um einen Vater. Er war zwar stark und offensichtlich konnte er auch kämpfen, wie ich jetzt bemerkte, doch er war ein Mensch! Kein übernatürliches Wesen, mit übermenschlichen Kräften!

Doch plötzlich wurde ich eines Besseren belehrt! Er brüllte einmal laut und aus seinen Händen schossen hellblaue Blitze, die einen der Wölfe trafen! Dieser ging winselnd zu Boden. Wie hatte mein Vater das gemacht?! Ich prallte erschrocken ein Stück zurück. Dann hörte ich ein lautes Heulen. Es klang schmerzverzerrt. Ich sah mich nach dem Verursacher dieses markerschütternden Geräusches um. Was ich sah versetzte meinem Herz einen extrem schmerzhaften Stich, der mich aufkeuchen ließ: Ich sah meinen schwarzen Wolf unter den zwei braunen, die sich in seinem Fell verbissen hatten. Mich überkam eine übermenschliche Wut. Es kam mir auf einmal vor, als könnte ich die Schmerzen meines Freundes am eigenen Körper spüren.

Wie konnten diese Bestien es wagen, MEINEN Wolf zu verletzen?! Die Schmerzen in meiner Brust schienen unerträglich zu werden. Ich wusste, ich musste still sein, damit sie nicht auf mich aufmerksam wurden, doch ich konnte es nicht mehr ertragen. Der Schmerz wurde so schlimm, dass ich laut aufschrie. Es kam mir vor, als würde meine Seele meinen eigenen Körper verlassen. Auf einmal schien ich mich selbst von oben zu sehen. Alles spielte sich für mich wie in Zeitlupe ab.

Ich hörte, wie mein Schrei plötzlich zu einem lauten Brüllen wurde. Alle Augen richteten sich augenblicklich auf mich. Ich nahm wahr, wie mein Geruchssinn von einer auf die andere Sekunde besser wurde, meine Ohren besser hören konnten. Ich setzte mich in Bewegung, auf die Wölfe zu, die Tom zwischen ihren Zähnen hatten. Meine Wut trieb mich voran. Zusätzlich nahm ich auf einmal wahr, wie meine Hände schmerzhaft zu ziehen begannen. Ich sah darauf herab. Meine Finger wurden länger, wandelten sich zu Krallen, meine Ohren wuchsen, meine Beine wurden Stärker, mein Oberkörper wurde kräftiger, meine Füße wurden zu Pfoten. Ich schüttelte meine Schuhe einfach davon ab. Innerlich hatte ich Angst, doch mein Körper schien zu wissen, was zu tun war. Auf meinen Händen begannen dünne, goldene Haare zu sprießen. Und dann wurde es in meinem Mund auf einmal eng. Mir wuchsen richtige Reißzähne. Noch ein weiteres Mal brüllte ich meine Wut hinaus.

Ich registrierte erst, was gerade mit mir geschehen war, als ich meine Klauen im Fleisch eines Wolfes vergrub und ihn von meinem Freund zerrte. Meine Kraft war plötzlich unglaublich. Ich stürzte mich ohne nachzudenken ins Gemätzel. Mein Körper wusste, was er tun musste. Es war ein berauschendes Gefühl. Hinter mir rappelte Tom sich wieder auf und war plötzlich an meiner Seite. Seine gelben Augen sahen mich einen Moment fassungslos an. Mein Vater und Leo erstarrten, als sie bemerkten, was passiert war. Was mit MIR passiert war. Ich hatte mich in einen Werwolf verwandelt! Naja, nicht ganz. Auf einmal heulte Tom auf. Er legte den Kopf in den Nacken und heulte wie ein richtiger Wolf! Noch bevor ich es bemerkte, hatte ich mit eingestimmt. Mich durchflutete eine weitere Welle der Macht. Es fühlte sich gut an. Ein wahnsinniger Ruck ging durch meinen Körper. Es war schmerzhaft.

Lass es zu!“, hörte ich Toms knurrende Wolfs-Stimme. Und ich tat, was er sagte. Ich entspannte mich. Und was dann geschah, war wirklich unglaublich. Meine Hände, nein, Pfoten berührten den Boden. Ich sah goldenes Fell, bevor meine Sicht schwarz-weiß wurde. Meine Ohren und meine Nase wurden noch besser. Ich war allerdings ein ganzes Stück kleiner als Tom. Seine Augen funkelten bewundernd. Und dann hörte ich seine Stimme. In meinem KOPF!

Du bist wunderschön, Prinzessin.“ Ich spürte sein Lächeln in meinem Inneren.

Dann richteten sich seine Augen auf unsere Angreifer, die sich langsam von ihrem Schrecken erholt hatten und uns wieder angreifen wollten. Er sträubte sein Fell und ging wieder auf sie los. Sein Kampfgeist durchflutete auch mich und ich folgte ihm. Mit Zähnen und Krallen stürzte ich mich auf die Feinde. Sie würden mich niemals bekommen! Und sie würden auch nie wieder meinen Liebsten wehtun!

Diese Gedanken trieben mich an, während ich ihnen eine ordentliche Abreibung erteilte. Natürlich ging es auch für mich nicht ohne Blessuren ab. Ich hatte schließlich keine Kampferfahrung. Auch Leo und mein Vater setzten sich wieder in Bewegung. Ein weiterer Blitz blendete meine Augen und einer der Wölfe brach einfach in sich zusammen. Er bewegte sich nicht mehr. Dem roten Wolf riss Leo den Kopf ab. Die drei verbleibenden zogen plötzlich die Ruten ein, drehten sich um und rannten so schnell sie konnten davon. Ich sah ihnen hinterher. Erst jetzt merkte ich, wie schnell mein Atem ging. Mein Herz raste wie wild. Meine Beine gaben unter mir nach. Ich fiel einfach zur Seite. Sofort fuhr Tom zu mir herum. Das Gefühl der Macht verließ meinen Körper. Ich konnte spüren, wie mein Körper in seine eigentliche Gestalt zurückkehrte. Zu meinem Schrecken war ich nackt! Natürlich, mein Kleid musste irgendwann einfach gerissen sein. Schwach schaffte ich es gerade noch, mich auf der Seite zusammen zu rollen, um meine Nacktheit zu verbergen. Ich wimmerte leise und erschöpft. Um mich herum hörte ich die Stimmen meiner Eltern und meiner beiden Freunde. Ich schaffte es gerade noch, die Augen offen zu halten. Tom nahm mich auf seine Arme. Ich spürte seine warme Brust an meinem Arm. Erschöpft legte ich meinen Kopf gegen seine Schulter und atmete seinen Geruch ein. Es beruhigte mich sofort und ich wurde noch müder. Ich nahm noch wahr, wie ich auf den Rücksitz seines Auto gelegt und eine Decke über meinen geschundenen Körper gebreitet wurde. Ich kuschelte mich in den Stoff und schlief erschöpft ein.

Ich bemerkte nicht mehr, wie wir wieder losfuhren. Ich war einfach zu geschafft. Mein Körper verlangte nach Ruhe und ich hatte kein Problem damit, sie ihm zu gönnen.

Als ich erwachte spürte ich als erstes starke Schmerzen. Ich konnte nicht genau sagen, wo sie herkamen. Mein ganzer Körper schien in Flammen zu stehen. Ich stöhnte schmerzhaft auf. Dann hörte ich eine vertraute weibliche Stimme:

„Alles wird gut, Schätzchen. Möchtest du etwas trinken?“, fragte meine Mutter besorgt. Seit Tagen hatte sie nicht mehr mit mir gesprochen, doch als ich sie jetzt ansah, sah ich Besorgnis und tiefe, dunkle Augenringe im Gesicht meiner Mum. Meine Kehle war tatsächlich ausgetrocknet, darum nickte ich schwach. Sofort schoss Schmerz durch meinen Nacken. Ich verzog das Gesicht. Meine Mum legte eine Hand in meinen Nacken und stützte mich, während sie mir ein Glas mit Wasser an den Mund hielt, das ich gierig in großen Schlucken austrank.

