Malik wandte sich von dem Bildschirm ab und drehte sich zu seinem Partner um. Er war unzufrieden. Das alles lief überhaupt nicht wie geplant. Er musterte sein Gegenüber. Irrte er sich oder funkelten seine Augen tatsächlich belustigt?
»Was willst du nun tun?«
In die Ecke gedrängt, weigerte Malik nicht, den Blick zu senken. Er würde keine Schwäche zeigen. Es war kein Weltuntergang. Noch gab es genug Probanden. Er musste diese nur ... Ein listiges Lächeln schlich sich auf seine Lippen. »Ich habe noch genug Nachkommen. ExM098 ist nicht unersetzlich.«
»Doch diese Probenden sind nicht hier«, bemerkte der Andere.
»Dann müssen wir sie eben herholen. Meine Nachkommen scheinen für deine Saat am empfänglichsten zu sein.«
»Nun, aber deine andere Tochter scheint zu einem Problem für uns zu werden. Anstatt sich unserem Befehl zu unterwerfen ...«
»Das weiß ich auch!«, fauchte Malik den anderen an und bereute es umgehend, als er den kalten Blick in dessen Augen sah. Er durfte nicht vergessen, dass der Andere zwar menschlich aussah, dies jedoch nur eine Farce war. »Aber ihre Infektion war unrein. Bea hat sie durch ihr Blut infiziert. Die anderen werden hier in unseren Labors behandelt und dann in das Erziehungsheim gebracht.«
»Und du bist dir sicher, dass das funktioniert? Wir müssen nun, da unser Spion nicht mehr aktiv ist, mit allem rechnen. Wir wissen nicht mehr, was die anderen Planen.«
»Das ist einfach. Es sind primitive Völker, von ihren Instinkten getrieben. Sie wollen Vergeltung. Und in ihren ungebildeten Verstand kann das nur eines bedeuten: Krieg. Sie werden gegen uns vorgehen und dies auf dem kriegerischen Weg.«
»Was macht dich da so sicher? Du kannst dir keine weiteren Fehler leisten, Malik. Meine Geduld ist nicht endlich.«
Malik musste sich zusammenreißen, um nicht zu zurückzuweichen. Es stimmte: Die Geduldsspanne seines Partners war sehr gering. Dabei hatten sie schon viel erreicht. Beatrice war ihr hoffnungsvollstes Subjekt gewesen, doch es gab noch weitere Kinder. Er selbst hatte dafür gesorgt, dass es sie gab. Und genau hier lag auch begründet, wieso er ahnte, was auf sie zukam. Er hatte unter den Primitiven gelebt. Nicht unter den Wölfen und Vampiren und ganz gewiss nicht unter den Ghoulen. Doch die Menschen dort und seine Angestellten, die diese Dörfer bewachten hatten ihn einen guten Einblick gegeben.
»Sie werden angreifen«, versicherte er mit fester Stimme. »Sie wissen nicht alles über uns. Die Informationen des Spiones haben das deutlich gezeigt. Wenn man bedenkt, wie lange sie bereits hinter uns her sind und Informationen sammeln, ist ihr Wissen derart mangelhaft, dass ich nicht verstehe, wieso du dir sorgen machst.«
Das kalte Lachen seines Partners jagte Malik eiskalte Schauder über den Rücken. Es klang derart unecht und falsch ... Er schluckte und widerstand dem Drang sich wieder den Bildschirmen des Computers zuzuwenden, nur um nicht weiter in diese kalten schwarzen Augen sehen zu müssen.
»Auch du warst primitiv, ehe du auf mich getroffen bist«, erinnerte ExU001 ihn. Er hatte sich nie einen Namen zugelegt, da er es für unwürdig befand. Malik vermied es also seine Sätze in der Art zu formulieren, die einen Namen benötigte.
Tief durchatmend, um sich zu beruhigen und nicht seiner Wut nachzugeben, nickte Malik. »Ich weiß. Doch du hast mir dein Blut eingeflößt und mich zu deinem Partner gemacht. Gemeinsam werden wir die Welt beherrschen und die Menschen unterjochen. Wenn wir erst einmal fertig sind, wird es keine Werwölfe, Vampire oder Ghoule mehr geben, außer jenen, die wir selbst züchten. Eine Welt, wie du sie dir wünschst.«
Der Andere nickte. »Eine Welt, in der alle meine Untergebenen sind. Du wirst meine rechte Hand sein, wenn es dir gelingt. Wenn nicht ...«
Malik schluckte angespannt, sagte jedoch nichts. Er wusste, was geschehen würde, wenn er versagte. Er kannte das Risiko. Doch er würde Erfolg haben und dann gemeinsam mit ExU001 die Welt beherrschen.
»Runter!« Lucs Schrei hallte durch ihren Kopf und Sophie reagierte instinktiv. Der Feuerball aus dem Handflammenwerfer des Dorfmagiers sauste dicht über ihren Kopf hinweg. Sophie konnte die Hitze der Flammenkugel spüren und bildete sich ein versengtes Haar zu riechen.
Sie blieb noch einen Augenblick auf dem Boden liegen und holte angestrengt Luft. Das alles gestaltete sich weniger einfach, als erhofft.
Ihr Plan war es gewesen in das Dorf einzudringen, die Mitarbeiter von Virtus, die für die Bewohner Lovlins Magier waren, auszuschalten und dann Aufklärungsarbeit zu leisten. Sie waren erwischt worden, ehe auch nur einer von ihnen in das Dorf hatte schleichen können. Man hatte sie sogar erwartet. Woher hatten sie nur gewusst, dass sie auf dem Weg waren?
Nun, es spielte keine Rolle. Jetzt galt es erst einmal zu überleben. Ein Rückzug würde nichts bringen und wäre für ihren Plan nicht förderlich. Also mussten sie durchhalten und es erledigen.
Genug ausgeruht!, dachte sie sich und sprang wieder auf die Füße. Sofort stürzte sich eine der Dorfwachen auf sie. Sophie wich aus und griff nach dem Speer, mit dem er sie hatte ausschalten wollen. Mit einer geschickten Drehung entwandte sie ihm die Waffe und hielt sie nun ihrerseits in der Hand.
Als die Wache angriffsbereit zu ihr herumfuhr stutzten sie beide. Es war Sorin, der Hauptmann der Wache.
»Du!«, keuchte er, doch dann erfüllte Hass seine Augen. »Du verschwörst dich gegen deinesgleichen um diesen ... Vieh zu helfen und auszulöschen?«
Da Sophie sich durch die Waffe in ihrer Hand im Vorteil wähnte, ließ sie sich auf das Gespräch ein. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Nein. Niemand soll ausgelöscht werden. Wir versuchen euch zu retten«, erklärte sie fieberhaft.
Das höhnische Lachen, welches der Hauptmann ausstieß ließ Sophies Zuversicht schwinden. »Retten. Retten? Wovor wollt ihr uns retten? Die einzige Gefahr weit und breit ist das Vieh in den Wäldern, welches uns immer wieder angreift!«
»Du irrst dich! Sie haben mich gerettet. Es gibt etwas viel schlimmeres als die Wölfe. Nämlich die, die auch für das Verschwinden der Kinder verantwortlich sind. Meine Schwester, Toma ... und all die anderen. Willst du nicht wissen, was wirklich vor sich geht?«
Für einen kurzen Augenblick konnte sie Zweifel in Sorins Augen erkennen. Dann jedoch stürzte er auf sie zu und entriss ihr den Speer.
Diesmal gelang es Sophie nicht vollkommen auszuweichen und sie nahm wahr, wie die Spitze des Speers sich in ihren Oberarm grub. Sofort schoss ein scharfes Kribbeln durch ihren gesamten Arm und die Geschwindigkeit, mit der die Veränderung sich vollzog, war zu schnell, zu abrupt, als dass Sophie etwas dagegen hätte machen können.
Es war ein instinktives Verhalten. Einer ihrer Tentakel schoss auf Sorin zu – der sie mit schreckensgeweiteten Augen anstarrte – und riss ihm den Speer aus den Händen. Ein kurzer Ruck und die Waffe zerbrach in zwei Teile.
Sophie biss die Zähne zusammen, um Sorin nicht zu verletzen. Ihr Tentakel schien nach Blut zu dürsten, nun wo es so nah war. Doch ebenso, wie sie die Bewegungen instinktiv steuerte, so wusste sie auch, dass Blut das Böse der Infektion nähren und stärken würde. Sie würde nicht mit den Tentakel töten. Niemals!
»Du bist eine von denen! Du bist auch so ein Vieh!«, schrie Sorin und griff nach dem Dolch, den er in der Scheide seines Gürtels trug.
Es gelang ihm nicht zum Angriff überzugehen. Luc tauchte auf und rammte gegen den Körper des Wächters. Sie gingen beide zu Boden. Ehe Sophie irgendetwas sagen konnte, gruben sich die Zähne des Wolfes in Sorins Kehle.
Nun würde es noch schwerer werden die Dorfbewohner zu überzeugen. Sorin war hoch angesehen gewesen, als sie noch im Dorf gelebt hatte. Daran würde sich nicht viel geändert haben. Doch es brachte nichts, sich nun darüber zu ärgern. Der Kampf tobte immer noch um sie herum.
Luc und sie tauschten einen kurzen Blick und dann wandte sich jeder von ihnen dem nächsten Gegner zu. Einer der Magier kämpfte mit Gaian. Sophie dachte nicht lange nach und eilte dem Bruder ihres Gefährten zur Hilfe.
Sie sprang den Magier von hinten an, zog im Sprung bereits ihren Dolch und zog ihn über die weiche Haut an seinem Hals. Das Blut, welches aus der Wunder hervortrat nicht beachtend, musterte sie Gaian für eine Sekunde. Er schien unverletzt. Welch ein Glück.
Ohne sie wäre der Jüngling gar nicht hier auf dem Schlachtfeld zu finden. Doch da Sophie darauf bestanden hatte mit den Krieger mitzukommen, musste man es auch Gaian gestatten. So hatte sie ihre Entscheidung schnell bereut, war jedoch nicht gewillt gewesen, sie zu revidieren. Nun sah sie es als ihre Pflicht an, zu verhindern, dass er zu Schaden kam.
»Geh zu Luc!«, wies Sophie Gaian an und drehte sich dann um ihre eigene Achse. Ein Mann in Wächterkleidung kam auf sie zu gerannt. Sophie stellte ihre Beine ein wenig auseinander, um besseren Halt zu haben und bereitete sich auf seinen Angriff vor.
Er preschte auf sie zu und zog im Lauf ein Schwert. Sophie zögerte. Sie selbst hatte den Schwertkampf nicht erlernt, also blieb ihr nur der Dolch oder der Handflammenwerfer. Da sie noch nicht gewillt war, den Mann gleich zu töten, stellte sie sich darauf ein zur Seite auszuweichen, eine Drehung zu vollführen und den Mann dann von hinten anzugreifen, sobald er durch seinen eigenen Schwung an ihr vorbei gerannt war.
Als der Moment kam, ging alles schief.
