Cover

Prolog

 

 

 

 

 

 

Für alle die, die denken nichts zu verstehen.
Ihr seid nicht allein.

Für alle die, die lieben. Ihr seid auch nicht allein.

Für alle die, die die Liebe nicht verstehen...

 

 

 

 

"Seltsam sind einzig die Menschen, die niemanden lieben." 
Rita Mae Brown

 

House

Die dumpf hämmernden Bässe im Ohr, der Blick verschwommen – so versuche ich mir meinen Weg durch scheinbar endlose Flure zu bahnen, gespickt von alkoholisierten, gut gelaunten Menschen. In der Hand ein Green Lemon oder ein Wodka Red Bull haltend stehen sie an der Wand gelehnt, unterhalten sich mit Jungs, Mädchen, haben Spaß, lachen, rauchen, versperren mir den Weg. Aber ich muss schnellstmöglich an Ihnen vorbei. Meine Gedanken kann ich in dieser Sekunde nicht fassen, kann mich nicht erinnern, wieso es mir auf einmal so kotzübel ist. Das ist allerdings auch egal, denn meine einzige Sorge ist, wie ich schnellstmöglich zu den Toiletten im Untergeschoss komme.

Nach scheinbar endlosen Momenten, vorbei an Typen die ich nicht kenne oder erkenne, schaffe ich es in den Raum, in dem die Treppe nach unten führt. Ich klammere mich am Geländer fest wie ein Schwimmer, der mit letzter Kraft das rettende Ufer erreicht. Ein Teilerfolg. Aber Ausruhen kann ich mich nicht. Ich schaue die Wendeltreppe hinab, mir ist schummrig. Sie ist ein metallenes Gebilde in einer der wahrscheinlich dunkelsten Ecken, die ein Mensch je ge- und erschaffen hat. Mein Magen signalisiert mir, dass die aktuelle Mission von einem immensen Zeitdruck geprägt ist. Der Weg ist das Ziel. Quatsch. So 'ne Scheisse. Das Ziel ist das Ziel!

Also los. Ich alarmiere alles in mir, das noch ansprechbar ist, und versuche die Treppen, sicher und fest an das Geländer geklammert, durch den dichten Smog von scheinbar abertausenden Zigaretten zu finden. Unsicher wie ein Kind, das das erste Mal auf einem zugefrorenen See läuft, schleiche ich - hangele ich - mich langsam nach unten. Jeder Schritt nach weiter ist eine Herausforderung; bei jedem Schritt taste ich mich mit meinen Füssen voran, bis ich die nächste Stufe spüren kann, immer das Geländer fest im Griff. Es klappt. Eigentlich. Fast unten angekommen kommt mir jemand entgegen. Scheisse, was nun?

„Ich hab’s eilig, hab’ Vorfahrt“, rede ich mir ein.

Ich strecke meinen Arm aus und versuche mit aller Kraft den Schatten, der die andere Person darzustellen scheint, wegzustoßen, damit ich meinen Weg wieder frei habe. Irgendwie ist der Schwung aber zu stark und der Halt meines Arms am Geländer zu schwach. Zudem schlage ich voll ins Leere und so verliere ich das Gleichgewicht und rutsche ab. Ich weiß nicht, wie spektakulär der Sturz von außen betrachtet ausgesehen hat, aber ich kann froh sein, wenn kein Handyvideo davon auf Youtube auftauchen wird. Mein zweites Glück war, dass ich nur noch vier Stufen zu gehen hatte, und so war die Landung zwar hart, aber ich konnte sie ohne direkt sichtbare Blessuren überleben. Unter ungläubigen Augen und Gelächter, das ich ob meiner Notlage ignoriere, versuche ich meinen durch Alkohol schmerz-immunen Körper wieder in die Stellung zu bringen, die es mir erlaubt aufzustehen, und meine Reise zur rettenden Toilette fortzusetzen. Mit großen Anstrengungen schaffe ich das – nicht zuletzt, weil ein Heizkörper genau dort aufgestellt war, wo mein Sturzflug ein jähes Ende fand und ich mich dank dessen Hilfe wieder aufrichten konnte.

Also schleppe ich mich weiter durch die Katakomben des Clubs und erreiche torkelnd die Tür zur Damentoilette. Ich stemme mich mit aller Wucht dagegen und bemerke nicht, dass die Tür schon offen ist. Mit einem Schlag liege ich wieder auf dem Boden, nachdem ich zuvor wieder mein Gleichgewicht verloren habe. Also wieder: Aufstehen.

„Komm Jackie, das schaffst Du“, rede ich mir ein und kann tatsächlich im dritten Versuch aufstehen, bei dem ich entdeckte, dass wieder ein Heizkörper mein Aufstehen unterstützen konnte. Ich rette mich in die erste freie Toilette und mache geistesgegenwärtig die Tür hinter mir zu.

Fernab jeder Wahrnehmung von mir ist, dass es sich wohl um die widerlichste Toilette der Welt handelt. Es gibt kein Toilettenpapier, dafür sind Abfälle aller Art um den Lokus verteilt und die Wände mit übelsten Sprüchen verkritzelt. Die Schüssel hat wohl seit der Jahrtausendwende kein Putzen erfahren und meine Vorgängerin hatte wohl ein ähnliches Problem wie ich…

Meine Hände krallen sich an die Toilettenschüssel und ich schaffe es fast den Kopf über die Öffnung zu bringen als ich auch schon Kotzen muss. Der erste Teil der Fuhre geht von Mund und Nase direkt auf die Schüssel, was ich aber im aktuellen Zustand nicht bemerke. Während ich für eine gefühlte Ewigkeit mich übergebe, sehe ich den Abend an mir vorüberziehen… Alle Cocktails und die beiden Mixery, die ich zum Vorglühen mit meiner besten Freundin Britt in ihrer Wohnung getrunken hatte, verabschieden sich in einem See aus Magensäure, Alkohol und Fruchtresten. Das beißende Gefühl dieser Mischung macht sich in Mund und Nase breit und in meinen Augen bilden sich Tränen von der Anstrengung der Magenentleerung. Ich lege meinen von Erschöpfung gebeutelten Kopf auf den Rand der Toilette und verspüre ein Gefühl von Müdigkeit.

Ich verharre bestimmt fünf Minuten in dieser Position, die Beine angewinkelt und den Kopf und den Arm an der Toilettenschüssel abgestützt. Ich mag mich nicht bewegen, weil jede Bewegung zu viel ist, schmerzt, und mir wieder ein Gefühl von Übelkeit gibt. Es kommt mir vor als würde ich jegliches Zeitgefühl verlieren, wie die Minuten verrinnen, die in der Position verweile, aber so wie es jetzt ist, ist es erträglich.

Ich weiß nicht mehr genau, wann es war, aber ich verspüre ein paar kleine Schläge an meinen Füßen. Irritiert, wie wenn man von einem pulsierenden Presslufthammer am ersten Ferientag geweckt wird, hebe ich meinen Kopf und drehe Ihn langsamst zur Tür. Immer wieder bewegt sich die Tür nach innen, immer wieder versucht jemand in meine Toilette zu kommen. Verdammter Mist, Mensch. "Darf ich hier nicht mal in Ruhe sterben?" denke ich. Nach dem nächsten Versuch des Eindringlings werde ich böse.

„Das ist MEINE Toilette“, rufe ich mit aller Kraft, die ich in diesem Moment aufbringen kann.

Doch immer und immer wieder hämmert die Tür gegen meine Füße wie der Bass des DJ, der auch hier unten gut zu spüren ist.

„Mensch, Jackie, mach die scheiss Tür auf,“ höre ich plötzlich eine Stimme von draußen rufen. Ich brauche zwei Sekunden bis ich realisiere, dass meine Freundin auf der anderen Seite steht.

„Hey... Britt… ja… warte, “ entgegne ich ihr leise und verstört, und versuche meine Beine in eine Position zu bringen, die es Britt erlaubt die Tür aufzumachen.

Britt ist meine beste Freundin, schon seit Jahren. Eigentlich heißt sie Britta, Britta Fuchs – Aber Britt klingt irgendwie cooler und sie mag den Kosenamen auch. Wir wohnen beide im selben Stadtteil und teilen die schönste Zeit unsrer Leben. Sie ist immer für mich da und ich immer für sie. Wir sind zwar nie zusammen in die Schule gegangen, noch kennen sich unsre Eltern oder haben sonst etwas gemein – dennoch – es passt einfach zwischen uns. Ich glaube wir sind so eine Art Seelenverwandte. Ich merke, wenn es ihr schlecht geht und sie merkt es bei mir. Das wird sie auch hierher getrieben haben. Hier runter an das scheinbare Ende der Zivilisation, den letzten betonierten Außenposten der Hoffnung.

Also schaffe ich es meine Beine von der Tür wegzuziehen, so dass Britt herein kommen kann. Die Tür öffnet sich und ich sehe verschwommen dieses wundervolle, schwarzhaarige Wesen mit dem unvergleichbaren Lächeln, zerrissene Jeans, knallgelbe Chucks und einem Shirt mit der Aufschrift „You think I’m a bitch? Wait til you see my mother“. Mein Herz schlägt erfreut ein paar Takte schneller. Rettung!

„Sie ist gekommen, um mich zu retten“, spricht es in mir. Britt scheint weniger erfreut über den Anblick zu sein. Eine total fertige Freundin, die an einer verkotzen Toilette in einer zwei Quadratmeter Kloake hängt, die nicht einmal gespült hat und trotzdem lächelt, als hätte sie gerade eine Blanko-Scheck-Shopping-Reise nach New York gewonnen. Aus dem Lächeln in Britts Gesicht wird ein Ausdruck eines leichten Schocks. Sie schaut mich an und muss aber auch bald wieder mitlachen, weil ich nicht aufhören kann sie anzugrinsen. Ihr nächster Blick geht zur Spülung und reflexartig geht ihre Hand sofort zum Abzug. Erschrocken schaue ich nach links. Ich sehe die Reste eines Abends verschwinden, der leicht über dem Horizont lag, den ich verarbeiten kann. Ich verfolge noch das Verschwinden von Wodka und Bier, verabschiede mich von dem Abend und realisiere erst, als das klare Wasser wieder die Oberfläche der Schüssel bildet, dass hier heute irgendwas schief gelaufen ist. So schief, dass es einfach nur geil war. Nur, was war denn so geil? Ich weiß es nicht. Alles was ich genau jetzt weiß, ist dass Britt mir ihre Hand reicht und mich hoch zieht. Überrascht von der Tatsache, dass ich wirklich stehen kann, erkenne ich dass Britt mich inspiziert und ihre Augen verdreht.

„Setz Dich erst mal hin“, sagt sie zu mir und drückt leicht angewidert den Toilettendeckel auf die Schüssel. „Setz Dich erst mal hin und warte. Ich komm gleich wieder.“

„Na gut", denke ich.

Dann warte ich mal. Ich stütze meine Ellenbogen auf die Knie und halte mit den Händen meinen viel zu schweren Kopf. Ich verschwende keinen Gedanken daran, was Sie wohl jetzt macht, vielmehr beobachte ich geistensabwesend das Treiben auf der Toilette. Ich bemerke aber weder die fragenden Blicke der vorbeigehenden Mädchen, die Kotz- und Würggeräusche aus der Nachbartoilette noch die Tatsache, dass Britt plötzlich wieder mit meiner Jacke und einer Plastiktüte vor mir steht.

„Hallo, jemand anwesend?“ Britt lächelt mich an, als ich langsam meinen Kopf hoch zu Ihr hebe, meine Augen einen Spalt breit öffne und zurücklächle.

„Alles in Ordnung“, lüge ich sie an.

Sie kommt zu mir in die Toilette und macht die Türe hinter sich zu.

„Arme hoch!“ befiehlt sie mir. Ich schaue teilweise verwirrt, weil ich nicht wirklich weiß, was sie von mir will.

„Nein, was soll das?“ frage ich Sie.

„Komm Mädel, mach die Arme hoch. Dein Shirt ist total verkotzt. Das kannste nicht anlassen. Ich hab ne Plastiktüte… also rein damit und dann die Jacke anziehn“.

So ganz verstehe ich nicht, was sie wirklich von mir möchte, aber ich hebe die Arme damit ich dem Stress entgehe und Ruhe hab'. Britt zieht mir langsam und vorsichtig mein Shirt über den Kopf, bedacht dass die Ausscheidungen auf dem Shirt bleiben und nicht auf mir oder meinen Haaren landen. Sie packt mein Shirt mir zwei Fingern in die Tüte und inspiziert meinen Körper. Mir ist kalt und ich fröstle. Ich ummantle meinen Körper mit meinen Armen und schaue frierend zu ihr hinauf. Ich hatte bisher gar nicht gemerkt, wie kalt es hier ist und dass direkt über mir ein Fenster gekippt ist. Aus meinem verfrorenen Blick wird ein hilfebedürftiger. Britt gibt mir meine Jacke, hilft mir sie anzuziehen und macht den Reißverschluss bis oben zu, so dass ich nicht mehr zu sehr friere. Sie reicht mir die Hand mit Ihrem bezauberndsten Lächeln, und ich kann nicht anders als sie zu nehmen. Sie hilft mir aufzustehen. Ich klammere mich fest an sie, lege meinen Arm um ihre Hüfte damit ich nicht den Stand verliere. Ich stehe. Ich lebe wieder.

„Ich rufe uns ein Taxi, Süße“, sagt Sie und ich nicke zustimmend.

Ich wasche mir noch schnell die Spuren der Odyssee am Waschbecken aus dem Gesicht, den Händen, und dann gehen wir die eben noch furchterregende Treppe hoch, die jetzt weit weniger gefährlich aussieht als auf dem „Hinflug“. Daraufhin verlassen wir den Club. Der DJ hat gerade eine Techno-Version von „I was made for loving you“ aufgelegt als wir die Türe hinter uns schließen und nur noch die harten, schnellen Bässe hören.

Draußen regnet es. Es hatte doch nicht geregnet, als wir gekommen waren, oder? Ich kann mich nicht erinnern. Ich kann mich noch daran erinnern, wie Britt das Taxiunternehmen angerufen hat, aber ich erinnre mich weder an das Warten, die Fahrt oder wie ich in mein Bett gekommen bin. Aber irgendwie muss ich dahin gekommen sein, denn ich wache auf mit tierischen Kopfschmerzen, aber in meinem eigenen Bett. 

Nächster Morgen

Es ist dieses Gefühl nach einer solchen Nacht, das jedes Mal von neuem sagt: „Nie wieder Alkohol“. Das Hämmern im Kopf, der abgestandene Geschmack in Mund und Nase und der Gestank am ganzen Körper. Ich schaffe es immer wieder mich nach nur einer Partynacht zu fühlen, als ob ich vier Wochen im Dschungel gewesen wäre. Nur, dass nach vier Wochen Dschungel mit nur einer Dusche dieses schlechte Gefühl und der Gestank weg sind. Leider schaffe ich das nach besagten Nächten nicht so einfach. Ich versuche dreimal aufzustehen, aber scheitere immer wieder am dumpfen Bass, der sich wohl gestern in meinen Kopf breit gemacht hat. Beim vierten Mal schaffe ich wenigstens die Decke mit meinen Füßen wegzuschieben und mich quer zum Bett hinzulegen, so dass meine Füße in der Luft baumeln.

„Den ersten Schritt haste geschafft, Jackie“, sage ich mir und ruhe mich ein wenig nach diesem unglaublichen Erfolg aus. Es dauert noch lange fünf Minuten, bis ich mich ganz langsam in eine Sitzposition bewegen kann. Mein Kopf ist nach unten gebeugt, tiefer als die Schultern, meine Unterarme stützen sich auf den Oberschenkeln ab. Ich versuche mit dieser Position die Schmerzen erträglich zu gestalten. Schaffe ich aber nicht. Und wie ich so auf meinem Bett sitze wie eine mittelalterliche Hexe, die in einem feuchten, dunklen Verließ gefangen ist, erinnere ich mich, dass ich noch Paracetamol in meiner Küchenschublade habe, in der ich die Arzneimittel aufbewahre. Ich muss es also irgendwie schaffen aufzustehen. Ich schaue hinunter zu meinen Füßen. Das fällt mir nicht schwer, da mein Kopf sowieso in dieser Position ist, in der ich geradeaus nach unten schauen kann. Sie sind auf dem Boden. Der erste Schritt zum Aufstehen ist gemacht.

„Aber wieso bin ich barfuss?“ frage ich mich. Ich spiele langsam mit den Zehen, um zu sehen, ob es wirklich meine Füße sind, die ich betrachte. Sie sind es. Ich bin leicht erschrocken. Ich erhebe meinen Körper leicht von der auf die Oberschenkel gebeugten Haltung. Ich fahre mit meinen Händen über meine Oberschenkel: Keine Hose. Scheisse.

Ich bewege den Kopf zu meinem Bett. Es ist leer. „Gott sei Dank“, denke ich mir und mein Blick schweift im Raum umher auf der Suche nach meinem Spiegel. Ich finde ihn und er sieht mich an. Ich vergesse für einen Moment meine Kopfschmerzen und stehe gemächlich und etwas ängstlich auf. Ich mustere mich im Spiegel und sehe, dass ich meine Unterwäsche anhabe: Einen rot-schwarzen BH mit Höschen, den ich mir vor vier Wochen bei einem Versandhandel bestellt hatte. Erleichtert atme ich durch. Ich verstehe zwar nicht, wieso meine Hose und meine Jacke auf der Kommode neben dem Spiegel liegen, aber ich muss die beiden gestern Nacht ausgezogen haben. Ich mache mir keine Gedanken mehr und schleiche aus dem Schlafzimmer heraus in den Flur. Ich gehe zur Küche und sofort zu meiner Medizinschublade. Zum Glück finde ich noch ein paar Paracetamol und nehme gleich zwei mit einem großen Glas Wasser. Ich schleiche weiter ins Badezimmer.

„Gegen die Kopfschmerzen habe ich jetzt etwas gemacht… Gegen den Geschmack im Mund kann ich Zähne putzen und gegen den Gestank hilft eine Dusche“, reime ich mir wie ein Erstklässler, der die Vorabendreklame auswendig gelernt hat, zusammen. Ich begebe mich zum Waschbecken und nehme mir meine Zahnbürste. Die andere Hand sucht die Zahncremetube und findet sie auch gleich. Ich drücke die Zahncreme aus der Tube auf die Zahnbürste und fange an die Zähne zu putzen. Ich erhebe langsam meinen Kopf und schaue schließlich in den Spiegel über dem Waschbecken. Meine Hand bleibt schlagartig ruhig, die Zahnbürste im Mund stecken und die Augen sind erschrocken über das was sie im Spiegel sehen. Augenringe, das Make-Up total verschmiert und die Haare total im Arsch! Das habe ich doch eben noch nicht gesehen im Schlafzimmer! Hat mich der Schlafzimmerspiegel angelogen? Das darf der doch gar nicht! Egal! Ich muss sofort duschen und versuchen mit meinen Mittelchen wieder eine Frau aus dem Monster zu machen, das mich da anschaut. Ich spucke den Schaum der Zahnpaste aus und lege die Zahnbürste auf den Waschbeckenrand. Leider fällt diese gleich auf den Boden, weil ich sie zu nah an den Rand gelegt hatte.

„Egal“, sag ich laut und drehe meine Arme auf den Rücken. Ich öffne den Verschluss des BH, streife ihn ab und lasse ihn auf den Boden fallen. Das Höschen ziehe ich aus und lege es dazu. Um die Unordnung kann ich mich später noch kümmern. Ich öffne die Tür zu meiner Duschkabine und trete hinein. Ich drehe das Wasser auf. Es wird sehr schnell warm, fast heiß. Ich genieße das warme Wasser, wie es über meine Haare, meinen Kopf und meinen Körper tropft. Ich fühle mich zum ersten Mal wie ein Mensch heute Morgen. Ich lehne mich an die Wand und lasse das Wasser weiter auf mich regnen. Ich reibe mit meinen Händen das Wasser im Gesicht, dann lasse ich mich langsam nach unten gleiten bis ich angewinkelten Beinen in der Duschkabine sitze und die Augen schließe um noch mehr zu spüren wie das Wasser auf meine Haut trifft. Ich umschließe mit meinen Armen meine Beine und ziehe sie an meinen Körper. Ich genieße das warme Nass für einige Minuten, erhebe mich dann aber, weil Duschgel, Shampoo und Spülung nicht am Boden stehen. Ich drehe das Wasser aus, greife zu meiner Duschmilch und drücke mir die übliche Menge mal zwei auf die Hand. Ich verteile sie auf meinem ganzen Körper um das, was er gestern ertragen musste, vergessen zu machen. Nach fast zehn Minuten intensivster Pflege greife ich nach dem Shampoo. Weitere fünf Minuten Einmassieren später drehe ich das Wasser wieder auf. Schnell hat es wieder diese geniale Temperatur, die es schon davor hatte. Ich schließe die Augen und wasche das Shampoo und die Duschmilch ab, bleibe aber noch etwas unter der Dusche stehen und lasse mich von den kleinen Topfen beperlen. Ich versinke gerade in eine Stimmung innerer Zufriedenheit als plötzlich die Duschkabinentür aufgeht und sich ein Kopf reinstreckt und fragt:

„Na, Süße, bist’ bald fertig? Ich will danach auch rein“. Ich erschrecke mich schrecklich, klammere ich am Duschschlauch fest und falle fast auf den Boden vor Schock. Einen Augenblick später reiße ich die Augen weiter auf als Katzen, nachdem sie überrascht wurden. Zeitgleich versuche ich mit meinen Händen Brüste und Unterleib zu verdecken.

„Hey“, lacht mich Britt an „Du brauchst doch vor mir keine Angst zu haben“.

Erst jetzt realisiere ich zitternd, dass mich meine Beste aus den schönen Träumen gerissen hat und die Anspannung in meinem Körper löst sich abrupt.

„Ja, ne“, sag ich „ich bin fertig. Du kannst rein… Aber wo kommst Du denn so plötzlich her?“

„Ich habe auf der Couch im Wohnzimmer geschlafen aber Du machst ja morgens so einen Krach, dass Du Tote aufweckst.“

„Du… du warst heut Nacht hier?“ frage ich entgeistert.

„Klar…“ antwortet Britt die sich inzwischen eines meiner T-Shirts, das sie wohl zum Schlafen angezogen hatte, auszieht, „Du hast so Scheisse ausgesehen, da wollt ich lieber hier bleiben… Net dass Du noch irgendeinen Scheiss baust. Und jetzt lass mich mal in die Dusche bevor Du aufweichst“

„Mach mal nicht so ne Hektik und gib mir lieber das obere Handtuch vom Halter da vorne“.

Britt reicht mir mein Handtuch und ich gehe aus der Dusche und fange an mich abzutrocknen, als Sie ihre Unterwäsche und Socken fein säuberlich über den Handtuchhalter legt.

„Hast Du auch eins für mich?“ fragt Sie als sie in der Dusche verschwindet. Ich trockne mich ab und lege ihr ein Handtuch auf die Duschkabine.

„Hab’s dir hingelegt“

„Danke.“ Ich hole mir schnell meine Kindercreme und setzte mich auf die Waschmaschine um mich einzucremen. Während ich das mache, schweift mein Blick ein paar Mal auf Britt. „Sie sieht schon sehr geil aus“, denke ich mir und versuche sie nicht zu sehr anzustarren. Das gelingt mir auch ein wenig. Nachdem ich fertig bin, nehme ich mir noch die Feuchtigkeitscreme fürs Gesicht. In dem Moment kommt Britt aus der Dusche und trocknet sich aufreizend langsam ab.

„Creme weißte ja, wo die ist“, sag ich ihr und gehe langsam aus dem Badezimmer.

„Klar“, sagt sie und zwinkert mir zu.

Wir treffen uns wieder am Frühstückstisch. Ich hatte davor Aufbackbrötchen im Backofen gebacken, 2 Tassen Kaffee mit der Maschine gemacht, mir schnell die Wohlfühlhose und mein Hamburg-T-Shirt, das ich letztes Jahr in St. Pauli gekauft habe, drübergezogen und die Nutella aus dem Schrank geholt. Ich weiß nicht, welcher Duft Britt aus dem Badezimmer gelockt hat, der Kaffee oder die Brötchen, jedenfalls schleicht sie grinsend zum Frühstückstisch und sagt nur: „Geil. Frühstück um halb zwei.“

 Als sie sich hinsetzt, stelle ich ihr eher rhetorisch die Frage, ob sie sich nicht was anziehn mag. „Hast mir noch nix gegeben“, antwortet sie hastig – bestimmt weil sie den ersten Bissen von ihrem Nutellabrötchen essen will. Ich habe mein Brötchen noch nicht angeschnitten. Eigentlich habe ich gar keinen Hunger. Ich werfe zwei Würfel Zucker in meinen Kaffee und rühre mit meiner linken Hand um, während meine rechte Hand meinen Kopf aufstützt. Britt hat inzwischen ihr erstes halbes Nutellabrötchen aufgegessen. An ihren Lippen sind noch Reste der Schokocreme, als sie sich die zweite Hälfte beschmiert. Sie schaut mich an und muss wieder grinsen.

„Du weißt gar nichts mehr oder?“ fragt sie mich.

„Nicht viel“, antworte ich „nicht viel. Ich kann mich erinnern, dass ich zwei Caipirinha an der Bar hatte. Dann war da noch dieser nervige Typ mit der Sonnenbrille und dem furchtbaren Mundgeruch. Viel mehr weiß ich schon gar nicht mehr.“

„Zwei Caipirinha?“ Britt schaut mich fragend und grinsend zugleich an.

„Keine zwei?“ Mein Gesicht bekommt diesen fragenden Ausdruck, den ich immer habe, wenn ich genau weiß, dass die Antwort „nein“ sein wird.

„Nein…“ kommt die Antwort. Ich wusste es.

Ich will gerade fragen, wie viele es denn gewesen sind, da klingelt es an der Tür. Erwarte ich jemanden?

„Wer kommt denn?“ fragt Britt, steckt sich das Nutellabrötchen in den Mund, nimmt den Kaffee und geht ins Wohnzimmer. „Hey… Du kannst doch nicht so ins Wohnzimmer gehen“, rufe ich ihr nach, als es ein zweites Mal klingelt. Wie kann man so aufdringlich sein? Der könnte mir ja wenigstens ein wenig Zeit geben.

Bevor ich mir selbst die Frage beantworten kann, drücke ich auf den Türöffner. Dessen Surren ist zu hören und ich halte die Türklinke in meiner Hand und öffne die Tür.  Ich höre Schritte, die sich annähern. Es sind mehrere. Wer kann das sein? Ich strecke meinen Kopf durch die Tür. Ich sehe einen Mann, mittelgroß mit einem grauen Anzug, einer schwarzen Krawatte, einer Scheitelfrisur und eine Frau, die ein Kleid trägt, das in den 60er Jahren modern gewesen sein könnte, und Haare die zu einem Nest zusammengebunden sind. „Guten Tag, wir sind von den Zeugen Jehovas und möchten mit Ihnen über Gott sprechen.“

Ich zögere. Ich habe alles und jeden erwartet, aber keine zwei nervig grinsenden Menschen, die mir einen „Wachtturm“ unter die Nase halten und mir sagen, dass Gott mir und der ganzen verdammten Welt helfen kann. Ich versuche meine Gedanken zu ordnen und höflich zu sein und antworte:

„Das ist jetzt gerade ein ganz schlechter Moment.“

„Wir können auch warten“, fährt mir die Frau freundlich aber bestimmt ins Wort, „wann ist es ihnen recht?“

Ich gehe wirklich im Kopf meinen Terminkalender durch bis mein Kopf auf einmal sagt „Hey, du willst doch gar nicht über Gott sprechen.“ 

„Wissen Sie“, fahre ich fort, „eigentlich mag ich gar nicht über Gott sprechen. Ich habe genug andere Probleme zur Zeit.“

„Gott hat für jedes Problem eine Lösung!“ unterbricht mich die Sparvariante eines Finanzbeamten. Ich ringe um die Worte um diese beiden Personen aus meiner Tür zu bekommen, aber es fehlt mir die Kraft. Das merkt wohl auch Britt und kommt aus dem Wohnzimmer heraus, geht direkt zu mir, umarmt mich innig von hinten und küsst mir auf den Hals.

„Schatzi, komm wieder ins Bett, Ich bin heiß auf Dich“, flüstert Sie mir in einer Lautstärke zu, die die Gottesgesandten verstehen können. Dann dreht Sie sich zu den Beiden, die perplex und völlig starr mit offenen Mündern dastehen, sagt kurz: „Danke. Wir brauchen Sie grade nicht dazu“ und klatscht die Tür vor deren Nasen zu.

Nach einem kurzen Moment Stille dreht sie sich zu mir und sagt: „So macht man das, Süße. Und jetzt leih mir mal bitte ne Hose und n Shirt.“

Wir müssen beide lachen. „Hey…“ pruste ich immer noch ziemlich baff „Du bist echt die geilste. Die sind jetzt erstmal fertig mit der Welt. Meinste die machen weiter oder sind die geheilt?“

„Weiß nicht.“

Ich gebe Britt eine Hose und ein Shirt, beides ist ein wenig zu groß, aber besser als nichts. Es erinnert mich aber wieder daran, dass ich ein wenig abnehmen sollte. Da trifft es sich ganz gut, dass ich keine Lust auf Essen habe, keine Lust auf Brötchen, keine Lust auf Nutella. Ich gehe zum meinem Kaffee und schlürfe ins Wohnzimmer, setze mich auf die Couch und schalte den Fernseher ein. Britt schaut noch schnell rein als sie sich ihren Schal und ihre Jacke anzieht. Also steh ich noch mal auf und geh zu Ihr. Bussi rechts, bussi links.

„Wir telefonieren. Tschüss Süße“, ruft sie mir im rausgehen zu.

„Tschüss Süße“, rufe ich ihr nach.

Ich setze mich wieder auf die Couch und chille den Nachmittag vorm Fernseher. Übrigens, bis heute sind die Zeugen Jehovas nie mehr bei mir gewesen.

 

*

 

Ich überlege mir gerade, ob ich nicht ein Buch im Buch schreiben soll – oder besser gesagt: ein anderes… Jackies Guide to Living. Genau. Mit vielen nützlichen und unnützen Tipps rund um das Leben. Ich glaube ich mache das nebenbei und schreibe hier auf, was mir gerade in den Sinn kommt und zitiere aus diesem neuen Werk. Ein Almanach der Welt… oder der kleine Hosentaschenratgeber für Leute, die gerade nicht wissen, welcher Cocktail zu ihrer Hosenfarbe passt. Zum Beispiel wäre da das Kapitel über die Türklingel, welche ja gerade eine klingende Rolle gespielt hat.  Vielleicht ist ja der ein oder andere Tipp brauchbar oder… Ach… im Notfall machen wir eine App für iPhones draus, und dann interessiert es jeden.

 

Aus: Jackie’s Guide to Living, Kapitel 12: “Wie wann warum Türen aufmachen?”

Eigentlich mache ich fast nie die Türe auf. Kommt ganz auf die Stimmungslage drauf an. In einer eher einsamen oder leicht depressiven Phase fühl‘ ich mich eher dazu hingerissen, die Tür zu öffnen, auch, wenn ich nicht weiß, wer draußen steht. Aber normalerweise wissen all meine Freunde, wie sie zu klingeln haben, wenn ich öffnen soll: zweimal kurz, Pause, lange. Wenn ich daheim bin, werde ich dann immer öffnen. Oder sie sind eben angemeldet, dann mache ich auch auf. Mein Vorteil ist, dass meine Wohnung zum Innenhof zeigt und so niemand sehen kann, ob Licht brennt und ich daheim bin. Außerdem habe ich ja kein Auto – Also erkennt niemand, dass ich daheim sein müsste, wenn mein Gefährt vor der Haustüre steht. Außer sie kennen die Autos von meinen Leuten… Kompliziert? Eigentlich schon. Und uneigentlich ist das nur die Frage, ob ich die Türe öffne. Und wer kann es schon sein? Im Großteil der Fälle kommt ein Paket für mich oder für die Nachbarn. Zugegeben – viel öfter für mich. Und dann sollte man ja eigentlich auch öffnen. Aber es ist auch schön, wenn ich nicht erreichbar bin, oder?

Nun noch ein kleiner Seelenstrip für die Leute, die mit mir chatten. Manchmal brauche ich eine kleine Pause und dann sage ich einfach, dass es an der Türe klingelt, obwohl es nicht so ist. Ist das gemein? Ich weiß nicht. Lügen ist scheiße, aber das ist schwindeln. Oder? Is echt nicht böse gemeint, aber Pausen müssen sein…

Also, lieber Guide to Living. Die Türe ist universell einsetzbar. Sie ist ein kleiner Freund, wenn ich eine Auszeit brauche: Vor ungewollten Besuch oder vor zu vielen Leuten im Chat oder am Telefon (Einfach selber klingeln – Ist hilfreich und ein toller Spaß).

Doch nun wieder weiter im Text…

Danach

Den Nachmittag habe im Bett verbracht. Ich habe ein wenig gelesen, bin dann aber für zwei Stunden traumlos eingeschlafen. Erst der Gesang der Vögel zur Abendsonne hat mich wieder aufgeweckt. Ich strecke mich und öffne meine Augen. Es ist halb sieben. Behäbig erhebe ich mich aus meinem Bett.

„Ich werde mich noch ein wenig vor den Computer setzen“, denke ich mir, also gehe ich langsam ins Wohnzimmer und schalte ihn an. So lange er hochfährt schleiche ich nochmals in der Küche, um mir Teewasser zu machen. So ein gemütlicher Abend mit einem leckeren Tee vorm PC ist genau das richtige für heute. Also betätige ich den Lichtschalter in die Küche, suche den Wasserkocher, befülle Ihn mit Wasser und schalte ihn ein. Ich schaue in meinem Schrank, welche Teesorten ich noch da habe. Mein erster Blick fällt auf meinen weißen Tee mit Pfirsich. Klingt doch lecker. Ich entscheide mich sofort für ihn. Ich gebe den Tee in das Teesieb und gieße das heiße Wasser drauf, das inzwischen zu kochen begonnen hat. Ich nehme den Tee und wandle wieder ins Wohnzimmer auf mein Sofa. Der PC ist inzwischen hochgefahren und ich öffne mein Mailprogramm. Es dauert ein paar Sekunden bis es sich mir offenbart. Fünf neue Nachrichten. Die Werbemails einer Klamottenfirma und von GMX lösche ich sofort. Ich schaue zwar gerne auf die Seite der Klamottenfirma und kaufe da auch ab und zu ein paar Sachen, aber die Werbung finde ich schon doof. Gegen die GMX Mail kann ich eh nichts machen… Also löschen. Klick! Weg ist sie. Ich schaue, wer mir noch geschrieben hat. Frank hat geschrieben.

Frank ist ein alter Schulfreund von mir. Wir sind zusammen in die fünfte bis achte Klasse gegangen. Dann hat sein Papa in Hamburg einen tollen Job angeboten bekommen, und sie sind dorthin gezogen. Ich war echt verdammt traurig an dem Tag. Eigentlich war ich verdammt traurig für die ganze Woche, den ganzen Monat. Als er noch hier gewohnt hatte, sind wir nach der Schule immer noch ins Cafe gegangen oder haben uns an den Neckar gesetzt und gelacht. Wir waren supergute Freunde, und nichts konnte uns trennen. Wirklich gar nichts. Nicht einmal die Tatsache, dass er immer wieder im Minigolf gegen mich gewonnen hat. Aber das fand ich auch so gut an ihm. Er hat mich nicht gewinnen lassen. Manchmal hat er mir ein Eis gekauft als Entschuldigung und dann war wieder alles gut.

Wir schreiben uns ein- bis zweimal die Woche. Ich freue mich immer riesig, wenn ich von ihm etwas lese, auch heute noch nach so vielen Jahren. Diesmal schreibt er dass er eine neue Freundin hat. Naja… fast. Sie waren dreimal miteinander weggegangen. Gestern waren die beiden in Hagenbecks Tierpark und saßen händchenhaltend vorm Schildkrötengehege unter einem riesigen Baum und haben Wolken beobachtet. Fast so wie wir früher am Neckar, schreibt er… Ich freue mich mit jeder Zeile die ich lese und erinnere mich zurück, wie wir beide am Fluss saßen und Steine reinwarfen. Schön, dass es ihm gut geht, denke ich und antworte sofort.

„Hallo Frank. Freu mich riesig, dass Du so glücklich bist. Klingt ja ganz schön spannend und nach Schmetterlingen im Bauch :-) Klingst so total verliebt. Das ist so süß. Leider bin ich immer noch Single. Nach der Sache mit Malte habe ich immer noch niemanden gefunden. Aber ich freu mich jetzt erstmal für Dich. Und hey… Du wolltest mit mir auch mal zu Hagenbecks. Vergiss das nicht ;-) Hab Dich lieb und tausend sonnige Grüße, Deine Jackie“.

Ich gieße mir die erste Tasse Tee ein. Es duftet wunderbar nach Pfirsich im ganzen Zimmer. Ich kann aber noch nichts trinken, weil der Tee noch zu heiß ist. Also entschließe ich mich die anderen Mails zu lesen. Alex schreibt.

„Hey süße Maus. Hab Dich gestern im Dance Park vermisst. Wo warst Du denn? Dachte Du wolltest kommen? Meld Dich mal. Alex“.

Ich überlege genau einen Bruchteil von einer Sekunde und klicke auf „Löschen“. Alex ist so ein komischer Proll aus der Dorfdisco. Ich hatte letzte Woche mit Silke Lust auf Tanzen gehabt und Alex und sein Freund hatten uns auf ein Beck’s Ice eingeladen. Jetzt denkt er schon fast wir sind zusammen nur weil ich ihm meine Email-Adresse gegeben hab. Furchtbarer Typ.

Ach ja, übrigens, Silke ist eine Kollegin von mir. Wir haben zusammen die Ausbildung gemacht und uns sofort prima verstanden. Wir treffen uns oft auch nach der Arbeit und gehen ein wenig bummeln, tanzen oder lästern einfach nur über die ganze Firma bei ‘nem Latte Macchiato im Café Journal. Viele fragen uns, ob wir Schwestern sind, weil wir ähnlich aussehen, oft im Rudel auftreten und auch sonst fast gleich sind. Aber das sind wir nicht. Wir sind einfach nur Jackie und Silke… Silke und Jackie. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.

Die letzte Mail ist von einer Flirtseite, bei der ich angemeldet bin. Jemand hat mir eine Mitteilung geschrieben und ich soll unbedingt gleich schauen gehen. Ich entscheide mich dafür die Mail gleich in den Papierkorb zu legen.

Mein Tee hat inzwischen die richtige Temperatur zum Trinken. Ich nehme einen großen Schluck. Anschließend stelle ich die Tasse wieder auf den Tisch neben die Maus und lasse mich nach hinten auf die Couch fallen. Irgendwie bin ich glücklich. Kann jemand bitte die Welt anhalten? Ich möchte den Augenblick noch etwas genießen. Ich begutachte die Zimmerdecke. Eigentlich starre ich sinnlos an irgendwelche Stellen ohne wirklich zu wissen, wieso ich dorthin schaue. Ich schließe die Augen. Nur das monotone Surren des Computers stört.

Schließlich erhebe ich mich wieder zum PC und öffne mein Skype. Mal schauen, wer da ist. Nur drei Leute sind da: Kathrin ist da, Jutta und Lisa. Mit Kathrin und Jutta schreibe ich sehr selten. Aber mit Lisa immer, wenn es geht. Also klicke ich sie schnell an und schreib „Lüüüüüs! Biste da?“ und schaue gespannt auf den Schirm, ob eine Antwort kommt. Nach einer Minute werde ich ungeduldig und tippe noch mal etwas ein: „Hey! schläfst Du?“. Keine Antwort. Vielleicht hat es doch etwas zu sagen, dass sie gerade „abwesend“ ist, denke ich mir? Eigentlich habe ich keine Lust zu warten. Ich öffne den Browser und schaue, was mir denn der Klamottenladen angeboten haben könnte. Vielleicht war die Mail ja doch interessant. Auf der Titelseite wird verkündet, dass die neue Collection eingetroffen ist, und ich diese unbedingt brauche. „Pffffft“, muss ich nur machen. Neue Kollektionen guck ich mir in der Stadt an, dann seh' ich auch, ob die mir passen und stehen. Im Internet bestelle ich nämlich nur Angebote. Die sind dort meistens günstiger als im Laden. Ich klicke die Seite weg und gehe zu eBay. Als die Seite geladen hat fällt mir nicht wirklich etwas ein, das ich dort suchen könnte. Ich gebe also „Aspirin“ ein und finde Schlüsselanhänger und Modelleisenbahnen. Seltsam. Plötzlich blinkt in an meinem PC das Fenster mit „Lisa“. Sofort visiere ich das Fenster an und Treffe es auf Anhieb:

„Hola. Zieh mich nur schnell um“ schreibt Lisa. „Gut“, denke ich. Dann hab ich Zeit noch etwas Tee zu trinken und greife nach meiner Tasse. Der Tee ist inzwischen fast zu kalt zum Trinken aber duftet immer noch wunderbar. Ich mache die Augen zu und lasse mich von dem Pfirsichduft treiben. Ich vergesse die Welt wieder für einen Augenblick, werde aber unsanft durch ein Pling am PC wieder aus meinen Träumen gerissen.

„Hab mir was Bequemes angezogen. Wie geht’s Dir denn?“.

 „Danke. Es geht mir prima. Ich entspanne mich grade mit ‘nem Tee und hatte Lust mit Dir zu schreiben.“

Also erzähle ich Lisa von meiner Nacht und von den Nachwirkungen. Die Zeugen Jehovas verschweige ich ihr ohne zu wissen, wieso ich es nicht erzähle. Wir verquatschen uns und um halb zwölf überkommt mich die Müdigkeit.

„Du, Süße. Ich werde mich langsam mal ins Bett legen“, schreibe ich Ihr. „Morgen ist wieder arbeiten angesagt und Du weißt doch dass ich meinen Schönheitsschlaf brauche. Schlaf gut, träum was Süßes.“

Lisa wünscht mir auch eine gute Nacht, süße Träume und schickt mich mit einem virtuellen Kuss ins Bett. Ich fahre den PC herunter und gehe ins Schlafzimmer und freue mich auf mein Bett.

Jeder Tag

Überraschend fit bin ich, als am nächsten Morgen der Wecker mich um 6 Uhr weckt. Draußen ist es schon ein wenig hell und ich stülpe die Bettdecke mit meinen Füßen zurück, drehe mich, setze mich auf die Bettkante und stehe auf. Ich gehe zuallererst ins Badezimmer um die Heizung anzuschalten, schließlich will ich später nicht in einem kalten Badezimmer duschen. Das klingt ein wenig lady-like, aber mit ein wenig Luxus am Morgen beginnt der Tag viel besser.

Danach geht’s in die Küche, schnell ein Brot mit Nutella machen. Ich lege mein ausgewogenes Frühstück auf einen Teller, setze mich an meinem Frühstückstisch und schaue, während ich einen ersten Biss in das Brot mache, aus dem Küchenfester hinaus. Rodger, ein Student aus Kolumbien, wohnt mir schräg gegenüber. Er sieht gerade auf die Unterarme gestützt aus seinem Fenster heraus und wenn ich ihn mir so betrachte, sieht es aus, als wäre er auch gerade aufgestanden. Das erscheint mit, wenn ich die Uhrzeit in Betracht meiner Überlegungen ziehe, auch logisch.

Ich würde Rodger sogar als einen entfernten Freund bezeichnen: wir quatschen öfters, wenn wir uns zufällig auf der Straße oder im Supermarkt begegnen und waren sogar schon ein paar Mal im Café an der Ecke zusammen. Die Kommunikation sollte eigentlich schwierig sein, denn eigentlich spricht er nur Spanisch, ein wenig Englisch und ganz ganz wenig Deutsch… dennoch klappt es aber vorzüglich mit der Verständigung, wenn wir uns unterhalten. Selbst, wenn es doch manchmal nicht so einfach ist, schaffen wir es mit ein paar Worten, Hand- und Körperbewegungen genau das auszudrücken, was wir sagen wollen. Wer braucht eigentlich Übersetzer?

Ich winke ihm freundlich zu und lächle, bis er zu mir schaut und auch freundlich lächelnd zurückwinkt. Ich mustere ihn von der Ferne und muss jetzt mal meine Meinung zu Männern in altmodischen Unterhemden kundtun: Es gibt, finde ich, nicht wirklich viele Männer, denen diese Feinripp-Unterhemden stehen. Vielmehr stehen die Frauen, wenn Ihr mich fragen würdet – aber Ihr fragt mich gerade ja nicht. Jedenfalls ist Rodger einer von den Männern, die darin wirklich gut aussehen. Das liegt bestimmt daran, dass er diesen superdurchtrainierten Körper hat und dieses lateinamerikanisches Flair. Eben genauso wie aus einer Werbung für Bacardi oder andren exotischen Alkoholika.

Wenn ich eben von Frauen in Feinripp-Unterhemden sprach… Ich selbst würde mich auch gerne als so durchtrainiert bezeichnen, dass mir so ein Stück Haute-Couture stehen würde, aber das wäre gelogen. Ich bin weder superschlank noch pummelig, aber da ich nicht viel Lust auf sportliche Betätigung habe, und Joggen mir ein kaltes Grauen über den Rücken laufen lässt, wird sich daran auch in naher Zukunft nicht wirklich viel ändern. Wenn ich wirklich mal wieder abnehmen wollte, würde ich eher nichts essen, aber das macht meinem Kreislauf immer enorm zu schaffen.

Rodger hatte mich schon öfters gefragt, ob ich nicht mit ihm ins Fitnessstudio gehen will. Ich hab immer abgelehnt und irgendetwas erfunden, warum ich gerade jetzt unmöglich gehen kann. Gute Beispiele sind… Ich hab’ grade Erdbeertage, hab mir den Fuß verdreht oder die gute alte Migräne. Man kann so kreativ werden, wenn man etwas nicht machen will – sehr viel kreativer, als wenn man Lust auf etwas hat.

