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Prolog

Nachdenklich starrte ich auf das Gemälde, das über dem Kamin hing. Ich sah nicht das Feuer, das flackernd über das aufgeschichtete Holz leckte und ich hatte auch keinen Blick für Mrs. Dexter übrig, die den Tisch für das Abendmahl eindeckte. Sie versuchte es jeden Tag aufs neue, doch ich enttäuschte sie immer wieder. Sie konnte nicht verstehen, dass mir der Sinn ganz und gar nicht nach Nahrung stand. Und sie konnte auch nicht verstehen, dass ich nicht für eine Minute das Gesicht aus den Augen verlieren mochte, das mir so viel bedeutet hatte.

Ich hörte kaum, wie die ältere Hausangestellte das Porzellan scheppernd auf den alten Holztisch stellte und ich versuchte zu ignorieren, dass sie keine fünf Minuten später das Essen auftrug. Ich wusste, dass sie mich in diesem Moment missbilligend ansah und mit dem Kopf schüttelte, doch ich war einfach nicht in der Lage, meine Frau nur für ein paar Minuten aus den Augen zu lassen. Ich fühlte mich gestört in meiner Trauer, obwohl Mrs. Dexter es nur gut mit mir meinte. Allerdings konnte auch sie mir nicht helfen. Das konnte niemand, denn ich war bereits tot. Gestorben an einem gewittrigen Sommertag, an dem Amber dieses Haus und mein Leben verließ.

Mein Blick tastete jeden Millimeter ihres Bildes ab. So, wie ich es jeden Tag, jede Stunde, jede Minute tat. Das Portrait war dem Maler großartig gelungen. Es zeigte Amber, wie sie zu Lebzeiten aussah. Der Künstler hatte es perfekt verstanden, nicht nur ihre Schönheit, sondern auch ihre Lebenslust und ihr Temperament einzufangen – das Strahlen ihrer hellbraunen Augen und die stolze, fast schon aristokratische Haltung.

Ich hob mein Whiskeyglas und die bernsteinfarbene Flüssigkeit schwappte verheißungsvoll in dem edlen Kristall hin und her. Das Kaminfeuer ließ rote Lichter in der Flüssigkeit entstehen und plötzlich ertrank ich wieder in diesem Meer aus Blut. Es war überall. Es bedeckte das Parkett, die Wände und den hellen Berber, der die Eingangshalle bis zu jenem Tag geschmückt hatte. Ich spürte es warm und klebrig durch meine Hände sickern und der kupfrige Geruch stach mir selbst heute noch in die Nase. Vor meinen Augen wurde alles Rot. Wie ein zäher Nebel legte die Farbe sich über mein Sichtfeld und schon bald verschwamm alles in den blutigen Wolken, die mein Verstand mir vorgaukelte.

Meine Hand ballte sich wütend um das Glas, drückte immer fester zu – als ob ich so etwas an meiner Situation ändern könnte. Ich hörte das Kracken, doch ich war nicht in der Lage dazu, meinen Griff zu lockern. Der Schmerz, der in meinem Inneren wühlte wurde nur übertroffen von meinem Hass auf den einen Menschen, der mir das Liebste nahm, was ich besessen hatte – meine Frau Amber.

Der Whiskey floss über meine Hand und Scherben fielen klirrend zu Boden, während Mrs. Dexter, die gerade eine Servierplatte auf dem Tisch abstellte einen Schreckensschrei ausstieß.

Ich besah mir den Schaden den ich angerichtet hatte und wieder war es Blut, dass mir durch die Finger rann – warm und zäh. Mein ganz persönlicher Alptraum, in dem ich seit mehr als einem Jahr gefangen war. Ich spürte nicht einmal, dass Mrs. Dexter ein Küchentuch um meine Hand wickelte, um dann eilig aus dem Raum zu stürmen. Wahrscheinlich holte sie Verbandszeug - wie so oft in den letzten Monaten. Währenddessen starrte ich weiter auf das Bild meiner toten Frau. So, als könnte ich sie dadurch wieder ins Leben zurückzwingen.

Einer der brennenden Holzscheite knackte vernehmlich, während ich noch immer starr in meinem Sessel saß und Amber ansah.

Ian McCoy! Ian McCoy! Der Name kreiste in meinem Kopf seit dem Tag ihres Todes. Am liebsten hätte ich ihm meine Hände um den Hals gelegt und zugedrückt, bis er röchelnd unter meinen Fingern gestorben wäre. Doch der feige Mistkerl hatte es vorgezogen, sich davonzustehlen – sich selber zu richten.

Das Handtuch, das Mrs. Dexter provisorisch um meine Verletzung gewickelt hatte, fiel zu Boden, als ich mir mit den Händen fahrig in die Haare griff. Ein paar Geschäftsreisen zu viel. Ein bisschen zu wenig Zeit für eine so junge und lebenslustige Frau wie Amber, die mich oft genug angefleht hatte, nicht so oft zu verreisen und öfters zuhause zu bleiben.

Und was hatte ich gemacht? Ich hatte sie angelächelt und war schlussendlich doch gefahren. Immer wieder hatte ich sie alleine gelassen, bis sie es schließlich nicht mehr aushielt und sich kopfüber in eine Affäre stürzte. Eine, die am Ende ihr Untergang gewesen war.

Ich spürte, wie meine Augen zu brennen begannen. Wie Feuchtigkeit über meine Wangen strömte. Ganz genau erinnerte ich mich noch an die Freude, als ich die Treppe zur Veranda hochstürzte und mir nichts dabei dachte, dass die Tür leicht offenstand. Amber war sehr nachlässig, wenn es darum ging, auf ihre Sicherheit zu achten, aber hierher verirrte sich kaum jemand und der hohe Zaun, der das Grundstück einfasste, schützte das Haus vor Langfingern und üblem Gesindel. Es bot allerdings keinen Schutz vor Mördern, die man selber ins Haus ließ.

Ich konnte es noch heute ganz genau vor mir sehen. Jede einzelne Nuance von Rot und Weiß war in meinem Gedächtnis verankert. Mit zwölf Messerstichen hatte ihr Lover Amber regelrecht hingerichtet. Sie lag auf dem Boden, gleich hinter der Tür, das weiße Kleid mit roten Rosen verziert – mit Blumen aus ihrem Blut. Ich brauchte mehrere Sekunden, um das Bild das sich mir bot zu begreifen. Ich brauchte die unglaubliche Reglosigkeit und Blässe ihrer Haut, um zu verstehen, dass Amber nicht mehr da war. Dass ein kaltblütiger Killer sie mir genommen hatte.

Mein Licht! Mein Leben! Nichts war mir geblieben von ihr. Nicht ihr Lachen, dass ich noch heute in jedem Winkel des Hauses zu hören glaubte. Nicht der zarte Duft, den sie für gewöhnlich trug und der ihren Kleidern noch immer anhaftete. Sie war fort und hatte mich alleine zurückgelassen mit meiner Schuld und meinen Gewissensbissen.

„Sie können nicht so weitermachen, Mr. Freeman! Das geht schon zu lange so! Sie werden krank, wenn Sie sich weiter in ihrer Trauer verlieren!“ Mrs. Dexter versorgte meine Wunde akribisch, während ich versuchte, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen. Ich war ebenso tot, wie Amber es war. Mein Herz schlug, ich atmete, aber im Grunde genommen war ich ein gottverfluchter Zombie, der die Fürsorge der älteren Frau nicht verdiente. Wie immer reagierte ich heftig, wenn mir jemand mit gutgemeinten Ratschlägen ankam. Keiner konnte verstehen, wie es in mir aussah. Niemand konnte nachvollziehen, welche Hölle ich seit einem Jahr durchlebte …

Ich schob die Haushälterin resolut an die Seite.

„Kümmern Sie sich um ihren eigenen Kram! Ich mach das hier schon. Am besten nehmen Sie sich den Abend frei und tun, was immer Sie meinen tun zu müssen, … aber hören Sie auf, mich bemuttern zu wollen. Das ist pure Verschwendung von Zeit und Energie!“ Ich registrierte ihren empörten Blick nur am Rande und ihren Abgang bekam ich schon nicht mehr mit. Mein Augenmerk lag bereits wieder auf Amber und wie sie mir von der Wand entgegenstrahlte – fast so, als würde sie mich auslachen.

 

 

Kapitel 1

Dawn

 

Es war einer dieser Tage, die man nie vergaß – ein Tag, an dem sich das Leben wie man es kannte schlicht und ergreifend verdünnisierte. Und danach war einfach nichts mehr wie es sein sollte.

Poppy und ich lagen am Strand von Santa Monica und ließen es uns gutgehen - eigentlich hieß sie ja Patricia, aber den Namen konnte sie absolut nicht ausstehen.

Wir alberten herum, tranken viel zu viel von dem billigen Rotwein, den uns ein fliegender Händler angedreht hatte und beobachteten unsere beiden Jungs. Meine Augen folgten Joey und ich bewunderte das Spiel seiner Muskeln, während er gekonnt den Ball über das Netz schmetterte. Steven, Joeys bester Freund und langjähriger Partner von Poppy, nahm den Ball der gegnerischen Mannschaft an und gab ihn an meinen Verlobten ab. Der sprang in die Höhe und zeigte, was er draufhatte. Ein Punkt für unsere Mannschaft.

Leise seufzend wandte ich meinen Blick vom Spielfeld ab und widmete mich meinem Glas. In der Zwischenzeit war der Wein warm geworden und schmeckte dementsprechend fad. Angewidert verzog ich das Gesicht.

„Die Plörre ist übel, aber besser als gar nichts.“ Poppy hatte schon immer einen Hang dazu, offen auszusprechen, was andere sich dachten, aber in diesem ganz speziellen Fall musste ich ihr rechtgeben. Das Zeug schmeckte warm noch übler, als kalt.

„Sag mal?“ Poppys Stimme bekam einen lauernden Unterton, den ich so gar nicht an ihr mochte. „Was ist jetzt eigentlich mit eurer Hochzeit? Oder willst du den Rest deines Lebens als Dauerverlobte verbringen?“

Gretchenfrage – und zwar eine, die mir überhaupt nicht behagte. Innerlich seufzte ich auf. Poppy nicht zu antworten, würde bedeuten, dass sie sich den Rest des Tages mit nichts anderem mehr beschäftigte. Aber ehrlich gesagt wusste ich nicht, was ich ihr darauf sagen sollte.

„Ach Mensch, Poppy! Du kennst doch unser Problem. Du weißt, dass es nicht so einfach ist, wie du dir das vorstellst. Immerhin …“

„Red keinen Quatsch!“ Sie schob ihre überdimensionierte Sonnenbrille nach oben auf den Kopf und bedachte mich mit dem typischen Poppy-Blick, den sie immer dann aufsetzte, wenn eine Predigt folgte. Und die wollte ich gerade eigentlich gar nicht hören. Der Nachmittag war viel zu schön, um ihn jetzt mit einem so ernsten Thema zu versauen. Zumal ich auch nicht über die Tat meines Vaters nachdenken wollte. Jetzt nicht und später noch viel weniger.

„Joey sollte zu dir stehen! Du kennst meine Meinung. Der ganze Quatsch mit: Mein Onkel würde es nicht ertragen, er würde zusammenbrechen – tralala!“ Meine Freundin machte eine unwirsche Handbewegung, so als ob sie einen lästigen Moskito verscheuchen wollte. „Du bist doch sonst nicht auf deinen hübschen Mund gefallen, doch was das Thema angeht, stülpst du dir die Büßerhaube über und lässt es einfach so laufen. Mensch, Dawn!“ Sie robbte zu mir rüber und zog mich in ihre von der Sonne gewärmten Arme. „Mach Joey Gas sonst endest du am Ende noch als alte Jungfer! Außerdem will ich endlich Trauzeugin werden.“ Poppy gab sich Mühe Ernst zu bleiben, was ihr allerdings nicht so ganz gelingen wollte.