Langsam kehrten auch meine Erinnerungen an die Vorkommnisse zurück. Ich hatte mich, um meinen Freund zu beschützen, in einen Wolf verwandelt!

„Was..ist..mit..mir..passiert?“, fragte ich krächzend.

„Wir reden später darüber.“, antwortete meine Mutter ausweichend.

„Nein jetzt!“, sagte ich, schon etwas deutlicher.

„Alexander!“, rief meine Mum, nach meinem Vater.

Einige Sekunden später, stürmte dieser ins Zimmer. Erst jetzt merkte ich, dass ich auf einem Bett in einem fremden Zimmer lag. Meine Mutter musste meinen verwirrten Blick bemerkt haben, denn sie sagte sanft:

„Wir sind in einer kleinen Pension. Alles ist gut, mein Schatz.“ Dann vernahm ich die besorgte Stimme meines Vaters:

„Alles gut, meine Tochter?“

„Ja.“, antwortete ich schwach. Auch er sah sehr sehr müde aus. Wie lange war ich weg gewesen? „Ich brauche nur Antworten.“, setzte ich hinzu.

„Natürlich.“, antwortete mein Vater und kratzte sich am Hinterkopf. Er setzte sich auf meine Bettkante und fuhr fort: „Ich hatte dir doch schon gesagt, dass du in dir einen kleinen Teil jeder Rasse hast, nicht wahr?“ Ich nickte. „Nunja. Du hast dir so große Sorgen um Tom gemacht, dass der Wolf in dir erwacht ist. So etwas kann passieren, wenn du dich sehr aufregst. Je nach dem zu welcher Rasse derjenige gehört, für den du diese starken Gefühle hast, wirst du dich in diese Rasse verwandeln. Du bist dann nicht so stark, hast nicht so ausgeprägte Fähigkeiten, wie 'reine' Werwölfe, Vampire oder was auch immer, aber du kannst es durchaus mit ihnen aufnehmen.“ Seine Stimme klang am Ende resigniert.

Durch meine große Sorge um meinen Wolf, hatte ich mich also in einen von ihnen verwandelt. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Auf jeden Fall war nun der letzte Gedanke daran, dass ich doch nur ein Mensch war, endgültig gestorben. Da fiel mir noch etwas ein, das ich fragen wollte:

„Und was war mit dir, Vater?“, fragte ich vorsichtig.

„Nunja...“, noch einmal kratzte er sich am Kopf. Er wirkte unsicher.

„Sag es ihr, Alexander.“, sagte meine Mutter liebevoll. Plötzlich plädierte sie für die Wahrheit?

„Ich bin auch kein Mensch.“, gab mein Vater zögerlich zu.

„Was bist du?“, fragte ich vorsichtig.

„Ich bin ein Magier.“, sagte mein Vater lächelnd. Mir blieb der Mund offen stehen. Warum hatte er mir das nie erzählt? Und was bedeutete das für mich? Konnte ich auch irgendwelche Blitze schleudern? Ich schauderte. Mein Dad seufzte und fügte noch hinzu: „Und das ist der Grund, warum du noch wichtiger bist, als du es als Blutprinzessin so wie so schon wärst. Wir wissen es nicht genau, aber da du zur Hälfte eine Magierin bist, könnte es sein, dass du besondere Fähigkeiten haben könntest.“ Er senkte den Blick. Ich stöhnte nur genervt. Was war nur aus meinem ruhigen, behüteten Menschenleben geworden? Warum ausgerechnet ich?! Ich schloss die Augen.

„Lasst mich bitte allein.“, sagte ich leise und erschöpft.

„Bist du sicher?“, fragte meine Mum und fügte hinzu: „Ich glaube, es gibt da noch zwei junge Männer, die wissen möchten, wie es dir geht.“

Meine Augen öffneten sich augenblicklich wieder. Natürlich!

„Wo sind sie?“, fragte ich aufgeregt. Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, standen Leo und Tom im Zimmer. Sie hatten wohl vor der Tür gewartet, bis ich nach ihnen fragte.

Leo stürmte sofort besorgt auf mich zu und schloss mich in seine Arme. Ich zuckte zusammen, denn es verursachte mir Schmerzen.

„Aua.“, murmelte ich an seiner Schulter, auch wenn mich seine überglückliche Reaktion freute. Augenblicklich wich er zurück.

„Entschuldige, Prinzessin!“ Dann drehte er sich zu Tom um und fuhr ihn an: „Wegen dir hat sie Schmerzen verdammter Köter!“

Toms Blick ruhte auf mir. Ich sah Sorge darin und noch etwas: Wut. Regungslos sagte er: „Es ist normal, dass man nach der ersten Verwandlung starken Muskelkater hat.“ Er zuckte mit den Schultern. Freute er sich gar nicht, mich wohl auf zu sehen? Er machte noch einen Schritt auf mich zu und knurrte: „Habe ich dir nicht befohlen im Auto zu warten?!“ Oh Oh... Er war ja stinksauer.

Gerade als ich dachte, er würde im nächsten Augenblick auf mich losgehen entspannte sich sein Gesichtsausdruck plötzlich.

„Guck nicht so ängstlich, Prinzessin.“, murmelte er betreten. Dann kam er auch an mein Bett und schloss mich plötzlich besitzergreifend in seine Arme. Ich hörte Leo leise grummeln, doch ich ignorierte es einfach. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht.“, murmelte Tom in mein Haar. Ich hörte, dass seine Stimme zitterte. Weinte er etwa? „Danke, dass du mich gerettet hast.“, fügte er noch hinzu. Ohne nachzudenken legte ich einfach meine Arme um seinen Nacken. Seine Nähe tat mir gut.

„Gern geschehen.“, antwortete ich ehrlich.

Nach einigen Sekunden löste er sich wieder von mir. Er sah mir tief in die Augen. Das leuchtende Gelb nahm mich sofort wieder gefangen. Ich lächelte erschöpft, aber glücklich. Er streichelte mir einmal kurz über die zerzausten Haare.

„Sie sollte sich noch ein wenig ausruhen!“, sagte meine Mutter dann und scheuchte alle Männer nach draußen. Sie gab mir noch einen Kuss auf die Stirn und ließ mich dann auch allein. Ich atmete einmal tief durch.

Bedeutete das alles jetzt, dass ich mich auch in einen Vampir verwandeln konnte? Würde ich dann Blut trinken wollen? Bei dem Gedanken schüttelte es mich gewaltig. Ich horchte einmal ganz tief in mich hinein. Hatte sich irgendetwas verändert? Hatte ich mich jetzt verändert? Ächzend legte ich mich wieder auf den Rücken und schloss die Augen. Nach einigen Minuten der Konzentration bemerkte ich etwas Komisches. Irgendwo, ganz tief in meinem Geist nahm ich etwas wahr. Ich konzentrierte mich darauf. Es kam mir vor, wie ein kleines schwaches Leuchten. Ein warmes Gefühl. Es leuchtete schwach und gelb. Es erinnerte mich an Toms Augen. Dann sah ich noch ein weiteres kleines Licht. Es strahlte in einem hellen, wunderschönen Blau. Das Licht flatterte, wie ein kleines Vögelchen. Mir war, als würde ich eine Reise durch meine Seele machen. Vorsichtig streckte ich meine Hände nach dem kleinen Lichtlein aus. Auf einmal riss ich die Augen auf. Etwas hatte sich in meine Zunge gebohrt. Erschrocken sprang ich auf und rannte zum Spiegel. Es ging so schnell, dass ich mich selbst erschreckte. Ich sah mich selbst und doch nicht mein Gesicht. Ich war unglaublich blass. Meine Züge schienen noch weicher geworden zu sein. Meine Haare glänzten. Mich durchfuhr ein Schreck. Ängstlich öffnete ich meinen Mund. Zwei kurze, spitze Zähne blitzten mich an. Schockiert schrie ich mein Spiegelbild an.