Sophie rutschte auf dem vom Blut durchtränkten Boden weg und fiel schmerzhaft auf den Boden. Der Mann, der sich immer noch im vollen Lauf befand, das Schwert hoch erhoben und bereit zum finalen Schlag, konnte nicht mehr ausweichen und fiel über sie.
Seine schweren Stiefel trafen Sophie an der Schläfe und für einen kurzen Augenblick wurde ihr schwarz vor Augen. Sie versuchte das Bewusstsein zu behalten. Wenn sie nun ihre Sinne verlor, wäre es für jeden Gegner ein leichtes sie zu töten.
Schwankend und stöhnend drehte sie sich um den Wächter anzusehen, für den Fall, dass er sie erneut angreifen wollte.
Es wäre nicht nötig gewesen. Der Mann hatte sich mit seinen eigenen Schwert aufgespießt, als er über sie gefallen war. Sophie schüttelte sich kurz und rappelte sich schließlich auf.
Sie sah, wie die Wölfe die restlichen Wächter zusammentrieben und umzingelten. Magier konnte Sophie keine lebenden mehr entdecken. Es sah so aus, als wäre das schlimmste vorerst vorbei. Nun galt es, die Dorfbewohner zu überzeugen, dass sie nichts böses im Sinn hatten. Ein schwieriges Unterfangen, nachdem sie derart viele von ihnen getötet hatten.
Während die Wächter sich umringt von riesenhaften Wölfen zusammendrängten, ging Sophie auf sie zu. Sie sah, wie Luc sich entfernte, wahrscheinlich, um sich zu verwandeln. Er wollte zu den Dorfbewohnern sprechen. Doch dafür mussten sie bereit sein zuzuhören.
Sophie trat zwischen Bando und Gaian und musterte die Männer. Die Gesichter waren ihr immer noch vertraut, doch der Ausdruck, als einige der Wächter ihren Blick auf sie richteten war ein vollkommen anderer. Es war deutlich zu sehen, wie verraten sie sich fühlten. Sie glaubten, Sophie sei gekommen, um das Dorf zu überfallen. Und wie sollten sie auch nicht? Es war derart schnell zum Kampf gekommen ...
Sie suchte nach jemanden, der ihr sehr wohlgesonnen war, als sie noch im Dorf lebte. Schnell fand sie das Gesicht von Lasslo, dem Dorfschmied und hielt seinen Blick fest in ihren.
»Ihr müsst uns anhören«, erklärte Sophie beschwörend. »Es war nie unsere Absicht jemanden zu verletzen. Das wäre auch nicht nötig gewesen, wenn ihr uns nicht angegriffen hättet.« Sie konnte sehen, wie Lasslo den Mund öffnete um den Vorwurf zu kommentieren doch sie schüttelte den Kopf. »Schon gut. Ihr müsst zuhören. Die Welt ist nicht so, wie sie scheint. Wir haben herausgefunden, wer hinter den verschwundenen Kindern steckt. Es verschwinden auch Wölfe, wusstet ihr das? Sie haben mir das Leben gerettet.«
Lasslo sah sie lediglich schweigend an. Sophie hätte weiterreden können, doch was würde das bringen. Je mehr sie nun vor sich hin brabbelte, desto unglaubwürdiger wirkte sie. Also ließ sie die Worte, die sie bereits an die Wächter gerichtet hatte wirken. Wenn es ihnen gelang diese Männer zu überzeugen, würde es bei dem Rest der Dorfbewohner ein Leichtes werden.
»Warum sollten wir dir glauben?«, fragte Lasslo schließlich.
Sophie atmete auf. Nach Sorin war er derjenige, auf den die Männer im Dorf hörten. Sein Können in der Schmiedekunst hatte dazu geführt. Es war gut, dass er sich auf das Gespräch einließ. Sie lächelte also und versuchte ruhig zu bleiben. »Ich lebe noch, oder nicht? Ich stehe hier vor euch. Und ihr kennt mich. Glaubst du wirklich, ich würde mit den Wölfen geschlossen hier stehen, wenn es sich anders verhielte?«
»Du bist eines dieser Monster!«, rief einer der Männer. »Ich habe es sehen, als du Sorin angegriffen hast.«
Nun zögerte Sophie. Es zu leugnen würde nichts bringen. »Ich wurde infiziert. Durch die Menschen, die auch die Kinder entführen, um diese ebenfalls zu infizieren. Es ist ... eine Art Krankheit, doch ich bin im Gegensatz zu vielen anderen, nicht daran gestorben.« Sie schluckte, als sie an Bea dachte. »Und ich bin auch immer noch ich, anders als meine Schwerster es war.«
Die älteren Männer holten erschrocken Luft. »Du hast Bea gefunden?«, fragte Lasslo ungläubig.
Trauer führte dazu, dass Sophies Herz sich schmerzhaft zusammenzog, doch sie nickte. »Habe ich«, gestand sie langsam. »Inzwischen lebt sie nicht mehr. Die Infektion ... Sie hat sie zu einem seelenlosen Monster gemacht. Sie hat diesen Männern geholfen weitere Kinder und auch Wölfe zu entführen.«
»Wer hat sie getötet?«
Wieder zögerte Sophie. Sie wollte ehrlich sein, doch wie würden die Männer es aufnehmen? Zitternd holte sie Luft: »Ich. Sie hat gedroht, meine Freunde zu holen. Einen nach dem anderen, während sie mich angriff, um mich ebenfalls zu töten. Ich wünschte, es hätte einen anderen Weg gegeben. Doch ihre ... Krankheit war zu weit fortgeschritten.«
»Du tötest dein eigen Fleisch und Blut, um diese Hunde zu retten?«, rief wieder der Mann von davor.
Sophie versuchte den Vorwurf beiseite zu schieben und hielt ihren Blick fest auf Lasslo gerichtet. »Die Welt ist eine andere, als man uns weismachen möchte. Die Magier ... Sie beherrschen keine Magie.« Hoffentlich würde dieses Beispiel etwas bringen.
»Sie schießen Feuer aus ihren Händen? Wie nennst du es, wenn nicht Magie?«, fragte Lasslo. Er wirkte nicht abwehrend, nur interessiert.
Sophie hob den Arm, drehte sich ein wenig zur Seite und visierte einen Baum an. Dann bewegte sie ihre Finger, um den Handflammenwerfer zu aktivieren.
Die Feuerkugel schoss hervor und raste auf den Baum zu, der sofort in Flammen aufging. Ein kollektives Aufstöhnen ging durch die Männer. Sophie drehte sich wieder zurück und zog ihren Ärmel ein Stück nach oben, um ihnen die Manschette zu zeigen.
»Dies hier ist ein Handflammenwerfer. Ein technologisches Gerät, mit dem jeder Mensch Feuerkugeln erzeugen kann, wenn er weiß, wie man damit umgeht.« Sie ließ die Hand wieder sinken. »Es sind keine Magier. Es sind Mitarbeiter einer Organisation, die Versuche an Menschen, Wölfen, Vampiren und sogar den Ghoulen durchführt.«
Keiner der Wächter schien Worte zu finden. Sophie entging nicht, dass viele noch auf den schwelenden Baumstamm starrten.
»Hört euch an, was wir zu sagen haben. Solltet ihr danach immer noch der Meinung sein, wie wollen euch etwas Böses, werden wir gehen und euch nicht weiter behelligen. Ich gebe euch mein Wort.«
»Das Wort eines Monsters!«, schrie erneut der Mann, dessen Einwände nun schon häufiger ertönt waren.
Ehe Sophie etwas sagen konnte, fuhr Lasslo zu ihm herum. »Halt den Mund Daron!«, wies er den Mann an. »Wir werden uns anhören, was sie zu sagen haben. Zunda, Kuna, ihr geht die Dorfältesten holen, ich möchte, dass sie dabei sind. Auch die weiblichen!«
Zunda und Kuna waren von ihrer Mutter behandelt worden an dem Tag, bevor Sophie das Dorf verlassen hatte. Sie erinnerte sich gut daran. Die beiden nickten und zogen sich unsicher in Richtung Dorfeingang zurück. Die Wölfe machten ihnen anstandslos Platz.
Luc tauchte wieder auf, diesmal in seiner menschlichen Gestalt. Als Sophie sich zu ihm herumdrehte, lächelte er ihr zu und nickte. Er hatte jedes ihrer Worte über ihre Gefährtenbindung mitbekommen und schien zufrieden damit zu sein.
Neben ihr blieb er stehen und betrachtete die Menge. Sophie beobachtete ihn genau. Es war deutlich zu sehen, dass er über sein Vorgehen nachdachte. Dann sah er, ebenso wie Sophie es getan hatte zu Lasslo. »Du hast hier das Sagen?«, fragte er mit ruhiger Stimme.
Lasslo wandte sich zu den Männern um. Einige von ihnen nickten, andere starrten betreten zu Boden. Dann blickte er wieder zu Luc. »Sieht danach aus«, antwortete der Dorfschmied.
»Dann such deine Leute zusammen, die du bei unserem Gespräch dabei haben möchtest. Ich werde Gabe und Sophie hier behalten und den Rest des Rudels zurück in unser Dorf schicken. Mein Zeichen an euch, dass ich euch vertraue. Ich hoffe ihr missbraucht es nicht.«
»Das klingt fair«, bemerkte Lasslo und seufzte dann. »Wir werden in die Schenke gehen. Dort sollte genug Platz für alle sein, die an diesem Gespräch teilnehmen wollen. Ich möchte niemanden ausschließen. Jeder muss für sich entscheiden. Allerdings darf niemand, der nicht teilnimmt, hinterher unsere Entscheidung in Frage stellen, inwieweit wir euch vertrauen. Entschließen wir uns, mit euch zu kooperieren, ist dieser Entschluss bindend für das gesamte Dorf.«
»Dies scheint mir annehmbar.« Luc drehte sich zum Rudel um und ließ seinen Blick über die vielen Wölfe schweifen. »Ihr habt es gehört. Geht zurück ins Dorf. Wir werden nachkommen, sobald wir hier alles geregelt haben.«
Sophie entging der vorwurfsvolle Blick von Gaian und einigen der anderen Wölfe nicht, doch Luc ignorierte es. Er war der Alphawolf und so mussten sie sich seinem Willen fügen. Gabe erschien dankbar diesmal nicht wieder zurückgeschickt zu werden, da er als Stellvertreter all zu oft zurückbleiben musste, wenn Luc auf eine Mission ging. Sie selbst war überrascht, dass Luc ihr gestattete zu bleiben. Doch dann wurde ihr der Sinn dahinter klar. Die Menschen in Lovlin kannten sie. Auch wenn sie seit über einem Jahr nicht mehr zur Dorfgemeinschaft gehörte, setzte Luc darauf, dass man ihr eher vertraute, als den Wölfen.
Die Wächter sahen dabei zu, wie die Wölfe sich zurückzogen und schließlich im Wald verschwanden. Dann betrachtete Lasslo Luc, Gabe und Sophie für einen Augenblick ehe er nickte, als sei er zu einer Entscheidung gekommen.
»Folgt mir«, wies er sie an und drehte sich um, um ins Dorf zurückzugehen. Sophie und ihre Begleiter folgten der Aufforderung, gespannt, was sie nun erwartete.
