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Titel

Mina Sabic

Zwischen den Zeilen lieben…

Roman

 

 

 

 

 

 

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Widmung

 

 

 

Für meine kleine, große Schwester.

Unser Motto: Intensive Optimalität. Du verstehst, was ich meine.

 

Für Elisabeth Wollersberger

Du bist effektiver, als hunderte von Antidepressiva

 

 

 

Prolog

 

 

Prolog

 

Oktober 2010, New York

 

Die Tür fiel ins Schloss. Kurz darauf hörte sie ein lautes Krachen, einen unterdrückten Fluch und darauffolgendes Gemurmel.

Rosalie zuckte zusammen.

Trotz ihrem Instinkt, sofort aus der Küche ins Bad zu laufen und sich einzusperren, blieb sie am Fenster stehen.

Einige Sekunden blieb es still, dann hörte sie ein erneutes Krachen- ob er wohl hingefallen war?

Bevor Rosalie sich jedoch dazu durchringen konnte, nachsehen zu gehen, wurde hinter ihr die Küchentür aufgerissen.

Der widerlich-süßliche Geruch von Wodka und Schweiß stieg ihr in die Nase und ließ sie angewidert zusammenzucken.

Sie drehte sich nicht um. Rosalie wusste, wer hinter ihr stand.

„ Rose, verdammt, warum lässt du deine verfluchten Schuhe im Gang stehen. Ich hätte mir beinahe das Genick gebrochen!“, schnauzte James sie an. Rosalie verstand die genuschelten Worte beinahe nicht.

„ Dann hättest du nicht so viel trinken sollen.“, gab sie kühl zurück, bereute ihre Worte jedoch sofort.

Früher hätte sie sich nicht den Mund verbieten lassen, weder von ihm, noch von sonst jemand.

Aber James war stark betrunken. Und wütend. Eine gefährliche Kombination, wie Rosalie mittlerweile hätte wissen müssen.

Sein Gesicht färbte sich rot, er kam ein paar  Schritte auf sie zu, bis sie nur noch die hölzerne Kücheninsel voneinander trennte.

„ Halt den Rand, du hast ja keine Ahnung.“, zischte James und fuhr sich mit einer nervösen Geste durchs Haar.

Bei der wüsten Zurechtweisung zuckte Rosalie zusammen. Man sollte meinen, sie hätte sich an die Beleidigungen, den schroffen Ton und das rüpelhafte Benehmen gewöhnt, doch taten seine Worte immer noch weh.

„ Setz dich, James. Du hast getrunken.“

Ihre Stimme zitterte, sie war müde und den Tränen nahe. Beinahe den ganzen Abend hatte sie nun auf ihn gewartet, nur um ihn- wie so häufig in letzter Zeit- betrunken und aggressiv anzutreffen.

„ Sag mir nicht was ich zu tun habe, dummes Stück.“, schrie er sie an.

Doch wider Erwarten versuchte er nicht, sie zu packen. Nein, er drehte sich einfach um und schwankte zum Kühlschrank.

Er nahm sich eine Flasche Bier und setzte sich dann doch auf einen der Hocker, die bei der Kücheninsel standen.

Rosalie runzelte die Stirn, wusste sie doch nicht, woher er das Bier hatte. Eigentlich hatte sie schon vor Wochen jeden Tropfen Alkohol weggegossen.

Anscheinend bemerkte er selbst in seinem derzeitigen Zustand, dass sie verwirrt war, denn er lachte höhnisch auf und blickte sie an.

„Hättest wohl gedacht, ich Idiot merk nicht, dass du mein ganzes Zeug weggekippt hast, was? Wenn man etwas macht, dann sollte man es richtig machen, Rose.“

Ihr Kurzname aus seinen Mund schmerzte mehr, als jede noch so schlimme Beleidigung.

Es gab Zeiten, da hatte dieses eine Wort von ihm genügt, um sie um den kleinen Finger zu wickeln. Einen Wink von ihm und sie hätte einfach alles für ihn getan.

Aber das war schon lange her.

Rosalie blieb stehen, bis er sein Bier ausgetrunken hatte. Als er jedoch wieder zum Kühlschrank schwankte, um sich noch eine Flasche zu genehmigen stand sie auf und hielt ihm am Arm fest.

„ James, bitte. Lass uns ins Bett gehen, für heute hattest du genug.“, beharrte sie und versuchte, ihn aus der Küche zu zerren, aber er wehrte sich.

„ Lass mich los, verflixt nochmal!“, zischte er.

„ Es reicht!“

Als sie nicht nachgab, packte er sie an den Schultern und schubste sie. So fest, dass sie das Gleichgewicht verlor und auf den Boden stürzte.

Rosalie konnte nicht sagen, wer mehr schockiert war. James stand da, schaute sie schuldbewusst an. Sie selbst zitterte am ganzen Leib.

„ Rose… es…ich…“, stammelte er vor sich hin, versuchte Worte zu finden, um zu entschuldigen, was für Rosalie so normal geworden war.

 Sie rappelte sich vom Boden auf, sah ihn aber nicht an.

Es war ihr zu viel.

 Die Worte, die ihr schon seit Monaten auf der Zunge lagen, konnte und wollte sie nicht mehr zurückhalten.

„ Dazu bist du also geworden. Ein versoffener, erfolgsloser Frauenschläger. Das hat der Alkohol aus dir gemacht, James.“, flüsterte sie beinahe und sah zu Boden.

Als er nichts erwiderte, dachte sie anfangs, er habe sie nicht gehört. Doch schon im nächsten Moment war er bei ihr, packte sie schmerzhaft an den Oberarmen und zog sie an sich.

Er stank nach Alkohol, Schweiß und Zigaretten, doch Rosalie wagte kaum, sich zu bewegen oder wegzusehen.

Seine Augen waren rot geädert. Wut verzerrte sein Gesicht und ließen es rot anlaufen.

Rosalie bereute, was sie gesagt hatte.

Nicht, weil es nicht wahr gewesen war.

Sondern weil sie nun zum ersten Mal wirklich Angst vor ihrem Verlobten hatte.

„ Du verdammtes Weib! Rede nicht solchen Mist!“, schrie James sie an und schüttelte sie an den Schultern, so dass ihre Zähne klapperten und sie noch mehr zitterte, als ohnehin schon.

Die Angst schnürte ihr beinahe die Kehle zu. Ein Teil in ihr- der Teil, der diesen Mann geliebt hatte- wehrte sich gegen die Tatsache, dass sie sich vor James fürchtete.

Der Überlebensinstinkt in ihr ließ aber jede Zelle ihres Körpers vor Furcht zittern.

So war er nie gewesen... selbst in seinen dunkelsten Momenten nicht.

Doch jetzt stand er- vor Wut bebend- vor ihr und sie fragte sich, wie sie aus dieser Situation wieder rauskam.

„Was weißt du schon von harter Arbeit? Du hast ja keine Vorstellungen. Du weißt nichts. Nichts. Gar nichts weißt du!“, schluchzte er beinahe und packte sie noch fester bei den Oberarmen.

Obwohl sie die Angst lähmte, brodelte doch auch langsam in ihr die Wut auf. sie war es gewohnt, von ihm angeschnauzt, beleidigt und erniedrigt zu werden- aber noch nie hatte er ihr unterstellt, faul zu sein.

„ Mehr, als du, nehme ich an.“, zischte Rosalie.

Klatsch.

Plötzlich lag sie auf dem Boden. Hielt sich die rechte Wange. Ihr war schwindelig, doch bevor sie begriff, was gerade passiert war, wurde ihr in den Magen getreten, so dass sie mit dem Rücken gegen die Kücheninsel prallte und sich den Kopf an der Kante anstieß.

„ Elendes Miststück!“, brüllte James.

Rosalie hob benommen den Kopf und sah gerade noch wie James- die Augen vor Wut weit aufgerissen und die Fäuste geballt, sich vor ihr aufbaute, bevor sein Fuß ein weiteres Mal Bekanntschaft mit ihren Magen machte.

Das Holz der Kücheninsel drückte sich schmerzhaft in ihr Kreuz und eine warme Flüssigkeit rann ihr übers Auge.

Als sie mit ihrer Hand ihre Schläfe berührte, zuckte sie zusammen.

Blut.

Sie blutete.

Nach und nach wurden ihre Gedanken wieder klarer.

James hatte sie geschlagen.

Der Mann, den sie hatte heiraten wollen, mit dem sie ihr Leben teilen wollte… hatte sie geschlagen.

Niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass es so weit kommen würde.

Rosalie versuchte, sich aufzurappeln, trotz ihrem vor Angst hämmernden Herzen und der Schmerzen, die sie bei jeder Berührung spürte.

Doch bevor sie sich aufsetzen konnte, hatte James sie bei den Haaren gepackt und zog sie mit einem Ruck nach oben.

Sie schrie, versuchte, sich zu wehren, doch dem schenkte ihr Verlobter keine Beachtung.

Er war total außer sich und unberechenbar, nichts mehr war von dem charmanten, zuvorkommenden Mann übrig geblieben, als den sie ihn kennengelernt hatte.

„ James, bitte…“, schluchzte Rosalie.

Doch dieser hörte sie anscheinend gar nicht. Er packte sie grob am Kinn und zwang sie, ihn anzusehen.

„ Undankbar. Du bist ein undankbares Biest…“, zischte er.

Seine Faust kam unerwartet, fest und schmerzhaft.

Einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen und sie glaubte, das Bewusstsein zu verlieren.

Rosalie wusste nicht, wie ihr geschah.

Im einen Moment hatte James sie bei den Armen gepackt und ins Gesicht geschlagen, im nächsten Augenblick lag sie zitternd und schluchzend auf dem Küchenboden und war alleine.

James war fort.

Für wie lange, würde sich zeigen.

Rosalie griff sich ein weiteres Mal an den Kopf.

Als sie den Beweis ihrer grenzenlosen Dummheit berührte, zuckte sie zusammen.

Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie- blutend und weinend am Küchenboden lag. Doch als sie sich endlich beruhigt hatte, tat sie das einzige, das ihr übrig blieb.

Rosalie rappelte sich- trotz der furchtbaren Schmerzen- auf, ging die Treppe nach oben, sperrte sich ins Badezimmer ein und wusch sich das getrocknete Blut vom Gesicht, verband notdürftig ihre Platzwunde am Kopf.

Löschte alle Erinnerungen, alle Beweise, aus ihrem Gesicht.

Sperrte sie in ihre Seele, dort, wo sie niemand zu sehen bekommen würde.

 

 

 

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Zwei  Jahre später,

 

New York, Sommer.

 

„ Es tut mir wirklich leid, Rose. Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten.“

Rosalie stöhnte auf.

Heute Morgen hatte sie verschlafen, sich den Mund mit brennend heißen Kaffee verbrüht, ihre Bluse falsch herum angezogen und den Bus verpasst. Vor zwanzig Minuten hatte sie sich gefragt, ob der Tag noch schlimmer werden konnte.

Danke für die Demonstration, Gott! Zu deiner Information: Das war eine rhetorische Frage gewesen!

„ Verdammt, Sam. Wie kann das sein? Nach dem ganzen Aufwand…wie können wir da immer noch im Minus sein?“

„ Ich weiß, Liebes, aber der Laden wirft immer noch nicht genug ab, um alle anfallenden Kosten zu decken.“

Ein weiteres Mal stöhnte sie auf.

Sie hatte alles versucht. Wirklich alles. Flyer, Werbeaktionen, Versteigerungen. Sie war höchstpersönlich durch die verfluchte Stadt gerannt und hatte Blätter verteilt!

Und was hatte es ihr gebracht? Den Bankrott.

„ Und jetzt?“

Es blieb einige Sekunden still, bevor sie ihren älteren Bruder durchs Telefon seufzten hörte.

 „ Das haben wir ja schon vor einigen Wochen besprochen. Entweder du schränkst deine Kosten ein, oder suchst dir einen Mitteilhaber, wenn du den Laden weiterhin erhalten willst.“

Beinahe sofort schob Rosalie trotzig das Kinn vor. „ Ich werde Amanda sicher nicht kündigen, falls du das meinen solltest, Sam.“

„ Rosalie, verdammt. Sei doch nicht so stur! Du kannst dir keine Mitarbeiterin leisten und auch wenn sie deine Freundin ist, im momentanen Zustand von  „ Rose´s Bookstore“ bist du nicht in der Lage…“

„ Ich kündige ihr nicht. Ende der Diskussion.“, unterbrach sie ihren Bruder, der gleichzeitig auch ihr Finanzberater war.

Samuel hatte sich vor einigen Jahren selbstständig gemacht und arbeitete erfolgreich für einige Firmen, so wie private Unternehmen.

„Na gut. was ist mir der zweiten Option?“

Von der war sie mindestens genauso begeistert, als von der Idee, ihre beste Freundin rauszuwerfen.

„ Können wir nicht einfach noch eine Weile versuchen, die Sache rumzureißen?“

Rosalie wusste, dass sie sich anhören musste, wie ein kleines Kind, das noch nicht schlafen wollte.

Aber in diesem Fall war es so.

Sie wollte den Laden nicht aufgeben. Nicht, bevor sie alles versucht hatte. Es war ihr Baby. Und ihr Baby hatte noch lange keine Lust, ins Bett zu gehen.

Doch das Seufzen, am Ende der anderen Leitung, ließ nichts Gutes verheißen.

„ Rose, sei mir nicht böse, aber du versuchst jetzt schon beinahe ein Jahr, den Laden zum Leben zu erwecken. Wie lange willst du dich noch vor den Tatsachen verstecken?“

Das schmerzte. Obwohl jedes Wort wahr war, tat es weh, sie aus dem Mund ihres Bruders zu hören.

Aus den Mund jenes Mannes, der schon Firmen, die schwerer verschuldet waren, als die USA, zusammengeflickt hatte.

Welche Chance gab es dann noch für sie?

„ Wie lange hab ich noch Zeit, bis es wirklich kritisch wird?“

Sam lachte trocken auf. „ Es ist schon seit mehr als vier Wochen kritisch.“

„ Das meinte ich nicht.“

„ Ich weiß. Maximal eine Woche, vielleicht zwei. Du hast kaum Geld, die nächste Miete für den Laden zu bezahlen, geschweige denn deine Mitarbeiterin zu bezahlen oder für dich selbst aufzukommen.“

Rosalie zuckte zusammen. „ Was?“

„ Eine Woche, Rose. Dann musst du eine Entscheidung treffen, ansonsten wirst du ziemliche Schulden machen und ich will nicht, dass du Probleme bekommst.“

„ Ich werde mich nicht verschulden, Sam.“, murmelte Rosalie.

Wie oft hatte sie diese Leier gehört?

Um ihr Studium zu finanzieren hatte sie gearbeitet wie eine Irre, in Bars und Restaurants gejobbt, die nervenden Nachbarskinder gesittet und sogar dämliche Hunde  ausgeführt. Bis heute war sie der tiefen Überzeugung dass sie damals Pluffy- der alte Hund von ihrer Nachbarin Gloria Dunken- aus reinem Vergnügen beinahe durch die ganze Stadt gejagt und sie in regelmäßigen Abständen in Pfützen gezogen hatte.

„ Rosalie, ich will dir doch nur helfen. Wenn du dir Schulden machst, oder einen Kredit auf dich nimmst, ist niemanden geholfen, weder Mum und Dad, noch deinem Laden oder deiner Mitarbeiterin.“

Bei diesen nur allzu bekannten Worten verzog Rosalie das Gesicht.

„ Das ist mir schon klar.“

„ Du hast ja noch ein-zwei Wochen. Vielleicht ändert sich noch etwas und dann unterhalten wir uns noch einmal darüber, in Ordnung?“

„ Ok.“, wisperte Rosalie. Plötzlich war sie den Tränen nahe.

Der versöhnliche, tröstende Ton ihres Bruders ließ ihre Brust zusammen ziehen.

Auch wenn Samuel sie beruhigen wollte, so zeigten ihr seine Worte doch, wie schlecht es wirklich um ihren Laden und ihr stand.

„ Gut. Kommst du heute Abend auch?“

Heute Abend? Hab ich was verpasst?

Mal überlegen. Es war Sonntag. Eine weitere Folge von „ Tennie-Mum“ wurde heute ausgestrahlt, sie hatte vorgehabt, sich einen Nudelauflauf zu machen, vielleicht noch eine Tasse Kakao und mit dem neuen Roman von Christine Feehan anzufangen.

„ Du hast es vergessen, stimmt’s?“ Die Stimme ihres Bruders triefte vor Arroganz.

Rosalie kam sich erwischt vor und obwohl sie nur telefonierten, lief sie rot an.

„ Rede keinen Unsinn. Sicher bin ich heute dabei.“, sagte sie und bereute es kurz darauf schon.

„Ach, also gehst du heute mit zum Broadway? Mum hat ein tolles neues Musical entdeckt, zu dem sie uns alle einladen möchte.“

Broadway.

Musicals.

Ihre Mutter die entzückt neben ihr quietschte, während sich übergewichtige Frauen, in furchtbaren Kostümen die Schreierei, mit Gesang verwechselten und dabei grässlich schwitzten, auf der Bühne rekelten.

Himmel nochmal.

Vor einigen Monaten hatte ihre Mutter ihre Vorliebe für Musicals entdeckt. Das Problem: Es waren schlechtgemachte Produktionen, mit schlechtspielenden Schauspielern. Leider fand Rosalies Mum, dass ihr Ehemann, wie ihre beiden Kinder ebenfalls etwas von New Yorks „Gesangstalenten“ zu spüren bekommen sollten.

„ Ich freu mich darauf.“, brachte sie hervor.

Plötzlich hörte sie Samuel lachen. Er hörte gar nicht mehr auf damit.

Dann fiel der Groschen.

„ Du Idiot!“

Er prustete einfach weiter. „ Rose, tut mir leid, aber ich schwöre dir, ich sah deinen entsetzten Gesichtsausdruck beinahe vor mir.“

Sie erwiderte nichts und wartete, bis er sich wieder etwas beruhigt hatte, bevor sie fragte: „ Und was steht heute Abend wirklich an?“

„ Du hast es also wirklich vergessen, was? Himmel, Rose, sieh doch in den Kalender. Es ist der erste Sonntag im Monat. Was bedeutet…?“

Rosalie stöhnte auf. „ Dass Dad kocht.“

Einmal im Monat überließ ihre Mutter es ihren Vater, das Abendessen zu zubereiten.

Die Bilanz war bis jetzt eher mager ausgefallen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ihr Dad war einfach nicht für die Küche gemacht.

„ Wobei, da fällt mir gerade ein, dass ich noch mit Amanda…“

„ Kommt nicht in Frage, Rose! Du lässt mich nicht hängen! Heute steht die mediterrane Küche auf dem Programm.“

Einen Moment wägte sie ihre Möglichkeiten ab.

Entweder, sie redete sich raus und zog den Groll ihres Bruders auf sich, oder aber, sie stand den Abend durch, würgte das meistens viel zu stark gewürzte und ungenießbare Essen ihres Vaters hinunter und brauchte sich dafür  nicht von Sams Rache fürchten.

„ Schon gut, schon gut. Wann soll ich dort sein?“, murmelte Rosalie und verdrehte ihre Augen.

„ So um halb sieben. Ich bin mir sicher, Mum ruft dich im Laufe des Tages nochmal an.“

„ Na gut, dann sehen wir uns heute Abend, bis dann, Sam.“

„ Bis dann.“

Rosalie legte ihr Handy weg.

 Es war gerade mal Sonntagvormittag. Sie sah sich um und musste sich eingestehen, dass sie heute total umsonst aufgestanden war.

Weder war jemand im Laden, noch gab es etwas für sie zu tun. Genauso gut hätte sie jetzt mit einem guten Buch im Bett liegen können.

Aber stattdessen stand sie hier- in einem leeren, großen Raum, voller wunderbarer, fantastischer Bücher.

Die aber leider niemanden interessierten.

Heutzutage war die gute alte Literatur, Gedichte und Poesie, Romane, Liebesgeschichten und Historiker in Vergessenheit geraten. Stattdessen gab es Twilight. Vampire, die ihr – wortwörtlich- das Blut aussaugten.

Seufzend ging sie zu der Sitzecke, die Amanda und sie vor einigen Wochen eigenrichtet hatten und nahm sich ein Buch heraus.

Oh, Leaves of Grass, wunderbar.

Für die nächsten zwei Stunden begab sich Rosalie in den talentierten Händen von Walt Whitman und seinen Gedichten.

 

 

„ Jahr, das unter mir bebte und taumelte!

Dein Sommerwind war warm genug,

Doch die Luft, die ich atmete, durchfror mich.

Muss ich meinen Triumphgesang ändern? fragte ich mich,

Muss ich wirklich noch lernen,

die kalten Klagelieder der Getäuschten anzustimmen?

Die grämlichen Hymnen der Besiegten?“

 

Rosalie schrak auf.

Das lästige Klingeln ihres Handys hatte sie aus einen ihrer liebsten Gedichte von Whitman gerissen.

Es handelte vom Krieg- wie die meisten seiner Werke und faszinierte sie auf eine Weise, die sie bis heute selbst nicht verstand.

Sie stand umständlich von dem Sitzkissen auf und ging an ihr Handy.

„ Ja?“

„ Ich bin´s, Rose.“

„ Amy, was gibt´s?“

Amanda Blair war ihre beste Freundin. Die beiden kannten sich von ihrer früheren Arbeit, bevor sie den Laden geerbt hatte. Aber da Rosalie keine Zeit mehr für ihre frühere Tätigkeit hatte und Amanda unzufrieden mit ihrer beruflichen Laufbahn war, taten sich die beiden zusammen.

„ Ich wollte nur mal hören, was bei dem Gespräch mit Sam herausgekommen ist.“

Sofort verschlechterte sich Rosalies Laune wieder.

„ Nicht viel, es hat sich nichts verändert.“

„ Verdammt. Und jetzt?“

„ Wir machen weiter. Samuel gibt mir noch ein-zwei Wochen, dann müssen wir eine Entscheidung treffen.“

Es blieb einige Zeit still, bevor Amanda antwortete. „ Welche Optionen hast du?“

Rosalie seufzte. „ Entweder ich schränke meine Kosten ein, oder ich such mir einen Mitteilhaber, der uns über Wasser hält, bis es wieder besser läuft.“

„ Rose, falls es dir hilft, ich finde auch anderswo Arbeit, du musst mich nicht notdürftig mitschleppen, ich weiß, dass es dir immer schwerer wird…“
„ Kommt nicht in Frage.“, unterbrach Rosalie sie barsch.

„ Rose, jetzt sei doch vernünftig…“

„ Das bin ich. Du gehst nirgendwo hin. Wir schaffen das.“, beharrte sie.

„ Na schön. Bist du gerade im Laden?“

„ Ja, ist aber nichts los, hätte genauso gut zu Hause bleiben können.“
„ Was machst du dann noch dort? Es ist Sonntag. “

Rosalie stutzte, sah zur Sitzecke und dem dicken Buch, dass sie aufgeschlagen hatte und grinste.

„ Ich lese.“

Sie hörte einen langgezogenen Seufzten, der so viel hieß wie „ Was ist nur los mit dir?“

„ Rosalie Carter, wie lange soll das noch so weitergehen? Ob du zuhause bist, oder im Laden, du liest. Egal, ob die Sonne scheint, oder es regnet- man findet dich überall und zu jeder Zeit mit einem verdammten Buch vor!“

„ Dich doch auch.“, murrte Rosalie.

Daraufhin hörte sie ihre Freundin schnauben. „ Ja, Schätzchen, aber ich habe nebenbei ein Privatleben. Geh aus, triff andere Leute, du bist immerhin noch jung. Die Bücher rennen dir schon nicht davon.“

All das wusste Rosalie auch selbst, ohne dass sie es regelmäßig von ihrer Familie oder ihren Freunden vorgesagt bekam.

Aber sie las nun mal gerne. Das war ihr Job. Und ihre Leidenschaft. Wozu in Bars sitzen und sich betrinken, wenn man darüber auch lesen konnte?

Wobei die geschrieben Versionen solcher Ereignisse oft noch viel besser als die Realität waren.

„ Du weißt genau, warum, Amy.“

„ Ja, ich weiß, Rose. Aber du kannst dich nicht auf ewig vor James verstecken. Lass dich nicht so von diesem Arschloch beherrschen!“

Das hatte gesessen.

Ihre Freundin hatte Recht, aber trotzdem tat es weh, die Wahrheit so deutlich zu hören zu bekommen.

„ Das tu ich ja auch nicht. Aber es ist wichtig, dass ich für den Laden in dieser Hinsicht aktuell bleibe und…“

„ Schon klar, das ist ja auch in Ordnung, Rose, aber es wird dich doch nicht umbringen, wenn du hin und wieder unter Menschen gehst und deine Lesebrille weglegst.“

Rosalie lachte auf. „ Ich habe keine Lesebrille, wie du weißt.“

„ Das meinte ich eher metaphorisch.“

Beinahe sah sie ihre Freundin vor sich grinsen.

„ Was machst du heute noch so?“, fragte sie Amanda und ließ sich wieder auf eines der Sitzpolster nieder.

„ Lern heute die Familie von Marc kennen.“

Oh nein. Marc.

Marc war der neue Freund von Amanda. In den letzten Wochen hatte es ein ständiges Auf und Ab in ihrer Beziehung gegeben und es war zu Rosalies Aufgabe geworden, ihre Freundin in den dunklen Stunden voller Zartbitterschokolade und selbstgemachtem Vanilleeis beizustehen.

Wer war sie?

Oprah? Ausgerechnet sie- Rosalie Carter- wurde um Hilfe und gute Ratschläge gebeten.

Der liebe Gott und sein schwarzer Humor.

„ Hört sich gut an. Esst ihr zusammen?“

„ Zu Mittag kommen seine Eltern und essen hier.“ Sie hörte sich nicht allzu begeistert an, dafür reichlich nervös.

Na toll.

„ Wo genau ist „hier“?“

„ In seiner Wohnung. Ich war gerade erst einkaufen.“

Natürlich. Hat dich Marc wieder durch die ganze Stadt gescheucht?

Rosalie sagte aber nichts. Das würde ja doch wieder nur zu Streit führen.

„ Naja, dann wünsch ich euch viel Spaß. Erzähl mir, wie es war.“

„ Danke, mach ich. Und dir viel Spaß bei deinen Eltern.“

Selbst ihre beste Freundin vergaß nicht auf diese allmonatlichen Abendessen.

Toll, Rose.

Sie legte auf, ging zur Sitzecke und nahm ihr Buch, doch bevor sie hineinlesen konnte, besann sie sich eines Besseren.

Ihre Freundin hatte Recht.

Zurzeit bestand ihr jämmerliches Privatleben aus den regelmäßigen Essen mit ihrer Familie, immer seltener werdende Besuche in Kinos oder Cafés mit Amanda und den einsamen Abenden, die sie vor ihren Fernseher- jedoch in den meisten Fällen in ihren Bett, mit einem ihrer heißgeliebten Schmökern verbrachte.

Dafür gab es Gründe.

Es gab gute, rationale und total verständliche Gründe, für ihr Verhalten.

Aber es ärgerte sie.

Sie wollte sich nicht länger verstecken. Natürlich nicht.

Immerhin war sie erst vierundzwanzig, stand noch am Anfang ihres Lebens und es gab viel, was sie noch machen wollte.

Vor sechs Jahren zum Beispiel hatte sie sich unbedingt tätowieren lassen wollen.

„ Jede Gabe fordert ein Opfer.“ – So was in der Art.

Mittlerweile fand sie aber, dass ihr Körper auch ohne Stechkunst schon verschandelt genug aussah.

Wobei es ihr lieber gewesen wäre, sie könnte behaupten, dass wäre die Schuld von Tattoos oder Piercings.

Nein, stattdessen konnte sie sich dafür bei James bedanken.

James.

Kopfschüttelnd nahm sie sich die Schlüssel, verließ den Laden und sperrte hinter sich zu.

Rosalie versuchte, alle Gedanken an James zu verdrängen, trotzdem fühlte sie sich, als würde jemand hinter ihr stehen und nur so darauf warten, dass sie unaufmerksam war…

Rose, verdammt, hör auf damit. Das hier ist Brooklyn. Nicht der sicherste Ort der Welt, aber naja. NIEMAND verfolgt dich. NIEMAND sucht dich. Also: BERUHIG DICH.

Kopfschüttelnd ging sie zur U-Bahnstadion.

Sie versuchte angestrengt, nicht wie ein gehetztes, verfolgtes Tier zu wirken, das nur darauf wartete, dass ein Jäger hinter einer Ecke hervorkam und ihr mit der Flinte nachjagte.

Sich über sich selbst ärgernd, verscheuchte sie jeden Gedanken an ihren größten Seelenbelast und überlegte schon mal, wie sie zuhause alle möglichen Leute anrufen würde können, um noch mehr Werbung für einen Laden zu machen, den ihr Bruder schon lange aufgegeben hatte und den sie nun mal über alles liebte.

Und wenn sie dazu jeden noch so schleimigen Möchtegern-Buchversteher in den Hintern kriechen musste- sie würde es tun.

Für „ Rose´s Bookstore“ würde sie es machen…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2

2

 

 

Verflixt und zugenäht!

Er hatte geschlafen.

Nichts gespürt. Wunderbar.

Dann dieses verfluchte Hupen und Gequietschte. Und er war wach gewesen.

Anfangs dachte er, er hätte sich endlich- endlich!- in den Tod gesoffen.

Aber dann waren die Schmerzen gekommen. Und wie sie gekommen waren!

Sein Kopf hatte sich gefühlt, als wäre gestern jemand darauf herumgesprungen.

Mit Springerstiefeln.

Anfangs wusste er nicht, wo er war. sein Orientierungssinn hatte sich-zusammen mit seinem Zeitgefühl- verabschiedet.

Doch als er sich umsah und die kleine, modrige Kochnische, das Badezimmer und das Klappsofa, auf dem er saß, sah- erkannte er seine Wohnung.

Rund um ihn herum- sowohl am Boden, als auch auf den kleinen Beistelltisch vor ihm- standen leere Flaschen.

Bier, Wodka, Whiskey… Er hatte den Überblick schon vor langer Zeit verloren.

Aber es war viel gewesen.

Er fiel nach seiner weiß Gott wievielte Flasche in einen tiefen Schlaf, von dem er gehofft hatte, nie wieder aufzuwachen.

Aber das Schicksal war nicht gnädig und so kam es dass er jetzt, verkatert und müde, in seiner verkommenen Wohnung saß und sich fragte, ob er noch etwas zu trinken Zuhause hatte.

Umständlich versuchte er, sich vom Sofa zu erheben, doch seine Knie gaben unter dem Gewicht nach und er fiel zurück aufs Sofa.

Er versuchte sich angestrengt daran zu erinnern, was ihn gestern dazu bewogen hatte, mehr, als normalerweise zutrinken. Aber alles, was ihm vom gestrigen Abend noch in Erinnerung geblieben war, waren die unfassbaren Mengen an Alkohol und dieser dichte Nebel von Zigarettenrauch. Mehr war da nicht.

Aber vermutlich war es das übliche gewesen.

Dunkelbrauens Haar, leuchtend grüne Augen, große Klappe…

Rosalie. Seine Rose.

Falsch, dachte er sich und verzog das Gesicht.

Sie war nicht mehr Sein.

Schon seit langer Zeit nicht mehr.

Undankbares Ding.

Stures Ding.

Wie lange hatte er sie jetzt nicht gesehen? Zwei Monate, vielleicht drei?

Er hatte keinerlei Zeitgefühl mehr.

Sie wollte ihn nicht sehen. Nichts mehr mit ihm zu tun haben.

Hatte ihn verlassen.

Ihn allein gelassen.

Irgendwie schaffte er es, aufzustehen und zum Kühlschrank zu schwanken.

Zum Weg dorthin stolperte er über einige leere Bierflaschen, die vergessen auf dem Boden lagen.

In der Küche fand er noch zwei Flaschen Wodka. Er nahm einen tiefen Schluck und sank gegen die Wand.

Er schloss seine Augen, nahm einen weiteren Zug und betete zu Gott, dass es dieses Mal wirklich zu viel war.

Und ihm der stille Tod holte.

 

 

„ Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Der Verkehr…“

Adam Wyatt winkte mit seiner Hand ab und grinste, bei dem hektischen Blick, den ihm sein bester Freund zuwarf.

„ Schon gut, Sam. Stress dich nicht, dass ist nicht gut, für dein altes Herz.“

Aus Hektik wurde Ärgerlichkeit und dementsprechend fiel auch seine Antwort aus. : „ Haha, sehr komisch. Ich bin gerade mal ein Jahr älter als du.“

„ Hast aber einiges mehr auf den Kasten als ich. Verheiratet, Vater zweier Kinder…“

„ Finanzberater einer der erfolgreichsten und arrogantesten Männer New Yorks?“, beendete Samuel seinen Satz und grinste höhnisch.

Adam kannte Sam Carter seit seiner High-Schoolzeit. Während des Colleges verloren sie sich, aber vor einigen Jahren engagierte Adam Samuel zufällig, ohne zu wissen, dass es sich bei dem erfolgreichen, freiberuflichen Finanzberater um seinen Freund aus Jugendjahren handelte.

Seither regelte Samuel die Finanzen seiner Geschäfte.

Daher trafen sie sich regelmäßig, doch heute hatte Adam kurzfristig um ein gemeinsames Abendessen gebeten, weil er etwas mit seinem Freund und Berater zu besprechen hatte.

Samuel setzte sich und legte sein dunkles Jackett, das er über seinem Hemd trug, ab.

„ Wie geht´s der Firma? Alles in Ordnung?“

Adam grinste. „ Keine Ahnung. Denke schon.“

„ Du weißt es nicht?“

Über den entsetzten Tonfall seines Freundes konnte Adam nur milde lächeln.

Schon vor mehr als zehn Jahren hatte sein Vater, Hendrik Wyatt, zusammen mit seinem Bruder eine Softwarefirma gegründet.

Innerhalb weniger Monate hatten sie, mit viel Geschick und- zugegeben- auch etwas Glück- millionenschweren Erfolg gefeiert, welcher sich bis heute gehalten hatte.

Doch seit dem hatte sich viel getan und mittlerweile leitete Adam die Firma seines Vaters. Zum Leidwesen aller war das nicht unbedingt das, was er sich unter seiner Zukunft vorgestellt hatte.

Sicher, das Geld war ein netter Nebeneffekt, die Frauen standen auf den smarten Geschäftsmann, der mit jedem seiner Atemzüge mehrere tausende von Dollar verdiente. Aber das reichte Adam nicht. Bei weitem nicht.

Und darum war er heute hier.

„ Mann, Sam, du kennst mich doch. Das einzige, wofür ich in der Firma noch gebraucht werde, ist meine Unterschrift. Und das nur so lange, bis ein armer Hund gefunden wird, der diese bestmöglich fälschen kann. Dann hab ich jahrelang bezahlten Urlaub. Hat auch was.“

Samuel grinste und schüttelte den Kopf.

Ein schlaksiger Kellner in den Mittvierzigern kam auf ihren Tisch zugesteuert.

Während sich Adam einen Cherry bestellte, nahm Samuel sich nur ein Bier. Daraufhin hob er fragend eine Augenbraue, doch sein Freund zuckte nur mit den Schultern.

„ Ich muss noch fahren.“

„ Beth würde es sicher nicht gutheißen, wenn du deinen Wagen zu Schrott fährst.“

Ein Zucken spielte um Samuels Mundwinkel. „ Stimmt. Und ich möchte ungern nachts näher Bekanntschaft mit unserer Couch machen.“

Für Adam war Samuel der beste Beweis dafür, dass man nicht heiraten sollte.

Klar, Samuel liebte Elisabeth. Warum auch nicht? Sie war warmherzig, liebevoll und eine Augenweide.

Jedoch hatte sie seinem Freund nach und nach- ohne dass er es bemerkt hätte- das Wilde ausgetrieben.

War Samuel, bevor er seine Frau im Studium kennengelernt hatte, ein wahrer Draufgänger und Frauenschwarm gewesen, stets darauf bedacht, vom einen Abendteuer in das nächste zu springen, hatte ihm die Beziehung mit Beth…weich gemacht.

Wenn diese Beziehung auch das Beste war, was seinem Freund hätte widerfahren können, so war er sich doch sicher, dafür war er viel zu gerne Single.

„ Ach, du lässt dich von ihr aus dem Bett werfen?“

Samuel schnaubte. „ Glaubt mir, wenn eine Frau richtig wütend auf dich ist und sich unmittelbar in ihrer Nähe eine Lampe befindet, bist du froh, auf dem Sofa schlafen zu können.“

Adam lachte. Das Bild Samuels, der vor seiner keifenden, mit einer Nachttischlampe bewaffneten Frau davonlief, hatte was.

Der Kellner brachte ihre Getränke und fragte, ob sie die Speisekarte bräuchten.

Doch beide Männer lehnten ab.

„Ich hab nicht so viel Zeit. Heute kocht Dad mediterran, das kann ich mir nicht entgehen lassen.“ Samuel verdreht die Augen, woraufhin Adam grinste.

„ Gut, ich wollte eigentlich auch nur kurz etwas mit dir besprechen.“

Samuel trank von seinem Bier, sah ihn aber weiterhin an.

Als Adam nicht weitersprach, sagte er: „ Nun rede schon.“

„ Ich möchte mir eine neue Investitionsmöglichkeit suchen.“, sagte Adam und trank ebenfalls von seinem Cherry.

Samuel wollte gerade noch einen Schluck nehmen, stoppte aber mitten in der Bewegung.

„ Was willst du?“

„ Ich würde mir gern etwas…Neues suchen.“

Ja, du hast richtig gehört, mein Freund. Ich langweile mich.

„ Na gut, aber welchen Sinn soll das haben? Ich meine… mit der Softwarefirma verdienst du mehr Geld, als du in drei Leben ausgeben können wirst. Du hast viel Freizeit und kaum etwas zu tun. Das wolltest du doch immer.“

Adam schnaubte. „ Richtig. Als ich sechzehn war, Sam. Welcher Junge träumt in den Alter nicht davon, einer der reichsten Typen des Planeten zu sein und dafür rein gar nichts tun zu müssen?“

„ Du leitest ein Unternehmen, ich würde nicht sagen, dass du rein gar nichts machst.“, meinte Sam.

„ Du weißt genauso gut wie ich, Sam, dass das nicht stimmt. Ich hab überhaupt nichts mit der Firma gemein. Es wird mir ja alles aus der Hand genommen. Ich gehe zu Meetings und segne ab, zu dem mir mein Assistent rät. Das war´s auch schon. Eigentlich sollte Richard meinen Job übernehmen.“

Samuel runzelte die Stirn. „ Aber Richard ist nun mal kein Wyatt. Du hingegen schon. Und die letzten Jahre hat es dich doch auch nicht gestört, den Chef zu spielen.“

„ Ich bin jetzt achtundzwanzig. Sollte ich da nicht langsam… erwachsen werden? Sesshaft werden?“

Samuel lachte. „ Ein Haus bauen? Kinder bekommen? Alt werden?“

„ So war´s nicht gemeint. Ich dachte eher daran, mir einen süßen Dackel zuzulegen.“, meinte Adam und grinste.

„ Dazu warst du doch nie der Typ. Ich kenne dich, Adam. Du liebst die Reisen, die Abwechslung.“

„ Nein, das tu ich nicht. Ich verreise, um in Kanada, oder London Werbung zu machen und die Firma zu repräsentieren. Das mach ich, um der Arbeit hier zu entfliehen. Klar würde es mir Spaß machen, andere Länder zu besuchen, jedoch sehe ich außer den grautönigen, immer gleichaussehenden Büroräumen und den kleinkarierten Geschäftsleuten nicht viel.“

„ Und jetzt möchtest du eine neue Firma gründen?“

„ Nein, auf keinen Fall. Vielleicht nehme ich mir auch einfach ein paar Monate und reise etwas herum.“

Samuel grinste und schüttelte den Kopf. „ Als würdest du das aushalten. Du bist ein arroganter, selbstverliebter Mistkerl, aber kein Stück faul. Du hältst es nicht einmal eine Woche aus, entspannt am Strand zu liegen. Wie willst du da monatelang blau machen?“

Wo er Recht hat, hat er recht….

„ Ich bin weder arrogant, noch selbstverliebt, aber ich weiß, was ich kann. Na gut, was schlägst du dann vor?“

Samuel runzelte die Stirn. „ Naja, kommt darauf an, was du dir vorgestellt hast. Es soll keine Firma oder ein Unternehmen werden, also eher etwas Kleineres?“

Als Adam nickte fuhr er fort. „ Vermutlich soll es auch mit etwas vollkommen anderen zu tun haben. Und da dir bei Wyatt´s alles aus der Hand genommen wird, gehe ich davon aus, dass du dich bei deiner neuen… Beschäftigungsmöglichkeit einbringen möchtest.“

Ein weiteres Nicken von Adam.