Ihr Grinsen wurde von Sekunde zu Sekunde breiter, während meines sich endgültig verabschiedete. Erst gestern noch hatten Joey und ich genau wegen dieses Themas gestritten. Ich hatte in einem Brautmodenheft geblättert und ihm ein besonders schönes Modell gezeigt – ein Traumkleid, in das ich mich auf Anhieb verliebte. Wieder einmal hatte Joey nur einen gelangweilten Blick für die Zeitschrift übrig gehabt und sich dann achselzuckend wieder seinem Wirtschaftsjournal gewidmet. Eine Tatsache, die ich nicht sonderlich gut aufgenommen hatte und mein Mund war schneller davongaloppiert, als mein Hirn folgen konnte. Ein Wort gab mal wieder das andere und das Resultat bestand darin, dass Joey wutentbrannt meine kleine Wohnung verließ. Beim rausgehen wütete er noch, dass ich mich ja bei ihm mich melden könnte, wenn ich mich wieder eingekriegt hätte. Das waren auf keinen Fall die Worte, die ich hören wollte.

„Ich mag nicht über das Thema reden, Poppy!“, gab ich lahm zur Antwort und wusste sofort, dass ich damit nur ein neues Fass aufgemachte. Sie kannte mich einfach zu gut und wusste, dass etwas im Busch war – erst recht, weil ich nicht darüber sprechen wollte.

„Hey, Mausi! Was ist los? Ärger im Paradies?“

Ja! So konnte man das auch nennen, aber das war es nicht alleine. Wahrschlich würde ich viel gelassener reagieren, wenn diese verfluchte Unsicherheit nicht wäre. Mittlerweile war ich nämlich auch schon zu der Überzeugung gelangt, dass Joey nur nach einer Ausrede suchte, um mich nicht heiraten zu müssen. Dass sein Onkel nur die passende Ausrede für ihn war, sein Versprechen nicht einhalten zu müssen. Trotzdem versuchte ich ihn zu verteidigen – so wie eigentlich immer. Vielleicht aus Gewohnheit.

„Was soll Joey denn deiner Meinung nach machen? Soll er einfach ins Büro seines Onkels stürmen und ihm erklären: Ich habe vor zu heiraten. Meine Braut hat nur einen einzigen Fehler. Sie ist die Tochter des Mannes, der deine Frau gekillt hat! Stellst du dir das so in etwa vor?“ Ich merkte, wie ich mich langsam in Rage redete. „Nein, Poppy! Logan Freeman hat den Tod seiner Frau noch immer nicht verwunden und Joey macht sich Sorgen um ihn. Die beiden stehen sich sehr nahe und ich kann verstehen, dass er nicht so taktlos sein möchte!“

Wieder wedelte Poppy den ominösen Moskito an die Seite.

„Ich kann es nicht mehr hören. Ihr seid seit fast einem Jahr verlobt und er hat es noch immer nicht geschafft, Onkel Logan von dir zu erzählen? Was für eine schwache Leistung. Ja, ja! Mann sein ist nicht einfach. Für mich ist er einfach nur feige, aber er hat ja auch eine Menge zu verlieren – was für mich wohl keine Ausrede ist.“

Im Stillen gab ich ihr recht, aber laut zugegeben hätte ich das niemals. Joey war Logan Freemans Alleinerbe und der war nicht nur wohlhabend, sondern schlicht und ergreifend stinkreich. Auch ein Umstand, der dafür verantwortlich sein konnte, dass Joey mich seinem Onkel noch immer nicht vorgestellt hatte.

Poppy drehte sich träge auf den Bauch und öffnete umständlich den Verschluss ihres Bikinioberteils. Dabei machte sie so schreckliche Verrenkungen, dass ich unwillkürlich einschritt und den Haken für sie löste. Trotzdem ließ sie nicht locker.

„Was gedenkst du jetzt zu tun? Ich meine, … ihr beide seid ein so hübsches Paar. Es wäre ein Jammer, wenn eure Beziehung schlussendlich an so einem alten Sack scheitert.“ Auch hier musste ich ihr recht geben. Im Grunde boykottierte ein Mensch der mich nicht kannte meine Beziehung zu Joey – auch dann, wenn er es nicht einmal wusste.

Ich warf einen weiteren Blick auf das Beachvolleyball-Feld. Das Spiel war noch immer in vollem Gange, doch ich hatte nur Augen für Joey. Die blonden Haare fielen ihm zerzaust in die Stirn und seine blauen Augen blitzten im Schein der Sonne aus seinem gebräunten Gesicht hervor. Als ich mich umschaute, erkannte ich viele junge Frauen, deren Blicke gebannt an meinem Verlobten hingen und ich konnte sie gut verstehen. Er war ein typischer Eyecatcher – nutzte diesen Umstand aber keinesfalls aus. Als ich weiterredete, sprach ich mehr mit mir selber, als mit meiner Freundin.

„Wenn ich nur einmal mit Logan Freeman reden könnte! Wenn er mich kennenlernen würde, ohne zu ahnen, wer mein Vater ist! Vielleicht könnte ich ihn von mir überzeugen und vielleicht würde er mich sogar mögen. Dann wäre meine Hochzeit mit Joey eventuell einfacher für ihn zu akzeptieren. Es kann doch durchaus sein, dass er jemanden in mir sieht, der es wert ist, geliebt zu werden.“ Bei den letzten Worten war ich immer leiser geworden.

Poppy schnaubte empört und stemmte sich in die Höhe, wobei sie vollkommen vergaß, dass ihr Oberteil nicht mehr geschlossen war. Die umliegenden Herren würden Stielaugen und anderes bekommen, wenn meine Freundin sich nicht endlich wieder hinlegte, … oder sich bedeckte. Doch die dachte natürlich nicht im Traum daran.

„Jetzt machst du aber mal einen Punkt, Süße! Wie kommst du denn darauf, dass du nicht liebenswert sein solltest? Nicht du hast einen Menschen umgebracht – dein Erzeuger war es und mit dem hattest du wie lange keinen Kontakt mehr?“

„Sieben Jahre!“, gab ich automatisch zur Antwort. „Vor sieben Jahren hat er meine Mutter verlassen, um sich selber zu finden – wie er es ausdrückte.“

„Da warst du wie alt? Lass mich rechnen! Sechzehn Jahre! Was, bitte schön, … hast du mit der Tat deines Vaters zu tun? Ich fasse es nicht! Wird Zeit, dass dir mal jemand die Ohren langzieht.“

Im gleichen Moment flog ein großes Badelaken durch die Luft. Es traf Poppy und ihre Puck-die-Stubenfliege-Sonnenbrille segelte in hohem Bogen in den Sand. Steven stand wie ein drohender Racheengel über ihr und schaute böse auf seine halbnackte Freundin hinab.

„Habt ihr mal wieder das eine Thema zwischen? Seid froh, dass Joey es nicht mitbekommen hat, weil er gerade Getränkenachschub organisiert.“

„Und? Was wäre denn geschehen, wenn Joey es gehört hätte? Ist nun mal meine Meinung und die sag ich ihm auch dann, wenn er sie nicht hören will. Dann sogar fast noch lieber.“

„War mir irgendwie klar.“ Steven hatte den Satz noch nicht ganz beendet, als er sich auf Poppy schmiss und meine Freundin in eine wilde Balgerei verwickelte. Ich wusste jetzt schon, wie das endete. Sie würde quietschen, kreischen und sich am Ende nur zu gerne geschlagen geben. Still lächelte ich in mich hinein, während ich aufstand und mir den Dreck von der Hose wischte. Ich würde Joey entgegengehen und ihm mit den Getränken helfen. Zum einen, weil ich Poppy und Steven einen Moment der Zweisamkeit gönnen wollte, zum anderen aber auch, weil ich plötzlich den Gedanken gar nicht so schlecht fand, Logan Freeman kennenzulernen, ohne dass er wusste, wen er vor sich hatte. Allerdings wusste ich nicht, wie ich an Joeys Onkel herankommen sollte. Das war das größte Problem vor dem ich stand, aber dafür müsste sich doch eigentlich eine Lösung finden lassen.

Und die kam schneller, als ich jemals damit rechnen konnte …

 

 

 

Kapitel 2

Dawn

 

Natürlich wusste ich ganz genau, wo Joeys Onkel lebte. Immerhin hatte mein Dauerverlobter mir das Haus schon gefühlte tausend Mal gezeigt.  Selbstredend nur aus der Ferne, damit Onkel Logan mich nur ja nicht zu Gesicht bekam und das schmerzte mehr, als ich sagen konnte. Ich kam mir tatsächlich wie die heimliche Geliebte vor. Joey schien das nicht einmal zu bemerken, denn er schwärmte mir jedes Mal vor, wie toll der noble Wohnsitz im Coldwater Canyon von innen wäre. Ausgestattet mit einem großen Swimmingpool, einer kleinen Tennisanlage und allem, was das Herz begehrte. Er ließ keine Gelegenheit aus, mir unter die Nase zu reiben, was für eine tolle Frau seine Tante gewesen war. Eine begnadete Innenarchitektin, die es verstand, einem Mann ein schönes Heim zu schaffen und das, obwohl sie es eigentlich gar nicht nötig gehabt hätte zu arbeiten. Immerhin war sein Onkel nicht nur wohlhabend, sondern reich. Diese Tatsache konnte man auch unschwer an der Villa erkennen, in der er lebte.

Im Nachhinein konnte ich nicht sagen, was mich an diesem Tag ritt, aber ich schwang mich auf mein Fahrrad und radelte einfach los. Ich hatte große Lust mich auszupowern und beim Sport zu vergessen, was mich seit dem Gespräch mit Poppy quälte. Sie hatte bei unserem Strandbesuch einen ganz wunden Punkt in meinem Inneren berührt und seit sie mich auf einige unangenehme Tatsachen aufmerksam gemacht hatte, wollten die auch nicht wieder schweigen. Unaufhörlich kreiste seit gestern die Frage in meinem Kopf, ob Logan Freeman wirklich der einzige Grund war, warum Joey und ich nicht heiraten konnten. Ich zerfleischte mich gerade selber, konnte aber nicht das geringste dagegen tun. So viele Kleinigkeiten ergaben auf einmal ein Gesamtbild, das Joey nicht unbedingt schmeichelhaft dastehen ließ. Und wenn ich ehrlich sein wollte - nicht erst, seit Poppy mich mit der Nase draufgestoßen hatte.

In den letzten Wochen hatte er kaum eine Verabredung zwischen uns beiden eingehalten. Meist kam er zu spät, oftmals sogar gar nicht. Meist bekam ich dann eine fadenscheinige Begründung geliefert, die mich nicht wirklich zufriedenstellte. Wenn ich ihn auf meine Befürchtungen ansprach, dann schenkte er mir sein jungenhaftes Grinsen, zauste meine blonden Locken und nannte mich sein Kleines Dummchen – nicht gerade schmeichelhaft. Andererseits tat er aber auch nichts, um meine Befürchtungen zu zerstreuen – im Gegenteil.

Seine Küsse ließen das leidenschaftliche Feuer vermissen, mit dem er mich zu Beginn unserer Beziehung regelrecht berauscht hatte und wenn ich genauer darüber nachdachte, auch seine Bereitschaft, mit mir ins Bett zu gehen. Irgendetwas schien permanent zwischen uns zu stehen. Ich wusste nur nicht, was das sein könnte – außer eben dem besagten Onkel, der mich laut Joey nicht akzeptieren würde.

Ich spürte den Fahrtwind in meinem Gesicht und versuchte alles, die unangenehmen Gedanken zu verscheuchen. Ich wollte nicht, dass sie die Oberhand gewannen und erst recht nicht, dass sie sich zwischen Joey und mich drängten. Manchmal kam es mir so vor, als verwandelte ich mich in eine eifersüchtige, unsichere Zicke, die ihren Freund am liebsten am Bett festgekettet hätte. So weit durfte es auf keinen Fall kommen.