Augenblicklich wurde die Zimmertür aufgerissen und Tom, gefolgt von Leo, stürmten ins Zimmer. Als Tom mich erblickte prallte er zurück und stieß gegen Leo, der mich mit aufgerissenen augen anstarrte. Mit einem Mal stiegen mir die unterschiedlichsten Gerüche in die Nase. Doch es war anders, als der Geruchssinn als Wolf. Ich hörte leise Geräusche. Erst nach einigen Sekunden registrierte ich, dass es die Herzschläge, der beiden Männer waren, die mich gebannt anstarrten. Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Ich hatte Angst. Jetzt war doch genau das passiert, was ich eigentlich nicht wollte. Ich hatte mich in einen Vampir verwandelt. Scheiße!

„Leo...“, keuchte ich verängstigt. Sofort löste er sich aus seiner Starre und kam auf mich zu. Tom hielt sich knurrend im Hintergrund. Der Blick des Vampirs vor mir war besorgt, aber irgendwie auch ein bisschen stolz. Schnell schloss er mich in seine Arme.

„Alles ist gut, Prinzessin.“, flüsterte er mit ruhiger Stimme. Überdeutlich hörte ich seinen Puls schlagen. Das Geräusch machte mich nervös aber gleichzeitig beruhigte es mich. Ich hob vorsichtig meinen Blick. Leo fixierte mich sofort mit seinen blauen Augen. Er lächelte mich sanft an.

„Warum hast du dich verwandelt?“, fragte er mich vorsichtig.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete ich ehrlich, wobei mich die spitzen Eckzähne ein wenig beim Sprechen störten. „Ich hab' irgendwie so ein kleines Licht in mir wahrgenommen und dann... Ist es einfach passiert.“, murmelte ich. Leo wandte den Blick zu Tom. Die beiden wechselten einige stumme Blicke.

„Du scheinst irgendwie eine Art Barriere durchbrochen zu haben, als du dich in einen...“, Leo stoppte kurz, „Werwolf verwandelt hast.“

„Normalerweise solltest du dich aber nicht bewusst verwandeln können...“, murmelte Tom hinter ihm. Ich stockte kurz.

„Warte mal...“, überlegte ich. „Ich möchte etwas probieren!“

Beide sahen mich verständnislos an und Leo entließ mich aus seiner Umarmung. Ich atmete einmal tief durch und schloss die Augen. Ich konzentrierte mich darauf, wieder ein Mensch zu werden. Ich dachte einfach an mein Spiegelbild und es funktionierte! Die Eckzähne zogen sich zurück. Als ich die Augen wieder öffnete, starrten mich meine beiden besten Freunde einfach nur an. In mir stieg ein Hochgefühl auf.

„Achtung!“, sagte ich freudig und aufgeregt. Wieder schloss ich die Augen und suchte das kleine gelbe Licht in mir. Ziemlich schnell fand ich es und streckte wieder die Hände danach aus. Ich hörte Stoff reißen. Wieder öffnete ich die Augen und sah plötzlich schwarz-weiß. Es hatte tatsächlich funktioniert! Und es war kaum noch anstrengend gewesen. Absichtlich heulte ich einmal laut. Tom begann zu lachen. Hinter ihm erschienen meine Eltern plötzlich in der Tür.

„Was ist denn jetzt los?“, fragte mein Vater verwirrt.

„Sie hat sich gerade erst in einen Vampir und dann in einen Wolf verwandelt!“, erzählte Tom aufgeregt. Leo starrte mich einfach nur an. „Mit voller Absicht...“, murmelte er. Ich konnte einfach nicht anders und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Meinem Vater klappte die Kinnlade runter. Freudig sprang ich in meinem Wolfskörper durchs Zimmer. Ich verstand jetzt, warum Tom sich so gerne in einen Wolf verwandelte. Irgendwie fühlte es sich wunderbar an. Machtvoll und wild. Ich versuchte, mich an das Gefühl zu erinnern, ein Vampir zu sein. Es war eine Art innere Ruhe. Auch machtvoll, aber irgendwie anders. Ruhiger, bewusster, weniger instinktiv. Beides war irgendwie aufregend.

Toms Stimme erklang in meinen Ohren: „Hör auf mit dem Schwanz zu wedeln Isa! Du bist doch kein Hund!“, tadelte er mich lachend. Sofort hörte ich damit auf und ließ die Rute einfach aufrecht stehen. Ich wollte lachen, doch meiner Kehle entrang sich nur ein wölfisches Glucksen. Irgendwie bekam ich auf einmal das Gefühl, dass ich laufen wollte. Mich bewegen. Meine Pfoten über den Boden fliegen spüren. Ich scharrte mit den Krallen über den Teppichboden.

„Kannst du mal übersetzen?“, fragte Leo etwas genervt. Toms Augen leuchteten auf.

„Ich glaube, die Prinzessin möchte ihre neuen Fähigkeiten ausprobieren.“, lachte er.

Meine Mum schaltete sich besorgt ein: „Sie war doch eben noch so erschöpft.“, dann wandte sie sich an mich: „Du solltest dich noch etwas ausruhen.“ Ich schüttelte meinen Wolfskopf und winselte sie mitleiderregend an. Alle mussten lachen.

„Lass sie nur.“, sagte mein Vater. „Ich bin sicher, die Jungs passen gut auf sie auf. Wir sind hier auf dem Land und sie ist kaum größer als ein Hund.“ Er winkte ab. Ich knurrte ihn auf Grund dieses Vergleichs an.

„Ich denke auch, dass uns das Rudel vorerst in Ruhe lassen wird.“, meinte Tom, immer noch lächelnd. Leo nickte. Ich glaubte, er hatte verstanden, dass ich das jetzt dringend brauchte. Auch wenn ihm meine Wolfsgestalt eindeutig nicht zusagte. Meine Mutter schaltete in diesem Moment auf sehr überraschende Weise:

„Ich glaube, ihr solltet noch was zum Anziehen mitnehmen.“, lächelte sie. Leo nickte lächelnd und hielt die Hände auf. Meine Mum öffnete meinen Koffer und gab ihn ein Shirt, einen BH und eine Hose. Es passte mir nicht, dass Leo meinen BH in die Hand bekam, doch im Moment hatte ich andere Sorgen. Ich war total aufgeregt. Ich wollte unbedingt rennen.