„ An welchen Zeitraum hast du gedacht? Ist das eine Idee für ein paar Wochen oder eine dauerhafte Entscheidung?“

„ Je nachdem wie sich das Ganze entwickelt. Wenn ich wirklich etwas finde, dass mich begeistern würde, könnte ich mir durchaus vorstellten, dass ich mich damit länger befassen würde.“

Sein Freund murmelte etwas und schaute ins Leere, dachte wohl nach.

Adam trank seinen Cherry aus und auch Samuel griff- immer noch etwas geistesabwesend- zur Bierflasche.

„ Ich wüsste da… eine Möglichkeit.“

Erstaunt horchte Adam auf. „ Ach, wirklich? Die wäre?“

Samuel grinste. „ Erinnerst du dich an Rose? Meine Schwester?“

Tollpatschig. Ungelenk. naiv.

Oh ja, er erinnerte sich an das fünfzehnjährige, mit Pickeln übersäte Mädchen von damals. Ihre brünetten Haare hatte sie immer zu einem strammen Zopf geflochten und auf ihrer Nase hatte eine abartig hässliche Brille gesessen.

Im Gegensatz zu den anderen Mädchen in ihrem Alter, bei denen sich langsam die ersten Veränderungen zur Frau zeigten, war Rosalie mit fünfzehn immer noch ohne jegliche Kurven und flach wie ein Holzbrett. Noch dazu kam, dass sie ziemlich mager war, so dass ihre Knochen noch deutlicher hervorkamen.

Wenn wenigstens ihr Charakter akzeptabel gewesen wäre, aber laut ihres Bruders war sie schon damals eine unausstehliche Zicke gewesen.

Adam lächelte milde und versuchte, sich nichts an kennen zu lassen.

„Ja, natürlich. Sie war ein reizendes Mädchen. Ich hab sie seither leider nicht mehr gesehen. Geht es ihr gut?“

Nicht so übertrieben höflich, verdammt. Er kennt dich, seit du aufgehört hast, Würmer und Sand zu essen.

Samuel jedoch bemerkte nichts, trank sein Bier aus und stellte die leere Flasche auf den Tisch ab.

„ Naja, zurzeit hat sie ein paar Probleme. Ihr Buchladen steht kurz davor, pleite zu gehen.“

Adrian war überrascht. Samuel und er kamen nie auf seine Schwester zu sprechen, folglich hatte er auch nicht gewusst, was sie für einen Beruf ausübte.

„ Das tut mir leid.“

Das tat es komischerweise wirklich. Auch wenn Adam Rosalie nicht kannte, er wusste von früher, dass Bücher ihr Ein und Alles gewesen waren.

Samuel nickte bedauernd. „ Mir auch. Wir versuchen nun schon seit einigen Monaten, Kunden herzulocken, aber wir finden einfach keinen Anklang bei den Leuten.“

Adam hörte, wie schwer das auch für seinen Freund war. soweit er wusste, hatte Samuel immer ein gutes Verhältnis zu seiner Schwester gehabt und ihr jetzt nicht helfen zu können war sicher nicht leicht.

Jedoch stellte sich für Adam nun die Frage, was das Ganze mit ihm zu tun hatte?

Anscheinend bemerkte Samuel den verwirrten Gesichtsausdruck seines Freundes. „ Naja, heute erst hab ich mit Rosalie geredet. Ich habe ihr gesagt, dass ihr eigentlich nichts anderes mehr übrig bleibt, als einen weiteren Teilhaber in Betracht zu ziehen, wenn sie den Laden wenigstens für die nächsten Monate vor dem Aus retten will.“

Noch immer verstand Adam nicht, was das mit ihm zu tun hatte.

Doch dann sickerten die Worte seines Freundes zu ihm durch und er riss entsetzt die Augen auf.

„ Ich? Als Mitteilhaber eines Buchladens? Hast du gekifft?“

Samuel lachte trocken auf. „ Nun stell dich nicht so an, ist ja nicht so, als wollte ich dich dazu überreden, dir ein Piercing stechen zu lassen.“

Ich lache später, vielen Dank.

„Ist aber auch nicht viel absurder. Sam, wie kommst du auf diese Schnapsidee? Ich bin weder die Wohlfahrt, noch hab ich Ahnung von Büchern. Was soll ich da mit einem pleitegehenden Buchladen?“

„ Du wolltest doch etwas Kleines, mit dem du dich befassen kannst, um deinen grauen Firmenalltag zu entkommen.“

„ Ich meinte ein kleines Architektenbüro. Oder von mir aus eine Konditorei. Da hätte ich ja was davon. Aber ein Buchladen?“

Samuel grinste. „ Na gut, stimmt schon, es ist nicht unbedingt das, was du dir erwartest, aber vielleicht gefällt es dir ja. Du könntest neue Erfahrungen sammeln. Sieh es doch als neue Herausforderung an.“

Adam runzelte die Stirn. „ Steht es wirklich schon so schlecht um den Laden, dass du das „ Baby“ deiner Schwester sogar schon mir- einem alteingesessenen Firmenschnösel, der sich überwinden muss, die Zeitung zu lesen- anvertrauen würdest?“

Samuels Lächeln verschwand. „ Rosalie hat eine schwere Zeit hinter sich. Ich hab Angst, dass sie es nicht verkraften würde, jetzt auch noch den Buchladen zu verlieren.“

„ Das verstehe ich, Sam und es tut mir leid, aber ich bin trotzdem nicht gewillt, mehrere tausend Dollar in einen Laden zu investieren, von dem wir ausgehen müssen, dass er so oder so pleite geht. Noch dazu hab ich wirklich weder Interesse noch genügend Kenntnisse.“

„ Ich weiß. Tut mir leid, Adam. Ich hätte dich nicht fragen sollen, aber ich verzweifle noch. Rose hält so stur daran fest, dass es mir jedes Mal das Herz bricht, wenn ich ihr wieder und wieder schlechte Neuigkeiten überbringen muss.“

Adam nickte.

Auch wenn sein bester Freund ihm wirklich Leid tat, er war trotzdem davon überzeugt, dass es besser war, er würde sich aus dieser Angelegenheit raushalten.

Natürlich hätte er das Geld dazu. Keine Frage. Er könnte es sich durchaus leisten, den Laden aufrecht zu erhalten, selbst wenn er wirklich pleitegehen würde, sie könnten ihn immer noch verkaufen. Es würde ihm nicht schaden.

Aber Adam hatte nun mal keine Ahnung von Büchern.

Er verstand nicht, wie sich manche Menschen auf etwas derartig zeitraubendes fixieren konnten.

Für ihn waren Bücher eine nutzlose Zeitverschwendung, die zur Folge hatte, dass umsonst tausende Bäume abgeholzt wurden. So konnte man es ja auch sehen.

Noch dazu war er sich sicher, dass- sollte Rosalie immer noch die gleiche, trotzige und scharfzüngige Zicke, mit der großen Klappe, geblieben sein, sie ihm den allerletzten Nerv rauben würde.

Und der eigentliche Sinn war ja gewesen, sich etwas zu suchen, was ihm Spaß und Freude machen würde.

Klar, Sam. Ein Schlagabtausch mit deiner Schwester, bei dem wahrscheinlich ihre Fäuste zum Einsatz kommen würden, wäre das reinste Vergnügen für mich. Wann kann ich anfangen?

„ Vielleicht sollte sie den Laden einfach verkaufen. Der Platz in New York ist begrenzt und noch dazu teuer. Es würde sich sicher jemand finden, der deiner Schwester die Räumlichkeiten abkaufen würde.“

Samuel lachte verbittert. „ Denkst du, das hab ich ihr nicht geraten? Aber Rosalie ist einfach zu stolz und zu stur. Umso schwerer wird es dann sein, ihr begreiflich zu machen, dass sie nichts mehr für ihren Laden tun kann.“

„ Klar wird es erst mal nicht so leicht, aber vielleicht geht es dir dann auch besser. Sicher ist es eine bittere Pille zu schlucken, wenn man den eigenen Traum aufgeben muss, aber dann kann sie sich nach neuen… Möglichkeiten umsehen.“

Samuel nickte. „ Vielleicht hast du Recht. Aber du kennst Rose nicht. Für sie gibt es keine andere Möglichkeit. Naja, mal abwarten. Ich hab ihr noch eine Woche gegeben. Dann müssen wir weiter sehen.“

Beide schwiegen eine Weile. Doch dann sprang Samuel auf einmal auf und zog hektisch seine Geldtasche aus seinem Jackett.

„ Verdammter Mist, es ist ja schon sieben.“, fluchte er und sah auf seine Armbanduhr. „ Ich müsste seit einer halben Stunde zu Hause sein. Rosalie wird mir die Hölle heißmachen.“

Samuel winkte den Kellner herbei, doch Adam kam ihm zuvor. „ Geht auf mich, fahr du lieber.“

Samuel nickte ihm dankbar zu. „ Wir telefonieren. Irgendwas fällt uns schon ein, damit du nicht in der Firma versauern musst.“

Adam grinste, verabschiedete sich von seinem Freund und sah ihm hinter her, wie Samuel hektisch aus dem Restaurant rannte.

 

 

„ Ava, hör bitte damit auf, Lorie an den Haaren zu ziehen!“, schimpfte Rosalie mit ihrer ältesten Nichte und versuchte vergeblich, die beiden Streithennen auseinander zu bekommen.

„ Meine Puppe!“, schrie Ava, während ihre jüngere Schwester gar nicht daran dachte, das heißbegehrte Spielzeug herzugeben. Ganz im Gegenteil, Lorie biss Ava in die Hand, woraufhin diese jämmerlich zu kreischen anfing.

Gerade, als Rosalie die beiden in ihr Zimmer werfen wollte, kam Elizabeth aus der Küche ins räumige Wohnzimmer.

Rosalie war sich nicht sicher, aber es kam ihr so vor, als müsse sich ihre Schwägerin beherrschen, um nicht im nächsten Moment los zu lachen.

Sie kniete sich hin und während Rosalie immer noch darauf bedacht war, Ava davon abzuhalten, dass sie Lories Ringellöckchen ausriss, nahm Elizabeth ihre jüngste Tochter auf den Arm. „ Lorie, gib Ava bitte ihre Puppe zurück. Ihr sollt doch teilen, hab ich gesagt.“

„ Meine, meine!“, schluchzte Ava und strampelte wild umher, so dass Rosalie Mühe hatte, ihre Nichte fest zu halten.

Auf den Arm ihrer Mutter beruhigte sich Lorie langsam wieder, schob jedoch trotzig die Lippe vor. „ Nein.“

„ Lorie, ich möchte, dass ihr beide teilt, oder ihr bekommt die Puppe heute nicht mehr. Verstanden?“

Einen Moment schien es, als wollte die Kleine wiedersprechen, doch dann gab sie ihrer Mutter die Puppe und verschränkte ihre dünnen Ärmchen vor der Brust.

„ Braves Mädchen.“, murmelte Elizabeth und drückte ihrer jüngeren Tochter einen Kuss auf die Wange, bevor sie sie auf das Sofa setzte.

Dann kniete sich Elizabeth neben Rosalie und Ava.

Ich komm mir vor, wie bei einem Boxwettbewerb, beeil dich, Beth.

„ Ava, teil bitte mit deiner Schwester, sonst darf keiner von euch mit der Puppe spielen.“

„ Susie ist meine Puppe.“, schrie Ava und strampelte.

Ach, Susie heißt die Gute.

„ Ava, muss ich dich ins Bett schicken?“, mahnte Elizabeth und hob eine Augenbraue.

Sofort wurde Ava leise und schüttelte erschrocken den Kopf.

„ Gut, dann setzt euch auf den Teppich und benehmt euch.“

Ava nahm die Puppe an sich und setzte sich auf den Boden. Lorie kletterte von dem Sofa und gesellte sich zu ihrer Schwester.

„ Ziemliche Energiebündel, was?“, meinte Elizabeth und grinste.

Energiebündel? Wohl eher kleine Hamster auf Exstasy.

„ Naja, Sam und ich waren auch nicht besser.“

„ Stimmt, da hab ich schon so manches gehört. Aus Lucky wurde Pinky?“, fragte Elizabeth, mit einem Schmunzeln.

Es war Halloween gewesen und Samuel hatte sie nicht mitnehmen wollen, als er mit seinen Freunden von Haus zu Haus ziehen wollte. Da nahm sie sich einfach ihre pinken Haarspraydosen, die ihr ihre Mutter extra für diesen Anlass gekauft hatte und besprühte Samuels heißgeliebten Schäferhund Lucky mit der Farbe.

Rosalie lachte. „ Oh ja, es war kein Spaß für Sam, den Hund zu waschen und zu bürsten.“

„ Das kann ich mir vorstellen. Samuel jammert noch heute gerne, wenn er einen Hund vorbei gehen sieht.“

Rose grinste diabolisch. „ Selber schuld, er musste unbedingt diesen dämlichen Köter haben. Ich war für eine süße Katze.“

Elizabeth erwiderte ihr Grinsen und strich sich ihr blondes Haar zurück, womit sie Rosalies Aufmerksamkeit auf ihr Gesicht lenkte.

Ihre Schwägerin war eine typische Schönheit.

Goldenes, welliges Haar, blaue Augen und eine tolle Figur. Rosalie hatte sie von Anfang an gemocht, konnte sie doch genauso schlagfertig sein wie sie.

Wenn sich die beiden zusammenschlossen, musste Samuel sich in Acht nehmen, um nicht in ihr Zicken-Radar zu kommen.

Auf einmal wurde die Tür, die den Essbereich vom Wohnzimmer trennte, aufgerissen und ein kahlköpfiger, großgewachsener Mann mit Schürze kam herein.

„ Essen ist gleich fertig!“, verkündete ihr Vater, so stolz, dass Rosalie nur mühsam ein Lachen unterdrücken konnte.

„ Wir kommen sofort, Dad.“

Er nickte und schloss wieder die Tür.

„ Ich bin gespannt, ob Rick sich dieses Mal selbst übertroffen hat, oder wir wieder den Pizzadienst rufen müssen.“

„ Pizza, Pizza!“, rief Ava, die bei ihrer käseüberbackenen Lieblingsspeise aufgehorcht hatte, aus vollem Halse.

„ Naja, nach dem Fiasko, dass es mit den chinesischen Nudeln letztes Mal gegeben hat, kann es heute nur besser werden, oder?“

Elizabeth lachte und nahm Lorie auf den Arm. „ Wir werden sehen.“

„ Wo ist überhaupt Sam? Er hat mir versprochen, heute auch zu kommen. Hätte ich gewusst, dass er sich drücken will, wär ich auch nicht hier.“, murmelte Rose und nahm ihre älteste Nichte auf den Arm.

„ Ich weiß nicht so genau. Sam hat mich vor einer Stunde angerufen, dass er noch einen kurzfristigen Termin hätte, aber zum Essen wieder hier sei.“

Zusammen gingen sie ins Esszimmer, dort war schon aufgedeckt und ihr Vater stand beim Herd, während Rosalies Mutter den Kinderstuhl für Lorie zu Recht rückte.

Rosalie versuchte, nicht die Nase zu rümpfen, aber Tatsache war nun mal, dass es nach verbranntem Reis stank. Beide Küchenfenster standen sperrangelweit offen.

Die beiden Kinder waren da jedoch nicht so zurückhalten.

„ Stinkt!“, rief Lorie und hielt sich die Nase zu, während Ava ihr Gesicht in Rosalies Haaren versteckte.

Elizabeth setzte ihre Tochter in den Kinderstuhl und Ava nahm bei der Sitzecke, die am anderen Ende des Raumes stand, Platz.

Rosalie setzte sich neben ihre älteste Nichte und Elizabeth nahm einen der Stühle.

Dann deckte ihre Mutter Salat und Brot auf.

Auch sie setzte sich und wartete-ebenso wie Rosalie und Elizabeth-gespannt darauf, was es heute zu essen gab.

„ Ich hoffe ihr habt Hunger. Heute hab ich extra noch frische Fische vom Großmarkt geholt.“, meinte ihr Vater begeistert und trug ein großes Tablett zum Tisch.

Als Rosalie sehen konnte, was sich darauf befand, verstand sie, warum es so furchtbar gestunken hatte.

Nicht den Reis, sondern die Fische hatte er anbrennen lassen.

Sieht aus, als wär der Föhn in den See gefallen.

Gebrutzelt. Die Fische waren weder gebraten, noch gekocht… sie waren einfach nur kohlschwarz und vermutlich ungenießbar.

„ Sieht toll aus, Dad. Aber meinst du nicht, wir sollten… die Haut etwas runterkratzen?“, schlug Rosalie vor.

Ihr Vater lachte und legte sowohl ihr, als auch Elizabeth einen dicken-und verbrannten- Fisch aufs Teller.

„ Sei nicht so zimperlich, Rosie, früher konnte er dir nicht knusprig genug sein!“

Das waren Fischstäbchen, Dad.

Aber Rosalie sagte nichts. Stattdessen nahm sie sich reichlich von dem Brot und dem gemischten Salat. So würde es zumindest nicht auffallen, wenn sie die Hauptspeise nicht anrührte.

Elizabeth und sie wechselten einen kurzen Blick, während auch sie ihren Töchtern reichlich Salat und Gebäck zu essen gab.

„ Fis, Fis…“, rief Lorie, während Ava sich ihrem Abendessen widmete.

„ Kleines, das schmeckt dir nicht. Iss lieber die Tomaten, die magst du doch so gerne.“, versuchte Elizabeth, ihre Tochter zu überreden.

Im selben Moment hörte man, wie die Haustüre aufgesperrt wurde und darauffolgende, laute Schritte.

Schon im nächsten Moment stand Samuel grinsend im Türrahmen und betrachtete das Szenarium.

Jaja, Sam. Lach nur. Warte ab, bis du siehst, was du zu essen bekommst.

„ Hallo zusammen.“

„ Daddy, Daddy!“, riefen die Mädchen im Chor, während Rosalies Mum aufstand und noch ein weiteres Teller holte.

„ Na, ihr.“, begrüßte Samuel seine Töchter, ging durch den Raum und küsste beide auf die Wange, bevor er seiner Frau einen Kuss gab.

„ Setz dich Junge, es ist genug für alle da!“

„ Ja, Sam. Es gibt Fisch. Den isst du doch für dein Leben gern.“, säuselte Rosalie und lehnte sich grinsend zurück.

Ihr Bruder erwiderte ihr Lächeln, jedoch funkelten seine Augen gefährlich.

Auf diese Sehr-witzig-das-bekommst-du-zurück-verlass-dich-darauf-Weise.

Samuel setzte sich und ihr Vater legte ihm ein besonders großes Exemplar seiner selbstfabrizierten Kohlstücke aufs Teller.

„ Wo warst du denn so lange, Sam? Ich dachte schon, du hast das Essen vergessen.“, fragte Rosalie-betont unschuldig.

Wofür sie einen giftigen Blick erntete.

„ Ich hatte noch einen kurzfristigen Termin, der sich nicht verschieben ließ.“

„ Am Sonntagabend? Wer brauchte dich denn so dringend?“, meinte Rosalie misstrauisch.

„ Adam Wyatt.“, gab Samuel genervt zurück.

Schokoladenbraune Augen. Dunkles Haar….arrogantes Arschloch.

Oh ja. Adam Wyatt.

Das hatte gesessen.

Mit diesem Mann verband Rosalie die unterschiedlichsten Gefühle. Negative Gefühle.

Erinnerungen, von denen sie wusste, dass sie niemals ganz aus ihrem Gedächtnis verschwinden würden.

Momente, die sich bei ihr eingeprägt hatten.

Und das alles, obwohl Adam Wyatt-der Leiter einer der erfolgreichsten Softwarefirmen überhaupt- vermutlich nicht mehr Mal wusste, wer sie war.

Damals, als Adam noch zusammen mit ihrem Bruder die High-School besucht hatte, war er oft bei ihnen zu Hause gewesen. Sie hatte schon immer etwas für ihn geschwärmt.

Doch so richtig ging es bei ihr erst los, als sie in die Pubertät kam. Mit fünfzehn drehte sie völlig durch.

Aus dem Blödmann-Freund des Bruders wurde ein gutaussehender, achtzehnjähriger, junger Mann. Der noch dazu ein Auto fuhr.

Für ein naives Mädchen ihres Alters der absolute Traumtyp.

Ein Traumtyp, der keine Ahnung von ihr hatte.

Rosalie ermahnte sich und versuchte, keine ungewöhnliche Reaktion zu zeigen.

Das Ganze lag lange zurück.

„ Ach, was wollte er denn?“, fragte nun Elizabeth.

Samuel zuckte mit den Schultern. „ Etwas wegen seiner Firma.“

Damit war das Thema abgehakt und sie begannen mit dem Abendessen.

„ Noch Salat, Rosie?“ Ihre Mutter legte ihr noch reichlich Grünzeug auf den Teller.

„ Gibt´s was Neues von deinem Laden, Liebes? Hat sich was getan?“, fragte ihr Vater.

Von der Frage überrumpelt, wusste sie einen Moment nicht, was sie sagen sollte.

„ Nicht wirklich, Dad. Ich brauch mehr Einnahmen, ansonsten sieht´s schlecht aus.“

Daraufhin runzelte er die Stirn. „ Wenn du Geld brauchst, Rosie, wir können dir etwas borgen, bis du wieder auf den Beinen bist….“

 Aber Rosalie ließ ihn nicht ausreden. „ Das ist lieb gemeint, aber ich schaff das schon. Kein Grund zur Sorge.“

Ihr Ton alleine sagte, dass dieses Thema indiskutabel war.

Es kam nicht in Frage, dass ihre Eltern für sie ihr gespartes Geld ausgaben.

Den restlichen Abend verbrachten sie damit, sich über die mangelnden Kochkünste des Hausherren zu beschweren, die Kinder davon abzuhalten, sich gegenseitig die Augen auszukratzen und die neuste Musical-CD ihrer Mutter zu überstehen.

Im Guten und Ganzen also ein ganz normales Abendessen bei ihren Eltern, dachte sich Rosalie.

Chaoten.

Mit denen sie aufgewachsen war. Womit sie blöderweise die größte Chaotin von allen geworden war.

 

Es war zwei Uhr.

Zwei. Uhr.

Er hatte morgen ein Meeting und ein Geschäftsessen. Würde in weniger als drei Stunden schon wieder aufstehen müssen.

Aber Adam lag nicht im Bett.

Er saß im Wohnzimmer seines Apartments, vor dem Kamin, in dem die Flammen tanzten und das Feuer seine Beine wärmte, obwohl ihm nicht sonderlich kalt war.

In seiner Hand hielt er ein Glas- gefüllt mit Wein. Das war jetzt schon sein zweiter Schlaftrunk.

Warum zum Teufel schlafe ich nicht?

Adam hatte schon im Bett gelegen. Doch lange hatte er das ständige hin und her wälzen nicht ausgehalten.

Er ärgerte sich über sich selbst und stand schließlich doch wieder auf.

Mit der Idee, Wein würde seiner Schlaflosigkeit Einhalt gebieten, hatte er sich im räumigen Wohnzimmer ein Glas eingeschenkt und lehnte jetzt- nach wie vor hellwach- gegen das große Fenster, das direkten Blick auf die Stadt freigab.

Schließich wandte er sich ab, die grellen Lichter der Straßenlaternen und Häuser verstärkten seine konstant steigernden Kopfschmerzen nur noch.

Warum schlief er nicht? Warum fühlte sich sein Kopf an, als hätte man ihn mit einem Brett eins übergezogen?

Adam hatte immer noch nicht vergessen, um was sein Freund ihn heute mehr oder weniger gebeten hatte.

Bei dem Gedanken, wie sehr auch Samuel unter der Situation seiner Schwester litt, breitete sich Bedauern und ein weiteres Gefühl, dass auslöste, dass Adam sich selbst nicht leiden konnte, in ihm aus.

Man könnte es auch als schlechtes Gewissen bezeichnen, du Leuchte.

Adam war sowohl schockiert als auch frustriert.

Konnte es wirklich sein, dass er nicht schlafen konnte und diese Kopfschmerzen ertragen musste, weil ihn die Schuldgefühle gegenüber Samuel plagten?

Warum sollte er sich selber quälen, nur weil er heute eine geschäftliche, wohlüberlegte Entscheidung getroffen hatte? Es wäre rein realistisch gesehen ein Irrsinn, einen Laden zu finanzieren, der höchstwahrscheinlich pleitegehen wird.

Gut überlegt oder auch nicht, er ist dein Freund.

Adam fluchte und stand so ruckartig auf, dass er beinahe den Wein verschüttet hätte.

Andererseits war Samuel nun mal sein Freund. Wie oft hatte er Adam geholfen? Sei es mit seinem Rat, als er noch ganz am Anfang stand, oder der ständigen Ermutigung, die Adam seitens seines Freundes erfuhr.

War es da wirklich zu viel verlangt, Geld-  das er durchaus besaß- in einen Laden, der zwar mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit pleitegehen würde, den er aber wiederrum im schlimmsten Fall immer noch verkaufen würde können, zu investieren?

Und seine bezaubernde Schwester? Wie löst du dieses Problem?

Am liebsten wäre Adam aus der Haut gefahren.

Rosalie Carter.

Immerhin war das ursprüngliche Ziel seines… Berufswechsels gewesen, etwas zu finden, für das sich Adam begeistern konnte.

Mit einer zickigen Göre auf engsten Raum zusammen zu arbeiten stand gewiss nicht auf seinen Wunschzettel.

Sagt man nicht: mit dem Alter wird man reifer?

Adam lachte trocken auf.

Aber gewiss nicht schöner.

Er wusste, wie arrogant und gemein das war, aber leider entsprach dies der Wahrheit.

 Rosalie Carter war weder eine besondere Augenweide, noch ein freundliches Mädchen gewesen. Adam glaubte nicht an Wunder und ein solches hätte schon passieren müssen, um dieses Biest zu einem umgänglichen Menschen zu machen.

Alleine wenn er daran dachte, wie nervig sie die Male, bei denen er Samuel besucht hatte, gewesen war.

Immer wieder war sie ins Zimmer gekommen, hatte angeblich etwas gesucht, aber Adam war sich bis heute sicher, dass sie nur ihre Neugier befriedigen wollte.

Kopfschüttelnd trank Adam sein Glas aus.

Was überwog nun?

Seine Freundschaft zu Samuel und das Pflichtgefühl, ihm in dieser Angelegenheit helfen zu müssen, oder sein Verstand, die guten Argumente, dass er weder den Buchladen erhalten, noch Rosalie Carter aushalten konnte?

Du weißt doch schon, was du tun wirst. Und du wirst es jede einzelne Sekunde bereuen.

Adam stellte das Glas ab und fischte sein Handy aus der Tasche seiner Anzugshose.

Nach dem dritten Klingeln hob Samuel ab.

„ Verdammt, Adam. Wenn du nicht in Flammen stehst…“, knurrte er ins Telefon.

Teufel nochmal.

Adam hatte ganz vergessen, dass es beinahe halb drei Uhr früh war.

„Tut mir leid, Sam, ich muss dich enttäuschen. Hier brennt nichts.“

Als er den Schwall von Flüchen hörte, musste Adam grinsen.

„ Was willst du dann, verflixt?“

„ Ich bräuchte die Adresse des Ladens deiner Schwester. Möglicherweise habe ich einen Interessenten.“

„ Ehrlich, Adam, das ist toll, aber konnte das nicht bis morgen früh warten.“, grummelte Samuel.

„Vermutlich schon. Also, die Adresse?“

Sein Freund nannte ihn den Straßennamen und erklärte ihm noch kurz, wie man dort hinfinden würde.

„ Sag Bescheid, wenn du was weißt, ok?“

„ Mach ich, gute Nacht.“

Adam legte auf und fuhr sich durchs Haar.

Sein Freund musste ja noch nicht wissen, dass Adam in Betracht zog, den Laden jetzt doch zu unterstützen.

Zuerst wollte er sich selbst ein Bild davon machen, was er sich da ankaufte.

Möglicherweise überlegte er sich es ja morgen noch mal anders.

Doch innerlich wusste er, dass er das nicht tun würde.

Gleich morgen Vormittag, vielleicht sogar gleich nach dem Meeting, würde Adam sich den Buchladen ansehen.

Rosalie Carter ansehen, meinst du wohl.

Vermutlich würde sie ihn nicht wieder erkennen. Adam hatte sich ziemlich verändert.

Wobei er fest davon überzeugt war, dass sie immer noch die unausstehliche, knochige Göre von damals geblieben war.

 

3

 

3

 

 

Tick. Tack. Tick. Tack…

Was war das?

Verdammt nochmal, er war in der Hölle.

In der Hölle gab es keine Wecker. Es gab auch keine hupende Autos, oder Straßenlärm.

All das hätte er nicht hören sollen.

Doch er tat es.

Verflucht.

James fischte, ohne die Augen zu öffnen, nach dem Störenfried, der seinen Schlaf gestört hatte und warf es zu Boden.

Das lästige Ticken und Tacken hörte auf, doch er war wach.

Mal wieder.

Er hatte es wieder nicht geschafft. Versagt.

Anscheinend war er selbst zu blöd, um sich in den Tod zu saufen.

Elender Versager, Dummkopf, Schwächling…

Die leise, anklagende Stimme in seinem Kopf wurde immer lauter und James stöhnte auf.

Er ließ seine Augen geschlossen, wollte nichts sehen. Den Beweis, für sein weiteres Dasein nicht wahrhaben.

Jedoch setzte er sich langsam auf, streckte sich und zuckte zusammen.

Sein ganzer Körper schien ein einziger, krampfvoller Schmerz zu sein.

Seine Erinnerungen waren ziemlich verschwommen. So wie eigentlich immer.

Hatte er sich geprügelt? Möglich.

James versuchte, aufzustehen, fiel aber in sein Bett zurück. Langsam öffnete er die Augen. Sie brannten. Obwohl er geschlafen hatte, brannten sie.

Ohne hinzusehen wusste er, dass auf seinen Nachttisch noch eine halbe Flasche Wodka stand.

Er ergriff sie, nahm einen Schluck. Sein Körper erkannte den Alkohol und zog ihn gierig in sich auf.

Eine plötzliche Einsamkeit, die meistens in seinem Suff verschwand, erfasste ihn und ließ ihn nicht mehr los.

Erinnerungen, an eine Zeit, in der er sein Leben genossen hatte, kamen hoch.

Aber das war lange her.

Er nahm noch einen Schluck und lachte bitter auf.

Wenn Rosalie ihn jetzt sehen könnte, wäre sie da noch entsetzt? Vermutlich nicht.

Wahrscheinlich kannte sie ihn anders nicht mehr.

Würde sie ihn jetzt vielleicht sehen wollen?

Immerhin waren drei Monate vergangen. Rosalie hatte vielleicht nachgedacht, es sich anders überlegt. Aber sie wusste ja nicht, wo er war.

Sie konnte also auch keinen Kontakt zu ihm aufnehmen.

Ein Hoffnungsschimmer regte sich in ihm, seit langem fühlte er etwas anderes als Wut, Selbstmitleid und dieses Taubheitsgefühl, dass ihn gefühlslos machte.

Er griff in seine Hosentaschen, wühlte nach seinem Handy, fand es aber nicht. Wo hatte er es hingetan?

James stand auf, wankte einen Moment, fasste sich aber schnell.

In dem kleinen Zimmer gab es nicht viel Bewegungsmöglichkeit. Gerade, als er sich wieder setzten wollte, sah er sein Telefon- am Boden liegend.

Fluchend hob er es auf, wobei er  darauf achtete, nicht zu stürzen, dann wählte er ihre Nummer und wartete.

„ Ja?“

Eine Gänsehaut überzog seinen Körper. Drei Monate. Drei Monate lang hatte er nichts mehr von ihr gehört. Kein einziges Wort.

Ihre verschlafene Stimme war Balsam für seine Seele.

„ Hallo?“

Er räusperte sich. „ Rose, ich bin´s.“

Schweigen. Eine Sekunde. Zwei.

James dachte schon, sie hätte aufgelegt, doch dann antwortete sie doch noch.

„ Ich hab dir gesagt, du sollst mich nicht mehr anrufen.“

Der Vorwurf kam scharf und unerwartet.

„ Es sind drei Monate vergangen.“

„ Und wenn es dreißig Jahre gewesen wären. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Weder will ich dich sehen, noch möchte ich mit dir sprechen. Lass mich einfach zu Frieden, James.“

Aufgelegt.

Seinen Namen mit so viel Hass aus ihrer Stimme zu hören, war, als würde sie ihm ein Messer ins Herz rammen.

Es gab Zeiten, da hatte sie ihn mit so viel Liebe ausgesprochen und jetzt?

Sie verabscheute ihn, wollte ihn nicht mehr sehen.

War das seine Schuld?

Ja.

Aber andererseits gab sie ihm auch keine Möglichkeit, seine Fehler wieder gut zu machen.

Undankbares Biest.

Die Wut in ihm keimte wieder auf und der Alkohol in seinem Blut verstärkte seine Ansicht, Rosalie hätte an allem schuld, nur noch.

Er griff wieder zur Flasche, in Gedanken bei der Frau, die ihn erst zum Versager gemacht hatte. Mit der Gewissheit schlief er ein.

 

 

Rose, ich bin´s.

Ihr Mund war trocken geworden, kalter Schweiß bedeckte ihren Körper und sie hatte sich ruckartig aufgesetzt.

James´ Anruf hatte sie mit einer Wucht getroffen, auf die sie nicht vorbereitet gewesen war.

Auch wenn Rosalie versucht hatte, möglichst ruhig zu bleiben, ihre Stimme nicht zittern zu lassen- innerlich war sie doch sofort wieder zu dem verängstigten Opfer von damals geworden.

Mit aller Mühe hatte sie ihn abgewimmelt, wollte das Gespräch so schnell wie möglich beenden, doch seine Worte hallten die ganze Nacht über in ihren Kopf wieder.

Die Erinnerungen der letzten Jahre, ihrer Vergangenheit, holten sie wieder ein und kaum hatte sie das Telefonat beendet, legte sie sich in Embryohaltung in ihr Bett und ließ ihren Gefühlen freien Lauf.

Schluchzend und weinend ließ sie es zu, dass wie bei einer Diashow ein Bild nach dem anderen vor ihren inneren Augen ablief.

Blaue Flecken. Prellungen. James, der sich über sie beugte, höhnisch lachte und dann ausholte.

Seine Hand. Ihre Wange. Sein Fuß. Ihr Magen.

Es war so, als würde sie jeden Tritt, jede Ohrfeige ein weiteres Mal durchleben.

Ein Krachen riss sie aus ihren Gedanken.

Rosalie schrak auf.

Die Erinnerungen an letzte Nacht hatten sie so aus der Fassung gebracht, dass sie ganz vergessen hatte, ihre Kaffeetasse gut festzuhalten.

Sie lehnte an dem Waschbecken ihrer kleinen Küche und nahm sich ein Geschirrtuch, um aufzuwischen, was sie verschüttet hatte.

Die Reste der demolierten Tasse räumte sie ebenfalls weg.

Schluss damit, Carter. Das liegt lange hinter dir.

Sich über sich selbst ärgernd nahm sie sich einen weiteren Kaffee und hoffte so, endlich richtig wach zu werden.

Wie erwartet hatte sie nach ihrem nächtlichen Anruf kaum mehr Schlaf gefunden.

Dementsprechend sah sie leider auch aus.

Als sie heute Morgen in den Spiegel gesehen hatte, hatte sie einen Moment mit den Gedanken gespielt, gar nicht erst zur Arbeit zu erscheinen.

Doch sie besann sich schnell eines anderen, legte etwas Make-up auf, um die tiefen Augenringe und ihre Blässe zu kaschieren und zog sich um.

Nur weil sie nicht gut genächtigt hatte, hieß das noch lange nicht, dass sie einfach so zuhause bleiben konnte.

Vor Langeweile würde sie vergehen.

Außerdem war es ja möglich, dass heute ein überraschender Ansturm von Leuten sich in ihren kleinen Laden verirren würde.

Klar, Rose. Und von was träumst du nachts?

Natürlich wusste sie, wie hoch die Chancen für so was standen.

Auch wenn sie vor ihrer Familie und Amanda immer sehr überzeugt, bezüglich ihres Buchladens wirkte, so wusste Rosalie selbstverständlich, wie es wirklich um ihn stand.

Aber sie war nicht gewillt, einfach so alles aufzugeben.

Oh ja. Übermüdet, gestresst durch den Exfreund und noch dazu siehst du aus wie eine Leiche. Beste Voraussetzungen, gutes Geschäft zu machen.

Sie schüttelte den Kopf, versuchte, diese negativen Gedanken zu verscheuchen, jedoch gelang ihr das nicht wirklich.

Rosalie erlaubte es sich nur selten, so schwach wie gestern Nacht zu sein.

Der Vorteil dabei war, dass niemand sie gesehen hatte.

So war es nicht so demütigend für sie gewesen, ihren Tränen freien Lauf zu lassen.

Aber für sie selbst schien es so, als würde sie James damit einen Triumph zugestehen und daher vermied sie solche Gefühlsausbrüche, so gut es ging.

Sie schnappte sich ihre Schlüssel, trank ihre Tasse Kaffee aus und verließ die Wohnung.

Rosalie nahm all ihre Energie zusammen und versuchte, nicht weiter über die letzte Nacht nachzudenken.

Sie konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt.

Ein pleitegehender Buchladen, kein Privatleben und eine Bruchbude als Zuhause. Oh ja, viel besser.

Rosalie lachte leise auf und stieg die Treppen ihres Wohnhauses nach unten.

 

 

Graue, eintönige Hochhäuser, ein Dessous-Laden links, ein Souvenirshop rechts. Nichts Besonderes. Typisch New York eben.

Nicht gut. Gar nicht gut.

Wenn man nicht aus der Masse hervorstach, konnte man theoretisch dicht machen. Wäre wenigstens eine gute Idee oder ein anständiges Konzept dahinter, könnte man die Sache noch herumreißen, aber so…

Du stehst doch auf Herausforderungen, oder etwa nicht?

Adam schüttelte den Kopf und verfluchte sich selbst.

Was dachte er sich dabei, auch nur in Betracht zu ziehen, versuchen zu wollen, dieses eintönige Nichts aus dem Schatten New Yorkes zu holen?

Er war zu der Adresse, die er gestern Abend von Samuel bekommen hatte, gefahren, um sich anzusehen, was ihm dort erwarten würde.

Zugegeben, er hatte grundsätzlich nicht gerade viel erwartet. Der Platz in dieser Stadt war bedingt und ziemlich teuer.

Aber das hier?

Ein abgelegenes, nicht unbedingt beliebtes Viertel, ringsherum Betonbauten und billige Hotels, mal ganz abgesehen von den Souvenirshop und dem zwielichtigen Unterwäschegeschäft nebenan.

Sieh es positiv. Du brauchst nicht erst nach der Ursache, für die finanzielle Lage der Bruchbude suchen.

Seufzend wandte er sich um, sah auf die vielbefahrene Straße und überlegte, ob er nicht einfach umdrehen und nachhause gehen sollte.

Noch könnte er es.

Weder Samuel, noch sonst jemand wussten von seiner Undercover-Mission, folglich würde er auch niemanden Rechenschaft schulden.

Aber sein schlechtes Gewissen, wie auch sein Stolz hinderten ihn daran, einfach aufzugeben.

Das war nun mal nicht seine Art.

Ein weiterer Seufzer entkam Adam. Nochmals warf er einen Blick auf die Außenverkleidung des Buchladens.

Das Gebäude schien nicht sonderlich groß- zumindest von draußen. In der Mitte befand sich die Eingangstür, links und rechts davon riesige Fenster, die beinahe die ganze Wandseite für sich beanspruchten.

Hinter diesen Glasfenstern konnte man Tische, bedeckt mit Büchern erahnen.

Adam meinte, im Hintergrund große Regale zu sehen.

Vielleicht solltest du endlich rein gehen und die Sache hinter dich bringen.

Bevor er es sich anders überlegen konnte, öffnete er die Tür und betrat den Laden.

Ein schwerer Duft von Holz und Papier schlug ihm entgegen. Das Geschäft war hell und freundlich eingerichtet.

Wie Adam es sich gedacht hatte, dominierten Regale und Tische, über und über mit Büchern bedeckt und gefüllt, den Raum.

Im hinteren Teil des Ladens stand eine- ebenfalls aus hellem Holz bestehende- Rezeption.

Außer ihm waren, wie er es erwartet hatte, niemand hier.

Moment… er runzelte die Stirn.

Niemand? Wo war Carter? Und hatte Sam nicht auch was von einer Mitarbeiterin geredet?