Es dauerte lange, die gesamte Geschichte zu erzählen. Viele Fragen wurden gestellt, doch die Anwesenden in der Schenke schienen ihnen zu glauben. Sophie war erleichtert, denn wenigstens waren sie nun gewarnt vor den Machenschaften von Virtus. Selbst wenn die Dorfbewohner sich dagegen entschieden mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Als schließlich alles erzählt war, blieb es eine Weile still. Dann räusperte Lasslo sich schließlich und seufzte tief. »Das klingt alles so unwirklich«, murmelte er. »Aber eure Waffen und die Dinge, die ihr beschreibt, sind so unwahrscheinlich, dass man sie sich kaum ausdenken kann. Und ich sehe dich, Sophie. Du warst niemals ein einfaches Kind. Zu eigensinnig und Neugieriger als gut für dich ist. Als du abgehauen bist, hast du deiner Mutter das Herz gebrochen, doch sie zeigte es niemanden. Sie sagte immer, sie hat geahnt, dass du eines Tages hinausziehen und nach deiner Schwester suchen würdest. Und Toma war ein guter Freund von dir. Somit kann man es verstehen.«
»Ich wollte meiner Mutter niemals weh tun. Doch ... Sie hat recht. Selbst wenn das mit Toma nicht passiert wäre, hätte ich wahrscheinlich irgendwann den Drang dazu gehabt, nach Beatrice zu suchen.«
»Und du hast sie gefunden«, bemerkte Lasslo. »Unsere Kinder ... Die Kinder dieses Dorfes in den Händen solcher Barbaren. Ich will das nicht. Es darf keine weiteren Opfer mehr geben! Aber unsere besten Kämpfer sind tot. Was erwartet ihr also von uns?«
Nun regte sich Luc zum ersten mal seit langer Zeit wieder. »Nichts, was ihr nicht bereit seid zu geben. Es war unser ernst, als wir sagten, wie ließen euch unbehelligt, wenn ihr euch dagegen entscheidet uns zu helfen. Alles hilft. Waffen, Nahrung, Rüstung ... Wenn sich ein oder zwei von euch bereiterklären würden mit uns zu den anderen Dörfern zu ziehen, um dort mit den Dorfvorstehern zu sprechen könnten wir vielleicht weitere Kämpfe mit den Unschuldigen verhindern.«
»Das wäre wünschenswert«, sagte eine der Frauen bedrückt. »Es hat schon zu viele Verluste gegeben.«
»Da stimme ich dir zu. Auch mein Bruder befindet sich darunter. Es soll nicht noch mehr Opfer geben. Virtus muss das Handwerk gelegt werden. Angefangen dabei, dass wir euch aufklären. So ist es nicht mehr ganz so leicht für sie, euch unvorbereitet zu erwischen. Anschließend werden wir gemeinsam mit den Ghoulen und den Vampiren nach Macea ziehen. Dort sitzt die Zentrale.«
»Und was erwartet euch da?«, fragte nun Zanda.
»Das wissen wir nicht. Wir müssen uns auf alles vorbereiten. Aber eines ist für mich sicher: Nur gemeinsam sind wir stark.« Luc sah grimmig und in seinem besten Alphawolfblick in die Runde der Dorfbewohner. Sophie entging nicht, wie viele von ihnen instinktiv den Blick senkten.
Sie wechselte einen schnellen Blick mit Gabe, in dessen Augen ebenfalls ein belustigtes Funkeln stand. Anscheinend war auch ihm es aufgefallen.
»Also gut. Wir wissen, es gibt viele neue Informationen. Wir werden euch einige Tage Zeit lassen, um über die Dinge nachzudenken. In drei Tagen kommen wir zurück und hören uns eure Entscheidung an.«
Leises Murmeln ertönte. Lasslo drehte sich um und sah die Dorfältesten an. Einige von ihnen nickten. Dann stand der Dorfschmied auf und drehte sich zu der Gemeinde um. »Wer von euch braucht noch Bedenkzeit?«
Niemand meldete sich. Sophie hielt den Atem an. Es war nur all zu deutlich, dass Lasslo die Sache schnell hinter sich bringen wollte. Also würde er jetzt abstimmen lassen.
»Wer von euch ist für einen Zusammenschluss mit den Wölfen? Wie genau unsere Art der Hilfe aussehen kann, werden wir noch besprechen.«, fragte Lasslo in die Runde.
Da waren Hände in der Luft. Viele Hände! Mehr als die Hälfte. Sophie wagte es wieder Luft zu holen und tauschte einen fieberhaften Blick mit Luc. Er wirte ebenso erregt wie sie. Die erste Hürde war geschafft. Es war ihnen gelungen neue Verbündete zu gewinnen.
Kuna stand auf und musterte kurz die Wölfe, ehe er zu Lasslo sah. »Ich will mich anbieten die Wölfe zu begleiten, wenn sie zu den anderen Dörfern ziehen«, erklärte der Jäger.
Neben ihm sprang Zanda auf. »Ich ebenfalls. Wir waren oft auf der Jagd und kennen die Wälder gut. Zudem kennen wir auch einige Jäger, denen wir auf unseren Pirschen begegnet sind. Dies könnte hilfreich sein. Es sind nicht viele und es passierte selten, aber es ist passiert.«
»Eure Hilfe wäre uns sehr willkommen«, sagte Luc ruhig, ehe Zanda und Kuna anfangen konnten, ihren Nutzen zu untermalen.
Lasslo nickte zustimmend. »Es ist eure Entscheidung. Und sie ehrt euch ebenso, wie unser Dorf. Ich werde euch als Unterstützung Waffen und Rüstung nach eurem Wunsch herstellen.«
Gabe räusperte sich. »Vielleicht wäre es von Nutzen, wenn sie einige unserer Waffen erhalten. Ein Schwert ist schön und gut, eine Schusswaffe jedoch besitzt eine größere Reichweite. Auch unsere Rüstungen sind leichter und sicherer als alles, was ihr schmieden könnt.« Er wechselte einen schnellen Blick mit Luc. Sophie spürte das Zupfen an der Rudelverbindung, was bedeutete, dass Gabe ihm darüber eine Frage stellte. Luc nickte kaum merklich. Gabe sah wieder zu Kuna und Zanda. »Ihr seid wagemutig. Ich werde euren Wagemut auf die Probe stellen und biete euch an, uns heute noch in unser Dorf zu begleiten. Dort werden wir euch in den Umgang mit unseren Waffen unterrichten. Zudem wäre es hilfreich, wenn noch jemand drittes mit uns käme. Jemand, der hinterher den Dorfbewohnern den Umgang nahe bringen kann.«
Luc sah zu Lasslo. »Wie gut ist dein Schmiedehandwerk?«
»Ich bin ein sehr begnadeter Schmied«, erklärte der Mann sofort ohne dabei hochmütig zu wirken.
»Wenn wir die also genaue Pläne der Konstruktionen der Waffen geben, könntest du diese Schmieden?«
»Ich kann es versuchen«, erklärte der Dorfschmied. Dann runzelte er die Stirn. »Wieso?«
»Wir haben nur eine kleine Produktionsstätte, die unseren Eigenbedarf decken kann. Doch zukünftig brauchen wir mehr Waffen. Besonders, wenn wir alle Dörfer schützen und eine Armee aufstellen wollen. Wir können das Material liefern, aber dies wäre ein Dienst, der uns sehr willkommen wäre.«
Lasslo signalisierte seine Zustimmung, doch ehe er etwas sagen konnte, meldete Gabe sich erneut. »Du musst uns sagen, was du benötigst.
»Ich brauche die Einzelteile der Waffen«, erklärte der Schmied sofort. »Dann kann ich Gussformen erstellen.«
»Wir besitzen Gussformen«, antwortete Luc. »Ich werde sie dir bringen lassen, damit du dir ansehen kannst, ob sie etwas taugen.«
»Einverstanden.«
Eine der Frauen stand auf und sah sich unsicher um. Sophie kannte diesen Blick. Die Meinung von Frauen war im Dorf nie gerne gehört gewesen. Doch anscheinend gab die Tatsache, dass Sophie zwischen Luc und Gabe stand und ihre Stimme ebenso viel Gewicht zu haben schien, wie das der beiden Männer, ihr den Mut dazu. »Wir können Heiltinkturen und Salben herstellen, wenn es erwünscht ist«, sagte sie. »Wir können auch Binden für Verletzungen herstellen.«
»Auch das wäre uns willkommen. Wir werden euch auch hier zeigen, wie ihr die Dinge keimfrei bekommt. Wer ist hier alles in der Heilkunst bewandert?« Zwei Hände erhoben sich. Luc nickte und Sophie wusste warum. Sie hatte ihm bereits berichtet, was dahintersteckte. »Sucht euch Helfer und leitet sie an. Es wird früher oder später zu verletzten kommen. Dann brauchen wir fähige Heiler, die unsere Ärzte unterstützen können.«
»Ärzte? Sind dies eure Heiler?«
»Ja.«
»Wie viele habt ihr?«
»Zwei. Eine davon ist Sophie.«
Alle Blicke richteten sich erstaunt auf sie. Sophie wusste warum. Als sie noch im Dorf lebte, hatte sie nie Interesse an der Heilkunst gezeigt.
»Du bist nun ein Heiler?«, fragte Lasslo schließlich.
Sophie lächelte und nickte dann. »Sieht wohl so aus. Es hat sich so ergeben und es liegt mir anscheinend.«
»Es ist gut«, versicherte der Dorfschmied. Es ist gut, dass du dem Weg deiner Mutter folgst. Über die Jahre wirst du unbewusst vieles mitbekommen haben. Dies kann dir nun helfen.«
Kuna räusperte sich und richtete seinen Blick auf Sophie. »Aber du kämpfst auch. Machen das alle Frauen, dort wo ihr lebt?«
»Unsere Weibchen gehen für gewöhnlich auf die Jagd. Sophie kann sich jedoch nicht in einen Wolf verwandeln und kann dort nicht mithalten. Wie Lasslo bereits sagte, kann sie sehr dickköpfig sein. Deswegen begleitet sie uns. Deswegen uns weil es sie persönlich betrifft. Schließlich ist Malik ihr Erzeuger.«
Sophie trat einen Schritt vor, da sie ahnte, warum diese Fragen gestellt wurden. »Frauen und Männer sind im Rudel gleichberechtigt. Jeder hat seine Aufgaben, doch es ist anders als hier in Lovlin. In Notzeiten wissen die Frauen ebenso gut zu kämpfen, wie die Männer.«
Eine Frau, nicht viel älter als Sophie trat vor. Sophie erinnerte sich an sie. »Also können Frauen auch lernen zu kämpfen und zu jagen?«
»Können sie«, bestätigte Zanda, bevor Sophie dazu kam. »Ich habe Sophie kämpfen sehen. Glaub mir, sie ist genauso gut, wie jeder Mann. Besser als die meisten, die ich Kämpfen gesehen habe.«
Die junge Frau setzte einen entschlossenen Gesichtsausdruck auf. »Dann will ich das auch lernen!«, forderte sie.