Ich verlasse meine Gedankenwelt, winke Ihm nochmal und stecke das letzte Stückchen Nutellabrot in meinen Mund. Durch mein Phantasieren ist das Badezimmer inzwischen warm genug fürs Duschen geworden. Ich hasse es, wenn ich in einem kalten Zimmer duschen muss. Dann fang’ ich den Tag schon mit einer derart miesen Laune an, die anschließend auch alle spüren. Aber zum Glück ist es ja inzwischen kuschelig warm. Ich ziehe mich aus und werfe die Klamotten in meinen Wäschekorb. Ordnung muss ja schließlich sein. Bevor ich unter die Dusche gehe schneide ich noch ein paar Grimassen vor dem Spiegel. Ich sage dem Spiegelbild, dass es schön war, dass ich es getroffen habe, aber dass wir uns so hässlich frühestens morgen früh wieder sehen werden. „Dem hab ich‘s gezeigt“, denke ich mir als ich feststellen muss, dass ich mich mal wieder enthaaren sollte. Scheisse. Das Spiegelbild gewinnt immer…

Nach der Dusche und dem Richten gehe ich zum Kleiderschrank und finde mal wieder nichts, was ich anziehen möchte. Ich entscheide mich für eine meiner schwarzen Hosen von C und A, die mir so gut passen und ziehe meine weiße S.Oliver Bluse an. Ich geh nochmal zum Spiegel und entdeckt, dass ich mich davor für einen schwazen BH entschieden hatte. „Fuck“, denk ich… Also schnell einen andren BH anziehen und dann… Bluse, Jacke, Handtasche, Schlüssel, Geldbörse und raus.

Sportlich hüpfe ich die Treppen hinunter, springe über die letzten beiden Stufen, öffne die Tür und schreite in die Welt. Die Zeit sitzt mir im Nacken, als ich durch die Strassen husche, in denen frühe Vögel auf den Antennen der Reihenhäuser ihre früh-gefangenen Würmer verzehren. Nicht wirklich das, was ich gerne frühstücke… Aber Geschmäcker unterscheiden sich und ein Vogel bin ich frühestens im nächsten Leben.

Mit etwas Glück werde ich es schaffen, dass ich die 7 Uhr 12 Straßenbahn der Linie 1 noch zu erreichen. Zum Glück ist es nicht weit bis zur Straßenbahnhaltestelle und ich komme rechtzeitig dort an. Ich steige ein und setze mich auf einen Platz am Fenster, schaue in den Morgen als die Türen sich surrend schließen und das Massenverkehrsmittel sich langsam seinen Weg in Richtung Ausbildungsstelle sucht. Ich krame etwas ungezielt in meiner Handtasche, hole aber dennoch nach kurzer Zeit meinen iPod heraus. Schnell die Ohrhörer in die Ohren und Play drücken. Zu dem Beat von Justin Timberlake fahre ich in einen weiteren Arbeitstag. Ich nehme meinen Ordner von der Arbeit und schaue nach in welcher Abteilung ich heute bin. Haustechnik. Na Prima. Zwei Wochen mit den Handwerkern. Hoffentlich stehe ich das durch. Andererseits… Jennifer und Samuel – Zwei andere Auszubildende meines Jahrgangs - sagen, dass es dort sehr locker sei. Die beiden waren schon bei den Handwerkern. Ich sollte aufhören mir so viele Gedanken zu machen und einfach die Augen zumachen, dort hingehen und sagen: „Hi. Ich bin Jackie und jetzt zwei Wochen euer Gast. Zum Frühstück hätte ich gerne ein Marmeladenbrot und ein gekochtes Ei… Habt ihr das? Und… Gibt’s hier frischen Orangensaft? Ich trinke nämlich nur frisch gepressten Orangensaft. Aber das kriegt Ihr hin, oder? Danke.“ Im Gleichen Moment geht mir aber ein „Scheisse“ durch den Kopf.  Wie konnte ich eine weiße Bluse anziehen, wenn ich bei den Handwerkern bin? Ich sollte echt langsam mal planen… Total verpeilt. Ich mache einen Knopf mehr zu, lehne meinen Kopf gegen die Scheibe der Straßenbahn und schließe die Augen während „Mirrors“ sich seinen Weg vom iPod über meine Kopfhörer zu meinen Ohren bahnt.

Es ist 7 Uhr 56 als ich durch die Eingangstür die Firma trete. Wie so oft bleibt die elektrische Drehtür stehen und ich winke Frau Schmitt am Empfang, damit Sie die Tür wieder anlaufen lässt. Es gelingt wie üblich. Ich gehe zu Ihr und bedanke mich: „Hallo Frau Schmitt. Danke fürs reinlassen. Wär‘ aber nicht nötig gewesen“, feixe ich. „Hallo Jaqueline. Guten Morgen. Diese Tür ist heute schon wieder fünf Mal hängengeblieben. Ich versteh‘ das nicht.“

„Machen Sie Sich keinen Kopf“, antworte ich ihr „Der Architekt muss sich da schon was bei gedacht haben“

Wir lächeln. Dann gehe ich in den Keller zur Haustechnik.

Dort angekommen begrüßt mich Hans. Ich darf ihn Hans nennen, sagt er mir, weil alle ihn Hans nennen. Eigentlich sollte ich Ihn Herrn Höhnlein schimpfen aber Hans gefällt mir besser, also bleibe ich von Anfang an bei Hans. Er zeigt mir mein neues Zuhause für die nächsten Arbeitstage. Ein Schreibtisch, der quer vor zwei anderen steht. Darauf ein Monitor, darunter ein Computer, darauf ein Berg von Papieren, darunter ein Papierkorb.

Hans klärt mich auf, dass Mike und Stefan erst später kommen. Mike und Stefan sind also mein WG-Mitbewohner hier. Dann warte ich. Also setze ich mich erstmal an meinen PC und schalte ihn ein. Ich schaue nach meinen Mails, spiele Solitär, verliere und warte weiter auf Mike und Stefan. Diese kommen gegen 9 Uhr.

 Mit einem freundlichen „Aaaah! Frischfleisch“ begrüßt mich Stefan. Mike ist ein wenig einfallsreicher, reicht mir die Hand und sagt: „Morgen. Ich bin Mike.“

„Jaqueline“ sage ich, „ohne c“, und reiche ihm die Hand. Nach etwas Smalltalk weißt Mike mich in die Abteilung ein, erklärt mir meine Aufgaben und bringt mir sogar einen Kaffee, während Stefan die ganze Zeit auf meine Brüste schaut. Er denkt zwar, dass ich es nicht merke, aber ich sehe ja, dass er immer wegschaut, wenn ich mich zu ihm drehe. Völlig Panne. Wieso merken das die Kerle nie?

In der Mittagspause treffe ich mich mit Jennifer. Wir stehen in der Kantine an und können uns nicht zwischen Rinderbraten extra sehnig und Pizza viel zu kross entscheiden. Also gehen wir an die Salatbar und machen und einen schönen Teller Salat. Wir setzen uns an einen Tisch und unterhalten uns.  Jenny erzählt mir, dass sie ab heute im Marketing ist und dass alle so cool und nett sind und kreativ. Ich freue mich für Sie und erzähle, dass ich bei den Handwerkern bin und mir Stefan ununterbrochen auf die Titten starrt. Jenny muss anfangen zu lachen.

„Ja“, meint sie, „das macht der wirklich immer und bei jeder. Ist schon ein komischer Typ. Du musst aber aufpassen. Er ist so ein Typ der hier in der Firma jede flachlegt.“

„Wie ?“ frage ich „Das erbärmliche Stückchen Mann ist so einer? Wie viel muss ich denn da getrunken haben, damit ich mit dem in die Kiste steig?“

Jenny macht eine Bewegung, die mir sagt, dass Sie keine Ahnung hat und auch schon mit ihm gevögelt hat. Wir schauen uns kurz an und müssen so laut lachen, dass sich alle Kollegen im Umkreis von 3 Tischen zu uns umdrehen.

Nach dem Mittag gehe ich wieder in meine Abteilung. Warum ich nicht mit Ihnen beim Döner war, fragt mich Stefan. Ich antworte, dass ich nicht wusste, dass auch Azubis mitdürfen, wollte aber sagen, dass ich mich mit einer Freundin getroffen hab. Das schlechte an meiner Antwort war, dass ich ab jetzt jeden Mittag zum Essen eingeladen werde und mir immer wieder neue Ausreden einfallen lassen muss, warum ich wieder nicht mitgehe. Als wir wieder auf unseren Plätzen sitzen und ich mir den ersten Lieferschein zum Prüfen nehme schaut mich Mike an: „Was machst Du denn am Freitag? Wir haben unser alljährliches Abteilungskegeln und vielleicht magst du ja mitkommen? Kostet Dich auch nicht. Auch die Getränke nicht.“ Ich überlege kurz. Eigentlich habe ich ja keine Lust mitzugehen. Aber Saufen auf Firmenkosten. Das klingt eigentlich ganz gut. Ich sage also „Ok. Wann fängt‘s an?“

„Gegen 6 fahren wir direkt von hier los“

„Is okay. Bin dabei“.

 

Aus: Jackie’s Guide to Living, Kapitel 13: “Freizeit und Abend­-beschäftigung in Mannheim”

In diesem Zwischenkapitel möchte ich ein paar nette Freizeit­beschäftigungstipps für Mannheim geben. Vielleicht ist es nur so ein Marc O’Polo für Arme, aber ich versuche es.

Schön ist es natürlich in den Quadraten, wo sich eine Kneipe an die nächste reiht. Es gibt viele verschiedene Arten von Etablissements. Richtung Universität gibt es viele Studentenkneipen. Es lohnt sich immer dort einmal vorbeizuschauen. 

Mannheim hat auch viele Clubs, die über das Stadtgebiet verteilt liegen. Es gibt alles von Grossraumdiscos bis hin zu kleinen Clubs. Viele lokale Künstler haben hier angefangen das Land zu erobern und es gibt auch für jeden Musikgeschmack das Richtige. Die Grossraumdiscos liegen jedoch nicht im Innenstadtgebiet sondern in einem Ring um Mannheim herum. Aber das schadet ja nicht.

Für kulturell Interessierte sind auch viele Museen geöffnet mit verschiedenen Kunstaustellungen und Themengebieten. Viele dieser Museen gibt es um den Wasserturm herum, aber auch das Technikmuseum oder das Planetarium im Osten der Stadt sind lohnenswerte Orte.

Was nicht fehlen darf: Die Planken. Sie gehört zu den zehn meistbesuchten Shoppingmeilen Deutschlands und bietet auch für jeden Goût etwas. Meistens zu viel, um ehrlich zu sein. Aber da ist man ja selbst schuld. 

Große Konzerte finden auf dem Maimarktgelände statt oder in der benachbarten SAP Arena. Dort geben sich Weltstars die Klinke in die Hand. Zudem ist Ende April auf dem Maimarkt der Bär am Steppen mit einer tollen Verbraucherschau. 

Aber das tollste an Mannheim ist Britta. Aber das wißt ihr ja schon.

Singen und so

Es ist Dienstagabend und ich stehe vor der Tür von meinem Ex, Malte. Wir waren drei Jahre zusammen, hatten viele glückliche Tage, wenige unglückliche. Wir hatten uns kennengelernt, als ich 15 war. Das war auf einer Party von meiner damaligen besten Freundin Anna. Wie in so vielen Geschichten, Filmen und wie im echten Leben fanden wir uns am Anfang unausstehlich. Ich fand ihn besserwisserisch, neunmalklug und auch sonst wenig sympathisch. Er war so gar nicht das, was ein 15-jähriges Mädchen an einem Typen toll findet. Jedenfalls haben wir uns nach der Party dann lange nicht mehr gesehen. Zwei Tage lang. Dann trafen wir uns zufällig bei McDonalds. Er meinte, dass wir einen echt beschissenen Start erwischt haben bei Anna und ob er mich einladen dürfte, denn eigentlich findet er mich ganz nett. Ich überlege kurz und da er so lieb gelächelt hatte, durfte er mich natürlich einladen.

Wir haben zusammen geschlemmt und gelacht. Wir haben uns auf den neuen Fernsehern im Fastfood-Tempel Videos angeschaut und bei „Allein allein" von Polarkreis 18 gleichzeitig gesagt, wie geil das Lied doch ist. Liebe auf den zweiten Beat sozusagen. Wir haben uns danach immer öfter getroffen, zufällig oder geplant, und nach zwei weiteren Wochen waren wir zusammen.

Eigentlich waren wir glücklich. Oder ich war es zumindest. Wir waren glücklich bis zu dem Tag, an dem Malte vor mir stand mit tieftraurigen Augen, meine Hände in seine legte und mir sagte, dass er mit mir reden will. So miserabel wie an diesem Tag ging es mir an keinem anderen Tag davor… und danach. Ich wusste nicht, was er mir sagen wollte, aber ich wusste, dass ich Angst davor haben sollte. Mit jeder Sekunde, die er sich fasste und Mut schöpfte mit mir zu reden, zog es mir den Boden unter den Füssen weg. Es war wie Schweben im All, ohne Sauerstoff, dem Ersticken nah und keine rettende Raumstation in Sicht. Total verloren. Game Over, Baby.

Er schaute mich an und sagte: „Ich liebe Dich, wirklich, von ganzem Herzen. Aber da gibt es etwas mit dem ich mit Dir sprechen muss. Es tut mir leid aber wir können so nicht weitermachen.“

„Wie weitermachen?“ fragte ich ihn „es läuft doch alles perfekt. Perfekt… oder? Mit uns? Was ist denn los?“ Meine Stimme wurde immer dünner.

Das lag daran, dass ich anfing zu zittern und mir die Tränen langsam in die Augen kamen. Dort stand ein Mann. Mein Mann. Der Mann, den ich liebte. Der mich liebte. Aber es ging nicht. Scheisse, was ging nicht?

Malte atmete tief durch und erklärte: „Du kennst doch meinen Freund Jonas?“

Ich nickte.

„Du musst wissen, dass da mehr als Freundschaft ist und…“ Malte musste unterbrechen, weil ich zusammensackte. Der Boden war endgültig weg. Er muss mich noch aufgefangen haben, da ich nicht hinfiel. Ich brach in Tränen aus. Dieses Gefühl von totaler Leere, von dem jeder erzählt, der schon einmal eine Liebe verloren hat. Da war es. Ich wollte kotzen, aber konnte es nicht. Wollte ertrinken, ersticken, erfrieren. Wollte… Fuck! Malte setzte mich auf die Couch und sich daneben. Er hatte dieses Gesicht, in dem auch tiefste Trauer geschrieben stand. Ich sah ihm an, wie lange er mit sich selbst gekämpft haben musste. Es tat ihm unheimlich weh, was er sagte, aber er wusste es musste sein. Sein Kopf, sein Herz. Es gehörte nicht mehr mir allein. Es gab noch ein großes Stück für mich, aber nicht das größte. Ich brauchte Zeit. Ich brauchte Abstand. Ich machte mir Gedanken. Ich hatte Zweifel. Was habe ich denn falsch gemacht, dass er so wird? Was ist passiert? Ich brauchte plötzlich Luft, brauchte Sauerstoff, brauchte mich selbst.

Ich machte mir ein halbes Jahr Gedanken. Ein halbes Jahr Einsamkeit mit 18. Das ist das schlimmste, was Dir zur Volljährigkeit passieren kann. Keine Partys, kein Auto, kein Leben… nur Fragen. Nach einem halben Jahr hatte ich noch keine Lösung, keine Antwort gefunden. Malte versuchte immer wieder in dieser Zeit Kontakt mit mir zu suchen, aber ich blockte ab. Ich hatte ja meinen ungeheuren Schatz an Ausreden. Und wieso sollte ich mit dem Metzger, der mein Herz aus meinem Körper gerissen hatte, reden? Nein. Ich wollte nicht.

 

*

 

Doch die Zeit verging und irgendwann war auch ich wieder offen und frei. Ich erlaubte ihm mich zu kontaktieren. Wir gingen Essen. Malte, Jonas und ich. Schnell merkte ich dass die beiden zueinander gehörten. Jonas und mein… nein Jonas und sein Malte. Ich fing sogar an mich ein wenig für die beiden zu freuen. Jonas war ein intelligenter, graziler, hagerer Mann, der stilsicher und gekonnt agierte. Er war zwar etwas Eifersüchtig, aber das ist ja ok.

Jedenfalls stehe ich jetzt hier vor dem Haus, in dem die beiden leben. Eingeladen zum Essen habe ich eine Flasche Sekt in der Hand und suche die Klingel. Es ist die einzige ohne Beschriftung. Ich klingle.

Nach kurzer Zeit meldet sich der Türöffner und zeigt mir an, dass ich eintreten kann. Ich gehe durch das Treppenhaus mit den alten beigefarbenen Steinen und den Wänden, die eines Tages mal weiß waren, jetzt aber danach schreien etwas Farbe zu bekommen. Zweiter Stock rechts. Ich bin da. Malte wartet mit einem Lächeln und offenen Armen auf mich und begrüßt mich mit einer herzlichen warmen Umarmung. Ich drücke Ihn und lehn meinen Kopf gegen seine Brust, atme ein und atme aus.

„Hi“, sage ich mit einem Lächeln. „Ich habe eine Flasche Sekt mitgebracht.“

„Danke, Kleine, aber das wär’ nicht nötig gewesen. Du verdienst doch nicht so viel und musst die Wohnung bezahlen.“

Ich nicke und will mich auf keine Diskussion einlassen, als mich ein leckerer Duft umgibt.

„Ui. Das riecht aber lecker“, sage ich spontan.

Es duftet eigentlich immer lecker, wenn Malte sich in der Küche seiner Begabung hingibt. Er hat einfach das Talent und die Inspiration für gutes Essen. Das war schon damals so, als wir noch zusammen waren. Heute hat er für uns Fettucchine mit einer Traumsauce gemacht. Ich kann sie nur Traumsauce nennen, weil ich mir unmöglich alles merken konnte, was er mir gesagt hat, das drinnen ist. Garnelen, Feta, Frischkäse, Tomaten… Ich schaffe es nicht. Alles was ich kann, ist dem ganzen ein Wort zu geben: Mhhh!

Dazu hat er einen Salat gemacht. Genauso köstlich. Der Salat sah toll aus in der großen Glasschale. Eisberg, Tomate, Gurke, Eier, Käse, Paprika… und dieses Dressing. Ich stehe neben Malte in der Küche als er es kreiert während Jonas den Tisch deckt und den Wein dekantiert. Ich schaue zu, um etwas zu lernen, um meinen Horizont, der das Zubereiten von Miracoli beinhaltet, zu erweitern.

Aber mein Blick schweift immer in den Raum. Eine tolle Küche haben sie sich eingerichtet. Schön modern. Und mit einer tollen Kaffeemaschine. Was das wohl alles gekostet hat? Ich will‘s eigentlich gar nicht wissen, weil ich mir sowas sowieso nicht leisten kann. Also lehne ich mich an die Arbeitsplatte drehe meinen Kopf zu Malte und frage ob ich mal probieren darf.

„Es ist sowieso gleich fertig. Du kannst es schon einmal ins Wohnzimmer bringen, wenn Du magst“, bittet mich Malte und überreicht mir die Salatschüssel. Ich nehme sie in beide Hände und trage sie vorsichtig ins Wohnzimmer, wo Jonas gerade drei Kerzen auf dem Esstisch anzündet. Wow geht es mir durch den Kopf, sieht das schön aus.

„Wow“, sage ich. „Sieht das schön aus hier.“

„Danke“, antwortet Jonas sichtlich erfreut über die positive Resonanz von mir auf seine Dekorationskünste.

„Setz Dich“.

„Darf ich erst noch die Salatschüssel auf den Tisch stellen?“ lächle ich Ihn fragend an.

„Natürlich, natürlich“, lächelt er zurück. „Aber sobald Du mit Deiner aufregenden und aufreibenden Arbeit fertig bist habe ich bereits diesen Stuhl reserviert für Dich“.

Er rückt den Stuhl, hinter dem er steht langsam zurück, edel wie ein Kellner in einem Vielsternerestaurant und räuspert sich leise. Wir müssen beide lachen. Ich stelle den Salat auf den Tisch und setze mich auf den für mich reservierten Stuhl.

„Ein vorzüglicher Platz“, witzle ich „Mit Blick auf all meine Freunde und aufs dem Fenster.“

„Nur vom Feinsten für Dich.“ 

Malte kommt aus der Küche mit den Fettucchine und setzt sich zu uns. Die Pasta schmeckt tatsächlich noch besser als sie duftete. Ich hole mir zwei Mal einen kleinen Nachschlag, was mir etwas peinlich ist, aber die beiden freut es, dass es mir schmeckt. Dem Hosenknopföffnen nahe lasse ich mich nach dem letzen Bissen in meinen Stuhl fallen und bin glücklich.

Nach dem Essen und dem dritten Glas Wein kommt Jonas auf die Idee Singstar zu spielen. Ich finde auf Anhieb ein dutzend Argumente dagegen aber keines davon zieht. Letztendlich lasse ich mich überreden, wenn ich noch ein viertes Glas Wein bekomme. Schon während ich die Bedingung stelle, wird es mir von Malte eingeschenkt. Wir setzen uns auf das Sofa und Jonas schaltet Fernseher und Playstation ein und schließt die Mikrofone an. Ich bekomme das blaue, weil rot die Lieblingsfarbe von Jonas ist. Malte holt noch schnell die Gläser vom Esstisch, setzt sich neben Jonas und gibt ihm einen Kuss. Ich schaue rüber zu den beiden. Finde es eigentlich schön. Werde sogar ein wenig neidisch. Neidisch auf Jonas? Neidisch darauf, dass ich schon so lange niemanden mehr geküsst habe? Während ich mir noch so meine Gedanken mache und versuche meine Fragen zu beantworten fragt Jonas schon, welches Lied ich denn gegen ihn singen wolle. Beim zweiten Fragen reagiere ich:

„Keine Ahnung. Was gibt’s nochmal für Lieder? Ach… egal… Schlag was vor.“

„Wie wär’s mit YMCA?“

„Neuere… Da habt ihr doch Heimspiel!“

Jonas schaut mich an und muss lachen. Malte und ich schmunzeln auch und ich nehm‘ mir die Spielpackung mit den Worten: „Laß' mich mal schauen.“ Ich gehe die Titel durch und suche mir das aus, was mir am besten gefällt und wo ich mir die meisten Chancen ausrechne nur zu verlieren und nicht vernichtend geschlagen zu werden: "Get the Party started" von Pink.

„Okay“ sagt Jonas als er das Lied auswählt „Dann fangen wir mal mit der Party an.“ Vier Minuten später und nach einer akustischen Bankrotterklärung verliere ich 1500 zu 9000. Leicht angepisst schaue ich zum triumphierenden Jonas und zu - sein Lachen hinter einem Kissen versteckenden - Malte.

„Hey! Ich hab’ euch gesagt dass ich das nicht kann und nicht will!“ keife ich. Die beiden beruhigen sich etwas und schmunzeln nur noch. Jonas schenkt noch Wein nach und Malte fordert mich zu einer Runde Jamiroquai heraus. Ich lehne ab. Nachdem ich das Glas Wein auf Ex getrunken habe nehme ich an. Immerhin verliere ich nur 2300 zu 6100. Es folgen weitere Gesangseinlagen von mir, die Dieter Bohlen bei Deutschland sucht den Superstar mit Sicherheit durch bissige Kommentare, die mich zum Weinen gebracht hätten, zerrissen hätte.

Zwei Stunden, 3 Gläser Wein und unendlich viele Niederlagen später werde ich mit jeder Minute launischer, zickiger und bin nur noch für das Unterhaltungsprogramm von niveaulosem Publikum zu gebrauchen. Ich will heim. In mein Bett. Ich stehe auf und falle gleich wieder zurück auf die Couch. Scheisse. Was ist denn das? Zweiter Versuch. Ich stütze mich mit meinen Händen auf der Couch ab und hieve mich hoch. Als ich auf den Beinen stehe und nach 5 Sekunden merke, dass ich nicht wieder umfalle bemerke ich, dass dieses scheiss Wohnzimmer sich bewegt.

 „Hey!“ rufe ich. Was für ‘n Scheiss Zimmer habt ihr hier?“ Die beiden lachen, aber ich weiß nicht wieso, weil ich das so Scheisse ernst meine. Die beiden lachen wie zehnjährige Mädchen, die im Aufklärungsunterricht bemerken, dass der gezeichnete Hintern der dargestellten Frau eine Falte mehr halt als der des Mannes. Ich schreie: „Das ist nicht lustig!“ Ich muss zu weinen anfangen. Es ist, wie wenn Du in eine Pfütze fällst und alle dich auslachen. Es tut weh. Ich lass mich wieder aufs Sofa fallen und hebe meine Hände vor meine Augen und lasse mich auf die Knie sacken. Malte bemerkt, dass hier kein Spiel läuft, setzt sich neben mich und nimmt mich in den Arm.

„Sorry, Kleines. Wir dachten das nicht echt sei.“

„Es ist verdammt Scheisse echt,“ flüstere ich mit verweinter Stimme leise. Malte drückt mich fester an sich, nimmt meinen Kopf in seine Oberarme.

„Jonas, kannst Du bitte die Bettwäsche holen? Jackie schläft heute hier auf der Couch.“

Jonas nickt und steht auf, um die Bettwäsche zu holen.

„Ich mag aber heim“, sage ich und nehme meinen Kopf aus Maltes Armen um ihm mit Tränen in den Augen ins Gesicht zu sehen.

„Wir haben alle zu viel getrunken. Schlaf hier auf der Couch und wir machen morgen ein superleckeres Frühstück.“

Er schaut mich lächeln, fragend an und nickt schon so, dass ich nicht mehr Nein sagen kann. Also sage ich nicht nein. Ich ziehe meine Beine an und bewege mich langsam in die Waagrechte auf der Couch.

„So gut?“ frage ich wie eine dreijährige, die Bestätigt haben will, dass sie das gut gemacht hat.

„Ja. Super machst Du das“ bestätigt mir Malte. Ich lächle weil ich es richtig gut gemacht habe. Jonas kommt mit der Bettwäsche und gibt mir Kopfkissen und Decke. Meine Augen sind schon fast zugefallen. Wir verabschieden uns und wünschen uns eine gute Nacht. Ich bestehe auf einen Gute-Nacht-Kuss von beiden und bekomme den auch. Mit „Bis morgen. Schlaf gut Süße“ werde ich in den Schlaf verabschiedet.

 

*

 

Gegen sechs Uhr werde ich geweckt von leisen Tellerklappern und einem wohlig warmen Kaffeeduft. Ich öffne meine Augen einen Spalt. „Licht! Igitt!“, denke ich mir. Also mache ich lieber meine Augen noch einmal zu und genieße den Duft von Kaffee und atme tief ein. Eigentlich duftet das hier so gut, dass ich aufstehen könnte. Ich strecke mich, ziehe die Arme nach oben, breite die Finger aus, spreize die Zehen.

„Guten Morgen“, klingt es von Hinten. Malte richtet gerade den Frühstückstisch.

„Morgen“, grüße ich artig zurück.

„Frühstück ist gleich fertig. Kannst dich schon mal hersetzen“, fährt er fort. Mit dem ersten Kraftakt des Tages drehe ich mich und sitze.

„Hey, so schnell bin ich lange nicht mehr aufgestanden. Dein Frühstück motiviert“, lächle ich Malte mit dem ersten Morgenlächeln des Tages an. Ich schaue an mir herunter. Noch das Zeugs von gestern an. Als Malte kurz das Zimmer verlässt, mache ich den Geruchstest. Ich schnüffle schnell an meinem Shirt. Riecht noch okay, entscheide ich für mich selbst und wackle in Richtung Esstisch. Ich schiebe gerade den Stuhl zurück um mich draufzusetzen, da kommen Malte und Jonas auch herein.

„Hi. Haste gut geschlafen?“ begrüßt mich Jonas.

„Ja, danke. Sehr gut.“ Entgegne ich. „Aber ich hätte heute Nacht bestimmt auch gut in ‘nem verlurchten Moorgebiet geschlafen“ Ich lächle.

„Hast Du keine Kopfschmerzen?“ fragt mich Malte.

„Nein. Alles okay mit mir. Kann ich ein Croissant haben?“ will ich höflich wissen.

„Na klar. Dafür stehen diese auf dem Tisch.“, informiert mich Jonas. „Malte war extra schon beim Bäcker.“ 

Erst jetzt überblicke ich den tollen Frühstückstisch. Neben den Croissants, die mir sofort ins Auge gefallen sind, sind noch Brötchen, Marmelade, Käse, Eier, Äpfel, Joghurt, Müsli und das, was ich mir gleich kralle: Nutella.

„Ich glaub’ das reicht nicht für uns alle,“ feixe ich, als ich das Nutellaglas von seiner Frischhaltefolie befreie. Direkt betrachtet hat es dann doch gereicht. Auch wenn ich fingerdick Nutella auf das Croissant schmiere – es reicht für alle. Nach Croissant und Kaffee bedanke ich mich für den super Abend und das tolle Frühstück.

„Können wir bald wiederholen.“ Schlägt Malte vor. Jonas und ich nicken. „Bring doch mal deine Freundin Britt mit. Hab die ja ewig nicht gesehen.“ Bittet mich Malte.

„Hey gute Idee“ denke ich und sage es dann auch. „Dann melde ich mich bei euch, okay?“ frage ich. Beidseitiges Nicken. Mitv„Ich muss dann mal. Muss mich noch duschen, chic machen, anziehen. Ihr wisst ja. Danke nochmal“ verabschiede ich mich und stehe auf. Ich suche noch schnell meine Schuhe und meinen Mantel und bin auch bald schon aus der Tür verschwunden. Ich gehe zu mir nach Hause, dusche mich, mache mich chic und ziehe mich an. Danach geht es in die Firma.

 

*

 

Aus: Jackie’s Guide to Living, Kapitel 17: “Highscores für Versager”

Nach vielen Versuchen, bei Singstar zu gewinnen, habe ich einen kleinen Trick herausgefunden, wie ich meinen Namen in die Highscoreliste schreiben kann, ohne richtig gut zu sein. Das Geheimnis ist ganz leise Hmmmmm’en statt zu singen. Die doofen Kisten erkennen nicht, was ihr singt und mit dem Hmmmm… trefft ihr die Töne viel besser. Das dürft ihr natürlich nicht machen, wenn ihr mit euren Freunden spielt. Leiht euch einfach mal das Teil aus und setzt euch daheim hin und knackt alle Highscores. Der verdutzte Blick ist euch sicher. Gemein ist das auch nicht, weil das den andren doch Spaß macht die Highscore dann wieder zu knacken. Seht es als kleine soziale Wohltat mit Wohlfühlfaktor für euch an. Wie ihr dann erklärt wieso ihr so schlecht seid, wenn ihr mit euren Leuten singt – da hab ich noch keine passende Erklärung gefunden. Schreibt mir, wenn ihr das wisst. Danke. Und nun weiter im Text…

Vorarbeiten

Am Freitag komme ich etwas später in die Firma. Ich habe meine Straßenbahn verpasst, weil ich etwas verschlafen hatte. Eigentlich passiert mir das so gut wie nie, aber ich habe mich einmal zu oft umgedreht, nachdem der Wecker geklingelt hatte.

Nachdem die Drehtür am Haupteingang zum ersten Mal ohne Probleme funktionierte und mir Einlass gewährte, begrüße ich Frau Schmitt nicht ohne sarkastisches Kommentar über die Tür: „Ist die frisch geölt worden oder wieso bleibt sie nicht hängen?“ Frau Schmitt winkt ab.

„Die ist heute schon dreimal stehengeblieben, Jackie“.

Ich lächle: „Muss ich immer ein wenig später kommen, damit ich keine Probleme mit dem Reinkommen hab?“ frage ich neckig.

„Sieht so aus“, entgegnet mir Frau Schmitt.

„Ich muss dann mal runter zu meinem neuen Schreibtisch“, verabschiede ich mich.

Ich gehe die Treppen hinunter und biege zu den Handwerkern ab. Als ich das Büro betrete, bleibe ich erschrocken und erstaunt stehen. Mike und Stefan sind schon da. Um Acht Uhr dreißig.

„Wer hat euch den geweckt?“ frage ich frech. Mike schaut auf.

„Hi Jackie. Niemand. Wir sind doch immer um diese Uhrzeit hier.“

„Im Traum vielleicht“ antworte ich schnell und kess und bewege mich zu meinem Schreibtisch. Stefan schaut zu mir. Schon wieder zuerst auf meine Brüste und dann ins Gesicht.

„Hallo Sonnenschein“, begrüßt er mich.

„Hallo Gewitterwolke“, entgegne ich während ich den Computer einschalte.

„Bowling Schuhe dabei“, fragt er mich meine Bösartigkeit ignorierend.

„Natürlich nicht. Woher soll ich so ‘n Scheiss herhaben?“

„Frauen haben doch für alle Anlässe Schuhe. Nicht für Bowling?“

„Nein. Nur für gesellschaftliche Anlässe und nicht für Proletensport.“

Stefan schaut mich entsetzt an und dreht sich eingeschnappt zu seinem PC. Strike. Mein erster heute. Ich fühle mich großartig und drehe mich auch zu meinem PC. Keine neuen Mails da. Ich frage mich kurz, ob ich bei esprit.de reinschauen oder nach Arbeit fragen soll.  Ich entscheide mich für letzteres und drehe mich zu Mike.

„Habt ihr ein wenig Arbeit auf Putzfrauenniveau? Bin grad suchend.“

Mike schaut auf, überlegt kurz und gibt mir dann den Auftrag ein Kabel zur die Marketing-Abteilung zu bringen.

So bringe ich den Tag mit Laufbotenjobs, Unterhaltungen und Bestellungen durch. Gegen fünf Uhr schaut Stefan auf die Uhr, klopft mit seinen Händen auf den Tisch und verkündet, dass er jetzt vorbereitend für das große Match noch einmal ausgiebigst auf die Toilette gehen wird. Mike applaudiert zynisch im Voraus und ich ignoriere das Geschwätz gekonnt. Es ist erstaunlich. Es dauert gar nicht lange bis man einen Menschen geschickt zu ignorieren lernt. Bei Stefan gelang mir das binnen einer halben Woche. Auf der Arbeit – das ist die Pflicht und heute Abend folgt die Kür des Ignorierens. Nach zwanzig Minuten kommt Stefan wieder zurück.

„Kommt, macht die PCs aus. Wir fahren schon mal vor und trinken ein Motivationsbierchen. Ich geb euch eins aus.“

Okay, denk ich mir. Scheiss auf Ignorieren. Freibier nehm ich auch von einem Ekel. Also schalte ich den PC aus und schaue zu Mike.

„Das können wir nicht ablehnen oder?“

„Da wären wir schön blöd“, antwortet mir Mike, der auch gerade seinen PC herunterfährt. Ich stehe schon mit Stefan an der Tür als Mike noch die Jalousien herunterfährt. Dann kommt auch er. Wir gehen gemütlich aber bestimmt die Treppen herauf und biegen links ab zum Empfang. Frau Schmitt ist um halb sechs nicht mehr dort sonders Sabine. Sabine ist ungefähr so alt wie ich, hat blondes langes Haar, ein bezauberndes Lächeln und diesen unsäglichen Blazer von der Sicherheitsfirma an, für die sie arbeitet.  Ich lächle sie an und sage artig „Tschüssie“  

„Tschüssie“ winkt sie mir zurück

„Was machst noch?“

„Wir gehen Bowlen.“

„Ah! Saufen.“

„Nein. Bowlen“.

Stefan unterbricht unsere Unterhaltung: „Ja, saufen“ und lächelt. „Tschüss Frau Hering.“

„Auf Wiedersehen, Herr Buhde.“

Wir spazieren zum Parkplatz. Während des Weges höre ich gar nicht auf das, was Mike und Stefan quatschen, sondern male mir aus, was für ein Auto Stefan wohl hat. Golf GTI und Audi TT sind meine Favoriten. Etwas anderes treue ich ihm nicht zu. Nachdem wir den halben Parkplatz schon hinter uns haben frage ich Stefan: „Was für ne Kiste haste denn?“ Stefan guckt böse zurück. Strike zwei.

„Ich fahre ein Golf 2 Cabrio in rot und kein Kiste“, antwortet er leicht genervt. Okay denke ich mir. Das wäre meine dritte Wahl gewesen, als wir vor einem roten alten Cabrio stehenbleiben. Ich denke mir, dass es gut wäre ihm noch einen mehr draufzugeben und frage:

„Die Schrottkiste hier?“ Stefan schließt auf, ohne eine Miene zu verziehen.

„Steigt ein. Hinten ist nicht viel Platz. Lass Jaqueline nach hinten, die ist kleiner“ Nanu denk’ ich mir. Seit wann heiß ich Jaqueline. Sicher, ja, so heiß’ ich – aber Stefan hat noch nie Jaqueline gesagt. Jackie, Schnecke, Azubi und sowas… Hab ich wirklich übertrieben? Ich mache mir meine Gedanken und blicke ins nichts.

„Erde an Frau Buhr. Bitte steigen Sie ein“, bittet mich Stefan doch nun endlich den Wagen zu betreten.

„Oh. Sorry. War im Gedanken.“

Ich schlänge mich durch die Tür und setze mich auf die Rückbank. Mike klappt den Sitz nach hinten und stellt die obligatorische Frage: „Hast Du Platz?“

Ich antworte gar nicht, weil ich mir wieder Gedanken mache ob ich Stefan zu hart angefasst hab. Nachdem er nichts von mir hört, setzt Stefan den Wagen zurück und fährt Richtung Bowlingbahn.

Alle Zweiundzwanzig

An der Bowlingbahn angekommen gehen wir zuerst zu unserer reservierten Bahn. Es ist die Nummer 7. Ich lege gleich auffällig meine Handtasche an einen Stuhl am Rand des Tisches, damit ich nicht mittendrin sitzen muss und schaue mich ein wenig um. Auf einigen Bahnen wird gespielt. Eine Atmosphäre von Spannung, Freude und Enttäuschung kombiniert mit einem Aroma aus Bier und Schweiß benetzt die Halle. Ich drehe mich um und stelle fest, dass unsere Kollegen noch nicht eingetroffen sind; also hebe ich meine Handtasche auf und setze mich auf den Stuhl. Ich schaue auf die Monitore über den Bahnen. Diese zeigen die Spielstände an. Auf der Bahn links von uns führt Mausi 69 zu 55 gegen Hasi. Ich kann mich gerade noch zurückhalten die beiden zu fragen, ob es ihnen nicht peinlich ist sich so zu nennen. Also beobachte ich Hasi und Mausi wie sie spielen, sich nach jedem Wurf ein kleines Küsschen geben und gebe ihnen noch 3 Wochen, bis sie sich trennen. Bevor ich die anderen Monitore entziffern kann, kommen die anderen und suchen sich ihre Plätze am Tisch. Hans stellt sich gleich demonstrativ vor uns, begrüßt uns und wünscht uns einen tollen Abend. Er beschließt seine kleine Rede mit den Worten: „So, und jetzt holen wir uns die Schuhe!“

Ich schaue etwas verwirrt „Die Schuhe?“ Ich bin verwirrt und schaue wohl genauso fragend wie ich mich fühle. Mike dreht sich zu mir und bittet mich mitzukommen. Ich folge ihm und frage ihn einige Schritte später nach „den Schuhen“

„Hier müssen Bowlingschuhe getragen werden“, klärt er mich auf. „Und die müssen wir uns hier leihen. Welche Schuhgröße hast Du?“

„39 – Aber wieso leihen? Wir müssen doch nicht wirklich die verschwitzen Schuhe anziehen die andere schon anhatten?“

Mike lächelt und antwortet flapsig „Jupp“. Ich reagiere total entgeistert: „Niemals!“ und falte meine Arme zusammen.

„Oh Mann“, reagiert Mike leicht genervt. „jetzt reiß‘ dich zusammen und zick‘ hier nicht rum.“ Er bestellt zwei paar Schuhe: Einmal Größe 44 für Männer und einmal Größe 38 für Frauen.

„Hey! Ich habe 39“, unterbreche ich ihn.

„Ja ich weiß. Nimm sie einfach.“ Er drückt mir ein Paar rote Schuhe mit weißen Streifen in die Hand, die aussehen, als könnten Sie die Schlafstätte der Ratatouille-Stars gewesen sein. Ich kämpfe einen harten Kampf gegen mich aber der Gedanke kein Spielverderber sein zu wollen besiegt den Ekel, also gebe ich innerlich auf. Aber aufgeben ist nicht ohne noch etwas eine Kapitulationsprämie  mitzunehmen.

„Also Mike… Bevor ich die anzieh musst Du mir 'nen Caipi besorgen.“ Mike schaut mich amüsiert an, nickt und geht in Richtung Bar. Er dreht sich nochmal um und sagt „Zieh sie an. Und ich hol den Caipi, nachdem Stefan ja keine Bier spendiert“

 Okay. Also ich lasse den Ekel hinter mir, ziehe meine Chucks aus und die Bowlingschuhe an. Größe 38. Sie passen. Wie kann das denn sein?

„Ach egal“, denke ich und schaue zur Bar. Mike steht noch da. Als er mir einen flüchtigen Blick zuwirft, hebe ich demonstrativ meinen rechten Fuß, um ihm zu zeigen, dass ich die Schuhe trage. Er zeigt mir Daumen nach oben und ich lasse mich beruhigt auf meinen Stuhl gleiten. Nach vielleicht einer Minute sehe ich ein Glass mit Caipirinha vor mir. Mike reicht es mir von hinten und ich umfasse es mit meinen Händen. Er selbst trinkt ein Weizenbier… „Auch nicht schlecht“, denke ich, sage kurz „Danke“ und ziehe am Strohhalm von meinem Getränk.

„Du hast also noch nie gespielt?“ fragt er mich. Mit dem Strohhalm zwischen meinen Lippen schüttle ich den Kopf.

„Okay, dann zeig ich‘s dir. Komm mit.“

Ich nehme nochmal einen Schluck und stehe auf. Wir gehen zu einem komischen Gerät, in dem viele Bowlingkugeln in vielen Farben liegen.

„Nimm Dir eine“, sagt Mike.

Ich entscheide mich für eine schöne violette Kugel. Sie hat drei Löcher und sieht ziemlich cool aus, weil sie toll marmoriert ist. Mike zeigt mir wie man die Kugel anfasst, wie man schwingt, wie man wirft. In der Theorie verstehe ich alles. Ich verspreche Mike, dass ich nicht letzte werde und er sagt mir, dass er mir die Daumen drückt. Wir gehen zurück zum Tisch, wo alle grinsend dasitzen.

„Was ist los?“ frage ich die andern.

Mike tippt schon auf meine Schulter und deutet dann auf unseren Monitor. Dort stehen die Namen „PinGod“, „HansDampf“, „Dr. Bowl“, „Mikelodeon“, „DickDickDick“ und „Zickchen“.

„Hey!“ rufe ich auf. Nenn mich anders.

„Nein, Zickchen“, erwidert Stefan. Namen darf man sich erst nach dem zweiten Abend aussuchen. Ich schnaube und setze mich zickend auf meinen Platz und schlürfe an meinem Caipi. Nachdem PinGod, HansDampf und Dr. Bowl irgendwas zwischen 2 und 5 Pins geworfen hatten, kommt Mikelodeon dran. Mike geht zu den Kugeln, nimmt sich eine schwarze und haut alle weg. Auf dem Monitor erscheint in dicken Lettern „Strike!“ Mit der Faust in der Luft geht er zurück zum Tisch.

„Glückstreffer“, wirft Stefan ihm zu und geht auch zum Kugelautomat. Er nimmt eine rote Kugel und räumt auch alle ab. „Strike! Strike! Strike“ ruft er. Und deutet auf mich. „Du bist dran.“

„Okay“, denke ich mir „also geh ich jetzt einfach dahin und werf die blöden Pins um. Kann ja so schwer nicht sein.“ Ich nehme den letzten Schluck von meinem Caipirinha und gehe zur Kugelmaschine. Meine violette Lieblingskugel ist da. Ich nehme sie in die Hand, stecke meine Finger in die Löcher und gehe zur Bahn. Ich hole aus und mit einem großen Schwung rolle ich die Kugel in Richtung der Pins. Meine Kugel rollt und rollt und rollt von der Bahn in die kleine Kuhle am Rand. Null. Ich setze mein traurigstes Gesicht auf und dreh mich um. Die anderen schmunzeln.

„Komm, Du hast noch eine. Hau sie jetzt weg“ motiviert mich Mike.

„Aber meine Kugel ist nicht da“, ruf ich zurück.

„Nimm eine Andre“

„Niemals. Die kommt doch gleich?“

„Oh Mann… Ja. Die kommt gleich“.

Ich warte also auf meine violette Kugel und meinem lauten Gulp rollt sie an. Ich nehme sie, stelle mich konzentriert auf die Bahn, nehme wieder Anlauf und rolle die Kugel. Diesmal rollt sie nicht direkt in die Verliererspur. Ich treffe und drei Pins fallen um. Ich strecke meine Faust in die Luft und schreie „Tädäää“ während ich mich umdrehe. Vorletzter. Ein Triumpf. Wo ist meine Parade? Keine. Schade. Vielleicht später… Ich werde übermütig und frage: „So. Und bevor ich euch jetzt alle wegrotze… holt mir wer ‘nen Weizen?“

„Ich mach das“, lächelt mich die Bedienung an. Ich lächle zurück. „Danke. Also ein großes Weizen bitte“. Ich lasse mich glücklich und zufrieden auf meinen Stuhl fallen. So kann es weiter gehen.

Es ging nicht so weiter. Nach zehn Runden, drei Weizenbier, drei Strafkirschwasser für Nullrunden bin ich mit 22 Punkten allerletzte. Sogar HansDampf hat 49 Punkte. Gewonnen hat DicDickDick mit 176 Punkten, fünf Weizenbier und vier Gewinnerkirschwasser.  Mit etwas getrübter Wahrnehmung lehne ich eine zweite Runde ab und möchte heimgefahren werden. Stefan und Mike erklären sich bereit mich heimzufahren. Wir lösen unseren Bowlingabend auf und die anderen drei verabschieden sich.

„Bevor wir n Taxi rufen. Wie wär‘s mit ‘nem Absacker an der Bar?“ schlägt Stefan vor. Mike stimmt ihm schneller zu, als ich es verneinen kann.