„ Guten Morgen.“, hörte er eine Frauenstimme. Jedoch sah er nicht, zu wem diese gehörte.

Noch immer konnte er niemanden sehen. Vielleicht hinter den Regalen?

„ Morgen.“, murmelte Adam und ging zur Rezeption.

Als er zur Mitte des Raumes kam, sah er auch, dass sich in der rechten Ecke des Raumes eine Art Leseecke befand. Helle Kissen und ein kleines Sofa standen dort, ebenso wie zwei Lampen.

„ Wie kann ich Ihnen helfen?“

Beinahe wäre Adam zusammen gezuckt.

Vor ihm stand auf einmal eine blonde, recht große Frau, die einen riesigen Karton vor sich hertrug.

Von wo kam sie auf einmal?

„ Tut mir leid, falls ich sie erschreckt haben sollte. Ich war nur kurz im Lager.“, entschuldigte sich die blonde Frau, mit den Ringellocken und lächelte zaghaft.

Adam war viel zu verwirrt, um zu antworten.

War das Rosalie Carter? Die Frau war hübsch,  schien freundlich und zuvorkommend zu sein.

Sie hatte vorwitzige Sommersprossen, die sich über ihr ganzes Gesicht ausbreiteten, trug eine blaue Bluse und schwarze Hose, dazu flache Schuhe. Insgesamt wirkte sie recht sympathisch.

Was war aus der großkotzigen Zicke geworden? Und seit wann war sie blond?

Naja, heutzutage war ja schon fast alles möglich und schließlich hielt die vermeintliche Rosalie Carter ihn auch für einen Käufer. Einen der wenigen, die sie wöchentlich wahrscheinlich zu verbuchen hatte. Dementsprechend musste sie sich auch zusammen reißen.

Adam war sich sicher, wenn sie wüsste, wer er wirklich war, würde sie sofort wieder zu dem unberechenbaren Biest von damals werden.

„ Kann ich Ihnen helfen? Suchen Sie was Bestimmtes?“, fragte die Blonde und begann nun damit, den Karton auszuräumen.

Zahlreiche Bücher kamen zum Vorschein.

Adam räusperte sich. „ Nein, vielen Dank. Ich sehe mich nur um.“

Sie nickte und lächelte dann. „ Sagen Sie Bescheid, wenn Sie mich brauchen sollten.“

Während sich Adam wieder näher dem Laden widmete, packte Rosalie weiterhin Bücher aus.

Er war immer noch etwas verwirrt. Hatte er möglicherweise ein so schlechtes Erinnerungsvermögen, dass er sich nicht einmal ihre Haarfarbe hatte merken können?

Auch hatte diese Frau weder Brille, noch lästige Zahnspange. Keine Pickel verunstalteten ihr Gesicht.

Aber wer sollte sie sonst sein? Es war mehr als unwahrscheinlich, dass erst die Mitarbeiterin und dann die eigentliche Besitzerin des Ladens hier erschien.

Was ihn auf die Arbeiterin brachte.

Es war jetzt halb zehn. Sollte da die Angestellte nicht schon hier sein? Hatte sie frei?

Kopfschüttelnd wandte er sich dem nächsten Regal zu, studierte die Auswahl- wobei er keine Ahnung von dem, was er da las oder in den Händen hielt, hatte.

Ein plötzlicher Windhauch riss ihn aus seinem Gedanken und ließ ihn kurz aufblicken.

Als er nichts sah, wollte er sich wieder den Büchern widmen.

„ Tut mir leid, dass ich so spät bin. Die Bahn hatte Verspätung und irgend so ein Idiot vor mir war zu blöd, um den Lift zu bedienen, jetzt bin ich einmal quer durchs Haus gefahren.“, hörte er plötzlich jemanden durch den Raum schreien, aber da er hinter einem Regal stand, sah er nicht, wer in den Laden gekommen war.

„ Kein Problem. Die neue Lieferung hab ich ausgepackt. Ich bin im Lager, falls du mich brauchst.“

„ Danke, Amy, du bist ein Schatz.“

Er hörte Schritte und ein leises Poltern.

Moment mal… Amy?!
Also war die nette Blondine doch nicht Rosalie Carter!

Wo steckte sie dann?

Die Frage erübrigte sich beinahe sofort. Es konnte dann nur die Frau sein, die gerade hereingeschneit war- zu spät und total gestresst.

Verärgerung machte sich bei Adam breit.

Anscheinend hatte er sich doch nicht getäuscht. Ihr Charakter ließ immer noch zu wünschen übrig.

Kein Wunder, dass ihr Laden pleiteging. So was lässt sich schwer leiten, wenn man Stunden zu spät kam und dabei auch noch wie ein Wirbelwind hereinstürmte.

Er ging ein paar Schritte zur Seite und sah sich nach der Blondine, die anscheinend Amy hieß, um.

Sie war wohl wirklich im Lager, was hieß, dass er sich jetzt ohne Bedenken mit Rosalie Carter beschäftigen konnte.

Adam ging noch ein paar Schritte Richtung Rezeption.

Die vermeintliche Rosalie Carter stand mit dem Rücken zu ihm. Soweit er es sehen konnte trug sie ausgewaschene Jeans und einen dunkelgrünen Pullover.

Dazu schwarze Schuhe. Nichts Aufregendes.

Wie er es in Erinnerung hatte, waren ihre Haare nicht blond, sondern dunkelbraun. Er runzelte die Stirn.

Im Vergleich zu damals wirkten sie aber jetzt voller, voluminöser und glänzender.

Sie fielen ihr weich über den Rücken.

Adam machte sich darauf gefasst, Rosalie Carter gegenüber zu stehen, doch bevor er mit einem dezenten Räuspern auf sich aufmerksam machen konnte, drehte sie sich und… rannte ihm prompt gegen die Brust.

„ Mist.“, fluchte sie.

„ Entschuldigen Sie, ich…“ Adam vergaß, was er hatte sagen wollen, die Worte blieben irgendwo auf den Weg zu seinem Mund stecken, als er Rosalie Carter sah.

Brille? Pickel? Zahnspange? Wohl kaum.

Dunkelgrüne Augen musterten ihn aus einem Rahmen dichter Wimpern, ihre Lippen waren voll und rosig, der Mund leicht geöffnet. Ihr Gesicht wies klassische Züge auf, besonders auffallend waren die intensive Farbe ihrer Augen und das schöne Haar.

Er ließ seinen Blick über Rosalies Körper gleiten.

Wo sie einst mit fünfzehn nichts gehabt hatte, konnte sie heute mehr als genug vorweisen- jedenfalls sah es für Adam so aus, selbst wenn der ausgebeulte Pullover nur erahnen ließ, was sich darunter befand.

Auch wenn sie sich anscheinend alle Mühe gegeben hatte, ihre Kurven zu verhüllen- selbst in dieser ausgewaschenen Jeans konnte er die sanfte Rundung ihrer Hüften und den tollen Schwung ihres Hinterns sehen.

Verdammt nochmal, wo hatte sie diesen Körper versteckt?

„ Kann ich Ihnen helfen? Brauchen Sie etwas?“, fragte sie und strich sich das lange Haar aus dem Gesicht.

 „ Nein, vielen Dank. Ich sehe mich nur ein wenig um.“

Sie nickte und wollte sich abwenden, da fiel Adam wieder ein, weswegen er ursprünglich hergekommen war.

Verflixt nochmal, konzentrier dich! Du sollst sie wegen dem Laden ausfragen und nicht der Schwester deines besten Freundes nachsteigen!

„ Wobei… Ich suche eigentlich etwas.“ Seine Stimme klang heiser, als hätte er verlernt zu sprechen.

Die schöne Frau, von der er immer noch nicht glauben konnte, dass sie das vermeintliche Gör von damals sein sollte, drehte sich um und lächelte.

„ Ja? Das wäre?“

 „ Ein Buch.“

Sein Gegenüber seufzte. Und grinste. Eine komische Kombination.

„ Dachte ich mir. Welches Genre?“

 „ Ahm… ich dachte an einen Roman.“

Die junge Frau sah jetzt doch auf und hob spöttisch eine Augenbraue. „ Ein Liebesroman?“

Um Himmels Willen, bitte nicht…

„ Ja. Mhm, ja, das hört sich gut an.“, sagte Adam hastig und hätte sich schon zwei Sekunden später gerne selbst dafür geschlagen.

Es war ganz eindeutig mit welchen Körperregionen er gerade dachte.

Sein Gehirn war jedenfalls nicht daran beteiligt.

Welcher Mann liest schon Liebesromane?

Sie lächelte. Sah hübsch aus. „ Na gut, kommen Sie.“

Adam folgte ihr bis auf die andere Seite des Buchladens. An einem der hölzernen Regale blieb sie stehen.

„ Haben Sie Vorlieben, oder sind sie eher jemand, der sich für das Exotische, Unbekannte interessiert?“, fragte sie etwas abwesend, sich anscheinend weder der zweideutigen Anspielung ihrer Worte, noch seines schockierten Gesichtsausdruckes bewusst.

Sein Mund wurde trocken.

„ Ich verlasse mich da ganz auf ihr Urteil.“

Langsam hatte er die Tatsache, dass aus dem grauen, kleinen Entlein ein richtiger Schwan geworden war, verdaut.

Nun musste er nur noch damit klar kommen, dass er vorrausichtlich mit der Schwester seines Freundes auf engsten Raum zusammen arbeiten würde müssen und dies- in vielerlei Hinsicht- ein echtes Problem darstellen könnte.

„ Naja, so ungefähr sollte ich schon wissen, was sie gerne lesen. Eher etwas spannendes, mit viel Abwechslung, oder eine typisch- romantische Geschichte?“

Ihre Stimme nahm einen gereizten Ton an und sie strich sich genervt ein paar Haarsträhnen hinters Ohr.

Sind wir heute etwa mit dem falschen Higheel zuerst aufgestanden?

Ein Stückchen der Göre steckte also doch noch in ihr, dachte sich Adam zufrieden und grinste.

„ Ich liebe Spannung. Jeder Art.“, murmelte er und lächelte sie schief an.

Ihr Blick blieb genervt.

Er runzelte die Stirn. Bei anderen Frauen brauchte er normalerweise nicht mal mit dem kleinen Zeh wackeln und sie lagen ihm zu Füßen.

Dieser Dame konnte er es nicht einmal mit seinem besten Lächeln recht machen.

„ Vielleicht sollten sie es mit Christine Feehan versuchen. Zugegeben, ihre Zielgruppe spezialisiert sich eher auf Frauen, aber ich bin mir sicher, es ließe sich auch für sie etwas finden, dass Ihnen zusagen würde.“

Sie nahm einen dicken Schmöker aus dem Regal und strich beinahe liebevoll über den Einband.

„ Ein wirklich gutes Buch- eines meiner Lieblingsstücke von ihr. Hat alles, was man von einem Liebesroman erwartet.“, murmelte sie vor sich hin.

Adam war sich nicht sicher, ob sie bewusst gesprochen hatte, doch als sie aufsah, wirkte ihr Gesichtsausdruck einen Moment weich und beinahe zärtlich.

Als sie ihn jedoch sah, wich dieser einem hektischen Blick und sie dreht sich schnell zum nächsten Regal um.

„ Hier sind weitere Romane. Möchten Sie etwas Zeit für sich, um eine Auswahl zu treffen?“

Nicht so schnell, Kleines.

„ Ich bin mir nicht sicher, vielleicht sollten Sie mir eine Auswahl zusammen stellen und ich entscheide dann?“, schlug Adam vor und grinste.

Vermutlich biss sie sich auf die Lippe, um nicht aufzuseufzen.

„ Tut mir leid, aber ich habe noch etwas zu tun. Ich schicke Ihnen aber gerne meine Kollegin, falls Sie noch Hilfe brauchen.“

Netter Versuch.

„ Ich sehe keine weiteren Kunden, um die Sie sich kümmern müssen.“

Ihr Kopf lief rot an und Adam rechnete jeden Moment mit einem Wutanfall.

Aber sie sagte nichts, sondern drehte sich zu einem weiteren der hölzernen Regale und zog mehrere Bücher heraus.

Dann ging sie zur Rezeption, ohne weiteres auf ihn zu achten.

Doch das machte Adam nichts.

Nein, er genoss es sogar, hinter ihr hergehen zu können. So konnte er sich für einige Augenblicke intensiv mit ihrer Kehrseite beschäftigen.

Zuerst breitete sie ein Buch nach dem anderen nebeneinander aus und trat dann etwas zur Seite.

„ Das sind alles Liebesromane verschiedenster Autorinnen. Vielleicht ist da ja auch etwas dabei, dass ihren Ansprüchen genügt.“, murmelte sie gereizt.

Adam war sich sicher, dass sie sich von ihm provoziert fühlte.

Vor einigen Jahren hätte er dafür schwer büßen müssen. Zum Beispiel mit einem ungewollten Haarschnitt.

„ Vielen Dank, ich bin mir sicher, sie schaffen es, all meine Bedürfnisse zu stillen.“, gurrte er und unterdrückte ein Grinsen, als verräterische Röte ihr Gesicht überzog.

Rosalie ging hastig hinter die Rezeption und räumte einige Bücher zur Seite.

„ Wir haben hier zahlreiche Bücher auf Lager. Da wird sich sicher auch eines für Sie finden lassen.“

nach dem Motto: Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn?

Adam hätte beinahe gelacht, ließ es aber und tat so, als würde er sich näher mit den vor ihm liegenden Büchern beschäftigen.

Tatsächlich aber starrte er Rosalie aus den Augenwinkeln an, wohl darauf bedacht, keinen Mucks zumachen.

Sie hatte sich den Computer auf der Rezeption zu gewendet und ließ ihre Finger schnell über die Tastatur fliegen, ohne auch nur einmal aufzusehen.

Ihr Haar fiel nach vorne, so dass er- bedauerlicherweise- nicht viel von ihrem Gesicht sah.

Mit einer beinahe hektischen Geste strich sie es sich zwar immer wieder zurück, aber es war so lang, dass es nie lange dauerte, bis ihr die glänzenden Strähnen wieder ins Gesicht fielen.

Adam nahm sich zwei der Bücher, ohne auch nur nachgelesen zu haben, wie der Autor hieß, oder wie der Titel lautete und räusperte sich.

„ Ich denke, die könnten mir gefallen.“

Rosalie sah auf und warf einen Blick auf die beiden Bücher, die er in den Händen hielt. Sie grinste.

Der Sturm der Leidenschaft  und feuriges Begehren. Gute Auswahl. Tolle Werke.“

 

..Sturm der Leidenschaft? Feuriges Begehren?! Hättest du doch mal nachgelesen, du Idiot!

Adam versuchte, nicht rot zu werden und räusperte sich ein weiteres Mal.

„ Ich lass mich überraschen.“

Rosalie nickte und packte ihm die Bücher ein. Sie nannte ihn noch den Preis, doch er hörte kaum mehr zu, zückte sein Portemonnaie und zahlte den entsprechenden Betrag.

Viel mehr war er bei den Gedanken, wie er das Gespräch mit Rosalie noch länger hinauszögern könnte.

Der Laden! Du wolltest eigentlich etwas über den Laden erfahren!

„ Sind Sie die Besitzerin dieses Ladens?“

Adam verfluchte sich beinahe sofort selbst. Als wäre es nicht auffällig, von dem belanglosen Gequatsche von Büchern, auf den Eigentümer des Ladens zu kommen…

Rosalie runzelte die Stirn.

„ Ja, mir gehört „ Rose´s Bookstore“. Warum?“

Misstrauisches Ding.

Beinahe hätte er gegrinst. „ Reine Neugier. Scheint nicht gut zu laufen, oder?“

Sofort verdunkelte sich ihr Blick und ihr Gesicht lief rot an. Rosalie stemmte die Hände in die Hüften, warf ihr Haar zurück.

„ Wie bitte?“, zischte sie leise.

Schöne Scheiße, wie kommst du da wieder heraus?

Adam schimpfte sich einen Idioten und versuchte, das Ruder rumzureißen.

„ Naja, ich mein nur, weil ich der einzige Kunde hier bin und…“

„ Hier läuft alles ausgezeichnet, machen Sie sich keine Sorgen.“, unterbrach Rosalie Adam und reichte ihm seine Bücher.

„ Einen schönen Tag noch.“

Deutlicher hätte sie ihn nicht rausschmeißen können. Aber Adam dachte gar nicht daran.

„ Wobei… ich denke, ich werde mich noch etwas umsehen. Von Büchern kann man doch kaum genug zuhause haben, nicht wahr?“

Einen Moment schienen ihr die Worte zu fehlen. Sie schnappte nach Luft, machte den Mund auf- schloss ihn aber wieder und nickte nur.

„ Natürlich. Sagen Sie Bescheid, wenn Sie etwas brauchen.“

Wieder lächelte sie gezwungen, woraufhin er beinahe gelacht hätte.

„ Vielen Dank, das werde ich.“

 

 

Ruhig bleiben, Carter. Du wolltest Kunden. Jetzt hast du einen.

Schon richtig. Sie hatte sich Kundschaft gewünscht.

Alte Frauen, die auf der Jagd nach neuen Apfelkuchenrezepten waren, Kinder oder auch Mittvierzigerinnen, die einen Beziehungsratgeber oder die Biographie eines Promis suchten.

Jeder noch so schlechthörende Greis und jede Barbie, die nicht mal in der Lage war, bis drei zu zählen, wäre ihr lieber gewesen als dieser Mann mit einen Fabel für Liebesromane.

Schon als sie ihm rein gerannt war, hätte sie ahnen müssen, dass dieser großgewachsene Typ mit den dunklen Augen und dem arroganten Grinsen nichts Gutes im Schilde führte.

Doch was hatte sie für eine Wahl? Egal wie schlecht sie geschlafen hatte und wie sehr sie sein eindringlicher Blick, den er ihr zugeworfen hatte, störte, er war nun mal ihr erster Kunde seit langem.

Also hatte sie gezwungen gelächelt und ihm einige Bücher gezeigt.

Selbstverständlich war ihr nicht entgangen, wie er sie immer wieder gemustert hatte. Vermutlich fragte er sich, ob sie ihre Kleidung vom Wühltisch hatte, oder einfach nicht wusste, wie man ein Bügeleisen bedient.

Sofort wurde sie sich ihre Kleidung bewusst und wäre am liebsten im Erdboden versunken.

Kann dir doch egal sein, was der Typ von dir hält.

Und normalerweise war es Rosalie auch egal.

Sie befand sich weder auf den Pariser Laufstegen, noch hatte sie in den nächsten zwei Stunden ein Fotoshooting.

Rosalie war hier, um zu arbeiten. Andererseits waren ihr auch nicht sein perfekt sitzender Anzug, das dichte, dunkelbraune Haar und die breiten Schultern entgangen.

Der erfolgreiche und gutaussehende Geschäftsmann, neben der pleitegehenden, schlechtangezogenen Verkäuferin. Passt ja.

Um nicht unhöflich zu sein, legte sie ihm einige Bücher heraus und wollte ihm dann abwimmeln, um sich etwas zu sammeln.

Ihr schwirrte der Kopf, ihre Gliedmaßen erschienen ihr schwerer als vorher und ihre Gedanken wanderten immer wieder zu letzter Nacht.

Noch dazu kam, dass sie versuchte, nach außen hin die perfekte Eigentümerin zu geben.

Dieser Kunde sollte nicht merken, dass sie nicht in Topform war.

Umso länger sie die freundliche Verkäuferin geben musste, umso schlechter ging es ihr.

Als er dann aber darauf beharrte, dass sie ihn beraten musste, wäre ihr beinahe der Kragen geplatzt. Aber das konnte sie sich nicht leisten, also beriet Rosalie in weiter, machte gute Miene zu bösem Spiel.

Und als sie ihm dann endlich die Bücher verkauft hatte und sie schon erleichtert aufatmen wollte, entschied er sich doch noch dazu, sich etwas umzusehen und grinste.

Am liebsten hätte sie ihm dieses arrogante Lächeln aus dem Gesicht gewischt.

Mit einem Schwamm. Oder einem Hochdruckreiniger.

Jetzt- zwanzig Minuten später- stand er immer noch im Laden, nahm ein Buch nach dem anderen heraus.

Rosalie kochte innerlich.

Seine Anwesenheit machte sie irgendwie nervös. Dieses verdammte Spitzbubenlächeln, dass er ihr dann und wann zuwarf, ließen nichts Gutes erahnen und sie hegte den Verdacht, dass er sie einfach nur ärgern wollte.

Was ihm ja auch gelang.

Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und wischte einige imaginäre Staubfuseln vom Rezeptionstisch.

Rosalie stapelte die restlichen Bücher, die ihr heutiger Kunde links liegen gelassen hatte.

Plötzlich wurde ihr schwindelig, sie hielt sich an der Kante des Tisches fest und schloss die Augen.

Eine Übelkeit, die sie nicht erwartet hatte, ließ sie beinahe taumeln.

Verdammt nochmal, Rosalie. Atmen.

Atmen?

Sie war froh, wenn sie es schaffe, sich nicht hier- inmitten von Büchern und unter den Augen des nervigen Kunden- zu übergeben.

Schlaflosigkeit und ein leerer Magen waren keine guten Voraussetzungen für einen langen Arbeitstag, dachte sie sich und hielt sich nach wie vor am Tisch fest.

Rosalie versuchte, ruhig zu atmen, damit sich die Übelkeit und das Schwindelgefühl verflüchtigten, doch es schien sogar schlimmer zu werden.

Hinter ihren Schläfen pochte es schmerzhaft und sie presste sich ihre Fingerspitzen gegen die Stirn.

Frische Luft. Raus hier.

Ja, das würde helfen. Sie würde einige Male ein und aus atmen und sich beruhigen.

Rosalie ging hinter der Rezeption hervor und achtete darauf, nicht gegen ein Regal oder Ähnliches zu laufen.

Ihr pochte immer noch der Schädel und die Übelkeit saß ihr im Magen, so dass sie beinahe erleichtert aufgeseufzt hätte, als sie das andere Ende des Ladens erreicht hatte.

Ohne auf den verwundernden Blick des Kunden zu achten, verließ sie den Laden und ließ sich gegen die Mauer des anliegenden Souvenirshops sinken.

Sie vergrub ihren Kopf in den Händen und betete, dass diese verdammten Kopfschmerzen endlich weggehen würden.

Sie hatte zu arbeiten.

Ein lästiger Käufer, der sich nicht sicher war, welcher Liebesroman wohl der Beste für ihn wäre, wartete auf sie und es war ihre Pflicht, ihn bei dieser schwierigen Frage zur Seite zu stehen und ihn so gut es ging zu beraten.

Carter, entweder du bleibst noch hier und ruhst dich aus, oder du kotzt den Kunden oder aber eines der Bücher an. Was ist dir lieber?

Rosalie hasste ihr Unterbewusstsein für diese Antworten-a-la-Klugscheißer. Aber leider hatte es Recht und so blieb sie noch eine Weile stehen und schloss die Augen.

Ruhig atmete sie ein und aus, konzentrierte sich weder auf den Straßenlärm, noch den üblen Gestank, für den einige Viertel New Yorks eben bekannt waren, sondern nur darauf, die Übelkeit und das Schwindelgefühl zu vertreiben.

„ Entschuldigen Sie, ist alles in Ordnung?“

Rosalie riss die Augen auf und taumelte etwas zur Seite.

Sie hatte weder das Öffnen der Ladentür, noch die Schritte gehört.

Dummes, unaufmerksames Schaf.

Mit einem Lächeln, das ihr nicht ganz gelingen wollte, versuchte sie, nicht ganz so fertig zu wirken. „ Mir geht es gut, vielen Dank. Ich brauchte nur etwas frische Luft.“

Der Kunde, den sie nicht zufriedenstellen hatte können, runzelte die Stirn und seine Augen musterten sie fragend.

„ Sind Sie sicher? Sie sehen ziemlich blass aus. Wie ein Vampir, der nicht genug Blut bekommen hat.“

Tolles Kompliment, ich lache später.

Rosalie verzog den Mund. „ Herzlichen Dank, Sie Schmeichler. Kann ich noch etwas für Sie tun, oder möchten Sie mich weiterhin mit Untoten vergleichen?“

Sie hatte gehofft, ihn soweit in seine Schranken gewiesen zu haben, dass er sich einfach entschuldigen würde und dann abzog.

Aber was tat er?

Dieser Mistkerl hat wirklich die Nerven, zu grinsen.

„ Tut mir Leid, aber… haben Sie in den Spiegel gesehen? Sie sind weiß wie Schnee.“

Rosalie verengte ihre Augen und ignorierte den pochenden Schmerz, der dabei wieder in den Vordergrund trat.

„ Am besten wäre es, wir bringen Sie zum Arzt.“

Das war keine Bitte. Oder ein höflicher Rat. Sondern etwas, dass sich wie eine klare Anordnung oder ein Befehl anhörte.

Beinahe wäre ihr der Kragen geplatzt.

Vielleicht solltest du zum Arzt gehen. Gegen Arroganz und dem Macho-Gen lässt sich sicher etwas verschreiben. Ein Maulkorb zum Beispiel.

„ Nein, am besten wäre es, wenn Sie mich zu Frieden lassen würden.“, zischte Rosalie und stieß sich von der Mauer ab.

Aber sie hatte nicht bedacht, dass ihr Gleichgewichtssinn nicht mitspielen würde und so stolperte sie beinahe über ihre eigenen Füße.

Zu dumm und unaufmerksam kannst du jetzt auch noch tollpatschig hinzufügen.

„ Passen Sie auf.“, murmelte der Kunde, mit dem dunklen Haar und hielt sie kurz am Ellbogen fest.

Sie zuckte zusammen und schüttelte ihn ab. Rosalie wurde immer nervöser. Ihr Verhalten in der Nähe dieses komischen- leider viel zu gut aussehenden- Typens, war absolut inakzeptabel.

„ Seien Sie doch nicht so stur. Ich könnte sie kurz zum Arzt begleiten, wenn Sie...“

Aber Rosalie unterbrach ihn. „ Nein das könnten Sie nicht. Und ich bin keinesfalls stur. Ich will nur, dass Sie mich in Ruhe lassen und sich um ihren eigenen Mist kümmern, kapiert?“

Selbst in ihren Ohren klang das erschöpft und zickig zugleich.

Perfekt. Oder auch nicht.

Er verengte die Augen und wollte wohl gerade etwas sagen, aber Rosalie war schneller, ging zu Tür- wobei sie darauf achtete, nicht hin zufallen und sich alle Zähne auszuschlagen. Dann öffnete sie die Tür ihres Ladens und bevor der Typ sein „ Stures Ding“ fertig geflucht hatte, ließ sie sich auf den Boden ihres Geschäftes sinken und schloss die Augen.

„ Rose? Geht’s dir gut?“

Rosalie sah auf und bemerkte Amanda, die ihre Hände in die Hüften stemmend vor ihr stand und die Stirn runzelte.

Anscheinend war sie mit ihrer Arbeit im Lager fertig.

„ Mir ist nur ein wenig schwindelig. Geht gleich wieder.“, beteuerte sie. Aber ihre Stimme sprach etwas anderes und sie vermutete- nach den Angaben ihres liebenswürdigen Kunden, der sie ja gerade so mit Komplimenten überhäuft hatte, sah sie auch ziemlich übel aus.

„ Du bist blass. Möchtest du etwas trinken? Oder essen?“ Amanda kniete sich neben sie und fasste Rosalie an die Stirn.

„ Nein. Es geht gleich wieder.“

Ihre Freundin hob darauf nur spöttisch eine Augenbraue. „ Oh ja, wunderbar. Könntest praktisch bei einem Marathon mitlaufen. Vorausgesetzt, du vergisst dein Sauerstoffgerät nicht.“

Habt ihr Lachgas geschnüffelt, oder warum seit ihr alle so verdammt witzig heute?

„ Haha.“, zischte Rosalie.

„ Schon gut, schon gut.“, lachte Amanda. „ Hast du denn schon was gegessen? Vielleicht verträgst du es nicht so gut.“

Rosalie schaute schuldbewusst zu Boden, wissend, was sie jetzt gleich erwarten würde…

„ Rose, verdammt! Du hast schon wieder das Frühstück ausgelassen. Was stimmt nicht mit dir? Irgendwann bist du nur noch Haut und Knochen!“

Wegen des letzten Satzes ihrer berühmten und nicht seltenen Schimpftriade  musste Rosalie schmunzeln.

„ Ich bin weit davon entfernt, nur aus Haut und Knochen zu bestehen, Amy.“

„ Lach du nur! Ich find das überhaupt nicht komisch. Ich geh jetzt sofort rüber zum nächsten Café und dort hol ich dir einen großen Latte und mindestens zwei Schoko-Muffins, die du dann voller Genuss verspeisen wirst! Verstanden?“

Rosalie wagte weder zu lachen, noch zu widersprechen also biss sie sich auf die Lippe und nickte.

Daraufhin stand ihre Freundin auf und nahm sich ihre Tasche.

„ Gut. bin in zehn Minuten wieder da. Versuch, nicht ohnmächtig zu werden oder sonstiges. Ich bin nicht gut in erste Hilfe.“

Bevor sie ging, drehte sie sich aber noch mal um und strahlte Rosalie an.

„ Ach ja, und der Mann, der erst hier war, hat drei Bücher von Christine Feehan gekauft.“

Rosalie bemühte sich um ein Lächeln. „ Sehr gut.“

Ihre Freundin nickte und verließ dann den Laden.

Er hatte sich also doch noch für einige der Liebesromane entscheiden können.

Toll.

Gut, dass er sie bei Amanda gekauft hatte. Vermutlich hätte er bei ihr nicht einmal umsonst ein Buch angenommen, nachdem sie ihn draußen so zugesetzt hatte.

 Das schlechte Gewissen plagte sie.

Na gut, ihr Gesundheitszustand ging niemanden etwas an, schon gar nicht irgendwelche Fremden. Doch er wollte ihr ja nur helfen…

Aber trotzdem machte das nicht die unglaubliche Arroganz weg, die in seinen braunen Augen gestrahlt hatte.

Ebenso sein gutes Aussehen half da wenig.

Kann dir ja jetzt egal sein. New York ist groß. Vermutlich wirst du ihn nie wieder sehen.

Ausnahmsweise musste Rosalie ihrem Unterbewusstsein zustimmen und so dachte sie nicht länger darüber nach und versuchte stattdessen, sich mental auf Amandas typisches Gesundheit-Aufbau-Programm vorzubereiten.

Kaffee. Muffins. Und die neusten Ereignisse aus ihren turbulenten Liebesleben mit Marc.

Der Tag ist gerettet.

 

 

 

 

4

4

 

 

Zehn Buchläden. Zwei Firmen. Tausende von Geschäftspartnern.

Er hatte zehn Buchläden, zwei Firmen und mehreren Leuten, die er von früher kannte und die heute ein lokales, erfolgreiches Unternehmen führten, beziehungsweise Geschäftsmänner, die er vertrat und für die er dann und wann arbeitete, gefragt, angebettelt und zu überreden versucht, sich den Laden seiner Schwester anzusehen.

Erfolgslos.

Niemand von denen, weder die Buchläden, noch eine der Geschäftsleute wollte etwas mit einem Laden zu tun haben, der drohte, bald Pleite zu gehen.

Samuel seufzte auf und fuhr sich mit der Hand durchs kastanienbraune Haar.

Elizabeth kam in sein Büro, stellte sich dann hinter ihm und begann damit, ihm die Schultern zu massieren.

Er stöhnte auf, als sie seine Verspannungen etwas löste und ließ seinen Kopf nach hinten- gegen ihren Oberkörper- fallen.

„ Wie sieht´s aus?“, fragte sie und küsste ihn auf die Stirn.

„ Schlecht. Niemand sieht ein, warum er einen pleitegehenden Buchladen, der kaum etwas abwirft, finanzieren oder aufkaufen sollte.“

Er klang selbst in seinen Ohren erschöpft und müde.

„ Sam, ich weiß, dass es schwer für dich zu akzeptieren ist, aber du hast alles getan, um Rose zu helfen. Mehr kannst du nicht tun.“

Samuel schüttelte den Kopf. „ Sie darf diesen Laden nicht verlieren, Beth. Daran würde sie zerbrechen.“

Alleine wenn er daran dachte, wie sehr es seine kleine Schwester in die Tiefe reißen würde, wenn sie „ Rose´s Bookstore“ verkaufen müsste…

Blaue Flecken. Blutergüsse. Aufgeplatzte Lippen.

Seit dieser Zeit hatte sich Rosalie verändert. So lange hatte Samuel nicht gemerkt, was los gewesen war. Was sie ertragen hatte.

Dieses Schwein hätte sie beinahe zerstört.

Samuel hatte nicht gemerkt, was James mit seiner Schwester getan hatte.

Nach alldem brauchte Rosalie es nicht auch noch, den Buchladen zu verlieren.

„ Ich weiß, aber vielleicht finde ich ja doch jemanden, der sich den Laden zumindest mal ansieht. Adam hat gesagt, er hätte möglicherweise jemanden, der sich dafür interessieren würde.“

In den Augen seiner Frau sah er Mitgefühl, aber auch Verständnis. Sie nickte, küsste ihn und verließ dann wieder den Raum.

Samuel wandte sich wieder seiner selbstauferlegten Aufgabe zu, mit dem Bild seiner geschundenen, weinenden Schwester vor sich.

 

 

„ Darf´s noch was sein?“

Adam sah auf.

Die blonde Kellnerin mit dem tiefen Ausschnitt und dem unmissverständlichen Grinsen stand wieder vor ihm und fragte ihn nun schon zum dritten Mal innerhalb einer Stunde, ob er etwas bräuchte. Wie eine lästige Biene, die um ihn herumschwirrte.

Wieder lehnte er ab. Dieses Mal mit einem gereizten Unterton.

Die Blonde zog einen Schmollmund und ging zum nächsten Tisch.

Ach, Biene Maja ist beleidigt?

Adam schüttelte den Kopf und trank einen Schluck von seinem Kaffee.

Eigentlich hätte er ein Meeting. Zwar kein sonderlich wichtiges, aber ein Meeting.

Doch Adam saß weder in seiner Firma, noch in seinem Büro.

Er saß im Café, welches sich gleich gegenüber dem Buchladen von Rosalie Carter befand.

Rosalie Carter.

Adam hätte eher daran geglaubt, dass sich einer der vielen Weltuntergangstheorien der Majas bestätigen würde, als das das ungelenke, freche Mädchen von damals zu einer solch schönen und …temperamentvollen Frau werden würde.

Temperamentvoll? Bissig und zickig träfe es eher.

Nun ja, eine dreihundertsechzig Gradwendung konnte er wohl nicht erwarten.

Einige Dinge blieben wohl immer gleich.

Vorlautes Mundwerk, spitze Zunge… immer gut für Überraschungen.

Er runzelte die Stirn.

Tatsächlich hatte Rosalie ihn verwundert.

Obwohl er sie durchgehend provoziert und mit zweideutigen Kommentaren und lästigen Fragen bombardiert hatte, war sie- länger als er gedacht hatte- ruhig geblieben.

Sein Fehler war, sie auf ihren Schatz anzusprechen.

„ Scheint nicht gut zu laufen.“

Kaum zwei Sekunden später schimpfte er sich einen Vollidioten.

Beinahe augenblicklich verfinsterte sich ihr Blick und die schönen, grünen Augen verengten sich.

Sie versuchte dann zwar, ihn abzuwimmeln, aber Adam durchschaute ihre List und redete sich heraus.

Mit einem gezwungenen Lächeln wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu.

Innerlich grinsend freute sich Adam, dass er nun die gereizte Dunkelhaarige still und heimlich beobachten konnte.

Auch eine halbe Stunde später schien sie immer noch verärgert.

Mit mehr Kraft als nötig stapelte sie einige Bücher und räumte sie weg.

Doch plötzlich ändert sich die Lage.

Hatte Rosalie im einen Moment vor Wut glühende, rote Wangen, war sie im nächsten blass und ihre grünen Augen strahlten nicht, sondern schienen matt und glasig.

Sie hielt sich mit der  Hand krampfhaft an dem Rezeptionstisch fest, während   sie einige Male tief ein und ausatmete.

Nach einiger Zeit verließ sie den Laden.

Sein Instinkt riet ihm, ihr nach zu laufen, aber sein Verstand hatte die rote Ampel eingeschaltet.

Doch bevor Adam das Für und Wider abwiegen konnte, hatte er den Buchladen verlassen und fand eine gegen die Wand gelehnte, komplett blasse Rosalie Carter vor.

Als er sie ansprach, war sie so erschreckt, dass sie erstmals zur Seite taumelte.

Erster Fehler. Niemals eine möglicherweise kranke, noch dazu gereizte Frau von der Seite und ohne Vorwarnung ansprechen.

Sie war furchtbar blass. Besorgniserregend blass.

Worauf er sie auch gleich anredete.

Zweiter Fehler. Unter gar keinen Umständen eine Frau mit einer Untoten vergleichen. Es sei denn sie ist eine Teufelsanbeterin. Oder ein Vampir. Dann gilt dies als Kompliment.

Nachdem er das eine Fettnäpfen überwunden hatte, trat er natürlich gleich in das Nächste, indem er vorschlug, sie solle einen Arzt aufsuchen. Tatsächlich hatte er ihr sogar angeboten, sie zu begleiten.

Dritter Fehler. Selbst wenn es für achtzig Prozent der Frauen als ein höfliches Angebot und ein Zeichen der guten Manieren angesehen worden wäre, wenn man ihr angeboten hätte, sie zum Arzt zu begleiten, die restlichen zwanzig Prozent, zu denen definitiv Rosalie Carter zählt, empfindet dies als Anzweiflung ihrer Selbstständigkeit.

Adam hätte beinahe gegrinst. Schlimmer könnte er es eigentlich nicht mehr machen. Dachte er.

Vierter und der deutlich schwerste Fehler. NIEMALS einer Frau sagen, sie sei stur oder dickköpfig. Führt zur Apokalypse.

Danach war sie wieder in den Buchladen gegangen. Natürlich nicht, ohne ihm noch einen verachtenden Blick zu zuwerfen.

Sie war nun mal ein stures Ding.

Kopfschüttelnd und sich nicht darüber im Klaren, ob er verärgert, oder belustigt sein sollte, drehte er sich um und ging geradewegs auf das gegenüberliegende Café zu.

Schon seit über einer halben Stunde saß er hier und stand noch immer vor der Frage, ob er nun Rosalie helfen sollte, oder nicht.

„ Brauchen Sie wirklich nichts?“

Aus seinen Gedanken gerissen zuckte Adam erst mal zusammen.

Er runzelte die Stirn. Schon wieder stand Biene Maja vor ihm, ein kokettes Lächeln auf den Lippen.

„ Hätten Sie wohl etwas zu schreiben und ein Blatt Papier für mich?“

Einen Moment schien Blondie verwirrt, dann nickte sie aber und ging zum Tresen des Ladens.

Was hilft besser bei einer schwierigen Entscheidung, als eine Pro und Contra Liste?

Adam grinste.

Oh ja, primitiver hätte er sein Problem nicht lösen können, aber bevor er sich hier noch den restlichen Tag den Kopf zerbrach…

„ Hier, bitteschön. Stift und Block. Kann´s sonst noch was sein?“

Die Kellnerin legte alles auf den Tisch und als Adam ablehnte, ging sie zum nächsten Tisch.

Contra: Ihr Charakter, der Laden wird wahrscheinlich pleitegehen und du musst dich jeden Tag mit Büchern rumschlagen.

Innerlich klopfte sich Adam für diese gute Argumentation auf die Schultern.

Pro: Es wäre ein Abendteuer, du könntest deinen Horizont erweitern und den Firmenkram eine Weile hinter dich lassen und sie sieht wahnsinnig gut aus.

Er zuckte zusammen. Der letzte Punkt führte ihm zu einen seiner größten Problemen bezüglich dieser Angelegenheit…

Contra: Sie ist die Schwester deines besten Freundes und damit für dich tabu.

Andererseits…

Pro: Du würdest Samuel einen riesen Gefallen tun, indem du seiner kleinen Schwester behilflich bist.

 Adam vergrub sein Gesicht in seinen Händen und seufzte.

Verdammter Mist! Vier zu vier! Unentschieden…

Demnach hatte ihm auch die blöde Pro und Contra Liste nicht weitergebracht.

Naja, wenn er die Sache mit der Erweiterung seines Horizonts und dem Firmenzeug jeweils einzeln rechnen würde…stünde es vier zu fünf.

Damit würde er Rosalie helfen müssen.

Bevor Adam sich weiter darüber Gedanken machen konnte und sich um entschied, nahm er sein Handy und wählte die Nummer seines besten Freundes.