Kommst du endlich?“, hörte ich Tom fragen und spitzte die Ohren. Doch dann merkte ich, dass die Stimme in meinem Kopf gewesen war. Also spazierte ich einfach aus dem Zimmer und verließ nach kurzem Suchen unsere kleine Ferienwohnung. In einem Spiegel im Flur sah ich mich zum ersten Mal komplett in meiner Wolfsgestalt. Ich wusste ja schon, dass ich relativ klein war, für einen Werwolf, aber ansonsten fand ich mich eigentlich ganz hübsch. Ja, ich fand mich wirklich hübsch, als Wolf. Ich hatte ein etwas feineres Gesicht als Tom, meine Nase war etwas kürzer. Und ich wusste ja schon, dass mein Fell beinahe golden war. Vermutlich, weil ich eigentlich blond war. Ich konnte sogar erkennen, dass es in meinem Nacken und an meinem Hals ein wenig länger war und sich leicht kräuselte. Ich wurde meine Locken also auch als Wolf nicht los. Meine Brust, meine Flanken und auch mein Rücken wirkten relativ muskulös. Ich konnte die Stränge unter dem Fell deutlich erkennen. Aber mit Tom konnte ich es an Masse natürlich nicht aufnehmen. Instinktiv wusste ich jedoch, dass ich dafür wendiger sein musste, als er. Klein, schnell und wendig. Auch keine schlechten Eigenschaften. Und wie schnell, das wollte ich jetzt herausfinden!

Unter einem Baum vor der Haustür wartete bereits ein schwarzer Wolf im Schatten auf mich. Fröhlich spazierte ich auf ihn zu. Er begrüßte mich, indem er mit seiner Nase gegen meine stupste. Eine merkwürdige Geste, doch irgendwie kam es mir ganz natürlich vor. Ich nahm mir vor, einfach auf meine Natur zu vertrauen. Genau aus diesem Gedanken heraus hatte ich plötzlich das Bedürfnis in Toms Nähe zu sein. Er hatte ja mal gesagt, dass das für Wölfe ganz natürlich war. Darum stellte ich mich neben ihn und schmiegte meinen Kopf an seinen weichen Hals. Er knurrte kurz genüsslich und legte seine Schnauze auf meinen Kopf. Es fühlte sich gut an, ihm so nah zu sein. Ich hörte seinen regelmäßigen Herzschlag und spürte seine Wärme. Es kam mir vor, als könnte ich seinen ganzen Körper wahrnehmen. Das Spiel seiner Muskeln, seinen Atem, seinen Herzschlag. Ich war völlig überwältigt. Toms Ohren zuckten auf einmal und ich konnte auch wahrnehmen, was er hörte: Leo kam mit langsamen Schritten auf uns zu. Auf seinem Rücken hatte er einen kleinen Rucksack. Als er Tom und mich so nah beieinander sah, konnte ich die Eifersucht in seinem Blick erkennen. Ich knurrte ihn kurz an.

„Jaja, es ist ganz natürlich. Ich weiß.“, knurrte er genervt.

Dann stupste Tom mich an und deutete mit der Nase auf einen kleinen Wald, der an den Garten der Pension angrenzte. Ohne auf die beiden zu warten rannte ich einfach los. Der Wald schien förmlich nach mir zu rufen. Ich folgte diesem Gefühl. Meine vier Pfoten trugen mich ganz sicher an den Waldrand. Ich hatte eigentlich gedacht, ich würde mich mit ihnen verheddern. Wer war es schon gewohnt, auf allen Vieren zu laufen? Doch wieder belehrte mich mein Körper eines Besseren. Am Waldrand angekommen atmete ich einmal tief ein. Ich nahm die Gerüche des Waldes in mich auf. Es roch so... vertraut. Völlig natürlich eben! Je länger ich die Gerüche aufnahm und versuchte sie zu sortieren, desto besser nahm ich meine Umwelt wahr. Die Bäume, die kleinen Vögel in den Ästen, sogar die Würmer unter der Erde entgingen mir nicht! Und mit einem mal schien meine Sicht nicht mehr nur schwarz-weiß zu sein. Ich nahm Farben wahr, die ich noch nie gesehen hatte! Das Grün der Blätter schien noch intensiver zu sein, das Braun der Erde und der Äste leuchtete förmlich. Ich nahm Dinge wahr, die mir noch nie aufgefallen waren. Und ich wollte nur noch eines: Durch diesen wunderbaren Wald rennen!

Ich nahm Tom neben und Leo hinter mir wahr. Jetzt konnte es losgehen! Mit einem Sprung stürzte ich mich in den Wald und rannte einfach los. Nicht ein einziges Mal stolperte ich über eine Wurzel oder blieb an einem Ast hängen. Ich nahm alles um mich herum in mich auf und konnte mich beinahe blind bewegen. Tom lief neben mir, genauso geschickt wie ich sprang er über Wurzeln, tauchte unter tief hängenden Ästen hinweg und sprang über kleine Gräben und Flussläufe. Irgendwann wandte er seinen Kopf zu mir.

Lust auf ein Wettrennen?“, sprach er in meinem Kopf förmlich meine Gedanken aus. Ohne darauf zu reagieren streckte ich den Kopf nach vorn und beschleunigte meinen Lauf. Schon nach kurzer Zeit hatte er mich eingeholt, doch ich gab nicht auf und rannte, so schnell ich konnte. Tatsächlich überholte ich ihn! Als erste erreichte ich den Rand einer kleinen Lichtung. Mitten in dem kleinen Paradies blieb ich stehen und ließ mich schnaufend in das weiche, saftige Gras fallen. Meine Flanken bebten, ich war erschöpft, doch ich fühlte mich wunderbar! Ich wusste genau, dass ich noch stundenlang weiterlaufen könnte, doch ich blieb liegen.

Nach wenigen Sekunden erreichte mich Tom. Er ließ sich neben mir ins Gras fallen. Er hechelte genau wie ein Hund. Ich musste kichern, was wieder mehr zu einem belustigten Schnauben wurde.

Du läufst schnell.“, hörte ich ihn in meinem Kopf. Das wollte ich jetzt auch mal probieren. Ich konzentrierte mich auf in und formte in meinem Kopf:

Danke, du bist auch nicht schlecht.“ Ich sah ihn mit schief gelegtem Kopf an, ob er mich verstanden hatte.

Ah. Du hast das Gedankenreden also auch schon gemeistert.“ Er klang belustigt.

Unterhalten sich Wölfe immer so?“, fragte ich neugierig.

Das geht nur mit anderen Wölfen. Sonst können wir ja 'normal' sprechen.

Das wollte ich auch sofort probieren und knurrte unverständlich vor mich hin. Ich hörte ihn belustigt schnauben.

Du musst gaaaaanz deutlich sprechen.“, kicherte er in meinem Kopf. Ich versuchte es noch einmal, doch es funktionierte nicht. Frustriert knurrte ich. Tom lachte.

Entspannt ließ sich Tom auf die Seite fallen und legte seinen Kopf auf die Vorderpfoten. Ich tat es ihm gleich und legte mich ganz nah an ihn. Mein Kopf ruhte ebenfalls auf meinen Pfoten. Tom rutschte noch ein Stück an mich heran und legte seinen gewaltigen Kopf auf meinen Hals. Ich spürte wieder seine Wärme und entspannte mich. Eine Weile lagen wir nur so da und lauschten den Geräuschen des Waldes.

Wo ist eigentlich Leo?“, fragte ich Tom in meinen Gedanken.

Der Vampir ist auf der Jagd.“, gab dieser ruhig zurück. „Du warst beinahe 2 Tage bewusstlos und da er langsam Durst bekam sucht er sich jetzt wahrscheinlich ein saftiges Reh.

Mein Kopf zuckte in die Höhe. „Zwei Tage?!“, fragte ich verwirrt. „Wo sind wir eigentlich?