„Drei Long Island Ice Tea bitte“, ordert Stefan. Ich setze mich neben ihn, Mike setzt sich neben mich. Dann fängt es an: Die beiden unterhalten sich über irgendwelche Computerspiele, von denen ich nichts verstehe. Es klingt alles surreal und ich schalte innerlich ein wenig ab. Wir bekommen unsere Cocktails und ich nippe an meinem Long Island Ice Tea.

„Lecker“, denke ich, und nehme einen Zug. Ich schweife in meinen Gedanken ab, denke an Malte, Jonas und an unseren SingStar Abend. Scheinbar ist mir anzusehen, dass ich im Gedanken woanders bin.

„Langweilen wir Dich?“ fragt mich Mike plötzlich und unerwartet.

„Irgendwie schon“, antworte ich. „Ich habe zwar keine Ahnung über was für ‘n Scheiss ihr euch unterhaltet, aber es ist so stinkend langweilig.“ Ich lächle.

„Du hast doch keine Ahnung“ spricht mich Stefan von der anderen Seite an.

„Genug um zu erkennen, dass das Scheisse ist“

„Ach. Und was ist nicht Scheisse?“

„Tanzen gehen. Sollten wir jetzt machen.“ Ich schaue die beiden an und sehe eine komplette Unlust meinen Plan in die Tat umzusetzen. Sehr schnell sprechen die beiden wieder über ihre irreale Welt. Ich verrolle die Augen und knöpfe meinen obersten Knopf an der Bluse auf. Sofort gafft mich Stefan an.

„Was machst Du da? Striptease?“ fragt er mich.

„Neuere. Sicher nicht vor Dir. Mir ist nur n bissl warm.“  Ich nippe an meinem Cocktail. Im Laufe des Abends schwindet meine Erinnerung. Ich kann mich noch an einen Bananendaikiri erinnern und an einen Swimmingpool. Es ist eine Erinnerung wie ein Nebel, der sich langsam vor das Augenlicht legt und alles ganz langsam verdunkelt.

 

*

 

Ich wache auf. Und drehe mich auf die Seite. Die Sonne scheint und schickt mir wärmende Sonnenstrahlen in mein Gesicht. Ich drehe mich ihr zu und versuche sie mit meinem tollsten Lächeln zu begrüßen. Es fällt mir etwas schwer, weil mein Kopf brummt, aber ich versuche es trotzdem. Ich öffne meine Augen dort, wo ich die Sonne vermute. Es gelingt mir mit etwas Willensstärke. Ich schaue auf das Fenster und bekomme Angst. Ich kenne es nicht. Wem zum Teufel gehört das Fenster und die Sonne und wem gehört die verdammte Wohnung dazu. Ich drehe mich ganz langsam um, um zu sehen, ob ich alleine im Bett liege. Ich sehe einen Kopf aus der Decke schauen. Ich bin unsicher, habe Angst. Ich lüpfe die Decke, ziehe sie leicht zitternd langsam zurück, weil ich im Innern gar nicht wissen will, wer dort liegt. Es überkommt mich wie ein Schlag. „Scheisse“ fährt es mir durch Mark und Bein. „Stefan…“ Ich lasse mich zurückfallen, schaue gegen die Decke.

„Verdammt. Was ist denn passiert?“ Ich versuche mich zu erinnern, aber sehe nichts. Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin. Ich weiß nicht was hier passiert ist. Ich weiß nicht… Ein leichtes Gefühl von Panik überkommt mit, aber ich schaffe es ruhig zu bleiben. Also ziehe ich  meine Decke weg und sehe dass ich komplett nackt bin. Mir wird schlecht. Ich decke mich schnell wieder zu und klammere mich an meine Decke. Dann überfällt mich ein Gedanke. Ich suche meine Unterwäsche aber sie ist nirgendwo zu sehen. Ich drehe mich zur Bettkante und stehe auf. Auf zehenspitzen schleiche ich durchs Zimmer und vergesse dabei ganz meine Kopfschmerzen. Ich schleiche ins Wohnzimmer um meine Klamotten zu suchen, finde sie aber nicht. Ich schaue in allen Ecken, hinter dem Fernseher, hinter der Couch; Ich knie mich aufs Sofa und fühle in die Ritzen.

„Suchst Du was?“ Stefan steht in der Tür uns beobachtet mich. Ich erschrecke, zucke zusammen, und lasse einen schrillen Schrei los.

„Man. Erschreck mich net so. Ich suche meine Klamotten. Wo sind die denn?“

„Keine Ahnung aber ich kann Dir suchen helfen.“  Ich drehe mich zu Ihm. Er steht mit dem rechten Arm an den Türrahmen gelehnt nackt da und krault sich mit der linken Hand am Penis.

„Boah. Kannst Du bitte damit aufhören?“

„Womit?“

„Dich am Schwanz zu kratzen und zieh Dir was an Du Punk“

„Hey. Du läufst hier genauso nackt rum.“

„Ja, aber ich habe hier auch nichts zum Anziehen.“

„Das ist ein Argument. Aber wenn Du so nackig durch meine Wohnung läufst, das sieht schon geil aus.“

„Vergiss es. Ich weiß nicht wieso ich hier bin, wieso ich nackt bin und sonst auch nicht viel. Aber ich weiß, was immer passiert ist, es wird nicht nochmal passieren und wenn Du auch nur einen Gedanken verschwendest… Es wird nie nie nie nie wieder so sein.“

Ich rede mich total in Rage, immer noch verzweifelt nach Anziehsachen suchend. Aber mein Anpflaumen hat gesessen. Stefan ist ruhig. Er begafft mich zwar noch beim suchen, aber er sagt nichts mehr. Aber es hat auch bei mir gesessen. Ich bin wie besessen meine Wäsche zu finden, damit ich endlich abhauen kann. Ich gehe ins Bad und durchsuche es… und werde fündig. In der Duschkabine sind unsere Klamotten. Total durchnässt. Mir ist alles egal. Ich ziehe meine Jeans an und meine Bluse von gestern, nehme den Rest und renne aus der Wohnung ohne ein Wort von Tschüss oder so zu sagen. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin – in welchem Stadtteil, in welcher Strasse – es ist mir egal. Ich renne das Treppenhaus hinunter, durch die Tür... in die Freiheit. Ich schaue mich um und weiß wirklich nicht, wo ich bin. Barfuss und verwirrt entscheide ich mich für eine Richtung und renne nach links, so schnell ich kann. Ich renne, als ob ein Rudel hungriger Wölfe hinter mir her ist. Lauf, Jackie, Lauf. Ich renne, als ob der letzte Platz für die Evakurierung der Erde im Raumschiff vor mir zu vergeben ist. Ich renne.

Nach drei Querstrassen komme ich an eine große Kreuzung. Eine zweispurige Strasse. Und es liegen Schienen auf der Strasse. Hier muss die Straßenbahn fahren. Ich bin etwas erleichtert und drehe mich nach links und folge den Schienen bis zur nächsten Haltestelle. Ich erreiche die Haltestelle recht schnell. „Lange Rötterstrasse“. Hier hält die 4 und die 5. Da ich nicht weiß, wie spät es ist, beschließe ich zu warten. Irgendwann wird schon eine Bahn kommen und mich mitnehmen. Ich setze mich auf die Bank im Wartehäuschen und schaue auf meine Füße. Sie sind dreckig von der Strasse aber genau so glücklich wie ich hier zu sein und nicht bei Stefan.

Ich warte alleine circa 5 Minuten an der Haltestelle bis eine Straßenbahn der Linie 4 kommt und steige ein. Ich fahre bis Hauptbahnhof und wechsle in die 1. Ich fahre ohne Fahrkarte, ohne Geld, ohne Plan, aber ich habe Glück und komme in keine Kontrolle. Die Linie 1 kommt bald am Hauptbahnhof an und so muss ich mir nicht lange die verwunderten Blicke der Passanten gefallen lassen, die mich beobachten als wäre ich eine Aussätzige. Das Gefühl von Pein legt sich etwas als ich mich in der Straßenbahn hinsetze. Sie fährt alsbald los. Ich bleibe bis Rheinau sitzen, schaue aus dem Fenster, beobachte die Wolken und schaue ab und zu auf die Menschen, die am Straßenrand gehen. In Rheinau angekommen stehe ich auf und steige dann aus. Ich laufe zielgerichtet zu Britt und hoffe dass dort jemand zu hause ist, schließlich bin ich auch ohne Schlüssel unterwegs und ohne Schuhe. Ich drücke mir innerlich fest die Daumen als ich vor der Haustüre stehe und die Klinge drücke. Nach ewig langen fünf Sekunden kann ich den Türöffner hören. Ich schleiche ins Haus und die Treppen hoch in die erste Etage. Britts Mutter macht auf und stockt. Sie schaut mich entsetzt an: „Was ist Dir denn passiert, kleines?“

„Lange Geschichte darf ich reinkommen?“

„Aber klar doch. Komm rein.“

Ich gehe in die Wohnung. „Britta ist nicht da, aber was ist mit Dir los? Warum gehst Du nicht heim? Und wie siehst Du überhaupt aus? Nass und ohne Schuhe?“

Ich antworte ihr: „Ich habe keinen Schlüssel, keinen Geldbeutel und nur das zum anziehen“.

Sie sieht mich nochmal an und beschließt: „Wir machen dir erstmal ein Bad und suchen Dir dann bei Britta was zum anziehen aus. Dann mach ich Dir was zu essen und du kommst zu uns ins Wohnzimmer“. Ich lächle fröhlich und nicke. Das war genau das was ich hören wollte, genau das wonach ich gedürstet habe. Sie geht ins Bad und lässt Badewasser ein.

„Ich habe Dir die Handtücher auf die Waschmaschine gelegt“

„Danke“, antworte ich höflich. Ich tapse ins Bad und warte bis das Wasser eingelaufen ist. Ich ziehe meine Sachen aus und lege mich in die Wanne. Es ist so entspannend. Ich genieße den Moment und vergesse für einen Augenblick. Was geschehen war ist gerade nicht in meinem Kopf und gehe auf in einem Seifenblasenmeer voll Apfelduft.

Nach einer Stunde greife ich zu den Handtüchern und trockne mich ab. Ich wickle für meine Haare einen Turban, binde mir das Saunatuch um meinen Körper und gehe ins Wohnzimmer.

„Hallo Sonnenschein“ begrüßt mich Britts Dad lächelnd

„Hey Kurt“, freue ich mich und begrüße ihn.

„Komm, wir schauen, was Du anziehen kannst, musst hier ja nicht halbnackend rumlaufen“, lächelt mich Brittas Mum an und gibt mir ihre Hand. Ich nehme sie gerne entgegen und folge ihr in Britts Zimmer.

Was ich schreiben muss ist, dass Britt‘s Eltern für mich fast wie meine eigenen Eltern sind. Ich liebe sie und sie lieben mich. Sie würden alles für mich machen, so wie ich alles für sie tun würde. Nachdem ich mich mit meinen Eltern verstritten habe, waren sie immer für mich da und jetzt sind sie wie die Ersatzeltern für mich. Die Geschichte mit meiner Mutter erzähle ich später.

Ich gehe mit Nicki – Britts Mutter – in das Zimmer ihrer Tochter.

„Such Dir Unterwäsche und ein Shirt raus.“  Sie legt mir ein paar Jeans auf Bett. „…und probier die mal. Die hat sie schon lange nicht mehr getragen.“

Ich ziehe mich an und alles passt einigermaßen. Hier und da spannt es doch verdächtig und ich merke wieder mal, dass ich ein paar Kilo zu viel hab. Aber nichts reißt oder knirscht und es sieht auch nicht total nach Presswurst aus - also bin ich zufrieden. Glücklich falle ich Nicki um den Hals. „Danke“ sage ich mit ein paar Tränchen in den Augen. „Danke, dass ihr so lieb zu mir seid.“

„Natürlich“, entgegnet Nicki „du gehörst doch zur Familie“. Ich drücke sie nochmal ganz fest und noch ein paar Tränen kullern mir über die Wangen, weil mir ihre Worte so nah ans Herz gehen und ich mich einfach sicher und verstanden fühle.

„Komm, Jackie, wir haben noch was Braten und Nudeln von heute Mittag. Die mach ich Dir warm und eine Bitte…“

„Welche?“

„Hör auf Dich zu bedanken. Wir machen das gerne. Du weißt doch wie sehr wir dich mögen.“ Ich muss lächeln und verspreche, mich heute nicht mehr zu bedanken.

Während Nicki das Essen aufwärmt setze ich mich an den Esstisch. „Was ist denn passiert?“ fragt sie mich, während des Rührens. Ich erzähle ihr die ganze Geschichte vom Kegelabend, vom Betrinken, vom Aufwachen in Stefans Wohnung, vom Ekel, von der Panik und der Flucht. Sie schaut mich sachlich an und hört gerne zu und nickt ab und zu. Das ist genau was ich jetzt brauche.

„Ich kann dich verstehen. Ich glaub ich hätte genauso reagiert.“ Sie setzt sich neben mich und nimmt mich in den Arm weil sie merkt, dass ich wieder kurz vorm Heulen bin. Das tut so gut. Verstanden und getröstet zu werden.

„Magst jetzt was essen?“ flüstert sie mich an. Ich nicke und bekomme einen Teller mit leckeren Nudeln und leckerem Braten.

 

*

 

Aus: Jackie’s Guide to Living, Kapitel 30: “Themenwechsel bei peinliche Situationen”

Peinliche Situation? Oh Gott… Andres Thema. Ich habe ein ganz tolles Apfelkuchenrezept für euch:

Ihr braucht:

1 kg Äpfel (geschält, geschnitten, ihr wisst schon)

225g Butter

200g Zucker

300g Mehl

4 Eier

Die Schale einer Zitrone

3 EL Zucker

½ TL Zimt

Nüsse und Puderzucker

Erst die Butter schaumig rühren, dann Zitronenschale, Zucker, Vanillinzucker und Eier unterrühren, am Ende das Mehl untermischen.  Den Teig auf ein fettes Backblech aufstreichen und mit den Äpfeln belegen, dann mit Zucker und Zimt bestreuen. Dann die Nüsse drauf und und bei 200 Grad circa 30 Minuten backen. 

Der schmeckt total lecker und ihr vergesst total, warum ihr überhaupt gebacken habt, oder?

Leben... oder?

Ich verbringe den Tag bei Britts Eltern. Nach dem Essen räume ich meinen Teller und das Besteck in die Spülmaschine und fülle mein Glas mit Mineralwasser. Dann gehe ich ins Wohnzimmer. Nicki hat Kurt schon erzählt, wieso ich hier bin, und er fragt, ob er etwas für mich machen kann?

„Ne, schon gut aber lieben Dank“, antworte ich.

„Das sind uns die liebsten Gäste“, witzelt er und gibt mir ein Autoprospekt.

„Hier, schau mal. Den will ich uns vielleicht kaufen.“

Ich schlage das Prospekt auf und sehe einen BMW, hübsch, sportlich, silbern.

„Hübsch, sportlich, silbern“ sag ich und lächle ihn an.

„Ich würde ihn in weiß kaufen“, erklärt er mir. Ich nicke bedächtig und versuche so zu tun, als ob ich ein kleines bisschen Ahnung von Autos habe. Dass ich keine Ahnung habe, weiß ich, weiß er. Aber er zeigt mir trotzdem alle Vorteile des tollen Autos auf. Vom durchzugsstarken Motor bis zu dem Bordcomputer und den bequemen Sitzen. Ich höre interessiert zu und klebe an seinen Lippen. Vielleicht würde mich dieses Verkaufsgespräch an normalen Tagen nicht sonderlich interessieren und ich würde ein wenig Interesse heucheln, aber heute ist es genau das, was ich hören will. Ich will hören, dass er in 7,9 Sekunden von 0 auf 100 ist und dass er Türgriffe in der Wagenfarbe hat.

„Kurt“, unterbreche ich Ihn nach gut 15 Minuten, „echt. Du hast mir das jetzt so toll verkauft, dass, wenn ich einen Führerschein und Geld hätte, mir das Auto kaufen würde.“ Wir müssen lachen. Im selben Moment ist ein Schlüssel in der Tür zu hören und mit einem „Hallo Mama, hallo Papa“ kommt Britt in die Wohnung. Ich bin erleichtert, denn schließlich ist es immer ein Graus einem guten Verkäufer zu sagen dass ich kein Interesse habe. So hören wir, wie Britt sich die Schuhe auszieht und die Jacke aufhängt. Dann schaut sie ins Wohnzimmer „und hallo Jackie“ lächelt sie.

„Hey Du“ entgegne ich. „Willst Dir ‚nen BMW kaufen?“ fragt sie mich. „Ich bin noch skeptisch, ob die 8 Airbags mir wirklich reichen und ob ich die Antenne in matt oder glänzend will“, erkläre ich ihr. Sie schleicht ins Wohnzimmer und mit einem Husch schwingt sie sich neben mich auf die Couch und umarmt mich.

„Was machst ‘n hier?“

„Du meinst außer, dass ich mir ‘nen BMW kaufen will?“

„Ja. Weil ich weiß doch dass du mehr auf Fahrräder stehst.“

„Lange Geschichte. Haste Lust aufn Cappu im Journal?“

„Klar. Lädst mich ein?“

„Nur wenn Du fährst.“ Wir lachen.

„Na gut. Komm“. Ich schaue Britt an. „Darf ich Deine Sachen anlassen und haste n paar Schuhe für mich?“

„Klar. Komm mit“. Wir gehen in ihr Zimmer und sie gibt mir ein paar ältere Nike Turnschuhe.

„Tun die’s?“ Ich schau die Schuhe an und bin zufrieden.

„Na klar.“

„Und dazu musste unbedingt die hier anziehen.“ Sie wirft mir eine hellblaue Adidas-Trainingsjacke zu. Ich ziehe sie an und schaue mich im Spiegel an. Cool. Steht mir.

„Cool. Danke“, sage ich ihr. Britt zieht schnell wieder die Schuhe an, holt den Autoschlüssel und schaut ins Wohnzimmer.

„Mama, Papa. Bin nochmal mit Jackie in Schwetzingen.“

„Ja. Fastmama und Fastpapa. Ich bin auch noch mit Britt in Schwetzingen“ werfe ich ins Wohnzimmer. Wir gehen beschwingt die Treppe hinunter und steigen in Britts Auto, um nach Schwetzingen zu fahren.

Dort angekommen gehen wir ins Cafe Journal. Wir setzen uns ans Fenster und durchsuchen die Getränkekarte, die wir in- und auswendig kennen.

„Wisst ihr schon?“ fragt die Bedienung nach ein paar Minuten. Britt bestellt einen Milchkaffee und ich einen Cappuccino.

„So, was ist los mit Dir?“ fragt mich Britt als die Bedienung den Tisch verlassen hat. Ich erzähle Ihr die Geschichte mit dem Kegeln und Stefan, dramatisiere nichts und bleib bei der Wahrheit – unter Freunden bleibt man doch immer bei der Wahrheit. Nachdem ich fertig erzählt habe, muss sie schmunzeln.

„Voll reingefallen, gell? Komm, mach Dir keinen Kopf. Das passiert. Da stehst doch drüber.“

Ich nicke.

„Komm, sei davon überzeugt!“, meint Britt als sie merkt, dass ich es nicht bin. Also nicke ich überzeugt. Und plötzlich bin ich überzeugt. „Hey. Du hast Recht. Warum soll ich mich jetzt Scheisse fühlen? Ist doch gar nichts passiert - wahrscheinlich - außer dass ich nackig neben 'nem Arsch von Kollegen aufgewacht bin.“

„Ja, aber das ist doch das Leben. Du machst Fehler und Du machst keine. Und nur durch Fehler lernste was. Wenn alles gelingen würde, wär‘s doch auch langweilig. Und schau. Wir sind hier und trinken 'nen Kaffee und können über alles schon wieder lachen. Das unterscheidet die kleinen von den großen Fehlern. Über die kleinen kannst Du danach lachen. Also komm. Wir machen siebzigtausend kleine Fehler und lachen siebzigtausend Mal. Das ist Leben… oder?“

Ich schaue Britt an. Sie lächelt. Ich lächle. Ich schaue sie nochmal an und drehe meinen Kopf schräg. Sie lächelt auch von dieser Position. Ich stehe auf und gehe zum Spiegel, der in der Gaststube steht und schaue hinein. Auch ich lächle wirklich. Ich gehe zu Britt an den Tisch zurück, bleibe aber stehen und lehne mich an die Stuhllehne.

„Du bist echt nicht normal. Quatscht einfach ein wenig wirres Zeugs und ich hab alles vergessen. Bin glücklich. Du bist ein Biest.“

Britt formt die Hände zu krallen und macht als würde sie mich angreifen und sieht dabei im Gesicht aus wie eine Wildkatze.

„Ein liebes Biest, ein liebes Biest“, korrigiere ich mich. Im gleichen Moment kommt unsere zweite Tasse Milchkaffee und Cappuccino, die wir zwischenzeitig bestellt hatten.

„Wer bekommt den Milchkaffee?“ fragt die Kellnerin.

„Das Biest“, antworte ich wie aus der Kanone geschossen. Sie stellt den Milchkaffee vor Britt und den Cappuccino vor mich. Ich schaue sie verwundert an: „Kennt Ihr euch?“

„Klar, ich bin ihre Dompteurin“, entgegnet die Kellnerin. Wir müssen alle drei lachen. Dann setze ich mich wieder hin und packe den Gratiskeks zu meinem Cappu aus und esse ihn mit einem Happs. Ich schaue Britt an, die im Raum umher starrt, Leute beobachtet und ihren Keks in kleinen Stückchen abknabbert. Sie schaut zurück und zeigt mit ihren Augen auf einen Typen an der Bar. „Schau Dir den mal an. Der ist doch niedlich, oder? Und er hat ‘nen sexy Arsch.“

Ich drehe mich in Richtung des Typen und begutachte seinen Hintern.

„Nicht mein Fall. Kannst haben“. Ich mache eine abwinkende Handbewegung. „Klar. Hey. Der sieht so richtig Scheisse aus. Lust den ein wenig hochzunehmen?“. Britt steht auf und läuft zu ihm bevor ich überhaupt „Was hast ‘n vor?“ fragen kann. Ich beobachte wie sie sich zu ihm setzt und mit ihm redet. Sie lachen.

„Okay“, denke ich mir, „der Fisch hat angebissen.“  Ich rühre in meinem Cappuccino herum und löffle die Crema, während ich aus dem Fenster schaue, wo ein paar Menschen auf den Bus warten und andere einfach vorbeilaufen mit ihren Einkaufstüten.

„Jackie“, höre ich Britt plötzlich neben mir. „Das ist Gerald.“

„Hallo“, stellt sich Gerald mit einer leicht einfältigen Stimme vor, blondiere Haare, Sommersprossen und ein Pepe T-Shirt. Ich wink ihm und stelle mich kurz mit „Jackie“ vor. Britt setzt sich und bittet Gerald sich auch zu setzen. „Ich habe Gerald gesagt, dass wir zwar lesbisch sind, aber es auch gerne mal zusammen mit ‘nem Mann ausprobieren wollen.“ Ich muss schlucken. Hoffentlich hat Gerald das nicht gesehen. Okay. Ich bin hier in ein ganz komisches Casting für einen Porno auf Schillerstrassen-Niveau geraten. Ich muss mitspielen. Ich muss gut mitspielen also sage ich: „Und er hat Lust mit uns das auszuprobier‘n?“

„Ja“, unterbricht mich Gerald, „ich würde mich opfern.“

„Das is‘ ja cool“, lobe ich ihn „hoffentlich bist Du auch gut?“

Britt unterbricht mich: „Weißt Du Gerald, ich liebe Jackie ja, aber ich wünsche mir, dass sie mich liebkost, während ein dicker Schwanz in mir steckt und mich ohnmächtig fickt.“

„Ja, davon haben wir schon oft gesprochen“, bestätige ich Britt. Langsam kommen die ersten Schweißperlen auf Geralds Stirn zum Vorschein. „Ja“, stottert er von der direkten Art und dem Vokabular meiner Freundin überrascht „das kann ich wohl machen. Und ihr seid wirklich Lesben?“

Britt schaut mich an, als würde sie mich sofort fressen wollen. Dann steht sie auf und beugt sich über den Tisch. „Komm, Schatz“, spricht sie mich an mit einem Ich-will-Dich-sofort-ins-Bett-kriegen-Blick. Ich stehe auf und beuge mich zu ihr. Sie nimmt meinen Kopf in ihre Hand und zieht mich zu sich bis sich unsere Lippen berühren. Ihr Mund öffnet sich und ihre Zunge streichelt über meine Lippen. Ich schließe die Augen und öffne den Mund. Unsere Zungen spielen, sie ringen, sie tanzen. Sie berühren sich erst an den Spitzen, dann tanzen sie wieder. Ich öffne die Augen und beschließe den Kuss mit dem sanftesten Lippenschliessen, das ich kann. Wir schauen uns an und drehen uns zu Gerald, der nun mit vielen Schweißperlen dasitzt.

„Also gut. Ich glaube euch“, sagt er mit unsicherer Stimme.

„Wie lang ist er?“ fragt Britt direkt.

„Wie lang er ist?“ fragt Gerald nach.

„Ja. Wie lang ist er?“ wiederholt Britt ihre Frage ziemlich ungeduldig.

„Zwanzig“ antwortet Gerald unsicher und sucht Augenkontakt mit mir.

„Zeigen!“ kontert Britt wie ein Feldwebel.

„Ja, los, zeigen!“ bestätige ich sie um ihm die letzte Zuflucht für seine Augen zu nehmen. Britt lächelt mich an, dann sehen wir fordernd zu Gerald.

„Doch nicht jetzt und hier,“ erschrickt er. Britt erhöht ihren Druck: „Wann und wo denn sonst. Komm. Es guckt niemand. Oder hast Du nur 10 Zentimeter?“

Gerald reibt sich mit dem Finger an der Nase und schaut aus dem Fenster ins Nichts. Er scheint sich einen Fluchtplan zu überlegen. Doch es wird seine Kapitulation, als er auf die Uhr schaut und sagt: „Ich… Ich muss leider noch ins Fitness-Studio“. Gerald steht auf und geht zur Theke, zahlt und winkt uns zum Abschied. Es geht alles rasend schnell.

Wir warten kurz, bis er außer Sichtweite ist, und fangen heftig an zu lachen.

„Gott war das geil“ pruste ich.

„Ja. Richtig cool“ bemerkt Britt „siehst Du. Das war schon mal ne kleine Rache an der Männerwelt. Geht’s Dir schon besser?“.

Ich nicke. „Ja. Das war ne echt coole Aktion. Mein Tag wird doch noch ganz okay.“

„Na dann schaffen wir‘s doch noch deinen Tag gut zu machen. Okay. Dann sag. Was sollen wir machen?“ Sie sieht mich auf eine Antwort wartend an. Mir springen ein Tausend Gedanken durch den Kopf und alle enden in dem Kuss von gerade eben. In das Gefühl ihrer zärtlichen Lippen. In die Augen… Ich zucke kurz zusammen. Ich muss mich konzentrieren, Zeit gewinnen. Ich blicke erwartungsvoll zurück.

„Schieß los. Du hast doch was im Hinterkopf“. Ich reiße mich zusammen und schaffe es den Gedanken an den Kuss zu verdrängen.

„Naja“, meine ich „am liebsten hätt ich meinen Wohnungs­schlüssel und Portemonnaie und meine Schuhe wären auch gut, aber die sind noch bei Stefan und ich weiß nicht wo der Arsch wohnt.“

Britt schaut mich an, lächelt und meint: „Das ist schlecht. Aber komm. Ich zahl’ erstmal den Kaffee und dann suchen wir im Internet, ob wir eine Adresse finden.“

Ich schaue sie an und bin fasziniert: „Tolle Idee. Genau so machen wir das.“ Sie geht zur Bedienung und zahlt unsere Kaffees, dann schlendern wir zum Auto. „Der wohnt in Mannheim, oder?“ Ich nicke. 

Wohin der Weg auch führt

Wir fahren wieder zurück zu Britt. Während der Fahrt beginnt es leicht zu regnen und die Tropfen perlen gegen die Frontscheibe. Britt schaltet sofort den Scheibenwischer an.

„Brauchst mal wieder ‘nen neuen Scheibenwischer?“ frage ich sie nachdem ich sehe, dass ich nicht mehr viel sehe.

„Ja“, antwortet Britt, „‘bin noch nicht dazugekommen.“ und schaltet den Radio an. Mit einer unglaublichen Lautstärke tönt „I don’t feel like dancing“ aus den Boxen und reflexartig schnellen meine Hände zu meinen Ohren. 

„Upps, Sorry“ entschuldigt sie sich, nachdem sie blitzartig das Radio auf eine humane Lautstärke gedreht hat.

„Is schon okay. Is ja auch n cooles Lied. Weißt Du wie die heißen, die das singen?“ frage ich.

„Ja, Moment. Ich hab die CD hier.“ antwortet sie und kramt in der Türablage. „Ah hier ist sie. Scissor Sisters heißen die.“

Britt gibt mir die CD. „Okay. Danke. Kann ich die ausleihen wenn ich wieder ne Wohnung hab?“ frage ich leicht neckig.

„Keine Sorge. Wir holen dir jetzt wieder Deine Wohnung zurück und dann kannste die CD heute Abend daheim anhör‘n.“

„Okay. Cool“, sage ich und fordere Britt zu unserem patentierten Autofahrritual auf: „Komm. Fenster runter und singen!“ Sie lacht, reißt die Arme nach oben und schreit laut: „Jaaaaa!“ 

Wir kurbeln die Fenster runter. Wir schauen uns kurz grinsend an singen lauthals den Refrain mit: „I don’t feel like dancin’ when the old Joanna plays. My heart could take a chance but my two feet can’t find a way…“

Wir biegen in die Relaisstrasse ein, und singen immer noch so laut, dass sich alle auf der Strasse nach uns umdrehen. Wir schauen im Vorbeifahren die Leute an und reißen die Hände in die Luft und kreischen: “Whoooooooooooua!”.

Der Song ist gerade vorbei, als wir einen Parkplatz genau vor Britts Wohnung finden. Wir steigen aus und gehen durch das Treppenhaus zur Wohnung. Ich habe immer noch das Lied im Kopf und summe beschwingt während meine Beste ihren Schlüssel sucht.  Sie schließt auf und ruft kurz:

„Hallo Mama, hallo Papa, sind nochmal kurz da.“

„Ja, ich bin auch nochmal kurz dabei. Hallo Fast-mama und Fast­-Papa“, werfe ich hinterher.

Wir zischen sofort in Britts Zimmer und werfen den PC an. Sie setzt sich auf den Stuhl am Schreibtisch und ich setze mich auf ihr Bett. Nach ein paar Minuten hat sie das Telefonbuch im Internet geladen. „So, komm mal, kleine“, fordert sie mich auf. Ich lege ihren iPod, den ich in der Zwischenzeit auf neue Songs untersucht habe, weg und watsche in Richtung Schreibtisch. Ich lehne meine Arme um ihren Hals und lege meinen Kopf auf meinen Arm wie in einem zweitklassigen Schnulzenfilm.

„Hast was gefunden?“

„Ne, musst mir noch sagen wie der heißt.“

„Ach so, Stefan Köppel“.

Britt tippt Köppel, Stefan in die Suchmaske ein und wählt Mannheim aus. Erwartungsvoll schauen wir auf den Schirm. „Hey – Wir haben Glück. Ist das der in der Kobellstraße?“ fragt sie mich überzeugt davon ihn im ersten Versuch gefunden zu haben. Ich mache ein unwissendes Gesicht: „Ich hab doch keine Ahnung, wo diese scheiss Strasse ist und wie sie heißt“.

„Dann schauen wir eben.“ Nach ein paar Klicks wissen wir, dass er es sein muss. Ich nehme die Telefonnummer aus der Internetseite und rufe ihn an. Er meldet sich unpersönlich mit „Hallo“. Eigentlich hasse ich Leute die sich mit Hallo am Telefon melden, aber da ich ihn so schon genug hasse, multipliziert sich das nicht.

„Hi. Hier ist Jaqueline. Ist da Stefan?“

„Ja. Hi. Wo bist Du denn so schnell hingerannt heut Morgen?“

„Ist doch egal. Bleib mal ein wenig zu Hause, ich will mein Zeugs holen“

„Ja, kannst machen. Bin den ganzen Tag hier“

„okay, bis gleich.“

Ich lege auf bevor er sich verabschieden kann. „Wow, das ging ja schnell und du warst echt autoritär“, applaudiert mir Britt.

„Ja“, antworte ich ihr, Gleichwegs von mir selbst überrascht und überzeugt, „aber ich hab‘ mich richtig dreckig gefühlt. Komm lass uns das schnell hinter uns bringen. Gehst dann auch bitte mit hoch zu ihm?“ Ich schaue Sie bittend an wie ein Kind, das den Lieblingslolly im Supermarkt haben möchte. Sie nickt, nimmt ihren Autoschlüssel und nimmt meine Hand. Wir gehen runter zum Auto, nachdem wir uns einmal mehr von ihren Eltern verabschiedet haben.

Am Auto angekommen öffnen wir unsere Türen und steigen nervös der Dinge, die kommen werden, ein. Im Auto sitzend schaue ich nach links zu Britt und lächle sie an.

„Na, hast Du nochmal Lust?“ frage ich Sie. Sie überlegt kurz, grinst mich aber dann an und fragt etwas ungläubig „Willst du das wirklich?“

Ich schaue sie zwar fragend an aber antworte schnell „Klar. Was ist denn da dabei?“ Britt dreht dich zu mir, beugt sich zum Beifahrersitz, legt ihre rechte Hand um meinen Nacken und zieht mich zu sich. Als unsere Köpfe nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt sind und unsere Augen sich ansehen, fragt sie mich nochmal leise: „Willst du das wirklich?“ Ich schaue sie an. Ihre Augen sind auf die kurze Distanz der Hammer. Grünbraun, schön leuchtend und es steht eine unendliche Geschichte in ihnen geschrieben. Unsere Geschichte. Ich vergesse für eine Sekunde, dass ich eigentlich nur nochmal das Lied hören und singen wollte, und gebe ihr einen sanften, zärtlichen Kuss auf den Mund. Sie schließt ihre Augen und streichelt mich am Nacken. Ihre Lippen suchen meine und sie küsst liebevoll meine Oberlippe und dann meine Unterlippe. Ich spüre plötzlich ein unheimliches Kribbeln im Bauch und im Unterleib. Ich schließe auch meine Augen und berühre mit meiner Stirn Britts Stirn und streichle mit meiner Hand ihr Gesicht. Ich fahre ihr ganz sanft über ihre weichen Wangen. Ich öffne meine Augen einen Spalt und sehe dass Sie es gerade auch macht. Wir müssen zwar grinsen, aber wir schaffen es nicht in diese Stille – in dieser Atmosphäre - etwas zu sagen. Wir lösen die Umklammerung ein wenig und ich streiche ihr mit meinem Handrücken nochmals über die Wange. Sie fühlt sich so zart und seidig an, wie ein Meer aus Samt. Es tut mir im Inneren weh, als ich die Stille breche und so stottere ich ein wenig, weil ich gar nicht sagen will was ich sage:

„Wir… wir sollten uns auf den Weg machen, oder?“

Britt nickt. Sie sagt nichts und lässt sich bedächtig in ihren Sitz zurückgleiten. Ich habe sie noch nie so erlebt. So ruhig. So mit den Gedanken in fremden Galaxien surfend und dennoch mit glänzenden Augen. Ich selbst spüre immer noch das Kribbeln, fühle mich als würde ich im Whirlpool liegen, nur außen wäre innen. Innen wäre außen. Ich schaue weiter auf Britt. Ich kann meine Augen nicht von ihr nehmen und weiß aber nicht, worauf ich wirklich schaue. Stille. Wir schweigen uns an. Sie im Sitz liegend, den Blick nach Vorne ins Nichts gerichtet und ich auf dem Beifahrersitz, schräg sitzend stütze ich mich auf meinem Oberschenkel ab und schaue zu Ihr. Vielleicht denkt sie nach, wie es dazu kommen konnte? Vielleicht wollte sie es gar nicht? Vielleicht hat es ihr aber genau so gut gefallen wie mir? Vielleicht war das nur der Anfang? Oder das Ende? Wieder herrscht Stille.

Nach endlosen Sekunden bricht Britt das Schweigen: „Okay.“ Dann wieder langes Schweigen. In diesem Moment beginnt es wieder etwas zu Regnen, so dass die Tropfen ganz leise in unser Schweigen tönen leise. Ich bin unsicher. Ich habe Angst und weiß nicht, was als nächstes kommt, oder was und ob ich etwas sagen soll. Also sitze ich weiterhin nur da und schaue sie an, abwartend.

„Das war so wow“, fügt sie nach endlosen Momenten hinzu. Ich habe innerlich ein Feuerwerk, blau, grün und gelb. Ich würde gerne sagen dass es wirklich so sehr wow war, dass jemand wow in den Duden als Wort aufnehmen sollte, aber meine Stimmbänder geben nur ein heißeres „Ja“ heraus. Ich bin so sehr erleichtert, dass ich mit diesem Ja zufrieden bin.

„Okay“,  fängt Britt nochmal an. „Dann lass uns deine Sachen holen gehen. Und danach lad ich Dich zum Essen ein.“ Ich nicke, obwohl Ich nicht weiß, ob sie mich überhaupt sieht. Trotzdem lässt sie den Motor an und ich schnalle mich automatisch an. Wir fahren durch die regnerischen Strassen ohne Musik - nur mit dem Trommeln des Regens - nach Mannheim. Nach zwanzig Minuten haben wir die Strasse erreicht, wo Stefan wohnt. Wir haben wieder Glück und finden sehr bald einen Parkplatz. Zwei- bis dreimal rangiert und der Wagen steht genau in der Parklücke.

 "Welches Haus ist es?" fragt mich Britt.

"25", antworte ich.

"Dann ist es das." Britt deutet auf das graue Haus mit der roten Türe und ohne Vordach.

"Ja. Ich glaub das ist es. Komm wir rennen unter dem Regen durch." meine ich. Und mit einem Wusch sind wir beide draußen und vor der Eingangstür. Ich klinge.

"So... jetzt muss der Arsch aber schnell aufmachen", versuche ich meine Nervosität zu überspielen. Schon öffnet sich die Tür. Wir gehen rein und hoch in den dritten Stock. Ich hoffe innerlich, dass Stefan wenigstens angezogen ist, und auch sonst ein paar Manieren aufweist. Vielleicht hat er ja auch die Wohnung aufgeräumt und meine Sachen zusammengestellt. Und immer wieder während der scheinbar endlosen Wanderung im Treppenhaus kommt mir in den Sinn, was Britt wohl zu ihm sagen wird. Sie lässt sich aber nichts anmerken von Nervosität oder ähnlichem. Schließlich sind wir an seiner Wohnungstüre. Sie ist offen. Ich will klopfen aber Britt öffnet die Tür schon.

"Komm rein", ruft Stefan als er die Tür hört.

"Hallo", rufe ich zurück und ergänze "Ich habe meine Freundin mitgebracht. Nicht erschrecken."

Es sind keine Socken auf dem buchefarbenen Laminat und im Fernseher läuft ein Tennisspiel. Scheinbar ist er doch nicht so ein Schlamper wie ich denke. Stefan kommt aus der Badezimmertür, hat gelbes T-Shirt und eine Mausgraue Jogginghose an und in der Hand meinen BH, meine Panty und die Socken. Er gibt sie mir schmunzelnd in die Hand und deutet dann auf meine Chucks an der Wohnungstür.

"Dort sind deine Schuhe. Deinen Schlüssel und deinen Geldbeutel hab ich daneben gelegt."

Ich bedanke mich bei Ihm, während Britt meine Sachen vom Boden aufhebt.

"Okay. Ich bin dann mal wieder weg. Bis morgen." verabschiede ich mich.

"Bis morgen" verabschiedet sich Stefan. Britt winkt und sagt schnell "Bye."

Wir gehen aus der Wohnung raus und die Treppe runter. Ich sehe, wie Britt schmunzelt und kurz vom Lachen ist. In der ersten Etage dreht sie sich zu mir um und muss lauthals lachen.

"Was?" frage ich Sie verwirrt.

"Nix" antwortet sie, schaut mir in die Augen und geht die letzten Stufen herunter. Ich gehe ein wenig unsicher hinterher. An der Tür angekommen sprinten wir nach einem kurzen Countdown durch den Regen ans Auto. Wir steigen ein und legen meine Sachen auf die Rückbank. Britt bekommt im Auto sitzend wieder einen Lachanfall.

"Hey! Was is?" fahre ich sie diesmal etwas genervt an.

"Mit dem Trottel hast Du gepoppt?" Sie muss sofort wieder lachen.

"Ich hab mit dem Trottel nicht gepoppt!" schieße ich zurück. Aber auch ich muss loslachen als ich in Ihr lachendes Gesicht schaue.

"Wirklich!" füge ich noch lachend hinzu und haue ihr leicht gegen den Oberschenkel.

„Jaja. Ich glaub‘s Dir ja schon“

„Du lügst. Du glaubst echt ich hab den Honk gefickt.“

„Nein, hast Du nicht.“

„Hab ich nicht?“ Ich schaue sie verwirrt an. Wieso ändert Sie ihre Meinung?

„Hast Du nicht. Weil Du hast Stil und selbst wenn Du ein ganzes Fass gesoffen hast, würdest Du nicht an so 'ner Geschmacksverirrung leiden.“

Ich strahle innerlich. Ich bin immer noch das, was ich schon immer für Sie war. Das ist genau so, wie dieses blöde Thema enden sollte. Also nicke ich.

„Fahn wir ein bisschen zu mir Musik hören?“ frage ich Britt. Sie macht den Motor an und macht ein „Rrrrrrrrroahrr“ Geräusch.

 „Aber während wir fahren…“, beginne ich und nehme meine Hand auffällig an den Fensterheber. Britt lächelt und sagt „Okay! Scheiss auf den Regen“ Also kurbeln wir die Fenster herunter und machen die CD auf maximale Lautstärke und fahren zu mir.

 

*

 

Aus: Jackie’s Guide to Living, Kapitel 33: “Fakes enttarnen im Internet”

Ja, ich weiß. Das passt hier gerade nicht rein, aber aus gegebenen Anlass möchte ich euch kurz schreiben, wie ich Fakes auf Internetseiten ausfindig mache.

Da sind zum einen Typen, die sich als attraktiver Adonis ausgeben, aber gar keiner sind. Die beste Masche hier ist nach einem Urlaubsfoto zu fragen. Jeder hat irgendwo ein Foto vom letzten Urlaub auf seinem PC. Wenn er das nicht hat oder die Festplatte gerade kaputt ist, empfehle ich euch den Ignorieren-Button. Im Notfall fragt ihr einfach nach seiner Hosengröße… Wie soll jemand mit 56/30 wissen, dass der Typ auf den Fotos 30/32 hat? Wir haben da ein Auge für.

Dann gibt es Typen, die sich als Frau ausgeben. Noch einfacher… Keiner weiß, wie lange die Periode dauert oder was ein Conceiler ist. Also einfach über Makeups unterhalten. Ich denke mal die Idee mit der Periodenfrage ist etwas ungeschickt.

Und dann gibt es noch Typen, die genau diese Fragen davor anderen gestellt haben, um diese zu Testen. In Wirklichkeit haben sie sich nur die Antworten gemerkt. Tricky. Dann erzähl doch mal bitte, wer in Sex and the City mitspielt, hm?

Wie ihr seht gibt es genug Wege herauszufinden, wer schummelt und wer nicht.

Aber bitte macht es selbst nicht. Das ist gemein und kann zu bösen Seelenschmerzen führen. Ich habe das einmal mit einer Freundin gemacht. Wir hatten irgendwann mal ausgemacht, dass ich sie testen kann, also habe ich sie mit einem anderen Profil angeschrieben – ein halbes Jahr später. Ja. Das war gemein, geb ich zu – weil in der Zeit sie vergessen gehabt hatte, dass ich sie teste. Jedenfalls ist sie voll drauf angesprungen und als ich nach ein paar Wochen gesagt habe, was ich gemacht hatte, war ein halbes Jahr Funkpause zwischen uns. Ich bin auch immer noch traurig, dass ich das gemacht habe. Ich will mich hier und auf diesem Wege nochmal entschuldigen. Es tut mir so sehr leid.

Also… Recap. Fakes sind böse und ihr seid es nicht.

Ausziehcouch

Ich schließe die Tür mit meinem Schlüssel auf und wir gehen in meine Wohnung. Ich schleiche zuerst ins Bad und werfe meine Sachen, die ich bei Stefan vergessen hatte, in den Wäschekorb. Ich werde sie mindestens dreimal waschen. Britt lässt sich derweil auf meine Couch fallen und streift sich mit dem Füssen die Schuhe ab.

„Süße, bringst Du Bier mit wenn Du kommst?“ ruft sie mir aus dem Wohnzimmer entgegen.

„Klar“, antworte ich und gehe zum Kühlschrank um zwei Flaschen V+ Apple heraus zu holen. Ich öffne die Flaschen, werfe die Kronkorken in den Mülleimer und gehe ins Wohnzimmer. Britt liegt flach über die ganze Länge von meiner Couch gestreckt und sieht faul aus wie ein Walross zum Feierabend. Ich nehme die beiden Flaschen und halte sie an ihre Füße. Sie zuckt zusammen und schreit laut „kalt!“

„Okay“, sage ich „dann haben die ja die richtige Temperatur“ und gebe ihr eine der Flaschen.

„Auf uns!“ Sie hält die Flasche hoch. Ich schlage meine Flasche leicht an ihre und wir führen unsere Flaschen zum Mund. Ich trinke meine Flasche mit einem Mal leer und stelle die leere Flasche auf den Tisch.

„Du bist so ein versoffenes Loch“, wirft mir Britt entgegen, als sie ihre halbleere Flasche auf dem Boden vor der Couch platziert.

„Gar nicht wahr“ sage ich und greife langsam in Richtung ihres Biers. Kurz vor dem Ziel greift sie mein Handgelenk: „Ich glaub bei dir pfeift‘s im Wald.“ Ich pfeife.