„ Ja?“

„ He, Sam. Hast du kurz Zeit? Ich müsste mit dir reden.“

„ Hab ich. Was gibt´s?“

Adam runzelte die Stirn. „ Ich würd das lieber persönlich mit dir besprechen.“

„ In Ordnung. Wo und wann?“

Adam sagte seinem Freund, er solle zu diesem Café kommen. Samuel meinte, er würde gleich hier sein und legte auf.

Ein Espresso mit Croissant und zwanzig Minuten später kam Samuel in den Laden und setzte sich an den kleinen Tisch- nahe dem Tresen- an dem auch Adam saß.

„ Hi.“, begrüßte Adam seinen Freund.

Samuel grinste und zog das Jackett seines Anzuges aus. „ He. Was machst du hier? Hast du nichts zu tun?“

Adam schnaubte. „ Außer dem typischen Firmenmist? Nein.“

Bevor Samuel etwas erwidern konnte, kam die Kellnerin an den Tisch und fragte ihn, ob er etwas bestellen wolle.

Auch ihm warf sie einen koketten Blick zu, woraufhin sein Freund nur milde schmunzelte. Er bestellte sich ebenfalls einen Espresso und die Kellnerin rauschte ab.

„ Also, was willst du mit mir bereden? Hast du Ärger?“

Ja. So gesehen hab ich bald wohl jede Menge Ärger. Mit deiner Schwester.

Stattdessen grinste er und schüttelte er den Kopf. „ Warum gehst du immer gleich vom Schlimmsten aus? Nein, ich hab keinen Mist gebaut. Weder liegt eine Leiche in meinem Keller, noch in meinem Kofferraum.“

Um Samuels Lippen zuckte es verdächtig und er hob spöttisch die Augenbraue. „ Keine ungewollte Schwangerschaft? Nicht mal illegale Drogen? Du enttäuscht mich, Adam.“

Adam schnaubte. „ Gott, nein. Diese Zeiten sind vorbei, dafür bin ich zu …“

„ Alt?“

„ Ich wollte sagen, dafür bin ich zu erwachsen.“

Samuel prustete los, während Adam ihm einen giftigen Blick zuwarf.

„ Jetzt mal im Ernst, was gibt´s?“, fragte Samuel, als er sich wieder etwas beruhigt hatte.

„ Ich war heute beim Buchladen deiner Schwester.“

Der heitere Ausdruck verschwand aus Samuels Augen und er sah seinen Freund fragend an. „ Warum warst du bei Rosalie?“

„ Naja, ich dachte mir, ich sehe mir den Laden mal an…“

„ Darum brauchtest du gestern die Adresse von mir.“

„ Genau. Zuhause hab ich mir nochmal Gedanken über das Ganze gemacht und es hat mir keine Ruhe gelassen…Schlussendlich bin ich dann doch hingefahren.“

Samuel horchte auf. „ Und? Wie findest du den Laden?

Schlechte Lage, wenig Umsatz, Bruchbude.

„ Hat durchaus…Potenzial.“

Ja. Potenzial für die Abrissbirne. 

„ Also gefällt es dir?“

Samuels Stimme klang so hoffnungsvoll, dass Adam es nicht wagte, ihm die Wahrheit zu sagen.

„ Ich würde gerne versuchen, etwas daraus zu machen.“

Samuel grinste und schlug seinem Freund auf die Schulter. „ Adam, du glaubst gar nicht, wie mich das freut! Rosalie wird dir ewig dankbar sein!“

Adam hätte beinahe aufgelacht.

Oh ja, sie wird mich mit all ihren Charme und ihrer Freundlichkeit überschütten.

„ Woher der plötzliche Sinneswandel? Nach gestern dachte ich mir eigentlich, deine Entscheidung stünde fest.“

Adam schluckte und schaute schuldbewusst auf den Tisch.

Naja, Mann, was soll ich sagen. Das Aussehen deiner Schwester hat das Ganze nochmal rumgerissen…?

Samuel liebte seine Schwester, dementsprechend ausgeprägt war auch sein Beschützerinstinkt. Wenn sein Freund mitbekäme, dass Adam auch nur versuchte, sich seiner Schwester zu nähern… würden Fäuste fliegen.

Und er war mit Samuel aufgewachsen.

Seines Freundes rechter Haken hatte so viel Dampf wie ein verdammter Zug.

„ Adam?“

Aus seinen Gedanken gerissen, versuchte Adam, sich nichts anmerken zu lassen.

„ Naja, nachdem ich sowieso eine neue Möglichkeit, mich zu beschäftigen, suche, dachte ich mir, dass es sichern nicht schaden würde, auch den Laden in Betracht zu ziehen...“, redete er sich heraus und war froh, dass sein Freund nicht ein Wort hinterfragte.

Die Freude war wohl größer, als sein Misstrauen.

„ Bestimmt hat Rosalie erst mal etwas gejammert, aber du wirst sehen, Adam, sobald sie merkt, dass du ihr nur helfen willst…“

Oh. Ahm… da wär noch so eine Kleinigkeit…

„ Sie weiß noch nichts von ihrem Glück.“

Samuel runzelte die Stirn. „ Was? Ich dachte, du warst heute bei ihr?“

„ Naja, das war eher so etwas wie eine Undercover-Mission.“, meinte Adam grinsend.

„ Sie hat dich also nicht gesehen?“
Tja, Sam. Nachdem sie mir reingerannt ist, kam sie nicht mehr darum herum, mich zu fragen, was ich will.

„ Deine Schwester hat mich beraten, ja.“

Samuel rückte unbehaglich auf  seinem Stuhl herum. „ Dann hat sie also keine Ahnung, dass du- ihr vermeintlicher Kunde- ein potenzieller Käufer ihres Ladens bist?“

Höre ich da etwa Angst?

„ Nein. Sie denkt, vermutlich ich bin schwul, weil ich ihr- oder besser gesagt ihrer Mitarbeiterin, drei Liebesromane abgekauft habe. Christine Feehan. Schon mal von ihr gehört?“

Aber Samuel ging nicht auf seinen trockenen Humor ein, sondern schüttelte bestürzt den Kopf.

„ Das ist nicht gut. Gar nicht gut.“

„ Was soll sie schon sagen? Sie wird sich freuen, weil sie ihren Buchladen nicht aufgeben muss, hast du selbst gesagt. Wen kümmert es da schon, ob ich mich als Möchtegernkunden ausgegeben habe, oder nicht?“

Samuel schnaubte. „ Du kennst meine Schwester nicht, Adam. In Rosalie schlummert eine kleine Zicke. Wenn sie erst einmal bemerkt, dass ihr derjenige, der ihr neuer Mitteilhaber werden soll, etwas vorgespielt hat, wird sie uns alle mit schweren Büchern, beispielsweise Lexika bewerfen.“

Bei dem panischen Unterton, der in Samuels Stimme mitschwankte, hätte Adam beinahe aufgelacht, wäre ihm nicht in diesem Moment eingefallen, wie angriffslustig Rosalie gewirkt hatte, als er sie zum Arzt bringen wollte.

Obwohl sie blass wie der Tod gewesen war.

„ Sam, deine Schwester ist eine erwachsene Frau. Kann schon sein, dass Rosalie zuerst …“

„ Ausrastet?“

Adam grinste. „ Dass sie etwas verärgert ist. Aber nachdem wir ihr die vielen Vorteile erklärt haben, wird sie uns praktisch um den Hals fallen.“

Das hättest du wohl gerne, nicht?

Doch Samuel schenkte dem Worten seines Freundes nicht viel Vertrauen und hob nur spöttisch die Augenbrauen.

„ Du hast wirklich vergessen, wie meine Schwester als Kind gewesen ist.“

Oh nein, das hab ich nicht. Wobei ich mir nicht sicher bin, wer mir lieber ist.

Der ungelenke Teeny, oder die attraktive Erwachsene, mit dem losen Mundwerk?

„ Nein, hab ich nicht. Sie war ein reizendes Kind, immer gut in der Schule, pünktlich…“, wiegelte Adam ab, bevor sein Freund Verdacht schöpfte, in welche Richtung seine Gedanken wirklich gingen.

Samuel lachte auf und trank seine Tasse leer. „ Von wem redest du da, Adam? Sicher nicht von Rose. Sie war ein freches Gör, ihre Nase hatte sie lieber in Goethes Gedichten, als im Mathebuch und mit sechzehn riss sie immer wieder mal von zuhause aus. Mein Vater behauptet bis heute, dass ihm sämtliches Haar nur wegen ihr ausgefallen ist.“

Goethes Gedichte? Abhauen von zu Hause? Diese Frau ist ein Widerspruch in sich.

„ Am besten wäre es vermutlich, ich rede mit ihr. Was hältst du davon, wenn wir die Sache gleich heute über die Bühne bringen?“

Von der Frage überrumpelt und aus seinen Gedanken gerissen, verstand Adam zuerst nicht, was sein Freund damit meinte.

„ Heute schon?“, antwortete er schließlich.

Samuel nickte. „ Sicher, warum damit warten? Das Beste für Rosalie, als auch für dich, wäre es, wenn ihr euch so schnell wie möglich aneinander gewöhnt, damit ihr gut zusammen arbeiten könnt.“

Gewöhnen? Kennenlernen? Ehe mich das kleine Biest akzeptiert, werde ich Bekanntschaft mit zuerst erwähnten Lexika machen!

Adam lächelte gezwungen. „ Hört sich gut an. Vorschläge?“

„ Ich denke, es wäre besser, wenn ich zuerst allein mit ihr spreche. Auf einen Wurf ins kalte Wasser würde sie wie eine Katze reagieren.“

Kratzig und wild. Vielleicht würde mir das gar nicht so schlecht gefallen…

„ Stimmt wohl. Und dann?“

Samuel runzelte die Stirn. „ Naja, ich ruf sie heute an, rede mit ihr und vielleicht könnten wir ja für später einen Termin ausmachen. Dann lernt ihr euch kennen… offiziell.“

Adam grinste. „ Gut, so machen wir´s.“

Zufrieden bemerkte er, dass alles seinen Lauf nahm. Wahrscheinlich würde Rosalie erst einmal etwas verärgert wegen der Tatsache sein, dass er sich eigentlich als jemand anderes ausgegeben hatte, aber wenn er sich dann vorgestellt hatte und sie sich unterhielten….

Verdammt.

„ Sam? Denkst du, sie erinnert sich noch daran, wer ich bin?“

Sein Freund runzelte über die Frage seine Stirn. „ Naja, ich denk schon. Immerhin weiß Rose, dass wir noch befreundet sind manchmal zusammen arbeiten. Was soll die Frage?“

Adam schluckte. „ Naja, als wir zusammen zur Schule gingen, war ich oft bei euch. Ich hab Rose ja mehr oder weniger aufwachsen sehen…“
Eigentlich ja nur in ihren besten Jahren. Der Pubertät.

„ Und jetzt denkst du, das könnte sie vielleicht stören? Keine Sorge. Damals hatte sie solch extreme Stimmungsschwankungen, da wäre es ein Wunder, wenn ihr deine Besuche noch in Erinnerung geblieben wären.“

Adam lächelte. „ Noch dazu war sie sowieso mit ihren Schmökern beschäftigt, richtig?“

„ Genau.“, antwortete Samuel und grinste.

„ Dann fahr ich jetzt zur Firma und du meldest dich, sobald du was wegen dem Treffen weißt, in Ordnung?“

Samuel nickte und die beiden bezahlten und verabschiedeten sich.

Adam war sich immer noch nicht ganz sicher, wie er zu der Sache stand.

Sollte er sich freuen, oder fürchten?

Nun ja, zumindest konnte er es gar nicht erwarten, das schöne Gesicht von Rosalie Carter zu sehen, wenn sie erkannte, wer da die Hälfte ihres Ladens aufzukaufen gedachte.

 

 

 

„ Kommt nicht in Frage, Sam!“

„ Verdammt nochmal, Rosalie! Hör mir doch zu….“

Sie schnaubte. „ Ich hab dir zugehört und meine Antwort lautet Nein.“

Ihr älterer Bruder seufzte und ließ sich schließlich in eines der weichen Kissen der Sitzecke fallen.

Amanda hatte sich diskret ins Lager zurückgezogen, obwohl sich Rosalie sicher war, dass ihre Freundin jedes Wort verstand. Sie waren ja auch nicht gerade leise.

„ Es bleibt dir aber nichts anderes übrig, Rose! Wie oft noch?“

Rosalie schaute ihn erzürnt an und warf ihr dunkles Haar zurück. „ Du hast mir eine Woche versprochen! Dann würden wir weitersehen.“

„ Das hab ich, ja. Aber die Lage hat sich kein Stück verbessert und du rutscht immer weiter in den Ruin hinein. Wenn du dir nicht bald helfen lässt, gehst du mit diesem verdammten Laden unter!“, rief Samuel und stand wieder auf, nur um rastlos herumzugehen.

„ Und wenn schon. Ich geh lieber pleite, als mich von irgend so einen Firmenschnösel herumscheuchen zu lassen, der Zeit seines Daseins vermutlich von Papyrusrollen gelesen hat.“, gab Rosalie trotzig zur Antwort.

Woraufhin ihr Bruder- zu Rosalies Ärger- nur blöd grinste.

„ In deiner momentanen Lage kannst du über jedes Angebot froh sein. Noch dazu kenn ich den Mann und glaub mir, du hättest es wahrlich schlechter treffen können.“

Rosalie verzog das Gesicht. „ Wie gesagt, bedauerlicherweise wirst du deinem Freund absagen müssen. Ich will keine Almosen und brauche sie auch nicht.“

„ Verdammt, Rosalie! Es reicht. Es handelt sich weder um Almosen noch um ein Geschenk. Du wirst mit diesem Geschäftsmann, der dich finanziell unterstützen möchte, zusammenarbeiten. Ansonsten wirst du sehen, wo du mit deinem Laden bleibst. Erwarte aber nicht von mir, dass ich dir dann weiterhin helfe.“

Die Stimme ihres Bruders duldete keinen Widerspruch.

Rosalie zuckte zusammen.

Normalerweise war Samuel eher der ruhige Typ.

 Ein echter Geduldsmensch eben.

Aber selbst wenn es ihr leid tat, ihren Bruder die letzten Nerven zu rauben, die Vorstellung, mit einem anderen  als Amanda hier zu arbeiten, noch dazu Seite an Seite, war schier unerträglich.

Bei dem Gedanken, ein Anzugträger, mit schlechtem Haarschnitt und fehlendem Buchverständnis würde hier anfangen und ihr dabei vermutlich auch noch auf den Hintern glotzen… wurde ihr übel.

Der Teil ihres Gehirnes, der für die rationalen Gedankengänge zuständig war, wusste natürlich, dass ihr Bruder niemals einen solch schmierigen Typen in ihrer Nähe zulassen würde.

Aber der Bereich, der sich auf alles, das nur ansatzweise negativ war, stürzen wollte, unterdrückte die Vernunft in ihr und ließ sie trotzig und nervend werden.

„ Du brauchst mir nicht zu helfen, Sam. Ich komm schon zurecht.“, meinte Rosalie und ging wieder hinter die Rezeption.

Samuel seufzte auf und folgte ihr zu dem großen Tisch. „ Warum wehrst du dich so dagegen, Rose? Ich will dir doch nur helfen. Du bist nicht allein damit, aber ich werde nicht dabei zusehen, wie du dich ruinierst.“

Die Stimme ihres Bruders war sanft und aufmunternd, aber genauso unerschütterlich.

Plötzlich war Rosalies Wut verflüchtigt.

Sie war den Tränen nah. Nicht ganz sicher, ob es wegen dem drohenden Verlustes ihres Ladens oder den tröstenden Tonfall ihres Bruders war, versuchte sie, ihre Tränen, die langsam ihre Wange herunterflossen, hinter ihrem langem Haar zu verstecken.

Ohne Erfolg.

„ Hey. Rose, nicht doch…“, murmelte Samuel und ging um die Rezeption herum, um sie zu umarmen.

Wunderbar, du Heulsuse!

Wieder gaben sich der Vernunftsteil und der irrationale Abschnitt ihres Gehirnes ein Battle.

Der irrationale Teil gewann und Rosalie schluchzte auf, bevor sie ihren Kopf an der Schulter ihres großen Bruders vergrub.

So sieht wenigstens niemand meine verquollenen Froschaugen und die rote Rotznase.

„ Ich weiß, dass du das alles alleine hinbekommen möchtest, Rosie, aber so funktioniert das nicht. Lass dir doch von mir helfen! Ich verspreche dir, dass wir garantiert eine Lösung finden, mit der alle zufrieden sind.“

Rosalie lachte trocken auf. „ Von mir aus gern, Sam. Aber du weißt ja, was ich für eine Zicke sein kann.“

Samuel seufzte auf, bevor er ebenfalls lachte. „ Nun ja, mein Geschäftspartner ist vorgewarnt, keine Sorge.“

Sie löste sich von ihrem Bruder und strich sich das lange Haar zurück. „ Das war noch keine Zusage, ok? Ich möchte den Typen kennenlernen und dann… sehen wir weiter.“

Ihr Bruder grinste übermütig und kniff sie in die Seite. „ Ja, wenn du ihn bis dahin nicht mit deiner bezaubernden Art verscheucht hast… Au!“

Rosalie war ihm auf den Fuß getreten.

„ Frauen, die gerade erst mit der Nachricht, ab sofort ein aufgeblasenes Arschloch in ihrer Umgebung aushalten zu müssen, konfrontiert wurden, sollte man lieber nicht ärgern, Sam!“

Dafür erntete sie einen giftigen Blick. „ Ich mache mir mehr Sorgen um deinen potenziellen Mitteilhaber. Wenn du mit allen armen Männern, die dir nur helfen wollen, so erbarmungslos umspringst…“

Rosalie hob drohend die Hand. „ Ich schwöre dir, Sam, ich werde gleich einen Roman nach dir werfen. Verschwinde jetzt!“

Er grinste verschwörerisch, hob dann aber wie zur Kapitulation seine Hände. „ Schon gut, Rose.  Eins noch: Was machst du in… ungefähr einer Stunde?“

Sie runzelte die Stirn. „ Naja, ich werde wohl hier sein. Warum?“

„ Wunderbar. Dann komm ich später vorbei und stell dir den Mann vor, der Interesse für deinen Laden zeigt.“

Na toll. Rollt den roten Teppich aus, holt Britney Spears und Madonna her, es gibt was zu feiern.

Stattdessen lächelte sie gezwungen und nickte. „ Hört sich gut an. Ich werde da sein.“

Samuel lächelte. „ Gut, dann bis später.“

Er küsste Rosalie noch auf die Wange und verließ dann wieder den Laden.

Rosalie lehnte sich gegen den Rezeptionstisch und zählte.

Eins, zwei, dr…

„ Rose? Ist dein Bruder wieder weg?“

Rosalie grinste und nickte.

Die Neugier ist ein Luder, nicht wahr?

„ Was wollte er denn?“

„ Tu doch nicht so, als hättest du nicht jedes Wort mitbekommen, Amy.“

Ihre Freundin schaute beleidigt drein, wobei es Rosalie nicht entging, das sie rot anlief.

„ Naja, den Großteil, ja. Ein neuer Mitteilhaber also, was?“

Sofort verzog Rosalie das Gesicht und sie nickte nur widerwillig. „ Sieht wohl so aus, ja. Es geht nicht anders.“

„ Er kommt her?“

„ In einer Stunde.“

Ihre Freundin strich sich das blonde Haar zurück und sah unsicher zu Rosalie. „ Soll ich hier bleiben? Brauchst du mich?“

Beinahe hätte Rosalie gelächelt.

Sie wusste genau, dass Amanda mit ihrem Freund verabredet war und ihm würde sie sicher ungern absagen müssen. Für Rosalie hätte sie es aber getan, da war sie sich sicher.

„ Geh nach Hause, Amy. Mach dich fertig. Ich will mir diesen Typen heute nur mal ansehen. Ich ruf dich an, in Ordnung?“

Anscheinend war sich Amanda immer noch nicht sicher, denn sie stieg von einem Bein aufs andere und nagte nervös an ihrer Unterlippe.

Rosalie grinste und machte eine Handbewegung Richtung Tür. „ Nun geh schon!“

Dass ließ sich ihre Freundin nicht zweimal sagen, nahm ihre Tasche und verließ den Laden mit einem eiligen „ Ruf mich später an!“

Rosalie wandte sich lächelnd den Bücherregalen zu. Das Lächeln wäre ihr aber beinahe aus dem Gesicht gerutscht, als ihr bewusst wurde, dass in weniger als einer Stunde ein schmieriger, arroganter Möchtegern-Unternehmer in ihrem Laden stehen würde.

Sie sah an sich hinunter.

Ihr ausgebeulter Pullover hatte schon bessere Tage gesehen und auch ihre Jeans schien etwas ausgefranst.

Eine Shoppingtour mit Amanda wäre wohl demnächst nötig.

Klar, Rose. Mit dem Geld von…?

Sie stöhnte gequält auf.

Zugegeben, Millionärin war sie noch nie gewesen. Doch seit „ Rose´s Bookstore so schlecht lief und ihr Baby beinahe jeden Dollar fraß, den sie hatte, blieb da kaum genug, um sich neue Markenkleidung, oder teure Designerschuhe zu kaufen.

Markenkleidung? Designerschuhe? Ich glaube, du verwechselst dich gerade mit Karl Lagerfeld.

Ironischerweise hatte sie auf Dinge wie Besitz oder Geld nie viel wert gelegt. Rosalie hätte keinen Plan, was sie mit einer Gucci-Tasche oder einem Kleidchen von Prada anfangen sollte.

Aber trotzdem war sie eine Frau. Sie wollte zumindest die Möglichkeit haben, von Schaufenster zu Schaufenster zu bummeln und sich hin und wieder eine Kleinigkeit zu kaufen.

Doch dazu hatte sie gegenwertig weder die Zeit, noch das Geld.

Was sich ja durch deinen neuen Kollegen bald ändern könnte.

Rosalie verdrehte die Augen und scheuchte ihre innere Stimme in die Ecke.

Eher hätte sie in Lumpen herumlaufen wollen, als sich zugestehen zu müssen, dass sie ihren Laden nicht alleine vor dem Ruin retten konnte.

Was sie wieder zu ihrer eigentlichen Ausgangssituation brachte: Ihr Erscheinen.

Sollte sie sich umziehen?

Um in ihre Wohnung zu fahren und andere Kleidung zu holen, war es noch nicht zu spät.

Natürlich. Zeig ihm, welches Püppchen du bist.

Kopfschüttelnd und grinsend begann Rosalie damit, den Buchladen auf Vordermann zu bringen.

Wenn schon nicht sie überzeugte, so sollte doch wenigstens der Laden einen guten Eindruck hinterlassen.

Sie sah auf ihre Armbanduhr.

Noch vierzig Minuten.

Nachdem sie weitere zwanzig davon verwendete, um alle herumliegenden Bücher in die dafür vorgesehenen Regale zu stellen und die Rezeption abgewischt hatte, entschied sich Rosalie für eines ihrer Lieblingsbücher und setzte sich in die Leseecke.

Wenigstens etwas Entspannung, bevor Mister Wohltäter-Geschäftsmann und mein Bruder kommen.

 

 

„ In einer Stunde im Laden, in Ordnung?“

„ Sie hat zugestimmt?“

Samuel grinste, als er den erstaunten und auch etwas bewunderten Ton in der Stimme seines Freundes hörte. „ Ja, ich hab sie überreden können.“

Ein Lachen. „ Wunderbar, dann sehen wir uns in einer Stunde und besprechen alles Weitere.“

Die beiden legten auf und Samuel lehnte sich lächelnd in seinen Stuhl zurück.

Es war, als würde eine riesige Last von seinen Schultern fallen.

Auch wenn seine kleine Schwester noch nicht ganz überzeugt war, so bekam sie trotzdem noch einige Monate mit ihrem Buchladen.

Sollte sich dann immer noch nichts verbessert haben, hätte sie zumindest noch etwas mehr Zeit, ihren Verlust zu verarbeiten.

Die Tür hinter ihm wurde geöffnet und Elisabeth kam- unter den einen Arm einen überfüllten Wäschekorb, in der anderen Hand einen Teller mit Sandwiches, in sein Büro und lächelte.

Samuel ging das Herz auf. Nach acht Jahren Beziehung und sechs Jahren Ehe würde er nie genug von ihrem Anblick haben.

Das blonde Haar, die blau-grauen Augen, ihr ganzes Wesen strahlte eine Freundlichkeit und Wärme aus, die er nur bei ihr fand.

„ Du hast heute noch nichts gegessen. Hier, guten Appetit.“, sagte Elisabeth und stellte ihm das Teller auf seinen Schreibtisch ab.

Er zog sie zu sich herab und küsste sie. „ Danke.“

Sie lächelte ihn an, runzelte dann aber fragend die Stirn. „ Was ist passiert?“

Samuel schmunzelte.

Diese Frau ist besser als jedes Radargerät.

„ Wie kommst du darauf, dass etwas passiert sei, Beth?“

Sie hob spöttisch eine Augenbraue. „ Bitte, Sam. Wir sind seit sechs Jahren verheiratet, dieses Grinsen ist mir durchaus bekannt.“

Samuel lachte auf und zog sie wieder auf seinen Schoß. „ Ich hab einen Interessenten für den Buchladen gefunden.“

Elisabeths Augen weiteten sich. „ Was? Wirklich? Wen?“

„ Adam Wyatt.“

„ Wie bitte? Adam?“

Samuel nickte und biss sich fest auf die Lippe, um nicht zu lachen. Der geschockte, unglaubwürdige Gesichtsausdruck seiner Frau war unbezahlbar und so selten, dass er jeden Moment davon genoss, sie einmal sprachlos zu erleben.

„ Ja, wir haben uns gestern bei unserem Treffen etwas über Rosalie und den Laden unterhalten.“

Sie runzelte die Stirn. „ Gut, aber… was will ein erfolgreicher Softwareentwickler mit einem pleitegehenden Buchladen?“

„ Naja, Adam meinte, dass er gern etwas Neues aufbauen möchte. Etwas Kleineres. Er ist mit seiner Rolle in der Firma nie wirklich zurechtgekommen und jetzt möchte er das ändern.“

„ Ich versteh die Logik dahinter zwar nicht ganz, aber wenn er meint… zumindest ist Rose damit geholfen.“

„ Das sieht sie zwar noch etwas anders, aber auch das wird sich noch legen…“

Elisabeth schmunzelte. „ Oh ja, kann ich mir vorstellen. Mit einem fremden Typen zusammen zu arbeiten…“

„ Adam ist ihr nicht fremd. Damals hatten wir dieselbe Schule besucht und Adam war oft bei uns zu Besuch.“

„ Ach ja, das hab ich vergessen.“
„ Du wirst sehen, sobald Rosalie sich mit den Gedanken angefreundet hat, wird es wieder bergauf gehen.“

Der Gesichtsausdruck von Elisabeth änderte sich und wurde bedrückt und nachdenklich.

„ Und wenn der Laden trotzdem pleitegeht?“

Samuel zuckte zusammen. „ Dann hat Rose zumindest mehr Zeit, um damit abzuschließen.“

 

 

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„ Der sanfte, warme Wind trug die Botschaft durch die üppige Vegetation des Regenwalds, bis hoch hinauf in das dichte Blätterdach, dass die Geheimnisse des Dschungels hütete. Direkt unterhalb der Baumkronen, außer Reichweite der meisten anderen Tiere…“

 

Rosalie zuckte zusammen.

Ein starkes Klopfen hatte sie aus ihren Gedanken gerissen. Christine Feehans erster Teil der Leopardenmenschenfolge hatte sie so gefesselt und in Beschlag genommen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie spät es schon war.

Ruckartig stand sie auf, strich sich nervös das Haar zurück und rief „ Ja, herein!“

Als sich nichts tat ging sie einige Schritte auf die Tür zu, doch genau in diesem Moment kam ihr Bruder in den Laden, er küsste sie  auf die Wange und ging zur Seite.

Als sie den zweiten Mann sah, der ihren Buchladen betreten hatte, erstarrte sie beinahe.

Der? Der soll meinen Laden mitführen? NIEMALS.

„ Sie?“, zischte sie, zugleich erschrocken und wütend.

Dieser Mistkerl hatte doch wirklich die Nerven, zu grinsen!

„ So sieht man sich wieder. Es freut mich, zu sehen, dass es Ihnen anscheinend besser geht. Sie schienen mir sehr blass.“

Darum braucht er sich keine Sorgen machen, dachte sie sich.

Rosalie war so wütend, dass ihr Gesicht vermutlich gerade in vielen verschiedenen Rottönen leuchtete.

Sparen Sie sich ihr Scheißmitleid.

„ Was zum Teufel wollen Sie hier?  Sie haben doch schon ihre Liebesromane.“, meinte sie höhnisch und verzog dabei keine Miene, obwohl sie innerlich brodelte.

„ Rose…“, murmelte Samuel warnend.

„ Mit diesen ich auch sehr zufrieden bin, danke der Nachfrage. Aber eigentlich bin ich heute wegen ihres Ladens hier.“

Sie funkelte erst den vermeintlichen Kunden von vorher und dann ihren Bruder böse an.

„ Tut mir leid, aber ich verkaufe nicht an jemanden, der aus einer Laune heraus solche Entscheidungen trifft.“, meinte sie trotzig.

„ Rosalie, verflucht, wir haben telefoniert. Hast du das vergessen? Dies ist einer meiner Auftragsgeber und ein Geschäftsmann. Demnach hat er sicher genug Kenntnisse, um einen kleinen Buchladen zu leiten, denkst du nicht?“

Und wenn er die Führungskenntnisse Barack Obamas hätte… meinen Buchladen bekommt er sicher nicht.

„ Alles schön und gut, aber…“, begann sie, wurde aber unterbrochen.

„ Hören Sie, eigentlich ist es ziemlich einfach. Ich habe Geld, das Sie brauchen und Sie haben ein Geschäft, das mich interessiert. Laut ihren Bruders haben Sie nicht die nötige Auswahl, mich abzulehnen und die Zeit, um eine andere Möglichkeit zu finden, fehlt Ihnen auch.“

Rosalie wusste nicht, was sie rasender machte.

Die sachliche Aufzählung ihrer sich häufenden Probleme, der ruhige aber ihr doch verhöhnend scheinende Ton, mit dem er sprach, oder seine maßlose Arroganz, die sein ganzes Wesen ausstrahlte.

Selbstverliebter Mistkerl.

„ Was bilden Sie sich eigentlich ein?“, zischte Rosalie und fixierte ihr Gegenüber. Wobei ihr auffiel, dass seine Augen dunkel schimmerten.

Wohl kaum vor Furcht. Vermutlich beißt er sich auf die Zunge, um sich nicht über dich Furie kaputt zu lachen.

„ Hab ich denn nicht Recht?“, meinte er und lächelte milde.

„ Sie arrogantes…“

Doch bevor sie ihn als eine menschliche Körperöffnung bezeichnen konnte, ging Samuel dazwischen.

„ Rosalie, beruhige dich. Wir wollten uns doch wie Erwachsene verhalten, nicht wahr?“

Verdammt nochmal, Sam. Ich verhalte mich erwachsen. Ich bin vierundzwanzig. Ich teile nicht mit anderen.  Schon gar nicht mein Baby. Punkt.

„ Ich bin ruhig.“, zischte sie.

„ Wie sind Sie sich dann, wenn sie die Beherrschung verlieren? Speien Sie Feuer?“, murmelte ihr vermeintlicher Kunde von erst und grinste.

„ Das war keine gute…“, flüsterte ihr Bruder, doch in Rosalies Kopf rauschte es mittlerweile so sehr, dass sie seinen Worten kaum Beachtung schenkte.

„ Haben Sie mich gerade als einen Drachen bezeichnet?“, fragte sie fassungslos.

Ihr Gegenüber zuckte mit den Schultern und hatte nicht mal den Anstand, irgendwie beschämt zu Boden zu schauen.

„ Keines Wegs, Ms. Carter. Beruhigen Sie sich, vielleicht geht es Ihnen doch noch nicht so gut, sollen wir uns lieber ein anderes Mal wieder sehen?“

Nein. Mein Bedarf an Arschloch-Verhalten ist fürs erste gedeckt, danke der Nachfrage.

„ Es geht mir ausgezeichnet.“

„ Rose, du verhältst dich absolut kindisch. Hör doch zuerst an, was wir zu sagen haben. Danach kannst du uns immer noch zum Teufel jagen.“
Mit dem größten Vergnügen.

Sie schluckte die trotzige Bemerkung.

Rosalie hatte weder die Lust noch die Nerven, ihren Bruder und schon gar nicht diesem Typen zu zuhören.

Warum auch? Was könnte er schon sagen, dass sie umstimmen würde?

Wenn sie nur daran dachte, wie arrogant er gewesen war, als sie ihm die Bücher gezeigt hatte, geschweige denn von der Frechheit, die er sich draußen vor dem Laden geleistet hatte.

„ Läuft wohl nicht so gut, oder?“

Nicht nur, dass er keinen Anstand besaß, nein er rieb- ob unabsichtlich oder nicht- auch noch Salz in die Wunde.

Sie kannte diese Art von Männern.

Gutaussehende, maßlos selbstverliebte Idioten, die vermutlich ihr Spiegelbild heiraten würden, falls es dazu eine Möglichkeit gebe.

Nein. Auf keinen Fall wollte sie sich mit so einem unterhalten und schon gar nicht würde sie ihm ihren Buchladen überlassen.

Sie sah ihrem Bruder an.

Samuel wirkte schier verzweifelt. Anscheinend war er kurz davor, die Fassung zu verlieren.

Tja, Sam. Die Familie kann man sich eben nicht aussuchen.

Trotzdem plagte sie auf einmal das schlechte Gewissen.

Er wollte ihr ja nur helfen, nur leider verstand er nicht, dass sie das nicht wollte…

Gut, sie wollte seine Hilfe, aber nicht diese Hilfe.

Naja, wen sie schon nicht zusagen würde, brächte es sie ja wohl nicht um, kurz zuzuhören…

Aus, Gewissen! Aus!
Doch bevor sie auf ihre innere Stimme hören konnte, stöhnte sie entnervt auf.

 „ Gut. Dann leg mal los, Samuel.“

Dieser seufzte deutlich erleichtert auf. „ Wunderbar. Dann darf ich euch bekannt machen. Rosalie, das ist Adam Wyatt, du kennst ihn von früher und er…“

Was auch immer ihr Bruder sagte, ging bei Rosalie ins eine Ohr rein und beim anderen wieder raus.

Ihr Mund öffnete sich, doch sie schloss ihn eilig.

Selbst wenn sie es gewollt hätte, es gelang ihr nicht, weg zu sehen.

Seine dunklen Augen, fixierten die ihren mit einem intensiven Blick und hielten sie fest. Leuchteten amüsiert und… neugierig.

Sofort tauchten Bilder von früher auf. 

Von dem Auto, das er damals fuhr, bis hin zu den dutzenden Mädchen, die er erst verführt und dann stehen hatte lassen.

Wogegen er sie immer mit viel Distanz behandelt hatte.

Du dumme Gans! Wie hast du ihn nicht erkennen können?

Wobei… wenn sie ihn so ansah, er hatte sich ziemlich verändert.

War er ihr damals schon groß erschienen, so war er doch noch ein ganzes Stück gewachsen. Sie schätzte ihn auf eins neunzig.

Die Zottelmähne war abgeschnitten, sein dunkelbraunes Haar war nackenlang und Jeans und T-Shirt waren durch Anzug und Krawatte ersetzt worden.

Rosalie musste zugeben… er war unglaublich gutaussehend. Immer noch.

Naja. Auch ein Affe sieht im Anzug gut aus. Das heißt also Garnichts.

Er hatte sich ziemlich verändert.

Aber auch Rosalie war nicht mehr das hilflose, umgelenkte Mädchen von damals. Schon lange nicht mehr.

„… und daher ist Adam sehr an deinen Laden interessiert.“

Rosalie zuckte zusammen, mit der Hoffnung, ihr Bruder und Wyatt hatten nicht gemerkt, wo sie wirklich mit ihren Gedanken war.

Aber das spöttische Grinsen von Adam nahm ihr jede Hoffnung.

„ Was sagst du dazu, Rose?“, fragte ihr Bruder.

Mal sehen. Was halte ich davon, mit einem arroganten, selbstgefälligen Arschloch- in welches ich noch dazu vor langer Zeit unsterblich verliebt war- auf engsten Raum für voraussichtlich mehrere Monate zusammen zu arbeiten und meine Lebensdauer, aufgrund konstant steigenden Stresspegels um gute fünf Jahre zu verkürzen?

Sie setzte ein liebliches Lächeln, das allerdings nicht ihre Augen erreichte, auf und sah Adam Wyatt an.

„ Vielen Dank für ihr Angebot, aber ich bin nicht interessiert. Schönen Tag noch.“

„ Rose, verdammt!“, fluchte Samuel und strich sich mit der Hand durchs Haar.

„ Ms. Carter, überlegen Sie sich das besser nochmal…“

Doch Rosalie drehte sich einfach um und ging ins Lager, wo sie sich gegen das nächstbeste Regal sinken ließ und die Tür hinter sich schloss.

Adam Wyatt. Was hatte sich ihr Bruder nur dabei gedacht?

Sieben Kontinente. Sieben Milliarden Menschen. Ausgerechnet Adam Wyatt interessiert sich für meinen Buchladen. Karma, du elende Hure.

War das die Retourkutsche dafür, dass sie mit neun Jahren den Klassenhamster vergessen hatte und er bei vierzig Grad leidend im Auto sterben musste?

„ Rose, verdammt. Du blamierst mich total. Lass mich rein und wir reden nochmal.“, hörte sie leise flüsternd von der anderen Seite der Tür.

Tut mir Leid, Bruderherz, dass mich die Begegnung mit meiner vermeintlichen Jugendschwärmerei nicht kalt wie einen Karpfen lässt.

Sie atmete ein paar Mal ein und aus.

Rosalie verabscheute Wyatt, alleine schon dafür, dass sie sich wieder wie das flachbrüstige, ungeschickte Mädchen von damals fühlte und nicht wie die vierundzwanzigjährige Frau, die sie eigentlich war.

Verdammt nochmal. Du bist klug. Du hast Brüste und- ich weiß das sollte kein Kriterium sein- aber du kannst einen Typen mittlerweile mittels eines Buches zur Strecke bringen- also verhalt dich auch so.

Bevor sie es sich anders überlegen konnte, ließ sie ihren Bruder ins Lager und drehte sich mit den Rücken zu ihm, damit er nicht sah, wie aufgebracht sie wirklich war.

„ Wo ist eigentlich dein Problem, Rose? Ich meine, du hättest es wahrlich schlechter treffen können. Adam ist ein erfolgreicher Softwareentwickler und…“

Sie lachte rau auf. „ Es ist ein großer Unterschied, ob du der Leiter bist, oder wirklich etwas arbeitest und entwickelst, Sam.“

„ Was hat er dir denn getan, damit du dir ein solches Urteil über ihn leisten kannst, Rosalie?“

Sie erstarrte.

Ihr Bruder hatte damals nicht mitbekommen, was mit seiner Schwester losgewesen war. Andererseits aber auch verständlich.

Sicherheitsabstand während meiner Pubertät: zwanzig Meter mit Schutzbrille.

„ Gar nichts. Aber was hat ein erfolgreicher Geschäftsführer einer Softwarefirma bitte mit Goethe zu schaffen? Oder mit Romanen? Dramen? Nichts. Und darum kann ich ihn hier nicht brauchen.“

„ Himmel nochmal, du machst es einem wirklich schwer, dir zu helfen, Rose. Siehst du denn nicht ein, dass dir nichts anders übrig bleibt? Denkst du, Tante Ronda hätte gewollt, dass du ihren Laden nur wegen deiner unglaublichen Starrsinnigkeit aufgeben musst?“

Bei den Namen ihrer Tante schossen ihr Tränen in die Augen, die sie hastig wegblinzelte.

„Liebes, ein gutes Buch  ist besser, als jeder Mann. es sei denn, er ist verdammt gut im Bett. Dann legst du das Buch beiseite!“

„ Mir mit dieser Nummer zu kommen, ist verdammt unfair, Sam.“, murmelte Rosalie leise.

Der Gesichtsausdruck ihres Bruders wurde wieder sanfter. „ Tut mir leid, Rosie, aber es geht nicht anders. Du musst verstehen, was hier auf den Spiel steht.“

Sie schüttelte den Kopf. „ Ich will das nicht.“

„ Das weiß ich, aber es wird dich nicht umbringen, dir anzuhören, was Adam zu sagen hat. Ihr müsst ja nicht gleich heute alles beschließen. Lernt euch erst kennen, unterhaltet euch etwas.“

Klar zum Kaffeeklatsch mit Adam Wyatt. Lieber kämpf ich mit verbundenen Augen gegen eine tollwütige, gar nicht süße Dogge.

Sie nickte nur, biss die Zähne zusammen und verließ den Raum. Samuel folgte ihr.