In England, mein hübsches Wölfchen.“, lachte Tom in meinen Gedanken. In England? In meiner alten Heimat! Ich wurde ganz aufgeregt. Tom schien das zu spüren, denn seine Brust vibrierte unter einem wölfischen Lachen. Ich hob meinen Kopf, drehte mich halb auf den Rücken und biss ihm spielerisch in die Schnauze. Er grollte kurz gespielt und zwickte mir ins Ohr. Da sprang ich auf und ging in Kampfhaltung. Er lachte wieder und tat es mir gleich. Ich wusste, dass ich eigentlich keine Chance gegen ihn hatte, doch ich konnte einfach nicht anders, als mich auf ihn zu stürzen.

So balgten wir eine ganze Weile. Es machte mir gar nichts aus, dass er mich immer mal wieder zu Boden rang. Manchmal schaffte ich es jedoch, mir meine fehlende Körpergröße und Kraft zu Nutze zu machen, indem ich ihm auswich, ihm entschlüpfte und wendig vor ihm flüchtete. Es machte unendlich viel Spaß. Am Ende waren wir beide völlig außer Atem. Langsam war es dunkel geworden, doch das machte mir nichts aus. Meine Sinne waren scharf genug um mich auch in der Dunkelheit bewegen zu können. Irgendwann hörte ich ein Knacken im Wald und wusste, dass dieses nicht dort hin gehörte. Meine Ohren zuckten in die Richtung, aus der das Geräusch kam und ich roch Leo. Sein Geruch war einmalig und ich konnte ihn von tausenden unterscheiden. Tatsächlich trat Leo wenig später aus dem Wald. Ich rannte auf ihn zu und sprang ihn beinahe an. Er hob etwas verwirrt die Hände in die Luft.

„Ähm ja, ich freue mich auch, dich zu sehen, Prinzessin.“, grinste er verwirrt. Vorsichtig tätschelte er meinen Kopf. Er wusste wohl nicht so richtig, wie er sich verhalten sollte. Irgendwie fand ich das lustig. Doch ich hielt mich damit zurück, ihn weiter zu ärgern. Ich lief hinter ihn und schnappte nach dem Rucksack.

„Ist ja gut!“, lachte Leo und setzte den Rucksack ab. Er suchte meine Sachen heraus und hielt sie mir hin. Kurzerhand schnappte ich danach und trug sie in meiner Schnauze in den Wald hinein. Die zwei sollten mich nicht beim Umziehen beobachten. Ich hatte noch etwas vor. Was ich als Wolf konnte, wusste ich jetzt. Ich fragte mich jedoch, was ich wohl als Vampir so drauf hatte. Vor dem Blutdurst hatte ich jedoch immer noch große Angst.

Ich legte meine Sachen auf den Waldboden und hoffte inständig, dass nicht zu viel Sabber an ihnen klebte. Es war schön, ein Wolf zu sein. Doch wenn man sich nicht vor der Verwandlung nicht auszog, war der Verschleiß an Kleidung ziemlich groß und man war jedes Mal nackt, wenn man sich zurückverwandelte. Ziemlich unpraktisch in meinen Augen. Ich verwandelte mich ohne Probleme wieder in einen Menschen. Meine Sinne wurden wieder schlechter. Jetzt konnte ich im Unterholz kaum noch etwas sehen. Plötzlich wurde mir bewusst, wie schwach man als Mensch eigentlich war. Wenn diese anderen Wesen uns... Nein... Sie vernichten wollten, wäre es ein Leichtes. Ich schüttelte kurz den Kopf. Das würden sie nicht tun. Das würden WIR nicht tun! Ich musste endlich aufhören, mich als Mensch zu betrachten. Schließlich war ich keiner. Ich war eine Blutprinzessin und eine halbe Magierin. Und es war an der Zeit, dass ich endlich herausfand, was ich konnte. Ich konzentrierte mich auf mein blaues Licht und spürte, wie meine Eckzähne ohne Probleme wuchsen. Aber das war dieses Mal, in der Dunkelheit, nicht der einzige Hinweis, dass ich mich erfolgreich transformiert hatte. Ich konnte plötzlich viel besser sehen. Es schien nicht einmal mehr dunkel zu sein. Ich konnte alles klar und deutlich im schwachen Mondlicht erkennen. 'Wahnsinn.', dachte ich. Für die Sehkraft ging der Punkt eindeutig an die Vampire. Riechen konnte ich nicht viel besser. Aber mein Gehör funktionierte hervorragend. Ich konnte Tom und Leo auf der Lichtung genau hören. Langsam begab ich mich wieder zu ihnen.

Wieder starrte Leo mich mit offenem Mund an. Dieses Mal konnte ich nicht anders als zu fragen:

„Was guckst du so?“

„Nichts. Du bist nur wunderschön, Prinzessin.“, murmelte er verschämt. „Also... Nicht, dass du sonst nicht schön wärst aber jetzt... Wow...“, stotterte er. Ich musste kichern.

„Mir gefällst du als Wolf besser.“, hörte ich Tom knurren. „Aber ich muss zugeben, du siehst so wirklich atemberaubend aus.“, gab er zögerlich zu.

Ich wurde rot. Ich wusste schon, dass Vampire immer überdurchschnittlich schön waren. Leo hatte mir mal erklärt, dass das ihre 'Jagd' sehr erleichterte. Mit ihrem Aussehen konnten sie leicht Menschen in ihren Bann ziehen. Ich verstand nun, warum.

„Bevor wir aufbrechen muss ich dich noch etwas fragen, Leo...“, setzte ich vorsichtig an.

„Was denn Prinzessin?“, fragte er freundlich.

„Werde ich... naja... Durst bekommen?“, wollte ich vorsichtig wissen.

Er verzog kurz das Gesicht. Er hatte wohl an meiner Stimme wahrgenommen, dass ich mich schrecklich davor fürchtete. Vorsichtig antwortete er:

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, Prinzessin. Aber ich glaube es nicht. Wenn doch, dann bin ich für dich da und kann dir helfen, wenn es sein muss.“, versuchte er mich zu beruhigen. Ich hoffte einfach, dass es nicht so weit kommen würde.

„Ok, lass uns loslegen.“, sagte ich und streckte mich einmal aus.

„Gut, dann bin jetzt wohl ich dran.“, grinste Leo plötzlich. „Wir treffen uns dann an der Pension.“, sagte er zu Tom, der zustimmend nickte. Ich ging noch einmal kurz zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die breite Stirn. Er schnaubte. Was ihre Eifersucht anging nahmen sich die beiden wirklich nicht viel. Bei Tom war ich mir jedoch nicht sicher, ob es nur daran lag, dass er als Wolf die Nähe zu einem anderen brauchte, auch wenn das nur ein kleiner Teil von mir war, oder ob er wirklich Gefühle für mich hegte. Im Moment verbannte ich diese Überlegung jedoch in die hinterste Ecke meines Gehirns. Ich wusste ja nicht einmal ob ich einen der beiden wirklich mehr mochte, als nur gewöhnliche Freunde. Und wenn ich mich entscheiden würde, wäre der andere sicher traurig und verletzt, was ich absolut nicht wollte. Ich schüttelte kurz unauffällig den Kopf und wandte mich zu Leo um.

„So, großer Vampir, was können wir alles so anstellen?“, fragte ich neugierig.

Er lachte kurz auf und meinte grinsend: „Wenn du dachtest, du warst eben schon schnell, dann pass' jetzt mal auf! Versuch mich einzuholen!“ Mit diesen Worten drehte er sich um und rannte in übernatürlicher Geschwindigkeit in den Wald. Ohne groß darüber nachzudenken rannte ich ihm hinterher. Tatsächlich schaffte ich es, dank meiner guten Augen, auf seiner Spur zu bleiben und ihn schließlich einzuholen.

„Wow!“, stieß ich hervor. Ich hatte den Wald nur so an mir vorbei fliegen sehen.