Ich trat noch fester in die Pedale und fühlte mich zum ersten Mal seit langen wieder einigermaßen gut. Der Sport half mir und ich nahm mir vor, wieder öfters was für mich selber zu tun – auch wenn Joey meine Betätigung sehr unweiblich fand. Solange er mich so sehr vernachlässigte, konnte er darüber von mir aus denken, was immer er wollte.

So früh am Morgen war in dieser Gegend kaum jemand unterwegs und so erhöhte ich mein Tempo immer weiter. Schweiß rann über mein Gesicht und über meinen Rücken, während ich spürte, wie mein Blut immer schneller durch meinen Körper zirkulierte. Der Nebel in meinem Hirn verzog sich nach und nach und meine Gedanken flossen klarer, als noch vor wenigen Minuten. In mir machte sich immer mehr die Überzeugung breit, dass ich Joeys Onkel kennenlernen musste. Dass mein Weg zu meinem Verlobten nur über Logan Freeman führte.

Gerade als ich den festen Vorsatz fasste, irgendwie die Bekanntschaft jenes Mannes zu suchen, trat eine Person auf den Boulevard. Sie tauchte so plötzlich auf, dass ich im ersten Moment nur einen Schatten erkannte und hart an den beiden Bremsen zog. Ich spürte das Schlingern des Fahrrades und unternahm alles, um die Kontrolle nicht völlig zu verlieren. Das war allerdings gar nicht so einfach, denn gerade bekam ich eine Ahnung davon, wie es sein musste, auf einer Bananenschale den gesamten Rodeo Drive herunterzurutschen. Und es war ein ziemlich beschissenes Gefühl.

Die Sekunden zogen sich wie ein alter Kaugummi und ich glaubte, dass ich niemals rechtzeitig anhalten konnte. Innerlich bereitete ich mich schon auf einen harten Aufprall vor – doch der blieb aus.

Ich hörte derbes Fluchen, dann den Aufprall von etwas Hartem und ehe ich mich versah, geriet ich in eine bedenkliche Schieflage, die ich nur in den Griff bekam, indem ich mit den Füßen den letzten Schwung des Rades abfing. Halb stolpernd, halb schlitternd rutschte ich noch einen Meter, bevor ich heftig nach Luft ringend endlich einen halbwegs sicheren Stand erreichte. Das Schimpfen hinter mir hielt an und ich hatte ehrlich gesagt keine Lust mich umzudrehen, um mir den Schaden anzusehen, den ich angerichtet hatte.

„Was für eine Idiotie! Wie kann man nur so rasen?“ Es nutzte alles nichts. Langsam drehte ich mich um und erstarrte.

Gleich neben einer Toreinfahrt, die ich bestens kannte, stand eine ältere Dame über einem offenen Koffer, dessen Inhalt über den ganzen Asphalt verteilt war. Ein Schlüpfer, den man sich getrost bis unter die Achseln hätte ziehen können, hing höchst dekorativ an der Antenne des wartenden Taxis und ich bemerkte, dass der Fahrer sichtlich Mühe hatte, nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Da war er aber auch der einzige – mir war gerade mal so gar nicht nach Lachen zumute. Während ich noch wie erstarrt neben meinem Rad stand und mir überlegte, wie das passieren konnte, rollte ein einsamer Lockenwickler über die Straße und blieb gleich neben meinem Schuh liegen. Ein rosa Lockenwickler an dem ein paar graue Haare klebten …

Das war der Moment, in dem ich aus meiner Starre erwachte und wirklich realisierte, wo ich mich gerade befand.

Ein seltsames Schicksal, oder die Tatsache, dass ich mich gedanklich so intensiv mit Logan Freeman beschäftigte, hatten mich vor das Tor zu seinem Anwesen geführt. Ein komischer Zufall und einer, der mir tatsächlich auch ein bisschen unheimlich war. Gleichzeitig wurde mir auch klar, wen ich da gerade beinahe über den Haufen gefahren hätte und sofort stieg mein Adrenalinpegel wieder bedenklich an. Mein Herz raste und frischer Schweiß trat auf meine Stirn. Herrje! Die ältere Dame, deren Kofferinhalt ich über die Straße verteilt hatte, war niemand anderes als Mrs. Dexter – Logan Freemans Haushaltsperle. Joey hatte sie mir irgendwann einmal gezeigt, als wir in der Nähe des Hauses waren und die Frau sich gerade abmühte, die schweren Müllsäcke aus der Villa zu schaffen. Ein Umstand, den ich bereits damals mehr als furchtbar fand. Eine Frau in diesem Alter sollte auf keinen Fall mehr solche Gewichte durch die Gegend tragen.

Erst jetzt besann ich mich darauf, dass ich nachsehen musste, ob mehr passiert war, als eine Unterhose, die wie eine Fahne an der Antenne hing. Ich stellte mein Rad ab und rannte zu der noch immer schimpfenden Frau. Verletzt war sie anscheinend nicht, denn sie stopfte bereits voller Elan ihre Klamotten zurück in den Koffer. Dabei fluchte sie was das Zeug hielt und ich bekam tatsächlich rote Wangen, weil ihre Wortwahl alles andere als harmlos war. Ich beeilte mich und wollte helfen, doch als ich den ersten BH – wieder in rosa – in den Koffer packen wollte, riss sie mir das kolossal große Teil einfach aus den Fingern.

„Können Sie eigentlich nicht aufpassen, junge Frau?“, motzte sie mich lautstark an. „Ein Wunder, dass Sie noch leben, wenn sie immer so fahren, wie gerade eben!“

„Ich wollte nicht, … Ich habe Sie nicht gesehen und …“, stotterte ich verwirrt, während ich ein Stück Papier aufhob, das mitten zwischen Wäsche und Toilettenartikeln auf dem Boden lag.

„Das habe ich gemerkt, Mädchen!“ antwortete sie und hatte dabei bereits einen sehr viel versöhnlicher klingenden Ton angenommen. Den Rest bekam ich schon nicht mehr mit, denn in diesem Augenblick erkannte ich, was auf dem großen Papierbogen stand.

 

Haushälterin gesucht

 

Die Stelle ist ab sofort zu vergeben. Bei Interesse melden sie sich bitte bei …

 

Anscheinend war Mrs. Dexter zu der Überzeugung gelangt, dass sie zu alt für all die Arbeiten war und hatte gekündigt. Grundgütiger! Da war sie! Die Antwort auf all meine Fragen. Ich brauchte nur noch zugreifen.

„Ist die Stelle noch zu haben?“, unterbrach ich den Redefluss der alten Frau, woraufhin diese mich ansah, als wenn ich vollkommen neben der Spur stehen würde.

„Das ist kein Job für Sie!“ Ganz vehement schüttelte die Frau den Kopf und klaubte dabei ihre Unterhose von der Antenne. „Glauben Sie mir, Sie werden die Arbeit nicht mögen und der Hausherr ist, … sagen wir es mal so: Er ist nicht ganz einfach.“

„Also ist der Job noch frei?“ Über die Konsequenzen meiner Tat machte ich mir in diesem Moment keine Gedanken. Ich sah nur die Möglichkeit, endlich Logan Freeman kennenzulernen und ihn von mir zu überzeugen.

„Kindchen!“ Mit Kummerfalten im Gesicht tätschelte Mrs. Dexter mir liebevoll die Schulter. „Ein so hübsches, junges Mädchen sollte sich auf gar keinen Fall in einem solchen Haushalt lebendig begraben lassen – denn etwas anderes ist es nicht. Es ist das Mausoleum einer großen Liebe. Hinter diesen Mauern endet alle Fröhlichkeit und jedes Leben!“ Das hörte sich nicht gut an – ganz und gar nicht gut. Für den Bruchteil einer Sekunde machte es mir sogar Angst, denn ich dachte tatsächlich darüber nach, wie Mr. Freeman reagieren würde, wenn er rausbekam, wer ich war. Was würde er dann mit mir machen – mit der Tochter des Killers.

„Wie heißen Sie eigentlich?“ Neugierig sah Mrs. Dexter mich an und ich erwachte wie aus einer Trance.

„Dawn! Dawn McC … Manchester!“ Beinahe hätte ich mich versprochen. „Und ich brauche die Arbeit wirklich dringend. Als Studentin bin ich auf jeden Cent angewiesen.“ Das war zwar so nicht ganz richtig, klang aber verdammt vernünftig und überzeugend, denn mein Gegenüber schüttelte zwar den Kopf, wies dann aber auf die offene Einfahrt.

„Ich sehe es schon. Da ich Sie anscheinend nicht aufhalten kann, möchte ich Ihnen noch einen guten Rat mit auf den Weg geben.“ Sie sah mich durchdringend an. „Bleiben Sie nicht zu lange an diesem Ort, denn er wird Sie verändern. Er wird Sie traurig machen. Achten Sie auf sich!“ Dann ließ sie den Koffer lautstark zuschnappen und wuchtete ihn in den Kofferraum des wartenden Taxis, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen.

 

Kapitel 3

 

Dawn

 

Der Gang zum Haus über die lange, gewundene Auffahrt war bereits gruselig. Der einstmals schöne Garten total verwildert und heruntergekommen. Die Rosenbüsche, die den gepflasterten Weg einrahmten waren vor lauter Unkraut kaum noch zu erkennen und ihre Blätter wirkten stumpf und faulig. Aber das war noch gar nichts. Als ich den Pool erreichte, wurde mir regelrecht schlecht. Das Wasser war grün und stank penetrant modrig. Blätter und jede Menge Müll schwammen auf der Oberfläche und ich glaubte tatsächlich, zwischen all dem Unrat auch einen toten Vogel zu entdecken. Trotzdem lief ich weiter, jetzt allerdings schon weit weniger enthusiastisch als vor wenigen Minuten. Mein Mut verließ mich immer mehr, je näher ich dem Gebäude kam. Dieses sah genau so abweisend aus wie der Garten, nur nicht ganz so heruntergekommen.

Alle Jalousien waren geschlossen, sperrten das Tageslicht und die frische Luft aus und ich fragte mich, wie es wohl im Inneren aussehen würde. Ich befürchtete, dass mich dort nichts Angenehmes erwartete.

Seufzend trat ich vor die modern gestaltete Eingangstür und war erstaunt, diese offen vorzufinden. Ich musste nur leicht drücken und sie schwang mit einem leisen, gespenstisch klingenden Quietschen nach innen auf.

„Hallo?“ Ich klang nicht gerade forsch. Eher piepsig wie ein Mäuschen, das vor der großen Katze kuschte - und genauso fühlte ich mich auch. An dieser Stelle kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass das hier eine ziemlich dumme Idee war. Ein Schuss, der nach hinten losgehen konnte und zwar mit einem sehr lauten Knall.

„HALLOOOO!“ Ohje! Jetzt war ich extrem laut – lauter, als ich es beabsichtigt hatte. Die Antwort folgte auch sogleich und zwar in einem Ton, der mir Eiswasser über den Rücken laufen ließ. Trotz der zweiunddreißig Grad, die der Wetterdienst für heute gemeldet hatte, wurde mir plötzlich sehr kalt.

„VERSCHWINDE!“, brüllte, oder vielmehr lallte es mir entgegen. „Mach dasch duu weg … wegkomscht …“

Und was machte ich, statt der freundlichen Aufforderung nachzukommen? Ich trat einfach ein und schlich zögerlich durch die Eingangshalle, die Gott sei Dank sauber und gepflegt wirkte. Fast hatte ich damit gerechnet, Spinnweben und Verfall wie in einem alten Spukschloss vorzufinden.

„Isch hatte geschagt, … du schollscht, … schollst verschwinschen …“, gröhlte der Besitzer des Hauses laut und ich orientierte mich an der furchtbaren Stimme, um zu ihm zu gelangen. Nein! Ich würde jetzt auf keinen Fall weglaufen – nicht so kurz vor meinem Ziel! Selbst dann nicht, wenn ich mir gerade vor Schiss in die Hose machte.