„ Entschuldigen Sie meinen…“

„ Ausraster?“, meinte Wyatt grinsend.

„… emotionalen Ausbruch, wollte ich sagen. Der Laden bedeutet mir viel.“, murmelte sie und wurde rot, bei dem intensiven Blick, den er ihr zuwarf.

„ Dachte ich mir schon.“

Sie blinzelte, ließ ihn aber ebenfalls nicht aus den Augen.

Irgendetwas an diesen Mann erschien ihr so raubtierartig, dass sie es nicht wagte, ihn näher zu kommen.

Er sah beinahe so aus, als warte er nur darauf, sein Beute anzuspringen und sie möglichst bald zu verschlingen.

Eine Gänsehaut breitete sich bei ihr aus und sie schluckte.

„ Wie gesagt, das tut mir leid. Vielleicht könnten wir uns in Ruhe unterhalten, damit ich einen Eindruck davon bekomme, was Sie sich so unter einer… gemeinsamen Zusammenarbeit vorstellen.“

Ihr Zögern wohl bemerkend lachte dieser Mistkerl leise auf und nickte dann.

„ Gerne, das hört sich gut an.“

Ihr Bruder seufzte deutlich erleichtert auf. „ Gut Naja, wie gesagt, Rosalie. Adam sucht eine neue Investition. Er möchte dir helfen, dass Geschäft wieder auf die Beine zu stellen.“

Rosalie nickte verbissen. „ Haben Sie denn Erfahrungen mit Büchern? Literatur? Vielleicht mit Romanen?“

Die Anspielung war ihm durchaus bewusst und seine Augen glitzerten gefährlich.

„ Leider nein. Aber ich bin durchaus lernfähig.“

Wieder nickte sie. „ Damit werde ich mich schon arrangieren.“

Plötzlich war es ihr, als würde sie im nächsten Moment zusammen brechen.

Diese Auseinandersetzung hatte sie müde gemacht, dann das heute Morgen mit James… sie wollte das hier möglichst schnell über die Bühne bringen und sich dann in ihrem Bett verkriechen.

Am besten mit einer Staffel „ Sex and the City“ und einer Familienpackung Schokoladeneiscreme.

„ Na gut, was meinst du, Rosalie? Soll ich einen provisorischen Vertrag aufsetzen lassen? Den kannst du dir durchlesen und falls dir etwas nicht gefällt, können wir über mögliche Veränderungen noch sprechen.“

Mein Gott, Sam. Das hört sich so an, wie damals, als du mich mit einer Schachtel Pralinen in die Schule locken wolltest.

„ Gut. Überschreib die vierzig Prozent und ruf mich dann an…“, murmelte sie müde und wollte sich abwenden, aber sie wurde unterbrochen.

„ Fünfzig.“

Rosalie erstarrte. „ Wie bitte?“

„ Ich will die Hälfte des Buchladens und das damit verbundene Mitspracherecht über wichtige Entscheidungen…“

Eins, zwei, drei, vier…

Sie atmete tief ein und aus.

„…dann könnten Sie auch die Leitung etwas abgeben, vielleicht finden wir dann das Problem dieses Ladens…“

FÜNF, SECHS, SIEBEN,…

„ …mir schweben schon einige Veränderungen vor, vor allem die ansprechende Altersgruppe ihrer Bücher…“

ACHT, NEUN, ZEHN!

„ Jetzt hören Sie mal, Sie eingebildeter Möchtegern-Unternehmer-Pinsel…“

„ Rosalie!“, rief ihr Bruder doch sie beachtete ihn nicht.
„ Ich denke nicht daran, Ihnen die Hälfe meines Ladens zu überlassen, damit sie daraus ein Glied ihrer perfekt organisierten Geschäftsweltkette machen können.“, zischte sie.

Lauf davon. Zittere. Denn so sieht es aus, wenn ich Feuer speie, Idiot.

Doch was tat er? Er grinste. Nahm sie nicht ernst. Am liebsten wäre sie ihm an die Gurgel gegangen.

„ Nette Wortwahl, aber hören Sie, ich hab nicht vor, von dieser Prozentzahl abzuweichen. Wenn ich schon einige tausend Dollar in diesen Laden investieren soll, dann möchte ich dafür auch etwas zu sagen haben.“

Plausible, vernünftige Worte aus den Munde diesen gutaussehenden Teufels. Gott hasst mich.

„ Naja, Rosalie, wo er recht hat…“, begann ihr Bruder, aber als er ihren bedrohenden Blick sah, schwieg er.

HAUT AB.

„ Ich denke darüber nach.“, zischte sie und funkelte erst Samuel und dann Wyatt an.

„ Gut, dann ruf mich einfach an und wir besprechen alles Weitere, in Ordnung?“, meinte Samuel und lächelte zaghaft.

Rosalie nickte und hoffte, dieses unangenehme Gespräch fände endlich ein Ende.

„ Dann gehen wir jetzt. Ich ruf dich an, Rose.“

Ihr Bruder küsste sie auf die Wange und verließ ihren Laden.

Adam Wyatt kam- immer noch grinsend- auf sie zu.

„ Es hat mich gefreut. Unsere Zusammenarbeit wird sich sicher als spannend herausstellen.“, murmelte er und seine Stimme klang dabei so hypnotisierend, dass Rosalie sofort wieder der Vergleich mit der beutesuchenden Raubtierkatze in Erinnerung kam.

Er hielt ihr seine rechte Hand hin und sie erwiderte seine Verabschiedung nur widerwillig.

Früher hätte sie dafür gemordet, um nur in seiner Nähe sein zu dürfen, jetzt betete sie, dass dieser Augenblick schnell vorbei ging.

Er machte sie nervös. Nach all den Jahren, in denen der Mistkerl kein Stück unattraktiver geworden war, schaffte er es immer noch, sie vollkommen aus der Fassung zu bringen.

„ Das befürchte ich auch, ja.“, murmelte sie und zuckte zusammen, als ihre Hand die seine berührte.

Röte schoss ihr ins Gesicht und sie fluchte innerlich vor sich hin.

Seine Haut war warm, der Händedruck fest, aber nicht so, dass er ihr wehtat.

Sie fühlte sich von ihm umschlossen, eingeengt in der Intimität dieses Augenblickes und ehe sie sich versah, wurde ihr Körper von einer Gänsehaut überzogen.

Seine Augen suchten die ihren und hielten sie fest.

Rosalie nahm ihre Hand zurück und versuchte, dass innerliche, unruhige Zittern zu unterdrücken.

„ Auf Wiedersehen.“

„ Worauf Sie sich verlassen können“. murmelte er, sah ihr in die Augen und ging.

Das klang wie eine Drohung. Und ein Versprechen.

 

 

„ Geschafft.“, seufzte Samuel und setzte sich in sein Auto.

Adam nickte grinsend und nahm auf dem Beifahrersitz Platz.

„ Ja. Deine Schwester ist ziemlich aufbrausend.“

Samuel erwiderte das Lachen seines Freundes und startete den Wagen.

„ Ich entschuldige mich für Rose. Sie meint die Hälfte von dem, was sie ausspricht, eigentlich nicht so, nur ihr Temperament geht oft mit ihr durch.“

Ach nein, sie ist wie ein Gänseblümchen. Ein fleischfressendes, aggressives aber trotzdem hübsches Gänseblümchen.

Adam grinste.

„ Ich werde schon mit ihr klarkommen.“

„ Das denk ich auch. Sie ist es nicht gewohnt, dass man ihr Contra gibt.“

Adam riss im gespielten Schock die Augen auf. „ Ich war durch und durch ein Gentleman.“

Sein Freund schnaubte nur. „ Ein Gentleman, der sie gefragt hat, ob sie Feuer speien würde.“

Na gut, mit solchen Komplimenten wird sie dich nicht in ihr Bett lassen…

Bett? Er konnte sich glücklich schätzen, wenn sie ihm in ihren Buchladen lassen würde.

„ Ich werde heute noch gleich den Vertrag machen lassen, dann rede ich nochmal mit Rosalie. Normalerweise ist sie nicht so…“

„ Temperamentvoll?“, half Adam weiter.

„ Doch. Das ist sie immer. Ich meinte, so zickig. Nur… wenn es darum geht, etwas zugeben zu müssen… Da ist sie wohl immer noch das kleine Mädchen, von damals.“

Mal abgesehen davon, dass sich bis auf ihrem aufbrausenden Charakter so ziemlich alles verändert hat.

„ Sie ist erwachsen geworden, nicht?“, murmelte Adam vor sich hin, zu spät merkend, dass er es laut ausgesprochen hatte.

Einen Moment war es leise.

„ Ist sie, ja.“

Adam nickte und sah aus dem Fenster.

Idiot!

„ Adam?“

Verdammt.

„ Ja?“

Samuel sah ihn aus den Augenwinkeln an. „ Lass die Finger von Rose, ok?“

„ Wie kommst du jetzt darauf?“

Sein bester Freund schnaubte. „ Naja, ich kenne dich. Rosalie hat sich verändert. Sie ist nicht mehr das fünfzehnjährige Mädchen und ist zu einer jungen Frau geworden.“

„ Sam, sie ist deine Schwester…“

Er lachte rau auf. „ Würde dich das wirklich hindern, dich an sie ran zu machen?“

Eine berechtigte Frage…

„ Ich hab sie noch nie als solche Frau gesehen…“

„ Ist sie dir etwa nicht gut genug?“, fragte Samuel. Für Adam hörte es sich beinahe wie ein verärgertes Knurren an.
Vorsicht, Mann. Du hast es hier mit dem Beschützerinstinkt eines großen Bruders zu tun.

„ Sam, jeder Mann, der deine Schwester zur Frau bekommen wird, kann sich glücklich schätzen.“

„ Aber?“

Aber er sollte verdammt gute Nerven und ausgeprägte Reflexe haben. Man weiß nie, wann man einem Buch ausweichen muss.

„ Aber für mich war sie selbst immer wie eine kleine Schwester oder eine Cousine. Ein absolutes Tabu.“

Samuel nickte. Anscheinend zufrieden mit seinen Worten.

„ Gut. Wenn du was zu vögeln brauchst, kannst du ja eine deiner zahlreichen Blondinen hernehmen. Rosalie hatte in letzter Zeit genug Probleme mit Männern, da braucht sie kein weiteres.“

Warum? Todschlag mit Lexikon?

„ Das tut mir leid, aber ich versichere dir, von mir brauchst du nichts zu befürchten.“

„ Danke, Adam. Ich mach mir auch so schon genug Sorgen um sie.“

Das war knapp. Schwester? Cousine? Wohl kaum.

„ Versteh ich. Aber das brauchst du nicht. Ich werde alles versuchen, um den Laden auf Vordermann zu bringen.“

Auch wenn ich für die nächsten Monate tagtäglich mein Leben riskiere.

„ Ich wüsste sonst auch nicht mehr, was ich noch versuchen soll.“

Adam nickte und die beiden redeten noch über den Vertrag und den Laden.

Samuel fuhr ihn zu seiner Wohnung und dann Nachhause.

 Wieder daheim setzte sich Adam auf sein Sofa und ließ den Kopf gegen die Lehne fallen.

Die Frau konnte einen in den Wahnsinn treiben.

In verschiedene Wahnsinne. Ein Multitasking Talent.

Wenn er nur daran dachte, wie sie ausgesehen hatte, als ihr klar geworden war, wer da gerade in ihren Laden hereinspaziert war.

Die grünen Augen blitzten gefährlich, ihre Hände hatte sie in die Hüften gestemmt und ihre Wangen bekamen einen rosigen Farbton.

Hübsch. Mehr als hübsch.

Verteufelt sexy hatte sie gewirkt, wie sie ihn musterte und ihn innerlich vermutlich mehrere Male zum Teufel gejagt hatte.

Gerade, als sie sich ein wenig beruhigt hatte, stellte Samuel ihn vor.

Hatte er erst geglaubt, das volle Ausmaß ihres Temperaments miterlebt zu haben, wurde er schnell eines Besseren belehrt.

Mit einem „ Kein Interesse“ hatte sie ihn abgespeist und war ins Lager verschwunden.

Zugegeben, er hatte sie auch wirklich etwas provoziert.

Spätestens nachdem er ihr das mit den fünfzig Prozent gesagt hatte, war er davon ausgegangen entweder ihre Faust oder eines ihrer Schmöker im Gesicht zu haben.

Ach, nein. Stattdessen hat sie dich als Möchtegern-Unternehmer-Pinsel bezeichnet. Charmantes Ding.

Grinsend strich er sich durchs Haar und schloss die Augen.

Als er sich von ihr verabschiedet und sich ihre Hände berührt hatten, da fühlte Adam, dass es ihr unangenehm war.

Aus welchen Grund auch immer, aber er machte sie nervös. Das sah man ihr an.

Und dieses Wissen- so dachte Adam- würde ihm nochmal nützlich sein.

Falls ich es überhaupt anwenden kann, bevor sie mich umbringt.

Rosalie Carter, mit funkelnden Augen und geröteten Wangen vor ihm.

So als wollte sie ihn anspringen. Oder als hätte er sie gerade in seinem Bett gehabt.

Du wolltest ein Abenteuer. Da hast du eines.

 

„ Langsam, langsam. Rose, du redest zu schnell und zu viel auf einmal. Eines nach dem anderen.“

„ Dieses Arschloch ist Adam Wyatt!“

„ Fuck.“

Ja. Fuck. Merde. Scheiße. Nenn es, wie du willst, Amy!

„ Und der will den Buchladen aufkaufen?“

Rosalie hörte aus der Stimme ihrer Freundin, dass sie nicht sonderlich begeistert war.

Auch sie kannte die Geschichten von damals. Dabei war oft Adams Name gefallen.

„ Zu fünfzig Prozent.“

Ein Schnauben. „ Ja, sicher. Damit er aus dem Laden ein feinsäuberliches Unternehmen gründen kann? Vergiss es.“

„ Ja, hab ich auch gedacht. Aber was soll ich machen?“
„ Ihn zum Teufel jagen?“

Nichts tät ich lieber als das.

„ Kann ich nicht. Ich will den Laden behalten und er ist meine beste Option.“

„ Und dafür nimmst du in Kauf, mit einem selbstgefälligem, maßlos arrogantem Geschäftsmann zusammen zu arbeiten, indem du früher sogar verknallt warst?“

„ Was bleibt mir sonst für eine Möglichkeit? Nicht nur würde ich Samuel verletzen und kränken, sondern noch dazu mir selbst ein Bein stellen.“

Amanda schwieg einige Sekunden.

„ Da hast du auch wieder Recht. Naja, zumindest musst du ihn nur hin und wieder ertragen.“

Rosalie runzelte die Stirn, aber als ihr einfiel, dass Amanda das per Telefon wohl kaum bemerken würde, fragte sie: „ Wie meinst du das?“

„ Naja, denk doch mal logisch, Rose. Er ist Geschäftsmann, leitet ein großes Softwareentwicklungsunternehmen und hat sicher nicht die Zeit, um sich jeden Tag um den Laden zu kümmern. Sprich, wir brauchen nur ein paar lästige Kontrollbesuche ertragen.“

„ Damit er sieht, dass wir sein dreckiges Firmengeld nicht beim Fenster rausschmeißen.“, führte Rosalie den Gedanken nüchtern zu Ende.

„ Genau. Und in der Zeit, in der er uns finanziert, können wir uns weiterhin darum bemühen, den Laden zum Laufen zu bringen. Wie lange will er den Laden übernehmen?“

Darüber hatte sie sich noch gar keine Gedanken gemacht. Wollte Wyatt den Laden unwiderruflich aufkaufen? Wahrscheinlich. Was würde es ihm bringen, ihn nur solange zu behalten, bis er gut läuft?

Er war nun Mal Geschäftsmann und so würde er nur Verluste machen.
„ Ich denke, für längere Zeit. Keine Ahnung. Wyatt wird sicher Profit aus der Sache schlagen wollen.“

„ Wohl wahr. Naja, wenn wir Glück haben, rennt die Sache so gut, dass wir den Laden irgendwann zurück kaufen können. In ein, zwei Jahren. Aber jetzt sollten wir uns erst darauf konzentrieren, der Pleite zu entkommen.“

Rosalie lächelte milde.

„ Ja, und dann kümmern wir uns um alles Weitere.“

Etwas erleichtert, durch die beruhigenden Worte ihrer Freundin, legte Rosalie nach einiger Zeit auf und seufzte leise auf.

Adam Wyatt. Oh, Universum.

Noch immer saß der Schock tief bei ihr.

Jedoch war sie sich noch nicht sicher war, was schlimmer war: Die Tatsache, dass er sich kaum verändert hatte, oder dass er bald zusammen mit ihr den Buchladen leiten würde.

Gebügeltes Hemd meets ausgebeulter Pullover. Oh ja, wir werden ein wahres Dream-Team abgeben.

Ohne noch einen weiteren Gedanken an ihren alten und doch neuen Ballast zu verschwenden, schloss sie den Laden hinter sich zu und ging die Straße entlang.

Die schwüle Hitze, die selbst um vier Uhr nachmittags nicht nachgelassen hatte, machte ihr zu schaffen und Rosalie war erleichtert, als sie- nach fünfzehn minütiger Fahrt mit der U-Bahn- endlich bei ihrem Häuserblock ankam.

Sie ging durch den kleinen Flur, der direkt ins Wohn, -und Esszimmer führte, warf ihre Tasche auf eine Kommode und ging weiter ins Schlafzimmer, dass direkt neben an lag.

Sie zog sich um, wechselte ihre Arbeitskleidung gegen ein langes Schlabber-T-Shirt. Ihre Haare band sie zu einem Zopf zusammen.

Wenn dich der feine Pinsel so sehen könnte…

Sie lachte trocken auf.

Ihr erster Eindruck war ihm vermutlich ohnehin schon ziemlich schlecht in Erinnerung geblieben…

Danach ging sie in ihre kleine Küche und nahm sich das übriggebliebene Stück Lasagne von gestern Abend heraus.

Mit Besteck und Teller bewaffnet setzte sie sich dann auf ihr Sofa, wohl darauf bedacht, weder das Sofa, noch eines der vielen Bücher, die entweder auf dem Couchtisch vor ihr, oder auf dem Boden rings um den Tisch langen, zu bekleckern.

Das wäre der perfekte Abschluss, eines absolut beschissenen Tages.

Gerade, als Rosalie beginnen wollte, ihre erste wirkliche Mahlzeit heute zu essen,  hörte sie das bekannte Summen ihres Handys.

Verflucht nochmal, ich versuche gerade, mich selbst zu therapieren. Mit einer Anzahl von Kalorien, die mir lieber unbekannt bleibt!

Rosalie stand umständlich auf, stapfte zu ihrer Tasche und zog ihr Handy heraus.

Samuel.

Ich rate dir, dass du entweder eine neue Leber brauchst, oder aber die Möglichkeit hast, George Clooney zu besuchen und mich abholen willst!

„ Leber oder George Clooney?“, zischte sie in ihr Telefon, ohne ihren Bruder zu begrüßen.

Samuel lachte auf. „ Weder noch, Rose, aber danke für das Angebot.“

Rosalie fluchte leise auf. „ Was gibt’s, Sam?“

„ Ich wollte dir nur sagen, dass ich den Vertrag auf gegeben habe und ihn dir morgen Nachmittag vorbeibringen werde, damit du ihn dir in Ruhe durchlesen kannst.“

Kann es gar nicht erwarten. Hast du noch mehr gute Neuigkeiten für mich? Termin beim Frauenarzt? Ein Waxing der Bikinizone?

„ Du wirst sehen, es wird alles gut gehen, du brauchst nur etwas Geduld, Rose.“

Sie drückte sich die Fingerspitzen ihrer freien Hand gegen ihre Schläfe und versuchte, ihren schlimmer werdenden Kopfschmerzen vorzubeugen, aber es funktionierte nicht- die Aufmunterungssprüche und Tröstungsversuche ihres Bruders machten ihren Zustand nicht gerade besser.

„ Bei aller Liebe, Sam, aber halt den Rand. Ich danke dir, für deine Hilfe, aber ich fühle mich, als hätte ich mein Baby an den erstbesten Mafia-Typ, mit Schnurrbart und Zigarre verkauft. Mein Ego ist angekratzt und ich bin schlecht gelaunt.“

Ihr Bruder lachte auf und seufzte dann leise. „ Gut, dann ruh dich aus. Wir sehen uns morgen. Frisch und vital?“

Sie schnaubte wütend. „ Ach, fick dich…“, wollte sie gerade sagen, aber er hatte schon aufgelegt.

Rosalie legte ihr Handy beiseite und ging wieder zum Sofa.

Der Appetit war ihr vergangen.

Nicht nur, dass sie morgen den Vertrag, bei welchem sie das komische Gefühl, sie schließe einen Pakt mit dem Teufel höchst persönlich ab, nicht los wurde, unterschreiben würde müssen, nein, noch dazu musste sie jetzt jeden Tag damit rechnen, Adam Wyatt um sich zu haben.

Würde ich Alkohol trinken, ich würd mir jetzt Tequila besorgen. Und Orangen. Oder waren es Limetten?

Kopfschüttelnd ging sie ins Schlafzimmer, legte sich hin, in der Hoffnung, das alles nur geträumt zu haben.

So unrealistisch ihr dieser Traum auch erschien, so sehr wünschte sie es sich auch.

 

6

6

 

 

 

„Never find someone, like you…“

Während aus dem Radio Adeles Stimme erklang und Rosalie sich fragte, ob diese Frau auch so erfolgreiche Songs schreiben würde, wenn sie nicht ständig unter Liebeskummer litte, wischte sie ein Regal nach dem anderen ab und ordnete die Bücher.

Es war Dienstagvormittag und Rosalie war alleine im Laden, weil sie Amanda freigegeben hatte.

Einerseits, weil sowieso nichts los war und sich dieser Zustand höchstwahrscheinlich auch nicht ändern würde, andererseits, hatte Amanda gegen Mittag einen Termin, den sie nicht verschieben konnte.

Also stand Rosalie hier- das Radio lautstark aufgedreht, zwischen den Regalen hin und her wechselnd und tanzte durch den Raum.

Das Lied wechselte, Beyoncé folgte Adele und Rosalie bewegte sich im Rhythmus von Single Ladies.

All the Single Ladies, all the Single Ladies…

Sie schwang ihr Putztuch, warf es sich über die Schulter und grinste, bevor sie sich im Takt des Liedes verlor und lostanzte.

Hemmungslos bewegte sie sich durch den Raum, genoss ihre Bewegungsfreiheit und als der Refrain einsetzte, hörte sie auf den Rhythmus der Musik und ließ es zu, dass sie sich darin verlor…

„ Verzeihung, Ms. Carter?“, hörte sie jemanden hinter sich und sie fuhr erschrocken herum.

Verdammt nochmal!

„ Was machen Sie hier?“, fragte Rosalie, den- vor sich hin grinsenden- Adam Wyatt.

„ Nun ja, gerade hab ich ihren Tanz genossen. Wirklich sehr exotisch, wie sie mit den Büchern und dem Putzlappen auf der Schulter verschmelzen, sehr authentisch.“

Seine spöttischen Worte trieben ihr die Schamesröte ins Gesicht. Eilig zog sie sich den Lappen von ihrer Schulter und warf ihn Richtung Rezeption.

Noch peinlicher wär´s nur, wenn Beyoncé hinter mir gestanden wäre und meine billige Tanzimitation von ihrem Welthit mitangesehen hätte.

„ Entschuldigen Sie, ich…“, stammelte Rosalie, unklar darüber, was sie ihm sagen sollte.

„ Machen Sie das öfters? Ich meine… gebe es dazu nicht gewisse…Lokale?“

„ Meinen Sie Stripp-Clubs?“, zischte Rosalie und verbarg ihr gerötetes Gesicht hinter ihrem langen Haaren.

Wyatt hob spöttisch die Augenbraue. „ Naja, darauf wollte ich eigentlich nicht hinaus, aber …“

In Rosalie flammte heller Zorn auf. „ Wollten Sie nun etwas bestimmtes, oder sind Sie nur hier, um mich zu ärgern?“

„ Sowohl als auch, würde ich sagen. Ich wollte Sie nur darüber informieren, dass ich diese Woche jeden Tag vorbei sehen werde. So bekomme ich einen besseren Eindruck über die Lage, des Ladens und vielleicht finde wir so auch gleich einen Lösungsansatz.“

Der ruhige sachliche Tonfall, mit dem er sprach, fachte Rosalies Wut nur noch an und sie kniff verbissen die Augen zusammen.

„ Und Sie denken, damit wäre ich einverstanden?“

Ein Schnauben seinerseits. „ Und Sie denken, dass wäre irgendwie von Belang? Mir gehören fünfzig Prozent dieses Ladens, folglich kann ich kommen und gehen, wie es mir passt, Ms. Carter.“

Gehen? Ja, na los! Da ist die Tür!

„ Sie würden mich bei der Arbeit behindern.“, beharrte Rosalie.

„ Ich bin mir sicher, ich störe ihre zahlreichen Kunden nicht.“, meinte er spöttisch und fuhr mit seiner Hand durch sein Haar.

Was Rosalies Aufmerksamkeit prompt auf sein nackenlanges, dunkles Haar richtete.

Wie konnte ein Mann so verdammt vollkommene Haare haben?

Voll, glänzend… Sie würde ihr letztes Buch darauf verwetten, dass es sich genauso weich anfühlte, wie es aussah.

Ein solch arroganter Mann sollte eigentlich eine Glatze haben. mit vielen ekelhaften Flecken und Pickeln drauf.

„ Ich denke trotzdem nicht, dass das eine gute Idee wäre.“

Adam Wyatt lachte laut auf. dabei entblößte er eine Reihe-wie sollte es anders sein?- perfekt weißer Zähne.

„Kein Sorge, Ms. Carter, ich störe Sie nicht bei Ihren Tanzeinlagen.“

Wieder schoss Rosalie die Röte ins Gesicht.

Sie verkniff sich jeden Kommentar, wollte nur, dass er endlich verschwand.

Naja, wobei, vielleicht kannst du ihn ja zu einem Tänzchen überreden…

Ihr Unterbewusstsein, dass für Rosalies Geschmack schon wieder viel zu hormongesteuert dachte, beachtete sie nicht, sondern wandte sich ab, nahm sich ihren Lappen und begann damit, das nächste Regal abzuwischen.

„ Sonst noch etwas?“, murmelte sie leise.

„ Rosalie, es würde sowohl Ihnen als auch mir helfen, wenn sie die Tatsache, dass wir zusammen arbeiten werden, akzeptieren würden. Kämpfen Sie nicht dagegen an.“

Ein Schauer überkam sie und sie zuckte zusammen.

Er war näher gekommen.

Sie fühlte sich unwohl und gleichzeitig war sie fasziniert von seiner Stimme.

Voll, ohne Unsicherheit und irgendwie…beruhigend.

Als wolle er sie trösten.

Rosalie. Er hat meinen Namen gesagt. Hört sich gut an. Neu.

Sie versteifte sich bei den Gedanken.

„ Wie würde es Ihnen gefallen, wenn man Ihnen den Großteil ihrer Firma einfach wegnehmen würde? Das, wofür sie gearbeitet und gekämpft haben? Nur um dann jemanden geschickt zu bekommen, der es besser machen soll, weil man selbst versagt hat?“

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, hätte Rosalie sich ohrfeigen mögen.

Woher der plötzliche Redefluss gekommen war, wusste sie selbst nicht, doch noch weniger war ihr klar, warum sie sich ausgerechnet vor Adam Wyatt für ihr Verhalten rechtfertigte.

Sie hörte, dass er noch einen Schritt näher kam.

„ Tut mir leid, das ist sicher kein gutes Gefühl. Aber ich will Ihnen nichts wegnehmen. Ich möchte Ihnen…“

Sie lachte rau auf. „ Nur helfen, ich weiß. Aber wissen Sie was? Der Papst persönlich könnte vor mir stehen und ich würde mich nicht weniger abweisend verhalten. Also nichts gegen Sie persönlich“, zischte Rosalie.

Oh, wenn du wüsstest, wie persönlich das ist…

Doch Wyatt ließ sich nicht abschütteln, er kam sogar noch einen Schritt näher, so dass sie meinte, seinem Atem in ihren Nacken spüren zu können.

„ Und das soll ich Ihnen glauben? Ihre Abneigung hat also nichts mit den gestrigen Kunden, der Liebesromane gesucht hat, zutun?“

Sein Spott machte sie wahnsinnig.

Ruckartig drehte sie sich um, so dass ihr langes Haar einen Moment sein Kinn streifte.

„ Nein, dass Sie mich für blöd verkauft haben, hat damit rein gar nichts zu tun. Ich mag keine arroganten, unehrliche Menschen. Aber dafür können Sie bestimmt nichts. In einer Branche, wie der Ihren, braucht man vermutlich solche Eigenschaften, um sich einen Namen zu machen, nicht wahr?“

Wow, runter vom Gas.

Aber sie ignorierte ihr Unterbewusstsein. Mal wieder.

Sie war wütend. Sie war frustriert. Und Adam Wyatt provozierte sie auf eine Art, die ihr ungeheuer gegen den Strich ging.

Eine sexy Nervensäge, bei der man nicht wusste, ob man sie lieber schlagen, oder anknabbern wollte. Wunderbar, das hat mir gefehlt.

Doch anstatt sich umzudrehen und schreiend davon zu rennen, oder wenigstens den Anstand zu haben, einen Schritt zurück zu weichen, grinste er wieder nur und verspottete sie somit aufs Neue.

„ Charme und gutes Aussehen reichen aber auch, um sich in der Geschäftswelt durch zu schlagen.“, raunte er und kam noch einen Schritt auf sie zu, so dass sie mit dem Rücken am Regal stand und es keine Fluchtmöglichkeit mehr gab.

 „Davon hab ich bei Ihnen aber noch nicht viel gesehen.“

Sein Grinsen wurde raubtierhaft. „ Warten Sie´s ab. Wir haben ja alle Zeit der Welt, um uns richtig kennen zu lernen.“

Ich hab meine besten Jahre damit zugebracht, dein Verhalten zu studieren. Fazit: Kein Interesse.

„Wir kennen uns, Wyatt. Und glauben Sie mir, ich suche keine Freundschaft. Schon gar nicht zu Ihnen. Lassen Sie uns in Ruhe arbeiten und provozieren Sie mich nicht. dann wird alles gut.“

Ihre Worte kamen nicht so scharf rüber, wie sie es eigentlich gewollt hatte.

Seine Nähe lenkte sie einfach zu sehr ab.

Seine Augen fixierten die ihren, er hob einen Arm und stütze sich an dem Regal, an dem sie angelehnt  war, ab, so dass sie jetzt zwischen dem hölzernen Kasten und seinem Körper gefangen war.

Rosalie schluckte.

„Damals waren wir noch jung. Kinder.“, murmelte er, wobei sein Blick auf ihren Mund zu haften schien, jedenfalls sah er ihr nicht in die Augen.

Sie versuchte, an ihm vorbei zu kommen, doch vergebens.

„ Ich war schon damals eine Zicke und Sie maßlos arrogant. Wie man sieht, manche Dinge ändern sich eben nie.“, zischte sie und deutete mit der Hand Richtung Tür.

„Würden Sie mich jetzt vorbei lassen, damit ich meine Arbeit machen kann?“

Er tat einen Moment so, als würde er angestrengt über ihren Befehl nachdenken, bevor er sich noch einmal nach vorne beugte, so dass sie glaubte, im nächsten Moment seine Lippen auf ihrem Gesicht zu spüren, bevor er sich abstieß und zur Seite weichte.

„ Natürlich.“, raunte er und grinste vielsagend.

Dieser verdammte, gutaussehende, dumme, sexy Mistkerl!

Er wollte sie nur provozieren, das war auch schon alles.

Cool down, Rosalie.

Ohne sich zu ihm umzudrehen, ging sie auf die andere Seite des Buchladens und nahm sich das nächste Regal vor.

Wischte alles peinlich genau ab und versuchte, nicht auf die näherkommenden Schritte zu hören.

„ Wo ist eigentlich die blonde Frau, die gestern hier gearbeitet hat?“

Von der plötzlichen Frage überrumpelt, brauchte Rosalie ein paar Sekunden, um zu antworten.

Von geraunten, zweideutigen Anspielungen, zu sachlichen Geschäftsfragen. Dieser Mann ist schlimmer, als die Launen einer schwangeren Frau.

„ Amanda? Ich hab ihr frei gegeben.“

„ Wohl besser so, heute scheint sowieso nicht viel anzustehen.“

Obwohl in seiner Stimme dieses Mal kein Spott oder auch nur ein Anflug von Arroganz mit geschwungen hatte, flammte sofort die Wut in Rosalie auf.

 „ Ist ja auch noch früh.“, murmelte Rosalie und schluckte jede weitere Bemerkung.

Ein Schnauben. Aber er sagte nichts.

Noch immer rubbelte und wischte sie das nun schon glänzende Holz ab, räumte dir Bücher wieder zurück und ging dann weiter zum nächsten Regal.

Sie dachte gar nicht daran, sich umzudrehen, um ihn gegenüber zu stehen.

Kein weiteres Mal würde sie es zulassen, dass er sie ablenkte. Nein.

„ Rosalie.“

Ungewollt rann ihr eine Gänsehaut über den Rücken und sie zuckte leicht zusammen.

Verdammt nochmal, beruhig dich. Dass ist nur dein Name! Schon vergessen? Du hörst ihn heute nicht zum ersten Mal!

Stimmte schon, aber aus seinem Mund hörte sich das so… vollkommen unbekannt an. Wie etwas Verbotenes. Etwas Sündhaftes.

Und sie war sich sicher, dass dieser Mistkerl sie mit seiner Stimme so fesselte, dass vermutlich ein Wort wie „ Butterstampfer“ sexy geklungen hätte.

Noch immer drehte sie sich nicht um.

„ Was noch?“, murmelte sie, musste sich jedoch räuspern. Ihre Stimme war, zu ihrem Leidwesen, irgendwie belegt.

„ Drehen Sie sich um.“

Das war keine Bitte. Sondern ein klarer Befehl. Einem Befehl, dem sie weder Beachtung noch Folge leisten würde…

Warum stehst du dann jetzt mit dem Rücken zum Regal und siehst in ein Paar dunkle Augen?!

Innerlich verfluchte sie sich.

Ohne es zu merken hatte Rosalie sich umgedreht und stand jetzt nur zwei oder drei Schritte von Adam Wyatt entfernt.

Sie hob fragend eine Augenbraue, darauf bedacht, dass er nicht bemerkte, wie unglaublich nervös er sie machte.
„ Ich denke, ich sollte etwas klarstellen.“, sagte er und fing ihren Blick auf, bevor er etwas näher kam und dann fortfuhr.

„ Es kommt mir so vor, als hätten Sie einen falschen Eindruck von mir.“

Arroganter, selbstverliebter Weiberheld, der vermutlich nicht wusste, ob er mehr Millionen auf dem Konto, oder Nummern von Frauen auf dem Handy hat.

„ Das glaub ich kaum. Und selbst wenn, was interessiert Sie schon meine Meinung?“, meinte Rosalie und lächelte spöttisch.

Dieses Mal grinste Adam jedoch nicht.

 „ Ihre Meinung ist mir natürlich nicht egal. Tatsächlich setzte ich viel darauf, werden wir demnächst doch eng zusammen arbeiten…“

Sie schnaubte. Konnte nicht anders.

 „ Das hat sich aber vorhin noch anders angehört.“

Mit einer unruhigen Geste fuhr er sich abermals durchs Haar.

„ Dafür entschuldige ich mich. Und grundsätzlich für mein Verhalten, ich denke, Sie haben bisher nur wenige meiner durchaus vorhandenen Vorzüge zu sehen bekommen.“

Dein einziger bisher ersichtlicher Vorzug ist dein Aussehen.

Stattdessen nickte sie einfach nur.

„ Ich weiß, dass Sie denken, ich sei ein eingebildeter Möchtegern, der noch nie in seinem Leben hart gearbeitet hat und mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen ist.“

Genau das hatte sie gedacht.

Doch diese Tatsache so sachlich aus seinem Mund zu hören, war für Rosalie ziemlich unangenehm- auch wenn keinerlei Vorwurf oder Gekränktheit in seiner Stimme zu hören gewesen war.

„ Es steht mir nicht zu, mir ein Urteil über Sie zu fällen…“, wollte Rosalie abwiegeln, doch Wyatt ließ das nicht zu.

„ Ich wollte Ihnen nur versichern, dass Sie von mir nichts zu befürchten haben. Weder werde ich gegen Ihren Willen handeln, noch sonst etwas mit ihrem Laden machen, dass Sie nicht wollen.“

Schöne Worte. Wären sie nicht ausgerechnet aus deinem Mund gekommen.

Rosalie hob spöttisch die Augenbrauen, woraufhin Adam grinste.

„ Sie vertrauen mir noch immer nicht, stimmt´s?“

Daraufhin zuckte sie nur mit den Schultern. „ Ich vertraue nicht so schnell.“

„ Ich liebe Herausforderungen.“, murmelte er und fixierte sie wieder mit seinem Blick, bevor er einen Schritt auf sie zuging.

Jetzt fiel ihr erst richtig auf, wie groß er eigentlich war.

Mit eins neunundsechzig war sie nicht unbedingt klein, aber er überragte sie trotzdem um einen ganzen Kopf.

Würde sie ihren Kopf etwas nach vorne beugen, würde sie sein Kinn in ihrem Haaren haben.

Als ihr bewusst wurde, wie nah er ihr war, wurde ihr warm und die Röte schoss ihr ins Gesicht.

Verdammter Körper. Würdest du dich bitte zusammenreißen?!

Sofort wich Rosalie zurück und sorgte für etwas Abstand.

„ Ich muss jetzt weiterarbeiten.“

Grinsend richtete er sich auf und verschränkte seine Hände hinter seinem Rücken.

„ Gut, ich habe ebenfalls noch einen Termin. Dann sehen wir uns ja morgen.“

Welche Freude.

Sie nickte und drehte sich wieder um.

Sobald Adam Wyatt ihren Laden verlassen hatte, seufzte sie erleichtert auf.

Er nahm ihr einfach zu viel Raum, um sich noch anständig verhalten zu können.

Derweil wusste sie doch, worauf sie sich da einließ.

Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und hoffte, der  hypnotisierende, raue Klang seiner Stimme würde ihr nicht den Rest des Tages im Kopf rumspuken.

 

 

Mit mehr Geschwindigkeit, als ihm eigentlich erlaubt war, fuhr er durch die Straßen New Yorks.

Braune Haare. Grüne Augen. Loses Mundwerk.

Gott, es war ihm so verdammt schwer gefallen, sich ihr nicht zu nähern!

Als er in den Laden gekommen war und sie gesehen hatte, wie sie singend durch den Raum getanzt war, vollkommen versunken in der Musik, die lautstark aus dem Radio zu hören war.

Er war gefesselt von ihren anmutigen Bewegungen, die sich perfekt dem Takt anpassten und ehrlich gesagt auch etwas… verwundert.

Wenn er daran dachte, wie tollpatschig und ungelenk sie sich früher angestellt hatte...

Sie schaffte es sogar, in dem verfluchten Jeans toll auszusehen und sich zu bewegen, als stünde sie auf einer großen Tanzfläche und nicht in einem leeren Buchladen.

Nachdem er sie einige Zeit beobachtet hatte, machte er dann aber doch auf sich aufmerksam.

Sie zuckte zusammen und lief rot an.

Das folgende Gespräch war wohl eines der Komischsten, die Adam je geführt hatte.

Und ich bin Geschäftsmann. Unternehmer. Mein Beruf ist es, unnötige Gespräche, mit unnötigen Menschen über unnötige Themen zu sprechen, die zu unnötigen Investitionen, für unnötige Zwecke führen.

Kopfschüttelnd trat er aufs Gas.

 Und das Schlimmste daran war, dass er eigentlich kein Wort wirklich wahrnahm, dass sie sagte. Oder besser schimpfte.

Nein, stattdessen haftete sein Blick auf ihren Lippen.

Volle, rote Lippen, die genau richtig dazu waren, um hineinzubeißen. Nicht fest.

Nur gerade so, dass sie es spürte.

Einerseits versuchte er also, dem Gespräch zu folgen, andererseits versuchte er, sich nicht anmerken zu lassen, welche Gedanken ihn wirklich beschäftigten.

Was ihm ja auch ganz gut gelang.

Oh ja, darum hast du sie ja auch zum Regal gedrängt und sie praktisch mit deinem Körper erdrückt.

Andererseits hat sie ja auch nichts dagegen unternommen, dass er ihr näher gekommen war…

Dein Glück, dass sie kein Pfefferspray in der Nähe hatte. Oder einen Elektroschocker. Für dieses Gerät fände sie sicher einige wunderbare Stellen…

Als sie ihn bat, oder besser gesagt ihm befahl, zur Seite zu gehen, zögerte er erst und ließ sich dann ganz bewusst nach vorne sinken, bevor er zur Seite ging.