„Schön, dass es bei Dir im Wald pfeift, aber das Bier ist meins.“ Ich setze mich schmollend vor das Sofa und lehne mich an die Sitzfläche. Ich stehe gleich wieder auf und werfe ihr flapsig zu: „Weißte, wo das her ist, sind noch n paar mehr. Ich hol mir noch eins.“

„Warte“, bittet mich Britt und greift zu ihrer Flasche. Sie setzt an und trinkt den Rest leer. „Bitte noch eins für mich.“

„Soso… Wer ist hier das versoffene Loch?“ murmle ich hörbar als ich die Flasche von ihr entgegennehme. Ich gehe in die Küche und ziehe auch erst mal die Schuhe aus. Ich werfe sie in die Ecke, wo ich sie immer hinwerfe, wenn ich nach Hause komme. Danach führt mich mein Weg zum Kühlschrank und ich hole zwei neue Apfelbiere. Nachdem ich sie aufgemacht habe, gehe ich wieder ins Wohnzimmer.

„Hey. Was brauchst Du so lange? Ich verdurste hier“, werde ich empfangen.

„Jaja, schon gut. Hier hast Du Dein Gesöff. Hab erst noch deine Schuhe ausgezogen.“ Sie dreht sich auf die Seite und schaut mir auf die Füße.

„Und ich hab schon gedacht, da liegt ne tote Ratte unter der Couch“, lächelt sie mich an.

„Boah, Du Sau!“ ranze ich sie an, stelle mein Bier ungetrunken auf den Tisch, drücke sie zur Seite und knie mich über sie. „So, Du Lästerbacke, das hatte ich den ganzen Tag schon vor. Jetzt gibt’s biste dran.“

„Hey, lass mich, ich hab ein Bier in der Hand.“ Ich schaue sie verwirrt an.

„Was iss‘n das für n Grund?“ Ich schnappe mir ihre Flasche, trinke Sie wieder auf einen Zug leer und lasse sie auf den Boden gleiten: „So, Problem gelöst. Irgendwelche letzten Gebete? Noch etwas, das Du beichten magst oder hast du noch einen letzten Wunsch?“

Ich fasse mir Britts Handgelenke und drücke sie gegen die Sitzfläche.

„Stopp!“ ruft sie. „Ich habe noch einen letzten Wunsch bevor Du mich fertig machst.“ Ich drehe meinen Kopf leicht zur Seite und schaue sie fragend an. „Da ist noch etwas, wirklich.“

„Ok. Was?“

„Ein letzter Wunsch“

„Ok. Welcher?“

Sie dreht ihren Kopf in Richtung meiner Flasche, die auf dem Tisch steht. „Vergiss es“, desillusioniere ich sie sofort. „Stopp!“ ruft sie. „Das wär’ doch gar nicht mein Wunsch gewesen.“

„So, Mädel, das ist jetzt deine letzte Chance deinen Wunsch zu sagen bevor…“ Sie unterbricht mich.

„Ich will dich küssen.“ Ich lasse ihre Armgelenke los. Ein Kribbeln zieht sich von meinem Unterleib über hoch bis zu meinem Hals und geht bis in die Arme und dann wieder runter bis in die Beine. Wow. „He!“ trage ich ihr entgegen, „Da gibt es auch noch etwas was ich Dir sagen wollte bevor…“ In diesem Augenblick umfasst Sie mich mit ihren Händen an der Hüfte. Ich beuge mich nach unten und stütze mich kürz über Ihrem Körper ab. Sie schaut mich an und flüstert: „Was willst Du mir noch sagen?“

Ich beuge mich noch weiter nach vorne bis meine Lippen ihre Lippen berühren. Es zischt und prickelt wieder in meinem ganzen Körper, wie ein Frühlingsgewitter, wie eine Brausetablette. Ihre Lippen fühlen sich immer noch genau so toll an wie heute Morgen, wie auch die ganzen Tage und Nächte in meinen Träumen. Ich küsse sie sanft und schließe meine Augen dabei. Britt erwidert meinen Kuss und umfasst mich mit ihren Händen. Sie streicht mir über den Rücken und es führt sich an, als ob sich irgendetwas Elektrisches entladen würde. So schön. Sie streicht mit ihrer Zunge über meine Lippen und ich erwidere es. Wir küssen uns so innig und schön dass ich alles andere um mich herum vergessen könnte. Ich streiche mit meinen Händen durch ihre Haare, während ihre Hände meinen Rücken bis zum Po erkunden.

„Hey…“ flüstere ich leise grinsend. „Was machst Du da?“ Wir schauen uns mit leuchtenden Augen an.

„Der ist jetzt meiner“, haucht sie mir zurück.

Ich grinse: „Ach ja?“

„Ja. Haben wir eben mit dem Kuss besiegelt.“ Da war es wieder, das Prickeln. Ich bekomme etwas Gänsehaut, greife mir ihren Kopf mit meinen Händen und gebe ihr meinen innigsten Kuss. Britt streichelt weiter über meinen Po und ich genieße es, fühle mich großartig, begehrt, geliebt. Meine Hände streicheln ihren Kopf und ich fahre mit ihnen über Ihren Oberkörper bis zum Bauch. Ich fasse mit meinen Händen vorsichtig unter ihr Shirt. Ihr Bauch fühlt sich so weich an, so schön, so unerwartet bekannt und er scheint auch ein kleines bisschen zu Zittern. Oder sind es meine Hände? Oder beides? Ich fahre mit meinen Händen langsam an ihrem Oberkörper nach oben und streife das Shirt hoch. Ich ziehe es ihr über ihren Kopf und werfe es in Richtung Fernseher.

„Hey…“ unterbricht sie mich mit glänzenden Augen „was machst Du jetzt?“ Ich schaue sie an, strecke meinen Zeigefinger aus und führe Ihn zum Mund „Pssssst“. Wir grinsen. Ich inspiziere ihren wundervollen Körper. Er sieht so verführerisch aus: Sportlich, zart und wunderschön. Sie träge einen schwarzen BH mit weißen Punkten und roten Spitzen. Sie sieht so großartig aus. Ich schwärme während Britt ihre Hände von meinem Po nimmt und sich schnappt das T-Shirt schnappt. Ich beuge mich nach vorne, damit sie es mir ausziehen kann. Sie streift es langsam ab und lässt es auf den Boden gleiten. Ich beuge mich immer noch nach vorne und stütze mich mit meinen Händen ab. Sie streichelt mich über die Schultern bis zu meinen Brüsten. Ich werfe meinen Kopf nach hinten, so schön prickelt es. Sie zieht mich zu sich und berührt mit ihrer Zunge meine Brustwarzen. Sie streichelt sie zärtlich mit ihrer Zunge und spielt neckig mit ihnen. Sie streicht um sie herum und ich beginne zu zittern. Mein Atem wird schwerer. Ich beuge mich herunter zu ihr und mein Mund küsst ihren Mund. Zeitgleich stülpe ich Ihren BH nach oben so dass Ihre wunderschönen Brüste auch frei liegen. Ich fasse sie an und sie fühlen sich noch viel besser an als sie aussehen: Zart, fest, wohlgeformt. Ich küsse mich vom Mund über den Hals bis zu den Brüsten durch. Ich küsse sie, sauge zärtlich an ihnen. Britt schließt die Augen und drückt ihre Brust leicht nach oben während sich unsere Finger umschlingen.

„Warte“ hauche ich ihr ins Ohr, erhebe mich langsam und stehe auf. Sie sieht mich erwartungsvoll an. Ich öffne die Knöpfe an der Hose und streife sie ab. Danach ziehe ich die Panty aus und stehe nackt vor ihr.

„Wow“, sagt sie. „Die sieht so superschön aus.“ Ich lächle, lege mich langsam neben sie und flüstere ihr zu: „Mach mit mir, was Du magst. Egal. Ich gehöre Dir.“ Britt umarmt mich und gibt mir einen minutenlangen Kuss. Ich umschlinge mit meinen Beinen Ihre und ergebe mich dem Kuss.

„Leg dich auf den Rücken“ flüstert sie mir zu. Ich lege mich auf den Rücken währen Sie sich hinsetzt und ihren BH öffnet. Sie legt ihn neben das Shirt. Britt zieht auch ihre Hose und ihren String aus und kniet sich neben mich. Sie legt ihre linke Handfläche auf meinen Bauch, die andere Hand berührt mich an meiner Schulter. Ich könnte innerlich platzen vor Lust, kann keinen klaren Gedanken fassen, kann nur an ihre Hände denken. Sie streicht mit ihnen meinen Bauch so langsam and sanft, dass ich Gänsehaut bekomme und wieder zu Zittern anfange. Sie streicht mit ihren Fingern weiter nach unten und nähert sich bedächtig der Stelle, an der ich die meiste Lust empfinde, die Stelle, die schon fast vor Sehnsucht die Ankunft der Finger herbeisehnt. Sie hält an, als ihr Mittelfinger die leichte Vertiefung am Anfang berührt und fast schüchtern schreckt sie ein Stück zurück, als hätte Sie dort nicht zu finden erwartet, was sie gefunden hat. Sie legt ihren Kopf auf meinen Bauch und ihre Haare legen sich über mich. Ich wünsche mir so sehr, dass Ihre Finger weitermachen, dass Sie mich berühren und liebkosen. Ich wünsche mir, dass sie mich glücklicher machen, als ich es ohnehin schon bin und schon so lange nicht mehr war. Ich fasse ihre Hand auf meiner Schulter und drücke sie. Danach fasse ich mit meinen Händen an meine Brüste und streichle sie um mich noch mehr zu stimulieren. Ich knete sie vorsichtig und streichle über meine Brustwarzen als Britts Finger langsam wieder Kontakt mit meiner empfindlichsten Stelle aufnimmt. Sie fährt einige Male mit ihrem Mittelfinger ein klein Wenig in die Vertiefung und streicht ihn wieder heraus. Ich mache ein kleines Hohlkreuz und meine Augelider fangen an zu vibrieren. Wie Sie mir Ihre Streicheleinheiten der ganz besonderen Art schenkt, rückt sie mit ihrem Kopf näher an mein Lustzentrum. Ich spüre wie sie ihren Kopf dreht und spüre wie Ihre Zunge meinen Unterleib erkundet. Ich höre auf mich selbst zu streicheln, weil ich sie spüren will. Ich will sie berühren. Jetzt. Ich strecke meine Arme aus und kann Sie an ihrer Hüfte berühren. Meine Hände gleiten über ihren sanften Körper wie eine Wattekugel über Samt. Derweil übernimmt ihre Zunge die Aufgaben ihrer Finger und kitzelt mich am Anfang meiner Scheide. Ich will sie auch berühren. Ich will sie auch küssen, liebkosen. Ich versuche sie zu mir zu ziehen. Es gelingt mir nicht.

„Hey was ist?“ haucht sie mir leise zu.

„Ich will auch“ sage ich wie ein kleines Kind, aber mit klarer Aussage.

„Okay“ entgegnet sie mir und dreht sich zu mir. Ihr Unterkörper und ihre glattrasierte wohlduftende Haut sind vor meinem Gesicht und ich lege meine Hand sofort auf ihre Hüfte und streiche über sie. Britt dreht ihren Kopf wieder in Richtung meines Beckens und macht mit der Zunge dort weiter wie sie aufgehört hat, und wo es bei mir angefangen hat wunderschön zu sein. Sie steckt einen Finger in meine Spalte und liebkost diese mit ihrer Zunge weiter und weiter und nähert sich von Sekunde zu Sekunde der Stelle, die mich in den Wahnsinn treibt. Ich bin mit meinen Fingern inzwischen auch schon ein paar Mal leicht in meine Freundin eingedrungen. Sie stöhnt leicht und atmet schwer. Es ist ein wunderbares Gefühl sie so zu hören, sehen und zu erleben, und es multipliziert meine Empfindungen nochmals. Wir streicheln uns mit unseren Zungen und unsere Lust erhöht sich von Minute zu Minute. Ich dringe mit zwei Fingern tief in Britt ein und lecke weiter an ihr. Ihre Zunge spielt weiter mit mir und lässt mir keine Zeit zum Ausruhen oder zur Erholung. Mein Herz fängt an zu pochen, meine Hände zittern und ich muss so tief atmen, dass ich sie nicht länger stimulieren kann. Ich lasse mich auf den Rücken fallen und breite meine Beine weit auseinander. Britt kniet sich zwischen meine Beine, ihren Kopf auf meinen Unterleib gestützt und befingert mich immer schneller und intensiver. Ich kralle mich an der Decke fest, stöhne, atme laut und winkle meine Beine an. Ich bewege mich in einen tranceartigen Zustand, der nur noch durch die Lust in meinem Kopf vorangetrieben wird. Es pocht in meinem Unterleib, in meinem Kopf, aber es ist so ein schönes Pochen wie ich es noch nie gespürt habe. Ich könnte schreien, als ich das Ziehen im Unterleib spüre und Ihre Zunge mich an der richtigsten Stelle immer und immer wieder stimuliert, während ihre Finger in mein Inneres eindringen. Ich fange an zu quieken, versuche zu schreien; es geht nicht. Ich kralle meine Hände in die Decke, drehe meinen Kopf nach rechts, nach links, nach rechts. Ich schreie schrill

„Reicht! Reicht!“ aber sie mach weiter und hört nicht auf mich oder auf. „Oh mein Gott. Scheisse“, denke ich und verkrampfe fast, liege auf meinen Schultern, versuche meine Beine zusammen zupressen. Es geht nicht. Sie befriedigt mich immer noch weiter und ich versuche nochmals

„Reicht! Reicht!“ zu schreien. Es fährt in mir zusammen. Mein Unterleib zuckt, mein Puls zuckt, meine Hände zittern und ich fühle mich als ob ich fliegen würde. Ich habe die Augen geschlossen, drehe mich und versuche weiter die Beine zu schließen. Es gelingt mir letztlich, weil Britt sich auf die Seite dreht. Ich presse, quetsche meine Beine zusammen und zittere. Ich zittere wie nackig im Kühlhaus, wie Bikini im Schnee und ich atme wie nach einem langen Sprint. Aber ich bin durchs Ziel gekommen. Ich bin Weltmeister und mein Erfolgscoach heißt Britt. Sie dreht sich zu mir und umfasst mich von hinten. Ihre Hände halten meine Schulter. Ihr Bauch berührt meinen Rücken und ihr Unterleib meinen Po.

„Hey“, flüstert sie mir ins Ohr „alles klar bei dir?“ Ich bin emotional total geliefert und bringe ein leises „Danke“ mit zittriger Stimme heraus. Sie umarmt mich fester und ich fühle mich so wohl wie schon lange nicht mehr. Mein Zittern hört langsam auf und meine Gedanken kommen wieder zu mir. Ich strecke meine Hand nach unten und lege sie auf ihre Hüfte. „So schön war es bisher mit noch niemandem“, sage ich geradeaus. Sie drückt mich fester an sich, um mir etwas zu sagen wie „Danke, dass es Dir gefallen hat.“

„Weißt Du, wie lange ich davon geträumt habe?“ fragt sie mich.

 „Genau so lange wie ich?“ antworte ich.

„Ich wusste ja nicht dass Dus auch mit mir machen würdest…“

„Das wusste ich auch nicht“, antworte ich, „aber es ist schön zu wissen, dass wir beide es jetzt wissen.“

„Ja“, meint Britt „aber du hast ein Problem. Du musst jetzt echt mehr Toast und Nutella kaufen.“

„Wieso“, frage ich ohne zu überlegen.

„Weil ich jetzt öfters bei Dir schlafen werde.“

Da waren sie wieder. Das Kribbeln in Bauch und die Gänsehaut. Ich drehe mich um, um ihr in die Augen zu schauen. Ich sehe sie an. Leuchtende Augen ein Grinsen im Gesicht und zersauste Haare. Fast spitzbübisch. So süß.

„Für Dich kauf ich das alles tonnenweise“.

Wir umarmen uns und unsere Lippen finden zueinander. Wir küssen uns lange und innig. Meine Hände wandern zu ihren wunderschönen wohlgeformten Brüsten und streicheln sie. Wir küssen weiter und ich erkunde von Minute zu Minute mehr von Ihrem Körper…

 

*

 

Ich wache auf, als es draußen wieder hell ist und mir die Sonnenstrahlen in mein Gesicht scheinen. Ich brauche etwas Zeit, bis meine Augen den Zustand von geschlossen über Schlitz bis zu geöffnet gewechselt haben. Ich schaue aus dem Fenster und sehe einen blauen Himmel der mich begrüßt und zu fragen scheint: „Hey. Was wollen wir machen?“

Ich wollte gerade „nichts“ antworten, da merke ich wie sich neben mir etwas dreht. Ich schaue nach rechts und bemerke wie Britt versucht ihre Augen aufzukriegen. Sie ist noch im Status „Schlitz“ als ich ihr lächelnd ein „Guten morgen Schatz“ zuhauche.

„Morgen Süße“, grinst sie mich an. „Schön dass es kein Traum war.“

„Was war kein Traum?“ frage ich sie neckig.

„Jaja. Verarsch mich nur“, kontert sie.

Ich schaue sie an, lächle genauso wie sie.

„Es war wunderschön. Jedes der vielen Male war so wunder­schön“, sinniere ich. Sie nickt.

„Ja. Das war eine so wundervolle Nacht.“ Ich beuge mir zu ihr und gebe ihr einen dicken Kuss auf den Mund.

„Hast Du Lust auf Frühstück?“ frage ich sie.

„Wenn ich dafür nicht aufstehen muss?“

„Nein, musst Du nicht. Ich bring dir Kaffee und ein Nutellabrot, ok?“

„Mit Butter bitte und dick Nutella.“

„Ok.“

Ich setze mich auf die Bettkante und stehe auf. Ich suche meine Panty und mein Shirt.

„Nein“, ruft Britt leise.

„Wie nein?“ frage ich.

„Nicht anziehen“, lächelt sie.

„Ok. Extra für dich mach ich Frühstück nackig“.

Ich muss lachen. Britt lächelt zufrieden und beobachtet mich als ich in die Küche gehe. Ich lege zwei Pads in die Senseo-Maschine und schmiere die Nutellabrote.

„Was wollen wir heute machen?“ frage ich ins Wohnzimmer.

 „Weiß nicht… Poppen?“ kommt als Antwort.

„Klingt vernünftig“ antworte ich.

Ich trage die zwei Tassen Kaffee ins Wohnzimmer und stelle sie auf die festere Seite des Schlafsofas. Britt hält die Tassen und so gehe ich hinaus und hole die Brote.

„Bitte. Mit Liebe gemacht“ lächle ich.

„Dann werde ich die mit Liebe essen.“

Während des Essens mache ich den Vorschlag nach Heidelberg auf die Neckarwiese zu fahren, weil das Wetter so toll ist. Britt ist einverstanden und so fahren wir nach dem Frühstücken, duschen und kuscheln dorthin.

Wie im Flug

Die nächsten Monate vergehen wie im Flug. Britt übernachtet fast jeden Tag bei mir, wir treiben es mehrere Male in der Nacht und alles ist rosarot. Wir gehen freitags tanzen, samstags Party machen und sonntags chillen. Unter der Woche bin ich arbeiten und Sie studieren – wenn sie mal studieren geht. Unser Outing bei Britts Eltern verlief ziemlich reibungslos. Ihr Vater reagierte ziemlich relaxed und machte einen Spaß:

„Schade. Ich hätte gerne zwei gehabt, die ich belabern kann… Die beste Freundin und den Partner. Gut. Bist Du eben beides, Jackie… Muss ich doppelt so viel mit Dir plaudern. Selbst schuld“.

Ihre Mutter nahm es hin. Scheinbar wusste sie davor nichts von Britts homoerotischen Phantasien. Aber mit der Zeit wurde unser Verhältnis mit Britts Mutter wieder, wie es früher war. Streit gab es eigentlich nie zwischen uns. Ich habe ihre Studentenpartys geschluckt und sie meine egozentrische Freakshow.

Ich lehnte eigentlich immer ab mit ihr zu den Studentenpartys zu gehen. Ich mochte das Publikum nicht so gerne. Möchtegern-Intellektuelle geben sich im stetigen Plausch mit BWL-Studentinnen als weitläufige Bekannte von irgendeinem hippen Künstler aus oder kommen gerade aus London, Mailand oder New York und wissen genau, welcher Hype gerade in ist. Ich weiß nicht, welche Art Frau sich von Kerlen, deren Niveau knapp über der Grenze der Zurechnungsfähigkeit liegt, betatschen lässt, oder ab wann die Nase Woolworth deluxe gepaart mit Schweiß nicht mehr von einem echt coolen Parfum unterscheiden kann - Die Wahrheit liegt auf diesen Hauspartys. Jedenfalls überraschte ich mich selbst, als ich Britt diesmal sagte, dass ich mitkomme. „Sehr cool“, kommentierte sie meine Entscheidung ein wenig überrascht. Ich weiß auch nicht genau, warum ich ja gesagt habe. War es ein Anfall von geistiger Umnachtung oder vielleicht doch ein Quäntchen Mistrauen meiner Freundin gegenüber? Ich weiß es nicht, aber um einigermaßen manierlich auszusehen stehe ich vor dem Spiegel der sich heute entschieden hat bei „Guter Bulle, böser Bulle“ den Part des Bösen zu übernehmen. Ich kriege keine Frisur hin, meine Augen sehen scheiße aus und auch sonst kriege ich langsam schlechte Laune. Ich fluche und keife im Bad herum, so laut, dass meine Freundin mich im Wohnzimmer hört und fragt:

„Kann ich dir helfen, Süßes?“ Genervt von der Gesamtsituation zicke ich sie an:

„Nein. Ich seh’ einfach scheiße aus heut und … Ach. Lass mich einfach grad.“

„Okee.“

Ich bemühe mich eine Beziehung zu meinen Makeup-Produkten hinzukriegen. Versuche es einfühlsam oder dominant. Im End­effekt gelingt es mir rudimentär wie ein Mensch auszusehen. Ich schaffe es also nach gut einer Stunde knapp über der Schmerzgrenze des Geht-nichts auszusehen. Ich gehe ins Wohnzimmer und offeriere Britt, dass ich jetzt bereit bin mit ihr zu gehen. Ich sehe sie an, wie sie sich auf der Couch flegelt. Sie hat ein paar enge Jeans an und ein Shirt mit irgendwelchen spanisch klingenden Worten. Ich fühl mich leicht overdressed mit meinem Rock, der weißen Bluse und der Krawatte. Sie sieht zu mir hoch.

„Wow“, begutachtet sie mich, „dachte wir gehen auf die Fete und nicht in die Premiere ins Nationaltheater?“

Das Wow baut mich doch etwas auf. Ich gefalle ihr auch wenn ich mit mir nicht zufrieden bin. Ist das nicht ein tolles Gefühl? Ja. Es ist. Sie steht auf und greift nach meiner Hand. „Komm, Maus, wir gehen.“

Nach zwanzig Minuten Autofahrt und zwanzig Minuten Parkplatz suchen haben wir das Auto abgestellt und bewegen uns in Mannheims Quadraten. Wir gehen von M3 nach B2. Dort angekommen klingelt Britt bei irgendeiner Klingel und kriegt auch gleich aufgemacht.

„Komm“, greift sie nach meiner Hand. Bestimmt hat Sie Angst ich würde noch ‘nen Rückzieher machen. Wie recht sie doch hat, denn eigentlich war ich kurz davor Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen vorzutäuschen. Kennt sie mich besser, als ich mich selbst? Egal, ich habe keine Zeit mir das zu überlegen, denn jetzt muss ich durch. Wir kommen in eine verqualmte Vierzimmerwohnung. Tocotronic schallt aus den Lautsprechern (das weiß ich nur, weil ich „Let there be rock“ kenne von ‘nem Schulausflug, bei dem das immer und immer lief)

„Hey Britta. Cool, das Du herschaust.“ Begrüßt sie ein Typ mit Schnauzbart und vier Piercings an der Augenbraue. Er hat einen billig wirkenden Anzug ohne Shirt oder Hemd an und ich empfinde sofort eine intensive Antipathie gegen ihn. Sie umarmen sich und geben sich Küsschen auf die Wange. Eins, zwei, drei. Ich beschließe Britt vor der nächsten Dusche nicht mehr zu küssen. „Wen hast Du mitgebracht?“ fragt er meine Freundin. „Das ist meine Freundin Jackie“ Britt fasst meine Hand und zieht mich zu ihr.

„Hi“, sage ich und reiche Lagerfelds abgestürztem Sohn meine Hand.

„Hey. Du bist das.“, mustert er mich „Britta hat schon sehr viel von Dir erzählt.“  Er unterbricht den Umarmversuch als er merkt, dass ich etwas zur Seite gehe und gibt mir letztendlich nur die Hand.

„Ich bin der Piet. Ich wohne hier mit Klaus und Anke. Fühl Dich wie zuhause.“

„Ne. Hab keine Lust zu kochen und zu putzen“, entgegne ich ihm lächeln. Er lächelt. Gut. Also hat er den versteckten Unterton nicht entdeckt. Britt dafür. Sie zieht mich zu sich und wir gehen, Piet winkend, in die Küche. In dieser sind vier Girls in verschiedenen Outfits. Am interessantesten find ich die eine, die auf dem Fenstersims hockt und angezogen ist wie eine japanische Schülerin – nur komplett in blau und türkis. Außerdem ist sie sehr schwarz geschminkt und hat zwei riesige Piercings in der Unterlippe. Natürlich begrüßt genau diese Britt sofort: „Hey Schnucki. Hab schon auf dich gewartet.“ Ich bleibe kurz versteinert stehen.

„Anki!“ begrüßt sie Britt freudestrahlend. Die beiden geben sich einen leichten Begrüßungskuss mit den Lippen. „HALLO?“ denke ich. Ich bin auch noch hier. In dem Moment deutet Britt mit den Fingern auf mich und sagt: „Das isse.“ Anki macht einen Hops vom Sims und geht auf mich zu. „Heeeeeeeyyyyii!“ begrüßt sie mich in einem schrillen Ton. Ich stehe noch immer etwas verdutzt da, als sie sich mir um den Hals wirft. Sie drückt mich fest an sich, so dass ich einen Gipsabdruck von ihrem Körper machen könnte. Ich lege meine Arme kurz um ihren Rücken. Sie löst sich wieder von mir und schaut mich an. „Also ich find‘s voll super, dass ich dich endlich mal kennenlernen darf. Schnucki ist ja nur vom Schwärmen von Dir. Achso. Bin übrigens Anki. Sorry. Hab ich vergessen vor lauter Freude.“ Soso… Anki. Hat mir Britt noch nie was von erzählt, glaub ich. Anki geht zum Kühlschrank und holt drei Bier. Sie gibt Britt und mir eins ab und fragt:

„Wollen wir nicht auf den Balkon n bissl chillen?“

„Ja, cool, komm Jackie“ antwortet ihr Britt. Also schlürfe ich der Freakshow in Person und meiner Freundin nach auf den Balkon. Anki flegelt sich auf dem Balkon in die Ecke und Britt hockt sich daneben.

„Komm her Jackie“, ruft Anki. Ich gehe auf den mir zugeteilten Platz und knie mich fast lady-like auf die Fliessen des Balkons. Anki beäugt mich etwas zweifelnd, wahrscheinlich weil ich so komisch sitze.

„Sorry, hab ‘nen Rock angezogen“, entschuldige ich mich. Britt nimmt einen Schluck aus der Flasche und schaut zu Anki. „Hast Du deine Bachelorarbeit schon fertig jetzt?“ – „Nee, muss noch den Absatz mit den Auswirkungen von Streiks auf die Seele der Arbeitnehmer überarbeiten. Hab mir nochmal das EU Grundrecht geholt vom Dezember 2007 und muss das auch noch mit einbau’n. Das hatt’ ich noch nicht mit berücksichtigt.“

„Ah, gab‘s da etwas Neues?“

„Da ist Streik zum Grundrecht geworden. Muss ich schon berücksichtigen.“

Ich beobachte das Gespräch etwas gelangweilt und nippe ab und zu an meinem Bier. Nach gut einer Viertelstunde bemerkt Anki, wie ich mit meinem Finger immer wieder am Flaschenhals spiele.

„Du, Schnucki. Ich glaub Dein Schatz ist n bissl gelangweilt von unsrem Thema.“

Sie dreht sich zu mir: „Hey Jackie, erzähl doch mal ein wenig was von Dir. Wann wusstest du, dass Du Britta liebst?“ Ich schrecke fast auf weil ich ins Gespräch einbezogen bin und schaue zu ihr. Britt steht derweil auf und verabschiedet sich mit einem „Kay. Ich kurv mal rum.“ in andere Partyräume.

Toll denke ich. Jetzt bin ich mit dem Freak hier alleine. „Was willst’n wissen von mir? Das kennenlernen? Irgendwann hat‘s einfach klick gemacht. Wir kennen uns schon ewig aber ich habe nie dran gedacht, dass wir mal zusammenkommen. Naja. Dann war die Kussszene im Journal und irgendwie hat sich‘s dann entwickelt. Aber das hat Dir Britt sicher schon erzählt.“

„Ja klar“, lächelt sie, „wollt‘s nur mal von Dir hören. Find das so süß eure Geschichte. Sie grinst und petzt dabei die Augen zu wie ein kleines Kätzchen. Ich muss mitgrinsen, denn sie mag Freak sein soviel sie will. Sie steckt an.

„Magst was von mir wissen?“ fragt mich Katzi plötzlich. Ich schaue sie an und mir gehen so viele Fragen durch denk Kopf. Woher kennt sie meine Britt. Tut das weh mit den Piercings. Was für Drogen nimmt sie? Ich entscheide mich dann für:

„Läufst Du immer so rum? Ich mein… So der Style und die Klamotten?“

Anki grinst „Findest zu krass?“

„Ne, Quatsch. Aber Du schreibst irgendeine Arbeit über ein hoch intelektuelles Thema und siehst aus wie der Japanische Managertraum, weißt? Ich find das cool, wie Du rumläufst, aber passt in meinem Kopf nicht so.“

„Ja. Ich hab‘ eben zwei Ichs. Ist halt so. Kann ich nichts gegen machen. Hast doch bestimmt auch ein zweites ich?“

„Ich? Nein. Ich hab fünf.“ Anki muss wieder lachen.

„Dir fehlt noch eins, das aussieht wie ich.“

„Wie Du?“ Ich schaue stark verwundert.

„Klar. Was denkst wie Britta gucken würd?“

„Das kann ich mir schon vorstellen“

„Neee, im Ernst. Komm probier mal meine Sachen an.“ Sie knöpft ihre Bluse auf.

„Stoooop!“ rufe ich. Anki schaut mich an. „Wir können doch jetzt hier nicht einfach so Klamotten tauschen.“ Anki schaut mich verwundert an: „Wieso denn nicht?“

„Weil… vor all den Leuten“, stotter ich.

„Ach komm“, schaut sie mich verwundert an „so verklemmt biste doch nicht.“

„Und wenn ich‘s doch bin?“

„Quatsch! Du bist cool. Das weiß ich.“ Sie grinst wieder und drückt wieder die Augen zusammen.

Ich weiß inzwischen nicht, ob das süß oder dämlich aussieht. Vielleicht irgendwas dazwischen. So wie Kätzchen eben. Vielleicht ist sie ja eins. Nach ‘nem Tierversuch ausgebüchst und mutiert? Nein. Das gibt’s ja nur im Film.

„Auf komm. Tut net weh und ich würd Dich gern drin sehen und dann erschrecken wir Schnucki“ Okay. Was will sie denn mit der Aktion? Isse so einfach wie sie tut? Aber wieso schreibt sie dann über so komplizierte Themen? Und wieso mache ich mir Gedanken über sowas? Mensch, Jackie, früher wärste sofort dabei gewesen! Ich ziehe die Krawatte aus, knöpfe mir die Bluse auf und sage dabei „Ok. Dann los!“ und versuche zu grinsen wie sie aber nehm die Zunge noch raus dabei.

Anki schaut mich erst was schräg an aber zieht dann auch ihr Top aus. So sitze ich also im BH auf einem fremden Balkon in der Abendsonne vor einer barbusigen Freundin meiner Freundin und bin gerade dabei meinen Rock auszuziehen. Klingt doch wie ein drittklassiger Porno. Nur das die Produzenten nicht auf solche Ideen kommen würden. Bevor noch ein Drehbuch auftaucht, dass ich dieses Ding küssen muss, ziehe ich meinen Rock aus; Anki hat ihren schon ausgezogen und mir hingelegt. Sie zieht noch ihre Kniestrümpfe aus. „Hey. Stopp. Nicht die Unterwäsche“ grinse ich.

„Ne, nur die Kniestrümpfe. Die gehörn doch dazu.“

„Okay.“ Ich nehme die Kniestrümpfe und ziehe sie an. Anki schaut mir dabei zu. Ich schaue zu ihr rüber. „Is was falsch mit meinen Sachen?“ frage ich. Sie schüttelt den Kopf und beobachtet mich weiter. Ich ziehe mir ihren türkisfarbenen Rock an. Er passt. Zumindest um meine Taille, aber ob er farblich wirklich zu mir passt…? Ich nehme mir ihr blaues Top mit den weißen Punkten und ziehe es an. Anki sitzt immer noch halbnackt vor mir und beobachtet mich.

„Okay“, beginnt sie. „Siehst klasse aus. Wir stylen dich noch was und dann rockst Du die Party!“ Ich nicke und betrachte mir sie. Ohne Ihre Klamotten sieht sie noch viel befremdlicher aus als mit. Sie hat drei Tattoos auf beiden Oberarmen und auf der rechten Brust. Irgendwelche Comicfiguren die so angezogen sind wie sie, wenn sie angezogen ist. Ihre beiden Brustwarzen sind gepierct, an der einen ist ein großer Ring, an der anderen ein Kettchen.

„Geil, gell?“ fragt sie mich als sie merkt dass ich sie betrachte. „Ja, schon, aber tut bestimmt gut weh?“

„Quatsch. N kleiner pieks und es is durch. Echt jetzt.“

„Aha. Okay.“ Sie nimmt sich meine Bluse und zieht sie sich über. Danach zieht sie meinen Rock an, bindet sich die Krawatte und sieht jetzt sogar – abgesehen von der dunklen Schminke - wie ein normaler Mensch aus. Mir springt der Gedanke durch den Kopf wie ich dann aussehen muss. Sie springt hoch und nimmt meine Hand. „Komm. Stylen“.

Sie zieht mich hinter sich her, so dass ich mich eigentlich gar nicht wehren kann. Wir drängen uns durch das volle Wohnzimmer, vorbei an den ganzen Freaks, ins Bad. Das Bad sieht aus wie aus den späten Siebzigern mit grünen Fliessen und brauner Wanne. In der Wanne liegt ein Pärchen und knutscht ohne uns wirklich bemerken zu wollen.. „Okay.“ Bereitet mich Anki vor, „Komm. Ich schmink dich mal.“

Nach einer Viertelstunde sehe ich ebenfalls aus, als ob ich aus dem Tierversuchslabor, Abteilung Katze, entflohen bin. Meine Wangen sind gerouget, meine Augen mit türkisfarbenen Eyeshadow gefärbt und meine Lippen glänzen in hellem Rosa. Sie nimmt noch eine halbe Dose Haarlack und stylt meine Haare. Nachdem Sie fertig ist, schaue ich in den Spiegel und erkenne mich nicht mehr wieder. Ich bin tatsächlich zum Freak mutiert in so kurzer Zeit.

„O…Okay“ sage ich in einem Zustand zwischen Verwunderung, Entzücken und Schock. Aber umso länger ich auf mein Spiegelbild schaue, desto besser gefällt es mir.

„Klaus“, spricht Anki den immer noch knutschenden Typen in der Wanne an. „Wie gefällt die meine Jackie-Kreation?“

Klaus schaut auf und mich an. Ich nehme meine Hände in die Hüfte und mache einen kleinen Ausfallschritt und grinse (natürlich mich geschlossenen Augen).

„Oh mein Gott! Sie hat ihr Ebenbild geschaffen. Anke-nstein, die zweite“ Er hält seine Hände in Abwehrhaltung gegen mich.

„Doofie“ kommentiert Anki sein Verhalten.

„Ne, echt. Sieht fett aus.“ Er gibt Thumbs up und schaut mich lächelnd an.

„Danke dir Oli.“. Sie dreht sich zu mir: „Komm, Jackie. Jetzt rocken wir die Party… aber davor gehen wir erstmal zu Schnucki.“

Wir irren durch die Vierzimmerwohnung um Britt zu suchen aber finden sie nicht. Nicht in der Küche wo drei Kerle eifrigst diskutieren, ob Studenten nicht umsonst ein Semesterticket kriegen sollten, nicht im Schlafzimmer wo ein Pärchen auf dem Bett rumfummelt, während zwei Girls auf der Bettkante sitzend rauchen. Im Wohnzimmer finden wir sie zwar auch nicht unter den Menschenmassen, dafür ernte ich erstaunte Blicke… oder Anki, weil sie normal aussieht? Egal, jedenfalls wissen wir nicht wo Britt ist. Wir schauen uns an, zucken mit den Schultern und müssen lachen. Irgendwie und irgendwann innerhalb der letzten Stunde muss mir dieses verrückte Kätzchen sympathisch geworden sein.

„Lass uns wieder auf den Balkon gehen“, schlage ich vor. Anki nickt und nimmt im Vorbeigehen noch eine Flasche Wodka vom Tisch im Wohnzimmer.

„Is das hier immer so?“ frag ich sie auf dem Weg nach draußen. Bevor sie „Ja“ sagen kann, sehen wir wie Britt in unsrer Ecke hockt und eine Flasche Tequila am Mund hat. Sie nimmt die Flasche vom Mund als sie mich sie und schreit: „JACKIE??? Wie geeeil!“

Sie springt auf, rennt auf mich zu, fällt mir um den Hals und drücke mich gegen die Wand. Sie küsst mich und mag gar nicht aufhören. Ich erwidere ihre Küsse und lege meine Arme um sie. Wir küssen uns innig und vergessen die Party um uns herum, vergessen Anki, die bestimmt noch mitten auf dem Weg steht mit ihrer Flasche in der Hand, zuschaut und grinst. Britt nimmt ihre rechte Hand und streicht mir über den Körper. Sie fährt in den Rock und berührt mich zwischen den Beinen und steckt ihren Finger in mich. Ich zucke zusammen, verdrehe die Augen, nehme ihre Hand und versuche sie aus dem Rock zu ziehen. Britt versucht derweil wieder mich zu berühren. Während wir noch unentschlossen sind, ob Britts Hand mich genau jetzt und dort streicheln sollte oder nicht, höre ich wie von links eine Stimme flüstert: „Darf ich mitmachen?“ Wir drehen uns, noch Mund-an-Mund, zu Anki. Ich weiß nicht genau wieso aber ich lege meinen Arm um sie und ziehe sie zu uns. Britt lächelt mich von der Seite an und ich weiß, dass ich da gerade etwas Dummes mache. Im nächsten Moment küsst Britt Anki auf den Mund. Ich schaue zu, aber nähere mich mit meinem Mund denen der beiden. Schließlich küssen wir uns zu dritt. Anki nimmt meine Hand und legt sie auf ihre Brust. Ich packe zu, es fühlt sich zwar gut an, aber ich lege im gleichen Moment meine Hand auf Britts Brust und belasse meine Hand da. Ich drehe mich zu Anki, schaue sie an: „Anki… Du bist voll süß und lieb und hübsch und alles aber irgendwie… Es geht nicht dass Du mitmachst.“ Sie schaut zurück und nickt scheinbar etwas enttäuscht. Ich lasse Britts Brust los und nehme ihre Hand. „Komm mal bitte kurz mit.“

Ich drehe mich zu Anki und bitte sie kurz auf uns zu warten. Sie nickt wieder. Ich gehe mit meiner Freundin in den Hausflur und setze mich auf die Treppe. „War doch okay so?“ frage ich sie. Britt lehnt sich gegen die Hauswand und schaut mich an, als wisse sie gerade nicht, was sie sagen soll. „Ja. Irgendwie schon. Ja. War richtig.“ Sie wartet kurz, um einen neuen Gedanken zu fassen.

„Aber ihr versteht euch auch prima, oder?“ Ich hebe meinen Kopf und schaue sie an.

„Ja, aber was hat das denn damit zu tun?“

„Ja. Nichts. Wollt nur fragen weil Du nie zu den Partys mit­ge­kommen bist.“

„Ja. Schon. Sie ist echt n Freak, aber n ziemlich cooler. Aber der Rest ist seltsam.“

„Ach was. Der Rest ist auch voll okay. Wirklich. Komm, wir gehen wieder rein.“ Ich schaue Britt verwundert an:

„Hey. Was ist jetzt mit dem Knutschen?“

„Was soll damit sein?“ Ich werde allmählich ein wenig sauer.

„Du tust grad so wär’ das normal.“. Britt schaut mich an und sucht nach Worten. Ich bekomme ein ganz beschissenes Gefühl. Irgendetwas sagt mir, dass das heute doch keine Aus­nahmesituation ist. Fehleinschätzung. Dreck.

„Scheisse!“, sag ich resignierend. Ich sehe meine Beziehung gerade davonschwimmen. Die letzten schönen Monate verblassen. Ich warte auf ein Seil, das mich auffängt. Jetzt wäre der Moment für sie zu sagen, dass es nicht so war. Jetzt wäre der Moment mindestens eine verlogene Entschuldigung zu suchen, um mich zu beruhigen, aber sie sagt nichts. Vielleicht hat sie einfach zu viel getrunken und kann sich nicht mehr entschuldigen? Ich wende meinen Blick vom Boden ab und schaue sie an. Sie steht geknickt an der Wand und spielt mit ihren Händen

„Tut mir leid“, sagt sie kleinlaut.

„Wieso tust du uns sowas an?“ frage ich und merke, wie ich zu flennen anfange.

„Tut mir echt so leid“, wiederholt sich Britt.

„Warum hast du nichts gesagt?“ weine ich sie an. Die schöne Schminke von Anki verläuft in meinen Tränen und ich schaue aus wie ein flennender Freak auf Speed. Meine Gefühle fahren Achterbahn in Disneyland und meine ach so tolle Freundin steht vor mir und zeigt null Regung mich zu trösten, bringt nichts raus außer, dass es ihr leid tut und setzt sich nicht mal neben mich. „Ich glaub ich sollt besser gehen“, sagt sie plötzlich.

„WAS?“ fauche ich sie an. „Du lässt mich jetzt hier echt alleine hocken??“ Meine Trauer schwenkt um zu Wut währen Sie langsam mit gesenktem Kopf die Treppen runter geht. Ich bin kurz davon entfernt eine richtige Aggression zu bekommen: „Hey! Ich rede mit Dir!“ schreie ich sie an. Ich höre, wie sich unten die Tür schließt. Britt hat das Gebäude verlassen.

Ich sitze noch lange auf der Treppe, weine, während viele dieser Möchtegernakademiker in die tolle Vierzimmerwohnung gehen, sie verlassen oder daran vorbeilaufen ohne mich wahrzunehmen Nach ungefähr zehn Passanten kommt Anki aus der Wohnung. „Jackie?“ ruft sie. „Was ist mit Dir los?“ Sie setzt sich neben mich, legt ihre Hand auf meine und die andere auf meinen Kopf.

„Hey. Süße, was hast Du denn?“ Ich drehe mich zu ihr und schaue sie an und muss weiterweinen. Inzwischen sind schon die Makeup-Spuren komplett über mein Gesicht gelaufen und hat auch schon Flecken auf das blaue Top gemacht. Ich halte meinen Kopf in meine Hände.

„Habt ihr Krach gehabt?“ fragt sie. Ich gebe keine Regung sondern lasse meinen Kopf in den Händen

„…wegen mir?“ ergänzt sie. Ich hebe meinen Kopf wieder auf, sehe sie an und nicke ein wenig.

„Scheisse“, sagt sie und sieht jetzt auch traurig aus. „Das wollte ich doch gar nicht.“ Ich glaub ihr.

„Ich weiß“, antworte ich. Anki schluckt kurz und fragt dann: „Weil ich mit ihr davor schon mal geknutscht hab, oder?“ Ich nicke.

„Scheisse. Das tut mir so verdammt leid, Jackie.“ Ihr perlt auch eine Träne von Auge runter.

„Jackie. Bitte glaub mir dass es mir leid tut.“ Ich nicke. Sie legt ihren Arm um mich und ich lasse mich hinein sinken. Es gibt mir trotzdem ein wohliges Gefühl, obwohl ich eigentlich am Boden zerstört bin. In meinem Kopf schwirren Gedanken umher. Ich weiß plötzlich gar nicht mehr, was mich mehr enttäuscht hat: Dass sie auf Ihren Studi-Partys mit anderen rummacht oder dass sie nicht einmal den Versuch unternommen hat, es mir zu erklären oder zumindest um Verzeihung zu bitten. Denke ich zu altmodisch? Eigentlich ist es ja eine Ironie an sich, dass ich jetzt hier Trost im Arm von der Frau suche, die sie geküsst hat. Von der Frau, der es wirklich leid tut und die eigentlich für sich selbst traurig genug ist, aber mich trotzdem in den Arm nimmt; der Frau, die für uns Tränen vergießt. Es wirkt alles so surreal auf mich. Vielleicht ist es besser, wenn man gar nicht anfängt zu denken in so einer Situation, aber erzähl‘ das mal deinem Kopf, wenn es soweit ist. Je mehr ich über die letzten Stunden nachdenke, desto mehr überkommt mich ein Gefühl der Übelkeit. Mein Magen rumort. Ich sage ins nichts auf den Boden starrend: „Ich geh jetzt heim.“ Anki fragt mich, ob sie mir helfen kann oder mich heimbringen soll. Aber ich habe momentan keine Lust auf eine Begleitung, mag alleine sein mit mir selbst.

„Nein, aber dank dir“, antworte ich ihr also.

„Okay. Wenn Dus schaffst. Ich bring dich aber noch zur Halte­stelle, ja?“

Ich fühle mich zu schwach um nein zu sagen und irgendwie mag ich Anki ja, also nicke ich und erhebe mich aus ihrer Umarmung lösend langsam. Anki schaut mich an und bittet mich nochmal kurz zu warten und da ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt bin warte ich. Sie kommt nach ein paar Sekunden wieder mit ein paar Kleenex. „Du siehst aus wie’n Zombie. Ich helf Dir mal...“ Sie entfernt so gut es geht die verheulte Schminke aus meinem Gesicht.