Zustimmendes Gemurmel von einigen anderen Frauen. Unbehagen in den Augen der Männer. Sophie konnte sehen, dass dies eine Veränderung war, die ihnen wohl schwerer zu akzeptieren fiel, als die Tatsache, dass Virtus sie ihr ganzes Leben lang belogen hatte.
»Ich werde überlegen, wen ich euch als Ausbilder schicken kann«, erklärte Luc ruhig.
Damit war es beschlossen. Lovlin würde sich ihnen anschließen. Zanda und Kuna, die beiden Jäger, würde an ihrer Seite sein, um weitere Kämpfe mit den Unschuldigen zu verhindern. Ihre Mission stand unter einem guten Stern.
Sophie schlief am Tag nach dem Kampf sehr lange. Es war zermürbender gewesen, als vermutet. Doch ihr Erfolg in Lovlin war all dies wert. Sie hatten wie erhofft verbündete gefunden. Und dank Zandas und Kunas Hilfe würden die Opfer in den anderen Dörfern lediglich unter den Magier zu finden sein.
Es beschäftigte Sophie immer noch, dass Sorin gestorben war. Sie hatte nie vergessen, dass er ihr zugehört hatte, als es um das seltsame Verhalten der Werwölfe ging. Für einen kurzen Augenblick hatte sie sich gleichberechtigt gefühlt und ihrer Ansicht nach, war sein Tod ein Verlust.
Doch nun war es so und sie konnten es nicht ändern. Es gab wichtigere Dinge zu tun. Luc hatte für heute die erste Trainingseinheit für die beiden Jäger aus Lovlin eingeplant und das wollte Sophie unter keinen Umständen verpassen. Es wäre spannend zu sehen, wie sie sich mit den neuen Waffen anfreunden konnten. Zudem war Luc der Ansicht, es könne hilfreich sein, wenn sie ebenfalls anwesend sei.
Aus diesem Grund ging sie nach dem Frühstück nicht wie üblich in die Klinik, sondern steuerte die Waffenkammer an. Dort würde Luc bestimmt schon auf sie warten. Ob jemand daran gedacht hatte, Zanda und Kuna aus dem Gästehaus zu holen? Es wäre nun vorerst ihr Heim. Sophie konnte ihre Bitte, gemeinsam ein Haus zu bewohnen nachvollziehen. Mitten unter Wölfen war es für die beiden bestimmt eine Umstellung. Ihr ganzes Leben war ihnen anerzogen worden, die Wölfe seien das böse. Ebenso wie ihr. Und nun lebten und arbeiteten sie mit ihnen gemeinsam. In dem Haus jedoch waren sie unter sich. Sie konnte sich gut vorstellen, wie sie abends zusammen saßen und ihr erlerntes Wissen gegen das abwogen, was sie hier erlebten.
Wie sie wohl reagieren würden, sobald sie auf Riaan trafen? Der Vampir lebte nach wie vor im Dorf. Nachdem er Lenaya und ihr zur Hilfe geeilt war, bemühte Sophie sich darum, besser mit ihm zurechtzukommen. Meistens gelang es ihr. Sie mochte ihn immer noch nicht sonderlich, er war zu ruhig, zu eigenbrötlerisch. Doch man konnte sich auf ihn verlassen und dies war die Hauptsache.
Es war alles nicht einfach. Noahs Verrat hatte die Vampire schwer getroffen. Lenaya hatte Sophie in einem ruhigen Augenblick gestanden, sie hätte schon länger einen Verdacht gehegt, doch das ...? Sie hatten nicht herausfinden können, wieso Noah sich dazu entschloss, mit Virtus zusammenzuarbeiten. Er war zu schnell gestorben, so hatten sie ihn nicht mehr befragen können.
Und Bea ... Als Luc und die Wölfe ihre Leiche verbrannten, hatte Sophie sich geweigert wegzugehen. Wie viele Stunden hatte sie den Tod ihrer Schwester beweint? Sie konnte es nicht sagen. Es war seltsam. Bis zur letzten Sekunde hatte sie gehofft, sie könne sie retten. Doch ihre Hoffnung war zerschlagen. Um ihre neue Familie zu retten, hatte sie ihre Schwester umbringen müssen. Beatrices Blut würde auf ewig an ihren Händen kleben.
Sophie schüttelte die betrüblichen Gedanken ab, als sie in das Waffenlager trat. Luc und Gaian waren bereits da, doch Zanda und Kuna fehlten. Sie lächelte ihren Gefährten und seinen jüngeren Bruder zu. »Hat einer von euch daran gedacht, unsere Gäste hier her zu holen?«, erkundigte sie sich.
»Natürlich«, antwortete Luc und runzelte die Stirn. »Ich bin ja nicht blöd. Wenn ich daran denke, wie überfordert du die ersten Tage hier warst, wie hätte ich es da vergessen können?«
Während Gaian kicherte, widerstand Sophie dem Drang, Luc einen bösen Kommentar an den Kopf zu werfen. Auch den kindischen Impuls die Zunge rauszustrecken und laut »Bäää« zu rufen, unterdrückte sie. Und doch ... das erste Mal seit Beas Tod, war ihr danach laut zu lachen. Sie fühlte sich mit einem Mal vollkommen losgelöst von allen Was wäre wenns und Abers. Lag es daran, dass sie nun endlich etwas taten, um gegen das wahre Böse vorzugehen? Oder war die Ursache eine andere?
Konnte es sein, dass seelische Wunden einfach mit der Zeit weniger schmerzhaft waren? Sie waren nicht verheilt. Weder den Tod ihrer Mutter, noch den ihrer Schwester hatte sie vergessen. Der Gedanke an die beiden schmerzte immer noch sehr. Doch es schien leichter zu werden. Als Bea vor vielen Jahren verschwand, hatte Sophie immerzu an der Hoffnung festgehalten ihre Schwester eines Tages wiederzufinden. Sie hatte sie gefunden und wieder verloren. Diese Tatsache war schmerzhafter, als die Unwissenheit, in der sie dermaßen viele Jahre verbracht hatte. Hinzu kam das Wissen, selbst für den neuerlichen Verlust verantwortlich zu sein.
Sophie atmete tief durch. Sie bemerkte selbst, wie sich ihre Gedanken im Kreis bewegten. Wieder schob sie den Gedanken an Bea beiseite und konzentrierte sich auf die vor ihr liegende Aufgabe. »Also, was ist geplant? Welche Waffen willst du ihnen zeigen?«
»Sie sind kampferprobt. Du meintest, sie seien Jäger gewesen, also werden sie sich mit den Fernkampfwaffen die in eurem Dorf üblich waren gut auskennen. Ich dachte, wir setzen da an. Sie haben bestimmt eine gute Hand Augen Koordination, also beginnen wir mit den Schusswaffen.
»Klingt nach einer guten Idee. Sie werden sich bestimmt geschickter anstellen, als ich.«
Wieder kicherte Gaian. Als Sophie ihren Blick auf ihn richtete, grinste er sie breit an. »Du hättest Luc beinahe in Flammen aufgehen lassen.«
Luc warf seinem jüngeren Bruder einen warnenden Blick zu, doch Sophie grinste ebenfalls. »Und du meintest, seine schnellen Reflexe in der Situation rührten daher, dass nicht nur ich diesen Fehler gemacht habe. Und ich muss dich nicht daran erinnern, dass ich mit dem Handflammenwerfer inzwischen sehr gut umgehen kann.«
»Nein musst du nicht«, stimmte Gaian zu. »Du bist in vielen Dingen besser geworden. Und ich auch.«
»Ihr seid beide noch lange nicht gut genug. Also hört auf euch hoch zu loben und konzentriert euch lieber auf euer Training«, ging Luc dazwischen. Er war wieder im Alphawolfmodus, doch Gaian reagierte ebenso wenig darauf, wie Sophie. Sie grinsten ihn lediglich an.
Der Alpha rollte mit den Augen und knurrte leise. Nun war es Sophie, die kicherte. Sie kannte dieses Gebaren von Luc bereits. Am liebsten würde er mit ihnen herumalbern, doch sein Status ließ es nicht zu. Von ihm erwartete man, dass er als Vorbild diente und immer den Überblick behielt. Doch sie hatte ihn in seiner Wolfsgestalt beobachtet, wenn er mit Gaian und den anderen Jünglingen im Dorf herumtollte. Zwar behauptete er immer, es sei notwendig, um ihre Instinkte zu trainieren, wenn auch auf spielerische Weise, doch Sophie wusste es besser. Es waren die Momente, in denen er seiner wölfischen Spielnatur freien Lauf lassen konnte.
Die Tür öffnete sich und Bando trat gefolgt von den beiden Jägern in den Vorraum. Die losgelöste Stimmung von Gaian und Sophie verschwand sofort – die grinsenden Gesichter wurden ernst. Nun würde es zur ersten Übungseinheit für die beiden Jäger gehen.
Es war erstaunlich, wie gut die beiden Jäger mit den für sie neuartigen Waffen zurechtkamen. Sophie erinnerte sich an ihre erste Übungsstunde und musste sich eingestehen, wie schlecht sie damals gewesen war. Sie trafen das Ziel ohne Probleme, nachdem Luc ihnen auseinandergesetzt hatte, wie die Waffen funktionierten.
Was Sophie freute, war die Tatsache, dass Zanda und Kuna sich unter den Wölfen nicht unwohl zu fühlen schienen. Sie waren noch jung und waren noch nicht lange mit auf die Jagd gegangen. Womöglich war dies der Auslöser. Es war dennoch erstaunlich, wie gut sie mit den veränderten Realität zurechtkamen.
Während sie sich an den großkalibrigen Waffen ausprobierten, öffnete sich die Tür zum Schießübungsplatz erneut und Riaan trat ein. Er trug seinen Sonnenschutzanzug und blieb stehen, als er Sophie erblickte. Diese zwang sich zu einem Lächeln und winkte ihn heran.
»Ich habe die Menschen bereits auf dem Weg hier her gerochen«, bemerkte er mürrisch. Sophie überraschte es, dass er überhaupt etwas sagte. »Wie machen sie sich?«
»Erstaunlich gut«, antwortete sie. Dann sah sie ihn von der Seite an. »Hast du Neuigkeiten von deiner Schwester?«
»Deswegen bin ich hier.« Riaan hielt seinen Blick auf Luc gerichtet. Als dieser ihn bemerkte, gab er Kuna und Zanda die knappe Anweisung weiter zu üben und kam zu ihnen herüber.
»Riaan. Was treibt dich um diese Tageszeit hier her?«, fragte Luc mit freundlicher und dennoch besorgter Miene.
»Lenaya hat Nachricht gesandt. Die anderen Vampirgemeinschaften werden sich uns Anschließen, wenn wir nach Macea ziehen. Die Königin wird ihnen erklären, was genau wir planen. Zudem hätte sie gerne ein Upgrade, wie es um die anderen Rudel steht.«
Sophie atmete auf. Je mehr Unterstützung sie erhielten, desto größer waren ihre Chancen. Niemand wusste, wie groß die Virtus Cooperation war. Niemand konnte sagen, wie viele Angestellte und Monster sie beherrschten.