„Ja.“, lachte Leo entspannt. „Und weißt du, was wir den Wölfen voraus haben?“, fragte er frech. Ich schüttelte nur den Kopf.

„Wir können klettern!“, sagte er und deutete an einer großen Eiche nach oben. Verwirrt folgte ich seiner Geste.

„Da hoch?“, fragte ich geschockt.

„Da hoch!“, bestätigte er und sprang einfach auf die untersten Äste.

Ich sah einmal kurz nach oben, dann auf meine Füße und wieder nach oben. Ich atmete einmal tief durch und sprang vom Boden ab. Zu meiner großen Überraschung landete ich tatsächlich auf dem anvisierten Ast! Er lag beinahe 5 Meter über dem Boden! Ich war beeindruckt. Auch das Gleichgewicht auf dem schmalen Ast zu halten fiel mir nicht schwer. Ich beschloss, ein weiteres Mal einfach darauf zu vertrauen, dass mein Körper schon wusste, was er mit meinen Kräften anstellen konnte. Neugierig balancierte ich auf dem Ast entlang. Ich stellte fest, dass ich das selbst mit geschlossenen Augen geschafft hätte. Mein Gleichgewichtssinn und meine Augen arbeiteten unfehlbar.

Leo lehnte am Baumstamm und beobachtete, wie ich mich ausprobierte.

„Weißt du“, sagte er ruhig, „Vampire können zwar mit der Stärke der Werwölfe nicht mithalten, aber wir sind schneller und geschickter. Feinfühliger, wenn du so willst. Außerdem können wir... Naja... Schneller denken, wenn man so sagen will. Die Wölfe reagieren meistens sehr instinktiv. Vampire können extrem schnell denken, Taktiken ersinnen, Situationen einschätzen. Das kann sehr von Vorteil sein, wenn man es richtig einsetzen kann.“ Ich nickte verstehend. „Und wenn du einen Wolf besiegen willst, bring ihn aus dem Gleichgewicht.“, lachte Leo. Ich kicherte. „Komm“, sagte er plötzlich, „folge mir!“ Er machte einen riesigen Satz auf einen anderen Baum und dann weiter. Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit sprang und kletterte er durch die Baumkronen. Ich nahm all meinen Mut zusammen und folgte ihm. Es war ein unglaubliches Gefühl, sich so durch die Baumwipfel zu bewegen. Ich sah die Welt an mir vorbeirasen und den Boden unter mir. Ich war schnell und wendig. Mein Körper wusste, was zu tun war, wo ich mich festhalten musste, wohin ich springen musste. Innerhalb von Millisekunden konnte ich zwischen den Sprüngen ausmachen, wohin ich musste und wo ich besser nicht hintreten sollte. Mein Verstand arbeitete auf Hochtouren, aber es war nicht anstrengend. Es fühlte sich gut an. Irgendwann war mir das Springen und Klettern jedoch nicht mehr genug. Ich wollte sehen, was ich noch so konnte. Ganz leise landete ich auf einem Ast, leicht oberhalb von Leo. Neben der Tatsache, dass ich hervorragend hören konnte, war es mir auch möglich, mich so leise zu bewegen, dass das vampirische Gehör mich nicht wahrnahm. Das nutzte ich aus, indem ich mich von oben auf meine 'Beute' stürzte. Ich landete gezielt auf Leos Rücken und klammerte mich fest. Er erschrak nur ganz kurz, bis er mein T-Shirt am Kragen packte und mich von seinem Rücken zog. Wir fielen jedoch nicht von dem Ast, auf dem wir gerade standen, sondern er hatte mich plötzlich unter den Achseln gefasst und ließ mich über dem Abgrund baumeln. Ich zog die Augenbrauen zusammen. Unter mir bemerkte ich blitzschnell einen Ast, der mich tragen würde, trat Leo mit beiden Füßen gegen die Brust, streckte mich nach hinten und entkam so seinem Griff. Sicher landete ich auf dem anvisierten Ast.

„Willst du mich reizen?“, grinste Leo von oben auf mich herab.

Anstatt zu antworten sprintete ich durch die Baumwipfel davon. Ich hörte, wir er mir folgte. Ich versteckte mich im Unterholz und hielt meinen Atem an. Dies gelang mir erstaunlich leicht und sehr lange. Scheinbar musste ich als Vampir nicht so viel Luft bekommen, wie als Mensch oder als Wolf. Ich erinnerte mich daran, dass meine Organe nun anders arbeiten müssten. Dann hörte ich ein Knacken im Unterholz und hörte ein Schnauben. Neugierig hob ich den Kopf und sah mich um. Ein Geruch stieg mir in die Nase. Er war beinahe unwiderstehlich. Irgendwie süß. Wie eine Bonbon-Maschine. Leise pirschte ich auf den Geruch zu. Was ich dann sah, verschlug mir beinahe den Atem: Ich sah einen riesigen Hirsch im Unterholz stehen. Ich wunderte mich, woher dieser verführerische Geruch kam. Dann sah ich es: Er blutete an seiner linken Flanke. Ich zuckte zusammen. Ich hatte sein Blut gewittert und war davon magisch angezogen worden. Und es übte immer noch eine unglaubliche Faszination auf mich aus. Plötzlich tauchte Leo neben mir auf.

„Du hast es also gerochen.“, flüsterte er in mein Ohr. Ich nickte vorsichtig. „Ich kann dich hier wegbringen.“, sagte er langsam. Ich wusste, dass das wohl die klügere Idee wäre. Trotzdem konnte ich nicht verhindern den Kopf zu schütteln. Ich wollte unbedingt von diesem Blut kosten.

„Bist du dir wirklich sicher, Prinzessin?“, fragte Leo zweifelnd. Ich nickte entschlossen. „Also gut.“, seufzte Leo. „Ich werde dir zeigen wie man als Vampir jagt, ohne zu töten, ok?“, fragte er vorsichtig. Mein Herz machte einen Sprung. Könnte ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, Blut zu trinken? Ich hatte das doch nie gewollt! Aber meine Vampirnatur verlangte unglaublich danach. Ich beschloss, dass ich es versuchen würde. Ich kuschelte mit Tom, weil es 'natürlich' war, also würde ich auch mit Leo jagen. Es war schließlich für einen Vampir 'natürlich'. Noch einmal nickte ich entschlossen.

„Pass auf,“ setzt Leo an, „wir haben keinen eigenen Körpergeruch für Wesen von anderen Rassen.“, erklärte er leise. Ich wunderte mich und fragte: „Warum kann ich dich dann riechen?“ „Weil du zum Teil Vampir bist, meine Schöne.“, antwortete er amüsiert. Ich schlug mir mit der Hand vor die Stirn. Na klar! Leo erklärte ruhig weiter: „Wir können andere Wesen hypnotisieren. So müssen wir sie nicht töten, um an ihr Blut zu kommen. Ich zeige dir wie, und du machst es mir nach, Ordnung?“, fragte er leise. Ich nickte noch einmal.

„Bleib hier.“, flüsterte er.

Ich blieb wo ich war und beobachtete, wie er ganz leise um den Hirsch herum schlich, bis er sich ihm von vorne näherte. Nun bemerkte das Tier ihn und sah erschrocken auf. Diese Sekunde nutzte Leo auf das Tier zu zu flitzen, seinen Kopf mit den Händen zu fixieren und ihm direkt in die Augen zu sehen. Kurz bäumte sich der mächtige Hirsch noch auf, dann entspannte er plötzlich und blieb einfach ganz zahm vor Leo stehen. Dieser ließ seine Beute nicht aus den Augen.