„Gut, fertig. Besser krieg ich’s jetzt nich hin“

„Dank Dir“ sage ich im Reflex und fange an die Treppen runterzugehen. Ich überlege, ob sie das jetzt aus Schuldgefühl macht oder einfach weil sie mich ein wenig mag... Ich weiß es nicht. Aber fragen will und kann ich natürlich in dem Fall auch nicht. Wir verlassen das Haus und gehen ein paar Meter zur Haltestelle Schloss. Auf der Strasse entschuldigt sich Anki nochmal bei mir, wie leid es ihr tut dass sie meinen Abend und meine Beziehung zerstört hat. Sie fängt an zu weinen. Ich halte an und sehe ihr ins Gesicht:

„Du hast das nicht gemacht, glaub mir. Britt hätte doch nur ein Wort sagen müssen. Nur ein Wort.“

Beim Gedanken daran schießt mir das Wasser auch wieder in die Augen. Wir nehmen und in die Arme. Zwei weinende Mädchen vorm Landgericht.

Nach gut einer Minute haben wir uns wieder soweit gefangen, dass wir über die Strasse zur Haltestelle gehen. Die Linie 1 kommt in 5 Minuten. Die Wartezeit verbringen wir größtenteils schweigend. Als die Bahn einfährt drücken wir uns nochmal und ich steige ein. Ich setze mich ans Fenster und winke Anki nochmal zum Abschied. Sie winkt mir traurig zurück, als die Bahn losfährt.

Stylefick

In Rheinau angekommen schließe ich meine Wohnungstür auf und kicke meine Schuhe in die Ecke. Dann gehe ich zum Kühlschrank und hole mir die Flasche Wodka Feige raus. Mit einem zeremoniellen „Auf dich, Britt, Du blöde Fotze!“ proste ich mir selbst zu und kippe mir die halbe Flasche von dem Zuckergesöff in den Rachen. Mir wird noch übler als es mir davor schon ging und ich schleiche langsam zum Bad. Ich bleibe aber kurz vor dem Spiegel meines Kleiderschranks im Flur stehen und betrachte mich. Ich sehe total schlimm aus. Wie ein Junkie nach einer Cocktailparty ohne Cocktails. Die Augen sind grau-schwarz meliert, teilweise die Wangen heruntergelaufen und vermischt mit dem ehemaligen Rouge. Meine Haare stehen eigentlich in alle Richtungen, Frisur kann man das auch nicht nennen. Dazu noch die Klamotten von Anki, wobei die Kniestrümpfe auch schon runtergerutscht sind. Ich betrachte mich, weiß nichts mit mir anzufangen. Ich schaue mich so lange im Spiegel an, wie ich es normal nicht mache, ohne etwas zu verändern. Schließlich entscheide ich mich dazu kurz in die Küche zu gehen, um mir die Flasche zu holen. Ich kehre zurück zum Spiegel und posiere mit der Wodka Feige. Dabei trinke ich sie ganz allmählich leer. Ich stelle die Flasche auf den Boden, als nur noch wenig Inhalt in ihr ist. Beim Beugen ziehe ich gleichzeitig die Kniestümpfe hoch. Zufrieden schaue ich die gestylte Jackie an. Ich betrachte mich still für ein paar Minuten, bis ich wieder die Flasche aufhebe und die restlichen Schlücke trinke. Beim erneuten Hinstellen der Flasche auf den Boden verliere ich beinahe das Gleichgewicht, kann mich aber noch am Türrahmen zur Küche festhaben. Ich stelle mich wieder vor den Spiegel mit dieser steigenden Übelkeit und wirren Gedanken im Kopf. Ich ziehe mir meinen Slip aus und werfe ihn in die Küche, dann hebe ich den Rock und betrachte mich im Spiegel. Ich streichle mich, spiele an mir herum. Eine seltsame Gefühlsmelange von Übelkeit und Geilheit umziert mich. Ich streichle mich schneller, kann nicht aufhören. Ich muss mich hinsetzen, aber befriedige mich weiter und weiter. In meinem Magen kämpfen Glücksgefühle gegen den Alkohol... und verlieren. Ich merke wie mir der Mageninhalt in den Kopf schießt und kann mich gerade noch über die Badewanne beugen. Ich erbreche den Mageninhalt der letzten zwei Tage; mir tränen die Augen; mein Rachen brennt von der Magensäure und dem noch unverdauten Wodka Feige. Ich konnte bei der Magenentleerung zudem den Inhalt meiner Blase nicht halten und habe auf den Fussboden auf Ankis Kniestrümpfe gepinkelt. Mein Bad sieht aus und stinkt wie nach einer Schlachtung. Ich sitze mit den Beinen angewinkelt und mich mit der Achsel auf der Badewanne abstützend da und bekomme einen Heulkrampf. Meine Bauchmuskeln zerren sich zusammen wie noch nie zuvor. Ich bekomme kaum noch Luft vom Heulen. Ich zucke beim Luftholen. Ich muss nochmal kotzen. Diesmal auf den Wannenrand. Ich schreie in voller Lautstärke „SCHEISSE!“ und heule weiter. Alle Sehnen in meinem Körper sind gespannt. Ich kann nicht mehr. Ich huste, spucke, japse. Ich rutsche von der Wanne ab und knalle mit dem Hinterkopf gegen die Kloschüssel. „FICK WELT! FICK LEBEN“ schreie ich unter Schmerzen. Ich muss wieder husten, spucke Schleim auf den Boden, weine dann wieder. Ich habe Kopfscherzen, mir ist kotzübel und ich weiß nicht wie ich aufstehen soll um an meine Dolos zu kommen. Wieso denn eigentlich auch? Mir geht‘s so scheiße, meine Freundin hat mich verlassen, alles ist Scheisse, die Welt ist scheiße, ich bin scheiße. Mir ist immer noch total schlecht, zum einen von der Übelkeit in mir drinnen und zum anderen von dem Duft des Erbrochenen im Badezimmer. Ich muss von dem Geruch wieder so kräftig husten, dass ich mich wieder übergeben muss. Ich habe keine Kraft um mich zur Kloschüssel hochzuhangeln, also geht wieder alles auf den Boden. In den Tränen der Erschöpfung und Enttäuschung geht mir ein zaghaften, leises „Mami, hilf mir bitte“ über die Lippen. Sie kann es natürlich nicht hören. Selbst wenn sie es hören könnte, würde sie mir bestimmt nicht helfen.

Meine Mutter und ich, wir haben uns nie verstanden. Ich habe seit ich denken kann eine Riesenwut auf diese Frau. Sie hat, obwohl sie nicht arbeiten war, keinen Finger im Haushalt gerührt. Geputzt und gekocht habe ich nach der Schule, Papi hat den Müll heruntergebracht und war einkaufen. Sie war nur mit ihren Freundinnen abgehangen... in irgendwelchen Kneipen und hatte ein kleines Alkoholproblem (Ich hoffe es nicht vererbbar). Irgendwann ist mir der Kragen geplatzt und ich habe sie zur Rede gestellt, wieso ich immer nach der Schule noch den Haushalt machen muss. Es kam nur so etwas wie „Darüber will ich mit dir nicht diskutieren“. Seit der Zeit haben wir uns nur angekeift und gegenseitig gemoppt. Papa stand zwischen den Fronten aber geknechtet durch den Ring an seinem Finger hielt er irgendwie zu Mama. Als ich die Mittlere Reife gemacht und eine Ausbildungsstelle hatte, habe ich mir sofort eine eigene Bude gesucht und bin ausgezogen während sie auf Sauftour war. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr oder von Papa gehört.

Es war also ein rhetorischer Hilfeschrei. Ich hätte genauso gut George Clooney rufen können oder wen auch immer. Nach einer Weile ohne weitere Brechattacken habe ich alle Kraft zusammengenommen und auf Knien geschafft das Bad zu verlassen und mir in der Küche zwei Dolos reingeworfen. Ich weiß weiter nichts mehr, nur, dass ich am nächsten Tag um 12 wach wurde und es mir noch genauso beschissen ging wie am Tag davor. Ich habe mir nach dem Aufstehen gleich nochmals zwei Dolos eingeworfen und mich mit einem großen Glas Wasser an meinen Küchentisch gesetzt. Als ich während des Sitzens an mir herunterschaue wird mir wieder schlecht als ich Ankis verkotzte Klamotten sehe. Ich ziehe sie schnell aus und werfe sie Richtung Flur zum Badezimmer. Mein Kopf dröhnt, wie er so zu dröhnen pflegt nach einem Saufgelage. Ich versuche mich zurück zu erinnern, aber alles, an was ich denken kann ist diese Leere in den Gedanken von Britt. Das Nichts. Ich nehme das Glas Wasser und trinke es in einem Zug runter. Dann lasse ich mich auf die Lehne sinken und mich von der Mittagssonne bestrahlen. Später werde ich noch unter Ekel die Reste des gestrigen Tages entfernen und die Wäsche waschen. Als wäre nichts geschehen.

 

 *

 

Gegen sechs Uhr am Abend setze ich mich, immer noch mit Kopfschmerzen, vor den PC. Ich melde mich an und schaue nach meinen Mails. Frank hat mir wieder geschrieben. Mit seiner Freundin ist es längst wieder vorbei, übrigens. Er war danach etwas abgesackt und hat sich öfters volllaufen lassen. Aber seit ein paar Wochen hat er wieder neuen Mut gefasst und ist fast wieder der Alte. Also genau der Richtige, um mich jetzt über meinen Kummer zu trösten, beschließe ich und greife zu meinem Telefon. Ich habe seine Nummer gespeichert, auch wenn ich ihn sehr selten anrufe. Vielleicht zu Geburtstag oder so. Ich wähle seine Nummer im Adressbuch und er meldet sich.

„Hi. Jackie hier.“, sage ich mit kraftloser Stimme, „könnte ich bitte mit Herrn Frank Reesing sprechen?“

„Jackie!“ antwortet er hocherfreut aber merkte auch gleich, was mit mir los ist „Schön dich zu hören. Aber Du klingst voll scheiße.“

„Voll Scheisse.“, wiederhole ich und füge gleich den eigentlichen Grund meinen Anrufes unverblümt hinzu: „bin wieder zu haben.“

„Och nee. Habt ihr beiden euch gezofft?“ Mit Frank kann ich über alles reden. Er versteht mich. Das was schon immer so, wird auch immer so bleiben. Wahrscheinlich weil wir uns einfach mögen ohne den andren ins Bett kriegen zu wollen.

„Ja“, antworte ich kurz und knapp.

„Was war denn?“

Ich erzähle ihm die Geschichte von vorne bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ich mich noch erinnere, erzähle ihm vom verkotzten Badezimmer und von der total niedergeschlagenen Jackie, die jetzt sofort einen lieben Freund braucht, wenn auch nur am Telefon. Wir telefonieren bis um neun Uhr mein Telefon piependerweise Aufmerksamkeit für seine Stromarmut fordert.

Mit „Ich hab Dich lieb und ich meld mich bei Dir“, verabschieden wir uns.

„Hab Dich auch lieb, Maus“ flüstert er mir noch zu. Ich lege auf und das Telefon auf die Ladeschale. Es geht mir etwas weniger beschissen wie noch vor Stunden, aber noch schlecht genug. Eigentlich hatte ich die Hoffnung, dass sich Britt heute meldet und sich entschuldigt und alles wieder gut wäre. Pustekuchen. Alles bleibt anders. Anders ist scheiße.

Ich setze mich an meinen PC und chatte mit ein paar Freundinnen, die mich alle nicht aufbauen können. Zwar bekomme ich viel Mitgefühl, aber es kann meine dunkle Laune nicht aufhellen. Nach einer halben Stunde verabschiede ich mich und lege mich hin. Ich muss ja morgen wieder arbeiten.

 

Aus: Jackie’s Guide to Living, Kapitel 44: “Das Cocktail-Alphabet”

Natürlich hat jede ihren eigenen Geschmack, und genau deshalb habe ich auch ein paar Cocktail-Empfehlungen für euch. „Welche Empfehlungen des Hauses gibt es denn heute, Frau Jackie?“ werdet ihr euch fragen. „Keine“, werde ich euch antworten, „außer…“

Natürlich einen Caipirinha. Der geht immer, ist lecker und wenn der Barmixer mit dem Zucker moderat umgehen kann, dann ist und bleibt es mein Nummer Eins Cocktail für zwischendurch. Das Gute ist auch, dass es ihn wirklich überall gibt. Im Notfall ist er auch nicht so schwer selbst zu machen. Also… Der Allroundcocktail an sich.

Für eine kleine lustige Runde find‘ ich immer noch den Margarita am schönsten. Die Fruchtnote könnt ihr euch aussuchen, aber passt auf, dass hier frische Früchte reinkommen. Mir hatte mal einer einen Erdbeer-Margarita mit Dosenfrüchten gemacht. Das ist eklig! Das war auch das letzte Mal, dass ich in der Bar war. Also frische Früchte. Immerhin wollen die 7 Euro für einen Cocktail. Wieso sollen die dann Mansch rein machen? Ich persönlich mag neben Erdbeer-Margarita noch den Mango-Margarita. Probiert den doch mal.

Dann fehlt noch der Cloud9 in der Liste. Aber da bin ich ein wenig eigen. Den mögen nicht sehr viele, aber ich könnt drin baden. Keine Ahnung, wieso ich den mag, weil er jedes Mal anders schmeckt. Manchmal nach Hustensaft. Im Ernst. Das Zeug ist seltsam aber für den Winter ist es mein Cocktail Nr. 1. Ich weiß gar nicht, ob es den überall gibt. Sucht einfach danach.

So. Und nun noch ein Exot unter den Cocktails. Nicht, weil er so tropisch ist, sondern selten. Ich habe ihn bisher nur in St.Pauli gesehen und so heißt er auch: St.Pauli Killer. Das Zeug ist brutal. Ich glaube, dass da fünf Sorten Rum drinnen waren und noch ein wenig was andres. Zwei von denen haben mich abgeschossen. Ich habe keine Erinnerung mehr an den Tag, aber er schmeckt sehr geil und unter uns: Sich auf St.Pauli abschießen hat auch was, oder? Aber natürlich: Kids, don’t try this at home. Ich hab den Tipp gar nicht gegeben.

So und nun noch was für Lernbegierige. Der Pina Colada, den ihr alle kennt, ist schuld, dass die Leute Cocktails mögen. Eigentlich sogar nicht er, sondern ein Lied: „She likes Pina Colada…“ Nur wegen dem Lied wollten die Leute Cocktails probieren, er hat ihnen geschmeckt und sie tranken mehr. Naja… Ganz so war’s dann doch nicht, glaube ich, aber ein wenig Wahrheit steckt drin.

Ich sehe – wir verstehen uns.

Gesellschaftsfähig

Die Abende nach der Trennung waren endlos, ich habe viel geweint, viel mit Frank telefoniert und Silke war ein paar Mal bei mir gewesen. Britt war wie vom Erdboden verschluckt und hat sich nicht gemeldet. Ich bin traurig. Sie fehlt mir. Sie fehlt mir als Freundin. Ihre Eltern fehlen mir. Ich will die Zeit zurückdrehen, aber ich schaffe es nicht. Wieso sollte ich es auch schaffen, wenn es sonst keiner schafft? Ausgerechnet ich, ein Meter dreiund­sechzig Elend? Dennoch versuche ich es andauernd. Scheiß Zeit.

 

 

Schmerz hat die positive Eigenschaft, dass er vorbeigeht, falls er Dich nicht umbringt. So war es schließlich auch mit dem Trennungsschmerz von Britt. Er verflog über die nächsten Wochen und irgendwann fasste ich den etwas gewagten Entschluss, wieder ich selbst zu sein. Ich rief auf der Arbeit Silke an, die Urlaub hatte, ob wir heute Abend nicht auf den Putz hauen wollten. Sie war begeistert. Sie war begeistert, dass wir feiern gehen und sie war begeistert, dass ich wieder ich bin. Wir verabreden uns für abends um acht bei ihr. Ich lege auf und mein Herz pocht. Ich bin wieder ich und es hat nur einen Anruf gekostet. Scheißegal, wo wir hingehen werden, Hauptsache weg. Ich rede mit meinem Gewissen und mache einen Deal mit ihm. Kein Alkohol oder nur sehr wenig. Einfach nur Spaß für mich. Ich habe seit Wochen nichts mehr getrunken und will nicht wieder absacken wie in den Wochen... Monaten davor.

Ich gehe gegen acht Uhr von daheim los, gestylt, nicht überschminkt, und mit einem Koffer voll guter Laune. Es ist warm draußen, so achtundzwanzig Grad um acht Uhr. Also habe ich einen Rock und Flip-Flops angezogen. Ich Flip-Floppe zur Straßenbahn und fahre zu Silke, die mich mit „Yeah! Sie ist wieder die Alte. Wie immer ‚ne Stunde zu spät“ begrüßt und umamt.

„Ja, aber ich hatte einen Grund“, entschuldige ich mich, „er fällt mir nur im Moment nicht ein.“

„Wo wollen wir hin?“ Silke hat ein Sektglas in der Hand und ich komme mir vor wie in der Jules-Mumm-Werbung, als Sie mir auch eins gibt.

„Weiß nicht. Hauptsache der Bär steppt“, schlage ich nichts­sagend vor.

„Oh neee. Nicht in den russischen Staatszirkus“ sagt sie mit enttäuschter Miene.

„Blödi“ gebe ich ihr zurück. Nach langem Überlegen entscheiden wir uns doch wieder für das Connex. Es ist irgendeine Neunzigerjahre Technoparty angesagt und wir beschließen uns anzustellen. Zwei junge Frauen kommen natürlich immer in Clubs rein und so feiern wir den ganzen Abend und irgendwann schaffe ich es auch die ganzen letzten Wochen komplett zu vergessen.

Wir tanzen, feixen, lachen, haben gute Laune und so vergeht der Abend viel zu schnell.

Als wir heimfahren, habe ich nur 2 Gläser Sekt getrunken. Ich fühle mich so clean. Stolz. Silke bringt mich noch nach hause und so liege ich gegen halb vier auf meinem Schlafsofa, bereit zum ersten Mal wieder mit einem Grinsen im Gesicht einzuschlafen.

Eigentlich bin ich noch gar nicht bereit einzuschlafen. Ich muss noch die Glückshormone vertreiben, die meine Augen und meinen Geist offen halten. Aber eigentlich mag ich sie gar nicht loswerden. Ich beschließe einfach auf dem Bett zu liegen, die Augen offen zu halten und „Somewhere over the rainbow“ zu singen, nur eben besser wie Marusha auf der Neunziger Techno Party. Ich weiß nicht, ob es mir gelingt, und was Maltes Play Station zu meinen Sangeskünsten gesagt hätte, aber ich fühle mich großartig dabei. Wie wäre es, wenn ich einfach Silke anrufen würde und ihr statt Hallo zu sagen „Somewhere over the rainbow“ ins Ohr singen würde? Ich finde die Idee weltklasse und suche mein Handy bevor die Gene der Normalität diese Idee als irre bezeichnen würden. Es liegt noch in meiner Tasche. Soll ich wirklich hingehen? Frage ich mich. Nach hartem und zähem Ringen stehe ich auf und watschle in die Küche. Ich greife in meine Handtasche und hole mein Handy raus. Dann schleiche ich wieder zurück auf meine Schlafcouch. Ich werfe mich auf die Matratze und entsperre das Handy. Eine neue Nachricht. Huch, denke ich. Ist sie mir zuvorgekommen? Dann müsste ja „Somewhere over the rainbow“ drinnen steh‘n. Ich klicke auf anzeigen. Die Nachricht ist von Britt. Ich lasse meine Hände samt Telefon auf die Matratze fallen und sämtliche Glückshormone sind weg. Nervositätshormone haben sie zusammen mit den Bauchwehhormonen ganz plötzlich in die Flucht geschlagen. Jetzt ist eh vorbei mit den Glückshormonen denke ich mir für mich selbst. Da kannst Du auch die Nachricht lesen. Also hebe ich das Handy wieder zum meinen Augen.

„Hallo Maus. Es tut immer so furchtbar weh ohne Dich zu leben. Ich sterbe jeden Tag Tode wenn ich denke dass ich Dich so verletzt habe. Ich habe gebetet die Zeit zurückdrehen zu können. Es ging nicht. Nun sitze ich hier und kapituliere vor Dir. Bitte lass und wieder Freunde sein. Ich tue alles dafür. Britt“

Mir fällt das Handy wieder aus der Hand, denn ich halte die Hände vor die Augen. Meine Muskeln in Hals und am Mund spannen sich an und ich fange an zu weinen wie nach einem Heiratsantrag. Mein Herz pocht wieder und die Glückhormone haben sich neu formiert um die fiesen Nervositäts- und Bauchwehhormone ein für alle Mal kalt zu machen. Es gelingt ihnen. Ich helfe ihnen, in dem ich mich so sehr über diese Nachricht freue wie ich... ich weiß nicht wie was. Aber stellt euch das schönste vor und das hoch 2! Ich tippe auf die Taste „antworten“ und schreibe ihr zurück:

„du hast eben schon genug getan. Hdsl.“

Ich drücke auf senden. Meine kleine Welt ist wieder in Ordnung. Ich könnte einfach in die Zimmermitte gehen, tanzen und singen „Meine kleine Welt ist wieder in Ordnung“ zu irgendeiner Melodie. Zu „Somewhere over the rainbow“ klingt es aber blöd. Als ich so herumtanze und alle möglichen Melodien ausprobiere klingelt es an der Tür. Hallo? Um kurz vor vier Uhr? Wer ist denn das? Ich gehe zur Sprechanlage und frage:

„Hallo? Schon mal auf die Uhr geschaut?“

„Ja. Hab ich. Aber ich hoffe Du lässt mich trotzdem rein.“

Britt. Ich drücke den Türöffner, husche ins Bad und ziehe mir einen Bademantel über. Sie hat mich zwar schon oft nackt gesehen, aber ich halte es gerade für unangebracht. Sie kommt den Hausflur hoch und klopft an der Tür, die noch zu ist.

„Mach auf“, rufe ich ihr zu und wundere mich, wieso sie die Tür nicht aufmacht. Sie hat früher immer die Tür aufgemacht. Ich stehe in der Küche und beobachte wie die Tür erst einen Spalt, später ganz aufgeht. Britt kommt herein. Das erste was ich denke ist, wie furchtbar sie aussieht. Sie wirkt abgemagert, ihr T-Shirt ist verzogen, alt und sie hat ihre alten Jeans wieder an und ein paar Turnschuhe. Die Haare sind nicht gemacht und sie ist nicht geschminkt. Aber es ist trotzdem meine Britt. Ich gehe zu ihr hin und umarme sie. Sie umarmt mich zurück aber ohne Kraft. Ich flüstere ihr in Ohr, dass ich so froh bin, dass ich sie wieder sehe. Sie weint, ich bin kurz davor.

„Ich auch“, kriegt sie mit blasser Stimme heraus.

„Was hast Du denn?“ frage ich sie und muss vor den „hast“ schwer schlucken, um nicht in Tränen auszubrechen.

„Ich... ich hab Dich so vermisst... Du... Du fehlst mir so und ich mach mir tausend Vorwürfe.“

Ich nehme sie ganz fest in den Arm... so sehr ich kann, denn auch ich muss jetzt losheulen und hab nur begrenzte Kräfte. Nach einigen Minuten festhalten, weinen und liebhaben löse ich die Umarmung ein wenig, um sie anschauen zu können:

„Beste Freundinnen für immer?“ lächle ich sie an. Sie sieht aus wie ein Regenbogen, sie strahlt aber hat Wasser in den Augen. Sie wiederholt:

„Beste Freundinnen auf Ewig!“ Ich muss nochmal weinen, wieder vor Glück. Ich schließe die Tür hinter ihr und frage sie, ob sie ins Wohnzimmer gehen möchte. Sie nickt. Geh schon mal vor sage ich zu ihr, kennst ja den Weg. Sie geht ins Wohnzimmer und ich zum Kühlschrank und hole eine Tafel Schokolade (Die Notfalltafel, die immer im Haus sein sollte) und eine Flasche Sekt heraus. Ich gehe ins Wohnzimmer und setze mich neben Britt. Ich winke mit Schokolade und Sekt vor ihren Augen und frage:

„Gute Wahl?“

„Du kannst hellsehen“, antwortet sie mir. Ich öffne die Schoko­lade, breche eine Rippe ab und lege sie Britt in den Mund. Sie beißt ab und ich lege die Rippe beiseite.

„Weißt Du...“, fängt Britt wieder mit ihrer dünnen Stimme an, „weißt Du wie sehr es mir...“ Ich halte meine Hand vor ihren Mund und sage leise „Ssssssssssssscht“. Sie schaut mich an und ich lächle vor Glück meine Britt wieder zu haben. Ich spüre, ich merke es, wie leid es ihr tut und wie sie darunter gelitten hat. Mindestens genauso wie ich. Ich vergesse alles, was passiert ist. Manchmal musst Du das einfach vergessen. Den ganzen Scheiß hinter Dir lassen. Ich küsse sie auf den Kopf und flüstere:

„Du Huhn. Ich hab dich so scheiße lieb.“ Sie grinst durch ihre Tränen.

„Komm. Wir legen uns einfach hin. Du. Ich. Und wir machen das wie beste Freundinnen.“ Sie nickt und zieht ihre Beine hoch. Ich stehe nochmal auf, mache das Licht aus und lege mich dann hinter Sie. Ich habe das Gefühl, dass Sie mehr die Umarmung braucht gerade als ich. Ich umschlinge Sie mit meinen Händen und kuschle mich fest an sie. Ich höre, dass sie immer noch am Schluchzen ist. „Alles wird gut“, sage ich ihr.

„Alles ist gut“, antwortet sie mir.

 

*

 

Wir wachen beide gegen Mittag auf. Ich zuerst. Ich war sehr schnell eingeschlafen aber da ich Britt immer noch in meinen Armen halte, weiß ich dass sie sich nicht gerührt hat. Ich flüstere leise „Bist Du schon wach?“ Sie dreht sich auf den Rücken, schaut mich an und grinst

„Nein. Du? Ich träume noch, dass wieder alles gut ist mit uns.“

„Es ist wieder alles gut mir uns.“, bestätige ich Ihren Gedanken.

„Dann ist‘s doch ein Traum und ich schlafe noch.“

Sie dreht sich wieder auf die Seite und tut so als würde sie schlafen. Sie sieht heute Morgen schon viel besser aus als gestern. Sichtlich entspannt und positiv. Ich freue mich riesig. Ich freue mich über Sie, über die Situation und über das was noch kommen wird. Manchmal ist das Leben doch schön.

„Du, Traumjackie. Kannst Du im Traum ‘nen leckeren Kaffee machen?“ fragt sie unverblümt.

„Klar kann ich das.“ Ich steh auf und gehe in die Küche, mache zwei Pads in die Senseo-Maschine und drücke den Erhitzen-Knopf. Ich hole zwei Tassen – eine davon – schwarz mit kleinen roten und rose Blüten und Herzen – hatte Britt mir vor 3 Jahren geschenkt auf meinen Geburtstag – und stelle Sie in die Maschine. Ich drücke auf den Kaffeeknopf und das schwarze Gesöff tropft wohlduftend aus der Maschine. Ich räume den Tisch in der Küche ab, entsorge die leeren Flaschen und alles, was in den Müll gehört. Nachdem die Kaffeemaschine fertig ist, stelle ich die zwei Tassen auf den Tisch und rufe Britt.

„Danke sehr“, bedankt sie sich für die Tasse und setzt sich an den Tisch. Sie nimmt einen kleinen Schluck, schaut auf die Tasse und fragt:

„Is von mir, oder?“ Ich habe mich inzwischen auch hingesetzt und nicke.

„Okay. Was machen wir heute?“ frage ich.

„Könnten an den See gehen?“ fragt Britt zurück.

„Hey, cool. Klar machen wir. Dann komm ich um elf bei dir vorbei, ok?“ Ich schaue sie fragen an.

„Hmmm...“ überlegt sie, „pack doch Deine Sachen und komm so lange zu mir mit.“.

„Können wir auch machen.“ Ich stehe auf...

„Aber“, unterbricht sie mich „aber wir haben noch n bissl Zeit, Maus.“

„Stimmt.“

Ich setze mich wieder. Wir quatschen noch eine Stunde und zwei weitere Kaffee lange bis ich aufstehe und mich umziehe. Bikini, Top, Jeans, FlipFlops, Handtücher, etwas zu lesen und eine Flasche Wasser. Ich nehme meine Tasche und watschle wieder in die Küche.

Wir verbringen einen wunderschönen Tag am Badesee, Britts Eltern und ich sind froh, dass wir uns wieder haben und alles, wirklich alles ist wieder gut.

Sommertage

Am nächsten Tag muss ich wieder im alten Trott in die Firma gehen. Ich bin gerade in der Marketing-Abteilung und trage irgendwelche Kundendaten in ein Programm ein, von dem ich gar nichts weiß, aber irgendwie geht das. Mir gegenüber sitzt Rosi. Sie ist Ende dreißig und voll auf Familie. Sie hat drei Kinder, die alle schön aufgereiht neben Ihrem Monitor stehen: Klaus, Birgit und Hannah. Ich mag Hannah am liebsten, weil sie einen schönen Namen hat. Vielleicht ist sie ja ein nerviges Kind und macht den Eltern nur Sorgen – aber das ist mir egal, ich mag Hannah. Rosi bringt immer Knäckebrot mit und verkrümelt beim Frühstücken ihren ganzen Tisch. Stören tut sie das nicht, weil Sie danach alles in den Papierkorb leert. Sie ist akkurat und penibel, trotzdem freundlich. Ich frage mich manchmal, was sie in einer Marketingabteilung zu suchen hat. Da werden doch junge, dynamische, innovative Leute gesucht... so wie ich. Aber ich kann das nicht beweisen, weil ich wieder mal eingeben muss, dass Kunde Heinz Mosenhalfer unser Sichtregal „Dörthe“ bestellt hat. Ich habe mir kurz überlegt, als ich mich heute an meinen Platz gesetzt habe und die Fotos von Hannah und ihren Geschwistern sah, ob ich nicht ein Foto von Britt hinstellen sollte. Ich habe mich aber dagegen entschieden, weil ich denke, dass Rosi mich dann gekonnt ignoriert hätte. Gegen acht Uhr dreißig klingelt bei Rosi das Telefon. Bestimmt wieder ihr Mann, der vergessen hat, welche Zahnpasta er für die Kinder kaufen soll, denke ich. Sie sagt „okay“ und gibt mir den Hörer.

„Für Sie, Frau Buhr.“ Ich hasse dieses Gesieze aber bedanke mich höflich und nehme den Hörer. Es ist meine Ausbildungsleiterin. „Hallo Jaqueline“, begrüßt sie mich und ich bin froh eine Du-Stimme zu hören.

„Frau Schmitt vom Empfang ist krank und ich wollte fragen, ob Du das vielleicht machen könntest heute?“

„Klar, kann ich, wenn Frau Lossek nichts dagegen hat.“ Ich schaue Rosi an. Sie schüttelt den Kopf.

„Nee, ist okay“, sage ich. „Prima, dann komm bitte runter zum Empfang.“ Ich lege auf und verabschiede mich von Rosi Lossek ohne ein weinendes Auge und gehe fröhlich und beschwingt zum Empfang. Dort wartet schon meine Ausbildungsleiterin auf mich.

„Warst Du schon Mal hier?“ fragt sie mich. Ich nicke.

„Dann muss ich Dir nichts erklären?“. Ich schüttle den Kopf und muss grinsen.

„Okay. Dann danke dass Du einspringst.“

„Keine Ursache“.

Ich liebe den Job am Empfang. Er ist zwar nicht der beste, aber er bedeutet für mich: mit jedem quatschen, der vorbeiläuft und ich kann unbemerkt im Internet chatten. Sozusagen ein Tag Urlaub für mich.

Ich setze mich auf den Stuhl und schaue die Bücher an, sehe nach, wer welchen Schlüssel ausgeliehen hat, wer für wen was hinterlegt hat und melde mich schließlich an der Telefonanlage an. Gleich darauf tippen meine Finger mein Passwort am Computer ein und ich bin in der großen weiten Welt des Firmennetzwerks angemeldet. Mit einem Klick öffne ich das Mailprogramm um festzustellen, dass ich in den letzten fünfzehn  Minuten keine neue Nachricht bekommen habe. Ich finde, dass ich mich noch nicht gleich in den Messenger einloggen sollte und mache so, als würde ich auf den Unterlagen etwas aufschreiben. In Wirklichkeit male ich aber nur Strichmännchen, die Fratzen schneiden.

Inzwischen ist es 10 Uhr 30 und ich überlege mir, ob ich nicht Britt anrufen sollte, dass Sie mir eine Pizza bringt. Ich lass es aber sein, weil ich eigentlich keine Lust habe, durch den ganzen Käse ein Pfund zuzulegen. Erleichtert und erfreut von meiner eigenen Entscheidung öffne ich den Browser und tippe fröhlich die Internetadresse von einem Internetversandhaus ein. Ein paar neue Klamotten in meiner jetzigen Größe wären doch optimal für die Sommertage. Ich lächle.

„Hallo Frau Buhr“, begrüßt mich plötzlich und unerwartet eine Stimme. Ich schaue auf. Es ist Mike.

„Hi Mike“ begrüße ich ihn und lächle ihn an.

„Sag mal, Kannst Du mir bitte den Schlüssel für den Be­sprechungs­raum hier vorne geben?“ Er deutet auf die Tür gleich neben dem Empfang.

„Na klar. Für Dich doch immer.“ Ich suche ihm den Schlüssel heraus, schreibe in das Leihbuch hinein, dass er sich den Schlüssel geliehen hat, und lasse ihn unterschreiben. Mit „Danke“ verabschiedet er sich und geht in deinen gemieteten Raum. Danach kann ich mich wieder meiner Suche nach den neuen Styles widmen.

Nach ein paar Minuten denke ich, dass es jetzt okay ist, wenn ich mich im Skype anmelde. Ich schaue mich prüfend um, gebe mein Passwort ein und bin binnen weniger Sekunden online mit der Welt. Ich schaue nochmals kontrollierend, wer sich im Foyer aufhält und danach sofort auf die Onlineliste. Lisa und Sylvia sind da. Ich lächle in meinem Inneren. Genau die beiden, mit denen ich jetzt tippen will. „Hey Lüs“ tippe ich zu Lisa und „Hey Sülv“ zu Sylvia. Ich freue mich auf einen tollen Tag mit den beiden und hoffe, dass sie Zeit haben. Sylvia antwortet sofort und fragt mich, wie es mir geht. Ich schreibe ihr zurück, dass es mir großartig geht und ich einen Chattag am Empfang gewonnen habe. Ich muss grinsen, pruste ein wenig und schaue gleich kontrollierend, ob mich jemand gesehen hat. Keiner. Gut. Also weiter. Irgendwie sind es nur getippte Worte, gelesene Worte in Internetchats – Aber ich behaupte, wer dabei noch nie die Mimik verzogen hat, lügt.

Wir verquatschen den ganzen Nachmittag. Unterhalten uns über Job, Freunde und uns selbst. Flirten ein wenig. Ich erzähle, welche Leute gerade verbeilaufen, welcher Pizzadienst gerade kommt und welche Klamotten ich mir bestellen will. Sylvia ist nicht auf meiner Modelinie. Ich versuche sie seit Monaten – nein – seit Jahren davon zu überzeugen, dass sie sich einen Rock kaufen soll. Sie wehrt das immer ab und so mache ich mir einen Spaß daraus.

Mit Lisa schreibe ich inzwischen auch. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir uns kennengelernt haben – aber ich weiß, dass es schon ewig lange zurückliegt. Wir haben immer viel Spaß miteinander und manchmal, wenn Sie am putzen ist, schaltet sie demonstrativ die Webcam an, damit ich zuschaue. Ich denke, dass sie das macht, damit ich putzen lerne. Ich akzeptiere und schaue mir einfach die Wohnung an, die wunderschön eingerichtet ist.  Nach einer Weile ist sie fertig und wir beginnen zu Tippen. Sie erzählt mir von ihren Hunden und ihrem Auto, das mal wieder in die Werkstatt muss. Ich habe weder Hunde noch Autos also kann ich nicht wirklich mitreden, aber lese gerne.

Gegen 17 Uhr ist mein Arbeitstag, der eigentlich nur aus Chatten und Shoppen bestand, beendet. Ich übergebe den Posten an den Nachtwächter vom Sicherheitsdienst, beschwere mich kurz, dass es heute die Hölle war, und gehe beschwingt zur Straßenbahn­haltestelle. Die Sonne scheint heiß auf die Erde und ich überlege, wo ich den Rest dieses schönen Tages verbringen kann. „Erst einmal nach Hause“, überzeuge ich mich selbst und trotte weiter in Richtung der Haltestelle. Dort angekommen, kommt meine Bahn sofort und so mache ich mich auf den Weg nach Hause.

Neckarwiese

Nach diesen harten Arbeitstagen braucht der Mensch am Wochenende immer etwas Entspannung – einen Zufluchtsort oder einfach einen Platz, an dem es schön ist, an dem er sich wohl fühlt. Auch wenn meine Arbeitstage zugegebenermaßen nicht wirklich nicht zu hart sind, habe ich diesen. Er ist immer dort, wo meine Freunde sind, und wo ich einfach ich selbst sein kann. Wo sich niemand mokiert, wenn ich mit einer Bierflasche in der Hand um 2 Uhr nachts in der Straßenbahn sitze und apathisch aus dem Fenster schaue. Im Sommer ist einer unserer Lieblingszufluchtsorte die Neckarwiese. So viele Leute versammeln sich Sams- und Sonntäglich hier und liegen in der Sonne, Quatschen, spielen Fußball oder Füttern die Gänse. Wir haben morgens früh eine Kühltasche mit Getränken, Decken und allerhand unnützem  Zeugs eingepackt. Wir – das sind in dem Fall – klar – Britt und ich, außerdem noch Ines und Sabine, zwei Kommilitonen von Britt. Ines ist so eine Art Superblondchen: Lange blonde Haare, nur ein Strich statt Augenbrauen, nude glänzende Lippen und ein rosa Kleidchen. Ich frage mich ernsthaft wie so eine studieren kann und ich nur Realschule hab. Egal… Kein Neid, Jackie – denn eigentlich ist sie ja ganz nett. Neben ihr wirkt Sabine wie eine Superstreberin. Eckige Sonnenbrille, lockige braune Haare und gänzlich ungeschminkt. So machen wir uns auf den Weg und suchen uns einen schönen Platz in der Nähe des Neckars und weit weg von den Fußballspielern. Seit ich einmal von einem Schuss direkt ins Gesicht getroffen wurde und aus der Nase geblutet habe, will ich immer einen guten Sicherheitsabstand zu den Möchtegernkickern haben.

Wir breiten unsere Handtücher aus und lassen den Tag erst einmal mit einem Schlückchen Sekt beginnen. „Auf die Emanzipation der Demokratie“, hebt Sabine ihren Plastikbecher. „Auf den größten Rülpser der Neuzeit“, entgegne ich ihr. Sabine schaut etwas verwirrt und Britt prustet sich einen guten Teil des Sekts wieder aus der Nase heraus. Allgemeines Gelächter und eine „Arschloch“ - Anerkennung von Britt an mich.

Nachdem alle Sektspuren in Ihrem Gesicht getrocknet sind, legen wir uns schön auf unsere Decken und versorgen unsere Gesichter mit der nötigen Sonnenmilch. Nach einer kurzen Weile frage Ines: „Habt ihr gestern die Doku über den neuen Indianerstamm am Amazonas gesehn?“ – Allgemeines Kopfschütteln und Verneinen, dann Ruhe. Schließlich fragt Britt um die Ruhe zu brechen:

„Und…? Welche Erkenntnisse ziehste als Langzeitstudentin draus?“

„Was?“, reagiert sie etwas verwirrt.

„Ach quatsch ich hab die doch auch nicht gesehen. Ich war mit Thomas im Mäc und wir haben erzählt“

„Aha, mit Thomas… Über was denn so? Jetzt wird’s ja interessanter“, kontert Britt.

„Ach… über dies und das. Er hat jetzt seine Lehre als Mechatroniker abgeschlossen und sucht ne Bude weil er von Zuhause wegwill.“

„Und Du ziehst mit ihm zusammen?“

„Nein, wo denkst Du denn hin du blöde Kuh“

„Na, ich denke, dass ihr danach noch gepoppt habt, weil Du so eine Grinsen drauf hattest als ihr zwei uns abgeholt habt“

„Ja, na und?“

„Nix na und. Is doch geil.“

„Biste neidisch, weil Du keinen abkriegst?“

„Erstens hab ich Jackie und zweitens würd ich jeden kriegen“. Stopp jetzt, denke ich mir. Erstens brauchst Du mich nicht vor allen und jedem zu outen und zweitens musst du’s auch nicht mit jedem treiben, nur weil Du ne Wette gewinnen willst.

„Britt…“, stupse ich sie kurz von der Seite an.

„Oh… Sorry… war nicht so gemeint“, flüstert sie mir zurück.

„Soso, Du würdest also jeden kriegen, meinst Du? Auch Thomas?“

Britt stockt kurz und schaut mich an. Dann antwortet Sie politisch: „Nein, Thomas natürlich nicht. Komm wir bewerten die Typen die vorbeilaufen, ok?“

„Okay, das macht Laune“, entgegnet Ines innerlich sichtlich befriedigt.

„Na, wie findet ihr den?“ Sabine dreht den Kopf nach links, wo ein circa 50 Jahre alter kahlköpfiger bierbäuchiger Typ mit Klamotten kommt, die schätzungsweise seit zwei Wochen nicht gewaschen wurden.

„Klare 10“, entgegnet Britt.

„Hör auf so zu machen, so macht das keinen Spaß“, attackiert Ines Britt.

„Wieso… Ich find das ist ‚ne 10. Schatten im Sommer, Wärme im Winter. Die Mücken gehen alle an den und ich muss ihn nicht mit zum Friseur nehmen“

„Du bist eklig, Britt“, kontert Ines.

„Nein, ich bin realistisch“, entgegnet Sie. Ich tippe ihr auf die Schultern und frage lächelnd: „Und für was bin ich gut? Halte ich auch die Mücken weg?“

„Du“, Sie schaut mich verträumt an, „Du bist die Sonne im Winter, der sanfte Wind im Sommer und Du duftest wie ein Rosenfeld. Du bist ohnehin nicht vergleichbar mit irgendwem. Und auf der Skala von 0 bis 10 eine 12.“

Ich lächle. Ich lächle so lange, bis ich von Sabine aus den Träumen gerissen werde und ihr nüchternes „5“. Ines gibt eine „3“ und Britt ebenfalls. „Na, Jackie“, spricht mich Ines an „Du gibst wohl keine Bewertungen ab?“ - „Doch, doch, 4“, antworte ich ohne den Typen gesehen zu haben.

„Na“, lacht Ines, „dann ist das wohl eine glatte 4. Er kann weitergehen, ausgeschieden“. Wir kichern und die 4 dreht sich leicht irritiert zu uns um. Wir müssen lachen und er legt einen Schritt zu, um schnell und kopfschüttelnd von uns wegzugehen. Nach vielen 4en, 5ern und 6en vergeht die Zeit wie im Flug. Allerdings ohne ein hübsches männliches Wesen zu orten.

Plötzlich und unerwartet sagt Sabine: „9 von rechts“. Ines dreht sich um: „8“. Ich schaue nach rechts und will mir diesen 8,5er ansehen und bin überrascht: „Malte!“ denk ich mir. Ohne zu überlegen sag ich „10“.

„10!“? fragen mich Sabine und Ines, während Britt in sich hineingrinst.

„Klar. Der ist perfekt. Super Body, tolle Frisur und sehr stylisch“. Die beiden nehmen mir das ab. Malte geht an uns flotten Schrittes vorbei, sieht dann doch Britt und mich, hält an und grüßt uns mit: „Na, was machen die hübschen Damen denn hier?“

Ines schaut mich verblüfft an. „Wow, die 10 spricht mit dir.“

„Klar“, entgegne ich ihr, „die 10 ist auch mein Ex. Malte, Ines, Sabine“ stelle ich vor.

„Hi… Hi Malte“, begrüßt ihn Ines – noch etwas durcheinander von der Situation. „Die 10?“ fragt Malte währenddessen. „Klar“, sag ich, „wir bewerten hier Typen die vorbeilaufen und Du hast gewonnen. 10 von mir, 8 von Ines, 9 von Sabine.“

„Ich hab auch 10 gesagt,“ erbost sich Ines künstlich. „Is‘ okay“, dreht sich Britt zu ihr, „bei dem haste eh keine Chance.“

„Ich weiß. Bei ‘ner 10 hab ich nie ne Chance“, resigniert Miss Blondy. „Genau“, bestätigt Britt sie schnippig.

„Ich treff mich mit ‘nem Arbeitskollegen im Fährhaus. Muss auch gleich los, nicht, dass ich zu spät komm‘“, verabschiedet sich Malte. „Meld' Dich doch mal wieder, Jackie.“

„Versprochen“, verspreche ich ihm.

Malte geht weiter und entschwindet. Ines dreht sich zu mir, nachdem er außer Hörweite ist.

„Jackie, wie haste Dir den denn damals geangelt?“

„Zufall“, sage ich, „wir hatten und auf ‘ner Party getroffen und uns erst mal gar nicht riechen können. N paar Tage später sind wie uns in der City begegnet und da war er plötzlich nett. Wir haben über die Party gequatscht und so aber uns dann auch wieder aus den Augen verloren. Letztendlich haben wir uns auf ‘ner ganz anderen Party wiedergetroffen und da hat's gefunkt. Soweit die Story“

„Aha… cool. Und wieso seid ihr nicht mehr zusammen aber versteht euch blendend?“

„Das… darfst Du fragen aber nicht wissen“, grinse ich sie an.

Wir legen uns wieder zurück und widmen uns unserem Teint.