»Das ist gut. Die Rudel werden sich uns ebenfalls anschließen. Sie sind zur Zeit damit beschäftigt, sämtliche Dörfer ausfindig zu machen und uns die Lokalisationen zu senden. Da wir nun Menschen auf unserer Seite haben, haben wir beschlossen, dass es günstiger ist und weniger Verletzte geben wird, wenn wir es machen.«
Riaan nickte knapp, sagte jedoch nichts. Sophie wusste, auch er versuchte nach der Sache mit Noah zugänglicher zu sein. Doch es änderte nichts an seiner Art. Aber sie kamen inzwischen wesentlich besser miteinander zurecht. Sie sah dem Vampir noch kurz hinterher, als dieser sich umdrehte und den Raum verließ. Dann wandte sie sich an Luc.
»Wird die gleiche Gruppe zu den Dörfern ziehen?«, fragte Sophie und versuchte ihre Stimme ruhig zu halten.
Lucs Lächeln sprach Bände. »Du meinst, ob ich dich zurücklasse oder dir gestatte, uns zu begleiten? Ich denke darüber nach. Versprochen. Aber wenn diese Trainingsstunde vorbei ist, muss ich mich um ein anderes Problem kümmern.«
Sophie runzelte die Stirn. In letzter Zeit war es auffallend ruhig gewesen. Es hatte keinen Streit und keine Unstimmigkeiten gegeben. Einzig Kjell, der Rudelarzt, erschien ein wenig deprimiert, was nach dem Erlebnis mit Noah nicht verwunderlich war. Er hatte ihm sein Herz geöffnet und war benutzt und verletzt worden. Sophie versuchte ihm beizustehen, doch im Augenblick zog er sich zurück und bevorzugte die Einsamkeit. Sie akzeptierte es.
»Welches Problem?«, fragte sie schließlich, als Luc seinen Kommentar nicht weiter ausführte.
Ihr Gefährte nickte zu dem Jüngling, der in diesem Augenblick dabei war, eine Armbrust mit Sprengbolzen vorzuführen. »Gaian. Er ist inzwischen in dem Alter, wo er nicht mehr als Welpe gilt, aber auch noch nicht erwachsen ist. Es drängt ihm danach, zu helfen. Nicht nur mitzulaufen, wenn wir die Dörfer aufklären, er will auf Grenzgang gehen. Er will seinen Platz im Rudel einnehmen.«
Sophie sah die Schwierigkeit dahinter. Gaian war gut trainiert, aber nachdem Tristan, Lucs anderer Bruder, ebenfalls bei einem Grenzgang verschwunden und nie wieder aufgetaucht war, konnte sie die ablehnende Haltung des Alphas nachvollziehen. Ebenso, wie sie Gaian verstand. Sie selbst wollte ja ebenfalls helfen und sich nicht ausbooten lassen. Die Tatsache, dass sie sich nicht in einen Wolf verwandeln konnte, machte es schwieriger. Zwar bemerkte sie, dass ihre Sinne schärfer waren als früher und auch die Rudelbindung sowie ihre Gefährtenbindung zu Luc konnte sie inzwischen gut steuern, doch bisher zeigte sie keinerlei Anzeichen darauf, dass sie sich ebenfalls verwandeln konnte.
»Wie lange wirst du ihn noch hinhalten können?«, fragte sie seufzend.
Luc zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Mein Aplhawolfstatus gibt mir ein wenig Vorlauf. Doch wie lange ich ihn genau hinhalten kann ... Er ist unruhig und mit jedem Tag wächst sein Tatendrang.«
Einem Impuls folgend ergriff sie Lucs Hand und drückte sie, während sie ihm ein zuversichtliches Lächeln schenkte. »Wir finden schon eine Lösung«, versprach Sophie und meinte es auch so.
Luc trat an sie heran und strich ihr zärtlich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Dann hauchte er ihr einen Kuss auf die Stirn. »Da bin ich sicher«, antwortete er und zog sie in seine Arme. »Vielleicht werde ich Mutter darum bitten, ihm zuzureden. Sie hat dabei ebenso viel Mitspracherecht wie auch ich. Schließlich ist es ihr Sohn.«
Sophie nickte, den Kopf an seine Schulter gelegt. »Klingt nach einer Idee«, murmelte sie mit geschlossenen Augen, während sie Lucs Duft tief einatmete. Es war egal, was auf sie zukam. Sie würden gemeinsam eine Lösung dafür finden.
Jeder schien auf dieselbe Weise auf das Badehaus der Wölfe zu reagieren. Sophie konnte sich erinnern, wie sie sich beim Anblick der Grotte verhalten hatte. Bei Zanda und Kuna war es nicht anders. Sie standen da, die Handtücher fest um die Hüften geschlungen und sahen sich staunend um.
»Ich wusste nicht, dass so etwas existiert«, bemerkte Kuna mit weit aufgerissenen Augen.
»Wart erst einmal ab, bis du im Wasser bist«, antwortete Gaian, der grinsend neben die Männer trat. »Sophie war damals total begeistert davon, weil es immer dieselbe Temperatur hat. Nicht wahr, Sophie?«
Sie nickte und lächelte Gaian zustimmend zu. Es war ihr immer noch gut in Erinnerung und es erstaunte sie nach über einem Jahr immer noch aufs neue.
Die Tür der Umkleide öffnete sich erneut und Jalina trat mit den Zwillingen ein. Tia war in ihrer menschlichen Gestalt und lag in den Armen ihrer Mutter. Daron jedoch lief als Welpe neben ihr her und schnüffelte interessiert. Es war auch für die Zwillinge der erste Ausflug in das Badehaus.
Sophie trat auf ihre Freundin zu, um ihr Tia abzunehmen. Dann betrachtete sie Jalina. Sie sah müde aus und Sophie bekam ein schlechtes Gewissen, da sie ihr in letzter Zeit nicht auf die Weise hatte Helfen können, wie sie es sich vorgenommen hatte. Im Stillen ermahnte sie sich Jalina zukünftig mehr zur Seite zu stehen, gerade jetzt, wo Gabe von Luc derart in Anspruch genommen wurde.
»Bereit für das erste große Baden mit den Zwillingen?«, fragte Sophie grinsend.
Jalina zog eine Grimasse, doch ihre Augen leuchteten aufgeregt. »Ich bin gespannt, wie sie sich verhalten. Tia ist entspannt, aber bei Daron brauche ich manchmal all meine Reflexe, um ihn von irgendwelchen Dummheiten abzuhalten. Zumindest, wenn er als Wolf unterwegs ist.«
»Wölfchen«, korrigierte Sophie.
Als hätte der Welpe Jalinas Worte verstanden, tapste er auf den Rand des Beckens zu und streckte seinen Kopf schwanzwedelnd dem Wasser entgegen. Jalina machte einen Satz und hob den Welpen am Nackenfell in die Höhe.
»Nicht so schnell, mein Freund«, warnte sie ihren Sohn. Der Welpe wedelte weiterhin mit dem Schwanz, begann jedoch zu winseln, den Blick immer noch auf das Wasser gerichtet.
Sophie musste lachen. »Na komm, lass uns ins Wasser gehen, damit er ruhe gibt.« Mit Tia auf dem Arm trat sie an die Steintreppe, die ins erste Becken führte. Es war umständlicher als erwartet, das Handtuch mit Tia auf dem Arm abzulegen, ehe sie ins Wasser stieg.
Das Mädchen starrte sie mit großen Augen an und jauchzte erfreut, als ihre Füße das warme Wasser berührten. Sophie ließ die Beine des Kindes komplett im Wasser verschwinden und Tia begann gleich aufgeregt mit ihnen zu strampeln. Gemeinsam mit Jalina, die Daron immer noch auf dem Arm hielt, gingen sie in die Ecke, in der sie sich immer gemeinsam hinsetzten. Die Männer ließen sie hinter sich zurück.
Während sie sich leise über Belangloses unterhielten und die Zwillinge festhielten, die nun fröhlich im Wasser plantschten, beobachtete Sophie die Männer dabei, wie auch sie nach und nach ins Wasser stiegen. Wie schon bei ihr, schien Gaian den beiden Jäger in seiner unbeschwerten Art jegliches beklemmendes Gefühl zu nehmen.
Es war beruhigend zu sehen, wie die Jäger sich langsam entspannten. Als Sophie sicher war, dass sie ruhig genug waren, um sich nicht mit einer Ausrede davonzustehlen, konzentrierte Sophie sich wieder auf ihr Gegenüber. Jalina wirkte ebenfalls entspannt. Sie ließ den mit den Pfoten paddelnden Daron nicht aus ihrem Griff, gab ihm jedoch genug Raum, um sich zu bewegen. Als Sophie spürte, wie Tia in ihren Armen leicht zu zittern begann, hielt sie den Welpen ein wenig von sich weg und lockerte ihren Griff. Sie kannte die Anzeichen, das Kind war dabei sich ebenfalls zu verwandeln, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben.
Es dauerte nicht lange und Sophie hielt, ebenso wie ihre Freundin, ein kleines Pelzbündel in den Händen, das munter begann mit den Pfoten zu strampeln. Sophie sah wieder zu Jalina. »Sie werden immer schneller mit ihren Verwandlungen«, stellte sie fest.
»Und das ist noch nicht alles. Wenn sie als Wölfe herumtappsen und ich einmal eine Sekunde nicht hinschaue ...« Jalina seufzte und lächelte dann liebevoll. »Es ist manchmal ganz schön anstrengend. Aber ich liebe es.«
Sophie lächelte ihr zu. Sie glaubte Jalina jedes Wort. Natürlich war es anstrengend, doch die beiden Welpen waren einfach goldig. Vielleicht sollte Sophie Elara bitten, Jalina ein wenig zur Hand zu gehen, wenn sie selbst keine Zeit hatte. Neben dem Training, der Klinik und all den anderen Dingen blieb ihr nicht viel Zeit für Jalina. Und bei weitem nicht so viel Zeit für Luc, wie sie gerne hätte. Doch genau deswegen taten sie all dies, oder? Damit sie alle ohne den drohenden Schatten von Virtus über sich leben konnten?
Ehe Sophie etwas sagen konnte, ging die Tür der Umkleide erneut auf. Gabe trat – komplett angekleidet –, in die Grotte. An seinem gehetzten Blick und den drängenden Schritten bemerkte Sophie sofort, dass etwas nicht stimmen konnte. Irgendwas war passiert.
Sie wechselte einen kurzen Blick mit Jalina, die ihr wortlos Tia aus dem Arm nahm. Dann blickte Sophie zu Luc, der aufstand und auf Gabe zuging. Sophie tat es ihm nach. Was immer geschehen war, es schien dringend genug zu sein, dass Luc umgehend davon erfahren musste.
Sie erreichten Gabe zeitgleich. Der Stellvertreter trat unsicher von einem Bein auf das andere und sah sich nervös um.
»Was ist los?«, erkundigte Luc sich.
»Wir haben gerade Nachricht von dem Rudel nahe Camber bekommen. In einem der Dörfer in den umliegenden Gebieten ist jemand aufgetaucht. Ein Fremder, der anscheinend ein Mitarbeiter von Virtus ist. Es könnte sich um Malik handeln.«
Sophie holte erschrocken Luft, hütete sich jedoch, etwas zu sagen. Ihr Vater war also immer noch dabei die Dörfer aufzusuchen? Was suchte er dort? Camber ... Bisher hatte sie nur davon gehört. Es war eine Hafenstadt. Soviel sie wusste, war sie vom Wissensstand ebenso weit wie Lovlin. Was bedeutete, dass Virtus auch dort dafür sorgte, die Menschen unwissend zu lassen.