„Ich möchte mich vorstellen, … für den Job als Haushälterin …“ Das klang in etwa so überzeugend wie ein Junkie, der behauptete, sich keinen weiteren Schuss setzen zu wollen …

„Vorschtellen … Hahaha!“ Das Gelächter ließ die nächste Gänsehaut über meinen Rücken und meine Arme krabbeln, doch statt zu flüchten, wozu mein Instinkt mir dringend riet, machte ich den ersten Schritt hinein in die Höhle des Löwen.

Ich weiß nicht, was ich erwartete, aber mein erster Eindruck war buchstäblich umwerfend. Es hätte mich fast aus den Schuhen gehauen, so sehr stank es in dem Salon, den ich gerade betrat. Mal ganz davon abgesehen, dass das Feuer im Kamin die einzige Lichtquelle war und ich kaum etwas erkennen konnte, drehte mir der Geruch von Alkohol, abgestandener Luft und Schweiß auch gleich den Magen herum. Was für ein Wesen auch immer hier hausen mochte – es war garantiert nicht menschlich, denn das hier konnte niemand auf Dauer aushalten.

Unbewusst tastete ich nach dem Lichtschalter wurde aber sogleich gestoppt.

„Finger weg! Lasch das Lischt ausch!“, zischte es mir dunkel entgegen. „Komm näher!“

Aber klar doch! Wahrscheinlich legte Mr. Freeman es darauf an, dass ich mir hier im Dunkeln den Hals brach. Trotzdem machte ich tapfer zwei weitere Schritte in den Raum hinein – und dann noch einen und noch einen. Jetzt erkannte ich bereits erste schemenhafte Umrisse, die vom Feuerschein angeleuchtet wurden. Anscheinend gewöhnten meine Augen sich gerade an das gedämpfte Licht, das im Zimmer vorherrschte.

Logan Freeman saß in einem Ohrensessel, nicht weit entfernt von mir. Funkelnde, braune Augen starrten mir entgegen und ein Gesicht, dass ebenso gut aus einem Horrorfilm entsprungen sein könnte. Lange schwarze Haare, die ihm zottelig ins Gesicht hingen, waren nach seinen verblüffend hellen Augen das erste, was mir ins Auge fiel. Ebenso wie der Bart, der nicht nur ungepflegt aussah, sondern es auch tatsächlich war. Ich bildete mir sogar ein, dass das Teil sich bewegte – aber das war zum Glück wirklich nur eine Halluzination, denn ansonsten hätte ich schreiend das Weite gesucht.

Die Klamotten, die der Kerl am Leib trug, konnte man nur noch in der Mülltonne entsorgen. Jeder Penner auf der Straße hätte sich geschämt, wenn er so durch die Gegend gelaufen wäre. Himmel! Ich hatte mir so einiges vorgestellt und nach Mrs. Dexters Worten auch bereits einiges befürchtet – dass es allerdings so schlimm um Joeys Onkel stand, hatte ich nicht gedacht.

Logan Freeman löste eine Hand von seinem halbvollen Glas und winkte mich zu sich heran. Ich wusste tatsächlich in dieser Sekunde nicht, ob ich es aushalten würde, ihm noch näher zu kommen – der Typ stank nämlich wie ein Iltis. Ich musste mich ganz schön zusammenreißen, um zwei weitere Schritte in seine Richtung zu schaffen. Dabei hielt ich allerdings die Luft solange an, wie ich es eben aushielt.

„Du bischt zu jung“, fällte er sogleich sein Urteil über mich. „Sowas wie disch kann isch nicht brauchen!“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung – sehr abfällig und herablassend.

„Und sie stinken!“ Ach, du grüne Neune! Da war es! Mein allergrößtes Problem und genau das, was Joey an mir am wenigsten leiden mochte. Oftmals plapperte mein Schnabel einfach drauf los – ganz ohne mein Zutun und ohne das Einschalten meines Gehirns. Die einsetzende Stille besagte deutlich, dass ich Mr. Freemans ungeteilte Aufmerksamkeit besaß. Allerdings wagte ich zu bezweifeln, das diese positiver Natur war.

Damit hatte sich der Job für mich garantiert erledigt! Ganz sicherlich sogar und Logan Freeman würde mich innerhalb der nächsten Sekunden zum Teufel jagen. Genau das erwartete ich und machte mich bereit, um im Notfall losrennen zu können. Meine Beine juckten fürchterlich, doch ich zwang mich erst einmal stehenzubleiben – auch wenn es schwerfiel.

Mr. Freeman stellte sein Glas mit einem lauten Knall auf den kleinen Beistelltisch aus Marmor.

„So, so! Ich schtinke also!“ Er kratzte sich ungeniert den Bart und wieder sah ich kleine Krabbeltiere, die nur meiner Einbildung geschuldet waren - daran musste ich einfach glauben! „Isch hoffe, isch habe nicht noch weitere Unzulänglichkeiten, die misch als Arbeitgeber inakschzeptabel machen!“ Das war eindeutig keine Frage gewesen und ich hatte sehr wohl den drohenden Unterton in seiner Stimme vernommen. Anscheinend hatte ihm schon lange keiner mehr die Stirn geboten und ich wusste auch nicht, ob das eine gute Idee war. Trotzdem ahnte ich, dass ich jetzt nicht nachgeben durfte. Zeigte ich Schwäche, dann war es das mit meinem Job. Dann würde Mr. Freeman mich aus dem Haus jagen, schneller als meine Beine mich tragen konnten. Davon war ich absolut überzeugt.

„Ja!“, holte ich aus. „Da gibt es so einiges, was mich stört! Sie sind unfreundlich und grob und falls Sie mal an einem Spiegel vorbeikommen, sollten Sie bei Gelegenheit reinschauen!“ Ich holte tief Luft und kratzte den letzten Rest Mut zusammen, den ich finden konnte. „Ihnen dürfte nicht gefallen, was Sie dort zu sehen bekommen!“

Joeys Onkel riss überrascht die Augen auf und ich erkannte ein erstes, interessiertes Glitzern in seinen Iriden. Ob das ein gutes, oder doch eher ein schlechtes Zeichen war, musste ich abwarten. Ich hatte einfach drauflos geplappert und musste mich jetzt den Folgen meiner Worte stellen. Ich konnte nur hoffen, dass ich mir nicht gerade den Weg in die Villa komplett verbaut hatte.

Wieder strich Mr. Freeman sich durch seinen Bart und ich betete zu allen Engeln, dass er doch endlich damit aufhören möge. Es knisterte so unschön, dass ich befürchtete, der Schmutz von zwölf Monaten würde gerade anfangen zu Bröckeln.

„Hmmmm!“, brummelte er dumpf. „Scho hat noch keiner mit mir geredet und ich weisch nischt, ob ich das gut finden scholl“ Er lallte schon bedeutend weniger und wirkte lebhafter – aber das konnte genauso gut auch Einbildung sein.

„Dann wurde es aber Zeit!“, beschied ich resolut und bewegte mich weiter auf ihn zu. Dabei griff ich wie nebenbei nach der fast leeren Bourbon Flasche und nach dem fleckigen Glas. Vorläufig würde der Kerl keinen Alkohol mehr bekommen, das stand für mich außer Frage. Was mich allerdings am meisten wunderte, war die Tatsache, dass er keinen Protest äußerte, als ich die beiden Dinge aus seiner unmittelbaren Reichweite entfernte. Stattdessen lachte er lauthals los und das hörte sich so qualvoll an, dass mein Herz einen holpernden Satz machte. Auch dieses menschliche Wrack ging auf das Konto meines Erzeugers … Das, und noch einiges mehr …

Kapitel 4

Logan

 

Die Tatsache, dass ich nach sehr langer Zeit eine Art Flashback hatte - dass ich die Bluttat einmal mehr durchleben musste, hatte mich in eine Art Schockzustand versetzt. Auch dass Mrs. Dexter anscheinend endlich genug von mir hatte und vor meinen Augen ihren Arbeitsvertrag zerriss, ließ mich immer tiefer in die Schwärze sinken, die mich seit Ambers Tod ständig umgab. Immer wieder griff ich zum Whiskey, in der Hoffnung, dass er mich den Schmerz weniger stark fühlen ließ. Dass er den Teil in mir betäubte, der sich immer und immer wieder an das Blut und an die Brutalität erinnern wollte, mit der Amber mir genommen worden war.

Natürlich war das ein Irrglaube. Statt weniger fühlte ich nur noch mehr und die Trauer drohte mich in eine Abwärtsspirale zu ziehen, aus der es kein Entkommen gab – nicht heute, nicht morgen, wahrscheinlich niemals. Am Ende bekam ich nicht einmal mehr mit, dass Mrs. Dexter tatsächlich ging und mich mit den Worten verließ, dass sie am Tor eine Notiz anbringen würde, die die freigewordene Stelle ausschrieb. Als ob das etwas nutzen würde. Immerhin war die gesamte Nachbarschaft reich und da würde sich wohl kaum jemand finden, der den Job haben wollte. Nicht bei mir, denn seit dem Tod meiner Frau mied man mich wie der Teufel das Weihwasser.

Umso erstaunter war ich, als ich plötzlich ein zartes Stimmchen hörte, kaum dass Mrs. Dexter mein Haus mit wehenden Fahnen verlassen hatte – natürlich nicht ohne mir vorher noch gehörig den Kopf zu waschen. Durch den dichten Alkoholnebel verstand ich allerdings nur die Hälfte von dem, was sie mir sagen wollte und das war wahrscheinlich auch gut so.

Halbwegs klar wurde ich erst, als die Stimme trotz meiner Aufforderung zu Verschwinden immer näher kam. Und obwohl ich alles andere als freundlich war, stand auf einmal ein junges Mädchen im Raum und versuchte die Dunkelheit mit ihren Augen zu durchdringen. Ich hatte es da weitaus besser als sie, denn das Licht, das durch die geöffnete Tür in den Raum fiel, ließ sie wie im Spotlight einer Bühne erscheinen.

Lange blonde Locken klebten in einem verschwitzten Gesicht, aus dem mich blaue Augen anfunkelten – wütend und energisch. Anscheinend war das Küken mit meiner Art des Empfangs nicht wirklich zufrieden – was mir eigentlich ziemlich egal war. Sie war viel zu jung, um für mich zu arbeiten. Junge Frauen bedeuteten Ärger und den konnte ich nicht gebrauchen. Dumm war nur, dass sie sich absolut nicht verscheuchen ließ und selbst mit meinem zugedröhnten Schädel erkannte ich die Entschlossenheit, die sie ausstrahlte. Das wiederrum weckte meine Neugierde – erst recht, als sie mir an den Kopf warf, dass ich stank. Dabei trug sie einen so angewiderten Ausdruck im Gesicht, dass ich beinahe in Versuchung geriet, an mir selber zu schnüffeln wie ein Tier. Die Kleine hatte eine seltsame Art, sich um einen Job zu bewerben. Ganz und gar ungewöhnlich und langsam erwachte ich aus dem zähen Nebel der Vergangenheit. Für einen Moment vergaß ich tatsächlich, warum ich in diesem Zimmer hockte und mich selber von der Außenwelt isolierte. Ich betrachtete die junge Frau genauer.

Ganz augenscheinlich besaß sie genau das Paket, das ein Mann als anziehend bezeichnen würde. Lange, schlanke Beine die von den sportlichen Shorts betont wurden. Eine ausgeprägte Taille und ein schöner Busen, der durch das Tank-Top vorteilhaft in Szene gesetzt wurde – aber das fesselte mich weitaus weniger, als der Blick ihrer Augen. Trotz ihres energischen Auftretens wirkte sie irgendwie traurig und ich versuchte angestrengt einen klareren Kopf zu bekommen. Erst recht, nachdem sie gerade mein Glas und meine Flasche aus meiner Reichweite entfernte. Dachte sie ernsthaft, dass mich das aufhalten würde?

Ich lachte schallend los und merkte sofort, wie sie zurückzuckte. Wahrscheinlich hörte ich mich genauso gruselig an wie ich aussah – nämlich wie ein versoffener Penner.