Sie tat nichts, bewegte sich kaum. Als wäre sie erstarrt.

Hatte sie gewollt, dass er sie küsste? Hätte er sie küssen sollen?

Klar, damit du gleich am ersten Arbeitstag einen Tritt in die Eier von ihr und einen Schlag ins Gesicht von ihrem Bruder kassierst.

Er verzog das Gesicht.

Adam versuchte, sich auf den Verkehr zu konzentrieren, was ihm aber leider reichlich schwer fiel, waren seine Gedanken doch gefüllt mit den temperamentvollen, launischen Bemerkungen und Antworten von Rosalie Carter.

„ Meinen Sie Stripp-Clubs?“

Ein Grinsen entkam ihm.

Wie konnte es sein, dass sie immer vom Schlimmsten ausging?

Liegt vielleicht an dir. Oder deiner Art. Möglicherweise aber auch, weil ihr aufgefallen ist, dass du sie ansiehst, als wäre sie ein Sahnedessert.

Kopfschüttelnd überholte er den schwarzen Audi vor ihm und erhöhte das Tempo nochmals.

Das war doch Blödsinn, immerhin war er ein erwachsener Mann und sie war nicht die erste Frau, die er attraktiv fand…

Gib es zu. Dir fielen einige interessante Körperstellen für Schlagsahne ein…

Bei der Vorstellung wäre ihm beinahe das Lenkrad aus den Händen gerutscht.

Schluss jetzt mit Schlagsahne. Oder Erdbeeren. Oder irgendetwas, das dich auf dumme Ideen bringt…

Als er den abzweigenden Weg sah, der links von der Straße war, durchflutete ihn beinahe so etwas wie Erleichterung.

Die Gedanken eher bei einer schönen Frau, als beim Straßenverkehr zu haben, schien ihm nicht gerade ratsam.

Also verlangsamte er sein Tempo und bog in die Straße ein.

Nach und nach wurden die Häuser weniger und leere Landschaft kam zum Vorschein.

Adam verstand nicht, was seine Eltern daran fanden, so abgeschieden vom Rest der Stadt zu leben.

Ungefähr fünf Kilometer weiter sah er es dann: Graues, zweistöckiges Haus, großes Grundstück, dementsprechend auch ein riesiger Garten,

Im hinteren Teil war ein Pavillon.

Er parkte sein Auto in der großen Auffahrt und stieg aus. Sofort roch er die Blumen, die das Grundstück praktisch umzingelten.

„ Adam!“, rief jemand hinter ihm und er dreht sich grinsend um.

Seine Mutter stand- mit einem Sonnenhut und einer Schaufel in der Hand ein ganzes Stück hinter ihm, bei den Beeten neben dem Pavillon und winkte ihm zu.

Adam ging auf sie zu und drückte ihr, als er vor ihr stand, einen Kuss auf die Wange.

„ Hey, Mum.“, begrüßte er sie. „ Was machst du da?“

Sie rückte ihre zu großwirkende Sonnenbrille zurecht und grinste schelmisch.

„ Ich setzte neue Blumen an.“

Adam lachte und warf einen Blick durch den Garten.

„ Denkst du nicht, dass wir langsam genug von dem Zeug haben?“

Ein unglaubwürdiges Schnauben.

„ Du dürftest schon wissen, dass man davon nie genug haben kann, mein Junge.“

Er nickte grinsend. „ Ist Dad zu Hause?“

„ Nein, er ist in der Stadt. Brauchst du etwas von ihm?“

Seine Mutter bückte sich und hob die Schaufel wieder auf, um gleich darauf ein kleines Loch zu schaufeln.

„ Nein, eigentlich wollte ich euch nur etwas erzählen. Können wir uns kurz setzen?“

Seine Mutter stand hastig auf. „ Aber sicher, komm, gehen wir zum Pavillon, dort trinkst du dann ein Glas Limonade, du siehst ganz aufgewühlt aus. Möchtest du auch ein Stück Kuchen? Ich glaube wir…“

Typisch Mutter. Kaum hast du sie besucht, wiegst du fünf Kilo mehr.

Er ließ seine Mutter die vielen kulinarischen Möglichkeiten, die sie ihm bieten konnte, aufzählen und ging neben ihr zu dem kleinen Häuschen das in ihrem Garten war.

Dabei fiel sein Blick auf einer der gelben Sonnenliegen, die im Garten standen.

Schon bevor er den roten Stoff eines Bikinis und den Ansatz schwarzer Haare sah, wusste er, wer da lag.

Er deutete seiner Mutter, leise zu sein, wobei seine kleine Schwester wegen den Kopfhörern in ihren Ohren vermutlich sowieso nichts hörte.

Dann nahm er die Gießkanne, die neben dem Pavillon stand. Zu seinem Glück war sie über und über mit Wasser gefüllt.

Er schlich sich hinter seine Schwester, hob die Gießkanne und goss einen Großteil des frischen Wassers auf seine jüngere Schwester.

„ Nicht, Adam!“, zischte seine Mutter.

Doch es war zu spät.

Mit einem spitzen Schrei zuckte Jamie zusammen und schrak hoch.

Ihr Gesicht war vor Wut gerötet und sie schüttelte sich wie ein Hund.

„ Du Arschloch!“, zischte Jamie während sie nach ihrem Handtuch, dass auf der Liege lag, griff.

Aber Adam ließ sich nicht von ihr einschüchtern, sondern grinste nur.

„ Aber, aber. Ich wollte dir doch nur helfen, dich etwas abkühlen…“

„ Ich werde dich umbringen, Adam.“, drohte seine Schwester und wollte gerade auf ihn zustürmen, doch da ging auch schon ihre Mutter dazwischen und seufzte.

„ Himmel nochmal, Adam. Du bist achtundzwanzig. Ein erwachsener Mann…“

„ Ein erwachsener, bald toter Mann.“, zischte die durchnässte Jamie und kniff die Augen zusammen.

„ Reg dich nicht so auf, leg dich einfach in die Sonne. Wozu hast du denn einen Bikini an. So was zieht man zum Schwimmen an.“, meinte Adam und grinste.

„ Jamie, leg dich wieder hin, Adam, geh zum Pavillon, ich hole nur schnell etwas zu trinken. Denkt ihr, ich kann euch alleine lassen, ohne dass ihr ins Schulalter zurückfallt und euch gegenseitig wahnsinnig macht?“

„ Ja, Mum.“, sagten die beiden im Chor, wobei sie sich feindselig anfunkelten.

Sie ging zum Haus und verschwand darin.

Adam wandte sich seiner Schwester zu. Er hatte sie schon eine Weile nicht mehr gesehen. Einen guten Monat.

War sie gewachsen? Hatte sie abgenommen?

Jamie und er sahen sich ziemlich ähnlich-trotz den elf Jahren Altersunterschied.

Sie hatten beide ziemlich dunkle Haare und braune Augen. Das Aussehen war aber auch schon alles, was sie gemein hatten.

Eine weitere Tatsache, die Adam ungemein störte, war, dass Jamie es so verdammt eilig hatte, erwachsen zu werden.

Vor ein paar Jahren waren  Barbies ihr ganzer Lebensinhalt, jetzt will sie auf Konzerten, spielt E-Gitarre und hat jede Woche wegen eines anderen Typen Liebeskummer.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sein Bruder-Herz unter dieser Belastung schlapp machen würde.

„ Was machst du überhaupt hier? Hast du was ausgefressen?“, meinte Jamie- ihre Wut anscheinend schon vergessen- und grinste.

Adam kniff seine Augen zusammen und rubbelte ihr durchs schwarze, feuchte Haar.

„ Hey!“, rief sie.

„ Kleine Spinnerin. Vielleicht wollte ich dein Pickelgesicht sehen, mhm?“

Sie kniff ihn daraufhin in die Seite und streckte ihm die Zunge raus.

„ Außerdem bist du hier das siebzehnjährige Gör. Wenn jemand was ausfrisst von uns, dann ja wohl du. Aua!“

Das Biest hat mich gebissen.

Bevor er sich seine jüngere- und für seinen Geschmack viel zu lebensmüde Schwester vornehmen konnte, kam seine Mutter zurück und sah die Beiden vorwurfsvoll an, sagte aber nichts.

Das Tablett, mit den Gläsern und der Limonade nahm Adam ihr ab und trug es in den Pavillon.

Dann setzten sie sich. Erwartungsgemäß wich auch Jamie nicht von seiner Seite.

Neugierig, Schwesterlein?!

„ Sag schon, was du gemacht hast, Adam.“, sagte seine Mutter und schenkte jedem ein Glas ein.

„ Warum erwarten eigentlich alle, dass ich etwas angestellt habe? Ich bin keine siebzehn mehr.“, fügte er mit einem giftigen Blick in Richtung seiner Schwester hinzu.“

 „ Diesen Blick kenne ich noch von damals, als du deiner Schwester mit wasserfesten Stiften Blumen und Schmetterlinge auf das weiße Taufkleid gemalt hast, oder als du mit vierzehn mit deinem Fußball nicht nur eine, sondern gleich beide Seitenfenster des neuen Wagens deines Vaters eingeschlagen hast. Also, was ist los?“

Bei den Erinnerungen an seine frühsten Satansbraten-Aktionen musste er unwillkürlich grinsen.

„ Ich wette er hat eine seiner Tussen geschwängert.“, murmelte Jamie und trank grinsend einen Schluck von der Limonade.

„ Grund Gütiger!“; rief seine Mutter und fasste sich an die Brust.

Danke Schwesterchen, warte nur, bis du mir deinen ersten Freund nachhause bringst…

„ Es ist nichts der Gleichen, kein Grund zur Sorge.“

Seine Mutter seufzte deutlich erleichtert auf.

„ Ich hab mir nur einen Buchladen gekauft.“, sagte Adam und trank von seiner Limo.

„ Wie bitte?“, rief seine Mutter.

„ Ein Buchladen?“, fragte Jamie und grinste.

So sieht wahre Begeisterung aus.

„Ja. Ihr erinnert euch an Samuel Carter?“

Beide nickten.

„ Ja, natürlich. Damals warst du mit ihm in der Schule…“, meinte seine Mutter und strich sich durchs Haar.

„ Richtig. Nun ja, er ist mein Finanzberater und vor einigen Tagen trafen wir uns und ich erzählte ihm davon, dass ich nach einer neuen Investitionsmöglichkeiten suche…“

„ Warum rettest du dann nicht aussterbende Pandas in China? Oder verhungernde Straßenkinder in Afrika?“

Du kleine Wohltäterin, bist mir wirklich keine Hilfe…

„ Alles wunderbare Ideen, Jamie, aber ich wollte mich intensiv daran beteiligen, mich einbringen, eine neue…“

„ Herausforderung suchen.“, beendete seine Mutter den Satz und verdrehte ihre Augen.

„ Adam, ohne gemein sein zu wollen… ich bin mir noch nicht mal sicher, ob du überhaupt lesen kannst. Wie willst du da in einem Buchladen arbeiten?“, fragte seine Schwester unglaubwürdig, mit spöttisch hoch gezogener Augenbraue.

Wie kommst du darauf, dass ich das als Beleidigung aufnehmen würde, du Engel?

„ Schon klar, ich hab nicht viel mit Büchern zutun…“

„ Außer Comics und diesen Schundmagazinen hast du nichts gelesen, Junge.“, warf ihm seine Mutter vor.

Schundmagazine?

„ Das war der Playboy, Mum.“

Mit einer raschen Handbewegung wiegelte sie seine Ausrede ab. „ Trotzdem. Und auch von Literatur hast du keine Ahnung. Oder Interesse.“

Adam stöhnte genervt auf. „ das weiß ich doch alles, Mum. Aber ich wollte was Neues versuchen.“

„ Schön und gut, aber deswegen kaufst du Samuel gleich seinen Buchladen ab?“

Adam schwieg einen Moment. Wie erklärte er seiner Mutter, dass es hier gar nicht um seinen besten Freund, sondern um die schöne Schwester von Samuel ging?

Aber diese Entscheidung wurde ihm kurzerhand von seiner Schwester, die auf einmal wissend grinste, abgenommen.

„ Wer ist sie?“, fragte Jamie und lehnte sich zurück.

Mist!

„ Wen meinst du?“ Seine Mutter sah zwischen ihren beiden Kindern hin und her.

„ Die Frau, für die Adam diesen Zirkus veranstaltet. Ich wette, sie ist eine Augenweide. Toller Hintern, große Br…“

Doch Adam unterbrach sie. „ Jamie!“, zischte er und trat sie unter dem Tisch.

Sie verzog hingegen keine Miene.

„ Hör auf, uns für blöd verkaufen zu wollen. Wer ist die Frau, deren Laden du gekauft hast?“

„ Aufgekauft.“, murmelte Adam.

„ Was?“

„ Er gehört mir nicht, ich hab nur fünfzig Prozent davon gekauft.“

Seine Schwester kniff ihre Augen zusammen und funkelte ihn an. „ Mir egal. Sag schon, wem gehört der Buchladen?“

Als er sah, dass ihm gar nichts anders übrig blieb, als seiner Schwester die Wahrheit zu sagen, seufzte er genervt auf.

„ Sie ist die jüngere Schwester von Samuel. Rosalie Carter.“

Der Name konnte Jamie zwar nichts sagen, aber seine Mutter lächelte auf.

„ Ein wunderbares Mädchen damals. Klug, zuvorkommend…Sie hat öfters auf das Haus aufgepasst, wenn wir nicht zuhause waren.“

Wie bitte? Du vergisst nervig, laut, zickig, unausstehlich…

„… und ich wette, inzwischen ist sie zu einer wunderbaren Frau geworden.“

Eine wunderbare Frau, die zur Not mit Büchern um sich werfen würde und gerne zu Beyoncé tanzte.

„ Und sie muss gut aussehen. Ansonsten würde Adam sich ja wohl kaum für sie interessieren.“, murmelte Jamie und grinste.

„ Was denkst du von mir? Dass ich jedem kurzem Rock nachsteige, der an mir vorbei rennt?“, murmelte Adam und trank grinsend sein Glas leer.

 Seine Schwester lächelte schelmisch und strich sich das rabenschwarze Haar zurück.

„ Ja. Ich denke, dass du alles, was nicht bei drei auf den Baum ist, fi…“

„ Das reicht jetzt, Himmel nochmal.“, rief ihre Mutter aufgeregt.

„ Du hast also einen Buchladen zur Hälfte aufgekauft. Den Buchladen, der der Schwester deines guten Freundes ist- ob sie hübsch ist, sei dahingestellt…ist das richtig soweit?“

Adam war vorsichtig. Diesen trügerisch sanften Tonfall seiner Mutter kannte er noch von früher. Das war die sogenannte Ruhe vor dem Sturm.

Er nickte, sagte aber nichts.

„ Und was soll dann aus der Firma werden? Hast du daran auch gedacht?“

Er seufzte. Die alte Leier als wieder.

„ „ Mum, zum millionsten Mal, es gibt genug Leute, die sich um das Unternehmen kümmern und glaub mir, wenn man nicht regelmäßig meine Unterschrift dort benötigen würde, wäre ich total überflüssig. Ich möchte mich an etwas beteiligen, dass mich wirklich interessiert.“

Seine Mutter verdrehte die Augen und seufzte.

„ Ist ja schon gut. Aber ich will nicht, dass du die Firma, vernachlässigst. Wenn man sich zu etwas verpflichtet, steht man auch dazu.“

„ Das weiß ich doch alles, Mum.“

Sie klatschte zufrieden in die Hände und stand auf. „ In Ordnung, dann versuchst du es eben mit einem Buchladen. Wenn du daran Spaß findest…“

Oh ja, es wird toll, zusammen mit einer schönen Nervensäge Bücher einzuräumen und über Christine Feehans neueste Werke zu diskutieren.

„ Den werde ich haben, keine Sorge.“, meinte er und grinste verschwörerisch.

7

7

 

 

„ Entschuldigung, ist hier noch ein Platz frei?“

Rosalie schob ihr Haar ungeduldig zurück und seufzte genervt auf.

Nicht nur, dass sie den Wecker überhört hatte und ihre Mitbewohnerin viel zu lange im Bad gebraucht hatte, jetzt hätte sie um ein Haar diese wichtige Vorlesung verpasst.

Sie richtete sich auf, damit sie demjenigen, der sie dabei störte, ihre Bücher aus dem Rucksack zunehmen, mit einem Nicken zu bedeuten, dass er sich neben sie setzen konnte und still sein sollte.

Doch dazu kam sie nicht.

Ein junger, brünetter Mann, mit stechend blauen Augen und einer schwarzen Arbeitstasche um die Schulter hängend stand vor ihr und lächelte sie an.

Ihr blieb der Mund offen stehen und sie vergaß, was sie sagen wollte.

Als der Mann aber zögernd die Augenbrauen hob, schluckte sie und rückte ihre Brille zurecht.

„ Sicher.“, krächzte sie und lief daraufhin rot an.

„ Danke. Beinahe hätte ich den Saal nicht gefunden, daher komm ich erst so spät.“, meinte er und lächelte wieder.

Das Lächeln hatte sie sofort im Griff, machte sie irgendwie zufrieden, so als wäre es eine große Ehre, von diesem Typen, von dem sie nicht mehr wusste, als dass er sich anscheinend für Literatur im späten Mittelalter- das Thema dieser Vorlesung- interessierte, angelächelt zu werden.

Die ganze Stunde über fragte sie sich, wie sie mit ihm ins Gespräch kommen könnte, aber immer wieder vielen ihr nur blöde Ideen ein, für die sie schlussendlich doch zu feige war.

Als die Vorlesung dann zu Ende war, war sie beinahe enttäuscht. Eilig stand sie auf und flüchtete aus den Raum.

Doch bevor sie weit kam, wurde sie sanft an der Schulter berührt.

Hinter ihr stand der Mann, der neben ihr gesessen hatte. Mit ihren Büchern in der Hand.

„ Die haben Sie im Saal vergessen.“

„ Oh! Vielen Dank! Ohne die hätte ich morgen wohl schwer die Klausur bestanden.“, murmelte sie und lächelte nervös.

Daraufhin grinste er und sie unterhielten sich etwas über die Professoren und ihre Studienfächer.

Er stellte sich als James Smith vor und fragte sie kurzerhand, ob sie nicht Lust hätte, vielleicht einmal gemeinsam zu lernen. Natürlich sagte sie zu.

Rosalie lächelte und gab ihm ihre Nummer…

 

 

Rosalie schrak auf, als sie das Telefon läuten hörte.

Kopfschüttelnd ging sie, immer noch gefangen von der Vergangenheit, die sie mal wieder eingeholt hatte, an ihr Handy.

„ Ja?“

„ Rose, wo bist du gerade?“, hörte sie die gehetzt klingende Stimme ihrer Schwägerin.

„ Ich bin im Laden. Was gibt’s, Beth?“

„ Könntest du vielleicht die Mädchen nehmen? Nur für eine Stunde! Ich hab einen wichtigen Termin bei meinem ehemaligen Chef, wegen der Wiedereinstellung und danach müsste ich noch kurz in die Stadt und wegen der kaputten Waschmaschine nachfragen. Du weißt ja, wie anstrengend die beiden sein können, wenn sie sich langweilen und…“

„ Beth! Ganz ruhig! Bring Ava und Lorie vorbei, das ist schon in Ordnung.“

Sie hörte ein erleichtertes Seufzen. „ Wunderbar. Und das macht dir wirklich nichts aus?“

Rosalie lächelte. „ Nein, gar nicht. Ich freu mich, wenn ich die Beiden sehe.“

„ Großartig, vielen Dank! Ich bring sie dir in einer halben Stunde vorbei, ok?“

„ Sicher.“

Elisabeth legte auf und Rosalie lehnte sich lächelnd gegen den Rezeptionstisch.

Sei freute sich auf ihre Nichten, so kam zumindest etwas Abwechslung und vor allem etwas Leben in ihren Laden.

Amanda hatte sie, aufgrund der Umstände neuerdings, die restliche Woche freigegeben.

Also waren Ava, Lorie und sie heute unter sich und…

Was machst du mit deinem Geschäftspartner? Der wird sich freuen, zwei kleine, noch dazu laute Kinder inmitten seiner neuen Investition zu sehen…

Trotzig hob sie das Kinn.

Na und? Konnte ihr doch egal sein, was er davon hielt.

Sollten sich doch noch Kunden hierher verirren, würde es sie sicher nicht stören, wenn zwei Kinder hier waren.

Bei diesem Idioten, der das Feingefühl eines Rindviehs besaß, konnte man sich nicht sicher sein…

Stirnrunzelnd ging sie zu der Leseecke und suchte schon mal ein paar Kinderbücher heraus.

Vielleicht täuschte sie ja auch der erste, oder besser gesagt erneuerte Eindruck von Adam Wyatt.

Natürlich, Rose. Bei James dachtest du auch, er würde dir die verdammten Sterne vom Himmel holen. Und was hat er gemacht? Leere Bierflaschen nach dir geworfen. Hör auf, zu träumen.

Mit viel Mühe verdrängte sie jeden weiteren Gedanken an ihre Vergangenheit und suchte die Lieblingsgeschichten ihrer Nichten heraus.

Wo, zum Teufel, ist das Buch, in dem der blöde Frosch zum Prinzen wird?

Gerade als sie fertig wurde, alles für den „ Besuch“ herzurichten, wurde die Eingangstür des Ladens geöffnet.

Schon bevor sie den blonden Lockenkopf ihrer Schwägerin und die kleinen Monster sah, konnte sie schon am Lärm hören, der sofort den ganzen Raum erfüllte.

„ Lorie will, Lorie will!“, hörte sie das Gejammer ihrer jüngsten Nichte, während sie versuchte, ihrer großen Schwester den Lutscher aus der Hand zu reißen.

„ Jetzt ist aber Schluss!“; schimpfte Elisabeth und lächelte Rosalie an, bevor sie die Augen verdrehte.

„ Hey, Rose!“

„ Hallo Beth. Wie geht’s?“, fragte Rosalie ihre Schwägerin, während diese ihre beiden Töchter absetzte.

Während Ava sich nicht einen Moment davon abhalten ließ, ihren Lutscher zu genießen, quengelte Lorie und zog einen Schmollmund.

„ Die beiden sind heute etwas launisch, fürchte ich.“

 „ Keine Sorge, ich pass ja nicht das erste Mal auf die kleinen Monster auf.“

Rosalie kniete sich hin und strich Lorie über die dunkelbraunen Locken.

„ Na, meine Süße, was ist los?“

Immer noch schniefte die Kleine, zog ihr Näschen nach oben und sah immer wieder beleidigt zu ihrer Schwester.

„ Will auch, will auch!", rief sie und deutete mit dem Zeigefinger zu Ava, die sogleich ihren Lutscher in Sicherheit brachte.

Rosalie lachte, stand auf und ging zur Rezeption. Dort hatte sie einen kleinen Vorrat an Süßigkeiten angelegt.

„ Hier, Mäuschen. Erdbeere, die magst du doch, nicht?“, murmelte Rosalie und gab Lorie den Lutscher, welchen sie sofort an sich riss und vor Freude auf und ab sprang.

Kopfschüttelnd kniete sich auch Beth hin und gab jeder ihrer Töchter einen Kuss auf die Wange.

 „Mumie ist bald wieder da, seit brav, in Ordnung?“

Doch die beiden waren zu beschäftigt, als dass sie sich groß darum kümmerten, wo ihre Mutter hinwollte.

„ Falls irgendetwas ist, egal was, ruf mich einfach am Handy an, ich hab es mit, ok?“

Mensch Beth, ich pass schon auf deine Mädels auf. Ich werde ihnen nicht aus „ Shades of Grey“ vorlesen und auch gib ich den beiden keine Heavy Metal Musik zu hören.

„ Jetzt geh schon, wir kommen klar.“, meinte Rosalie und lächelte ihrer Schwägerin aufmuntern zu.

Diese nickte und verließ den Laden, drehte sich vorher jedoch nochmal um und runzelte die Stirn.

„ Ich hab gehört, Sam war gestern noch bei dir.“

Sofort verdüsterte sich ihr Gesichtsausdruck.

Nachdem Adam Wyatt endlich gegangen war, war wenig später auch noch Samuel, mit dem verdammten Vertrag gekommen.

Sie hatte ihn sich eilig durchgelesen und war mehr oder weniger damit einverstanden.

Mehr oder weniger? Du hast doch keine andere Wahl, als zu allem Amen zu sagen!

„ Ja. Hat mir den Vertrag vorbeigebracht.“, murmelte Rosalie und stand wieder auf.

„ Rose, wenn du dich erst damit abgefunden hast, wirst du sehen, dass Adam kein schlechter Typ ist, wirklich.“

Beth, er könnte Mutter Teresa, Gandhi und Michael Jackson in einer Person sein. Ich will niemanden in meinem Laden haben, außer vielleicht zahlende Kunden!

Doch stattdessen nickte sie und lächelte, wenn auch verbissen.

Ihr Plan ging auf und nach einem letzten, zögernden Blick auf ihre Mädels, die immer noch mit dem süßen Zeug beschäftigt waren, ging sie.

„ So, ihr zwei, was machen wir heute, hm?“

Sie hob ihre jüngere Nichte hoch und brachte sie zur Leseecke, dort hatte sie sowohl einige Spielsachen, als auch Kinderbücher auf dem Tisch für die beiden.

Ava folgte ihnen und fischte  sich eine kleine Puppe aus der Schachtel mit dem Spielzeug, während Lorie sich ein Malbuch nahm.

„ Stift, Stift…“, jammerte sie und hüpfte auf und ab. Rosalie lächelte und holte ein paar bunte Farbstifte.

Sofort fing ihre Nichte eifrig damit an, zu malen.

Die weibliche Picasso ist geboren worden.

Ava und Lorie waren so beschäftigt, dass Rosalie kurzerhand beschloss, noch die restliche Arbeit, die im Lager zu erledigen war, zu machen.

„ Ihr Süßen, ich bin gleich wieder da, ok? Tante Rosie muss nur noch etwas arbeiten.“

Keines der Mädchen gab einen Laut von sich sondern spielte einfach weiter.

Während Ava ihrer Puppe die Haare frisierte, kritzelte Lorie in dem Malbuch herum.

Rosalie stand auf und verschwand im Lager, wo noch mindestens zwei schwere Kartons darauf warteten, ausgeräumt zu werden.

 

 

„ Meins, meins!“, war das Erste, dass Adam hörte, als er den Buchladen betrat.

Zuerst sah er niemanden, doch als er genauer hinsah, bemerkte er, dass sich im hinteren Teil des Ladens- in der Leseecke- zwei kleine Mädchen befanden.

Um sie nicht zu erschrecken, schloss er möglichst leise die Tür.

Waren die Beiden etwa Töchter von Kundinnen? Aber das schloss er eigentlich aus, schließlich sah er niemanden anders.

Und auch Rosalie hatte er noch nicht entdeckt.

Er ging auf die Mädchen zu und erkannte, dass sie sich wohl um ein Spielzeug, oder Ähnliches stritten.

Eine der beiden, er schätzte das Mädchen auf ungefähr fünf Jahre hielt eine Puppe drohend in der Hand, so als wollte sie sie dem anderen Kind auf den Kopf schlagen.

„ Hey, ihr beiden.“, sagte Adam ruhig und lächelte.

Die Mädchen schauten auf, wichen aber nicht zurück, woraus er schloss, dass sie sich nicht fürchteten.

„ Seit ihr etwa alleine hier?“

„ Tante Rosie!“, rief die Ältere darauf hin laut.

Tante Rosie? Wie bitte?

Das waren doch wohl nicht etwa…

„ Was machen Sie mit meinen Nichten?“, zischte Rosalie scharf.

Adam sah gerade noch, wie sie mit den Händen in den Hüften gestemmt vor der Tür zum Lager stand und im nächsten Moment war sie bei den beiden Mädchen und hob die Kleinere von beiden auf ihre Arme.

„ Gar nichts. Ich hab mir nur Sorgen gemacht, weil sie hier alleine herumspielen.“

„ Ich kümmere mich schon um meine Nichten.“

Das klang beleidigt.  Und stur. Beides irgendwie.

„ Das war kein Vorwurf, ich wollte mir nur sicher sein. Immerhin hab ich sie nicht gleich gesehen und naja…“

Er ließ den Satz unbeendet.

Rosalie nickte zögerlich, so als glaube sie ihm nicht ganz und ließ ihre Nichte, die wieder zu quengeln angefangen hatte, runter.

„ Sind das etwa Sams Kinder?“, fragte Adam erstaunt.

Das letzte Mal hatte er die Beiden gesehen, da war die Jüngste gerade auf die Welt gekommen.

„ Ja. Sie kennen die beiden?“

Adam nickte und lächelte, als Ava und ihre jüngere Schwester sich abermals um ein Spielzeug stritten.

„ Natürlich, Samuel und ich verbringen auch privat hin und wieder etwas Zeit miteinander. Aber sie sind ziemlich gewachsen, seit ich sie das letzte Mal gesehen hab.“

„ Das sind sie wirklich, mir kommt es so vor, als würden sie von Mal zu Mal größer.“

War das ein Lächeln?

Halleluja, die Eisprinzessin kann auch Lachen!

Adam versuchte, sich zusammen zu reißen und sich nichts anmerken zu lassen.

Plötzlich packte Ava die Puppe und fing an, auf ihre jüngere Schwester ein zu schlagen, nicht fest, aber doch hart genug, damit die Kleine sofort hysterisch zu weinen und schreien begann.

„ Ava! Hör sofort damit auf, Lorie zu hauen!“, rief Rosalie und ging zwischen die Fronten, wobei sie selbst einen Schlag abbekam.

Sie nahm den Beiden ihre Waffen weg und versuchte, Lorie zu beruhigen.

Währenddessen sah sie – wider Erwarten- entschuldigend zu Adam.

„ Die beiden sind recht stur, darum streiten sie auch ziemlich oft.“

Er grinste. „ Liegt wohl in der Familie, nicht?“

Sie verzog das Gesicht, grinste dann aber zu seiner Überraschung.

Entweder sie hat heute eine ganze Familienpackung Marihuana geraucht, oder sie hat einen verdammt guten Tag.

Just in diesen Moment hörte man ein Läuten und Rosalie seufzte leise auf.

„ Einen Moment, bitte.“, murmelte sie in Richtung Adam und ging dann hinter die Rezeption.

Sie hob ab und runzelte die Stirn.

„ Sam, was…? Hey, ganz ruhig, ich versteh kein Wort, wenn du…“

Einen Moment war es still.

„ Ich kann nicht weg… Ja, ich weiß, dass Beth auch nicht kann, aber wo denkst du, hat sie eure Kinder gelassen, hm?“

Es war wieder kurz ruhig, bevor Rosalie die Augen verdrehte und seufzte.

„ Amanda ist nicht hier, Sam…nein, ich hab ihr freigegeben, der einzige der noch hier ist…“, sagte sie, stoppte dann aber und sah zu Adam.

„ Ja. Wyatt. Bist du dir sicher? Aber… na gut, na gut! Ich bin in fünf Minuten da. Ja, in Ordnung. Bis gleich!“

Rosalie legte auf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

„ Probleme?“, fragte Adam, so als hätte er nichts von dem Gespräch mitbekommen.

„ Samuel möchte, dass ich zum Haus fahre, ihm wichtige Unterlagen besorge und in die Kanzlei bringe.“

Er hob eine Augenbraue. „ Warum kann er sich diese Unterlagen nicht selbst holen?“

„ Er kann nicht weg, steckt wohl mitten in einer wichtigen Besprechung und da kann er nicht mittendrin kurz nach Hause fahren und die Papiere holen.“

„ Und jetzt sollen Sie das für ihn erledigen?“

Sie nickte knapp. „ Hören Sie, ich werde die Kinder einfach mitnehmen, ich weiß, dass das jetzt kein gutes Bild bezüglich des Ladens macht und so weiter, aber Samuel hat sich wirklich dringend angehört und ich bin ja bald wieder da.“

Dachte sie etwa, dass er es missbilligen würde, wenn sie den Laden allein ließ, um ihren Bruder zu helfen?

Schätzchen, ich bin vielleicht kein Heiliger, aber so ein Arschloch bin ich dann auch wieder nicht.

Er grinste. „ Ms. Carter, machen Sie sich keine Gedanken darüber. Wenn Sie wollen, können sie die Kleinen auch hier lassen.“

Sie machte den Mund auf, aber…sagte nichts. Sie war sprachlos. Rosalie Carter, dass starrsinnigste und zickigste Ding, dass er seit langem gesehen hatte, war sprachlos.

Punkt für mich!
„ Das kann ich nicht, ich meine, nichts für ungut, aber… meine Nichten kennen Sie nicht und… naja, können Sie überhaupt mit Kindern umgehen?“

Gib ihnen Süßigkeiten und du bist ihr bester Freund.

„ Naja, ich hab selbst eine jüngere Schwester und mit der komm ich ziemlich gut aus.“

Vergleichst du gerade deine siebzehnjährige, zickige Teeny -Schwester, mit Kleinkindern, die sich nicht mal selbst die Schuhe zu binden können?!
Rosalie sah auf und…lächelte. Schon wieder. Zum zweiten Mal innerhalb eines Tages.

Tauen wir etwa langsam auf, Eisprinzessin?

„ Wie alt ist sie denn?“

Mist.

„ Nun ja… sie wird im nächsten Frühjahr achtzehn.“

Ein Schnauben ihrerseits.

„ Aber glauben Sie mir, ich weiß, was zu tun ist, und wie sie selbst gesagt haben, dauert es nicht lange. Was soll denn schon passieren?“

Rosalie hob spöttisch die Augenbraue.

Blöde Frage. Das Register an Verletzungsmöglichkeiten ist endlos, in den Augen, einer besorgten Mutter. Oder in diesem Fall Tante.

„ Sie wären außerdem viel schneller wieder hier, wenn sie nicht die beiden Mädchen mitschleppen müssten. Ich verspreche, ich passe gut auf die zwei auf.“

Rosalie wirkte hin und her gerissen.

Doch schließlich seufzte sie.  „ Mir bleibt eigentlich gar nichts anderes übrig.“

Sie strich sich das Haar zurück und biss nervös auf ihrer Unterlippe herum.

Diese Geste machte Adam sofort wieder auf ihre wunderbaren Lippen aufmerksam.

Verfluchte Frauen. Ihr und eure dumme Angewohnheit, in den unpassendsten Situationen sexy auszusehen.

Am liebsten hätte er selbst diese Lippe gebissen, sie zwischen seine Zähne gezogen und …

„ Das ist auch wirklich in Ordnung für Sie?“, riss sie ihn aus seinen unanständigen Gedanken und legte den Kopf schief.

Wodurch sie ihren blassen, schmalen Hals freilegte und ihn damit ablenkte.

Verflucht nochmal!

Er nickte grinsend und kniete sich neben die beiden Mädchen, die intensiv mit ihrem Spiel beschäftigt waren.

„ Gehen Sie schon. Wir kommen zurecht.“

Sie griff nach ihrer Tasche, ging zur Tür und sah nochmal unsicher zu ihren beiden Nichten, doch bevor sie ein weiteres Mal fragen konnte, ob er auch wirklich zurecht käme, scheuchte er sie mit einer ungeduldigen Geste aus dem Laden.

„ Ich sag euch was, Mädels. Eure Tante, die ist ziemlich stur. Nicht?“

Doch abermals bekam er keine Antwort.

Die beiden spielten friedlich nebeneinander und achteten gar nicht auf ihm.
Adam setzte sich in eines der Sitzkissen und lehnte sich zufrieden zurück.

Und wiedermal zeigt sich, dass Frauen einfach viel zu hysterisch sind. Die beiden sind doch brav…

„ Meins! Meins, Lorie!“, brüllte auf einmal Ava, während sie versuchte, ihrer Schwester die Puppe aus den Händen zu reißen.

„ Nein!“, rief daraufhin Lorie und schon kullerten dicke Tränen ihre Wange hinunter, während sie wie am Spieß schrie, so laut, dass Adam zusammenzuckte.

„ Nicht doch, Mädchen, es ist genug Spielzeug für alle da!“, murmelte Adam und wollte die beiden beruhigen, doch die Streithennen achteten gar nicht auf ihn, sondern stritten sich weiter.

Als Ava ihrer Schwester schlussendlich diese Barbie, oder was auch immer das für ein Ding war, entrissen hatte, warf sich Lorie schreiend auf den Boden und strampelte mit ihren Armen und Beinen.

„ Nicht, Lorie, nicht weinen.“

Adam hob die Kleine auf seine Armen und wiegte sie hin und her, aber anstatt sich zu beruhigen wurde Lorie jetzt erst richtig hysterisch und kreischte aus vollem Halse.

Hallo, Tinnitus!

Zu allem Übel begann jetzt- aus welchem Grund auch immer- auch noch Ava fürchterlich zu schreien und zu weinen.

„ Ava, was hast du denn?“, rief Adam, über den Geschrei von Lorie hinweg.

„ Meine Puppe! Meine Puppe!“, schrie sie immer wieder und fuchtelte wie wild mit der Barbie, der auf einmal der Kopf fehlte, herum.

Adam seufzte erleichtert auf, hatte er doch befürchtet sie hätte sich verletzt.

Was soll sie machen? Sich einen Stift ins Auge stechen? Den Kopf der Barbie verschlucken?

Alleine bei der Vorstellung wurde Adam übel.

„ Das ist nicht so schlimm, Süße, dass bekomm ich wieder hin. Warte!“

Doch als er Lorie von seinem Schoß lassen wollte, damit er die Puppe reparieren konnte, kreischte die Kleine erneut auf und klammerte sich- gleich eines Affen- an ihm fest und schlang ihre Ärmchen um seinen Hals.

Sprich er hatte zwei weinende, schreiende Mädchen um sich und keine Ahnung, wie er die beiden besänftigen sollte.

Ein Kinderspiel also, wie?!

Schließlich schaffte er es, die kleinere von beiden von sich zu lösen und setzte sie auf einen der Sitzkissen, welches neben dem Tisch stand.

Dann kniete er sich hin und nahm Ava die Puppe aus der Hand, und drehte ihr den Kopf wieder an.

Vom Firmenchef zum Chirurg für Barbiepuppen. Wie weit bist du gesunken?

Zumindest Ava war jetzt wieder halbwegs ruhig und nachdem Adam ihr die heile Puppe zurückgegeben hatte, schien die Welt wieder in Ordnung.

Aber ihre jüngere Schwester sah dass wohl anders, sie schrie immer noch wie am Spieß und Adam wusste einfach nicht, was er machen sollte.

„ Lorie, was ist denn los? Willst du was trinken?“

Ein lautes Kreischen verneinte diese Frage.

Er runzelte die Stirn. „ Hast du Hunger?“

Wieder strampelte die Kleine wie wild umher, so dass ihre Locken in alle Richtungen flogen.

„ Bist du müde? Möchtest du schlafen?“

Lorie kniff ihre Augen zusammen und funkelte ihn böse an, bevor sie Luft holte und mit aller Kraft losbrüllte.

Teufel nochmal, einem weinenden Baby droht man nicht mit Schlaf an, Idiot!

„ Nein, nein, Liebes, du musst nicht schlafen. Kein Schlaf.“

Aber der Schaden war schon angerichtet und das Mädchen dachte gar nicht daran, sich zu beruhigen.

„ Hast du Lust auf was Süßes? Einen Lutscher? Oder Schokolade?“, fragte Adam hoffnungsvoll. .

Lorie hörte auf zu quengeln und sah ihn aus ihren großen, blauen Augen an.

Ein zaghaftes Nicken brachte ihn dazu, beinahe erleichtert aufzuseufzen.

Zucker, Kalorien und Geschmacksverstärker. Warum bist du nicht gleich darauf gekommen?!

Adam schaute nochmal kurz zu Lorie und versicherte sich, dass sie ruhig in ihrem Sitzkissen saß und suchte dann hinter der Rezeption nach Süßigkeiten.

Nachdem er seine Suche beinahe erfolgslos beenden wollte, fand er in einer der Schubladen eine kleine Schachtel voll mit Schokolade und süßem Zeug.

Er nahm sich zwei Bonbons und wollte gerade wieder zu den Mädchen, da hörte er auf einmal einen Krach, so als wäre etwas umgefallen…

Gleich darauf ein lautes Kreischen und Heulen.

Adam ging mit schnellen Schritten zurück zur Sitzecke.

Verflucht!

Lorie lag, sich die Hände über dem Gesicht zusammenhaltend, auf dem Boden und weinte herzzerreißend.

Sofort kniete sich Adam neben dem kleinen Mädchen und zog es hoch, worauf sie noch mehr zu weinen begann.