»Ist es sicher, dass es sich im ihn handelt?«
»Nein. Aber es ist auffällig, dass in dieser Gegend in den letzten beiden Wochen vermehrt Kinder verschwinden. Und es sind auch zwei der Wölfe auf Grenzgang nicht zurückgekehrt.«
Luc betrachtete Gabe, dann Sophie. Schließlich nickte er. »Wir brechen heute noch auf. Benachrichtige Bennet und sag ihm er soll sich und sein Rudel auf unsere Ankunft vorbereiten.«
»Alles klar«, erwiderte Gabe und drehte sich ohne viel Federlesens um und verließ das Badehaus wieder.
Sophie und Luc blieben zurück und starrten beide auf die Tür, durch die der Zweite des Rudels verschwunden war. »Bennet ist der Alpha des dortigen Rudels?«, fragte Sophie schließlich.
»Ist er. Und er ist ein guter Freund.«
»Wird Gabe mit uns kommen?« Sophie fragte gar nicht erst, ob sie mitkommen durfte. Es würde nur zu unnötigen Diskussionen führen. Es einfach als gegeben hinzustellen war weniger schwierig.
»Nein. Diesmal brauche ich ihn hier. Aber wir werden die Jäger mitnehmen.« Luc richtete den Blick auf sie. »Und deswegen erlaube ich dir mitzukommen. Sie scheinen sich wohler zu fühlen, wenn du ebenfalls anwesend bist.«
Sophie zog die Augenbrauen nach oben. »Erlauben?«
»Diskutier nicht mit mir, Sophie. Du kennst meine Einstellung dazu.« Er warf einen Blick über die Schulter zu den Männern, die sie aufmerksam beobachteten. »Das Problem ist, wenn du mitkommst, wird es Gaian nicht gefallen, dass er ebenfalls hierbleibt.«
Sie nickte zustimmend. Dann jedoch kam ihr eine Idee. Aufgeregt griff sie nach Lucs Hand. »Du könntest es ihm schmackhaft machen.«
»Wie?«
»Sag ihm, du brauchst ihn hier, um die Grenze zu bewachen. Es fehlen doch ohnehin Wölfe, wenn wir fort sind, die das machen könnten. Sorge dafür, dass er einen der älteren Wölfe begleitet, um ihn zu unterstützen.«
Luc verzog das Gesicht. Es war offensichtlich, wie wenig ihm dieser Vorschlag behagte. »Ich werde darüber nachdenken«, erklärte er schließlich. »Und nun komm. Wir müssen uns vorbereiten.«
Es war seltsam. Sophie war nie zuvor in einem Auto gefahren und musste zugeben, dass es ein unglaubliches Erlebnis war. Wären sie auf gewöhnlichen Wege nach Camber gereist, hätten sie trotz der Ausdauer der Wölfe vermutlich mehrere Tage gebraucht. Nun jedoch waren sie nach einigen Stunden Autofahrt durch den Wald und über Wiesen im Dorf von Bennets Rudel angekommen.
Ein wenig nervös stieg Sophie aus dem Wagen. Luc hatte ihr und den beiden Jägern auf der Fahrt zwar einiges über das Rudel erzählt, doch er selbst wusste ebenso wenig wie sie, wie das Rudel auf Menschen reagierte. Noch dazu auf eine menschliche Gefährtin für den Alphawolf. Lucs Status als Vorreiter für die anderen Rudel würde sie weitgehend vor Kritik schützen, doch wann immer sie an Amalia und Marlon dachte, überlief es sie kalt. Dort hatte Lucs Position auch nichts gebracht. Marlon war gestorben und wo Amalia inzwischen war, konnte niemand sagen. Sophie konnte nicht sagen, ob es ihr lieber gewesen wäre, wenn auch die Wölfin den Tod während dem Kampf mit Luc gefunden hätte oder nicht.
Als sie endlich aus dem Wagen stieg, ließ sie den Blick über die Umgebung schweifen. Im großen und ganzen schien sich das Dorf dieses Rudels nicht von dem zu unterscheiden, in dem Sophie lebte. Es erschien kleiner und übersichtlicher, jedoch erkannte sie die Bauweise der Häuser wieder.
Dann betrachteten sie die Personen, die am Dorfeingang standen und sie erwartet hatten. Sophie erkannte Bennet sofort. Er war ein stück größer als die anderen und sein Blick ähnelte dem von Luc, wenn er etwas unbekanntes analysierte. Als er Luc erblickte breitete sich jedoch ein erfreutes Lächeln auf dem zerfurchten Gesicht aus. Bennet war älter als Luc. Nach Sophies Schätzung musste er doppelt so alt sein.
Luc überbrückte die wenigen Schritte, die zwischen ihm und den anderen Mann lagen und ließ sich von ihm in die Arme nehmen. Freundschaftlich klopften sie sich auf den Rücken und murmelten sich unverständliche Worte zu. Nun, vielleicht waren sie lediglich für die menschlichen Anwesenden unverständlich, denn auch wenn Sophies Gehör wesentlich besser war als früher, reichte es immer noch nicht an das der Wölfe heran.
»Komm, ich stell dich vor«, sagte Luc, als sie sich wieder voneinander lösten. Er brachte Bennet zu ihnen herüber und begann sie vorzustellen. Sophie entging nicht, dass er Zanda, Kuna und sie bis zum Schluss aufsparte. »Dies sind Zanda und Kuna. Sie unterstützen uns bei dem Versuch, die Dörfer möglichst gewaltfrei aufzuklären.«
Bannet nickte, sein Blick war jedoch auf Sophie gerichtet. »Und dies ist deine Gefährtin? Ich habe bereits davon gehört. Es passiert nicht oft. Ich selbst habe bisher nur von solchen Fällen gehört, jedoch nie einen mitbekommen.«
»Richtig. Dies ist Sophie.« Luc stellte sich neben sie und legte in einer besitzergreifenden Geste seinen Arm um ihre Schultern. »Sie ist nicht nur in dieser Hinsicht etwas ganz Besonderes.«
»Auch davon habe ich gehört«, erwiderte Bennet. Sein stechender Blick haftete immer noch an Sophie. Seine Augen waren nicht bernsteinfarben, wie die von Luc, sondern derart dunkel, dass sie beinahe schwarz wirkten. »Die Infektion ...«
»Sie hat sie vollkommen unter Kontrolle«, unterbrach Luc ihn in einem Tonfall, der besagte, dass er keine weitere Diskussion dazu tolerieren würde. Sophie wusste nicht, ob dies ein kluger Schachzug war. Ihr machte es nichts aus, wenn man danach fragte. Zwar war es nicht angenehm, doch sie verstand das Interesse zu diesem Thema.
Bennet jedoch schien die unausgesprochene Warnung zu akzeptieren. Er nickte nur noch einmal knapp und wandte sich dann seinem Rudel zu, um seine Leute vorzustellen. Auch hier war die Anzahl überschaubarer als bei Lucs Rudel. Sophie zählte zwölf Wölfe. Da sie Frauen und Kinder weiter hinten stehen sah, ging sie davon aus, dass es sich um das komplette Rudel handeln musste. Sie nahm sich vor, Luc später danach zu fragen.
Die Vorstellungsrunde fiel sehr knapp aus. Bennet nannte lediglich die Namen und lud sie dann in das Gasthaus ein. Eine Frau in Elaras Alter trat auf sie zu und stellte sich als die Gefährtin des hiesigen Alphas vor. Ihr Name war Teresia. Sie wirkte nicht derart mütterlich wie Elara. Auch nicht annähernd so herzlich. Doch Luc hielt viel von Bennet also folgte Sophie Teresia, als diese sie einlud ihr ins Haus zu folgen, damit die Männer unter sich reden konnten. Es hinterließ jedoch einen schalen Beigeschmack. Es erinnerte sie zu sehr an die Sitten in Lovlin. Sophie war davon ausgegangen alle Rudel seien so, wie jenes, bei dem sie lebte. Doch anscheinend war dies nicht der Fall.
Sie betraten das Haus und Sophie stellte fest, dass es eher zweckmäßig eingerichtet war. Kein Möbelstück zu viel, die geliebte Dekoration, die Elara überall in ihrem Haus platziert hatte, fehlte ebenfalls. Es wirkte alles etwas kalt. Mit jeder Sekunde erweiterte sich die Liste an Fragen, die sie Luc stellen wollte.
Doch nun musste sie erst einmal vorlieb damit nehmen mit Teresia gemeinsam eine Tasse Tee zu trinken und darauf warten, dass Luc die Zeit fand, ihr zu erzählen, was er und die anderen Männer besprochen hatten.
Luc erschien erst am späten Abend. Er wirkte müde und abgekämpft, als er gemeinsam mit Bennet die Küche des Hauses betrat. Sophie wagte nicht, ihn direkt nach etwas zu fragen und der Blick, mit dem er sie bedachte signalisierte ihr die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Etwas sagte ihr, dass Bennet von Lucs nicht wölfischen Begleitern nicht unbedingt angetan war. Der Alpha des hiesigen Rudels tauschte einen langen Blick mit seiner Gefährtin, sagte aber ebenfalls nichts. Stattdessen richtete er seinen Blick dann auf Sophie und der Gesichtsausdruck der Mannes verfinsterte sich. Sophie senkte ihren Blick nicht. Ähnlich wie bei anderen Wölfen, weigerte alles in ihr sich instinktiv, die Augen zu senken und sich damit zu unterwerfen. Über ihre Gefährtenbindung spürte sie Lucs Selbstzufriedenheit. Dies gab ihr zusätzliche Kraft und schließlich gab Bennet nach und senkte den Blick.
Luc ließ einige Sekunden vergehen, ehe er sich räusperte. »Würdest du noch ein wenig mit mir spazieren gehen, Sophie?«, fragte er schließlich. Sophie nickte sofort und erhob sich. In einer routinierten Bewegung stellte sie ihre benutzte Tasse in die Spüle und ging dann zu ihrem Gefährten. Sie nahm den Geruch nach Alkohol wahr und wunderte sich. Seit sie Luc kannte, hatte sie ihn noch nie Alkohol trinken sehen. Wenn sie genau darüber nachdachte, hatte sie in ihrem Heimatdorf nicht einen Wolf je etwas alkoholisches trinken sehen. Noch eine Frage, die sich auf ihre Liste setzte.
Luc legte in einer besitzergreifenden Geste den Arm um Sophies Schultern und führte sie dann aus der Küche. Sophie schmiegte sich an ihn und schlang ihren Arm um seine Hüfte. Sollten Bennet und Teresia ruhig sehen, wie vertraut sie miteinander umgingen.
Sie ließ sich von Luc schweigend nach draußen führen. Sie würde warten, bis er begann zu sprechen, denn Luc konnte besser einschätzen, wann es sicher war, miteinander über das zu sprechen, was hier im Dorf vor sich ging. Denn Sophie erschien alles hier irgendwie falsch. Es spielte keine Rolle, dass Luc herzlich begrüßt worden war, etwas stimmte nicht.