„Kannscht du Kaffee kochen?“ Warum ich sie duzte, war mir schleierhaft, aber irgendwie gab die Situation nichts anderes her. „Wie heischt du eigentlich?“ Ich legte bei ihr weitaus mehr Freundlichkeit an den Tag, als bei Mrs. Dexter im Verlauf des letzten Jahres und das überraschte mich nun tatsächlich selber.

„Ich, … ich, … natürlich kann ich Kaffee kochen!“ Nach anfänglichem Stottern bekam ihre Stimme einen entrüsteten Unterton, was mir ein Schnauben entlockte.

„Dann bitte! Mach mir nen Kaffee!“

„Ich soll was …?“ Jetzt stemmte sie auch noch die Hände in die Hüften und funkelte mich zornig an. „Ich bin doch nicht ihr Dienstmädchen!“

„Doch! Bischt du!“, ich grinste sie breit und auch ein bisschen  trunken an. „Oder hattescht du disch nicht gerade um diesen Job beworben? Nun – er gehört dir!“ Eigentlich hatte ich das gar nicht sagen wollen und noch eigentlicher wollte ich dieses Küken gar nicht hierhaben, aber irgendetwas in ihrem Blick hatte mich einknicken lassen – warum auch immer.

Sie starrte mich eine Sekunde ungläubig an, dann lächelte sie leicht und diese schlichte Geste wärmte mich auf seltsame Art und Weise – ein Gefühl wie ich es schon lange nicht mehr verspürt hatte.

„Kaffee findescht du in der Küche. Schwarz und stark!“ Wenn nur dieses verdammte Lallen nicht wäre und der Schwindel, den ich einfach nicht abschütteln konnte. Zu viel Alkohol und zu wenig Nahrung – genau das war der Grund.

Sie flog auf dem Absatz herum und wollte bereits den Raum verlassen, als ich sie stoppte.

„Name?“, grummelte ich laut, denn den wollte ich unbedingt wissen.

„Dawn! Mein Name ist Dawn, … Manchester!“ Den kurzen Aussetzer, bevor sie mir ihren Nachnamen nannte, hatte ich sehr wohl registriert. So besoffen konnte nicht mal ich sein, denn das war schon mehr als nur auffällig gewesen. Irgendwie machte sich in mir das Gefühl breit, dass die Kleine was zu verheimlichen hatte und das machte die Sache gleich doppelt spannend. Spannender auf jeden Fall, als die Whiskeyflasche, die sie mit sich nahm als sie den Raum verließ.

Kurze Zeit später hörte ich das laute Mahlgeräusch des Kaffeevollautomaten und danach dauerte es auch nicht mehr lange, bis Miss Manchester – oder vielmehr Dawn – mit dem dampfenden Kaffee erschien. Ich weiß nicht, was es war, aber irgendwie konnte ich meinen Blick nicht von ihr abwenden.

„Ihr Kaffee, Mr. Freeman!“ Geräuschlos stellte sie die Tasse auf den kleinen Marmortisch und blieb abwartend neben mir stehen.

„Was?“ Das war zu barsch, stellte ich fest als sie die Augenbrauen ein winziges Stück anhob. „Worauf wartescht du?“, versuchte ich es einen Hauch freundlicher.

„Darauf, dass Sie mir sagen, was mein Aufgabenbereich sein wird. Ich denke, ich habe den Job?“

„Als erschtes wirst du misch Logan nennen. Das Mr. Freeman kannscht du dir aufheben für den Tag, an dem ich dir kündige …“ Wieder zuckte sie zusammen und ein schuldbewusster Ausdruck huschte über das junge Gesicht. Ganz eindeutig: Die junge Frau versuchte etwas zu verbergen – nur was?

Ich würde dahinterkommen, koste es was es wolle. Zum ersten Mal seit langer Zeit interessierte mich eine Sache und ich wollte verdammt sein, wenn ich nicht hinter das kleine Geheimnis dieses Mädchens kam. Sie stellte sich so ungeschickt an, dass der Geschäftsmann in mir dran tippen konnte, dass sie auf etwas ganz anderes aus war, als auf den Job der Haushälterin. Welche hübsche Frau würde schon für einen solchen Mann wie mich arbeiten wollen – halb Yeti, halb Steinzeitmensch.

Nachdenklich rieb ich mir durch den Bart und wieder trat sehr schnell Abscheu auf Dawns Gesicht. Anscheinend gehörte sie nicht unbedingt zu den Menschen, die es draufhatten, sich zu verstellen. Das war erfrischend, aber für sie leider auch sehr verräterisch. So machte sie es mir verdammt einfach, hinter die Kulissen zu schauen – etwas, das ich mir in diesem Moment fest vornahm.

„Was sollscht du schon machen!“, gab ich kühl zur Antwort. „Du fährst nach Hausche, packscht deine Sachen und ziehst in den Anbau, den Mrs. Dexter bis vor einer Schtunde noch bewohnt hat. Und dann nimmst du scho schnell wie möglich deine Tätigkeiten auf!“

Man konnte dabei zusehen, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich, wobei ihre Augen immer größer wurden. Sie wurde so fahl, dass ich schon Angst bekam, sie würde mir umkippen. Diese Gefühlsanwandlung hielt allerdings nicht lange an.

„Ich soll, … ich soll hier, … ein –, … einziehen?“

„Natürlisch!“ Dieser verdammte Whiskey. Ich bekam noch immer kein einziges, vernünftiges Wort heraus. „Wasch, … Was glaubst du denn? Sechs Tage in der Wosche wohnscht du hier. Am Wochenende kannscht du nach Hause. Und keine Männerbeschuche an den Arbeitschtagen und auf gar keinen Fall hier im Hausch. Du hascht abends zwei Schtunden frei – das muss genügen.“ Jetzt war ich gespannt, ob sie darauf einging und wie dringend Dawn hier arbeiten wollte. Was ich ihr vorschlug ging eigentlich gar nicht und jede normale Frau wäre spätestens jetzt schreiend getürmt – sie allerdings nicht. Sehr zu meinem Erstaunen nickte sie zögerlich mit dem Kopf, ballte dabei allerdings ihre Hände zu Fäusten. Ich sah ihr an der sommersprossigen Nasenspitze an, dass sie mich am liebsten eigenhändig erwürgt hätte, aber sie hatte sich einigermaßen gut im Griff – allerdings nicht gut genug für mich.

Ohne einen Gruß verschwand sie eilig durch die Tür, während ich nach der Kaffeetasse griff und einen tiefen Schluck des schwarzen Lebensspenders nahm – er war verdammt gut …

 

 

 

Kapitel 5

Dawn

 

Mist! Mist! Verdammt unlösbarer Mist!

Fluchend stürmte ich in meine kleine Studentenbude und trat vor lauter Frust einmal heftig vor den Sitzwürfel, der das Pech hatte, mir im Weg zu stehen. Verstand sich von selber, dass mein Fuß diese Attacke mit einem beißenden Schmerz quittierte, der von meinem großen Zeh, bis hinauf unter meine Haarwurzeln fuhr. Nein – auch das war nicht meine allerbeste Idee gewesen. Nicht die erste Schlechte am heutigen Tag.

Mit einem frustrierten Schnauben ließ ich mich auf das alte Sofa mit den noch älteren Kissen fallen und versank sogleich in der weichen Sitzfläche. An jedem anderen Tag hätte ich jetzt wohlig geseufzt, doch das blieb heute aus. Ich hatte ein Problem – ein gewaltiges Problem.

Wie erklärte ich Joey, dass ich für meinen neuen Job unter der Woche nicht mehr zuhause war? Und wie konnte ich mich vor ihm verbergen, wenn er auf die Idee kam, seinen Onkel zu besuchen – was Gott seis gelobt und gepfiffen nicht allzu oft vorkam? Herrje! Die ganze Angelegenheit war überhaupt nicht durchdacht gewesen und erst jetzt wurde mir bewusst, wie unsagbar dumm mein Einfall war. Stöhnend ließ ich meinen Kopf in meine Hände sinken und stützte die Ellbogen auf meinen Oberschenkeln ab.

„Denk nach, Dawn“, betete ich mir immer wieder vor, aber irgendwie war mein Hirn wie leergefegt. Da war nichts, was Denken überhaupt möglich machte – eher so etwas wie ein sich langsam ausbreitendes Gefühl von Panik.

Joey und ich lebten nicht zusammen. Er hatte immer noch seine eigene Wohnung nahe des Campus, aber er blieb öfters bei mir – auch über Nacht. Es würde ihm komisch vorkommen, wenn das auf einmal nicht mehr möglich war und ich musste mich fragen, ob uns das nicht noch mehr entfremden würde. Ich vermisste ja jetzt schon die unglaubliche Nähe, die wir früher einmal hatten. Mein neuer Job wurde gerade zu einer Misere allererster Güte – ach was: Es war eine Katastrophe!

Falls ich es schaffen sollte, Joey zu belügen – was bereits mehr als fraglich war – bei Poppy würde mir das auf keinen Fall gelingen. Ich wusste zwar, dass sie mich bei meinem Verlobten niemals verpetzen würde, aber toll würde sie meine Idee auch nicht finden. Da konnte ich mich auf einen mittelschweren Tornado gefasst machen. Und als ob das noch nicht genug wäre, schob sich in diesem Moment ein bärtiges Gesicht in meinen Kopf und die fiesen Krabbeltiere, die immer noch durch meine Gedanken geisterten. Alleine bei der Vorstellung auch nur eine Nacht in dem spukigen Haus mitsamt seinem nicht minder scheußlichen Besitzer zu verbringen, überlief es mich kalt. Meine voreilige Ader hatte mich mal wieder ziemlich übel ausgeknockt und jetzt musste ich mich mit der Frage rumschlagen, ob ich meinen Plan tatsächlich in die Tat umsetzen wollte – oder lieber der Vernunft folgte und die Finger davonließ.

Im gleichen Augenblick, als ich bereits das Handtuch schmeißen wollte, hörte ich wie der Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde. Anscheinend hatte Joey beschlossen, den heutigen Tag mit mir zu verbringen, obgleich er gestern noch anderes von sich gegeben hatte. Da wollte er noch mit seinen Jungs zu einem überaus spannenden Football-Spiel.

„DAWN!“, rief er, noch bevor er gänzlich in der Wohnung war. Und dann gleich noch einmal: “Dawn? Bist du da?“

„Ja! Bin ich!“ Ich spürte sofort, dass ich die Begeisterung missen ließ, die ich sonst an den Tag legte wenn Joey zu mir kam. Das lag aber nur an meinem schlechten Gewissen und an der Tatsache, dass ich noch immer nicht wusste, was ich machen sollte.

Ganz wie der Sunnyboy, der Joey war, kam er mit den Händen in den Hosentaschen zur Tür hereingeschlendert.

„Hat mein Mädchen schlechte Laune, oder warum bekomme ich keinen Kuss zur Begrüßung?“

„Nein, … habe ich nicht!“, murmelte ich leise. „Ich habe mir nur den Fuß angeschlagen und der tut weh.“ Eine bessere Ausrede für mein komisches Verhalten war mir auf die Schnelle nicht eingefallen. Wäre Poppy jetzt hier gewesen, hätte sie sich bereits auf dem Boden befunden – eingerollt wie eine Sardine und sich kugelnd vor Lachen. Als ob ich jemals wegen einer Schramme ein Aufheben gemacht hätte, aber Joey schien mir zu glauben und kam mit sorgenvoller Miene näher.

„Lass mal sehen!“ Ich streckte ihm den Fuß hin und er besah sich den Schaden – allerdings lediglich mit oberflächlichem Interesse.

„Shit!“ Ich glaubte nicht richtig zu hören.

„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“ Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber das Wort Shit garantiert nicht.

„Hey, Mäuschen! Ich wollte dich nicht beleidigen, aber eigentlich bin ich hier um dich abzuholen.“ Er fuhr sich einmal durch die Haare und dabei fielen ihm einzelne Strähnen sehr sexy in die Stirn.