Anscheinend war sie von ihrem Sitzplatz runter gefallen und Adam vermutete, dass sie sich den Kopf gestoßen hatte.

Panik machte sich bei ihm breit. Was, wenn sie sich ernsthaft verletzt hatte? Rosalie würde ihm die Hölle heiß machen! Immerhin hatte er  ihr versprochen, gut auf ihre Nichten aufzupassen…

Das hast du ja wunderbar hinbekommen. Kaum drehst du dich um, stößt sich die Kleine den Kopf. Du wärst ein toller Vater, im Übrigen…

„ Lorie, Süße, beruhige dich und lass mich deinen Kopf sehen.“

Sie schniefte unaufhörlich, nahm aber schlussendlich doch ihre Hände von der Stirn.

Adam seufzte erleichtert auf, sie hatte sich den Kopf nur angestoßen und sich nichts aufgeschlagen, genäht werden musste nichts und sie blutete auch nicht.

„ Halb so schlimm, Kleine, wirklich. Das wird wieder.“, murmelte er ihr zu und versuchte, sie zu beruhigen.

Er stand umständlich mit ihr auf, bemühte sich, nicht unnötige ihre Stirn zu berühren.

Schon jetzt war die Stelle oberhalb ihres linken Auges etwas angeschwollen und wenn er es nicht kühlte, würde Lorie eine richtige Beule bekommen.

Adam ging ins Lager, sah nach, ob es irgendwo ein Waschbecken gab und tatsächlich hatten sie einen ziemlich kleinen Raum neben dem Lager, in dem sich eine Toilette und ein Becken befanden. Schnell machte er ein Tuch nass und hielt es Lorie an die Stirn.

Diese quengelte zwar zuerst, ließ die Prozedur dann aber über sich ergehen.

Adam trug die Kleine wieder zur Leseecke. Gott sei Dank schien ihrer Schwester die ganze Aufregung ziemlich egal zu sein- Ava beschäftigte sich lieber mit ihren Puppen.

Adam legte die Kleine auf den Boden, er wollte nicht, dass sie sich nochmal anstieß, legte ihr Kissen unter dem Kopf und nahm mehrere kleine Polster, um sie zu zudecken.

Was ist, wenn sie einen Schock bekommt? Oder eine Hirnerschütterung erlitten hat?!

Adam wurde nervös, ging auf und ab und überlegte, was er noch tun konnte, wobei er keinen Augenblick Lorie aus den Augen ließ.

Sie hingegen hatte sich beruhigt und lutschte an ihrem Daumen herum.

Er strich sich mehrfach durch seine Haare, eine Geste, die ihm zeigte, wie nervös er eigentlich war…

Sollte er Samuel anrufen?

Damit du dir eine Tracht Prügel einholst, weil du nicht richtig auf sein Mädchen aufgepasst hast?

Gerade, als Adam mit dem Gedanken spielte, Lorie ins Krankenhaus zu bringen, um auf Nummer sicher zu gehen, wurde die Eingangstür geöffnet.

„ Hallo?“, hörte er hinter sich.

Rosalie ist wieder da. Nicht gut. Gar nicht gut. Verabschiede dich schon mal von deinem besten Stücken, mein Lieber, denn wenn sie mit dir fertig ist…

„ Hier sind wir.“, gab Adam zurück, seine Stimme war nicht so fest und selbstsicher, wie er es gerne gehabt hätte.

Rosalie kam nach hinten und blieb wie angewurzelt stehen, als sie ihre Nichte auf den Boden liegen sah.

„ Lorie, was ist denn?“, murmelte sie und kniete sich neben ihre Nichte die verträumt mit eines der Kissen spielte.

„ Aua gemacht, Tis…“, flüsterte Lorie und zeigte auf den Tisch.

Rosalie sah zu Adam und hob fragend und besorgte eine Augenbraue.

„ Was ist passiert?“

Noch kein Vorwurf. Komisch. Eigentlich hatte er damit gerechnet, jetzt schon gevierteilt worden zu sein.

„ Naja, die Beiden haben gestritten und geweint und ich dachte, ich gib ihnen was Süßes. Lorie hab ich in eines der großen Kissen gesetzt und als ich mich einen Moment umgedreht hab, da lag sie auch schon auf den Boden und hat sich den Kopf gehalten…“, redete er darauf los, viel zu schnell.

„ Süße, lass mich mal sehen.“, flüsterte Rosalie sanft und strich ihr ein paar Locken zurück.

Adam war überrascht, hatte er doch nicht erwartet, dass sie auch so… naja…

Sanft sein kann?
„ Du hast nur eine Beule, Lorie. Nichts Schlimmes.“

Rosalie legte ihrer Nichte wieder den kalten Umschlag um und gab ihr ein Kuscheltier, das sie aus der Spielkiste nahm.

Dann deutete sie Adam, dass sie zum Rezeptionstisch gehen sollten.

Kaum standen sie bei dem Tisch, redete Adam darauf los.

„ Es tut mir wirklich leid. Ich dachte nicht daran, dass die Kleine umfällt und …“

Aber sie hob die Hand und brachte ihm zum Schweigen.

Jetzt kannst du dich auf was bereit machen. Wehr dich nicht, wenn dich das Buch trifft. Nimm es hin, wie ein Mann!

Aber zum mehrfachen heute überraschte Rosalie ihn: Sie lächelte.

Und zwar nicht irgendwie rachsüchtig, oder kalt sondern… verständnisvoll.

„ Keine Sorge, das ist noch einer der harmlosesten Verletzungen von Lorie. Als sie ein Jahr alt war, hat sie sich das Knie aufgeschlagen und musste genäht werden und erst letzten Sommer hat sie ein paar Münzen verschluckt. Glücklicherweise ist ja nicht mehr passiert, die Beule ist in ein paar Tagen wieder weg.“

Adam runzelte die Stirn, erwiderte dann aber ihr Lächeln.

„ Die Mädels scheinen Sie ganz schön auf Trapp gehalten zu haben, oder?“

Was soll ich sagen, ich bin auf einem Ohr taub, was eigentlich egal ist, denn durch den Schock, als die Kleine heruntergefallen ist, bin ich sowieso um zwanzig Jahre gealtert und, ach ja…bin im Krieg um eine Barbie zwischen die Fronten geraten.

„ Ach, nein. Ich kann gut mit Kindern und die Beiden waren wirklich brav, kein Problem.“, beteuerte er, woraufhin sie grinste.

Es sah hübsch aus, wenn sie lächelte. Dabei wirkte sie so… unschuldig. Natürlich.

„ Na, dann.“

Rosalie lächelte erneut und ging dann wieder zu ihren Nichten.

Adam folgte ihr.

Die ganze Aufregung forderte ihren Tribut und Lorie war eingeschlafen. Ava hatte sich-samt Puppe- zu ihrer kleinen Schwester gekuschelt und spielte verträumt weiter.

„ Sieht so aus, als wären die beiden total ausgepowert.“, flüsterte Rosalie Adam zu, wobei ihr Atem seinen Hals streifte.

Viel mehr war er aber auf den Blick fixiert, den sie ihren Nichten zuwarf. So liebevoll und warm, dass es Adam selbst eng in der Brust wurde.

Diese Frau ist gefährlich, Alter. Sie ist so widersprüchlich. Feuer und Eis, eine hochexplosive Geschichte.

Doch während sein Verstand alle Warnlampen und Signale anschaltete, war jede Faser seines Körpers darauf bedacht, dieses Lächeln in sich aufzunehmen, um es hervorrufen zu können, wenn sie mit verschränkten Händen vor der Brust vor ihm stand und ihre Augen vor Wut glänzten.

Rosalie deutete Adam, leise zu sein und schlich sich dann wieder zur Rezeption.

„ Ich könnte einen Kaffee gebrauchen, möchten Sie auch einen?“, fragte Rosalie und strich sich mit einer sehr weiblichen Geste das lange Haar zurück.

Adam war so fasziniert davon, dass er die Frage gar nicht richtig hörte, sondern einfach nur nickte.

Daraufhin verschwand sie im Lager und kam wenig später wieder- mit zwei Tassen in der Hand.

„ Hier, ist zwar nicht die Qualität eines Cafés, erfüllt aber seinen Zweck.“

Er nahm ihr die Tasse entgegen, wobei seine Fingerspitzen die ihren streiften.

Nur einen Moment, aber es war so, als hätte sie ihn…gebrannt.

Auf angenehme Weise. Seine Haut fühlte sich dort, wo er sie gestreift hatte, beinahe heiß an.

Das hört sich an, wie in einem billigen Roman.

Er schluckte und zwang sich zu einem Grinsen.

„ Ist schon gut, Kaffee ist Kaffee.“

Sie lächelte wieder und er konnte gar nichts dagegen unternehmen, automatisch auch lächeln zu wollen.

„ Ich denke, Beth wird dann gleich hier sein und die Mädchen abholen. Sie wollte nur kurz in die Stadt.“

Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee und überlegte, ob es nicht besser wäre, jetzt zu gehen.

Adam war sich nicht sicher, wie Elisabeth darauf reagieren würde, wenn sie sah, was mit Lorie passiert war.

Eine gestresste, wütende Mutter, die noch dazu sieht, dass ihre Tochter eine Beule am Kopf hat… da geht man lieber kein Risiko ein.

Rosalie nahm ebenfalls ihre Tasse, trank und stellte ihr Heißgetränk wieder ab, jedoch nicht, ohne sich mit der Zunge über die Unterlippe zu lecken.

Es war schnell.

Unbedacht.

Aber ließ ihn beinahe wahnsinnig werden.

Adam war sich sicher, dass sie sich der erotischen Geste nicht bewusst war, aber wie sie so dastand, mit den schweren, dunkelbraunen Haar und den leuchtend grünen Augen, die Lippen leicht geöffnet…

„ Was machen Sie heute Abend, Rosalie?“, fragte er, seine Stimme belegt.

Sofort verschwand ihr Lächeln und sie legte sich auf die Lauer.

Verflucht nochmal! Überfall sie doch nicht so! Genauso gut hättest du sie fragen können, ob sie bei dir einziehen möchte!

„ Warum?“

Beinahe hätte er gegrinst.

Du misstrauisches Ding.

„ Ich dachte mir, wir könnten heute vielleicht einige Ideen durchbesprechen, bezüglich zur Verbesserung des Buchladens- vielleicht bei einem Essen? Noch dazu möchte ich mich damit entschuldigen, dass ich nicht richtig auf ihre Nichte aufgepasst habe.“, erklärte er ihr sachlich, aber sein Blick war eindringlich, intensiv.

Sie schaute sich nervös im Laden um und schob dann- in der Weise, die er schon von Rosalie kannte- trotzig das Kinn vor.

„ Das müssen Sie wirklich nicht tun, es geht Lorie doch gut. Außerdem ist es heute Abend sehr schlecht.“

 „ Was machen Sie denn?“, fragte Adam und grinste sie an.

„ Ich hatte vor, mich mit der Buchhandlung des Ladens auseinanderzusetzten und wollte etwas aufräumen.“

Ach, aufräumen? Buchhaltung? Das erledigt sich zu zweit doch viel schneller.

„ Dabei könnte ich Ihnen doch helfen.“, blieb Adam stur und unterdrückte ein Lachen.

Er hätte sein Auto darauf verwettet, das sie gerade innerlich bis zehn zählte und die Zähne fest zusammenbiss, um ihm nicht die Augen auszukratzen.

Also doch wieder Wildkatze, statt zahmen Kätzchen.

„ Das ist wirklich nicht nötig, aber vielen Dank…“, wollte Rosalie abwiegeln, aber das ließ Adam nicht zu und unterbrach sie.

„ Oh, ich bestehe darauf. Sonst würde mich mein schlechtes Gewissen ewig plagen.“

Einen Moment erwartete er, dass sie ihm widerspräche, aber sie lächelte verkniffen und nickte.

„ Gut, wenn Sie wollen.“

Er grinste. „ Wunderbar. Dann hol ich uns etwas zu Essen und wir treffen uns später wieder hier, in Ordnung?“

Rosalie nickte hastig und sie machten aus, sich hier in einer Stunde wieder zu sehen.

Daraufhin trank er seinen Kaffee aus und ging zur Tür, jedoch verließ er den Laden nicht, ohne sich nochmal umzudrehen.

„ Dann bis später, Rosalie.“, raunte er, grinste zufrieden und schloss hinter sich die Tür.

Selbst für ihn hatte sich das wie ein Versprechen angehört. Eine sinnliche Drohung.

Sein Plan stand fest: Heute würde er die Eisprinzessin auftauen.

Egal, welche Mittel er dazu verwenden musste.

8

8

 

„ Dann bis später, Rosalie.“

Diese Stimme. Der heisere Unterton, der sie schier wahnsinnig machte.

Und er wusste das. Er wollte sie ärgern. Sie leiden sehen.

Rosalie.

Wieder ihr Name, der sich aus seinem Mund so fremd, so exotisch anhörte.

Tja, Rose, freu dich. Du hast ein Date.

Ach, halt die Klappe, schrie sie innerlich ihrem Unterbewusstsein entgegen und schüttelte den Kopf.

Sie wusste nicht, was das heute Abend werden sollte, aber sie war auf keinem Fall mit Adam Wyatt verabredet.

 Nun ja. Er holt was zu Essen und ihr seht euch später. Über das Wetter werdet ihr wohl kaum reden.

Rosalie schüttelte ein weiteres Mal den Kopf, um ihre Gedanken neu ordnen zu können.

Und selbst wenn, dann waren sie eben verabredete. Verabredet, zu einem Geschäftsessen.

Wie naiv bist du, Mädchen?

Sein ganzes Verhalten hatte sie heute aus der Fassung gebracht.

Zugegeben, als Wyatt ihr versichert hatte, er käme schon mit ihren Nichten zurecht, da war ihr etwas mulmig geworden.

Wann hatte der Leiter einer Softwarefirma schon mit Kleinkindern zu tun?

Als sie wieder kam und nichts hörte, war das ungute Gefühl wieder da und sie beschlich sofort der Gedanke, dass irgendwas nicht in Ordnung war.

Aber es war nicht so schlimm, wie sie angenommen hatte.

Sie hatte Adam nicht belogen, Lorie hatte wahrlich schon gröbere Verletzungen gehabt.

Doch Adam erschien ihr ziemlich nervös und unruhig.

Nichts mehr mit dem arroganten, coolen Geschäftsmann, hm?

Zugegeben, irgendwie hatte Rosalie es süß gefunden, dass er sich solche Sorgen gemacht hatte.

Sie hatte Mitleid mit ihm und ein schlechtes Gewissen, also bot sie ihm einen Kaffee an.

Gerade als sie glaubte, die Situation unter Kontrolle zu haben und vielleicht doch ganz gut mit ihm auszukommen, fragte er sie, was sie denn heute Abend vorhabe.

Sofort versteifte sie sich und wurde unruhig.

Ihr war klar, worauf das hinausführte.

Small Talk? Wohl eher nicht.

Sie versuchte sich rauszureden und theoretisch log sie ja nicht.

Rosalie hatte wirklich vorgehabt, sich die Buchhaltung vorzunehmen.

Aber er durchschaute sie sofort. Was sollte sie schon machen, als zuzusagen und nachzugeben?

Szene machen? Ihn vor die Tür setzen? NEIN sagen?!

All das hätte sie machen können.

Kopfschüttelnd schimpfte sie sich eine Idiotin und tigerte unruhig in ihrem Laden auf und ab.

Vor guten zehn Minuten, kurz, nachdem Adam gegangen war, hatte Elisabeth die Kinder geholt.

Als Rosalie ihr erzählte, wie es zu der Verletzung ihrer Tochter gekommen war, grinste diese nur kopfschüttelnd und strich Lorie die Locken zurück.

Für einen Moment legte sich ihre Unruhe, doch jetzt, wo sie wieder alleine im Laden war, wurde sie wieder nervös.

Stirnrunzelnd sah sie an sich hinunter.

Soll ich mich umziehen? Nochmal duschen gehen?

Doch beinahe sofort verwarf sie diese Gedanken wieder.

Klar, wie wär´s noch mit einem Friseurbesuch?

Warum sollte sie sich für ihn schick machen? Nur weil er einen Anzug trug und verdammt gut aussah, musste sie sich ja nicht seinen Maßstäben anpassen.

Rosalie schnaubte.

Als würdest du in seiner Liga mitspielen können. Du bist eher der Platzwart, Süße.

Umso später es wurde, desto nervöser wurde sie.

Wenn sie nur daran dachte, wie sich sein Mund zu einem spöttischen Lächeln verzogen hatte, als sie sich rausreden wollte.

Dabei wirkte er so jung und trotzdem… männlich. Eine gefährliche Mischung.

Ich wette, mit diesem Mund kann er noch ganz andere Dinge, als zu lächeln…

Aus jetzt! schimpfte sie innerlich ihr Unterbewusstsein.

Adam Wyatt mag vielleicht attraktiv sein…

Attraktiv? Er ist ein Adonis, Liebes.

… aber er war maßlos arrogant. Und selbstverliebt.

Der weiß eben, was er zu bieten hat…

Und außerdem war er der beste Freund, ihres Bruders und hatte sie damals schon nicht wahrgenommen.

Naja, sei nicht so streng mit ihm, immerhin wart ihr ja noch Kinder…

„ Verdammt.“, zischte Rosalie.

Sie verdrängte ihre Gedanken, die heute eindeutig Hand in Hand mit ihren Hormonen gingen und die Seiten gewechselt hatten und strich sich abermals durchs Haar und verschränkte die Hände.

Sie kannte Adam Wyatt. Gut, dann konnte er eben mit Kindern umgehen und charmant sein, aber das machte nicht seine Selbstverliebtheit und seine Arroganz wett!
Ist er denn wirklich so, oder willst du ihn nur als solchen sehen, damit du dich nicht damit auseinandersetzen musst, dass du ihn unglaublich scharf findest und dir alleine bei seinem bloßen Anblick warm wird?

Halt endlich den Mund! schrie sie innerlich und schob trotzig das Kinn vor.

Gerade als sie drohte, von ihrer eigenen Unruhe wahnsinnig zu werden, hörte sie, dass jemand die Tür aufmachte und drehte sich um.

Adam stand- mit einer Plastiktüte in der rechten Hand, im Laden und grinste.

„ Der Chinese zwei Blocks weiter von hier soll ausgezeichnet sein, hab ich gehört.“

Rosalie versuchte, zu lächeln. „ Werden wir ja gleich sehen, setzen wir uns.“

Sie ging zu der Sitzecke und Adam folgte ihr.

Die Düfte des Essens stiegen ihr in die Nase und obwohl sie den ganzen Tag noch nichts, außer einem Kaffee hatte, verspürte sie keinerlei Appetit.

Er packte nach und nach kleine, weiße Schachteln und Essstäbchen aus.

Rosalie nahm sich Reis, dazu etwas von dem gebratenen Huhn.

„ Guten Appetit…“, murmelte sie und sah bewusst nicht auf, um seinem Grinsen zu entgehen. Ihr wurde immer viel zu schnell warm, wenn sie es sah.

„ Hätte nie geglaubt, mal in einem Buchladen chinesisch zu essen.“

Rosalie lächelte. „ Naja, Sie sind Geschäftsmann, da kommt man doch sicher herum.“

Ein Lachen. Hatte sie ihn schon lachen gehört?

Wohl kaum, sonst wärst du darauf vorbereitet gewesen.

Ein warmer, rauchiger Ton in seiner Stimme, der so manche Frau wahrscheinlich um den Verstand bringen konnte.

Der dich um den Verstand bringt, meinst du wohl…

„ Naja, stimmt schon, aber in einem Buchladen hab ich noch nie zu Mittag gegessen.“

Gestaltet sich vermutlich schwierig, wenn man der Chef einer Softwarefirma ist und den ganzen Tag über …. Nun ja, Geschäftszeug diskutieren muss.

Was Rosalie erneut zu der Frage brachte, was er dann mit einem Buchladen wollte.

Adam müsste doch alles haben, was man sich so wünschte.

Geld und Frauen. An dem scheitert es wohl sicher nicht…

„ Mein Bruder hat gesagt, Sie suchen eine neue Investitionsmöglichkeit. Warum?“

Jetzt sah sie auf und was sie sah, gefiel ihr absolut nicht.

Es gefällt dir. Es gefällt dir sehr. Zu sehr.

Seine braunen Augen bohrten sich in ihren Blick und ein Mundwinkel war nach oben gezogen, die Andeutung eines Lächelns.

„ Warum ich eine weitere Investitionsmöglichkeit suche, oder warum ausgerechnet ein Buchladen?“

Liest er das von meinen Augen ab? Oder steht mir die Frage mit Stift ins Gesicht geschrieben?

„ Sowohl, als auch.“, murmelte sie und wandte den Blick ab.

„ Naja, das Leben eines Unternehmers kann ziemlich…eintönig sein. Und eigentlich war es nie wirklich mein Ziel, Leiter einer Firma zu werden.“

„ Warum nicht?“, fragte sie, bevor sie die neugierige Frage zurückhalten konnte.

 „ Als ich dreiundzwanzig war, hab ich das Unternehmen vererbt bekommen. Ich war gerade fertig mit meinem Informatikstudium, wollte eigentlich irgendwo als Programmierer anfangen, aber dazu kam es ja nicht.“

Das sagte er zwar so leicht dahin, aber Rosalie vermutete, dass da mehr dahinter steckte.

Sollte sie ihn fragen?

Oh ja, vermutlich wird er gerade mit derjenigen, die ihm innerhalb zwei Tage, die sie sich nun wirklich kennen, schon beinahe als Arschloch bezeichnet und ihn als arrogant hingestellt hat, über seine Vergangenheit und seinen Werdegang als Unternehmer sprechen.

„ Wie kam es zu der Erbschaft?“

Kannst du nicht ein einziges Mal den Rand halten, Rose?!

Einen Moment glaubte sie, zu weit gegangen zu sein. Seine Augen verdunkelten sich und der heitere Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht.

„ Mein Onkel litt an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er starb mit zweiundfünfzig.“

„ Das tut mir leid, Sie und ihr Onkel hatten wohl ein sehr enges Verhältnis.“

Rosalie meinte jedes Wort ernst.

Sein bedauernder Gesichtsausdruck war ein krasser Gegensatz zu der sonst so guten Laune und der Leichtigkeit, mit der Adam durch sein Leben zu gehen schien.

Ein kleines Lächeln erschien um seine Lippen. „ Darum kümmere ich mich um sein Baby. Er hat sein ganzes Leben für diese Firma gearbeitet, die er so mühsam aufgebaut hatte. Und ich war der einzige in Fragekommende.“

„ Ziemlich selbstlos, wenn man bedenkt, dass es Ihnen anscheinend nicht viel Freude bereitet, dort zu arbeiten.“, murmelte Rosalie leise, nicht darüber im Klaren, dass sie ihre Gedanken- ein weiteres Mal- laut ausgesprochen hatte.

Erst als er leise lachte, wurde ihr bewusst, dass sie mal wieder unbewusst ihre Gedanken geäußert hatte.

„ Naja, aber das ist nur ein kleines Opfer. Es lässt sich auch als Geschäftsmann ganz gut leben.“

Sein Grinsen verriet nichts mehr von der Trauer, die noch vor wenigen Sekunden jede Faser seines Körpers ausgedrückt hatte.

Von diesen Stimmungsschwankungen wird einem ja schwindelig…

„ Und warum ein Buchladen?“

 „ Ich hab mich mit Samuel getroffen und ihm von meiner Idee, etwas Neues zu starten, erzählt. Er meinte darauf hin, dass er eine Möglichkeit hätte,…“

Rosalie runzelte die Stirn. „ Und nur weil mein Bruder Ihnen von dem Laden erzählt hat, kaufen Sie ihn gleich?“

Wenn du zu viel Geld hast, brauchst du es nur zu sagen…

„ Sam hat mir schon so oft aus den fürchterlichsten Situationen herausgeholt, da war es das Mindeste, ihm diesen Gefallen zu tun.“

Einen Gefallen?! Deshalb kaufst du einen Buchladen? Wegen eines Gefallens?

„ Sie kaufen einen Buchladen, um Samuel zu helfen?“

Adam zuckte mit den Schultern. „ Und Ihnen.“

Verärgert verschränkte sie ihre Arme vor der Brust. „ Ich brauche keine Hilfe. Weder die von Ihnen, noch Samuels.“, zischte Rosalie, woraufhin er fragend eine Augenbraue hob.

„ Warum haben Sie mich dann aufkaufen lassen?“

Du hast das Geld, das ich so dringend benötige, um nicht demnächst bei irgendeiner Fast-Food-Filiale anfangen zu müssen.

„Sie waren meine letzte Option.“, antwortete sie knapp.

Weshalb er grinste, war ihr unverständlich, aber es ärgerte sie ungemein.

„ Über sich selbst Sprechen Sie wohl nicht gern, hab ich recht?“

Warum auch? Es gab nicht viel zu erzählen.

Mein Name ist Rosalie Carter, ich bin vierundzwanzig, lese gerne und war mal in dich verknallt. Nachdem ich mir dich jedoch aus dem Kopf geschlagen habe, verliebte ich mich in ein noch größeres Arschloch, als du es bist. Dann erbte ich einen pleitegehenden Buchladen. Ende.

Hörte sich nicht sehr vielversprechend an.

„ Nicht unbedingt.“, gab sie zu.

Während Adam sich eine Frühlingsrolle nahm, warf er ihr einen nachdenklichen Blick zu.

„ Also, sagen Sie schon. Warum haben Sie mich aufkaufen lassen? Selbst wenn ich ihre letzte Option war, es ist offensichtlich, dass sie mich nicht hier haben wollen.“

 „ Hören Sie, es mag ja sein, dass sie nicht gerne in dieser Firma arbeiten. Aber ich hab den Laden hier ebenfalls geerbt und hänge sehr daran. Ich liebe es, jeden Tag von Büchern, in einer Atmosphäre die mich mit schönen Erinnerungen erinnert und ich…“, sagte sie, brach aber ab, weil ihr plötzlich die Tränen kamen.

Wenn sie nur daran dachte, wie sie als kleines Kind schon hier hergekommen war, kaum als die unendlich lang scheinenden Schulstunden vorbei waren.

Mit diesem Laden, verband sie so viel und trotzdem fiel es ihr unsagbar schwer, darüber zu reden.

Darum ließ sie es lieber.

Wütend über sich selbst und die Tränen, die in ihren Wimpern hangen, ließ sie den Kopf sinken, so dass ihr Haar sie zum Großteil verdeckte und hoffte, dass Adam ihren Gefühlsausbruch nicht mitbekam.

„ Rosalie, alles in Ordnung?“

Verflixt und zugenäht…

„ Ja. Sicher.“, gab sie zurück, wobei ihre Stimme belegter klang, als ihr lieb war.

„ Von wem haben Sie den Laden geerbt?“

Seine Stimme war so voll und… einfach zu gut. Sanft.

Der Gedanke, dass ausgerechnet Adam Wyatt sie zu trösten versuchte, brachte sie zum Lachen. Oder zum Weinen. Sie war sich nicht ganz sicher.

„ Von meiner Tante.“, antworte sie und hoffte inständig, dass er es dabei belassen würde.

„ Was ist passiert?“, fragte er leise. Hörte sie da Besorgnis in seiner Stimme?

Adam Wyatt, der Geschäftsmann, dem nicht mal ein plötzlicher Hagelsturm aus der Fassung bringen würde, soll sich wegen dir und deinem verkorksten Leben Gedanken machen? Träum weiter, Liebes…

„ Sie hatte eine Lungenentzündung. Eigentlich hab ich geglaubt, sie wäre nur krank, aber meine Tante erholte sich nicht davon und jetzt kümmere ich mich darum, weil…also, ich… keine Ahnung…“

Ihre Hand zitterte, als ungewollt die Erinnerungen und Bilder der letzten Wochen mit ihrer Tante auf sie einstürmten und sie sich mit einer hastigen Geste das Haar zurückstrich.

Gehustetes Blut, aschfahle Haut…

„ Das tut mir leid, Rosalie.“, sagte Adam und drückte in einer tröstenden Geste ihre Hand.

Aber ihrem Körper war egal, ob aus Trost oder Mitleid, das einzige, dass registriert wurde, war die Hitze, die von seiner Hand ausging.

Ein Kribbeln durchströmte ihren Arm, ließ sie leicht zusammen zucken.

Rosalie schrak auf.

Ein hysterisches Lachen machte sich in ihr breit, doch sie unterdrückte es.

Nicht mal Amy wusste genau, was damals abgelaufen war und sie kannte Rosalie immerhin schon seit dem Studium.

Warum heulte sie dann ausgerechnet Adam Wyatt voll?

Tja, jede harte Schale, hat wohl einen weichen Kern. Und sei es eine Kokosnuss.

Aber das wollte Rosalie nicht.

Er sah zu viel. Sah Dinge, die nicht für seine Augen bestimmt waren und wusste mehr, als ihr lieb war.

In ihr breitete sich unangenehme Nervosität aus.

Immer noch hielt er ihre Hand, ließ ihre Haut brennen und sah sie mit diesem intensiven Blick an, der ihr das Gefühl gab, seine ganze Aufmerksamkeit würde sich auf sie richten.

Was natürlich Blödsinn war.

Hastig entzog sie ihm ihre Hand und stand auf.

„ Verzeihen Sie, dass ich sie mit diesem Zeug bequatscht habe. Es ist wohl besser, Sie gehen jetzt. Ich will sie nicht aufhalten.“, gab Rosalie schroffer von sich, als eigentlich beabsichtigt war, aber dieses verletzliche Gefühl, dass er in ihr auslöste, ließ sie nicht klar denken.

Adam stand ebenfalls auf und bevor sie die Tür erreicht hatte, hatte er sie eingeholt und hielt sie sanft, aber bestimmt am Ellbogen fest.

„ Was soll das, Rosalie? Warum machen Sie das? Wir haben uns ganz normal unterhalten, doch kaum versucht jemand, sie näher kennenzulernen, geschweige denn, Sie zu durchschauen, werden sie stur und gehen auf Abstand.“, zischte er verärgert und versperrte ihr mit seiner breiten Brust und den muskulösen Schultern den Ausgang.

Fluchtweg versperrt. Was jetzt? Vielleicht lässt er dich vorbei, wenn du zu heulen beginnst. Oder ihn trittst. Hart.

Aber Rosalie wagte nicht, sich zu bewegen. Tatsächlich war sie regelrecht erstarrt.

 „ Ich hab keine Ahnung, von was Sie reden, Wyatt. Gehen Sie mir aus den Weg.“, murmelte sie, wollte ihn mit der Benutzung seines Nachnamens die kalte Schulter zeigen und sah ihm dabei nicht in die Augen.

„ Schau mich an, Rosalie. Wenn du mit mir redest, schau mich zumindest an. Und dann sag mir ehrlich, dass du wirklich so bist, wie du zu sein vorgibst.“
Rosalie zuckte zusammen.

Nicht nur hatte er sie geduzt, nein, jetzt versuchte der Mistkerl abermals, sie mit ihrem Namen weich zu klopfen.

Und es funktionierte.

Schlechtes Gewissen mischte sich mit dieser furchtbaren Verletzlichkeit, die sie verspürte.

Doch schlussendlich gab sie nach und sah ihm in die Augen.

 „ Ich habe schlechte Erfahrungen gemacht. Sowohl mit Männern, als auch mit Vertrauen. Seither verlasse ich mich nur mehr auf mich selbst und es ist leichter, sich Fremde vom Hals zu halten, wenn man schroff und unfreundlich ist.“, gab sie zu und wollte wieder den Blick abwenden, doch Adam legte ihr zwei Finger ans Kinn und hob so ihren Kopf, bis sein Blick wieder den ihren traf.

Sie erstarrte.

In seinen Augen sah sie Mitgefühl. Verständnis. Und ein Brennen.

Von der Stelle, an der er sie berührte, gingen kleine Schauer aus, die sich über ihren ganzen Körper verteilten.

Was machte sie hier? Sie sollte sich zurückziehen, ihn anbrüllen, von hier verschwinden und sich unter die kalte Dusche stellen, damit ihr Hirn wieder funktionstüchtig wurde.

„ Ich… sollte jetzt gehen. Mir ist nicht so gut.“, flüsterte sie, wobei ihre Stimme belegt und heiser klang.

Doch er ließ sie nicht los. Nein, stattdessen rückte er noch etwas näher, so dass seine breite Brust beinahe ihre Brüste gestreift hätten und er ihren Kopf noch ein Stückchen anhob, damit er ihr in die Augen sehen konnte.

„ Rosalie, vor mir kannst du nicht davon laufen. Es wird dir nicht gelingen.“, meinte er mit einem kleinem Lächeln.

Doch bevor sie sich empört zurückziehen konnte und ihn wegen seiner maßlosen Arroganz schellten konnte, hatte er sie an sich gezogen, die Arme um sie gelegt und küsste sie.

Seine Lippen waren warm, prall und weich. Rosalie entkam ein Seufzer, als das Kribbeln, das von ihren Mund ausging, sich über ihren ganzen Körper verteilte.

Sie konnte nicht mehr klar denken, irgendwo in ihrem Kopf war der Gedanke, dass sie das hier bereuen würde aber…

Scheiß drauf! Küss ihn, bevor ihm klar wird, was er hier eigentlich tut.

Seufzend schlang sie ihm die Arme um den Hals, verlor sich mit ihren Händen in seinem Haar, bevor sie den Mund öffnete und seinen Kuss erwidert.

Anfangs noch sanft und zart, wurde sein Kuss schnell leidenschaftlicher. Mit seinen Zähnen fing er ihre Unterlippe ein, kratze leicht über die weiche Haut ihres Mundes.

Sie erzitterte, zog ihn so nah wie möglich an sich und ließ ihre Hände über seine breiten Schultern und den kräftigen Rücken wandern.

Doch auch Adam ging auf Wanderschaft.

Seine Hände lagen auf ihren Hüften, hielten sie fest, doch als sie abermals aufseufzte und ihre zarten Hände wieder in seinem Haar verlor, zog er sie an sich, drehte sich mit ihr um und drückte sie gegen eines der Buchregale.

Einen Moment war sie verwirrt, ängstlich. Sie konnte ihm nicht ausweichen, war ihm ausgeliefert…

Doch dann legten sich seine Lippen wieder auf ihren Mund, vergrub seine Hände in ihrem Haar und drückte sie an sich, so dass Rosalie nur noch mit ihren Zehenspitzen den Boden berührte.

Rosalie schwirrte der Kopf, von den ganzen Gefühlen, die auf sie einströmten, die Lust, die in ihren Körper erwachte…

Du liederliches Luder, hast gleich Sex in deinem eigenen Buchladen!

Bevor sich der Gedanke wirklich festgesetzt hatte, zog Adam an ihrer Bluse, jedoch nicht, ohne sie zu küssen.

„ Adam.“, wisperte sie atemlos.

Er hob nicht einmal den Kopf, hörte sie nicht, ließ seine Lippen unaufhörlich über ihren Mund, bis hin zum Hals und wieder zurück wandern.

Zaghaft versuchte sie, sich von ihm zu lösen.

Doch wieder schienen ihre Worte nicht zu ihm durchzudringen. Nun ließ er neben seinen Lippen, auch noch seine Zähne über ihren Hals wandern. Sie erzitterte, zog ihn mit den Händen in seinen wirrabstehenden Haaren an sich.

Verdammt nochmal, Rosalie. Entscheide dich. Entweder, du stoßt ihn von dir und sagst, du hättest Fieber und währst im Wahn, oder aber du reißt ihm die Klamotten vom Leib.

Ein leises Stöhnen entkam ihr, als er seine Hände wieder auf ihre Hüften legte und mit seinem Daumen über das Stück Haut strich, dass zwischen Jeans und Bluse frei lag. Schnell biss sie sich auf die Lippen.

Eine Sekunde noch…

„ Rosalie…“, murmelte Adam, löste seinen Mund von ihrem und schaffte es, seinen Kopf so weit zu heben, so dass sie das brennende Feuer in seinen Augen sah, die Glut und… diese Eindringlichkeit mit der er sie betrachtete, ließ sie beinahe aufs Neue aufseufzen.

Na gut, zwei Sekunden…

Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte er seine Lippen erneut auf ihre gelegt und strich mit seiner Zunge ihren Mundwinkeln nach.

Als könntest du ihm eine Antwort geben. Du kannst froh sein, wenn du noch weißt, wie du heißt!

Sie zuckte zusammen.

Kleine Schauer rannen ihr über die Haut, als er seine Hände auf ihre bloße, erhitzte Haut legte.

Ihr hormongesteuertes Unterbewusstsein war ihr auch wahrlich keine Hilfe.

Das ungute Gefühl, dass sie noch immer nicht zuordnen konnte, verstärkte sich.

Ihre Zerstreutheit, durch welche sie immer noch nicht klar denken konnte, führte sie auf die prekäre Situation, in der sie gerade steckte, zurück.

Prekäre Situation? Du meinst wohl die andere Zunge in deinem Hals, hm?

Ein Schmerz durchzuckte sie, doch dieser wurde sofort mittels eines Kusses gemildert.

Was sie dazu brachte, an sich herunter zu sehen.

Der Anblick schockierte sie.

Ihre Hände hatte sie in seinem dunkelbraunen Haar, sein Mund lag auf dem Stück Haut, dass ihre Bluse freigab und soweit sie sehen konnte, war ihre Haut gerötet.

Ob von den sanften Bissen und den Küssen, oder von der Hitze, die durch ihr Blut rauschte, wusste sie nicht.

Das war sie nicht.

Rosalie war nicht… hemmungslos. Total unvernünftig. Ohne Bedenken…

Nicht denken. Küssen. Ausziehen. Hinlegen…wobei… Nicht hinlegen. Regal, gegen das Regal…

„ Adam.“, wisperte sie, die Stimme nicht mehr als ein Flüstern.

Sie zog an seinem Haar, um ihn auf sich aufmerksam zu machen.

Fest entschlossen, sich nicht wieder ablenken zu lassen. Aber seine Lippen, die sanften Bisse und die Hände, die von ihren Hüften bis hin zur Taille und wieder zurück glitten…

„ Aufhören, das ist… nicht gut.“, stammelte sie und zog wieder an seinem Haar, doch dies schien ihm nicht viel auszumachen.

Im Gegenteil. Sie hätte schwören können, ein Grinsen an ihrer Brust zu spüren.

Und tatsächlich. Als Rosalie ihn ein weiteres Mal weg zog, schaute er auf und grinste leicht.

„ Nicht gut? Findest du? Das sehe ich anders.“, raunte er ihr ins Ohr und küsste die Stelle, wo der Hals in den Nacken überging.

Sie erschauderte. Schon wieder.

Rosalie verfluchte ihren verräterischen Körper.

„ Bitte… ich… lass mich los, Adam.“, flüsterte sie. Ihre Stimme war aufgekratzt, heiser. Doch selbst nachdem sie sich geräuspert hatte, wurde es nicht besser.

Einen Moment schien es so, als würde er nicht auf sie hören, doch dann küsste er ein weiteres Mal ihr Ohr und kam dann ihrer Bitte nach.

Adam ließ sie los, trat einen Schritt zurück, wodurch sie wieder ganz auf ihren Füßen zu stehen kam.

Als er sich von ihr trennte, war ihr plötzlich unwohl. Seine Körperwärme spürte sie immer noch an ihrer Brust, sein männlicher Geruch hang in der Luft.

Sie sah ihm in die Augen, öffnete den Mund, aber schloss ihn schnell wieder.

Was sollte sie auch sagen?

Tut mir leid, dass ich dich angesprungen habe, als wäre ich eine räudige Katze?

Naja, eigentlich hatte auch er sie geküsst…

Ja, hast dich auch total dagegen gewehrt.

Er machte den Mund auf und Rosalie erwartete… Ja, was eigentlich?

Eine Entschuldigung? Ein beschämendes Eingestehen seines Fehlers?

Wollte sie überhaupt, dass er bereute, sie geküsst zu haben?

Oh ja, es gefällt jeder Frau, geküsst zu werden und dann gesagt zu bekommen, dass es ein Fehler war.

„ Rosalie, hab ich dir weh getan?“, fragte er und strich ihr das Haar zurück.

Die kleine Berührung ließ sie abermals erzittern.

 „ Was?“

Er lächelte leicht.

Verdammt. Dein Herz schlägt NICHT schneller. Dir wird NICHT wärmer und dir gefällt dieser Mann NICHT immer besser.

Adam strich sich zuerst selbst über das raue Kinn und dann über ihre Wangen. Erst jetzt wurde ihr das leichte Brennen bewusst.

„ Deine Haut ist gerötet.“

Sein besorgter Tonfall ließ sie zusammen zucken.