»Was geht dir durch den Kopf?«, fragte Luc, nachdem sie ein Stück von dem Haus entfernt waren.
Sophie sah auf zu ihm und sah ihn von der Seite an. Seine Lippen waren aufeinander gepresst, seine Augen blickten starr geradeaus. Ob auch er bemerkte, dass etwas nicht stimmte? Sie seufzte: »Es wirkt hier alles ... anders. Vieles erinnert mich an die Zustände in Lovlin. Bilde ich mir das nur ein? Warum sind sie so anders als unser Rudel?«
»Es liegt an Bennet. Sein Vater war vor ihm der Alpha und dessen Vater vor diesem. Sie waren nie so aufgeschlossen wie mein Vater. Meine Mutter tat ihr übriges dazu, indem sie ihm deutlich aufzeigte, dass Frauen zu mehr taugen, als zu jagen und sich um Heim und Herd zu kümmern. Teresia jedoch ... Sie ist nach den Werten dieses Dorfes erzogen worden. Sie hat die Rahmenbedingungen nie in Frage gestellt und wird es wohl auch niemals tun.«
»Aber sie mögen mich nicht. Weder Bennet, noch seine Gefährtin.«
»Sie trauen den Menschen nicht, Sophie. Dies hat nichts mit dir im eigentlichen Sinne zu tun. Es geht darum, dass die Menschen Nahe Chamber nicht nur ihre Grenzen verteidigen. Sie dingen gezielt in das Gebiet von Bennets Rudel ein, um das Gebiet für sich zu beanspruchen. Sie sind der Meinung, es stünde unserer Art nicht zu. Ob sie von selbst darauf gekommen sind, oder Virtus dabei nachgeholfen hat, kann ich dir leider nicht sagen.«
»Deswegen wirkt Bennet so hart«, murmelte Sophie nachdenklich. Diese Information erklärte einiges. Seine abweisende Art, das verhärmte Aussehen von seiner Gefährtin, die ängstlichen Gesichter der Kinder. Es war nachvollziehbar, dass unter diesen Umständen Fremde hier nicht gerne gesehen waren. Menschliche Fremde schon gar nicht.
»Unter anderem. Seine Erziehung, gepaart mit den Zuständen hier führen dazu. Er will das Rudel schützen. Da ist es nur verständlich, dass er alles dafür tut.«
Sophie nickte, sagte jedoch nichts. Es erklärte das ein oder andere, aber bei weitem nicht alles. Sophie war Lucs Gefährtin, also sollten sie ihr nicht so ablehnend gegenüberstehen. Warf es vielleicht ein schlechtes Licht auf Luc, wenn er eine menschliche Gefährtin hatte? Nun, sie war nicht nur menschlich, doch das war eine Sache, die nur wenige wussten. Sie beschloss jedoch das Thema erst einmal ruhen zu lassen. Sie würde das Rudel in den nächsten Tagen beobachten. Womöglich täuschte ihr erster Eindruck. Noah hatte deutlich bewiesen, dass man ihm nicht immer trauen konnte.
Luc schien den Umschwung in ihren Gefühlen zu spüren. Er griff nach ihrer Hand und drückte sie kurz. »Du möchtest doch bestimmt wissen, was wir geplant haben«, vermutete er.
»Auf jeden Fall«, bestätigte Sophie eifrig nickend.
Luc blieb weiterhin ernst. »Es wird dir nicht unbedingt gefallen«, warnte er sie.
Sophie ahnte bereits worauf er hinaus wollte. »Ich darf nicht mit?«
»Nein. Ich habe es versucht, aber Bennet ist strickt dagegen. Es liegt nicht daran, dass er es dir nicht zutrauen würde. Er weiß, wie gut die Frauen in unserem Dorf trainiert sind. Es liegt eher daran, dass du ebenso wie ich eine Vorbildfunktion einnimmst. Als meine Gefährtin wird erwartet, dass die anderen Frauen sich an deinem Verhalten orientieren. Dies kann zu Querelen führen, gerade bei einem Rudel wie dem von Bennet.«
»Also muss ich hierbleiben, damit die Frauen nicht auf die Idee kommen, sie könnten mehr sein als ein Heimchen am Herd?«
Lucs belustigtes Schnauben verwirrte Sophie. »Wie was? Wo hast du denn das her?«
Sophie runzelte die Stirn. »Jalina sagte etwas in der Richtung. Sie meint, sie mutiert seit der Geburt der Zwillinge zu einem Heimchen am Herd.«
Luc wirkte plötzlich alarmiert. »Wann?«
»Kein Grund zur Sorge. Sie liebt ihre Rolle als Mutter. Aber zwischendurch würde es vielleicht nicht schaden, wenn du sie mit auf die Jagd lässt. Jemand anderes könnte sich in der Zeit um die Zwillinge kümmern. In der Klinik haben wir nicht viel zu tun, eventuell könnten Kjell und ich das zeitweise übernehmen.«
»Ich werde darüber nachdenken«, versprach Luc.
Sophie setzte ein listiges Grinsen auf. »Wenn du mir versprichst, Jalina mit auf die Jagd zu lassen, werde ich mich morgen nicht beschweren, wenn ich hier bleiben muss.«
Als Luc ergeben seufzte, hauchte Sophie ihm einen Kuss auf die Lippen.
Es war seltsam gewesen Luc und den anderen Männern dabei zuzusehen, wie sie auszogen, um das Dorf nahe Camber zu besuchen. Kuna und Zanda begleiteten sie, um zu versuchen die Menschen des Dorfes aufzuklären, ohne dass es zu derartigen Gewaltexzesse käme, wie in Lovlin. Sie war unruhig. Zwar konnte sie Luc und die Wölfe ihres Rudels über die Rudelbindung spüren, doch es war anders, als dabei zu sein.
Was, wenn sie ihnen nicht glaubten, angriffen und jemand verletzt wurde? Was, wenn Luc verletzt wurde? Dies war etwas, was Sophie die gesamte Zeit im Kopf herumging. Sie musste Teresia zugestehen, dass die Gefährtin des hiesigen Alphas ihr mehr Verständnis entgegenbrachte, als erwartet. Sie versuchte Sophie abzulenken und führte diese im Dorf herum. Sophie wurden viele schöne Ecken gezeigt, wovon jedoch keine an die Grotte in ihrer Heimat heranreichte. Das Rudel besaß einen Teich in dem sie, nach Teresias Aussage, in den Sommermonaten badeten. Es gab einen großen Gemeinschaftsgarten, wo das Rudel gemeinsam Gemüse und Obst anbauten. Sophie fand die Idee gut und beschloss es auch in ihrem Rudel einzuführen. Es förderte den Zusammenhalt und es wäre schön den Pflanzen beim Wachsen zuzusehen und als Gemeinschaft etwas zu erschaffen. Sobald Luc zurück war und sie sich davon überzeugen konnte, dass es ihm gut ging, würde sie mit ihm darüber sprechen. Hoffentlich würde es ihm dann auch gut gehen.
Ansonsten war das Dorf überschaulich. Es gab ebenfalls eine Krankenstation und eine Kommandozentrale, diese Gebäude waren jedoch wesentlich kleiner und zweckmäßiger als die in ihrem Dorf. Es gab einige wenige Wohnhäuser und sogar eine kleine Bibliothek. Sophie war erstaunt stehen geblieben, da sie noch nie derart viele Bücher an einem Ort gesehen hatte. Ihre Mutter hatte ein paar wenige Bücher besessen. Sophie kannte sie auswendig, derart oft hatte sie diese gelesen. Doch dies hier ... Früher war lesen eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Nach einem langen Tag und getaner Arbeit war es schön sich mit einem Buch zurückzuziehen. Ob sie ihre Leidenschaft womöglich wieder neu entfachen konnte?
Vielleicht. In dem letzten Jahr war derart viel auf sie eingestürzt, sie hatte gar keine Zeit gehabt, sich mit anderen Dingen auseinanderzusetzen. Wenn es irgendwann einmal ruhiger werden sollte ... nun, dieses irgendwann lag hoffentlich in ihrer Zukunft.
Wenn dieser Tag nur endlich vorbei gehen würde. Sie konnte Luc spüren, doch die Rudelverbindung war inzwischen nicht mehr greifbar genug. Lucs Stimmung nach zu Urteilen und der Vorsicht, die in ihrer Verbindung mitschwang, schienen sie beim Dorf angekommen zu sein. Teresia ließ sich entweder nichts anmerken, oder ihre Bindung zu Bennet reichte nicht so weit, denn sie bereitete zu diesem Zeitpunkt in aller Ruhe ein sehr spätes Mittagessen zu. Sophie bot an ihr zu helfen, doch sie war derart fahrig beim Schneiden des Gemüses, dass sie sich gleich zweimal in den Finger schnitt. Danach ließ sie es bleiben und begnügte sich damit einen Tee für die und Teresia zu kochen.
Wenigstens dies gelang ihr ohne sich weitere Verletzungen zuzuziehen. Vielleicht hätte sie einfach trotzdem darauf bestehen sollen, mit zu gehen. Dann müsste sie sich nun nicht solche Sorgen machen und wüsste, was genau bei Luc los war. Es war einfach eine zermürbende Situation.
Schließlich köchelte das Essen auf dem Herd vor sich hin und der Tee war fertig. Sophie reichte eine der Tassen an Teresia, die sie mit einem knappen Nicken entgegennahm. Dann setzte Bennets Gefährtin sich seelenruhig an den Küchentisch. Sophie wollte es ihr nachtun, als eine Woge eiskalter Wut sie über ihre Gefährtenbindung erreichte. Die Tasse, die Sophie in der Hand hielt, entglitt ihren Händen und zerschellte am Boden. Stocksteif blieb sie stehen.
Etwas war geschehen. Etwas unerwartetes und schlimmes. War es nun passiert? War jemand verletzt oder vielleicht sogar tot? Was gab es, das Luc derart in Wut versetzen konnte. Diese Gefühl hatte sie von ihm noch nie empfangen. Doch, einmal vielleicht - der Augenblick, in dem er auf die Lichtung gestürmt war, auf der sie mit Bea gekämpft hatte. Aber diese Intensität ...
Dann war plötzlich alles weg. Es brauchte einige Sekunden, ehe Sophie verstand, was nun passiert war. Luc hatte ihr den Zugang zu seinen Gefühlen versperrt. »So ein unmöglicher ...«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. Wie konnte er nur? Nun konnte sie nicht einmal erahnen, was los war. Geschweige denn merken, wenn er verletzt wurde. Am liebsten hätte sie sich ihre Waffen geschnappt und wäre losgerannt.
Doch wohin? Sie kannte sich hier überhaupt nicht aus. Sie würde sich unweigerlich verlaufen und zudem war ihr Lucs Aussage bezüglich der Menschen aus Camber immer noch sehr präsent in ihren Gedanken. Wenn sie ihnen in die Hände fiel ... Nicht auszudenken wohin das führen könnte.