„Abholen?“, wiederholte ich ziemlich lahm. „Was ist denn aus eurem Spiel geworden?“

„Ausgefallen! Stattdessen wollten wir jetzt zum Franklin Canyon Reservoir.“ Erwartungsvoll sah er mich an. „In den Kletterpark!“ Aber natürlich doch. Wenn‘s weiter nicht war. Joey wusste verdammt genau, dass ich mit Höhen so meine Probleme hatte. Meine Füße mochten es verdammt gerne, wenn sie den Boden spürten – und zwar möglichst direkt. Bevor ich jedoch etwas sagen konnte, kam er mir bereits zuvor.

„Das kannst du vergessen, Süße! Mit dem Fuß kommst du in keinen Schuh – nicht einmal in die breitesten Sneakers die du besitzt.“ Als ich einen Blick in die Richtung meiner Zehen riskierte, erkannte ich, dass er recht hatte. Der Fuß war dick geschwollen, pochte jämmerlich und die Farbe änderte er auch bereits. Das würde einen mega scheußlichen Bluterguss geben.

Joey beugte sich vor, hauchte mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und wollte gerade schon wieder gehen, als bei mir die Würfel fielen. Da mein Verlobter durch die Woche eh kaum Zeit für mich hatte, konnte ich auch genauso gut versuchen, seinem Onkel zu zeigen, dass ich kein Monstrum war. Joey würde mich wohl neben seinen ganzen Freizeitaktivitäten kaum vermissen und am Wochenende hatte ich ja auch frei. Blieb nur noch, meinem Langzeitverlobten zu erklären, dass er mich erst in drei Tagen wiedersehen würde – am kommenden Samstag.

„Bevor du gehst, muss ich dir noch etwas sagen!“ Joey war schon fast an der Tür angekommen und ich bekam den Eindruck, dass es ihn nervte, sich noch einmal umdrehen zu müssen.

„Was ist denn?“ Seine Stimme und seine Körperhaltung signalisierten Desinteresse und schon war es wieder da – das Gefühl, dass unsere Beziehung nicht mehr das war, was uns vor Wochen noch verband. Ich spürte ganz deutlich, dass eine gewisse Kälte zwischen uns stand, konnte mir den Grund aber nicht erklären.

„Nur ganz kurz! Ich habe heute einen gut bezahlten Job angenommen, der mir das nächste Studienhalbjahr sichert!“

„Das ist doch super! Glückwunsch, Mäuschen!“ Begeisterung stellte ich mir anders vor.

„Die Sache hat allerdings einen Haken! Ich muss unter der Woche in dem Haushalt leben und kann nur am Wochenende hier sein. Wobei: Abends habe ich zwei Stunden zur freien Verfügung. Da könnten wir uns auch sehen.“ Noch vor wenigen Minuten hatte ich nicht einmal gewusst, ob ich die Stelle überhaupt antreten wollte und jetzt erzählte ich Joey davon, als wäre es das Normalste auf der Welt. Irgendwie hatte ich jetzt auch keine Probleme mehr damit, ihn anzuflunkern. Erst recht nicht, als ich meinte, einen Anflug von Erleichterung in seinem Gesicht zu erkennen. Und dass er so schnell einverstanden war, hob meine Stimmung auch nicht gerade.

„Hey, Baby! Das ist doch kein Beinbruch! Jeden Tag zwei Stunden ist doch super und dazu das Wochenende! Besser kann es doch gar nicht sein!“

Doch! Könnte es! Wenn Joey endlich zu mir stehen würde. Wenn wir beide endlich unseren Traum verwirklichen und heiraten könnten. Wobei ich was das anging, in den letzten Wochen die treibende Kraft gewesen war – die alleinige Kraft, um es genauer zu sagen.

Seufzend beobachtete ich, wie die Tür ins Schloss fiel. Ein Hauch seines After Shaves lag noch in der Luft, doch auch das verschwand, während ich auf meinen lädierten Fuß starrte und mir überlegte, was ich jetzt als erstes tun sollte: Packen, oder doch lieber die Beule kühlen, die ich mir bei meinem unbeherrschten Tritt selber zugefügt hatte.

 

 

 

Kapitel 6

Logan

 

Das laute Hämmern und Klopfen wollte einfach kein Ende nehmen. Selbst dann nicht, als ich mein Kopfkissen dazu benutzte, es auf meinen dröhnenden Schädel zu drücken, um das nervtötende Geräusch einfach auszusperren. Sehr zu meinem Leidwesen funktionierte auch das nicht und so warf ich das Kissen einmal quer durch den Raum und versuchte probehalber, vorsichtig meine Augen zu öffnen.

Der bohrende Schmerz hinter meinen Schläfen hätte mir eigentlich Warnung genug sein sollen, doch den hatte ich genauso zu ignorieren versucht, wie das durchdringende Geräusch des Presslufthammers, der draußen vor dem Haus für diesen Höllenlärm sorgte. Anscheinend trachteten mir die Nachbarn gerade nach dem Leben.

Stöhnend griff ich mir an das Kinn und wurde leicht panisch, als ich glatte, nackte Haut berührte. Eigentlich sollte es an dieser Stelle dichte, kratzige Haare haben – doch da war nichts, was sich anfühlte wie ein wirrer Haufen aus Holzwolle. Und egal, wie lange ich rieb – die Haut blieb glatt, bis auf ein paar einzelne Stoppeln, die sich über Nacht aus der Haut geschoben hatten.

Damned! Ich hatte einen kompletten Filmriss und konnte mich an rein gar nichts mehr erinnern. Nicht daran, dass ich anscheinend meinen Bart gekillt hatte, nicht warum ich mich frisch fühlte und erst recht nicht daran, wie ich ins Bett gekommen bin. Dazu lieferte mein Schädel ein fürchterliches Konzert aus Schmerz und einer Geräuschkulisse die seinesgleichen suchte. Das musste aufhören – und zwar sofort. Notfalls würde ich meinem Nachbarn eine verpassen müssen, wenn er nicht umgehend diesen Lärm an der Grundstücksgrenze beeendete. Aber erst einmal musste ich eine Kopfschmerztablette finden. Dringend! Das war überlebenswichtig.

Stöhnend quälte ich mich in die Höhe, schwang die Beine über den Rand der Matratze und fuhr sogleich Karussell. Hölle! Wieso hatte ich mich auch nur so besaufen müssen? Das war sonst so gar nicht meine Art und selbst in meiner tiefen Trauer, gleich nach Ambers Tod, hatte ich es nie so weit kommenlassen, dass ich anschließend nicht mehr wusste, was ich getan hatte. Anscheinend war es jetzt doch  noch so weit gekommen.

Vorsichtig richtete ich mich auf, stolperte zwei Schritte vorwärts und hielt mich dann erst einmal am Türrahmen fest. Der Raum schwankte wie bei einem beschissenen Erdbeben und ich schwankte im gleichen Rhythmus mit. Wenn das so weiterging, würde ich es niemals die Treppe bis hinunter ins Erdgeschoss schaffen. Vielleicht so gerade auf dem Hosenboden nach unten rutschend wie ein alter Tattergreis, der ich mit meinen vierunddreißig Jahren weiß Gott noch nicht war – auch wenn sich das gerade anders anfühlte. Ich musste mir regelrecht Mut zusprechen, um die nächste Etappe in Angriff zu nehmen und dabei schwor ich mir, meine Finger zukünftig vom Alkohol zu lassen.

Ich erreichte laut fluchend die Treppe und klammerte mich am Geländer fest. Schweiß brach mir aus allen Poren, als ich Stufe um Stufe nach unten kletterte und dabei den Blick nicht von der Treppe nahm. Die drehte sich genauso, wie die Arme der verfluchten Milchstraße, wobei alleine der Gedanke an Milch meinen Magen weckte – dem fiel plötzlich ein, dass er Milch hasste und dafür bescherte er mir zusätzlich zu den Kopfschmerzen auch noch eine ausgewachsene Übelkeit.

Tapfer schlich ich weiter und dabei fiel mein Blick zufällig durch die Fenster in den Garten. Ich blieb stehen und rieb mir verwundert die Augen. Der Lärm kam gar nicht vom Nachbargrundstück, sondern von meinem eigenen. Da waren Leute – eine Menge Leute. Und sie alle eilten geschäftig hin und her. Das laute Brummen stammte von einem Kompressor, weil man dabei war, den ganzen, verdammten Pool leerlaufen zu lassen. Das faulige Wasser rann über die Pflastersteine und dann in die Beete und ich bildete mir ein, dass ich den üblen Geruch bis ins Haus hinein riechen konnte. Aber das war vollkommen unmöglich, weil ich Mrs. Dexter streng verboten hatte, die Fenster zu öffnen. Dann erst wurde mir bewusst, dass die Jalousien oben waren. Ich konnte tatsächlich in den Garten sehen, was unter normalen Umständen gar nicht möglich sein sollte. Hier lief irgendetwas vollkommen aus dem Ruder – nur was?

Ich zog die Shorts zurecht, rieb mir einmal über die nackten Arme und stieg dann weiter nach unten. Mit dem Wissen, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging, klappte das viel besser, als noch vor wenigen Minuten.

„Sie stinken!“ Irgendwie war da auf einmal dieser eine Satz und dazu tauchten in meinem Kopf blitzende Augen auf. Ich blieb tatsächlich stehen, hob meine bloßen Arme an und schnupperte kurz, nur um festzustellen, dass ich mich auf dem besten Weg in die Klapsmühle befand. Sollte mich jemand bei dieser Handlung beobachtet haben, war mir die Einweisung sicher.

Ich hatte fast das Souterrain erreicht, als aus der Küche der Duft von frisch gebrühtem Kaffee zu mir drang und dazu auch der penetrante Gestank nach gebratenem Speck. Was sollte das werden? Wollte Mrs. Dexter mich etwa umbringen? Sie wusste haargenau, dass ich Speck verabscheute – einen regelrechten Ekel davor hatte und ausgerechnet mit diesem Kater konnte ich diesen Geruch überhaupt nicht vertragen. Schon machte sich das erste Würgen in meinem Hals bemerkbar und ich versuchte ganz flach durch den Mund zu atmen, damit ich möglichst wenig von diesem öligen Dunst in die Nase bekam. Mrs. Dexter wurde anscheinend auf ihre alten Tage senil, dass sie sich in dieser Art und Weise über meine Wünsche hinwegsetzte, aber ich würde ihr Gedächtnis schon wieder auffrischen, sobald ich die Küche erreichte.

Die letzten Stufen der Treppe waren kein Hindernis mehr. Irgendwie hatte die Wut den Kopfschmerz vertrieben – blieb nur noch die Übelkeit durch den penetranten Speckgeruch.

Ich schoss einmal durch den Eingangsbereich meines Hauses und bekam nur am Rande mit, dass die Tür nach draußen sperrangelweit aufstand. Erst als ein lauter und durchdringender Pfiff ertönte, wurde ich mir der Tatsache bewusst, dass ich halbnackt im Entree meines Hauses stand. Dass es eine junge Frau war, die den absurden Laut von sich gegeben hatte, wobei sie noch ein Olala hinterherschickte und anzüglich mit den Augenbrauen wackelte, machte die Katastrophe dieses Morgens perfekt. Ich hechtete zur Tür und knallte diese mit Gewalt zu. Das Geräusch, das dabei entstand, erinnerte mich fatal daran, dass das elektronische Sicherheitsschloss so eine rüde Behandlung nicht vertrug und garantiert gerade seinen Geist aufgegeben hatte. Alleine bei dem Gedanken noch mehr Handwerker im Haus zu haben, beschleunigte mein Puls von sechzig innerhalb einer Sekunde auf einhundertachtzig. Mein Kardiologe hätte garantiert seine Freude gehabt. Und das Geträller im Hintergrund machte es nicht besser. War das tatsächlich Musik, die da aus der Küche kam? Hörte ich da tatsächlich gerade „Let it be“ von den Beatles? Diesen alten Schinken? Seit einem Jahr hatte es in diesem Haus keine Musik mehr gegeben, keine offenen Türen und auch kein Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel. Gerade fragte ich mich, wer hier einen über den Durst getrunken hatte. Mrs. Dexter konnte nur besoffen sein, anders konnte ich mir ihr Verhalten beim besten Willen nicht erklären. Schwungvoll drückte ich gegen die halb offenstehende Türe, hatte den Mund bereits geöffnet, um der alten Dame ein paar passende Takte an den Kopf zu werfen, als ich wie erstarrt stehenblieb. Der Anblick, der sich so plötzlich vor mir auftat, war allerdings auch zu, … zu überraschend.