Wir verbringen brutzelnd, quatschend und lachend den sonnigen Tag. Ich gewinne im Laufe des Tages sowohl Ines als auch Sabine lieb, was ich eigentlich nicht für möglich gehalten habe, wo doch beide nicht auf meiner Linie liegen. Aber sie sind beide doch auf ihre Art und Weise nett und interessante Persönlichkeiten. Manchmal muss man nur lange Genug bohren, um an das Gold in der Seele zu kommen. Du bekommst nie eine zweite Chance einen ersten Eindruck zu gewinnen? Schön und gut. Aber zu oberflächlich. Ich weiß es von mir. Manchmal bin ich einfach schlecht drauf und wenn mir genau dann jemand begegnet, der eigentlich toll ist, schalten meine Sensoren auf „nicht mögen“, wenn der Gegenüber einfach nicht genau das macht, was ich will – und das ist ja eigentlich interessant.

Wir räumen jedenfalls die Wiese und gehen heimwärts. Britt und ich verabschieden uns von den beiden und wir laden unser Zeugs in den Z3. Hatte ich schon erwähnt, dass Britt so eine schnittige Karre hat? Den hatte ihr Daddy günstig von BMW bekommen, weil er für die Niederlassung ein paar Aktionen gemacht hat im Bereich Marketing. Er ist schwarz und hat beige Ledersitze und ist eine Supersache fürs Cruisen. Ich liebe die Kiste, auch wenn ich ihn nicht gerne selbst hätte – aber dazu fehlt mir ja der Führerschein.

Britt fährt mich heim. Sie sagt sie müsse noch ein paar kleine Sache packen, weil sie über das Wochenende zu einer Freundin nach Köln fährt. Ich erspare mir die Frage, ob ich mitdarf, weil ich diese Freundin in Köln kenne und nicht leiden mag. Erster Eindruck fehlgeschlagen… Alle weiteren auch. Ja, es gibt auch solche Menschen. Was ich am WE mache, fragt sie mich und ich wippe mit den Schultern. Vielleicht schau ich bei Malte vorbei und geb meine Gesangskünste zum Besten. „Das klingt nach einem Plan“, lächelt sie mich an, „und ich bring Dir was mit aus Köln.“

„Au ja. Was zum Spielen und was spannendes… Und 5 Kilo Schokolade“, bestelle ich. „Ne, dann wirste zu fett“, bekomme ich als Antwort an den Kopf geknallt.

Bei mir angekommen verabschieden wir uns mit ein paar innigen Küssen. „Tu nichts was ich nicht auch machen würd, versprochen?“ frage ich sie. „Klar. Indianerehrenwort“, verspricht sie mir, „wenn‘s mir zu blöd wird komm ich Samstags Nacht zurück.“

„Okay. Da würd ich mich freuen“

„Lieb Dich“

„Lieb Dich mehr“

Noch einen Abschiedskuss und sie fährt dahin. Ich schließe meine Wohnung auf und lass mich auf die Couch fallen. So viel Entspannung ist anstrengend. Ich schalte die Glotze und den PC an und chatte ein wenig mit meinen Leuten.

 

*

 

Am nächsten Abend habe ich dann doch Lust ein wenig rauszugehen. Ein, zwei Cocktails in meinem Lieblingsclub können nicht schaden. Vielleicht sind n paar Leute da, Ich mache mich nicht zu fein. Just the Basics. Ich nehme nur etwas Superstay und verzichte fast vollständig auf andere Makeup Komponenten. Jeans, mein Lieblingsshirt, fertig. Ich ziehe meine Jacke an und gehe zur Straßenbahn.

Am Club angekommen habe ich auch in meinem Aufzug keine Probleme reinzukommen. „Hi Jackie“, begrüßt mich der Türsteher. „Hi Jens“, grüße ich zurück. Manchmal ist ein kleiner Smalltalk mit den Türstehern sehr förderlich. Wir lachen kurz und ich verabschiede mich nach innen.

 

Aus: Jackie’s Guide to Living, Kapitel 57: “Chillige Plätze im Rhein-Neckar-Dreieck”

Ich will das Kapitel der Neckarwiese nutzen um euch ein paar chillige Plätze hier in unserer Region näherzubringen. Wenn ihr zufällig mal hier sein könnt ihr ein paar schöne Stunden dort verbringen:

Ladenburg Neckarwiese: Hier spielte das letzte Kapitel. Eine riesige Weise zum hinlegen oder für den Sport. Es gibt eine tolle kleine Parkanlage, im Sommer Konzerte auf einer Bühne, viele zahme Gänse, eine Fähre und in 5 Minuten seid ihr in der Altstadt von Ladenburg, wo ihr toll Eis essen oder Schlemmen könnt. Minigolf, Schwimmbad, Fußball und Baseballplatz gibt es auch. Und wenn ihr was sehen wollt, könnt ihr mit dem Fahrrad am Neckar entlang nach Heidelberg oder Mannheim fahren.

Heidelberg Neckarwiese: Im Sommer der Sardinenplatz für Studenten. Tolle Wiese mit vielen Bäumen, Tretbooten, Spielplätzen und geilem Blick auf die Altstadt und das Schloss. Viele weiße Ausflugsdampfer und Grillgeruch. Perfekt um nach dem Shoppen in Heidelberg etwas zu entspannen bevor es dann abends in die Cafés oder Clubs geht.

Luisenpark Mannheim: Kostet zwar Eintritt ist aber toll angelegt. Ganz viel Wiese, noch tollere Spielplätze, viele geniale Pflanzen, ein chinesisches Teehaus und der Fernmeldeturm… Wenn ihr schwindelfrei seid, fahrt einfach hoch und schaut euch die Region von oben an. Außerdem könnt ihr mit Schiffchen auf Kanälen fahren oder Enten füttern. Ist jedenfalls total toll dort.

Badeseen: Es gibt auch ein paar tolle Badeseen. In Hemsbach, Weinheim, Heddesheim zum Beispiel. Es gibt ein paar kleine lieb gemeinte Rivalitäten, welcher der beste ist. Ich halte mich da raus. Zudem gibt es noch einige Altrheinarme – Wenn ihr im Rhein plantschen wollt. Zum Beispiel in Altrip oder Speyer. Oder an versteckten Stellen… Die sag ich euch aber nicht, weil ich ja nicht gestört werden will dort – Ich sehe, wir verstehen uns.

Kirschlippenstift

Am Tresen gehe ich mir einen Caipirinha holen. Es dauert wieder mal ewig, bis ich drankomme, denn irgendwie drängen sich immer wieder ewig große und lautstarke Typen vor. Nach ein paar Minuten hat der Barkeeper ein einsehen und nimmt meinen Wunsch auf. Ich drehe mich um und lehne mich an die Bar. „Immer das gleiche hier oder?“ spricht mich ein Mädchen an, etwa mein alter, schwarze Haare, Brille und ein bezauberndes Lächeln.

„Ja“, antworte ich, „wir Zwerge werden von den Trollen unterdrückt. Es ist wie in Irland“. Sie lacht. Okay, denke ich mir. Sie hat getrunken, denn witzig war der Spruch ja nicht so sehr. „Ich heiße Jenny.“ Sie gibt mir die Hand und es sieht fast so aus als würde sie einen leichten Knicks machen. Sie dreht den Kopf etwas dabei und auch ihre Hand macht einen Knick.

„Gott ist die goldig“, schnellt es mir durch den Kopf. Mein Blick bleibt an Ihren Augen und schweift nicht ab. Ich schaue Sekunden, Minuten, Stunden. Es scheint mir so.

„Hey hey“, ruft Jenny und ich bemerke wie ich sie mit Ihren Fingern vor meinem Gesicht schnippt.

„Huch, ja, was ist?“ schrecke ich auf.

„Dein Drink ist fertig“, antwortet mir Jenny. Erschrocken drehe ich mich zur Bar und nehme meinen Caipirinha entgegen.

„Wollen wir uns ein bisschen absetzen“, fragt mich Jenny als ich mich wieder zu ihr hindrehe. Ich nicke.

„Dann komm mit“. Jenny drängt sich durch stehende Menschen, tanzende Freaks bis hin zu denen, die immer nur am Rand der Tanzfläche stehen, deprimiert schauen und so lange an ihrer Cola Light nippen bis sie enttäuscht gehen, weil sie nicht angesprochen wurden.

„Freaks,“ sagt Jenny als wir an den Freaks vorbeigehen. Ich würde gerne antworten aber mir fällt nichts Lustiges ein. Also nicke ich, was Jenny nicht sieht, weil Sie in der Chill-Out Zone nach einer Sitzmöglichkeit Ausschau hält. Wir haben Glück, denn Jenny findet eine Couch und macht einen unbeschreiblichen Satz auf ebendiese. Sie dreht sich um und liegt quer auf dem Rücken auf der Couch.

„Magst Dich auch setzen?“ fragt sie mich.

„Was heißt hier auch setzen? Wer sitzt’n hier? Du liegst rum wie so’n 50 jähriger Fließbandarbeiter der nach‘m zehnten Bier bereit is, Sportschau zu gucken… Und so liegen will ich nicht.“ Jenny schaut mich entsetzt an, muss aber gleich drauf heftig anfangen zu lachen. Ich lache mit und freue mich, dass ich das gesagt habe; freue mich, dass ich klare Gedanken fassen kann. Jenny lehnt sich an die eine Seite der Couch, zieht ihre Schuhe aus und zieht ihre Füße zu sich. „Komm. Hab Dir platz gemacht.“

Ich setze mich auf die andre Seite der Couch und nippe an meinem Caipirinha.

„Wie heißt Du eigentlich?“ werde ich gefragt.

„Jackie“, antworte ich „wie der Drink nur ohne Cola und Eis.“

„Cooler Name. Weißte… Fand Dich irgendwie sympathisch und Du sahst so süß verzweifelt aus, weil Du kein Getränk bekommen hast.“

„Aber ich hatte Erfolg“, gebe ich an und zeige demonstrativ meine Eroberung.

„Stimmt,“ bemerkt Jenny ,„dann…“ Sie zögert kurz. „Dann war das wohl falsch Dich anzusprechen.“

„Nein!“ unterbreche ich Sie in einer mir selbst nicht bekannten Art und Weise und greife in Affekt nach Ihrem Fuß. Ich ziehe sofort meine Hand zurück

„Sorry. Das wollte ich nicht“.

„Was wolltest Du nicht?“ Sie sieht mich fragend an.

„Deinen Fuß berühren.“ antworte ich leicht zögerlich.

„Aber da ist doch nichts dabei“, lacht Sie, beugt sich zu mir vor und kneift mir in den Po.

„Hey!“ schrecke ich auf.

„Siehst Du? Nichts dabei“, lacht sie mich an. „Hey… War doch nicht schlimm, oder?“ Ich schüttle den Kopf. „Scheisse, ist die cool“, denk ich mir.

„Was machste hier, mit wem biste hier?“ frage ich.

„Mich unterhalten mir Dir.“

„Nein, ich meine doch hier im Downtown.“ Jenny grinst mich wieder mit diesem unwiderstehlichen Grinsen an.

„Achso. Ich bin mit meiner BF da. Aber Sie flirtet grade mit so ‘nem komischen Typen, den ich unausstehlich find.“ Ich lächle Sie an: „Achso… und jetzt wolltest Du auch ein wenig flirten?“. Jenny lacht.

„Nein. Also auf Frauen steh ich nicht… Wollt Dich nur kennenlernen und n bissl quatschen.“ Mein Lächeln verstummt. „Oh… okay.“ Jenny schaut auch etwas ernster muss aber nach ein paar Sekunden wieder lachen.

„Du bist doch nicht etwas lesbisch?“ fragt sie mich.

„Wäre schlimm wenn‘s so wäre?“ frage ich ohne Jenny eine Antwort auf ihre Frage zu geben.

„Quatsch!“ antwortet sie. „ist doch cool. Außerdem ist‘s doch wirklich egal, was Du sexuell attraktiv findest, oder? Und ich find das ziemlich abgefah‘n, dass ich Dir gefalle… ich gefalle Dir doch?“ Sie schaut mich fragend an. Ich nicke und werde sehr offen: „Du hast ein sehr bezauberndes Lächeln, weißt Du das?“ Jenny wirkt plötzlich unsicher und dennoch entzückt.

„Danke“, sagt sie zögernd. „Das… das höre ich zum ersten Mal von einer Frau. Aber es klingt genau so schön wie von 'nem Kerl.“  Ich lächle weiter. Ich kann gar nicht anders als zu lächeln. Eigentlich wollte ich nur tanzen gehen. Mal wieder so richtig die Sau rauslassen. Dieses ganze Gefühlswirrwarr vergessen und rauslassen aus dem Körper. Entspannung, ja. Die Spannung entladen. Das Ende der Spannung und jetzt das. Spannung, aber eine andere Art. Eine wunderschöne Frau. Miss Lächeln. Vor mir und ich … ich vor ihr.

„Es gibt einige Dinge die von Frauen genau so schön sind wie von Männern“, fahre ich fort. „Zum Beispiel Unterhaltungen, Flirten, Umarmungen, Küsse und Lächeln… Lächeln wie Deins.“ Jenny schaut mich an. Ich glaube in Ihren Augen ein kleines Gefühlschaos zu erkennen. So etwas erkenne ich eigentlich sehr leicht, weil ich es jeden Tag in meinem Spiegel sehe. Heimvorteil sozusagen. Aber ich weiß auch was hilft: Leiden. Ich muss jetzt leiden. Ich muss loslassen, bevor ich sie total überfordere. Oder? Muss ich das?

„Soll ich gehen?“ frage ich sie.

„Nein, bleibe… bitte,“ antwortet Jenny. „Du musst mir noch erzählen wie das so ist… Das Unterhalten, das Flirten, das Umarmen…“ Kurze Pause. „Das Küssen.“ Boom! Hat Sie das wirklich gesagt? Bilde ich mir das nur ein, weil ich es hören wollte?

„Ich soll bleiben?“ frage ich also zögerlich mit Mut, Hoffnung… mit Vorfreude auf die Antwort von ihr, weil ich weiß und mir sicher bin, dass Sie das eben auch gesagt hat, was ich meinte gehört zu haben.

„Ja“, antwortet sie. Und da war es wieder. Das Lächeln. Ich könnte mich nur in dieses Lächeln verlieben. Ich könnte ein Bild davon machen und es in tausend Variationen in meiner Wohnung aufhängen. Im Schlafzimmer, im Wohnzimmer, in der Küche, im Bad… nein. Nicht im Bad. Das würde ich mich beobachtet fühlen, aber sonst überall.

„Erzähl mir mehr über das Küssen“, ergänzt sie ihren angefangenen Satz und fügt hinzu: „Schmeckt das wirklich nach Kirschlippenstift?“

„Nach Kirschlippenstift?“ frage ich etwas verwirrt.

„Ja“, antwortet sie, „so wie im Lied von Katy Perry.“

„Also ich nehme keinen Kirschlippenstift. Da muss ich dich enttäuschen. Ich nehme eigentlich fast nie Lippenstift. Labello nehm’ ich. Aber da auch den blauen.“ Ich warte ihre Reaktion ab. Es scheint keine Welt für Sie zusammenzubrechen. Sie nickt ein wenig. Ich muss lächeln wegen Ihrer Reaktion. Sie lächelt mit und muss dann lachen. Ich lasse mich anstecken. Schließlich sagt sie aus dem Lächeln heraus: „Du… ich benutze Kirschlippenstift.“

Jenny stütz sich auf, schiebt ihre Füße nach hinten und kniet jetzt auf dem Sofa. Sie faltet ihre Hände auf den Oberschenkeln und spielt ein wenig mit den Daumen. Ich sitze noch bequem in meinem Eck, eingekuschelt, den rechten Arm lässig auf der Lehne und stütze mit dem Linken meinen Kopf. Ich muss anfangen zu lachen. Scheisse, ich muss in einem der wichtigsten Momente meines Lebens einfach lachen. Aber es ist ein Bild für Götter. Sie kniet vor mir und ich liege da wie Graf Rotz oder irgend so ein römischer Feldherr, der auf seine Trauben wartet. Und statt Trauben kommt ein Lachen. Mist. Aber es ist ein ansteckendes Lachen, denn Jenny muss mitlachen. Ich merke wie sie mir aber mit jedem Lachen etwas näher kommt. Sie ist zwar noch weit weg aber ich achte akribisch darauf, ob die Luft nach Kirschen zu duften beginnt.

„Hey, hier steckst du also“, ruft plötzlich eine schrille Stimme von rechts. „Ich hab Dich schon überall gesucht.“

„Paula“, erkennt Jenny Ihre Freundin mit einem etwas enttäuschten Ton in der Stimme. „Warum suchst du mich?“

„Na, Tom und ich wollten heimgehen und Du bist ja mit uns gefahren. Also wollten wir Dich abholen.“ Jenny dreht ihre Hand leicht, damit Sie auf ihre Uhr schauen kann. Sie runzelt die Stirn und dreht sich zu Paula: „Du weißt, dass erst elf ist?“

„Ja. Aber wir haben keine Lust mehr. Hier ist irgendwie doof. Die Musik ist scheiße und die Cocktails schmecken heute nicht.“

„Ich find die Musik mal richtig geil“, entgegnet Jenny und nippt auffällig genüsslich an ihrem Caipirinha. Ich muss wegen Jennys Gesichtsausdruck Lachen. Schnell greife ich nach einem Kissen und halte es mir vors Gesicht. Paula dreht sich zu mir und mustert mich. Dann dreht sie sich wieder zu Jenny und fragt abwertend: „Was iss‘n das für eine?“

„Jackie. Hab Sie hier kennengelernt und haben uns gleich supi verstanden.“

„Aha“, begutachtet mich Paula nochmal. „Na komm schon. Wegen der willst ja net hierbleiben, oder?“ Ich lege mein Kissen weg. Viermehr… Ich werfe es in die Ecke und fauche sie an, dass Sie erschrocken aufschaut.

„Hey Du Schnalle, pass mal auf. Wenn Du einfach nur zu lang­weilig für den Laden hier bist, dann piss Dich weg und geh im Altenheim Bingo spielen aber verpeste hier nicht mit deinem Woolworth Ein-Liter-Vorteilpack-Parfum die Luft. Vor allem sollteste keine Leute dissen die Dir meilenweit überlegen sind.“

 Ich sehe wohl aus wie die Bösartigkeit in Person, habe die Augen nur einen Schlitzweit offen und würde am liebsten die Faust ballen und ihr so richtig eine reinschlagen. Paula breitet die Hände schützend vor sich, verzieht ihr Gesicht wie wenn Sie was richtig Ekliges gegessen hätte und geht einen Schritt zurück. Jenny wirkt auch etwas geschockt und setzt sich erstmal gerade hin. Vielleicht würde Sie gern lachen über meine Drohung aber dann würde Sie ja gegen Ihre Freundin spielen. Unter dem Beat der allgegenwärtigen Housemusik vergehen die nächsten Sekunden fast gar nicht. Wir schauen uns nur weiter an. Alle drei. Nach vielleicht fünf Sekunden greift Paula schließlich Jennys Hand und sagt: „Komm, wir gehen.“

Jenny steht auf, schaut mir aber nochmal in die Augen. Ich schaue Sie an und lese aus Ihrem Blick, dass sie traurig ist, dass ich so reagiert habe, dass ich ihre Freundin beleidigt und ihr den Abend versaut habe. Ich setzt meinen „Tut-mir-Leid“ Blick auf und meine ihn auch total ernst. Während ihre Freundin an Jenny zieht bleibt sie noch stehen und schaut auf mich.

„Jetzt komm schon“, faucht Paula.

„Warte bitte noch kurz“, kommt die Bitte als Antwort. Jenny lässt Paulas Hand los und setzt sich nochmal neben mich. Sie schaut mich mit großen Augen an und legt Ihre Arme um mich, drückt mich fest an sich und legt Ihre Hände um meine Oberarme. Ich umarme Sie auch, vergesse die Welt um mich herum für einen Augenblick, vergesse Paula, höre die Musik nicht und fühle mich, als könnte ich auf der Stelle losheulen. Jenny drückt ihren Kopf leicht an meinen und flüstert mir ins Ohr: „Magst Du, dass ich noch bleibe?“

Ich löse die Umarmung ohne ihre Hände loszulassen und schaue ihr lange ins Gesicht und nicke ganz leicht. Jenny erkennt meine Geste und fängt wieder an zu lächeln. Sie umarmt mich wieder und flüstert mir zu, dass ich auf sie warten soll. Dann steht sie auf und geht zu Paula, die leicht verwirrt vor der Couch steht und nicht kapiert, was ihre Freundin mit mir will. Jenny nimmt ihre Hand und geht mir ihr Richtung Ausgang. Ich verfolge die beiden so lange ich sie sehen kann mit meinen Augen, aber es dauert nicht wirklich lange ehe sie im Gewirr aus Menschen und im Dunst des Raumes verschwinden. Ich greife zu meinem Cocktail und lasse mich wieder ins Eck gleiten.

Es vergehen lange Minuten und ich glaube schon nicht mehr Jenny wiederzusehen, als plötzlich zwei Hände meine Augen verdecken und mich von hinten eine Stimme fragt: „Na, wer bin ich?“ Mein Herz pocht.

„Da muss ich raten“, antworte ich flott und genieße die Berührung in meinem Gesicht, die zarten, weichen Hände, die mich berühren.

„Na dann mal los. Dann rate mal, wer ich bin“ Ich gebe vor zu überlegen um etwas Zeit zu schinden, um die Berührung herauszuzögern.

„Heidi Klum?“ frage ich um eine Antwort zu geben. „Fast. Rate weiter.“

„Jenny Klum?“. Jenny nimmt Ihre Hände weg, lacht, macht ein Hohnkreuz um präsentativ ihre Hände zu halten, als würden Sie zwei Tabletts tragen. Ich drehe mich zu Ihr und sage: „Neeeee… Die Jenny. Die is ja noch hübscher.“

Wir müssen beide lachen. Sie springt mit einem Satz über die Rückenlehne der Couch und legt sich quer auf die Couch, ihr Kopf auf meinem Schoss als ob dieser ein Kissen wäre.

„So“, ihre Augen schauen mich erwartungsvoll an „jetzt erzähl mal alles, wirklich alles über dich.“

„Du willst wirklich alles wissen?“ frage ich nach und kann das Lächeln in meinem Gesicht nicht verbergen.

„Ja, alles“, grinst mir Jenny entgegen.

„Okeeeeee“, beginne ich mit einem der längsten Es die ich je benutzt habe. „ich mache seit 2 Jahren eine Ausbildung als Kauffrau im Gross- und Außenhandel, bin vor kurzem daheim ausgezogen, vor 4 Stunden am Türsteher vorbei und sehe seit 2 Minuten in die tollsten Augen der Welt.“ Ich beginne mit meiner rechten Hand über Ihre Haare zu streicheln. Es fühlt sich an wie Seide, so weich. Ich genieße es, streichle aber trotzdem nur ganz sanft wie eine Mutter ihr Baby.

„Erzähl mir mehr von den Augen“, fordert mich Jenny auf  und genießt sichtlich die Streicheleinheiten. Ich schaue sie weiter an und beginne

„Ich habe eigentlich nicht geglaubt, dass es Augen gibt, die mich so sehr faszinieren. Du hast so tolle Augen, so ein tiefes grün. Es wirkt so unnatürlich aber trotzdem so vertrauenserweckend, rätselhaft, magisch. Meinst du, dass man sich in Farben verlieben kann?“ Jenny nickt mit dem Kopf.

„Glaub ich schon. Ich bin gerade dabei mich in das Pink von Deinen Sommersprossen zu verlieben. Dabei hab ich nicht ge­glaubt dass ich mich in Sommersprossen verlieben könnt.“

„Magst meine zählen?“ frage ich grinsend.

„Ja. Alle“, antwortet Jenny.

„Okaaaaaay“ Ich ziehe wieder ein Wort sehr in die Länge um dann schnell zu sagen: „Das kannste ja nachher machen, jetzt gehen wir erst mal tanzen!“

„Jaaaaaaaaaaaaaa!“ Jenny schaut mich an ab würde sie mich fressen wollen und springt aus. Ich schaue ähnlich zurück und wir laufen Richtung Dancefloor. Wir tanzen bestimmt eine Stunde am Stück und verlieren weder die Lust noch die Ausdauer.

Gegen 2 Uhr stubbst mich Jenny an: „Du… ich wohn in Grünstadt und hab keine Ahnung wie ich dahin kommen soll. Kannst Du mich vielleicht nachher heimfahren?“ ich lache sie an.

„Ich? Ich hab doch keinen Führerschein und erst recht kein Auto und viel zu viel getrunken“. Jenny scheint plötzlich ganz nüchtern, Ihre Augen sehen wach aus und sie scheint im Kopf nicht mehr im Club zu sein. Sie schaut mich an und fragt mich etwas verwirrt: „Und wie soll ich heimkommen?“

Ich schaue sie an und lege als Reflex meine Hand auf Ihre. Wie selbstverständlich antworte ich ihr „Du schläfst bei mir und wir nehmen n Taxi“. Die Gesichtszüge von Jenny verwandeln sich wieder in ein Lächeln und sie nickt. Es ist eine Art nicken, das Erleichterung und Anspannung kombiniert.

„Dann“ Sie stockt. Holt nochmal Luft und sagt: „Dann möchte ich bitte jetzt fahren“. Ich schaue Sie an und ziehe durch meinen Strohhalm den letzten Rest Caipirinha. Ich sehe Ihr in die Augen, noch etwas geschockt weil Sie nicht widersprochen hat. Aber  während ich „Dann lass uns raus gehen“ sage, gehen wir schon Hand in Hand in Richtung Ausgang. Wir holen unsre Jacken, verabschieden und beim Türsteher, der etwas verdutzt schaut und… Regen.

„Och nee… Warum regnet‘s denn jetzt?“ seufze ich.

„Is doch geil“ findet Jenny und zieht ihre Jacke wieder aus. Die Tropfen fallen auf ihre Schulter und perlen sanft ab Plötzlich ruft Jenny „Taxi“ und deutet wie wild auf ein vorbeifahrendes Taxi. Ich rufe auch wie wild nach dem Gefährt und der erstaunlicher bemerkt uns der Fahrer und fährt rechts ran. Jenny und ich stürmen zum Taxi und steigen ein.

ich verabschiede mich nach innen.

 

Aus: Jackie’s Guide to Living, Kapitel 59: “Kirschlippenstift, Lipsmacker, Make-ups und der Rest”

Was macht eigentlich ein gutes Make-Up aus? Auffallen ohne aufzufallen? Es gibt so viele Make-Up Artists, die sagen, wie es genau auszusehen hat, dass eh keiner mehr weiß, was richtig ist. Sendungen wie Deutschlands nächstes Supermodel unterstreichen das dann noch mehr. Ich bin nicht die geborene Make-Up-Queen. Ich benutze nicht viel und versuche es immer dem Anlass anzupassen. Okay: Foundation, Conceiller, Powder… und dann? Eyeliner, Lidschatten, Lippenstift, Nägel lackieren? Und welche Farben? Ich finde bei den Grundprodukten ist weniger mehr und teuer besser. Muss ja nicht immer so sein, weil ein günstiger Lidschatten kann auch toll aussehen. Und Wimperntusche muss wirklich nicht 35 Euro kosten. Das kann ich mir mit meinem Job eh nicht leisten. Also… Ich gebe mein Geld hauptsächlich für Foundations aus und der Rest ist überschaubar. Eine kleine Palette mit Lidschatten und drei Lippenstifte sind nicht wirklich viel. Wobei ich sagen muss, dass ich bei Lippenstiften auch die eher teureren Produkte wähle, weil ich den „ich lass meinen Lippenabdruck auf jedem Glass“ Effekt so gar nicht mag. Aber manchmal reicht auch einfach ein Labello. Kirschlippenstift habe ich übrigens keinen gekauft, aber ich überlege die ganze Zeit, ob ich mir den Fanta Lipsmacker holen soll…

Aber wenn wir schon in der Parfümerie vor den Make-Ups stehen, können wir ja ein paar Schritte in Richtung Ausgang gehen zu den Parfums. Das ist eine eigene Religion. Ich meine… es gibt so viele die furchtbar duften und mindestens die Hälfte riecht „normal“. Dieser normale Parfümduft, den viele tragen – eben nur mit ein paar Nuancen unterschied.

Wieso denn das? Ich will jetzt hier keine Werbung machen, aber es gibt ein paar, die ich ziemlich cool finde. Wenn ihr das nächste Mal ins hellblaue Geschäft geht, dann haltet doch mal eure Nasen dran. Und nicht vergessen – nach jedem Duft an Kaffee riechen. Das hilft echt. Ich hab‘s auch nicht glauben können. Fragt mich aber nicht nach chemischen Effekten oder wieso das so ist. Ich hab nur Realschule und wenn ich mehr hätte, wüsste ich’s auch nicht… Also… Wenn ihr es wisst, behaltet es für euch.

Für den Sommer würde ich euch raten mal am CK one Summer zu duften. Und wenn ihr irgendwo noch die 2004er Edition auftreiben könnt, an der. Find das riecht superfruchtig-frisch und ist nicht aufdringlich. Steht meistens bei den Männerparfums, ist aber unisex.

Aber mal ehrlich. Ob Männerduft, Frauenparfum oder Unisex. Das ist doch echt egal. Hauptsache, es duftet gut, oder? Manchmal glaube ich sowieso, dass die das Label vertauscht haben… oder den Flascheninhalt – ganz wie ihr wollt…

Wie wärs dann mi dem Loud von Thommy Hilfiger. Find ich auch ganz cool. Den Frauenduft mag ich etwa mehr und wieso der Loud heißt, weiss ich nicht. Find der hat die normale Lautstärke.

Wenn ihr mal Prinzessin sein wollt, dann probiert doch auch mal den Lancôme Tresor in Love. Ich denke so muss eine Prinzessin duften und riecht echt zum dran lecken… Is dann aber doch wieder bitter.

Zum Schluss gibt es noch ein paar nette Düfte von Pacco Rabbane. Ich weiß leider nicht mehr genau, welcher mir am besten gefallen hat. Vielleicht hätte ich das wirklich recherchieren sollen, bevor ich das hier aufschreibe? Egal. So viele gibt es da nicht und ich finde ihr könnt mich nicht die ganze Arbeit machen lassen. Also findet selbst raus, welcher es ist.

So. Und jetzt natürlich noch der Jackie Tipp Nummer eins für Parfums. Immer rechtzeitig kaufen, weil dann kriegt ihr die Sonderangebote mit Duschgel und Bodylotion zum gleichen Preis wie die Einzelflasche.

Ich sehe – wir verstehen uns.

Taxi

„Woohi gehd’s?“ fragt uns der Taxifahrer mit gleichgültiger Stimme. Er ist um die 50, hat eine karrierter Franzosenkappe auf und schätzungsweise 2 Döner zum Abendessen gehabt. „Mannheim-Rheinau“, sage ich „ohne Umwege bitte“ Bevor er sich auch nur über meinen Spruch aufregen kann, muss ich losprusten. Jenny prustet mit, zieht ihr Bein hoch und versteckt ihre Hände hinter seinem Gesicht.

„Mach ich schun net. Brausch kä Angscht hawwe“, antwortet mir der Taxifahrer im tiefsten Mannheimer Dialekt. Ich dreh mich zu Jenny und zwinkere mit dem rechten Auge, dann dreh ich mich wieder nach vorne und entgegne: „Isch hab schun kä Angst. Weil isch bin jo vun do.“ Jetzt muss selbst der Taxifahrer schmunzeln. „Ok. Dann fahr isch direkt uff die Rheinau.“

Ich lehne mich erschöpft nach links und lege meinen Kopf auf Jennys Schulter und flüstere ihr zu : „Das haben wir geschafft“.

„Ja“, antwortet sie „dank deiner Fremdsprachenkenntnisse“ und lächelt wieder. Ich drehe meinen Kopf zur Seite und gebe ihr einen kleinen Kuss auf die Schulter. Dann drehe ich mich wieder in die bequeme Kopf-auf-Schulter Position. Jenny schaut zu mir, etwas verwundert und fragt mich: „Hast Du mich grad geküsst?“ Ich habe inzwischen die Augen geschlossen und sage einfach nur noch ein leises „ja“. Jenny scheint für den Moment mit der Antwort zufrieden zu sein, legt ihre Hand auf meine Schulter und betrachtet mich bis wir bei mir sind. Ich döse eine wenig und geniesse die Hand auf meiner Schulter während wir durch die Mannheimer Nacht fahren. Das nächste Geräusch, das ich wahrnehme ist die Stimme unsres Taxifahrers, der nüchtern „38 Euro“ sagt. Ich öffne meine Augen, schaue zu Jenny. Sie schläft und sieht dabei so süß aus. „38 Euro bitte“, wiederholt Opa Fahrdienst seinen Satz. „Ja, schon gut. Das Geld darf ich aber schon noch rausholen?“ frage ich leicht genervt ob der Hektik die er um diese Uhrzeit verbreitet. Ich krame im meiner Geldbörse und gebe ihm 40 Euro.

„Kauf Dir n Döner vom Rest“ werfe ich ihm etwas sarkastisch an den Kopf. Er versteht nicht, was ich meine und fragt, ob wir eine Quittung brauchen. Ich schüttle den Kopf und rüttle an Jenny’s Schulter. Erst ganz zart, dann – als sie noch keine Anstalten macht, wach zu werden – etwas fester. Schließlich öffnet sie die Augen. Erst einen kleinen Schlitz, dann halb. Sie sieht mich an und lächelt: „Dann war das doch kein Traum?“ – Ich schüttle wieder den Kopf.

„Komm, wir sind da.“ Ich öffne die Tür und steige aus. Ich brauche eine kurze Zeit bis ich mein Gleichgewicht finde aber es gelingt mir schließlich. Ich schließe die Tür und gehe um das Taxi herum, um Jenny die Tür aufzuhalten. „Danke“ lächelt sie mich an und steigt aus. Auch sie hat Probleme sich auf den Beinen zu alten und muss sich an mir festhalten, damit Sie nicht umfällt. Wir müssen beide wieder lachen. Als Jenny den Stand gefunden hat, schließe ich die Tür und unsere fahrende Dönerbude macht sich auf den Weg.

„Wo wohnst Du?“ fragt Jenny. Ich nehm sie in den Arm und drehe Sie auf dieses dreistöckige grüne Haus direkt vor uns. Ich strecke meinen Finger auf das oberste Stockwerk und sage voll Stolz „Siehst Du den Balkon mit den beiden Palmen?“

„Ja.“

„Dort wohne ich. Komm lass uns hoch gehen“. Jenny nickt und legt ihre Hand um meine Hüfte.

„Dann lass uns hochgehen.“ 

Umschlungen wie ein Pärchen gehen wir zur Eingangstür, vorbei am kleinen Grünstreifen, am Busch, in dem im Sommer immer ein erhöhtes Insektenaufkommen ist und an der Tiefgaragen­einfahrt.

„Du – ich muss dich leider n Moment loslassen, weil ich den Schlüssel holen muss“, entschuldige ich mich bei Jenny.

„Das is okay, wenn ich dafür oben dann noch n Bier krieg.“

„Das ist ja wohl logisch.“ lächle ich. Ich krame in meiner Jacken­tasche und hole den Schlüssel heraus. Erstaunlicherweise finde ich das Schlüsselloch sofort und öffne die Tür. Ich drücke die Tür auf und greife sofort mit der anderen Hand nach Jennys Hand: „Komm, ich zeig Dir welches Stockwerk.“ Jenny schaut am Anfang etwas verwundert, lässt sich dann aber gerne von mir abschleppen. An der Wohnungstüre muss ich sie wieder kurz loslassen aber sofort als ich die Türe öffen habe, greife ich wieder nach Ihrer Hand und frage angeberisch: „Rundgang?“

„Na logo. Ich will doch sehen wie Du so wohnst“, entgegnet Jenny, die sich gerne meinem Angeben hingibt.

„Okay… Hier ist also meine Diele.“

Ich zeige Jenny meine Garderobe und mein Garderobenregal. „Hier sind meine Jacken, meine Schals und n kleiner Teil meiner Schuhe“, erkläre ich. Jenny schaut auf meine weißen Dielenmöbel und muss lachen.

„Hey. Zeig mir das morgen, ok? Du hattest mir ein Bier versprochen. Bringst Du mir eins?“ Leicht enttäuscht stimme ich zu.

„Ich hol uns eins. Kannst Dich ja schon mal auf die Couch setzen.“ Ich deute auf meine zwei hellgrauen Ikea-Couchen. Jenny geht zur ersten Couch und lässt sich faul drauf fallen. Ich muss lächeln, drehe mich aber ab und gehe in die Küche. Ich hole zwei Bier aus dem Kühlschrank und rufe ins Wohnzimmer

„Auch was essen?“

„Ne, danke.“

Also öffne ich die beiden Flaschen und bewege mich wieder ins Wohnzimmer. Jenny liegt auf der Couch und zieht gerade ihre Schuhe aus. „Is doch okay, dass ich die Schuhe ausziehe“, fragt sie. Ich gebe ihr das Bier, nehme aus meinem einen kleinen Schluck und entgegne frech: „Ist auch okay, wenn Du Dich ganz ausziehst“. Jenny nimmt einen Schluck aus ihrer Flasche, nimmt die Brille in die Hand, um sie auf meinen Tisch zu legen. Ich beobachte Sie dabei wie wenn ich etwas lernen möchte, aber eigentlich bin ich nur fasziniert von ihr. „Ok“ sagt sie nach kurzem Zögern und öffnet den Reisverschluss ihres Hoodies. Bevor ich auch nur eine Regung zeigen wirft sie ihn in die Ecke des Raumes und grinst mich an.

„Stoooop!“ rufe ich und Jenny stoppt. Sie schaut etwas irritiert und ich muss erst einmal einen großen Schluck nehmen. Ich trinke die Flasche halb leer und betrachte sie. Eine wundervolle Figur, sportlich und schlank. Ein camouflagefarbener BH passt wunderbar zu der leicht gebräunten Haut. Sie hat einen kleinen Leberfleck im Dekolletee. Ich liebe ihn. Ich mustere das hübsche Mädchen, das in meinem Wohnzimmer steht und auf eine Regung meinerseits wartet. Ich kann mich im Moment nicht bewegen, stehe wie angewurzelt. Jenny fragt mich, ob alles okay mit mir sei. Ich nicke.

„Warte, ich mache etwas Musik an, ok?“ frage ich sie letztendlich. Jenny nickt, also gehe ich zum Radio und schalte ihn an. Es läuft eine Clubsendung und gerade „Don’t you worry child“ von der Swedish House Mafia. Ich setze mich fürs Erste auf die Couch. Jenny beginnt zu tanzen. Ich schaue ihr beim Tanzen zu und merke wie ich innerlich unruhig werde. Ich fühle mich wie vor einer Prüfung. Vor der wichtigsten Prüfung meines Lebens - und ich habe vergessen zu lernen. Ich schaue lieber noch etwas fern anstatt zu lernen. Und im Fernsehen tanzt eine wunderschöne Frau. Wie vor meinen Augen. Sie streckt die Arme in die Höhe und bewegt ihr Becken zum Beat. Dabei schaut Sie mich mit ihren funkelnden Augen an, als wäre ich ein Eisblock, der schmelzen müsste. Sie nimmt die Arme herunten ohne auszuhören zu tanzen, nimmt sich ihr Bier und trinkt einen Schluck.

Ich werde durstig beim zusehen, wie sie das Bier an ihre Lippen führt und diese leicht benetzt…

„Hast Du was dagegen, wenn ich mein Shirt ausziehe? Es ist so heiß hier…“ fragt sich mich und reißt mich aus der Slow-Motion, die meine Gedanken noch immer völlig vereinnahmt hatte.

„Natürlich. Aber gaaanz langsam,“ grinse ich sie an. „So richtig sexy bitte.“ Ich muss grinsen. Mist. Wieso muss ich dabei grinsen. Vielleicht kann ich doch nicht so cool sein wie ich will. Fuck off. Ist doch egal, weil vor mir dieses süße Dings tanzt wie in der Fernsehwerbung und ich bin da Publikum. Ich lächle also… und ich lächle gerne.

Jenny lächelt und beginnt noch langsamer zu tanzen, ihre Hände bewegen sich in Zeitlupe über ihren Körper. Sie streicht über ihr gelbes Shirt mit dem Aufdruck "New Girl in Town", streift es ein wenig hoch und ihr perfekter Bauch ist unter dem Shirt zu erkennen. Sie lässt Ihr Shirt wieder langsam herunter gleiten, lächelt verschmitzt und hebt ihren Finger. Sie bewegt ihn langsam hin- und her, um mir zu zeigen: Jetzt noch nicht. Mein Herz pocht mit jedem Beat der Musik, mit jeder Bewegung von Jenny. Während sie weitertanzt bewegt sich mein Verstand in einen Trance. Ich will ihren tollen Bauch wieder sehen. Ich will aufstehen aber bin wie angewurzelt. Ich will sehen, fühlen, spüren. In diesem Moment berühren Jennys Hände wieder das Shirt und stülpen es über Ihren Bauch. Ihr wunderschöner Bauchnabel kommt zum Vorschein. Ich liebe ihn. Und er bewegt sich im Takt so schön. Ich bin verliebt in ihn. Sie hebt Ihr Shirt weiter hoch und ich kann ihren pinkfarbenen BH sehen. Wieder lässt sie ihr Shirt langsam fallen. Ich schaue ein wenig traurig, bin trotzdem total aufgeregt, erregt, spüre, wie ein Herz Ping-Pong spielt. Sie fixiert mich mit ihrem Blick, lächelt verträumt, verspielt, verschmitzt. Dann hebt sie tänzelnd ihr Shirt über den Kopf und wirft es verführerisch in meine Richtung. Ihr pinkfarbener BH kleidet sie wie ein Model auf einer Modenschau – nein. Er kleidet Sie wie ein Covergirl. Ein Covergirl für mich heute Abend. Meine ganz persönliche Covergirl-Stripteasetänzerin.

Ich will aufstehen und zu ihr gehen, aber sie kommt zu mir getänzelt und wirft mich zurück, schaut wie eines dieser verführerischen Mädchen, macht einen Schmollmund und zeigt mir wieder mit dem Finger „Nein“ an. Meine Enttäuschung bleibt eine Momentaufnahme, denn gleich bin ich wieder Feuer und Flamme für die Show. Meine Show. Sie reckt langsam zur Musik ihre Hände in die Höhe – eine Choreographie so schön und anmutig und sexy… Dann fährt sie mit den Händen langsam über ihren Kopf, Hals, ihre Brüste und Bauch herab. Sie bewegt ihre Hände auf den Rücken und öffnet langsam ihren BH. Sie legt ihren Arm über die Brüste als sie mit dem anderen besagtes Kleidungstück zu mir wirft. Sie presst ihren Arm so sehr an ihre Brüste, dass diese weggedrückt werden und so sexy aussehen.

Hypnotisiert von dem Anblick streife ich mein T-Shirt über den Kopf und werfe es auf die Couch. Jenny schaut mich elektrifiziert an, fordert mich mit ihrem Blick auf auch meinen BH abzulegen. Ich verstehe ihren Blick, lächle erotisiert und entkleide mich langsam vor ihr. Die Musik spielt nicht mehr, aber ich bewege mich auch wie im Trance, denn ich höre sie noch spielen. Wahrscheinlich spielen die Schmetterlinge in meinem Bauch eine Symphonie oder zumindest einen Bohlen-esque Popsong. Das ist mir in diesem Moment egal. Ich spüre nur Elektrizität, Lust, Verlangen. Ich ziehe meine Hose aus indem ich elegant die Hüften schwinge, so dass sogar ich das Gefühl habe, als würde es sexy und erotisch wirken. Meinen Slip streife ich gekonnt ab und stehe nackt in meiner ganzen Schönheit vor Jenny.

Ich bewege mich nicht. Ich schaue sie an. Ich schaue sie an und sage ihr mit meinem Blick, dass Sie bitte zu mir kommen soll, mich umarmen soll, mich küssen soll. Sie versteht mich und kommt zu mir. Sie lässt ihre Arme fallen und ich kann ihre Brüste sehen, so schön wie gemalt, so genau richtig. Die Form, Größe, Farbe. Ich bin verliebt. Nicht nur in den Bauchnaben, auch in ihre Brüste. Ich umarme sie, umklammere sie als sie in Reichweite ist und küsse sie innigst auf den Mund. Unsere Zungen finden sich bald und liebkosen sich während unsere Hände unsere Rücken streicheln.

In diesem Moment öffnet sich die Tür und wir schrecken auf und schauen erschrocken auf die Person, die steif wie ein Stock dort steht und uns total geschockt ansieht. Meine Lust verwandet sich direkt in einen Schock. Meine Nippel werden hart und mein Unterleib verkrampft.

Jenny schaut mich an und fragt leise „Wer ist denn das?“ wohlwissend und meinen Gesichtsausdruck interpretierend, dass es nichts Gutes bedeutet. Ich schaue zur Tür, nackt und mit Kirschlippenstift auf meinen Gesicht und antworte nüchtern und resigniert: „Meine Freundin.“

„Scheiße,“ sagt Jenny leise während Britt uns mit den Augen fixiert und ein schnippiges „Stör ich?“ in die Runde wirft. „Ja!“ will ich sagen aber sage es natürlich nicht. Stattdessen antwortet Jenny: „Natürlich nicht. Ich wollte eh grade gehen.“

„Du wolltest eh gerade gehen?“ fragt Britt zurück.

„Ja. In dem Moment“

„So wie Du bist wolltest Du grade gehen? Dann weißt Du was, Du Schlampe? Dann halt ich Dich nicht auf.“ Ihre Stimme wird lauter und bestimmter, sie schreit. „Hau ab, sofort oder du wirst hier rausgetragen“

Jenny ist geschockt. Sie dreht sich zur Couch um, um ihre Sachen zu suchen. Shirt, BH, Schuhe.

„Nein!“ unterbricht Sie Britt. „Du wolltest grade gehen. Hier ist die Tür. Hau ab! Hau ab! Hau endlich ab!“.

„Wow,“ denk ich mir. Das wird nicht gut enden. Ich bin auf einmal total nüchtern aber wieder paralysiert. Diesmal nicht von einem sexy Body sondern vor Angst.

„Ich kann doch so nicht auf die Straße!“ faucht Jenny zurück.

„Doch! Kannst Du wohl!“ Britt geht auf Jenny zu, packt sie an den Haaren und schleift sie zur Tür. „Sei froh, dass ich Dir die Hosen lasse, Du dreckige Fotze!“ Britt schubst Jenny aus der Tür dass diese im Hausflur hinfällt, dann knallt sie die Tür zu.