Erst als sie grob bei den Schultern gepackt und geschüttelt wurde, bemerkte sie, dass Teresia sie anschrie. Zum ersten Mal wirkte ihr Gesicht nicht wie eine Maske, sondern Sophie erkannte die nackte Panik darin. Mühsam versuchte sie sich auf die gebrüllten Worte zu konzentrieren.
»Was ist passiert? Kannst du Luc spüren? Was ist los? Ist jemand verletzt? Nun sag schon!«, schrie Teresia und schüttelte sie unentwegt weiter.
Nur langsam gelang es Sophie sich aus ihrer Schockstarre zu lösen. »Ich weiß nicht, was passiert ist«, gestand sie flüsternd. »Aber Luc ist wütend. Wütend ist kein Ausdruck. Er ist fuchsteufelswild. Was immer passiert ist, scheint ihn sehr zu erzürnen.«
»Was ist mir Bennet?«, fragte Teresia in einem beinahe kreischenden Tonfall. Sophie realisierte, wie sehr Teresia den Alphawolf liebte. Zwar schien ihre Gefährtenbindung nicht so weit zu reichen, wie die von ihr und Luc, doch sie liebte ihn wirklich uns aufrichtig.
»Ich weiß es nicht. Wir werden warten müssen. So wenig mir diese Möglichkeit auch zusagt.«
Teresia sackte in sich zusammen und ließ sich auf einen der Stühle sinken, das Gesicht in den Händen vergraben. Sophie gab dem Impuls der sie überkam nach, ging zu der Alphagefährtin und legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter. »Komm schon, Teresia. Wir dürfen den Kopf nicht hängen lassen, ehe wir nicht wissen, was los ist.« Sich an Lucs Aussage, dass die anderen Frauen sich an ihr orientieren würden erinnernd, lächelte sie aufmunternd. »Sicherlich ist lediglich etwas geschehen, was unerwartet war. Ich denke nicht, dass jemand verletzt wurde. Luc hat nicht getrauert, er war einfach ... wütend.« Und in dem Augenblick, in dem sie die Worte aussprach, realisierte sie, wie wahr sie waren. Sie seufzte tief. »Wir müssen warten, bis die Männer zurück sind. Erst dann werden wir erfahren, was geschehen ist.« Und im stillen nahm Sophie sich vor, sich das nächste Mal nicht davon überzeugen zu lassen, zurückzubleiben. Nie wieder!
Sophie verschlief beinahe bis zum nächsten Morgen. Als sie erwachte, lag das Zimmer im Zwielicht. Sie richtete sich auf und betrachtete Luc, der immer noch schlafen neben ihr lag.
Leise schlüpfte sie aus dem Bett und schlich aus dem Raum. Als erstes ging sie ins Badezimmer, um sich zu duschen und anzuziehen. Sie versuchte ihre Gedanken gezielt zu steuern. Dabei zog sie jedweden Gedanken in Betracht, der sie nicht an Elara erinnerte. Doch es funktionierte nicht.
Spätestens als sie das Badezimmer verließ, wurde ihr bewusst, dass Elara für gewöhnlich in der Küche war, um das Frühstück zuzubereiten. Dies war eine Aufgabe, die nun ihr zufiel. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend ging sie die Treppe hinunter in die Küche.
Der Raum wirkte ungewöhnlich leer und kalt. Hier trat die Abwesenheit Elaras deutlich zutage. Für eine Sekunde schloss Sophie die Augen und gab ihrer Trauer Raum, um sich zu entfalten. Dann griff sie nach dem Wasserkessel, der auf dem Herd stand, um diesen zu füllen. Sie würde sich erst einmal um den Tee kümmern.
Als sie die Herdplatte anstellte, ertönte ein Schaben hinter ihr. Erschrocken fuhr Sophie herum und erblickte Luc, der in der Küchentür stand und sie aus verschlafenen Augen ansah.
»Was machst du hier?«, erkundigte er sich.
Sophie entspannte sich wieder und versuchte ihm ein Lächeln zu schenken. Es misslang ihr, da ihre Trauer noch zu nah unter der Oberfläche war. »Ich dachte, jemand sollte das Frühstück vorbereiten«, gestand sie.
Lucs Blick verdunkelte sich umgehend, doch er kam auf sie zu und zog sie in die Arme. Sie konnte spüren, wie er sein Gesicht in ihrem Haar vergrub. »Danke«, flüsterte er.
»Ich wünschte, ich könnte mehr tun«, gab Sophie zurück und schmiegte sich an ihn.
»Du bist hier. Das reicht für den Augenblick vollkommen. Wir haben immer gewusst, dass es früher oder später weitere Opfer geben würde.«
Er klang zu sachlich und viel zu abgeklärt. Es war, als hätte er sich lediglich letzte Nacht einen Augenblick der Schwäche geleistet und dieser war nun vorbei. Sophie wusste nicht, ob das wirklich gut war. Den Schmerz zu verdrängen war nicht die Lösung. Irgendwann würde er ihn einholen.
»Ich möchte gleich in die Klinik, um Kjell abzulösen. Zudem will ich endlich wissen, warum er sich ständig fortschleicht. Es ist nicht gut, wenn wir uns gegenseitig misstrauen, das ist mir bewusst. Aber Kjells verhalten ...«
»Ich weiß«, unterbrach Luc sie. »Vielleicht ist es besser, wenn du mit ihm sprichst. Er hat dir schon immer vertraut. Gestern haben wir ihn lediglich nach Hause geholt. Aber auch ich möchte wissen, was dahintersteckt.«
»Ich werde mich darum kümmern«, versprach sie.
Lucs schweres Seufzen verwunderte sie. »Ich habe das Gefühl zu viel auf dich abzuwälzen. Du hast dich auch um Gaian gekümmert, weil ich nicht da war, um es zu tun.«
Traurig, wie die ganze Situation war, musste Sophie lächeln. »Ich habe ihm lediglich gesagt, was los war. Sara-Beth war eine große Hilfe, denn sie war es, die ihn getröstet hat.«
»Noch ein Problem, um das ich mir Gedanken machen sollte«, murmelte Luc.
Sophie löste sich ein Stück von ihm, damit sie ihm in die Augen blicken konnte. »Du bist nicht alleine, Luc. Ich bin deine Gefährtin. Das bedeutet, wie stehen das gemeinsam durch. Versuch nicht, alles alleine zu stemmen, denn das musst du nicht.«
Anstatt zu antworten, beugte Luc sich vor und küsste sie sanft auf die Lippen. Sophie erwiderte den Kuss sofort. Als sie sich wieder voneinander lösten, nahm er ihr Gesicht zwischen beide Hände. »Mach du dich für die Klinik bereit. Ich werde mich um das Frühstück kümmern.«
Sobald sie die Praxis betrat, tauchte Kjell in der Tür seines Arbeitszimmers auf. Sein schuldbewusster Blick sprach Bände und Sophie beschloss gleich, diesen zu nutzen. Sie hob zwei Dosen in die Höhe und lächelte angespannt. »Ich habe Frühstück für Talina und dich mitgebracht«, erklärte sie.
Kjell nickte nervös und deutete auf Talinas Zimmertür. »Sie ist bereits wach. Ihre Verletzungen sind inzwischen verheilt, ich denke, sie kann gleich nach dem Frühstück gehen.«
»Ich bringe ihr das Frühstück. Danach sollten wir reden«, sagte Sophie entschlossen und bedachte Kjell mit einem Blick, der ihm klarmachen sollte, bloß nicht zu verschwinden. Sein Nicken signalisierte, dass er verstand.
Als sie Talina das Frühstück brachte, wechselte sie ein paar aufbauende Worte mit der Wölfin. Körperlich würden ihren Wunden vollkommen verheilen, doch der Schrecken dieser Nacht stand ihr noch deutlich in den Augen. Sophie hoffte, das Rudel würde sich von diesem Überfall erholen.
Anschließend ging sie zu Kjells Arbeitszimmer. Das mitgebrachte Frühstück stand unberührt auf dem Schreibtisch. Sophie ahnte, wie nervös der Rudelarzt sein musste, wenn er selbst zu angespannt war, um zu essen, nachdem er die gesamte Nacht hier zugebracht hatte.
Sie setzte sich ihm gegenüber und musterte ihn eine Weile schweigend, in der Hoffnung, er würde von selbst beginnen zu erklären, was er in Lovlin gesucht hatte. Doch es geschah nicht. »Was hast du getan, wenn du das Dorf verlassen hast?«
Kjell zuckte zusammen. Sophie registrierte erst jetzt, wie kalt ihre Stimme klang. »Nichts, was dem Rudel schaden würde«, antwortete er abwehrend.
»Das beantwortet meine Frage nicht, Kjell. Du schleichst dich seit Monaten aus dem Dorf. Ich habe es niemanden erzählt, doch glaubst du wirklich, dein ständiges Verschwinden ist unbemerkt geblieben? Ebenso wie dein stetig fortschreitender körperlicher Zerfall. Ich weiß, du leidest sehr unter Noahs Verrat und seinem Tod, doch ich kann nicht weiter mit ansehen, wie sehr du dir selbst schadest.«
Wieder blieb es eine Weile still, doch nun schwieg auf Sophie beharrlich. Schließlich seufzte Kjell. »Du hast recht, Sophie. Noah ... die ganze Sache hat mich mitgenommen und verletzt. Und ja, mir ging es verdammt mies danach. Aber ich vergrabe mich nicht in meinem Kummer, wenn du das denkst. Zu Anfang war es womöglich so, doch ...« Er sah ihr fest in die Augen. »Sophie, glaubst du wirklich, ich würde etwas tun, was dem Rudel schadet? Du kennst mich gut genug. Besser wahrscheinlich, als sonst irgendwer aus dem Rudel. Ich habe nach etwas gesucht, um die Leere in meinem Herzen zu füllen, nachdem Noah ... weg war.«
Sophie betrachtete ihren Freund genauer. Er wirkte immer noch Müde und abgekämpft, aber nicht mehr so trostlos, wie noch vor wenigen Wochen. »Und du hast etwas gefunden«, stellte sie fest.
»Habe ich«, bestätigte Kjell und nickte. »Ich bin nach Lovlin gegangen, um die Familien dort medizinisch zu versorgen. Außerdem habe ich die Bewohner des Dorfes in erster Hilfe sowie der Versorgung von Wunden unterrichtet. Wir haben uns ausgetauscht, was die Anwendung von Kräutern angeht. Nicht nur die Frauen und die Kinder, auch die Wachen. Ich wollte nur helfen, aber ich wollte mich nicht damit brüsten.«
Sophie starrte ihn mit offenem Mund an. Das war sein Geheimnis? Warum hatte er nicht früher schon etwas gesagt? Warum diese Geheimniskrämerei. Sie dachte nach und ihr fiel genau ein Grund dafür ein. Sophie sah ihm fest in die Augen. »Du hast jemanden kennen gelernt?«
Sofort schüttelte Kjell mit dem Kopf. Dann nickte er, ehe er erneut den Kopf schüttelte. Als sie sich ansahen, mussten sie beide lachen und die gesamte Spannung zwischen ihnen löste sich mit einem Mal.
Tag der Veröffentlichung: 27.09.2018
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