Eine junge, langhaarige Blondine stand am Herd, nur bekleidet mit Hotpants und einem Trägertop. Während sie in der Pfanne herumrührte, ließ sie ihre Hüften im Takt der Musik kreisen. Der Teil ihres Hinterns, der nicht von dieser schamlos knappen Hose bedeckt wurde, bescherte mir feuchte Hände und irgendwie wusste ich nicht so recht, was ich sagen, geschweige denn, was ich machen sollte. Da war eine Fremde in meine Küche und kochte, während draußen der Lärm eine neue Dimension annahm. Gerade hörte es sich so an, als würden die Arbeiter das ganze, verdammte Haus abreißen. Ich musste mich unbedingt erinnern, doch außer diesem einen Satz über meinen unappetitlichen Körpergeruch tat sich nur ein schwarzes Loch vor mir auf. Tiefschwarz und unendlich tief – da war kein Boden in Sicht. Statt weiter nach Antworten zu suchen, räusperte ich mich vernehmlich, sodass das Küken mich endlich bemerken musste. Freiwillig schien sie sich nämlich nicht umdrehen zu wollen.

Als sie mich hörte, flog sie förmlich herum. Dabei hielt sie die Pfanne mit dem verdammten Speck noch immer in der Hand. Sie plapperte einfach drauf los.

„Ich wusste nicht was sie zum Frühst …“ Mitten im Satz brach sie einfach ab und starrte mich mit offenstehendem Mund an. Dann begann sie zu stottern und ich sah die Pfanne bereits aus ihren Fingern gleiten. Sie schien plötzlich gar keine Kraft mehr in den Händen zu haben. Die erste Scheibe des fettigen Mistes flutschte aus der Pfanne und hüpfte über den Boden – ein zweites Stück folgte dem ersten und rutschte über die Fliesen. Dann hatte ich sie erreicht und packte nach dem Griff, bevor sie sich am Ende noch die Füße verbrannte. Dumm nur, dass ich mir bei dieser Aktion selber die Haut ansengte. Auf heißen Speck zu treten, ohne Latschen an den Füßen war ungesund – ein Umstand, den ich mir merken musste und ein weiterer Punkt, warum ich Speck niemals mögen würde …

 

 

Kapitel 7

Dawn

 

Als das harte Räuspern in meinem Rücken erklang, war ich froh, dass ich soweit mit dem Frühstück fertig war. Ich musste nur noch den Speck zu Ende braten und dann konnte Mr. Freeman sich an den Tisch setzen. Als ich mich umdrehte, wurde ich starr vor Entsetzen. Im ersten Moment glaubte ich, einer der Arbeiter hätte sich einen Scherz erlaubt. Oder Mr. Freeman hätte überraschend Besuch bekommen. Doch das Räuspern, … die raue, fast schon sinnliche Stimme – das war ganz eindeutig mein Brötchengeber. Die Pfanne in meiner Hand wog plötzlich mindestens fünfzig Pfund und ich hatte nicht mehr die Kraft, diese gerade zu halten. Sie bekam eine gefährliche Schieflage, während ich verzweifelt bemüht war, meine Atemaussetzer in den Griff zu bekommen. Wer wollte schon aussehen, wie ein nach Luft schnappender Karpfen auf dem Trockenen.

Das erste Stück Speck rutschte aus der Pfanne und glitschte über die sauberen Marmorfliesen und noch immer hatte ich mich nicht unter Kontrolle. Joey hatte immer wieder betont, wie sehr sein Onkel unter dem Tod seiner Frau litt. Nun, das hatte ich ja mit eigenen Augen sehen dürfen. Und er hatte erzählt, dass er unglaublich reich war. Klar! Auch das konnte ich selber erkennen. Er vergaß lediglich zu erwähnen, dass sein Onkel kein alter Knacker war, so wie ich ihn mir im Geiste ausgemalt hatte. Mein Onkel Chester war knapp sechzig Jahre alt, hatte einen dicken Bierbauch und faselte unglaublich dummes Zeug daher. Keinesfalls war er groß, hatte ein Sixpack und war unglaublich attraktiv – dieses Exemplar von einem Onkel war eindeutig zu jung und viel zu gutaussehend. Erst recht, nachdem jetzt die scheußliche Insektenhochburg aus seinem Gesicht verschwunden war. Jetzt konnte ich nämlich auch erkennen, wie energisch sein Kinn geformt war und wie sinnlich der Schwung seiner Lippen. Es war nicht so, dass ich sabberte, aber weit entfernt war ich von diesem Zustand garantiert nicht.

Das nächste Stück Speck hüpfte aus der Pfanne, die ich noch immer in meiner zitternden Hand hielt. Ich vergaß schlicht und ergreifend, sie irgendwo abzustellen, während ich Mr. Freeman weiter wie eine dumme Gans anstarrte.

Ich erwachte erst aus meinem Schockzustand, als er einen hastigen Schritt nach vorne machte und den restlichen Pfanneninhalt rettete, indem er mir das Kochgerät einfach aus den Händen riss. Im gleichen Augenblick gab er einen Laut von sich – halb erschrocken, halb schmerzerfüllt und irgendwie ließ ihn das weit weniger imposant erscheinen, als noch vor wenigen Sekunden. Erst  recht, als er gleich darauf die Pfanne auf die Anrichte knallte, seinen Fuß mit beiden Händen umfasste und einbeinig durch die Küche hüpfte. Dabei stieß er die übelsten Flüche aus, die ich jemals gehört hatte.

„Ich bring sie um!“, zischte er finster. „Holy shit! So ein dämliches Gör! Garantiert bringe ich sie um!“ Nach diesen Worten schwankte ich zwischen einem fast nicht zu kontrollierenden Fluchtreflex und dem Wunsch, diesen unglaublichen Körper zu … Nein! Nein! Nein! Auf keinen Fall würde ich das tun. Onkel Logan war einfach zu heiß – ich würde mir bei dem Versuch mehr als nur die Finger verbrennen. Joey! Ich musste nur ganz fest an Joey und unsere Hochzeit denken, dann war alles gut.

Bei dem Versuch, meine zitternden Hände zu kontrollieren, brach mir tatsächlich der Schweiß aus und erst jetzt wurde mir bewusst, dass Mr. Freeman noch immer seinen Fuß in der Hand hielt. Allerdings saß er jetzt auf einem der edlen Küchenstühle und hüpfte nicht länger durch den Raum. Selbst mir wurde in diesem Moment klar, dass irgendetwas nicht so war wie es sein wollte.

„Mr., … Mr. Freeman? Ist alles, … alles in Ordnung?“ Irgendwie arbeitete mein Hirn nicht so, wie es das sollte, denn die Frage war ziemlich überflüssig. Ich sah ganz deutlich, dass nichts gut war.

„Ich habe mir auf deinem ekelhaften Speck den Fuß verbrannt und wenn ich nicht gerade verhindert wäre, würde ich …“, knurrte er bitterböse. „Ach, vergiss es einfach!“

Ja! Den Job konnte ich wohl vergessen – das leuchtete selbst mir ein. Und damit auch die Option, Joeys Onkel von meinem Charakter zu überzeugen. Das war ziemlich gründlich in die Hose gegangen. Trotzdem konnte ich ihn nicht mit dem schmerzenden Fuß einfach sitzenlassen. Immerhin hatte er mich davor bewahrt, den heißen Pfanneninhalt über meine eigenen Extremitäten zu kippen. Ich schnappte mir ein sauberes Küchentuch, rannte zum Waschbecken und tränkte es mit kaltem Wasser.

„Bleib weg von mir!“ Joeys Onkel bekam einen regelrecht panischen Gesichtsausdruck, als ich mich ihm näherte. „Wer weiß, welche Krise du sonst noch so im Gepäck hast!“ Da ich mir ziemlich sicher war, dass ich gleich meine Sachen packen durfte, um auf dem schnellsten Wege wieder zu verschwinden, musste ich mir auch nicht die Mühe machen, Höflichkeit vorzutäuschen.

„Fuß her!“, bestimmte ich barsch. Zu mehr war ich gerade nicht mehr fähig.

„Nein!“

„Doch!“ Ich griff einfach nach ihm und wickelte das kalte, nasse Handtuch um die geröteten Hautstellen.

„Ich hatte doch gesagt, dass …“ brummte er mir ziemlich unfreundlich entgegen.

„Ist mir egal, was Sie sagen! Von mir aus können Sie weiter unvernünftig sein, wenn ich nicht mehr da bin. Jetzt bin ich hier und Sie halten still! So einfach ist das.“ Woher ich den Mut nahm, war mir schleierhaft, denn die Augen meines Gegenübers funkelten mich so wütend an, dass ich ein ganz und gar komisches Gefühl in der Magengegend bekam. Eine Mischung aus verschlucktem Stein und seltsamem Flattern. Zudem mir auch noch der frische Geruch seines Körpers in die Nase stieg. Fast wäre es mir lieber gewesen, er würde noch immer stinken als hätte er sich einmal durch einen Müllcontainer gewälzt. Weg, ich musste ganz schnell aus seiner unmittelbaren Reichweite verschwinden, bevor ich dem Drang meiner Hände am Ende noch nachgab. Ein frisches Handtuch holen – das war die Lösung.

Ich schoss in die Höhe und das viel zu schnell. Meine Beine beschlossen in diesem Augenblick, dass sie sich sehr gut zum verknoten eignen würden – warum auch immer. Ich strauchelte und wenn Mr. Freeman nicht geistesgegenwärtig nach mir gegriffen hätte, wäre ich wohl auf meinen Hintern geplumpst. Allerdings war der Ort an dem ich landete nicht unbedingt der, wo ich sein wollte. Ich fand mich nämlich auf harten Oberschenkeln wieder, meine flachen Hände gegen einen zuckenden Brustmuskel gestemmt. Erschrocken japste ich nach Luft und das Bild des Karpfens war sogleich wieder da. Aber leider hatte ich weder meinen Körper, noch meine Sinne unter Kontrolle. Die Nähe zu Onkel Logan war ein bisschen zu viel des Guten an diesem verkorksten Morgen – sozusagen das Tüpfelchen auf dem i. Meine Finger zuckten zurück, als hätte ich mich an der warmen Haut verbrannt und ich strampelte heftig mit den Beinen, um nur ja aus der unmittelbaren Nähe dieses Mannes zu entkommen. Leider bewirkte ich damit genau das Gegenteil und landete mit meiner Nase schmerzhaft auf der nackten Haut seines Oberkörpers.

Herrje! Er stank tatsächlich nicht mehr. Er roch gut! Ach was, … göttlich war das passende Wort.

Ich war nur froh, dass Mr. Freeman den Anstand besaß, mich vorsichtig von sich zu schieben, ich selber wäre nämlich gerade nicht dazu in der Lage gewesen, mich alleine von seinem Schoß zu lösen.

Als ich endlich wieder sicher auf meinem Beinen stand, war mein Gesicht so heiß und wahrscheinlich auch rot, dass ich jedem Buschbrand hätte Konkurrenz machen können.

„Ich geh dann mal packen!“, nuschelte ich peinlich berührt und traute mich nicht, ein weiteres Mal in seine dunklen Augen zu schauen. Was ich darin lesen würde, war mir bereits klar. Ich hatte mich ziemlich ungeschickt angestellt und würde jetzt die Konsequenzen tragen.