„Und jetzt zu Dir Du beschissene blöde Drecksau! Was fällt Dir eigentlich ein? Mich mit einem so billigem Flittchen zu bescheissen? Hä? Los! Sag was!“. Britts Augen töten mich. Ich habe Angst. Ich habe sie so noch nie erlebt. Ich befürchte, dass ich bald eine Ladung Schläge abbekomm'.

„Tut mir so leid“, sage ich ganz leise, nach unten auf den Boden blickend, Augenkontakt vermeidend. „Aber es war ja nichts.“

„Es war ja nichts?“ schreit mich Britt an. „Du hast gottverdammt nichts an und die Scheisstusse nicht viel mehr. Das ist nichts? Gott! Hör Dich reden, Du…“

Sie fällt auf die Knie. Sie fängt an zu weinen. Sie fängt an krampfhaft zu weinen, schluchzt, fragt mich „Wieso tust Du mir das an? Seh ich so scheisse aus? Macht’s dir so wenig Spaß mit mir?“

„Nein“, entgegne ich sofort, immer noch leise. Aber das löst nur eine weitere Heulattacke aus. Mir gehen tausend Gedanken durch den Kopf. „Wie krieg ich das wieder hin?“ „Was kann ich tun?“ „Was macht Jenny ohne Klamotten?“ Stopp. Ich muss meine Gedanken ordnen. Scheisse. Bin ich so ein Arschloch, dass ich genau jetzt denke, was Jenny ohne Klamotten da draußen macht?

Ich gehe auf Britt zu, versuche sie zu umarmen, sie zu berühren, ihr ein wenig Menschlichkeit zu geben, die ich doch in mir habe. Sie stößt mich weg, schaut mich wütend, traurig, verweint an. Ihr Lidschatten und der Kayal haben einen schwarzen Fleck der Trauer auf ihre Wangen gezeichnet. Sie kniet, stützt sich mit ihren Armen ab und schaut mich an, als ob sie mich jede Sekunde attackieren würde – wie ein angefahrener Hund oder eine gehörnte Freundin.

Ich versuche es nochmal, gehe auf sie zu. Als ich in Reichweite bin, bekomme ich eine kräftige Ohrfeige von ihr. Schmerzhaft und schmerzverzerrt bleibe ich stehen. „Bitte“, flehe ich Britt an. „Bitte… verzeih mir“. Inzwischen laufen auch mir Tränen über die Wangen. Ich hebe meine Hand and der Stelle, an der sie mich getroffen hat und schaue sie verzweifelt an. „Bitte“.

„Du blödes dummes Arschgesicht.“ Sie ballt ihre Fäuste. Ich suche Deckung hinter meinen Händen, schließe die Augen kurz und warte den Aufprall ab. Kein Aufprall. Ich öffne die Augen. Britt steht auf. Sie wischt sich mit ihren Händen die Tränen weg, verwischt das Makeup noch mehr und geht zur Tür.

„Nein“ sage ich und stehe ebenfalls auf. „Du darfst jetzt nicht gehen“.

„Du hast nicht das Recht mir zu sagen, was ich tun und lassen soll. Nicht mehr.“ Faucht sie zurück.

„Bitte“, flehe ich sie an. „Bitte geh nicht. Lass uns drüber reden. Ich hab Scheiß gebaut, aber bitte laß' uns drüber reden.“

„Es ist vorbei. Ich will Dich nie mehr sehen“. Sie öffnet die Tür und geht hinaus. Ich renne ihr hinterher, versuche sie im Hausflur zu fassen. Sie wehrt mich ab und stößt mich nach Hinten.

„Ich hab gesagt: Es ist vorbei.“ Keift sie mich an und geht aus der Haustür. Ich renne ihr ohne nachzudenken nach, klammere mich auf der Straße an sie.

„Laß’ mich los oder es passiert ein Unglück“, attackiert sie mich mit einer Kälte, die die Hölle hätte zufrieren lassen.

„Nein!“ schreie ich. „Ich lasse Dich nie los.“

Ich merke, wie ich im nächsten Moment einen Schlag abbekomme und auf dem Bürgersteig lande. Als ich nach ein paar Sekunden wieder die Situation einschätzen kann, ist Britt nicht mehr da. Ich ziehe meine Beine an den Körper und weine. Ich weine bitterlich, nackt, im Regen, auf dem Bürgersteig. Nach ein paar Minuten und nach einigen irritierten Passanten schleiche ich wieder in meine Wohnung. Sie ist leer. Ich bin es auch.

Ich setze mich auf mein Bett und weine. Ich denke, sinniere und überlege aber komme zu keinem Ergebnis. Ich überlege, ob es nicht besser wäre, wenn ich einfach mit einem Messer die Pulsadern aufschneiden sollte. Dann wäre es vorbei. Kein Schmerz. Nicht mehr dieses beschissene Leben… oder soll ich.

Ich weine die ganze Nacht neben dem Messer und schlafe erschöpft gegen neun Uhr ein.

Falsche Ansichten

Ich wache gegen 5 Uhr abends auf, verkatert und mit einer völligen Leere im Kopf. Ich öffne die Augen, sehe erst einmal alles verschwommen. Mein Kopf schmerzt und meine Gedanken sortieren sich zu langsam. Ich schaue zum Fenster. Es regnet immer noch. Ich versuche mich hinzusetzen. Dabei fällt mir ein pinkfarbener BH in die Hände. „Scheisse“, denk ich „nicht geträumt. Aber das war ja klar.“

Mein Blick schweift im Zimmer umher und erblickt auch bald die Schuhe und das Shirt von Jenny… Jenny – So war ihr Name. „Britt!“ schießt es mir durch den Kopf. „Scheisse! Scheisse! Scheisse!“ Ich schaue mich weiter um in der verzweifelten Hoffnung etwas zu finden, dass auf einen beschissenen Traum hindeutet und nicht auf die Realität. Leider finde ich nichts. Ich entdecke stattdessen das Messer, auf welches ich gestern Nacht stundenlang eingeredet habe, dass es mich nicht aufschlitzt. Ich nehme es in die Hand. Was wäre, wenn jetzt alles weg wäre? Keine Freunde, keine Sorgen, keine Arbeit, keine Eltern, keine… keine Jaqueline. Mit einem Schlag wäre das Nichts da. Keine Existenz. Nichts, was in einem Jahr darauf hindeuten würde, dass ich je gelebt habe. Ich hinterlasse keine Gedichte, Lieder, Skulpturen, Zeichnungen. Kein Stern ist nach mir benannt. Nicht im Himmel, nicht auf dem Walk of Fame. Und wer würde traurig sein, wenn ich nicht mehr bin? Britt? Sie hat mir gesagt, dass wir uns nicht mehr sehen werden, dass ich Niemand mehr für sie bin und aus ihrem Leben verschwinden soll. Wäre es nicht leicht ihr diesen letzten Wunsch zu erfüllen? Ich schaue auf das Messer. Meine Eltern. Ich habe Sie ewig nicht gesehen. Gebrochen mit Ihnen. Das scheint mein Schicksal zu sein. Mit Leuten zu brechen. Liegt das an mir? Bin ich an allem Schuld oder ist es einfach das Leben? Kann ich etwas daran ändern und … oder will ich das überhaupt? Und was kann ich ändern? Ich kann es beenden. Ich schaue auf das Messer und muss zu heulen anfangen. Ich schaue es mir an. Wenn Du jetzt eine Pistole wärst, würde ich mir eine Kugel in den Kopf jagen. Kurz, schmerzlos. Aber ein Messer. Aufschlitzen, ausbluten? Scheisse… Ich bin zu sehr Prinzessin für einen Suizid. Was für Möglichkeiten hab ich noch? Die Eisenbahn. Ich könnte vor einen Zug rennen. Aber das würde ich auch nicht schaffen. Von einer Brücke springen? Ertrinken? Hochspannungsleitung? Es gibt so viele Möglichkeiten der aktiven Selbststerbehilfe… Und ich bin zu schwach für alles. Ich bin zu schwach zum Sterben.

Was soll ich machen? Soll ich meiner besten Freundin den letzten Wunsch unserer großartigen tollen langen innigen Freundschaft erfüllen und mich nicht Bemühen um uns zu kämpfen? Und was ist mit unserer Beziehung? Scheisse. Beziehung und beste Freundin in einem geht nicht. Ich sinniere über das Leben über intellektuelle Themen… mit mir selbst. Inzwischen ist es fast sechs Uhr. Ich sitze immer noch auf dem Platz, auf dem ich aufgestanden bin. Ich nehme Jennys Shirt und schnuppere daran. Es riecht nach einer verpassten Gelegenheit. Es riecht nach der größten Katastrophe in meinem Leben. Vertrauensbruch. Nach ihren wundervollen Brüsten, nach zwei Enden in einem. Ich lege es zusammen und danach auf den Tisch. Daneben bewahre ich ihren BH auf. Es sieht aus wie ein Schrein. Werde ich sie wiedersehen? Ich denke nicht. Das muss ein ziemlicher Schock für sie gewesen sein heute Nacht. Ob Sie nach Hause gekommen ist? So ohne Klamotten. Ich erinnere mich an meine eigene Geschichte… Ich hab‘s auch geschafft… und wenn ich es schaffe, dann schafft das ja wohl jede. Will sie mich wieder sehen? Will ich sie wieder sehen? Will ich irgendjemanden wieder sehen? Britt? Was mache ich, wenn ich Britts Eltern auf der Straße begegne? Tausend unsinnige Frage gehen durch meinen Kopf. Ich gehe zum Kühlschrank und schenke mir einen Apfelsaft ein. Ich trinke und beschließe meine Gedanken bei einem Spaziergang zu sortieren. Dieser Raum hier enthält zu viele Erinnerungen, Erinnerungen an gestern Nacht. An zu viele Nächte. Sex. Ich muss raus. Es regnet zwar, aber das macht mir nichts. Ich gehe ins Bad. Demake-up. Runter mit dem Zeug von letzter Nacht. Ich ziehe mich an. Meine Jacke zum Schluss. Ich gehe raus und Richtung Straßenbahnhaltestelle. Einfach in die City fahren. Regen und Leuchtreklame bilden eine tolle Atmosphäre für andere Gedanken.

 

Aus: Jackie’s Guide to Living, Kapitel 60: “Mannheimerisch für Anfänger”

Ihr könnt die Leute hier nicht verstehen? Uns? Jetzt aber mal ehrlich. Ihr habt recht. Als Zuhörer, Zugewanderte und andere Genossen muss ich euch einen kleinen Guide to Mannheimerisch geben. Okay. Mit was wollen wir denn anfangen? Ihr seid gerade am Hauptbahnhof angekommen und habt Hunger und wollt zu einem türkischen Imbiss? Das geht so: „Heah! Longa, kannsch ma mol sage, wu’s zur neggschte gude dönabuud geht?“ Auf Deutsch heißt das so viel wie: „Hallo werter Herr. Können Sie mir bitte erklären, wie ich zum nächstgelegenen, guten türkischen Imbiss komme?“ Wie ihr seht… Das klingt nicht ähnlich – Aber hier die wichtigsten Regeln: 1) Jeder Satz fängt mit „Heah“ an. Das ist Pflicht. Damit erkennen die Leute, dass jemand was sagen will. 2) Alle heißen „Longa“. Im Zweifel auch „Koaza“ für kleinere Menschen wie mich. Es kommt dabei darauf an, ob die entsprechende Person länger oder kürzer ist 3) Immer die Du – Form verwenden. Sonst ist das unstimmig. Natürlich gibt’s nicht nur türkische Schnellrestaurants, sondern auch Kärriworscht (Currywurst) Wenn ihr dann gegessen habt, habt ihr sicher Lust etwas zu trinken. Das geht so: „Heah, Longa, kannsch ma mol verkliggere, wu isch jeds noch äna zische kann?“ Nicht verstanden? Ist doch einfach. „Hallo werter Herr. Ich benötige eine Information, wo ich meinen Gaumen benetzen kann.“ Danach habt ihr noch die Auswahl, ob ihr „Maurerpiss“ (Export-Bier), „Abbelsaftscholle“ (gespritzer Apfelsaft) oder „Pennaglick“ (Süßer billiger Wein aus dem TetraPak) trinken wollt. Dann macht ihr noch einen kleinen Rundgang vom „Wassaturm“ (Wasserturm) durch die „Kwadrade“ (Quadrate) zur „Neggaspitz“ (Wo der Neckar in den Rhein fließt). Danach müsst ihr eigentlich nur noch das Getrunkene loswerden: „Heah! Longa! Hab isch n Drugg uff dä Bloos. Isch brauch dringend n Abodd oder muss mol wuhi strullan.“ Das heißt einfach: „Hallo werter Herr. Ich habe zu viel getrunken und benötige nun eine Toilette.“ Seht ihr? Jetzt könnt ihr hier leben und euch verständigen. Ist doch gar nicht so schwer gewesen, oder? Ach ja… Bevor ich es vergesse. Wenn ich auf weibliche Wesen trefft (die hier sehr reizend und wunderschön sein können), dann müsst ihr natürlich die weibliche Form von „Longa“ verwenden. Diese heißt „Longi“. Oder eben „Koazi“. Das bin nämlich ich.

Ich sehe, wir verstehen uns. 

Niemalsland

Ich steige an der Haltestelle Alte Feuerwache aus. Ein großer Platz, ein cooler Treff, Jugendtheater und schlechte Cocktailbars. Ich überlege kurz ob ich mir einen völlig überzuckerten Strawberry Daikiri erlauben soll, entscheide mich dann aber doch dafür über die Kurpfalzbrücke in die Stadt zu gehen. Es ist halb acht. Die Läden haben noch eine halbe Stunde offen. Aber ich habe keine Lust auf Einkaufen. Stattdessen setzt ich mich in den McDonald’s. Ich habe mir einen Cappuccino geholt und schaue aus dem Fenster. Meine nasse Jacke habe ich neben mich gelegt. Der Cappuccino ist der erste gute Geschmack, den ich heute schmecke. Vielleicht schafft er es das taube Gefühl wegzuspülen.

Ich beobachte die Menschen, wie Sie mit den Einkaufstüten durch die Straße rennen in der Hoffnung nicht nass zu werden. Bekommt man eigentlich weniger Regen ab, wenn man schnell rennt, frage ich mich? Und gilt das auch emotional? Emotional stehe ich immer noch im Regen.

Mein Telefon klingelt. Ich greife in meine Jackentasche und hole es heraus. Malte. Ich gehe ran.

„Hey, Malte“

„Hey, Jackie – Du treuloses Nachtschattengewächs.“

„Was hab ich jetzt wieder ausgefressen?“

„Nichts. Hey, Kleine, geht’s Dir nicht gut?“

„Ich sitze bei McDonald’s, schaue den Leuten zu, wie sie durch die Straße rennen und trinke einen Cappuccino.“

„So schlimm?“

„Ja“

„Ich hol Dich ab.“

„Nein“

„Das war keine Frage. Du bist in 20 Minuten am Marktplatz. Dort, wo’s zur Tiefgarage reingeht“

„Nein“.

Doch er hat schon aufgelegt. Ich bin frustriert. Ich wollte doch mit meiner Qual alleine sein. Was soll ich jetzt machen? Ihm die Wahrheit erzählen und so komplett mental nackt vor ihm stehen? Zugeben, dass ich eine miese kleine Made bin? Super. Nein. Ich habe keine Lust auf Blöße. Ich nehme das Telefon und rufe Malte an aber er drückt mich weg. Tränen beginnen mir über die Wangen zu fließen. Ich nippe an meinem Cappuccino. Ich ergebe mich meinem Schicksal. Scheiß Leben.

 

*

 

Zwanzig Minuten später stehe ich an der abgemachten Stelle und warte auf Malte. Er kommt 5 Minuten zu spät, entschuldigt sich und öffnet mir die Tür.

„Komm… Wir fahren jetzt erst mal ein wenig herum und Du sagst mir was los ist.“

„Was ist mit Jonas? Wartet der nicht?“

„Der ist mit Franzi weg. Ich hab also die ganze Nacht Zeit für Dich. Außerdem… Wenn’s Dir schlecht geht, ist sowieso nichts wichtiger.“

„Süß, danke… Aber ich will nicht reden. Können wir einfach ein wenig fahren?“

„Klar. Fahren wir erst einmal.“

Wir fahren nach Heidelberg, dann hinauf zum Schloss. Wir hören Radio und Malte erzählt mir von seinem Job und von seiner neuen Hose, die er günstig im Internet ergattert hat. Ich lächle ein wenig weil ich wirklich lächeln muss. Meine Laune erhellt sich ein wenig während der Fahrt. Malte, denk ich. Wenn es einen Grund gibt zu Leben, dann doch wenigstens er. Und wenn es jemanden gibt, der mich verstehen kann, dann er. Die Mistsau hat ja das gleiche mit mir gemacht. Ich muss lachen. Mistsau.

Malte schaut mich verwundert und erfreut an. Ich schau ihn an und denke nur: Mistsau, Mistsau, Mistsau und lächle.

„Laß’ uns essen gehen. Ich lade Dich ein. Zum Chinesen?“ schlage ich vor.

„Gerne“ entgegnet er, „ich fahr zu unsrem alten Liebling­schinesen“.

Dort angekommen durchsuche ich die Speisenkarte und entscheide mich für die gebratenen Nudeln mit Riesengarnelen und bestelle einen Mangosaft. Malte nimmt gebratene Ente mit Erdnusssauce. Ich nehme zusätzlich noch die Wahrheit.

„Ich habe Britt verloren.“ Fange ich an. „Ich habe gestern in der Disco eine kennengelernt und zu viel getrunken und dann sind wir noch zu mir gegangen. Wir haben uns ausgezogen und dann haben wir uns geküsst, waren nackt als Britt die Tür hereingekommen ist.“

„Scheiße“, kommentiert Malte eine Zusammenfassung „und jetzt ist sie sauer auf dich. Ich meine… verständlicherweise irgendwie.“

„Sie will mich nie mehr sehen in ihrem Leben“

„Das ist hart. Und Du?“

„Ich liebe sie wie immer und das wird auch immer so sein.“

„Und warum knutschst Du dann mit ‘ner anderen“

„Ich weiß es nicht. Das ist einfach passiert. Ich wollte das nicht. Ehrlich!“

„Ja, ich glaub Dir das ja. Aber wir schaffen wir, dass Britt dir glaubt, dass es einfach nur richtig Scheiße von Dir war? Ihr habe nur geknutscht?“

„Nackt, mit Zunge…“

„Keine halben Sachen, hm?“

„Nein… Immer voll rein in die Scheiße, kennste doch von mir“ Ich lächle ein wenig gespielt.

„Vielleicht muss erst einmal ein wenig Zeit vergehen. Warte doch ein paar Tage ab und dann schicke ihr Blumen oder so“

Ich nicke.

Währenddessen kommt unser Essen. Ich hätte beinahe vergessen, dass wir etwas bestellt haben. Es duftet lecker und sieht verführerisch aus. Es schmeckt köstlich. Ich denke an Britt. Die drei Eigenschaften hat sie auch.

„Weißt Du noch…“, fängt Malte an zu erzählen, „wir waren früher immer hier, als wir noch ein Paar waren. Wir hatten uns danach den ganzen Abend nie geküsst, weil wir so erbärmlich nach Knoblauch gerochen haben“ Er grinst.

„Ja. Ich weiß… Und wieso isst Du heute nicht das Knoblauchgericht? Willste mich noch verführen?“ Ich grinse zurück.

„Nein… Ich verführe doch keine Fremdküsser.“ Lächelt er „Und, ja, ich weiß. Ich bin ja auch so einer. Ich hab‘ ja so etwas ähnliches mit Dir abgezogen“

„Richtig erkannt“ mahne ich.

„Siehste… außerdem würdest Du mich eh nicht wollen“

Ich schaue ihn von oben bis unten an und nicke: „ja, zu schwul“

„Hey“ lächelt er. „Brauchst Du grad sagen. Du bist ja auch muschifixiert.“

Ich muss die Nudeln ausspucken, die ich gerade im Mund hatte. Hat er wirklich muschifixiert gesagt? Diese Mistsau!

„Mistsau!“ werfe ich ihn ins Gesicht. Wir müssen beide lachen. Ich frage mich, wieso ich so einen großartigen Abend verdient habe, nachdem ich gestern zwei … drei Menschen so behandelt habe. That’s what friends are for… Ich bin glücklich. Wie kann ich das nur sein? Ich weiß es nicht. Ich bin es. Und ich bin glücklich, dass ich mir nicht die Adern aufgeschlitzt habe. Ich werde kurz nachdenklich. Aber danach bin ich wieder glücklich. Glücklich, dass es Menschen wie Malte gibt.

Ich hole mein Handy heraus und schreibe eine SMS: „Danke für alles. Ich liebe Dich.“ Senden.

Maltes Handy piept. Er lächelt.

Fester Halt

Ich mache es, wie Malte es mir empfohlen hat. Immerhin hat er immer Recht. Ich lebe die nächsten Tage vor mich hin. Melde mich nicht bei Britt, meide die Gegend, wo sie wohnt und unsere gemeinsamen Freunde. Ich melde mich im Internet nicht an oder wenn, dann nur unsichtbar und überlege mir, was ich sagen könnte, wenn ich sie doch unerwartet treffe. Das klingt so verlogen für mich, dass ich mich selbst für mich schäme, aber so ist das Leben… oder? Manchmal muss man Arsch sein. Nein. Muss man nicht und außerdem war ich diese Woche schon Arsch genug.

Malte und ich haben uns für Dienstag verabredet. Wir wollen nochmal einen Spielabend machen. Einen Jackie-Feelgood-Abend sozusagen. Es wird extra für mich ein Jonas-Spezial-Menü geben. Selbstgemachte Ravioli mich Flusskrebsfüllung. Mir läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen. Ich habe mir vorgenommen etwas leckeres Häagen-Dazs-Eis zu kaufen, das wir dann als Nachtisch löffeln können. Einen Moment hatte ich überlegt einen Kuchen zu backen. Dann ist mir aufgefallen, dass alle Versuche mich als Bäckerin zu versuchen zu kläglichen Ergebnissen geführt haben. So weit, so gut. Einkaufen kann ich wenigstens. Und wenn ich mich nicht zu blöd anstelle, dann wird wenigstens das Eis nicht schmelzen.

 

*

 

Letztendlich habe ich es geschafft. Mit drei Packungen gefrorenem Eis stehe ich vor der Tür der beiden. Es ist Dienstagabend, 5 Uhr 59.  Ich warte noch eine Minute und klinge dann. Der Türöffner surrt sofort und Malte erwartet mich. „Pünktlich wie die Maurer“, begrüßt er mich.

„Ja, aber statt Dosenbier hab ich Eiscreme dabei“ lächle ich und gebe ihm die drei Becher.

„Auch nicht schlecht“, antwortet mir Malte, „komm rein. Jonas ist schon fertig und wir können anfangen zu essen.“

Ich gehe in die Küche, umarme Jonas zur Begrüßung und gebe ihm einen Kuss auf beide Wangen. In der Küche läuft gerade eine alte CD von den Dire Straits und Mark Knopfler singt „I like to make it worth your while“

„I like to make it worth your while”, sagt Jonas. Ich lächle und frage: “It never rains?”. Er nickt überrascht: „Wie kannst Du das in deinem Alter wissen?“

„Naturbegabung“, antworte ich schnippig, „Lieder und Essen, du verstehst?“. Er nickt. „Komm. An den Tisch mit Dir, Du Naturtalent.“

Die Ravioli schmecken vorzüglich und wenn ich meine Zunge schnalzen könnte, würde ich das machen. Sie liegen in einem Bett von Sahneschaum und Wurzelgemüse und Birnen, über ihnen sind ein paar Tropfen süßliche Tomatensauce geträufelt. Sie zergehen förmlich im Mund. Ich muss sie nicht kauen, sie verlaufen. Der Geschmack zündet ein Feuerwerk und ich schmecke alle Farben. Diese Männer sind einfach die genialsten Köche aller Zeiten. Ich verbeuge mich innerlich vor Jonas. „Das… das ist supergenial. Du hast dich mal wieder selbst übertroffen“, huldige ich ihn. Ich habe genau noch eine Ravioli auf meinem Teller legen, da klingelt mein Telefon. Ich schnaube leise und frage mich, wer mich bei diesem so köstlichen Abendmahl stört. Ich entschuldige mich und gehe zu meiner Jacke, ziehe das Handy heraus und schaue aufs Display. Britt! Ich schaue panisch Malte an. Er fragt mich, was los sei und ich antworte, dass sie es ist. Er sagt: „Geh ran verdammt!“. Ich drücke auf den grünen Knopf und melde mich leise und schluckend: „Ja?“

„Wir müssen reden. Jetzt,“ schallt es trocken aus dem Telefon.

„Ich ess‘ grad zu Abend bei Malte und Jonas.“

„Wenn Dir das wichtiger ist.“

„Nein. Ist es nicht,“ sage ich ohne einmal Luft zu holen.

„Gut. Dann komm vorbei.“

„Jetzt gleich?“

„Ja.“

„Okay. Bis gleich.“

Sie legt auf. Ich spüre wie ein leichtes Kribbeln in meinen Augen ein Weinen andeutet. Was will sie machen? Mich töten? Mir verzeihen? Mir meine Sachen geben, die bei ihr liegen? Nein. Sie will reden. Ich denke über alles nach, was Sie wollen könnte, können will.

„Was ist?“ fragt Malte, „Du siehst geschockt aus.“ – „Nein,“ antworte ich. „Sie will mich sehen. Jetzt.“

„Dann zieh Dich an. Ich fahr dich hin.“ Er dreht sich zu Jonas. „Ist doch okay für Dich, Schatz?“

Jonas nickt und sagt: „Dann haben wir 3 Eis für uns“.

„Also los. Anziehen.“

Nicht mal zwei Minuten später sitzen wir in Maltes Auto. Ich habe mich nicht im Spiegel angeschaut, weiß nicht, wie ich aussehe. Ist sowieso alles egal. Ich bin ein Schwein im Schweine­transporter und auf dem Weg in die Schinkenfabrik. Ich schaue aus dem Fenster auf die Bürgersteige. Malte sagt nichts und lässt mich mit meinen Gedanken alleine. Wir fahren schnell, überholen viele Autos und sind auch bald dort. Schlachtbank. „Danke“ bedanke ich mich bei Jonas mit meiner kraftlosen Stimmung. „Ich drück euch die Daumen,“ antwortet er. Optimist, denke ich – „Danke nochmals,“ sage ich. „Ich warte nicht, Du kannst ja mit der Straßenbahn heimkommen, oder?“. Ich nicke. „Danke“ – „Das hast Du jetzt dreimal gesagt. Komm – Rauf mit Dir und mach es gut.“

Ich steige aus dem Auto aus, gehe zum Haus und klingle, anschließend laufe ich bedächtig die Treppen hoch. In der Tür erwartet mich Britt. Sie sieht schlecht aus. Ungeschminkt, Schlabberlook, ihre Haare sind nicht gestylt:  „Komm rein.“

Ich folge ihr in Ihr Zimmer. „Sind Deine Eltern da?“ – „Ja, aber komm mit zu mir.“

Ich bin erleichtert. Sie wird mich nicht vor ihren Eltern verprügeln. Vielleicht erlebe ich den nächsten Morgen doch noch. Sie setzt sich auf ihr Bett, schaut mich an. Ich geh zu ihr, setze mich neben sie. Wir schauen uns an, schweigen. Wir versuchen gegenseitig aus unseren Augen zu lesen, was die andere denkt, sagen können wollte. Ich sehe in diese so großartigen Augen. Ich schäme mich innerlich, dass ich diese Augen betrogen hätte. Ich schaue auf ihren Mund. Wunderschön und so zart wie er aussieht würde ich ihn am liebsten die ganze Zeit mit meinem Mund streicheln. Jackie, was bist du für ein blödes Arschloch. Mir kullert eine Träne die Wange runter. Scheiße, denk ich und wische sie schnell weg. Wir schauen uns weiter an ohne etwas zu sagen. Nach einer Weile meint Britt: „Hast Du mich jetzt lange genug angesehen? Weißt Du jetzt, wie ich nach drei Tagen ohne Dich aussehe? Wie es mir geht nachdem das ein zweites Mal passiert ist?“ Ruhe. Ich frage mich, ob das ein Vorwurf war oder Hilflosigkeit oder gar eine Huldigung. Ich schaue ihr weiter tief ins ihr Gesicht. „Genau so wunderschön und süß wie mit mir“, Stottere ich. „Sicher…“ sagt sie in einem sarkastischen Unterton. Mist, denke ich. Das war da falsche, aber es war wahr. Wie kann das wahre falsch sein. Ich entschließe mich mein Schweigen zu brechen. „Britt. Es tut mir so schrecklich und unendlich leid. Ich will nur, dass Du mir verzeihst weil ich ohne Dich so unglücklich bin und ich verspreche dir, dass ich nie wieder so viel trinken werde solange ich lebe, dass mir das nochmal passiert. Wenn Du mir verzeihst bin ich dein für immer. Und wenn Du willst sogar noch länger.“

Sie schaut mich an, ohne dass ich eine Gefühlsregung in ihrer Mimik erkennen kann. Denkt sie? Lässt sie mich warten? Was macht sie. Ich schaue verzweifelt zu ihr, inzwischen sind meine Wangen total mit Wasser benetzt. Ich wische mir die Wangen mit meinem Handrücken trocken, aber alsbald ist er wieder feucht.

„Ich will noch länger und dieses Mal wirklich für immer.“, sagt sie in einer kraftlosen Stimme. Meine Tränen verwandeln sich blitzschnell in ein Lächeln. Ich falle über sie her und umarme sie innig und so fest ich kann. Sie umarmt mich und wir bleiben fest umschlungen liegen. Eine Minuten, zwei, drei… fünf. „Ich liebe Dich“, flüstere ich in ihr Ohr. „Ich liebe Dich und brauche Dich“, flüstert sie in meins. „Ich brauche Dich viel mehr“, ergänze ich.

Wir lösen unsere Umklammerung und sitzen wieder nebeneinander. Britt schaut mich an, senkt den Kopf grinsend ein wenig und prustet. „Was ist?“ frag ich grinsend. „Naja“, antwortet Sie, „wie wärs mit Versöhnungssex?“ Ich pruste auch. „Immer.“

 

*

 

Am Abend liegen wir in Britt‘s Bett uns quatschen. Mein Unterleib ist noch am vibrieren von den vielen Liebkosungen. Ich bin bestimmt fünf Mal gekommen und noch mit meinen Gedanken auf Wolke sieben. „Das war genial“, stellt sie fest. „Der Oberhammer“, meine ich, „lass uns das täglich machen“ Britt nickt. „Weißt Du“, erzähle ich ihr, „es ging mir so unendlich schlecht. Ich wusste nicht, was ich machen soll. Soll ich mich bei Dir melden, wo ich Dich doch so vermisst habe – oder hätte ich Dir Deinen Wunsch nach Ruhe erfüllen sollen. Ich habe gedacht, dass ich Dir erst ein paar Tage Ruhe gönnen sollte. Das hab ich dann auch gemacht.“

„Das war die falsche Entscheidung“, entgegnet mir Britt, „ich habe hier gewartet und geflennt. Ich habe gehofft, dass mein Telefon klingelt, aber es war stumm. Aber trotzdem danke, dass Du auf meine Gefühle so viel Rücksicht genommen hast.“

„Ich habe sie mal wieder mit Füssen getreten, sorry“

„Jetzt entschuldige Dich nicht dauernd“

Wir müssen lachen.

„Weißt Du was? Wir vergessen die letzten Tage, tun so, als wäre nichts passiert und so, ok?“ Britt schaut mich an und reicht mir eine virtuelle Friedenspfeife. Ich schaue sie verlegen an. „Aber ich habe es Malte erzählt…“ – „Hmmmm…“ – „Ach was. Das ist doch ne coole Sau und der versteht das sicher, dass wir wieder… Warte. Ich ruf ihn gleich an.“

Britt nickt zufrieden und winkelt die Knie an. Ich stehe auf und durchsuche meine Hosentasche nach meinem Handy. Ich finde es wähle die Nummer und laufe im Raum herum. Malte meldet sich gleich.

„Hey… Allerliebster Freund“ begrüße ich ihn

„Hey… das hört sich ja gut an, deine Stimme, allerbeste Freundin“

„Ja… Wir haben gesprochen, uns versöhnt, gesexelt und jetzt will ich dass Du einfach alles vergißt, was ich Dir heute gesagt hab…Warte mal“ Ich schaue zu Britt, die lachend auf dem Bett gestikuliert. „Wasn los?“ frage ich sie. „Ach nichts… Nur… Keine Vorhänge und jeder kann Dich sehen.“ Sie lacht. „Scheiße.“ Ich setze mich schnell auf den Boden unter dem Fenster dann wende ich mich wieder Malte zu: „Sorry… hab ne ungewollte Peepshow geboten“ und lache.

„Ich will’s gar nicht wissen“, antwortet er zurück.

„Okay… also… Kein Wort zu niemanden und es ist alles wie es war und es ist geil so“, erkläre ich ihm

„Okay. Klar. Hätte es eh niemandem erzählt“

„Nicht mal Jonas.“

„Okay. Nicht mal Jonas. Wisst ihr was? Jonas und ich wollten am Samstag zum See. Habt ihr nicht Lust mitzukommen. Grillen und so?“

„Moment.“ Ich drehe mich zu Britt: „Hey, haste Bock am Samstag auf Grillen, See und zwei Schwuppen?“ Sie grinst mich an: „Unbedingt.“

„Okay, ist abgemacht“, bestätige ich Malte den Termin. „Stopp…“ Ich überlege kurz. „Ich wollte mich ja eigentlich mit Silke und ihrem neuen Stecher treffen. Aber weißte was, die sollen einfach auch kommen, wenn’s okay ist?“

„Klar ist es okay. Dann sehn wir uns spätestens am Samstag.“

„Okay. Bis Samstag“

Wir legen auf. Ich schreibe schnell noch Silke eine SMS, ob sie mitkommen wollen zum See und begeb mich dann wieder zu meiner Liebe ins Bett. Wir umarmen und küssen uns und halten uns nochmals sehr lange.

„Weißt Du was toll wäre?“ frage ich Britt leise. „Was denn, Schatz?“ – „Wenn wir eine Wohnung zusammen hätten.“ – „Ja, das wäre cool.“ Wir sinnieren über Wandfarben, Einrichtungen und wie schön es doch wäre jeden Tag nebeneinander aufzuwachen. Wir nehmen uns vor ein paar Wohnungen anzusehen in den nächsten Tagen. Britt findet meine Bude zu klein, darum muss das wohl sein. Aber ich stimme zu. Irgendwann zwischen unseren Tine-Wittler-Gedächnisgedanken und dem virtuellen Ikeagang sind wir eingeschlafen. Am nächsten Morgen wache ich neben der Frau meiner Träume auf, mein Handy blinkt. Eine SMS von Silke. Sie kommen mit.

A Requiem somnium

{(dieses kapitel ist noch nicht korrektur gelesen)}

Britt und ich treffen uns am Freitag wie die Tage davor nach der Arbeit respektive Uni. Ich fahre mit der Strassenbahn bis zum Schloss und warte, bis Sie kommt. Es ist ein wunderschöner Tag. Die Sonne scheint warm über den Häusern der Stadt. Der Sound des Verkehrs stört nicht weiter und wird von singenden Vögeln übertönt. Ab und zu ein wenig Hektik, wenn eine Strassenbahn die Haltestelle anfährt, aber ich lasse mich nicht anstecken. Das erste Laub fällt lautlos von den Bäumen und tanzt vor mit in den leichten Winden des Frühabends. Ich höre bruchstückhaft, wie sich Stundenten über das kommende Wochenende unterhalten, aber höre auch nicht wirklich zu. Früher hätte ich meine Fühler in alle Seiten ausgefahren, um alles aufzuschneppen. Heute nicht. Heute bin ich zufrieden wie mein Leben ist. Das Leben der anderen interessiert mich nicht. 

Mein Leben. Unser Leben. Ich habe mir die letzten Tage vorm Einschlafen viele Gedanken gemacht über meine Freundin und mich. Ich weiß, dass ich Sie für immer behalten möchte, keinen Zentimeter von mir beanspruchten Terrain auf Ihr wieder preisgeben werde, aber ich möchte auch alles etwas langsamer starten. Zumindest für die breite Öffentlichkeit. Ja, wir verstehen uns. Ja, wir haben uns verziehen. Sind wir zusammen? Ja, oder? Ja. Aber das muss nicht jeder wissen. Ich will nicht im Lexikon unter dem Suchbegriff "On-/Offbeziehung" ein Bild von uns finden. Außerdem muss ja auch nicht jeder jedes Detail auf die Nase gebunden bekommen. Meine Einschlafgedanken kreisen um dieses Thema. Was wird Britt dazu sagen? Ich muss es mit ihr bereden und ich weiss nicht, wie sie reagieren wird. 

So sitze ich auf der Bank an der Haltestelle, meine Hände unter meinen Oberschenkeln und baumle meine Beine ein wenig. Ich schaue mich um und frage mich, was die Leute wohl denken, wenn sie mich sehen. Sieht man mir an, dass ich auf eine Frau warte? Dass ich eine Lesbe bin? Setzt sich deswegen niemand neben mich? Oder sind alle nur so beschäftigt mit sich selbst, dass mich niemand bemerkt. Eigentlich bin ich das ja auch. Eben noch konnte ich kein Interesse an den Gesprächen der anderen heucheln und jetzt frage ich mich, was andere über mich wohl so denken. Schon komisch mein Gehirn. 

 

*

 

Am Abend liege ich wieder in meinem Bett. Britt war gerade gegangen und ich war traurig, dass sie nicht über Nacht bleiben konnte. Wir haben viel geredet, uns geküsst und weiter unsere Träume mit Wachsmalstiften ausgemalt. Sie ist übrigens meiner Meinung. So lange wir uns haben, braucht das niemand sonst zu wissen. Früher oder später werden sie es sowieso merken, dass wir wieder eins sind. Aber aufbinden brauchen wir es niemanden.

Unser Lieblingsthema dieser Tage ist eine gemeinsame Wohnung. Wir sammeln unsere Ideen und kommen auf sehr viele Gemeinsamkeiten. Wir wollen die Wände grün haben, Apfelgrün oder Gelbgrün. Ein schöner positiver Ton. Eine schöne alte, mächtige Couch sollte der Mittelpunkt des Wohnzimmers werden. So wie in den amerikanischen Sitcoms, daneben noch ein Sessel. Ein Schreibtisch zum lernen für uns beide, ja. Es muss nicht sehr gross sein; es soll nur schön sein. Eine kleine Küche mit einer großen Kaffeemaschine. Als wir das sagten, mussten wir beide lachen. Verdammte Kaffeesucht, aber das muss sein. Die wird bestimmt 800 Euro kosten, aber das Geld ist bei uns gut angelegt. Meine Senseo ist zwar auch gut, aber sie würde bei uns beiden die weisse Fahne schwenken wegen Überlastung. Wir diskutieren noch über einen Getränkekühlschrank in Beck's Farben, die eher ins Wohnzimmer passen würden denn in die Küche. Wir haben so viele Ideen. Und wir sind eigentlich mit wenig zufrieden. Es muss nicht immer viel, toll oder gross sein. Wichtig ist für mich, dass mein Lieblingsaccessoire in die Wohnung kommt: Britt. 

Im Internet hatten wir sogar schon nach Wohnungen gesucht. Haben eine kleine 60 Quadratmeter-Bude gefunden, und auch sogleich dort angerufen. Sie war noch frei und wir können am Sonntag eine Besichtigung machen. Mein Herz pochte, als Britt sagte, dass wir einen Termin hatten. Ich habe sie anrufen lassen, weil mein Herz zu wild pochte. Danach pochte es noch viel mehr. Warum wir nicht meine Wohnung hier zusammen beziehen wollten liegt zum einen an der Größe. Für zwei ist es doch etwas eng. Man kann zwar mal den ein- oder anderen Abend hier verbringen, jedoch geben die 40 Quadratmeter nicht viel Spielraum. Zudem ist meine Küche auch gleich der Flur- und Essbereich. Außerdem wäre das dann "unsere" Wohnung. Unser Schloss. Unser Rückzugsgebiet. Unser Liebesnest. Unsers. 

Mit diesem Wort im Kopf lege ich mich zurück und schliesse die Augen. 

 

*

 

>Ich erwache morgens früh und die Sonne scheint auf mein Bett. Ich strecke mich und stehe auf. Während ich in die Küche gehe, schaue ich noch verliebt auf die andere Seite des Doppelbetts. Dort liegt meine Freundin. Sie schläft noch, erschöpft vom Lernen gestern. Ich schleiche auf Zehenspitzen aus dem Zimmer und setzt mich ins Wohnzimmer und nehme mir das Buch, das ich gerade lese. "Sputnik Sweetheart" heißt es und ist es gefällt mir ausgesprochen gut. Doch ich schlage es gleich wieder zu und schleiche in die Küche. Ich brauche jetzt einen Kaffee. Ich schliesse die Türe hinter mir in der Küche, damit das laute Mahlen der Bohnen unserer neuen Maschine Britt nicht aufweckt. Nach einer Minute habe ich einen leckeren Kaffee und gehe zurück ins Wohnzimmer. Dort stelle ich ihn auf den Tisch und setze mich auf unsere neue Couch. Eine schöne große Ledercouch, die schon etwas alt aussieht aber die super in unser neues Wohnzimme passt. Wir lieben sie. Ich schlage also Seite dreiundvierzig auf und schaue plötzlich auf. Britt steht mit halb geschlossenen Augen lächelnd an den Türrahmen angelehnt hier. Sie hat ein weites T-Shirt an und ihre Schulter glänzt unbegleidet und wunderschön im Morgenlicht, das sie durch das Fenster küsst. 

"Habe ich Dich geweckt, mein Schatz?" frage ich sie.

"Nein, hast Du nicht. Die Kaffeemaschine hat mich geweckt", lächelt sie zurück.

"Das tut mir sehr leid", schaue ich sie traurig an.

"Das muss Dir nicht leid tun, wenn unser Kind mich geweckt hat", lacht sie.

"Okay." grinse ich "soll ich Dir auch einen Kaffee machen?"

Sie schaut mich an. Antwortet nicht und schaut mich weiter mit ihren nur einen Spalt geöffneten Augen an. Dann nimmt sie ihre Hand und zieht ihr Shirt etwas nach oben. Ich sehe, dass sie nichts unter dem Shirt trägt und mich frech angrinst. Ich schaue sie an und ihre Mundwinkel gehen etwas nach oben. Dann dreht sie sich um und zieht langsam ihr Shirt aus bis sie es nur noch mit einem Finger hält. Sie läuft aufreizend langsam in das Schlafzimmer zurück. Ich lege mein Buch zur Seite und folgt ihr.<

 

*

 

Am nächsten Morgen wache ich auf und schaue reflexartig nach rechts. Keine Britt. Mein Zimmer, nicht unseres. Träumereien. So schön. Ich wache gut gelaunt auf und entscheide mich dafür heute keinen Kaffee zu trinken. Ich freue mich auf den Tag am See mit meinen Freunden und meiner Liebe.

Tag am See

Britt holte mich pünktlich um vierzehn Uhr ab. Ich hatte alles gerichtet für einen schönen Tag am See. Badesachen, Handtücher, ein paar CDs, zwei Flaschen Wodka und ein paar Flaschen Sangria. Ich hatte auch extra ein paar Frikadellen gemacht. Meine Kochküste waren zwar Landein- Landaus verschrien, aber diesmal schmeckten sie wirklich gut. Ich hatte natürlich zwei Stück davor probiert. Wir laden mein ganzes Zeugs zu Britts Zeug ins Auto und trinken zur Feier des Tages beide einen Pikkolo, den ich natürlich in weißer Voraussicht kalt gestellt hatte. „Ich glaub das wird ein supergeiler Tag“, prophezeie ich und meine beste nickt zustimmend. „Komm, lass und gehen“, meint Britt und bereitet ihren Arm in bester Gentlemen-Manier zum Einhenken für mich vor. Ich lasse mich nicht zweimal bitten und lüpfe die Nase ein wenig, um ans Auto geleitet zu werden. „Merci vielmals“, bedanke ich mach, nachdem mir sogar die Türe geöffnet wurde und ich schon fast das Gefühl bekommen habe, wichtig und elitär zu sein.

Unsere Fahrt zum See können wir natürlich nicht ohne unser Sing- und Schrei Ritual machen. „Okay“, fragt Britt, „Radio an und los?“

„Na auf!“ entgegne ich. Sie schaltet das Radio an und zu unserer Enttäuschung kommt gerade Werbung.

„Okay, anderer Sender“, schlage ich vor. Britt schaltet um und sie spielen das gute, alte „Angels“ von Robbie Williams. Vielleicht nicht einhundertprozentig unser Geschmack, aber ein Mitsinglied par excellence. Unter unseren Gesängen des Refrains düsen wir durch die fast menschenleere Relaisstrasse. Es hat bestimmt über 30 Grad und wer nicht geschützt vor der Sonne zuhause bleiben möchte, hat sich bei Freunden im Garten, in Eiscafes oder an einem See niedergelassen. Als wir unseren geheimen Platz am See erreichen, sind wir die letzten. Malte und Jonas liegen schon da und lesen in irgendwelchen dicken Schmökern und bemerken uns erst, als Silke nach uns ruft und Pierre andeutete, dass wir kommen.

Pierre ist seit ein paar Tagen Silkes Freund. Er arbeitete als Projektkoordinator oder irgend so etwas bei einer Firma in Mannheim und war vom Pariser Headquarter entsannt worden. Ein sehr charmanter und netter junger Mann, wie ich Britt schon im Vorhinein informierte. „So etwas gibt es?“ fragte sie überrascht  im Auto. Ich antwortete ihr, dass sie das schon feststellen würde. „Sieht ja nicht schlecht aus, der Typ“, flüsterte sie mir zur, als ich ihr von einiger Entfernung zu verstehen gab, wer Pierre ist.

„Heeey“, kommt uns da schon Silke entgegen und gibt erst mir, dann Britt Begrüßungsküsschen auf die Wangen. Auch Pierre begrüßt mich mit Küsschen, dann stelle ich ihm Britt vor. „‘allo“ begrüßt er sie auf eine herzliche Französische Art und auch hier gibt‘s zur Begrüßung Küsschen auf die Wangen.