„Komm her.“, sagte Leo nun laut und deutlich zu mir. Ich gehorchte und stellte mich neben ihn. „Lege deine Hände an seinen Kopf.“ Wieder gehorchte ich. „Wenn ich ihn jetzt loslasse, musst du ihm ganz schnell in die Augen sehen. Zwing ihn durch deinen Geist, ruhig zu bleiben. Du kannst auch leise mit ihm sprechen, wenn es dir dann leichter fällt.“ Ich nickte und er nahm ganz langsam seine Hände vom Kopf des Tieres. Sofort versteifte es sich wieder, doch ich zwang es sofort dazu, mir in die Augen zu sehen. Es war erstaunlich einfach, ihm meinen Willen aufzuzwingen. Es war fast so, als würde ich meine spezielle Fähigkeit an Vampiren anwenden. Nur ohne, dass ich irgendwelche Bilder sehen musste.

„Nun bring ihn dazu, einzuschlafen.“, forderte Leo mich auf. Leise flüsterte ich dem Tier zu: „Schlaf, mein Schöner. Schlaf ein.“ Urplötzlich knickten seine Beine unter ihm weg und er schloss die Augen. Ganz vorsichtig ließ ich seinen Kopf auf den Boden gleiten.

„Jetzt ist nur noch eines wichtig“, sagte Leo vorsichtig. „Du darfst nicht zu viel von ihm nehmen!“, hielt er hart fest.

„Wie weiß ich das?“, fragte ich vorsichtig.

„Du spürst gleich seinen Puls und seinen Herzschlag. Denk daran, dass das Tier hier im Wald überleben muss. Du darfst ihn also nicht zu sehr schwächen. Das ist wichtig!“

Ich nickte vorsichtig.

„Komm her.“, sagte Leo sanft und kniete sich neben den Hals des Tieres. „Am Besten ist es, direkt aus der Halsvene zu trinken. Dort schmeckt es am besten und du spürst seinen Puls am stärksten. Die Beinvenen sind auch in Ordnung, doch dort schmeckt es nicht so gut.“, erklärte er ganz trocken. Ich nickte, dass ich verstanden hatte und kniete mich neben ihn. Ich konnte nicht glauben, was ich gleich tun würde. Doch dann sah ich die pulsierende Halsvene des Tieres. Ich bekam unglaublichen Hunger und das unwiderstehliche Verlangen danach, meine Zähne hineinzustoßen. Schließlich gab ich dem Impuls nach und biss zu. Es war gar nicht schwer, die Ader mit meinen spitzen Zähnen zu öffnen. Ich spürte das kurze Fell des Tieres an meinen Lippen und dann strömte das flüssige Leben in meinen Mund. Es schmeckte gar nicht eklig, wie ich gedacht hatte. Es schmeckte irgendwie erdig, nach Wald und Leben. Und auch ein wenig süß. Ich trank und trank. Ich konnte einfach nicht genug bekommen! Irgendwann spürte ich, dass der Puls des Tieres schwacher wurde. Ich wollte mich von ihm lösen, doch mein Körper reagierte nicht auf die Befehle meines Gehirns. Erst, als Leo seine Hand auf meine Schulter legte und mit fester Stimme „Stopp!“ sagte konnte ich mich von dem Tier lösen. Sofort drückte Leo mit zwei Fingern auf die Wunden im Hals des Tieres.

„Jetzt musst du ihm einen Dienst erweisen, indem du seine Wunden heilst.“, sagte Leo ganz ruhig.

„Und wie?“, fragte ich neugierig. Konnte ich tatsächlich Wunden heilen?

„Ritz dein Handgelenk an und lasse etwas von deinem Blut darauf laufen.“, antwortete er ganz sachlich. Ich bewunderte ihn, wie er so ruhig bleiben konnte. Scheinbar war ich nicht der erste Vampir, den er auf der ersten eigenen Jagd begleitete. Mit einem Eckzahn ritzte ich mein Handgelenk an. Es schmerzte kurz und dann trat Blut daraus hervor. Ich hielt meinen Arm über den Hals des Tieres und Leo nahm die Hände fort. Sobald das Blut die Wunden berührte, verschlossen sie sich wieder.

„Das funktioniert nur, wenn du das Blut des zu Heilenden, in dir hast.“, sagte Leo. Ich nickte.

Nun ging mein Freund wieder zum Kopf des Tieres und legte eine Hand darauf.

„Aufwachen!“, sagte er fest. Sofort schoss das Tier in die Höhe, sah uns beide panisch an und rannte davon.

„Wow.“, flüsterte ich überwältigt und leckte mir über die Lippen. Ich hatte den Geschmack des Blutes noch daran. Komischerweise ekelte ich mich nicht vor mir selbst, wie ich es erwartet hatte. Ich wusste, dass ich dies nicht tun müsste um zu überleben und ich wusste, dass ich das Tier nicht getötet hatte. Ich war Leo dankbar, dass er mich rechtzeitig gestoppt hatte.

„Warum trinkst du nicht ausschließlich Tierblut?“, fragte ich ihn dann neugierig.

„Die Wirkung hält nicht so lange an, wie bei Menschenblut oder... deinem.“, antwortete Leo schüchtern. Ich verstand es. Das Gefühl war wirklich berauschend. Ich spürte, wie meine Sinne noch schärfer wurden. Die Farben um mich herum wurden noch deutlicher. Ich spürte neue, starke Energie durch meinen Körper fließen. Und ich wusste, dass Leo dies nicht nur aus Spaß tat sondern um nicht der Blutgier zu verfallen und um jung zu bleiben.

„Sag mal...“, fragte ich zögernd, „Bleibe ich auch jung, wenn ich Blut trinke?“

„Ich weiß es nicht.“, antwortete Leo ehrlich. „Es könnte aber möglich sein. Ich wüsste, wie wir es testen könnten.“, meinte er dazu.

„Und wie?“, fragte ich neugierig.

„Verwandle dich mal zurück.“, sagte er. Ich tat, was er sagte. Plötzlich sah ich kaum noch etwas um mich herum, das ärgerte mich. Leo sah sich kurz um und reichte mir dann einen kleinen Stock.

„Kratz dich mal damit.“, forderte er mich auf. Ich sah ihn skeptisch an. „Keine Sorge, ich habe mich erst vor Kurzem genährt.“, sagte Leo ermutigend. Also tat ich, was er sagte. Ich fügte mir eine kleine Wunde am Arm zu und starrte gebannt darauf. Sie schloss sich in Sekundenschnelle wieder. Ich kreischte kurz auf und Leo begann breit zu grinsen.

„Scheinbar funktioniert es.“, sagte er freudig und schloss mich in seine Arme. Ich war ganz verwirrt von seiner überschwänglichen Reaktion.

„Warum freut dich das so?“, fragte ich deswegen nach.