Langsam drehte ich mich um und wollte bereits den Raum verlassen, als …

„Moment mal! Was glaubst du eigentlich, wer das Schlachtfeld hier wieder beseitigt?“ Seine Stimme hörte sich gar nicht so wütend an, wie noch vor wenigen Minuten. Als ich mich umsah, erkannte ich, dass ich tatsächlich ein ziemliches Chaos veranstaltet hatte. Ich seufzte leise auf. Kein Wunder, dass Joeys Onkel nicht gut auf mich zu sprechen war.

„Ich mache sauber und dann …“

„Und dann wirst du dafür sorgen, dass die Arbeiter, die du anscheinend auf meinen Garten losgelassen hast, was zu Essen und was zu Trinken bekommen.“ Seine Stimme war nicht laut, sorgte aber dafür, dass ich strammstand.

„Ja, Mr. Freeman! Ich habe verstanden, Mr. Freeman!“ Das war das einzige, das ich bei meiner Kurzatmigkeit noch hervorbrachte.

„Und hör um Himmels Willen auf, mich Mr. Freeman zu nennen! Ich bin Logan!“, schickte er barsch hinterher. „Wenn ich heute morgen noch einmal Mr. Freeman aus deinem Mund höre, bist du entlassen.“

Jawohl, Mr. … ähm, Logan!“ Der durchdringende Blick der mich traf, war nicht unbedingt dazu angetan, meinen galoppierenden Herzschlag zu normalisieren und so tat ich das einzige, was mir in dieser Situation einfiel. Ich verließ fluchtartig den Raum …

 

Kapitel 8

 

Dawn

 

Ausgelaugt ließ ich mich auf einen Barhocker im Sullivans sinken. Es war ein paar Minuten nach achtzehn Uhr und ich nahm mir gerade die zwei Stunden Auszeit, die Mr. Freeman mir am Tag zugestanden hatte.

Natürlich wollte ich die knappe Zeit mit Joey verbringen, aber der hatte sich natürlich mal wieder nicht auf meine SMS gemeldet. Auch über WhatsApp war er nicht zu erreichen. Gelinde gesagt war er nicht einmal online. Da ich aber keine Lust verspürte, meine knapp bemessene Freizeit alleine zu verbringen – erst recht nicht, nach diesem nervenaufreibenden Tag – hatte ich schließlich Poppy angerufen und die fand natürlich auch Zeit für mich. So wie eigentlich immer! Manchmal fragte ich mich ernsthaft, ob ich am Ende nicht mehr Zeit mit meiner besten Freundin verbrachte als mit meinem Verlobten.

Ich hatte den Gedanken noch nicht ganz zu Ende gebracht, als es bereits knallte – im übertragenen Sinn. Poppy liebte schrille Auftritte und dieses Mal schoss sie tatsächlich den Vogel ab. Ich fragte mich, was wohl Steven dazu sagen würde, wenn er sie gerade sehen würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er amüsiert sein würde, denn Poppy trug ein Röckchen, das nicht mehr als ein etwas zu breiter Gürtel war. Es war so kurz und so eng, dass rein gar nichts der Phantasie des Betrachters überlassen blieb. Dagegen waren meine Hotpants vom Morgen noch äußerst züchtig. Und diese Farben! Einfach gruselig! Neongrün, kombiniert mit einem lachsfarbenen Top, das den Bauch freiließ. Stöhnend ließ sie sich auf den freien Hocker neben mir fallen und schob sich dabei die Sonnenbrille nach oben, damit sie überhaupt etwas sehen konnte.

„Hey, Liebes!“ Küsschen links, Küsschen rechts – ohne ging bei Poppy überhaupt nicht. „Ich hätte gerne eine Pina Colada, Enrico!“, schmachtete sie sofort den Barkeeper an. Logisch, dass sie seinen Vornamen kannte, wo ich mich nicht einmal an sein Gesicht erinnern konnte.

Poppy wartete nicht auf die Bestätigung, sondern wandte sich sogleich wieder in meine Richtung und dabei warf sie einen fassungslosen Blick auf mein Wasserglas.

„Seit wann trinkst du Zeug, das maximal zum Blumenwässern taugt, Süße?“ Sie sah mich entrüstet an. „Bestell dir bloß was Ordentliches! Ist ja peinlich mit dir gesehen zu werden! Sei doch nicht immer so furchtbar spießig!“ Tja! Das war Poppy wie sie leibte und lebte. Entweder man liebte sie, oder man hasste sie. Etwas dazwischen gab es nicht.

„Ich bin nicht spießig, ich darf nur nichts trinken! Ich muss gleich noch arbeiten!“

„Du musst arbeiten? Spinn ich denn? Seit wann denn das?“ Der Barkeeper stellte Poppy den Drink vor die Nase und die nahm sogleich einen tiefen Schluck, als könnte sie nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Sie tat geradezu so, als ob Arbeit etwas Ehrenrühriges war, dabei jobbte sie selber dann und wann in einer Edelboutique auf dem Rodeo Drive. Und auch wenn ich mich gerade ein bisschen über sie ärgerte, musste ich einfach mit jemandem reden, denn ansonsten würde ich platzen.

„Ja! Arbeiten!“, gab ich gelassener zur Antwort als ich mich fühlte. „Ich habe deinen Ratschlag im Übrigen beherzigt und die Sache selber in die Hand genommen.“

„Welche Sache?“ Poppy sah mich verständnislos an. „Du sprichst in Rätseln!“

„Na, die Sache mit Joeys Onkel. Ich kenne Onkel Logan jetzt!“ Vielleicht hätte ich diese Eröffnung etwas vorsichtiger anbringen müssen, oder zumindest eine Warnung vorwegschicken sollen. Fakt war, dass meine Worte Poppy vom Hocker rissen – buchstäblich. Der hohe Sitzplatz wankte verdächtig, die Pina Colada bekam einen Stoß, kippte um und Poppy den Bruchteil einer Sekunde hinterher. Dabei stieß sie gegen mich und hätte mich fast mit sich gerissen.

Selbstredend waren sofort mindestens zehn männliche Hände zur Stelle, die Poppy wieder in die Senkrechte beförderten. Allerdings stand sie noch nicht ganz, als sie die Kerle auch schon wieder in die Wüste schickte. Stattdessen hatte ich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.

„Sag das noch einmal! Ich glaube, ich habe dich nicht richtig verstanden!“, zischte sie mir zu und ich konnte erkennen, dass sie irgendwie sauer auf mich zu sein schien – den Grund kannte Gott alleine.

„War purer Zufall! Ich bin gestern Morgen mit dem Fahrrad gefahren, nachdem ich mich mal wieder mit Joey gezofft habe …“

Die nächste halbe Stunde redete ich alleine und das Poppy mich nicht unterbrach, kam einem Wunder gleich. Das ein oder andere Mal klappte ihr der Mund auf, doch sie schwieg beharrlich. „Und er hat mich gebeten, ihn Logan zu nennen. Nein! Eigentlich hat er es befohlen!“ Mit diesen Worten schloss ich meinen Bericht ab und war froh, dass ich jetzt jemanden hatte, der das kleine Geheimnis mit mir teilte.

Poppy schüttelte den Kopf, schwieg weiter und nahm erst einmal einen tiefen Schluck aus ihrem frischen Glas.

„Was läuft da zwischen euch beiden?“ Verdutzt schaute ich sie an. Meinte sie das Ernst, oder hatte ich sie am Ende nicht richtig verstanden?

„Ich verstehe die Frage nicht, Poppy! Was meinst du damit?“

„Na, ich meine es schon so, wie ich es sage, Süße. Du hättest mal deine Augen sehen sollen, als du von Onkel Logan gesprochen hast. Davon, dass er noch jung ist und davon wie gut er aussieht. Da war ein verdammt verräterisches Glitzern in deinen Guckies!“

„Du spinnst ja!“ Das hatte entrüstet klingen sollen. Ich merkte allerdings recht schnell, dass es eher lahm und ohne Überzeugung rüberkam. „Ich liebe Joey! Er ist der Mann, den ich heiraten möchte!“

„Hey, Mäuschen!“ Poppy tätschelte mir mitfühlend die Schulter. „Mich musst du nicht überzeugen! Aber ich sage dir was: Ich täusche mich eigentlich nie in dir. Dafür kennen wir uns einfach zu lange und zu gut. Onkel Logan hat zumindest Eindruck bei dir hinterlassen und diese Tatsache kannst du auch nicht leugnen!“ Sie beugte sich näher zu mir rüber. „Aber was mich viel mehr interessiert: Wie willst du das alles geheim halten? Was, wenn Joey unverhofft bei seinem Onkel auftaucht und dich dort antrifft? Hast du dir darüber schon mal Gedanken gemacht?“ Hatte ich natürlich nicht und so zuckte ich nur nichtssagend die Achseln.

„Habe ich es mir doch fast schon gedacht, Engelchen! Ich würde mal behaupten, dass du ein Problem hast. Wenn du mich fragst, ein viel Größeres, als dir selber das bewusst ist, aber das willst du dir ja NOCH nicht eingestehen!“

„Könntest du vielleicht aufhören, mich Engelchen zu nennen. So brav bin ich nun auch wieder nicht!“ Poppy wusste genau, wie sehr ich diesen Kosenamen hasste, zumal auch Joey immer wieder darauf rumritt, dass ich viel zu brav und zu anständig wäre.

„Doch! Bist du!“ Wieder hob sie ihr Glas an die Lippen. „Diese Aktion hier ist so außerhalb deiner Komfortzone, dass ich mich tatsächlich wundern muss. Ich hoffe, dass Joey am Ende auch zu würdigen weiß, wie sehr du für euer beider Glück kämpfst. Ich sage es dir nur ungern, aber ich finde nach wie vor, dass er dich nicht verdient hat.“ Dabei war ihre Miene so Ernst, dass ich nicht an ihrer Aussage zweifeln konnte. Sie meinte jedes Wort so, wie sie es sagte.

„Ach, Poppy! Hör schon auf! Joey ist manchmal ein bisschen schwierig, aber er liebt mich und ich liebe ihn! Daran gibt es nichts zu rütteln.“ Dabei versuchte ich das komische Gefühl abzuschütteln, dass mich seit Wochen immer wieder überfiel.

„An deiner Liebe zu ihm zweifele ich auch nicht – es ist eher seine, die ich ihm nicht abkaufe. Joey liebt nur einen einzigen Menschen: Sich selber!“ Unruhig rutschte ich auf meinem Hocker hin und her. Poppy sprach im Grunde nur das aus, was ich seit Wochen schon unterschwellig spürte: Joeys Desinteresse an meiner Person. Alles und jeder schien wichtiger zu sein, als der Mensch von dem er behauptete, dass er ihn liebte. Energisch schüttelte ich den Kopf. Ich war noch nicht bereit klein beizugeben. Aufgeben war in meinen Erbanlagen nicht vorgesehen …

„Wir werden sehen, Poppy! Am Ende wirst du meine Brautjungfer sein. So, wie du es dir immer gewünscht hast.“

„Das werde ich ganz sicher sein, aber ich bezweifele, dass der Mann an deiner Seite in diesem Fall Joey heißen wird.“ Sie war sich so verdammt sicher, dass ich schlucken musste und dass ich auch beim besten Willen nicht wusste, was ich ihr darauf antworten sollte.

Ein Blick auf die Uhr sagte mir allerdings, dass ich zurück musste. Die zwei Stunden waren fast um und ich wollte nicht gleich am ersten Abend zu spät kommen.

„Ich muss gehen!“ Hastig rutschte ich von meinem Hocker, griff nach meiner Tasche und wollte bereits fluchtartig das Weite suchen, als Poppy mir noch einen guten Ratschlag mit auf den Weg gab.

„Schau dir Joey und sein Gehabe gut an, Dawn! Ich meine es nur gut mit dir! Falls der Tag kommt, an dem du endlich klarsiehst, werde ich für dich da sein …“

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Tag der Veröffentlichung: 02.02.2019

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