Die Nervosität, die sie zuerst verspürt hatte, kam wieder zurück. Sie sah sich um, wich seinem Blick und seinen Berührungen- waren sie noch so gut- aus.

Plötzlich wurde ihr alles zu viel.

Seine Nähe, der Geruch, sein intensiver Blick…

Hastig sah sie sich nach einer Möglichkeit um, so schnell wie möglich zu verschwinden.

Doch bevor sie nur einen Schritt Richtung Tür machen- geschweige denn ihr Vorhaben, abzuhauen, durchführen konnte, hob er eine Augenbraue und strich ihr über den Arm.

„ Rosalie.“

 „ Nein.“, murmelte sie und drängte sich an ihm vorbei.

Sie war schon an der Tür, als er sie bei der Hüfte fasste und sie halb zu sich herum drehte.

„ Denkst du wirklich, dass es eine Lösung ist, jetzt davon zu laufen?“

Ja. und zwar die Einzige.

 „ Ich muss gehen.“

Rosalie riss die Tür auf, bevor er etwas sagen konnte und hielt die Tränen zurück, die sich hinter ihren plötzlich schwergewordenen Lidern sammelten.

 

„ Ich muss gehen.“

Sprach sie und war weg.

Das warme Gefühl ihres Körpers, der Druck ihrer Lippen auf seinem Mund und das sanfte Stöhnen, als er sie gegen das Regal gedrückt hatte... all das war jedoch nicht weg.

Er ließ sich seufzend gegen die Bücherregale sinken.

Das hast du ja toll gemacht, Adam. Wie wär´s wenn du sie nächstes Mal wirklich hier auf den Boden nehmen würdest. Das würde sie wohl kaum mehr schockieren als die heutige Aktion. Falls sie dich überhaupt jemals wieder in ihrer Nähe lässt!

Adam schloss die Augen und schlug mit seinem Kopf leicht gegen das Holz, wobei er hoffte, dass der Schmerz ihn wachrüttelte.

Warum hatte er das getan? Was hatte ihn dazu geleitet Rosalie- seine neue Arbeitskollegin- zu küssen?

Dein testosterongesteuertes Ich analysierte sie als schöne Frau. Du magst schöne Frauen.

Kopfschüttelnd stieß er sich vom Regal ab und fuhr sich aufgebracht durchs dunkelbraune Haar.

Schon klar, er war ein Mann.

Aber Rosalie… sie war nicht einfach irgendeine Frau. Sie war störrisch und stur und…manchmal so verloren. Hilflos.

Adam hatte ihr von seiner Geschichte, wie er zu der Firma gekommen war, erzählt.

Er hätte geglaubt Genugtuung in ihren Augen zu sehen. Freude, über die Bestätigung in ihrer Vermutung, er sei nur ein fauler, arroganter Möchtegern, der mit dem goldenen Löffel im Mund auf die Welt gekommen war.

Doch stattdessen sah er Mitgefühl. Ehrliches, wirkliches Mitgefühl, das ihr Bedauern ausdrückte.

Nachdem er einen kleinen Einblick in sie hinein bekommen hatte, konnte Adam seine Neugier nicht mehr unterdrücken und fragte sie schlussendlich etwas über ihre Vergangenheit.

Aber er hatte sich zu früh gefreut.

Er versuchte sie zu trösten. Adam wusste selbst, dass das nicht unbedingt sein Spezialgebiet war.

Du bist ihr auf die Pelle gerückt.

Nun ja, er hatte ihre Hand genommen. Aber dabei gab es keinen Hintergrundgedanken…anfangs zumindest nicht.

Er hatte sie wirklich nur aufmuntern wollen.

Doch dann spürte er dieses Kribbeln. Und ein Brennen. Er sah diese Frau an... und er fühlte einen Beschützerinstinkt. Den er unbedingt nachkommen musste.

Dass sie dies aber nicht zuließ machte ihn wahnsinnig.

„ Ich…sollte jetzt gehen. Mir ist nicht so gut.“

Wieder versuchte sie, vor ihm zu flüchten.

Aber das funktionierte nicht.

Auch wenn sie es nicht wollte, er durchschaute sie.

Ist ja auch nicht schwer. Die Frau trägt ihr Herz ja praktisch auf der Zunge.

Sie sah so hilflos aus, als sie zu ihm aufsah. In seine Augen schaute.

Er konnte nicht anders.

Verlangen überkam ihn. Brennendes Verlangen, dass Adam durchzuckte.

Er küsste sie. Es war unumgänglich.

Und es war gut.

Gut?! Verdammt nochmal, Mann. Das war der beste Kuss, deines Lebens.

Ihre Lippen waren weich, verführerisch und sanft.

Adam konnte nicht genug davon kriegen.

Und laut ihres Stöhnens sie wohl auch nicht.

Sein Begehren hatte ihn überrummelt und er hatte Rosalie kurzerhand gegen die Regale gedrängt, seinen Körper an ihren gepresst und sie so für sich beansprucht.

Doch dann änderte sich die Situation, sie wehrte sich, versuchte, sich von ihm zu lösen.

Als Adam sich widerwillig von ihr löste, bekam er sofort ein schlechtes Gewissen.

Ihre Augen waren glasig und das Gesicht gerötet von den Bartstoppeln, die nachgewachsen waren, da er sich heute Morgen nicht rasiert hatte.

Der verschleierte Blick ihres Gesichtes zeigte ihm, wie sehr auch Rosalie den Kuss genossen hatte.

Sie atmete schwer. Und schnell. Anfangs glaubte er, ihr wehgetan zu haben, verfluchte sich für seine unkontrollierbares Handeln, das Begehren.

Aber es war etwas anderes.

Das sah Adam in ihren Augen, doch bevor er wirklich mit ihr reden konnte, war sie im Kopf schon bei der Planung ihrer Flucht.

Auch wenn es ihm nicht leicht viel, aber wenn er sie drängen würde, wäre weder ihm noch Rosalie geholfen.

Jaja. Such dir eine bessere Ausrede. Du warst zu feig, du Weichei.

Wütend über sich selbst strich er sich abermals durchs Haar.

Verdammt nochmal, er war kein Feigling.

Adam wusste genau was er wollte.

Ach?

Im Moment war alles, was er wollte, noch einmal in den Genuss von Rosalies sündhaften Mund kommen.

 

 

 

9

9

 

 

Sie schloss die Tür hinter sich.

Ließ sich dagegen sinken.

Und saß auf den Boden.

Noch immer spürte Rosalie den Druck seiner Lippen auf den ihrigen.

Zitternd sank sie in sich zusammen, schluchzte leise auf und die lästigen Tränen, die sie den ganzen Weg über zu ihrer Wohnung begleitet hatten, rannen still ihre Wange hinab.

Ärgerlich wischte sie sie weg. Immer noch brannte ihre Haut leicht von der Reizung durch Adams Bartschatten.

Du führst dich auf wie ein Teenager. Das war doch nicht dein erster Kuss, Himmel nochmal!

Aber es war der erste Kuss nach James, dachte sie sich.

Sie hatte Adams Berührungen genossen, sie erwidert. Es hatte Rosalie gefallen.

Warum saß sie dann hier, heulend und schluchzend auf den Boden ihres Apartments?

Es war zu viel auf einmal.

Das Gespräch mit ihm, der Schock darüber, dass sie ein offenes Buch für Adam war und dann dieser Kuss und…

Kein Wunder dass ihre Hormone verrücktspielten.

Sie rappelte sich auf und ging auf direktem Weg ins Badezimmer.

Schelte sich aus ihren Sachen.

Vielleicht würde ihr eine Dusche helfen, wieder klar zu denken.

Warum hatte er sie geküsst? Was dachte er sich nur dabei?

Nicht nur, dass er jetzt wusste, dass sie ihm gegenüber nicht so abgeneigt war, wie sie es ihm anfangs vermittelt hatte, nein, nun wusste sie genau, wie es sein könnte.

Explosiv. Erotisch. Einfach grandios!

Kopfschüttelnd warf sie ihre Bluse auf den Boden und ließ die Jenas sogleich nachfolgen.

Sollte sie ihn fragen, warum er sie geküsst hatte?

Klar, damit er denkt, für dich hätte es mehr bedeutet, als es eben war. Ein Kuss. Nicht mehr, nicht weniger. Klar?!

Das warme Wasser prasselte von ihrem Körper ab und ließ sie erschaudern.

 

 

Ein Krachen.

Mal wieder.

Rosalie erzitterte und biss sich auf die Lippe, um keinen Laut zu machen.

Schnell zog sie sich die Decke bis zum Kinn und schloss die Augen, in der Hoffnung, er würde sie einfach in Ruhe lassen und sie in seinem Rausch gar nicht bemerken.

„ Rose!“, hörte sie ihn schreien, woraufhin Rosalie zusammenzuckte.

Sein Brüllen hallte durch den Treppenflur, Schritte kamen näher.

„Verdammt, Rose, wo ist der verfluchte Schnaps!“

Eine Träne floss ihr übers Gesicht und sie unterdrückte das ängstliche Wimmern, dass in ihr hochstieg.

Würde sie sich trauen, dann hätte sie zurück geschrien. Würde ihm ins Gesicht schleudern, dass es keinen einzigen Tropfen Hochprozentiges mehr im Haus gab. Denn James hatte alles versoffen.

Aber Rosalie hatte Angst. Vor den Schlägen, seinen Tritten in ihren Magen oder die Ohrfeigen, die er ihr verpasste, wenn sie etwas Falsches sagte oder ihm kein Geld für Alkohol gab.

Sie fasste sich ans rechte Augenlid. Es war noch angeschwollen von der gestrigen Auseinandersetzung mit James.

Die Tür zu ihrem Schlafzimmer wurde aufgerissen und Rosalie biss sich in die Fingerknöchel ihrer linken Hand, um nicht zusammen zu zucken, geschwiege denn einen Laut zu machen.

„ Rose…“, knurrte James, stapfte ins Zimmer und obwohl Rosalie die Vorhänge zugezogen hatte, der Raum verdunkelt war und sie die Augen nur einen spaltbreit geöffnet hatte, konnte sie sehen, dass ihr Verlobter schwankte und beinahe gegen die Kommode gestolpert wäre.

„ Verflucht.“, schnauzte er und ging zum Bett hinüber.

Rosalie tat weiterhin so, als würde sie schlafen und schloss krampfhaft die Augen.

Das Bett gab etwas unter James´ Gewicht nach und Rosalie rann ein Schauer über den Rücken, als seine Hand zufällig ihr Bein streifte, bevor er sich die Schuhe auszog.

Sie war erschüttert. Früher hatte Rosalie seine Berührungen mit Vorfreude erwartet, seine Aufmerksamkeiten genossen…

Mittlerweile wartete sie nur noch auf den nächsten Schlag. Fürchtete sich vor dem Schmerz. Der Demütigung…

Das Krachen sagte ihr, dass er es geschafft hatte, sich die Schuhe auszuziehen.

Ein raues Lachen ließ sie aufschrecken und sogleich schlug ihr Herz höher. Hatte er etwas gemerkt?

„ Denkst du wirklich, ich bin so dumm, Rose? Du schläfst nicht, dass weiß ich genau.“, nuschelte er und stand mühselig auf.

Beinahe hätte Rosalie erleichtert aufgeseufzt. Vielleicht ging er ja doch nach unten, legte sich aufs Sofa…

Plötzlich wurde ihr die Decke weggezogen und sie lag, halbnackt und verletzlich, vor James.

Bevor sie ihm die Decke abnehmen- geschweige denn, aus dem Bett steigen konnte, hatte sich James auf sie gelegt und sein schwerer Körper drückte sie tief in die Kissen.

Der furchtbare Gestank von Alkohol kam ihr entgegen und sie zitterte. Panik kroch in ihr hoch.

Sie versuchte, ihre Hände auf seine Schultern zu legen, um ihn etwas wegzudrücken, doch ihre Arme waren unter seinem Gewicht gefangen.

„ James.“, flüsterte sie leise und hoffte, er hörte nicht ihre furchtbare Angst und die aufsteigende Panik in ihrer Stimme.

„ Ach, zier dich nicht so, Rose. Es gefällt dir doch…“, murmelte James und küsste ihren Hals, während seine Hand unter ihr Nachthemd wanderte…

Rosalie wimmerte, biss sich schnell auf die Lippen.

Sie musste ruhig bleiben. Wenn sie sich wehren würde, könnte er die Kontrolle verlieren und wieder aggressiv werden und eine weitere Tracht Prügel würde sie nicht überstehen…

Seine Hand umfasste ihre Brust, drückte sie fest, schmerzhaft. Ein Schluchzen entkam ihr, doch selbst wenn er es gehört hatte, achtete er nicht weiter darauf.

„ James, bitte… Ich bin müde und du bist betrunken. Leg dich hin und schlaf…“, wimmerte Rosalie, nicht mehr im Stande, ihre Angst zu unterdrücken. Panisch strampelte sie mit ihren Beinen, die sich aber keinen Millimeter bewegten, da sie unter seinen schweren Oberschenkeln lagen.

„ Du undankbares Miststück.“, zischte er wütend. „ Verflucht nochmal, du bist bald meine Frau, das ist mein Recht.“

Die Geduld verlierend nahm er seine andere Hand zur Hilfe und riss das Nachthemd, das sowieso schon nicht viel bedeckte, entzwei.

Rosalie erzitterte und schluchzte laut auf, wehrte sich jetzt wie wild, schlug mit ihren Beinen aus und versuchte, ihn von sich runter zu bekommen, indem sie ihr Rückgrat durchdrückte und sich hin und her drehte.

„ James, bitte…“, wimmerte sie angstvoll. Die Panik, die kalt in ihr empor kroch, ließ Tränen über ihre Wangen fließen und vernebelte ihren klaren Verstand.

„ Halt den Mund, verdammt!“, zischte er und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht.

Ihr Kopf flog in die andere Richtung und einen Moment tanzten weiße Punkte vor ihren Augen.

Mit der anderen Hand knetete er das weiche Fleisch ihrer Brüste. Schmerz durchzuckte sie.

Rosalie wollte schreien. Nach Hilfe rufen. Irgendwas.

Aber kein Laut kam aus ihrem Mund. Nicht Mal ein Keuchen. Außer das Schnaufen von James war nichts zu hören.

Er packte ihre Beine, hielt sie still und fuhr ihre Oberschenkel nach oben. Rosalie zuckte erneut zusammen und versuchte, endlich ihre Arme zu befreien.

James war einen Moment so sehr damit beschäftigt, ihre Beine festzuhalten, dass er ihre Arme vergaß.

Rosalie nutzte diese Gelegenheit, riss ihre Hand nach oben und fuhr James durchs Gesicht.

Schon im nächsten Moment bereute sie ihre instinktive Reaktion. Das war ein Fehler. Ein verdammter Fehler, den Rosalie sofort bereute.

Obwohl es dunkel war, sah sie die drei langen, blutigen Kratzer, die sie ihm zugefügt hatte.

Das wütende Glitzern in seinen Augen und das Schnaufen…

Im nächsten Moment hatte er die eine Hand um ihren Hals und die andere um eines ihrer Beine zu geschlungen.

„ Verdammtes Ding! Dir werde ich´s zeigen!“

Er drückte ihren Hals, so dass sie nur schwer Luft bekam, ließ sie aber wieder los und riss ihre Beine auseinander, so dass seine Hüfte dazwischen Platz bekam.

Der unglaubliche Schmerz in ihrem Rachen und das Pochen ihres Schädels verschlimmerte sich und ließen sie nicht mehr klar denken.

Alles, was sie mitbekam und hörte, war der Reißverschluss, der kurz darauf aufgezogen wurde.

Wieder legte sich James auf sie, ließ Rosalie sein ganzes Gewicht spüren.

„ Bitte James, bitte… Es tut mir leid, bitte… James, bitte, lass mich gehen. Lass mich los, dass bist nicht du, bitte…James.“, schluchzte sie.

Rosalie bettelte ihren Verlobten, den Mann, den sie geliebt hatte, an sie nicht zu vergewaltigen und sie war erschrocken über die furchtbare Angst, die sie vor James hatte. Über ihren Kummer, den sie spürte, wenn sie ihn ansah.

In diesen Moment brach sie endgültig.

Sie hörte auf sich zu wehren. Wollte es hinter sich bringen. Schloss die Augen und versuchte, das Wimmern, die Panik und Angst zu unterdrücken.

Doch es geschah nichts.

Im Gegenteil.

Das Gewicht seines Körpers wurde plötzlich von ihr genommen.

Als sie es wagte, wieder die Augen zu öffnen, saß James auf der Kante des Bettes und sah sie an.- seine Augen waren schreckhaft aufgerissen.

„ Oh mein Gott…Rose.“, flüsterte er und streckte seine Hand aus.

In seinen Augen las sie die Scham. Das schlechte Gewissen.

Noch vor wenigen Stunden hätte sie ihm verziehen. Ein weiteres Mal.

Die Schläge.

Die Demütigung und diese Angst.

Aber heute…

Er hatte sie gebrochen. James hatte sie gebrochen.

Hastig rollte sie sich auf die andere Seite und sah James nicht an. Er sollte ihre Tränen nicht sehen. Sollte nicht sehen, was er ihr angetan hatte.

Obwohl ihr jeder Knochen im Leib schmerzte und sie sich fühlte, als wäre sie von einem Wagen überrollt worden, stand sie schnell vom Bett auf und flüchtete ins anliegende Badezimmer.

Sie verriegelte die Tür und drehte sich zum Waschbecken um.

Er hatte sich ein weiteres Mal bei ihr verewigt.

Ihr Hals trug seine dunklen Male, welche der Griff seiner Finger hinterlassen hatte.

Die eine Seite ihres Gesichtes war rot, der Abdruck seiner Hand war zu sehen.

Rosalie schrak zurück und sank gegen die Tür.

Ein Schluchzen kämpfte sich hoch und sie ließ es zu, dass sie wimmernd und weinend am Boden saß und bedauerte, was aus ihr geworden war.

Dieses Häufchen nichts war sie nicht.

Als sie sich beruhigt hatte, stand sie auf, sammelte den Rest von sich zusammen und ging in die großräumige Dusche.

Das kalte Wasser wusch ihr den Schweiß weg. Und hoffentlich auch die Angst.

Die Schmerzen und die Erinnerungen an diese Nacht.

Aber Rosalie wusste, dass es nicht so einfach war.

Denn sie war gebrochen.

 

Die eisigen Tropfen, die auf sie hinabregneten, rissen Rosalie aus ihren Gedanken.

Sie strich sich übers Gesicht. Es war nass. Nass, von den Tränen, die ihr bei der Erinnerung einer der letzten Nächte mit James, kamen.

Sie fröstelte, stellte das Wasser um, so dass es heiß aus der Leitung floss. Trotzdem blieb Kälte in ihr. Kälte, die sie nun schon seit Monaten erfolgreich unterdrückt hatte.

Aber heute- nach diesem Tag- kam die Erinnerung an den Mann wieder, der sie langfristig gebrochen hatte.

Darum hatte sie sich so verletzlich gefühlt, als Adam ihr so nah gekommen war.

 Der Letzte, der versucht hatte, sich ihr zu nähern, hatte sie enttäuscht. Und nicht nur das.

James hatte sie gedemütigt, geschlagen und schlussendlich hatte er es geschafft, aus Liebe Hass zu machen.

Diese grenzenlose Liebe, von denen in den meisten Gedichten und vielen Romane erzählt wurde, hatte Rosalie selbst immer mit einem Stirnrunzeln betrachtet.

Bis sie James kennengelernt hatte.

Sie hatte alles, was mit ihm zu tun gehabt hatte, als spannend und überaus intelligent empfunden.

War fasziniert von seinem Charme gewesen, der Art, wie er mit ihr umgegangen war, seine zärtlichen Berührungen…

Aber Rosalie wurde schnell eines Besseren belehrt.

Selbst ein lieber, zärtlicher Literaturstudent kann sich in ein skrupelloses, gewalttätiges Arschloch verwandeln.

Und genau das könnte ihr auch mit Adam passieren.

Rose, du Spinnerin. Der Mann hat dich geküsst wie kein Zweiter. Er sieht dich an, als wärest du die einzige Frau auf der Welt. Und du bist für ihn wie ein offenes Buch. Adam mag ein Teufel sein, aber einer der guten Sorte! Einer, der eine Menge Sex verspricht. Heißen Sex.

Rosalie stöhnte genervt auf. Ihr Unterbewusstsein war ein liederliches Luder und einfach unverschämt.

Da kam ein Mann, der es verstand, gut zu küssen und sie glaubte, einen Adonis kennengelernt zu haben.

Adam IST ein Adonis, Schätzchen…

Aber das wollte Rosalie nicht hören.

Für ihren Seelenfrieden war es besser sich von Adam Wyatt fernzuhalten.

 

 

Grün.

Nicht dieses gefleckte, komische Grün, dass die meisten der Rasen draußen vor seinem Wohnblock aufwiesen, sondern ein sattes, volles Grün.

So grün wie die Blätter im Wald. Strahlend. Irgendwie…rein.

James hatte die Augen aufgeschlagen und sein Blick hatte sich sofort auf das Bild von Rosalie und ihm gerichtet, dass sie damals bei ihrem Einzug ins Haus gemacht hatten.

Sie strahlt.

Ihr Lächeln erleuchtet das ganze Bild, lässt das Haus im Hintergrund und James an ihrer Seite total erblassen.

Sein Lächeln verzog sich zu einer Maske.

Wann hatte er sie so lächeln sehen?

Wie lange war es her, seit er Rosalie überhaupt zu Gesicht bekommen hatte?

Schwermütig und erschöpft stellte er das Foto wieder an seinen ursprünglichen Platz.

James warf noch einen letzten Blick auf ihre grünen Augen und schloss die seinen dann.

Das Wissen, keine Ahnung zu haben, wie es ihr geht, machte ihn rasend.

Er stand umständlich auf, wankte zum anderen Ende der Wohnung und fand sich schließlich in seiner Küche- vor dem geöffneten Kühlschrank hockend- wieder.

James nahm sich ein Bier, öffnete es und trank einen großen Schluck aus der Flasche.

Kühl und beruhigend rann es seine Kehle hinab, gab ihm, was er so dringend brauchte und füllte für einen Moment die Leere in seiner Brust.

Jene Leere, die damals Rosalie gefüllt hatte.

Rose.

Sollte er sie aufsuchen? Sie anrufen? Nochmal mit ihr reden?

Ein trockenes Lachen entkam ihm, Verbitterung machte sich bei ihm breit.

James wusste weder, wo er sie finden, geschweige denn, wo er sie suchen sollte.

Selbst wenn er ihre Nummer hatte, Rosalie würde nicht abheben und nachdem sie ihm verlassen hatte, war sie umgezogen.

Für sie war er Abschaum. Schnee von gestern. Ihre Vergangenheit.

Der Gedanke machte ihn so unglaublich wütend, dass er die Bierflasche mit so viel Gewalt auf den Tisch stellte, dass ein Teil der Flüssigkeit sich über seine Hand verschüttete.

Fluchend stand er auf, wankte rastlos durchs Zimmer, aber er hielt es nicht länger aus, nur herum zu sitzen.

Die Erinnerung zerfraß ihn.

Rose zerstörte ihn.

Das Schicksal kennt nun mal kein Erbarmen.

Bei diesem Gedanken erinnerte er sich sofort wieder an jenen Abend, an dem er es definitiv zu weit getrieben hatte.

Er kam nach Hause. Sturzbesoffen.

Und Rosalie sah so schön aus.

Ihr Haar lag ausgebreitet auf dem Bett und ihre Haut hatte einen rosigen Schimmer.

Doch obwohl er betrunken war wusste er trotzdem, dass sie sich schlafend stellte.

Was ihn wütend machte. Ungeheuer wütend.

James hatte sich nicht unter Kontrolle gehabt und bevor er sich beruhigen konnte, lag er auf ihr, schlug Rosalie ins Gesicht und…

Ein gequältes Stöhnen entkam ihm und er vergrub sein Gesicht in seinen Händen.

James musste sie sehen. Es war unumgänglich, je länger er es hinauszögern würde, desto schlimmer würde diese innere Leere werden.

Sein Blick wandert zu dem schäbigen Computer, der neben seinem Bett auf einem Schreibtisch stand.

Den hatte er noch aus der Beziehung von Rosalie.

Damals hatte sie gesagt, dass sie nichts mehr behalten wolle, was sie nur ansatzweise an ihm erinnern würde.

Seufzend stand er auf, wankte zum Stuhl und setzte sich vor dem Computer.

James hatte ihn schon so lange nicht mehr benutzt, dass eine dicke Staubschicht auf der Tastatur lag.

Als erstes gab er ihren Namen ein, aber er fand weder eine konkrete Adresse, noch einen Anhaltspunkt, wo sie sich aufhielt.

Die Wohnadresse ihres damaligen Hauses fand er zwar, aber Rosalie hatte aufgepasst, keine Spuren zu hinterlassen.

Dass er ihre Nummer damals herausbekommen hatte war schon ein wahres Wunder gewesen, dachte James sich und wollte gerade aufgeben, als er auf eine Internetseite stieß, in der ebenfalls der Name Rosalie Carter fiel.

Als er den Link dazu anklickte, erschien ein Bild von ihr.

Sie war wie immer unauffällig gekleidet, aber trotzdem so verdammt schön, dass es ihm eng in der Brust wurde.

Rosalie stand vor einem Buchregal, in der einen Hand einen dicken Schmöker.

Er scrollte nach unten, las sich durch, was dort stand und fand so heraus, dass es sich um eine Homepage für einen Buchladen handelte.

Buchladen?

Rosalie war doch Führerin im New Yorker Stadtmuseum? Zumindest war das zur Zeit ihrer Beziehung gewesen…

Was hatte sich noch alles verändert? Hatte sie den Beruf gewechselt, um es ihm unmöglich zu machen, dass er sie fand?

Auf der Homepage stand nichts über die Geschichte des Ladens. Gehörte der Laden etwa Rosalie?

Wie kam sie dann dazu?

Jedenfalls war außer ihr nur eine weitere Frau zu sehen. Eine zierliche Blondine mit Sommersprossen, die James nicht kannte.

Aber zumindest hatte er jetzt einen Anhaltspunkt. Auf der Homepage war auch die Adresse dieses Ladens.

Erleichtert ließ er sich zurücksinken.

Endlich.

Sein Blick fiel auf das Bild von Rosalie.

Das Strahlen ihrer grünen Augen gab ihm Hoffnung.

Hoffnung, dass doch noch alles gut werden würde.

 

 

„ Daddy da, Daddy da!“, hörte Samuel seine jüngste Tochter schreien, kaum hatte er die Haustür aufgesperrt.

Er grinste, doch sein Lächeln verschwand, als er den dicken Verband sah, der um den Kopf von Lorie gebunden war.

Samuel nahm die Kleine auf seine Arme und drückte sie fest an sich.

„Prinzessin, was ist denn mit dir passiert?“, fragte er und versuchte sein Entsetzen mit einem Lächeln zu kaschieren.

„ Hab bei Tante Rosie aua gemacht.“, erzählte Lorie und verzog das Gesicht, als sie automatisch zu dem Verband griff.

Samuel nahm die Hand seiner Tochter und küsste dann die weichen Locken, die nicht vom Verbandstoff verdeckt waren. „ Nicht, Schatz. Wo ist Mummy? Und Ava?“

„ Ich bin hier!“, rief Elisabeth aus der Küche und kam kurz darauf in den Hausflur.

„ Lorie, ich sagte doch, du sollst im Wohnzimmer liegen bleiben.“, schimpfte sie milde.

„ He.“, murmelte Samuel und küsste seine Frau. Sie schmeckte nach Himbeeren. Und Elisabeth. Himmlisch.

„ Hey, da hast du ja die Ausreißerin.“

„ Daddy hallo sagen.“, verteidigte sich Lorie und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

„ Natürlich, Liebes. Aber jetzt ist es Zeit fürs Bett, also sag Dad gute Nacht.“

Sofort zog Lorie einen Schmollmund und ihre Augen wurden gefährlich feucht.

„ Nein! Lorie mag nicht! Ava auch nicht Bett!“

Sie schlang ihre Arme um Samuel und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter.

Sofort bekam er Mitleid mit seinem Mädchen. Und ein schlechtes Gewissen.

Heute war er schon wieder später nach Hause gekommen.

Normalerweise kam er um sechs und nicht erst um halb acht am Abend.

„ Schätzchen, du weißt doch, das Ava etwas älter ist. Sie kommt in einer halben Stunde nach, ja? Daddy kommt gleich und erzählt dir eine Geschichte, in Ordnung?“, flüsterte Samuel seiner jüngsten Tochter zu.

Einen Moment schien es, als würde sie nicht darauf eingehen, doch dann hob sie ihren Kopf und schaute ihren Vater argwöhnisch an.

„ Rapunzel?“

Beinahe hätte Samuel aufgestöhnt.

Dieses Märchen war Lories absolute Lieblingsgeschichte, folglich war Samuel mittlerweile im Stande, jedes Wort auswendig aufzusagen.

„ Natürlich, Prinzessin.“, versprach er ihr und übergab sie an Elisabeth, die grinsend die Treppen nach oben stieg.

Seufzend ging Samuel in die anliegende Küche und machte sich warm, was auf den Herd stand.

Mit einem Teller voll Hühnchen in Sauce und dazu Reis suchte er nach seiner zweiten Tochter.

Ava saß- in der einen Hand ihre Lieblingspuppe, in der anderen einen Kamm haltend, auf dem Sofa und war damit beschäftigt, der blonden Barbie die Haare zu richten.

Haare richten? Sie reißt ihr wohl eher systematisch die Haare aus. Sind Glatzen seit neuestem „in“?

„ Hallo, Liebling.“, begrüßte er Ava und küsste sie auf die Stirn.

„ Daddy, Nina bekommt eine neue Frisur!“, erzählte sie stolz und hob ihm die Puppe entgegen.

Er versuchte, keine Miene zu verziehen. „ Sehr schön, Ava. Warum gehst du nicht in dein Zimmer und ziehst dir den Pyjama an? Die Puppe kannst du ja mitnehmen.“

Einen Moment schien sie nicht begeistert, aber als sie hörte, dass „ Nina“ mitkommen durfte, packte sie ihre sieben Sachen zusammen und marschierte geradewegs aus dem Wohnzimmer.

Samuel wollte mit Elisabeth reden und das ging am besten, wenn die beiden Mädchen schon im Bett waren.

Er war schon auf die Geschichte zu Lories Verletzung gespannt und hatte das ungute Gefühl, dass es auch was mit seiner kleinen Schwester zu tun hatte.

Immerhin waren Ava und Lorie heute bei ihr gewesen.

„ Schmeckt es?“, fragte ihn Elisabeth, die kurze Zeit später grinsend im Türrahmen der Küche stand.

Samuel erwiderte ihr Grinsen. „ Selbstverständlich. Schlafen meine Prinzessinnen?“

Elisabeth verdrehte die Augen. „ Du meinst wohl deine Monster. Und nein. Ich musste ihnen versprechen, dass du, wenn du zu Ende gegessen hast, ihnen noch Rapunzel vorlest.“

Samuel stöhnte auf, woraufhin Elisabeth nur lachte.

„ Na gut. Aber vorher würde ich wirklich gerne hören, warum Lorie so aussieht, als hätte sie ein Rugbyspiel hinter sich.“, brummte er und schob sich eine Gabel voll Hähnchen in den Mund.

Ein weiteres Mal verdrehte seine Frau die Augen. „ Übertreib doch nicht so, Sam. Sie ist heute im Buchladen vom Stuhl gefallen und hat sich den Kopf am Tisch angestoßen. Nur eine Beule, aber da Lorie immer hin gefasst hat, hab ich ihr einen Verband gemacht, damit es nicht so wehtut.“

Samuel war erleichtert, dass nichts Schlimmeres passiert war, aber trotzdem stellte sich die Frage…

„ Wo war Rose?“

Seine Schwester hätte auf die Kinder aufpassen sollen, verdammt nochmal.

Elisabeth verengte die Augen. „ Denk nicht mal daran, Rosalie die Schuld zu geben. Immerhin hast du sie gebeten, die Dokumente zu holen, die du so dringend brauchtest.“

Ach ja. die Dokumente.

Zuerst hatte er Elisabeth angerufen, doch diese hatte keine Zeit und er hätte Rosalie auch nicht darum gebeten, wenn es nicht dringend gewesen wäre…

Moment. Adam war dann bei seinen Kindern gewesen…

„Waren die Kinder etwa bei Adam, als sie runter gefallen ist?“

Elisabeth runzelte die Stirn und nickte dann. „ Natürlich, bei wem sollten sie sonst gewesen sein.“

Stimmte ja, er hatte ja sogar noch mit Rosalie darüber gesprochen…

„ Was hatte er eigentlich im Laden zu suchen?“, murmelte Samuel, mehr zu sich selbst, als an seine Frau gerichtet.

„ Es ist jetzt immerhin auch sein Geschäft, Sam.“

Trotzdem.

Irgendwie erschien ihm das komisch.

Immerhin war Samuel der festen Überzeugung gewesen, dass Adam nicht allzu viel Zeit mit dem Buchladen verbringen würde.

Vielleicht gar nicht so schlecht, möglicherweise fiel ihm ja doch noch etwas ein, wie er „ Rose´s Bookstore“ retten konnte.

Samuel ließ das Thema fallen und versuchte, die wenige Zeit, die er jetzt am Abend noch hatte, mit seiner Frau und den beiden Mädchen zu nutzen.

Selbst wenn das hieß, zum millionsten Mal Rapunzel zu lesen.

 

 

Rosalie trank einen weiteren Schluck von ihrer Tasse, welche gefüllt mit hochprozentig koffeinreichen Kaffee war und versuchte vergeblich, den Blick von dem Regal abzuwenden, bei dessen Anblick sich vor ihren Augen immer wieder dieselbe Szene abspielte.

Zwei Menschen ineinander verschlungen, gerötete Gesichter, deren Ausdruck von der Begierde gezeichnet waren, die glasigen Augen, halbgeschlossenen Lider…

Die Frau, die gegen das Regal gedrückt wurde, deren Haut gerötet und die Lippen geschwollen waren, sah zwar so aus wie Rosalie, aber sie selbst erkannte sich in dem Bild, dass sie sah, nicht wieder.

Hemmungslos und ohne irgendwelche Bedenken küsste sie Adam, ließ sich gegen das unnachgiebige Holz des Buchregales drücken und schien das Ganze auch noch zu genießen…

Als gäbe es hinsichtlich dessen noch Zweifel. Du hast es mehr als genossen, Schätzchen.

Rosalie stapfte verärgert mit ihren Fuß auf.

Jetzt ließ sich ihr Gewissen wieder blicken, aber wo war es gewesen, als sie es am meisten gebraucht hatte?

Vermutlich in einer Kabine, wo sie nuttenrote Unterwäsche anprobiert hat…

Kopfschüttelnd wandte sie sich der Rezeption zu, doch egal wie sie sich drehte oder wohin sie sah, immer wieder kam ihr das Bild von Adam und ihr in den Sinn.

Und damit auch die Lust, dies sie gestern verspürt hatte.

Verlangen regte sich in ihr.

Wunderbar, Rose, du bist scharf auf den Typen, der dich schon mit fünfzehn nicht wahrgenommen hat.

Naja, gestern war es ihr nicht so vorgekommen, als würde er sie nicht wahrnehmen…

Selbst wenn er jetzt auf einmal etwas mit dir anfangen könnte, wie lange würde es wohl dauern, bis du ihn langweilen würdest? Eine Woche? Vielleicht auch zwei?

Sie hielt das nicht mehr länger aus.

Rosalie würde noch wahnsinnig werden. Seit sie den Laden betreten hatte, schwirrten ihre Gedanken nur noch um Adam und den grandiosen Kuss.

Mit der rechten Hand fuhr sie sich durchs lange Haar.

Hinter ihrer Schläfe pochte es schmerzvoll und sie verzog das Gesicht.

Sie zog das Handy aus ihrer Hosentasche und wählte Amandas Nummer.

„ Ja?“, hörte sie die verschlafene Stimme ihrer besten Freundin.

Verdammt nochmal! Du dumme Kuh hast ihr doch die ganze Woche freigegeben! Heute ist Donnerstag!

„ Oh, es tut mir Leid, Amy, ich wusste nicht, dass du noch schläfst…“

„ Schon in Ordnung. Was gibt’s, Rose?“

Sie schluckte.

Ich hatte gestern beinahe Sex mit meinem neuen Mitteilhaber und will ihn jetzt nicht unter die Augen treten, weil mich die Erinnerung daran nicht loslässt.

„ Ich glaub, ich bekomm eine Grippe und wollte dich eigentlich fragen, ob du heute für mich einspringen könntest. Aber wenn du schon Pläne hast, dann bleib ich bis Mittag und…“

 Aber ihre Freundin ließ sie nicht ausreden. „ Auf keinen Fall. Ich bin in fünfzehn Minuten bei dir. Muss mich nur noch schnell anziehen…nein, Marc, hör auf, ich muss los…“

Sie legte auf und bei dem letzten, sicher nicht für sie bestimmten Teil ihres Satzes, wurde Rosalie rot.

Das Ganze war ihr furchtbar unangenehm. Sowohl dass sie Amanda in aller Früh aufweckte,  als auch die Tatsache, dass sie anscheinend andere Pläne gehabt hatte…

Aber heute ging es nicht anders.

Ansonsten verlor sie noch ihren guten Menschenverstand…

Verstand? Liebes, den hast du spätestens in dem Augenblick verloren, als du deine verdammten Lippen auf die von Adam gepresst hast!

Rosalie packte ihr Zeug zusammen, schnappte sich schon mal ihre Tasche und betete innerlich, dass Adam nicht im nächsten Moment durch diese Tür kam.

Das letzte, das sie jetzt gebrauchen konnte war, dass sie auch noch ihm erklären konnte, warum sie heute nicht zur Arbeit erschien.

Als zehn Minuten später die Tür geöffnet wurde und Rosalie einen leichten Windhauch verspürte, versteifte sie sich und drehte sich um.

Aber es war nur Amanda, die gerade ihre Wildlederjacke auszog und sie anlächelte.

„ Morgen, Rose.“

„ Es tut mir leid, dass ich dich aus dem Bett jage, Amy…“

Aber die schüttelte grinsend den Kopf und stellte sich hinter die Rezeption.

„ Kein Problem, ich war bei Marc.“

Himmel nochmal, Rose! Du bringst deine beste Freundin um ihren hartverdienten Sex! Was bist du eigentlich für ein Mensch!

„ Hattet ihr Pläne?“, murmelte Rosalie und stellte sich neben Amanda.

„ Nein, wir waren gestern essen und es… ist spät geworden.“

Ihre Freundin wurde rot und schüttelte leicht den Kopf.

„ Wird wahrscheinlich nicht viel los sein heute.“

Wie eigentlich immer.

Amanda nickte. „ Na gut. Ich komm zurecht, fahr nach Hause. Irgendwie erscheinst du mir blass.“

Tatsächlich?

Kommt vielleicht daher, dass du dich fühlst, als hätte dich ein Elefant mit einer Maus verwechselt…

„ Naja, ich hab ziemliche Kopfschmerzen. Wird schon wieder, aber heute bin ich zu nichts zu gebrauchen.“
„ Dann leg dich zuhause nieder. Wenn es dir morgen auch noch schlecht geht, dann bleib doch einfach zuhause, in Ordnung? Vielleicht schadet es dir nicht, wenn du dir den Rest der Woche frei nimmst. Ich melde mich am Nachmittag, damit du dir sicher sein kannst, dass dein Baby noch an Ort und Stelle steht und nicht doch niedergebrannt ist.“, sagte Amanda und grinste.

„ Vielleicht keine schlechte Idee. Vielen Dank, Amy. Bis dann.“, verabschiedete sich Rosalie, lächelte verkrampft und verließ den Laden.

Diese verdammten Kopfschmerzen, die sie wünschen ließen, dass sich ein großes Loch vor ihr auftat, wurden noch schlimmer bei dem lauten Dröhnen und Hupen der Autos…

Auch als sie in der U-Bahn saß ging es ihr nicht besser.

Nein, das typische Gedränge und die lauten Durchsagen der Bahnführer ließen sie zusammenzucken und Rosalie kam die zwanzigminütige Heimreise vor, als wäre sie seit Stunden unterwegs.

Kaum war sie die unendlich scheinenden Stufen ihres Wohnhauses nach oben gestiegen, öffnete sie ihre Tür und ging den Gang entlang, nur um sich aufs Sofa fallen zu lassen und erschöpft die Augen zu schließen.

Hier war sie sicher.

Sicher, vor lästigen, erotischen Erinnerungen.

Und vor allem sicher, vor Adam Wyatt.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.06.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Widmung steht zwar im Buch, aber hier nochmal: Für meine Freundin, Elisabeth Wollersberger.

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