„Na ganz einfach!“, strahlte Leo, „so können wir länger zusammen bleiben!“ Er grinste über beide Ohren. Ich musste kichern. Aber er hatte wirklich recht. Ich hatte viel mehr, als ein menschliches Leben vor mir, wenn ich ab und zu Blut trank. Leo nahm mich hoch und wirbelte mich einmal im Kreis. Ich quietschte kurz und noch während er mich auf dem Arm hatte, leitete ich erneut die Verwandlung zum Vampir ein. Als er mich ansah zuckte er kurz zusammen, doch dann lächelte er noch ein Stück breiter. Er setzte mich wieder wieder auf die Füße und nur Sekunden danach stürzte ich mich lachend auf ihn. Ich hatte Blut getrunken und jetzt wollte ich meine besseren Fähigkeiten testen. Wir rangelten eine ganze Weile miteinander, genau wie vorhin mit Tom auf der Lichtung, aber es war viel... eleganter. Nicht so... Urgewaltig wie sich mit einem Wolf zu balgen. Irgendwann kamen wir keuchend zum Liegen. Ich landete auf Leo. Wir lachten und atmeten schwer. Ohne nachzudenken gab ich ihm einen Kuss auf die Nase. Er grinste, legte einfach eine Hand in meinen Nacken und gab mir einen langen Kuss direkt auf den Mund! Ich versteifte mich kurz, doch dann registrierte ich, wie gut es sich anfühlte. Seine Lippen schmeckten köstlich. Sie waren kühl aber unglaublich weich. Ich gab meinen Widerstand auf und ließ mich ganz in diesen Kuss fallen. Als Leo bemerkte, dass ich seinen Kuss erwiderte drehte er uns beide einfach um und kam so halb über mir zum Liegen. Er stützte sich jedoch links und rechte von meinem Kopf ab, um mich nicht zu zerquetschen. Mir wurde unglaublich warm. Seine Lippen waren nur wenige Zentimeter von meinen entfernt. Ich konnte seinen warmen Atem in meinem Gesicht spüren. Er roch nach... Bonbon-Maschine. Natürlich, er hatte ja auch vor Kurzem erst gejagt. Sein Atem ging ziemlich flach und ich spürte, dass er eine ziemlich heftige Erektion hatte, die sich nun an mein Bein drückte. Erschrocken versteifte er sich wieder. Erst sah er mich verwirrt an, doch dann schien er den Grund zu verstehen. Er wusste ganz genau, dass ich noch nie einen Freund gehabt hatte und somit noch ziemlich unerfahren war und natürlich noch Jungfrau. Langsam erhob er sich von mir und half mir, aufzustehen. Zärtlich gab er mir einen Kuss auf die Stirn.

„Entschuldige, Prinzessin.“, murmelte er in meinen Haaransatz. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Schon gut.“, versuchte ich ihn und auch mich selbst zu beruhigen. Mein Herz klopfte wie wild.

„Danke für die schöne Zeit und die Jagd.“, sagte Leo vorsichtig lächelnd.

„Bitte.“, sagte ich und entspannte mich langsam wieder. Ich hatte mich sehr erschrocken durch seine Reaktion aber wenn ich jetzt genau darüber nachdachte, war sie verständlich. Er liebte mich, da war es nur normal, dass er mich auch körperlich begehrte. Doch ich konnte es einfach nicht tun, so lange ich mir meiner Gefühle nicht sicher war..

Leo nahm meine Hand und zog mich mit sich. Er sprang wieder in die Baumwipfel und ich folgte ihm ohne Probleme. Erst, als wir von den Bäumen sprangen und auf einer Wiese landeten verstand ich, dass er mich zurück zur Pension gebracht hatte. Wir flitzten gemeinsam zum Eingang. Erst als die Tür geöffnet wurde verwandelte ich mich zurück. Tim begrüßte mich mit einer Umarmung.

„Deine Eltern schlafen schon.“, flüsterte er mir ins Ohr. Doch dann rümpfte er die Nase und knurrte: „Du riechst nach Tier und Blut.“, warf er mir plötzlich vor.

„Ja, ich habe gejagt.“, gab ich schulterzuckend zu. „Das ist bei Vampiren nur 'Natürlich'“, fauchte ich ihn an. Plötzlich hatte ich das Gefühl mich und vor allem Leo verteidigen zu müssen. Tom schnaubte einmal und ließ mich dann los.

„Du machst sie zur Mörderin!“, knurrte er Leo bedrohlich an und machte einen Schritt auf den Angesprochenen zu.

„Ich habe nicht gemordet! Der Hirsch ist gesund und munter!“, warf ich Tom wütend an den Kopf. Ich konnte einfach nicht glauben, dass er tatsächlich denken konnte, dass ich gemordet hätte!

„Na wenigstens etwas!“, knurrte Tom, ohne Leo aus den Augen zu lassen.

„Schluss jetzt!“, knurrte ich ebenfalls. „Ich hatte einen wunderbaren Nachmittag und das lasse ich mir jetzt nicht kaputt machen! Von keinem von euch beiden!“

Schuldbewusst zog Tom den Kopf ein und auch Leo senkte den Blick.

„Ich gehe jetzt ins Bad, mich frisch machen, und dann will ich schlafen!“, fauchte ich müde. Ohne ein weiteres Wort suchte ich das Badezimmer und stieg unter die Dusche. Das warme Wasser wirkte wahre Wunder, doch ich merkte auch, dass ich ziemlich erschöpft war. Immerhin war ich den ganzen Nachmittag und die halbe Nacht durch den Wald geturnt. Und ich war mir sicher, dass das noch lange nicht alles war, was meine Verwandlungen so konnten. Das war sicher nur ein Vorgeschmack.

Als ich mein Zimmer betrat blieb ich kurz verwirrt stehen. Mitten im Raum saß mein mächtiger schwarzer Wolf und sah mich nervös an.

„Darf ich bitte wieder bei dir schlafen?“, fragte er vorsichtig. Bevor ich antworten konnte fügte er knurrend hinzu: „Leo ist einverstanden, so lange ich in dieser Gestalt bleibe und ich glaube, dir ist es so auch lieber...“, er sah schüchtern zu Boden. Was war auf einmal los mit ihm? Sonst bat er doch nie um Erlaubnis. Das konnte eigentlich nur bedeuten, dass ihm sein Ausbruch von eben leid tat und, dass er meine Gesellschaft brauchte. Und das nicht nur zum Spaß.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte ich deswegen vorsichtig.

Ja schon, noch.“, sagte Tom. „Aber wir sind sehr weit weg von meinem Rudel und... Ich spüre, dass sich langsam eine gewisse Einsamkeit in mir breit macht. Deine Nähe lindert dieses Gefühl sehr gut.“, gab er zu, ohne den Blick zu heben.

„In Ordnung.“, sagte ich sanft lächelnd. „Ich hab dich ja auch gerne in meiner Nähe.“, gab ich offen zu. Erst jetzt sah er mich mit seinen wunderschönen gelben Augen an.

„Danke.“, sagte er aufrichtig und sprang dann mit einem geschmeidigen Satz aufs Bett. Dieses ächzte heftig unter seinem Gewicht, doch es schien zu halten. Er legte sich bequem hin und ich kuschelte mich neben ihn. Ich trug zwar nur eine Leggins und ein dünnes Nachthemd, doch das war mir im Moment egal.

Es war ein wenig eng auf dem kleinen Bett, doch ich kuschelte mich einfach näher an meinen Wolf. Sein weiches Fell und sein ruhiger Atem halfen mir sehr gut, schnell einzuschlafen. Bevor ich jedoch ganz im Land der Träume versank hörte ich seine knurrende doch sanfte Stimme:

„Morgen fahren wir nach London, meine Prinzessin.

Lächelnd entschwand ich in einen tiefen und traumlosen Schlaf.

Impressum

Texte: ReveNoire
Bildmaterialien: ReveNoire
Tag der Veröffentlichung: 23.12.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich... ...meinen Freunden, die mich immer unterstützen zu schreiben und meinem geliebten Teufel, der mir sehr geholfen hat, meinen Schreibstil zu verbessern. ...Allen, die auch in einer fantastischen Welt leben und immer offen für neue Ideen und Vorstellungen sind. ...Allen, die auch glauben, dass die wahre Liebe nicht immer nur auf eine Person bezogen sein muss! Viel Spaß beim Lesen.

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