„Kann ich euch etwas 'elfen tragen?“ fragt er und Britt antwortet: „Gerne. Der quietschgelbe Z3 da oben“. Pierre geht mit Silke zum Wagen, um den Rest für uns zum See zu schleppen. Britt und ich gehen derweil in Richtung Malte und Jonas und legen erst einmal alles ab, was wir vom Auto mitgebracht haben.

„Hi ihrs“, begrüße ich die beiden. Nach der zeremoniellen Begrüßung nehmen wir unsere beiden Strandtücher und legen sie auf eine freie Rasenfläche neben denen der anderen. Inzwischen ist auch unser deutsch-französischer Lieferdienst erschienen.

„So, jetzt erstmal umziehen und dann mal nichts tun“, beschließt Britt. Sie kramt in ihrer großen Tasche und holt nach ein paar Sekunden einen gelben Bikini heraus. Ich schaue zu ihr und frage grinsend: „Der is wohl für den Flitzer, oder?“

„Neee, ist meiner. Neu. Partnerlook, verstehst?“ lächelt sie mir entgegen.

Sie zieht ihre Klamotten aus und den Bikini über. Beim Anblick muss ich meinem Herzen ein kleines Stopp geben. Stattdessen schmeichle ich ihr mit einem „Der steht Dir glaub ich doch besser als Deinem Flitzer.“

Mit einem Lächeln bedankt sie sich, wühlt kurz in ihrer Tasche und drückt mir grinsend die Sonnenmilch in die Hand.

„Ich mach dann auch bei Dir, ok?“

„Klar. Aber wart kurz. Ich pack schnell meine Sachen weg.“

Also ziehe ich mein Oberteil und meine Hose aus und packe sie weg. Den Bikini hatte ich daheim schon angezogen. Er ist nicht quietschgelb wie der von Britt sondern weiß mit rosa Blumen. Ich finde meinen jedenfalls hübscher, aber das braucht Britt nicht zu wissen.

„Hey. Deiner ist aber auch hübsch. Den kenn‘ ich ja gar nicht.“ begutachtet sie mich. Ich kläre sie auf, dass ich den im Internet bestellt hatte und fühle mich bestätigt, dass meiner eben doch hübscher ist.

„Was wollt ihr trinken?“ fragt uns Silke und durchdringt unsere kleine Konversation über Bikinis.

„Mach ma‘ n Sangria auf“, bitte ich sie, „der müsst‘ noch kalt sein vom Kühli. Wir cremen uns so lange ein, ok?“ Unsere Vertrautheit wandelt sich bei Silke in einen fragenden Blick:

„Da gibt’s aber nichts, das ich nicht weiß bei euch, oder?“

„Ey. Nein“, entrüste ich mich empört. Britt schaut mich an und dreht sich dann zu Silke „Ey. Nein!“ und grinst blöd.

Na danke, denke ich mir. Das war ja ein Schuss nach hinten. Egal. Erst einmal eincremen. Ich will ja keinen Sonnenbrand kriegen. Ich nehme die Sonnencreme und verteile sie behutsam auf Britts Rücken und creme ein, während sich Silke über die beiden Sangriaflaschen hermacht.

„Aber nicht alleine trinken“, ermahne ich sie - nicht wirklich ernst gemeint. Nachdem Britts Rücken einen hervorragenden Schutz gegen die Sonnenstrahlen hat, lege ich mich auf den Bauch und bitte Sie mir meinen auch einzucremen. Das macht sie dann auch. Ich fühle mich geborgen und wohl in ihren Händen und eine Art Sehnsucht überkommt mich, als sie mich einreibt. „Danke fürs Einreiben mit deinen zarten Händen“, bedankt sich Britt, während Sie meinen Rücken mit sanften Bewegungen gegen UV-Strahlen schützt.

„Danke... gleichfalls“ antworte ich und bekomme wieder ein flaues Gefühl im Magen. Ich überlege, ob ich wirklich schon über die Trennung hinweg bin und Britt wieder als beste Freundin ansehen kann. Es ist zwar schon lange her, aber diese Frau fasziniert mich einfach.

„Fertig“, ruft sie stolz und klatscht mir kurz auf den Po. „Den Rest schaffst alleine oder?“ Sie lacht mich an.

„Ja. Klar“, Entgegne ich sehr erwachsen. Wir cremen uns also jede für sich ein und nicht gegenseitig, was wir vielleicht lieber getan hätten. Als Belohnung kommt Silke mit einer Flasche Sangria, in die sie drei Riesenstrohhalme gesteckt hat. „Geil. Wo hast’n die her?“ frage ich sie sofort, als ich diese schilfartigen Sauggeräte sehe.

„Wußte, dass Du Sangria mitbringen würdest und dachte die wären cool.“ Grinst sie mich an. Das waren Sie. Ich lächle Silke an und nehme mir den roten Strohhalt, während Britt sich den blauen und Silke den gelben nehmen.

„Okayyy... Guten Durst“, wünscht uns Silke, als wir beide schon stark am Ziehen sind und den ersten Geschmack der süßen Weinbowle in unserem Mund spüren.

„Lecker“, bestätigt Britt meinen zwei Euro neunundvierzig Ein­kauf.

„Billigfusel is doch der Beste“ fügt sich uncharmant hinzu.

„Aldi ist eben um die Ecke“, versuche ich mich herauszureden. Jonas steht auf einmal hinter uns und fragt, ob er denn auch etwas abhaben dürfte. Britt mustert ihn und bleibt mit den Augen auf seiner Badehose stehen.

„Is nur was für Mädchen“, klärt sie ihn lächelnd auf. Malte, der das mitbekommen hatte räuspert sich auf deiner Decke liegend und meint mit einer ungewohnten Lässigkeit: „Dann müsst ihr ihn ja mittrinken lassen.“ Ich schaue Silke an und frage, ob sie denn auch ein grünes Röhrchen habe. Hat sie, steht auf und holt es. Wir stecken das grüne Röhrchen in die Flasche und geben es Jonas, der alsbald einen kräftigen Schluckt nimmt.

„Hey. Sauf uns nicht alles weg, Tussi“, mahnt ihn Britt lachend, was zu folge hatte, dass Sie einen kleinen Schubbs bekommt und auf der Seite liegt. Zum Glück blieb die Flasche von dieser Aktion unberührt und ich nehme in der allgemeinen Erheiterung einen Jackie-Schluck, was soviel bedeutet wie ... sehr groß. Es dauert weitere zwei Minuten und fünf Schubbser von verschiedenen an verschiedene bis die Flasche leer ist.

„Lasst mal schwimmen gehen“, schlage ich vor und ermuntere die anderen mitzumachen. „Ne, grade keine Lust“, meint Britt und legt sich auf ihr Handtuch und nimmt ihren iPod aus der Tasche. „Ich bin dabei“, erhellt Silke meine Stimmung. „Wer zuletzt drin ist, muss Maltes Zehennägel schneiden“. Wir stürmen ins Wasser und kommen gleichzeitig an, ernten aber einen bösen Blick vom Besitzer der zu schneidenden Zehennägel.

„Wartet. Ich komme auch“, kündigt Pierre seine baldige Ankunft im See an. Wir albern im Wasser herum, plantschen, versuchen die Landratten zu motivieren ins Wasser zu kommen und schwimmen auch ein paar Meter.

Nach gut einer halben Stunde gehen wir wieder an Land. Ich schleiche mich von hinten an Britt an und schüttle meinen Kopf über ihr, so dass sie die ganze Ladung Wasser aus meinen Haaren abkriegt.

„Iiiiiiiih. Du Sau!“, schreit sie und ich renne präventiv ein paar Meter zur Seite.

„Pffft. Früher oder später krieg ich Dich auch ohne Anstrengung“, desillusioniert Sie mich.

„Ok. Friede?“, biete ich ihr mit einer wehenden virtuellen weißen Fahne an.

„Okay. Aber nur weil Du‘s bist“. Ok. Friede. Ich lege mich auf mein Handtuch, winkle die Beine an und lass‘ mich von der Sonne trocknen. Ich schaue zu Britt und sehe, wie sie an einer Bierflasche nippt und sie wieder hinstellt.

„Ey. Wo haste die her?“ frage ich und mache den Anschein ein Alko­holiker zu sein.

„Malte“ die kurze Antwort, die aber alle Informationen enthält, die ich benötige. Ich steh also auf und latsche zu Malte, begrüße ihn mit „Malte, mein Schatz“, was ihn zu einem Fingerzeig in Richtung Kühlbox veranlasst. Ich mache mir kurz Gedanken, ob ich wirklich ein Alkoholproblem habe, ignoriere aber dann gekonnt die Zeichen und greife mir eine Flasche. Zurück an meinem Platz lege ich mich auf den Bauch und döse ein wenig – ab und zu an der Flasche nippend – vor mich hin.

„Sagt mal“, frage ich plötzlich, als ich wieder Vogelgezwitscher höre, „Warum ist denn eigentlich das Radio aus?“

„Ach ja... Das Radio“, bemerkt Malte und erhebt langsam seinen Körper um ans Auto zu gehen. Er kommt alsbald wieder mit einem CD-Radio und einem Federballspiel.

„Jemand ‘nen Musikwunsch?“ fragt er als er das Gerät testet und das Radio laufen lässt. Es funktioniert einwandfrei. Ich zögere kurz ihm meine CDs anzudrehen und warte was die andren sagen. Britt dreht zu Malte und fragt, ob er nicht was von Gentleman oder so dabeihabe. Als hätte er drauf gewartet legt er eine CD ein und die Sonne erhält Unterstützung durch leichte Reggae-Klänge. Na gut, denke ich, weil es mir ja auch gefällt. Ich erhebe mich von meinem Handtuch und tänzle zu den Alkoholvorräten.

„Hat jemand ‘nen Energydrink dabei?“ frage ich in die Runde.

„Ist in der Kühlbox“, antwortet mir Jonas.

„Cool. Danke.“

Ich nehme mir einen Becher und kippe den Energydrink rein, fülle mit Wodka auf und tapse zurück zum Handtuch.

„Hat Dir schon Mal jemand so im ernst gesagt, dass Du n kleines Alkoholproblem hast?“ fragt mich Britt leise, als ich wieder ankomme.

„Was?“ zicke ich erstaunt, „Wenn Du nicht fahren würdest, hättest Du schon mehr getrunken.“

„Das ist gar nicht wahr. Aber Du versäufst dir noch alles, echt jetzt.“

Ich schaue sie an und merke, dass sie es ernst meint. Ich lege mich patzig auf den Bauch und schaue absichtlich in die andere Richtung. Ich merke, wie sanfte Finger mir auf den Rücken etwas schreiben. „Lass‘ mich“, zicke ich wieder und merke wie diese einfühlsamen Finger mir ein Herz auf den Rücken malen. Ich drehe mich langsam um und die Finger streichen mir über die Hüfte auf den Bauch. Meine lächelnde beste Freundin kniet neben mir und malt mir nochmal ein Herz auf den Bauch. Sie lächelt mich an, so dass ich sofort alles Gezicke vergesse.

„Komm her“, bitte ich sie runter. Ich halte meine Arme geöffnet und sie gleitet mir in die Arme. „Hab dich so verdammt lieb“, flüstere ich ihr ins Ohr.

„Und ich Dich erst“, schenkt sie mir flüsternd zurück.

„Bock auf Schwimmen?“ frage ich sie und bevor ich den Satz ausgesprochen habe, steht sie blitzartig auf und rennt zum Wasser. Ich bemühe mich auch schnell aufzustehen und zum Wasser zu kommen aber schaffe es mir Abstand nicht sie einzuholen.

„Komm“, sagt sie spontan „lass und mal nach da hinten schwimmen.“ Britt deutet auf eine Biegung hinter dem der See noch einen weiteren Verlauf hat.

„Okay“, antwortete ich und beginne auch gleich loszuschwimmen. Wir schwimmen so lange, bis wir die anderen nicht mehr sehen konnten. Britt fasst mich plötzlich an meinem Fuß und ich stoppe: „Hey. Loslassen“ rief ich.

„Psssst“, mahnte mich meine Beste leise zu sein. Nachdem ich das Wasser, das ich nach der Bremsaktion im Mund gesammelt hatte ausgespuckt habe, nickte ich.

„Lass uns zu dem großen Stein am Ufer schwimmen.“ Britt zeigte auf einen Stein, der vor den Büschen am Ufer aus dem See ragte, fast so groß wie ein Felsen. Wir schwimmen zu dem Stein und klettern mit etwas Kraftaufwand hinauf. Er ist heiß von der Sonne aber dank unserer nasskalten Hintern bald von erträglicher Temperatur.

„Ok“, schnaufe ich leicht erschöpft und warte bis Britt sich neben mich gesetzt hat.

„Schön hier, oder?“ fragt sie mich und lehnt sich an mich während wir die Sonne über den Wipfeln der hohen Bäume schweben sehen. Es ist keine Wolke am Himmel, dennoch wogen sich die Bäume leicht im Wind.

„Okay“, zupft Britt mir am Arm und ich dreh mich zu ihr, „Auch wenn ich es mein Leben lang bereue...“ Sie nähert sich mit ihrem Mund meinem und küsst mich so zärtlich, dass ich fast die Kraft in den Armen verliere, die mich stützen. Ich lasse mich mit dem Rücken auf den Stein gleiten. Britts Mund küsst mich beim hinlegen auf die Stellen, die an ihm vorbeiziehen. Auf den Hals, das Dekolletee, die Brüste und den Bauch. Ich fange wieder an zu weinen und hasse mich dafür, dass ich immer in sentimentalen und gefühlvollen Situationen weinen muss. Britt schiebt sich langsam über mich bis sie fast über mir liegt und wir küssen und weiter auf den Mund. Sie schiebt ihre Hand unter mein Bikiniunterteil und ertastet ihr bekanntes Terrain. Ich muss leicht stöhnen, weil es mich gerade sehr anmacht. Meine Emotionen werden durch den freien Himmel, unter dem ich die Finger in mir spüre, vervielfacht. Ich muss unter der Berührung ihrer Finger japsen, kann mich kaum vor Lust auf das Küssen konzentrieren. Ich kralle mich mit meinen Fingern in Ihren Rücken, so dass Sie den Kopf nach hinten zieht, damit der Schmerz sie nicht zu sehr trifft. Aber ich kralle weiter und ziehe mit meinen Fingernägeln über ihren Rücken während sie mich mit dem Daumen stimuliert und mit zwei anderen Fingern in mich eindringt. Mein Bauch und mein Brustkorb bewegen sich im Takt der Erregung immer schneller und schneller... immer schneller und schneller und schneller... bis ich wimmernd wie ein kleiner Hund komme. Britt hört auf und legt ihren Kopf auf meinen Bauch. Ich fasse sie an, lege meine Hände auf ihren Kopf und sage immer noch nicht bei Stimme leise „Danke“. Wir verweilen noch ein paar Minuten in dieser Position bis mein Körper wieder den Normalbetrieb erreicht hat.

„Lass uns zu den anderen zurückschwimmen, ok?“ bitte ich Britt ohne die neue alte Situation thematisiert zu haben. Die Bäume hatten inzwischen die Sonne verdeckt, aber es war noch warm und hell.

„Klar“, lächelt sie mich an und steigt ins Wasser. Ich steige ihr hinterher, rutsche aber auf dem Stein aus und landete erstmal auf meinem Po. Britt sieht das Malheur vom Wasser aus und lachte sich krumm.

„Hey. Das tut schweineweh!“ musste ich mitlachen, obwohl der Schmerz wirklich stark war. Beim zweiten Versuch gelang es mir das Wasser ohne weitere Zwischenfälle zu erreichen und so schwammen wir zu den andren.

„Na, wo wart ihr denn so lange?“ begrüßte uns Silke und schaute, als ob sie alles wusste. Britt stieg aus dem Wasser, drehte sich um und deutete auf die Stelle, wo wir eben ungefähr waren: „Da ist ein ganz nettes Plätzchen“. Silke schaute entsetzt auf Britts Rücken, als Sie sich umdrehte, um die Stelle zu zeigen: „Dort hat‘s wohl auch viele Dornen?“

„Wie, Dornen?“

„Na Dein Rücken ist ganz aufgekratzt!“

 Bevor Britt „Ja, Dornen“ sagen konnte warf Malte ein: „Die Rose mit den Dornen kennen wir alle...“. Allenthalben Gelächter. Auch Britt und ich mussten lachen. „Eine wunderschöne Rose“, bemerkte Britt noch.

Ich schleiche unbemerkt zur Vorratsbox und mische mir einen weiteren Wodka Red Bull nach meinem höchst eigenen Mischverhältnis und legte mich auf meine Decke. Eine Stunde und vier Drinks später ist mir leicht schummrig und auch der Tag neige sich langsam dem Ende zu. Der Mond verstärkte die letzten Sonnenstrahlen, so dass der See romantisch beleuchtet wurde. Malte und Jonas waren schon dabei die Reste ins Auto zu packen, da überkommt mich die Idee nochmal zu unserem Felsen zu wollen.

„Ich geh nochmal kurz ins Wasser“, teilte ich den anderen mit.

„Ich nicht. Ich pack schon mal ein“, verneint Britt meine Frage, ob sie nochmal mitkommen würde.

Ich renne also alleine ins Wasser und schwimme auf den See. Ich mache die Kurve nach rechts und erkenne im Mondlicht unseren Stein. Er sieht so wunderschön aus, wie er schimmert und einladend für Pärchen dasteht. Das schöne Panorama der im Mondlicht stehenden Bäume im Hintergrund, und eben das Mondlicht selbst, das sich vor ihm im See spiegelt. Ich harre kurz der Schönheit der Bilder im Wasser, entscheide mich dann nochmals zum Felsen zu schwimmen und steige auf ihm. Er ist so wunderschön. Einzig Britt fehlt mir zu meinem Glück hier. Wäre sie doch nur noch einmal mitgeschwommen. Ich lege mich auf meinen Rücken und sehe hinauf in den Himmel. Träume kurz. Der Stein ist nicht mehr so warm wie heute Mittag, aber immer noch ein toller Ort um über alles nachzudenken. Über die letzten paar Wochen, Monate, über mein Leben im Allgemeinen. Wie konnte ich nur denken, dass das Leben nicht schön sei? Eigentlich ist es ein super Leben. Wunderbar, wunderschön. Es gibt so viele tolle Dinge und ich bin mittendrin… Ich versinke in dem Augenblick und fühle mich richtig glücklich.

Nach ein paar Minuten beschließe ich dann auch, mich wieder zu den anderen zu begeben, bevor sie noch sauer auf mich sind. Ich stehe auf, blicke ein letztes Mal herum, geniesse den Augenblick und nehme zwei Schritte Anlauf und springe ins Wasser. Ich tauche hinein und das letzte, das ich bemerke, ist ein dumpfer Schlag an meinem Kopf.

Alleine zu viert

Es dauerte fünf ganze Tage und vier Nächte bis Jackies Leiche gefunden wurde. Taucher von der DLRG und der Polizei hatten tagelang den versteckten See abgesucht und nichts gefunden. Wir waren fassungslos und weinend danebengesessen, haben das Wasser beobachtet und immer noch ein wenig Hoffnung gehabt, dass das hier nur ein böser Traum oder ein schlechter Scherz sei.

Es war ein schöner Spätsommertag, doch die Schönheit des Tages war für uns nicht zu greifen. Malte, Jonas, Silke und ich saßen auf den Baumstämmen um die Feuerstelle und schauten auf den Boden oder in den Himmel. Ab und zu klingelte eines unserer Handys. Es waren Freunde von uns, Freunde von Jackie. Sie wollten wissen, ob es etwas Neues gibt. Wir konnten nur „nein“ sagen, legten auf und schauten wieder auf den Boden oder in den Himmel. Ich spürte die ganze Zeit eine Schwere in meinen Gliedern, ein Nichts in meinem Kopf und meine Hände zitterten trotzdem. Manchmal musste ich an die schönen Zeiten denken, die wir hatten. Vielleicht an die schönen Zeiten, die wir noch vor uns gehabt hätten. Egal wie. Ich musste daraufhin immer weinen. Ab und zu kam ein netter Helfer von der Polizei und fragte uns, ob er etwas für uns machen kann, ob wir etwas essen wollten. Wir schüttelten den Kopf. Alle. Wir hätten nichts essen können, nichts essen wollen. Wir redeten nicht viel untereinander. Die ganzen Tage nicht. Aber auch ohne zu reden wussten wir, dass wir hier warten werden. Warten bis wir wussten, dass es keine Hoffnung mehr gibt und bis die Gewissheit letztendlich das war, was wir wissen durften, aber nicht wollten. Meine Eltern kamen des Öfteren zum See gefahren und fragten, ob sie sie schon gefunden haben. Ich schüttelte nur den Kopf und brach ein ums andere Mal schluchzend in den Armen meiner Mama zusammen. Völlig hilflos und mit den Nerven am Ende. Sie drückte mich dann immer so fest sie konnte, doch es war nicht wirklich fest. Schließlich hatte Sie sozusagen eine Tochter verloren. Vermutlich. Jedenfalls war ein Sonnenschein auch in ihrem Leben nicht mehr da. Ich klammerte meine Hände an den Oberarmen von meiner Mama und versuchte mich aufzurichten. Es gelang mir nur mit Mühe und mein Papa hielt mich fest, damit ich nicht wieder zusammensacke. Aber auch seine Kräfte waren begrenzt. Meine… Unsere Eltern gingen wieder nach Hause, ließen mich alleine. Alleine zu viert. Sie wollten gegen Abend wieder kommen. Sie sollten früher wieder da sein.

Gegen fünfzehn Uhr bemerkte Jonas eine auffällige Ange­spanntheit und eine Aufgeregtheit am Rande des Sees. Die Rettungskräfte ließen langsam ein Boot ins Wasser gleiten und ruderten zu einem Punkt auf der anderen Seite des Sees, an dem sich ein Taucher befand. Ich schaute Jonas an und sagte leise: „Bitte sag es nicht. Bitte.“ Dabei strömten mir die Tränen aus den Augen und mein Oberkörper sank zusammen. Ich versuchte ihn mit meinen Armen zu stützen, aber es gelang nur schwer. Silke setzte sich neben mich und umarmte mich. Sie weinte auch. Ich konnte jede ihrer Tränen hören. Ich bemerkte wie Jonas und Malte beide aufstanden und in Richtung des Ufers gingen. Meine Kraft kam nicht wieder, ich musste so sehr weinen, dass ich beinahe einem Krampf nahe war. Ich versuchte noch ein wenig zu hören ob Malte oder Jonas etwas sagten, aber ich hörte nichts. Ich versuchte irgendetwas zu erhaschen. Nichts. Nach gefühlten drei Stunden versuchte ich meine letzte Kraft zu mobilisieren und drückte meine Hände gegen meine Beine um mich zu erheben. Mit den größten Schwierigkeiten klappte es und ich stand zitternd vor dem Holzblock. Mit leiser kraftloser Stimme frage ich Silke, ob Sie mit mir zum Ufer gehen würde.

„Ja“, antwortete Sie kurz und direkt, schluchzend und auch sehr deprimiert. Wir drehten uns um und schlürften die fünfundzwanzig Meter zum Wasser. Ich richtete den Kopf auf und sah wie das Boot in der Ferne langsam näher zu uns kommt.

„Sag‘s mir“, flehte ich heulend ins nichts, Malte und Jonas meinend, in der Hoffnung auf eine Antwort wie: „Die haben einen Autoreifen gefunden“ oder irgendetwas, das meine Hoffnung nicht gegen Null sinken lies. Malte drehte sich zu mir und nahm mich in den Arm, drückte mich und sagte gar nichts. Es waren mehr als tausend Worte. Wie im Krampf musste ich das letzte aus meinen Tränensäcken herauspressen und meine Nase, mein Mund, ich – ich war ein einziges verträntes Stückchen Elend. Nach einer kurzen Weile flüstert Malte mir ins Ohr: „Magst Du Dir das jetzt wirklich antun, wenn das Boot hier herkommt?“

Ich versuche zu nicken aber ich kann mich nicht bewegen. Aber Malte versteht mich.

„Okay“ sagt er. Ich bleibe in seinen Armen weil ich die Kraft nicht besitze alleine zu stehen. Nach einiger Zeit höre ich wie das Boot langsam näher kommt. Ein Polizist kommt zu uns und stellt sich vor uns:

„Ich denke ihr solltet jetzt lieber nach Hause gehen.“

Ich kann verstehen wie Malte antwortet: „Nein. Wir waren im Leben zusammen und sind es jetzt auch noch. Bitte lassen Sie uns eine letzte Minute mit unserer Freundin haben.“ Ich merke wie er mit den Worten und der Fassung ringt. Sein Körper zuckt zusammen, verkrampft, entkrampft sich.

„Ok. Aber ich glaube Sie“ Kurze Pause… „sie wird es nicht können“. Ich fühle wie er auf mich deutet. Ich fühle wie er mich als zu schwach ansieht, den Augenblick zu ertragen. „Ich glaube, das kann sie selbst entscheiden“, antwortet ihm Malte. Malte nimmt meine Oberarme in seien Hände und bringt etwas Luft zwischen uns. Er versucht mir ins Gesicht zu sehen aber ich lasse den Kopf hängen.

„Britt“, fordert er mich auf. „Hast Du genug Kraft?“

Ich nicke. Ich will. Ich muss. Ich muss den letzten Augenblick mit Jackie haben. Es wird nie wieder einen neuen Augenblick geben. Nie wieder – Nicht in eintausend Jahren. Ich weiß, dass ich zusammenbrechen werde und ich weiß, dass es mir so schlecht gehen wird, wie es mir noch nie in meinem Leben gegangen ist, aber mein Herz will eine letzte Sekunde mit meiner Freundin. Eine allerletzte Sekunde. Mit meiner Liebe. Mit meinem Alles.

Ich öffne meine Augen ein Stück. Alles ist verschwommen. Der Wald ist glasig und Malte vor mir ein großes, blaugraues Gebilde. Ich nehme meine Hände und reibe mir die Tränen aus den Augen. Ich kann immer noch nicht wirklich gut sehen, aber dennoch erkennen, wo ich bin. Langsam drehe ich mich zum See. Malte hält seine Hände auf meine Schultern. Das dunkelgrüne, kleine Boot ist schon sehr nahe. Nur noch einige Meter bis zum Ufer. Ich merke wie meine Beine schwach werden, aber ich kann und darf jetzt nicht zusammenbrechen. Mit einem knirschenden Geräusch legt das Boot nur etwa fünf Meter von uns entfernt an. Ein Taucher und ein Polizist sind an Bord. Dazwischen kann ich eine Wölbung erkennen, und eine Decke drüber. Die beiden Männer auf dem Boot schauen uns an. Schweigen ist allgegenwärtig. Der Polizist, der eben noch mit uns gesprochen hat, fragt uns: „Es ist zwar gegen jede Bestimmung, aber wenn ihr kurz Abschied nehmen wollt, dann geben wir euch die Möglichkeit“.

„Danke“, sagt Malte und wir gehen langsam und vorsichtig zum Boot. Die beiden anderen Männer haben inzwischen ebendieses verlassen. Der Taucher geht in Richtung des Streifenwagens und der andere bleibt bei uns.

„Ich werde jetzt das Tuch wegnehmen. Es wird kein schöner Anblick für euch sein. Ihr müsst das nicht.“

„Ich“ stottere ich weinerlich. „Ich will den letzten Augenblick mit meiner Freundin haben. Bitte verstehen Sie das“.

Schon beim Aussprechen der Worte kullern mir wieder Tränen über die Wangen. Aber ich nehme alle Kraft die ich habe und bleibe standhaft. Der Polizist traut mir wohl zu, dass ich es schaffe und bewegt sich zu dem Tuch im Boot. Er zieht langsam das Tuch beiseite. Durch meine tränennassen Augen sehe ich ein aufgequollenes Etwas im Boot liegen, vom Wasser aufgeweicht, von den Tagen unter Wasser gequält. Ich sehe sie an. Dort liegt mein Leben in einem nicht lebenswerten Zustand und total entstellt. Ich spüre wie die Kraft aus meinen Beinen weicht und ich den Boden unter den Füssen verliere. Ich breche zusammen und sacke auf den Boden. Mein Magen dreht sich um und ich kotze mir auf die Jeans. Ich röchle, versuche mich zu halten aber rutsche in meinem erbrochenen ab und sinke zu Boden. Ich huste und kotze den letzten Rest Leben aus meinem Magen. Ich habe Krämpfe, überall am Körper und mein Weinkrampf lässt mich nicht mehr los. Ich ringe nach Luft, spucke aus was in meinem Mund ist. Ich spüre nicht, wie mich zwei starke Hände vom Boot wegziehen und mich auf den Rasen legen, wie sie mir helfen am Leben zu bleiben. Ich bekomme fast nichts mit, bin total weggetreten.

 

*

 

Nach einiger Zeit beruhigen sich die Krämpfe und ich höre wie ein Auto mit Blaulicht näher kommt. Ich bin zu schwach um meine Augen zu öffnen. Ich liege regungslos im Grass, kann aber hören, wie die Sirene näher kommt immer und plötzlich verstummt. Eine Tür knallt. Ich merke wie zwei Menschen mich umdrehen. Dann merke ich lange nichts mehr. Lange.

 

*

 

Als ich aufwache bemerke ich, wie ich in einem Krankenzimmer im Krankenhaus bin. Ich öffne langsam die Augen und sehe zuerst den Fernseher der direkt vor mir an der Wand hängt. „Mami?“ frage ich leise.

„Ja, ich bin hier“, höre ich, wie meine Mutter antwortet. 

„Wo bin ich, Mami?“ frage ich sie.

„Im Krankenhaus. Du bist zusammengebrochen mein Schatz.“

„Ist Papi auch hier?“

„Ja. Er ist auch hier. Er raucht gerade eine Zigarette und ist gleich wieder da.“

„Ist Jackie auch hier?“ frage ich. Meine Mama schweigt.

„Jackie, bist Du auch hier?“ frage ich nochmals etwas lauter.

„Nein, sie ist nicht hier“ antwortet meine Mutter nach etwas zögern. Ich stütze mich mit der mir verbleibenden Kraft leicht auf und rufe mit aller Macht „JACKIE!!!“

Meine Mama steht auf und hält meine Hand. Sie schaut mir in die Augen. Ich schaue zurück. Ich sehe in ihren Augen, dass alles kein böser Traum war. Es ist wahr. Sie ist weg. Sie wird nie mehr wiederkommen. Ich klammere mich um meine Mutter und weine. „Nein, sie ist nicht hier“, sagt meine Mutter und weint mit mir.

Nur zu Besuch

Meine Eltern haben mich noch am gleichen Abend aus dem Krankenhaus mit nach Hause genommen. Die nächsten Tage habe ich mich mit meinen Heulkrampfattacken arrangiert. Ich habe langsam angefangen, wieder etwas Brot zu essen und Wasser zu trinken. Mit der tiefen Traurigkeit in meinem Herzen konnte ich mich aber nicht verständigen. Sie unterdrückt jedes Lächeln in mir. Sie macht jede Aufgabe zur Qual. Am Mittwoch habe ich versucht zu einer Freundin mit dem Auto zu fahren. Ich bin das Treppenhaus heruntergegangen und habe mich in mein Auto gesetzt. Reflexartig habe ich auf den Beifahrersitz geschaut. Er war leer. Keine Jackie da, die mich anlächelt und die irgendwelche blöden CDs in den Radio legen will. Ich habe meine Hände an das Lenkrad geklammert und meinen Kopf ans Lenkrad fallen lassen. Dieser Ort ist Jackie. Ich musste wieder weinen. Ich musste da raus. Also bin ich wieder hoch in die Wohnung, habe mich auf mein Bett fallen lassen und geweint. Ich schaue auf. Sehe meinen Computer, meinen Kleiderschrank, die Bettkante. Auch dieser Ort ist Jackie. Ich weine mich in den Schlaf und hoffe einmal mehr als Mensch aufzuwachen oder gar nicht mehr aufzuwachen.

 

*

 

Inzwischen ist Freitag. Meine Eltern haben alles für Jackie's Trauerfeier organisiert. Ich bin dazu nicht in der Lage. Ich bin immer noch total durch den Wind. Manchmal schaffe ich es, dass ich mein Gehirn zehn Minuten ablenken kann und in dieser Zeit nicht weine oder an sie denke. Ich bin meinen Eltern so dankbar dafür. Ich will ja, dass meine Freundin den schönsten Abschied kriegt, den sie nur haben kann. Ich schaffe es aber nur zu helfen, indem ich meinen Eltern antworte, wenn Sie mir fragen stellen. Nach dem Lied zum Beispiel. Welches Lied sollen sie spielen, wenn der Sarg zu Grabe getragen wird.

"Kennt Ihr Amelie?" frage ich. Sie verstehen.

Ich stehe auf und schlürfe zu meinen Eltern ins Wohnzimmer. Sie füllen irgendwelche Formulare aus, die ich nicht kenne. Ich halte mich an der Zweiercouch fest. Mama und Papa schauen mich traurig an und fragen mich, was sie für mich tun können. Ich hole tief Luft und frage:

„Jackie wollte immer, dass ich in rosa angezogen komme, wenn sie stirbt. Wir haben das ja bloß im Scherz gesagt aber kann ich… Soll ich das machen?“

Ich beiße mir auf die Unterlippe um die Tränen zu unterdrücken, die wieder kurz vor dem Fliessen sind. Meine Mutter schaut zu mir: „Wenn das ihr Wunsch war solltest Du das machen. Brauchst Du Geld um Dir etwas zu kaufen?“ Ich schaue zu meiner Mama und beiss mir immer noch auf die Zähne: „Ich kann doch so nicht aus’m Haus gehen.“ Meine Mama schaut mich traurig an. Ihr Blick gibt mir recht und versucht mich zu trösten aber sie schafft es nicht. „Ich würde auch rosa tragen“ sagt mein Papa. „Vielleicht kannst Du Dir ja morgen etwas kaufen.“ Ich nicke und drehe mich um. Ich schlürfe zurück in mein Zimmer und lege mich auf mein Bett.

 

*

 

Am nächsten Morgen stehe ich auf und gehe ins Bad. Ich stelle mich unter die Dusche und versuche die ganze Traurigkeit wegzuwaschen, aber es geht nur bedingt. Nach fast einer Stunde vor dem Schminkspiegel sehe ich zum ersten Mal sein einer Woche wieder ein wenig wie ein Mensch aus. Ich gehe in die Küche, wo meine Eltern am Frühstückstisch sitzen.

„Hallo Schatz. Du siehst ja auch wie ein richtiger Mensch“ sagt mein Papa.

„Wie ein gebrochener Mensch“ berichtige ich ihn und fahre fort: „Ich würd mir gerne was in rosa holen in der Stadt. Könnt ihr mir bitte Geld geben?“

Meine Mama holt ihre Geldbörse und gibt mir zweihundert Euro. Ich drücke die beiden und verabschiede mich. „Ich versuch mal etwas zu finden.“ Ich gehe das Treppenhaus herunter und gehe an meinem Auto vorbei – ohne es zu beachten – um an die Straßenhaltestelle zu kommen. Die Linie 1 kommt nach zwei Minuten und ich setze mich in der Mitte ans Fenster und schaue der Welt zu, wie ich an ihr vorbeifahre. Ich fahre bis Paradeplatz und gehe durch die Planken zu H und M. Nach langer Beratung mit einer superlieben Verkäuferin, die mich gefühlte zehnmal trösten muss, kaufe ich einen tollen Hosenanzug in rosa. Dazu noch eine schwarze Bluse und eine rosa Krawatte. Ich nehme meine Einkaufstüte und gehe nach draußen. Ich schaue die Stadt an, wie sie an diesem wolkenverhangenen Tag traurig schaut. Ich sehe Bilder der Vergangenheit vor mir, wie Jackie und ich in der Stadt rumblödeln, wie sie sich neu Schuhe kauft oder nur ein Eis oder einfach nur lacht. Die Bilder verschwinden und ich bin wieder alleine, den Tränen wieder nahe. Dieser Ort ist ebenfalls Jackie. Also schaue ich traurig und warte auf die nächste Straßenbahn nach Hause.

Zu Hause angekommen werfe ich die Tüte auf meinen Schreib­tisch und mich ins Bett. Ich fange an zu weinen. Ich weiß nicht wann es aufhört. Ich habe manchmal die Gedanken, dass ich mich sogar über die Tränen freue. Jede einzelne ist eine Erinnerung an Jaqueline. Ich schließe meine Augen und spreche ganz leise: „Jackie. Hörst Du mich? Hier ist Deine Britt und ich vermiss dich ganz arg hier. Das Leben macht überhaupt keinen Spaß ohne Dich. Überhaupt keinen Sinn. Wenn ich doch nur irgendetwas tun könnte um die Zeit zurückzudrehen. Ich wollte doch so viel noch mit Dir unternehmen. Mensch Du Nuss. Ich liebe Dich. Ich liebe Dich so sehr, wie ich noch nichts anderes auf dieser verdammten scheiss Welt geliebt habe. Du kannst mich doch nicht einfach hier so sitzen lassen und weggeh‘n. Verdammte Scheisse. Ich liebe Dich doch. Ich liebe Dich doch.“

Ich muss wieder Rotz und Wasser heulen und röchle. Meine Mama kommt in mein Zimmer und hält mich fest im Arm. Ich schaue sie mit verweinten Augen an und sage in meiner verweinten Stimme zu ihr: „Mama. Sie durfte nicht gehen. Ich liebe sie doch. Ich liebe sie doch so sehr.“ Meine Mama nimmt mich in den Arm drückt mich fest an sich während ich ihre Schulter vollweine und mich gar nicht mehr beruhigen kann. Meine Mama streichelt mir mit ihrer Hand über den Rücken und ich finde kein Ende. Nach einer Weile legt mich sie mich auf mein Bett, deckt mich zu und legt sich daneben.

Das Wochenende verläuft mit den üblichen Aussetzern und Weinkrämpfen und ich bin immer noch so weit von der Normalität entfernt wie mein Herzlicht vom Leben.

 

*

 

Es ist inzwischen Montagmorgen, der Tag der Beerdigung. Ich gehe ins Bad und versuche, wie jeden Tag, die Spuren der Tränenbahnen unkenntlich zu machen. Nachdem ich meine Haut unter einer dicken Schicht Foundation versteckt habe, gehe ich in mein Zimmer zurück und ziehe die neue schwarze Bluse an, binde die rosa Krawatte und ziehe den Hosenanzug an. Ich ziehe meine schwarzen  Schuhe dazu an und gehe ins Wohnzimmer, wo Mama und Papa schon fertig angezogen ganz in schwarz auf mich warten. Mama schaut mich an und bittet mich etwas näher zu kommen.

„Dreh dich mal“ fordert sie mich auf. Ich drehe mich. „Das sieht sehr chic aus, Britta“ lobt sie mich.

„Danke“ entgegne ich und Papa hebt mir den Daumen um zu zeigen, dass es ihm auch gefällt. 

„Lass uns bitte gehen“ bitte ich meine Eltern. Sie erheben sich ohne ein Wort zu sagen. Mein Papa hat seinen schwarzen Anzug an und ein schwarzes Hemd. Wenn ich nicht so traurig wäre, würde ich ihm sagen wie toll ihm das steht. Meine Mama hat eine schwarze Hose und ein schwarzes Top an. Sie kommen um den Zweisitzer herum. Mama nimmt meine Hand und während Papa vorgeht drückt sie meine Hand. Papa macht die Tür auf und hält sie uns auf damit wir durchgehen können. Wir fahren mit dem Auto zum Friedhof. Es sind zwar nur 500 Meter aber wir zogen es vor hinzufahren. Am Friedhofsparkplatz stiegen wir aus. Mama und ich warteten bis Papa das Auto abgeschlossen hat. Wir gehen wieder Hand in Hand zum Friedhof. Als wir den Weg dahin gehen merke ich, wie Papa nach meiner anderen Hand greift. Ich umfasse seine Hand und schaue nach links zu ihm. Dann senke ich meinen Kopf und greife seine Hand. Wir gehen zu dritt in Richtung Eingang. Als wir um die Ecke gehen und den Eingang sehenm drückt meine Mutter meine Hand und sagt: „Sieh, Britta, wer schon da ist.“

Ich blicke auf und sehe am Eingang Malte, Jonas, Silke und Pierre stehen. Sie sind alle in rosa gekleidet und haben rote Rosen in der Hand.

„Lass uns hingehen“, bitte ich meine Eltern und so gehen wir weiter zum Eingang.

„Hallo“, sage ich, als wir dort angekommen sind und schaue Jackies Freunden in die Gesichter.

„Hallo“, begrüßt mich Jonas. Ich blicke in eine Runde voll trauriger Gesichter, bereit ihrer besten Freundin einen würdigen, tollen Abschied zu geben. Wir schweigen uns eine Minute an und machten uns dann wortlos auf den Weg zur Leichenhalle. Viele Leute sind dort schon versammelt. Menschen, die ich nicht kenne, vermutlich aus der Firma oder der Schule. Ich erkenne kein wirklich bekanntes Gesicht, einige scheine ich vielleicht schon auf Partys gesehen zu haben – aber nicht bewusst. Wir ernten viele entsetzte und fragende Blicke ob unserer rosafarbenen Kleidung, während wir durch den Gang nach vorne gehen. Wir setzen uns in die zweite Reihe. Erst jetzt blicke ich nach vorne. Mittig in der Kapelle steht ein Sarg. Ich schaffe es aber nicht meinen Blick darauf zu halten, muss mein Gesicht in die Hände nehmen und klappte sichtlich zusammen. Meine Mutter nimmt mich in den Arm, muss mich aber halten, damit ich nicht wieder zusammensacke.

Ich versuche mich auf der Gesangbuchablage zu stützen, aber es gelingt mir nur rudimentär. In diesem Moment beginnt eine kleine Orgel zu spielen. Ich blicke auf und sehe mich um. Hinter uns erkenne ich mit meinem getrübten Blick eines verweinten Auges, dass sehr viele Menschen da sind. Es freut mich einerseits ein wenig, dass so viele hier sind um ihr Adieu zu sagen. Aber ich habe auch eine Riesenwut in mir, weil die erste Reihe, eigentlich für die Familie gedacht, komplett leer ist. Gegen Ende der Musik kommt der Priester von hinten. Er wirkt auch etwas überrascht, als er die leere erste Bankreihe sieht, während doch alle anderen Reihen so voll sind, dass einige sogar stehen müssen. Er schaut durch den Raum und gibt der Organistin ein Zeichen, dass Sie ein weiteres Lied spielen soll. Während des Liedes kommt er zu uns und fragt: „Ich gehe davon aus, dass Sie der Verstorbenen am nächsten standen?“

Meine Tränen haben mich verraten. Mein Vater nimmt das Gespräch an sich: „Die Verstorbene hatte keinen Kontakt zu ihrer Familie. Meine Tochter ist... war ihre beste Freundin und wir so etwas wie die Ersatzeltern.“

Der Priester nickt bedächtig.

„Würden Sie der Verstorbenen die Ehre erweisen sich in die erste Reihe zu setzen?“ fragt er.

„Wir würden nichts lieber machen, als Ihr diese Ehre zu erweisen. Dürfen die anderen engen Freunde von ihr ebenfalls mit­kommen?“

„Gerne.“ Der Priester bittet uns aus unserer zweiten Reihe rechts heraus und geleitet und in die erste Reihe links, direkt vor seiner Kanzel. Die Musik verstummt. Es herrscht Ruhe. Nur mein Heulen durchbricht es ab und zu.

Ich flüstere leise weinend: "Siehst Du, Jackie. Wir sind doch Deine Familie.

„Brüder und Schwestern im Herrn. Wir haben uns heute hier versammelt um Abschied zu nehmen von unserer Freundin und Kollegin Jaqueline, die der Herr viel zu früh zu sich geholt hat.“

Es folgt eine ergreifende Andacht and meine Freundin, manchmal unterbrochen durch Lieder und Psalme. Mit dem Vater Unser endet die Begräbnisfeier. Der Priester kommt auf uns zu und gibt jedem zum Beileid die Hand. Danach verlassen wir, und danach die anderen Trauernden, zu den Klängen einer weiteren Orgelmelodie die Kapelle und gehen zum Grab.

Es ist das Lied aus Amelie, das meine Mam erfragt hatte. Mit diesem Lied setzt sich die Trauergemeinde in Bewegung, Jackie folgend, zu ihrer neuen Adresse.

 

*

 

„Mami, ich schaff‘ das nicht alleine. Hilfst Du mir?“ schluchze ich meine Mutter an. Sie nickt und wir gehen ans Grab. Sie hält mir die Hand und wir schütten mit der Schaufel ein kleines Häufchen Erde auf den Sarg. Dann drehen wir uns um und schleichen zurück.

„Ich möchte hier weg“, bitte ich meine Mama, als wir an den Anderen vorbeigehen, die uns gleichtun. Sie legt ihren Arm um meine Schulter und fasst mit der anderen Hand meine Hand. Ich friere, obwohl die Sonne scheint, komme mir vor wie sechzig, habe keine Kraft. Ich schlürfe über den mit Kiesel bedeckten Weg im Arm von Mama bis wir das Tor des Friedhofs erreicht haben. Ich drehe mich nochmal um, sehe, wie die Freunde und Kollegen gesenkten Hauptes auch Richtung Ausgang gehen. Ich schaue die Vögel an, wie sie unbedacht durch die Lüfte fliegen, als hätte dieser Ort keine Bedeutung für Sie. Schaue auf die Kapelle, es spielt keine Musik mehr. Ich schaue in Richtung Grab und sage leise „Schlaf gut mein Schatz.“

Dann umarme ich meine Mama und benetze Ihre Schulter einmal mehr mir meinen Tränen. Ich merke wie mich jemand an meinem Oberarm drückt. Tränenüberströmt drehe ich mich um. Es ist Malte. Sein Gesicht ist auch mit Tränen tätowiert. Ich falle von Mamas in seine Arme. Wir schauen uns kurz in die ver­schwommenen Augen, finden aber keine Worte zur Verabschiedung. Malte drückt es aus, indem er mir seine Hand auf die Schulter legt. Ich lege meine Hand auf seine. Alles ist gesagt. Jonas streift mir auch gegen den Oberarm, als die beiden gehen. Wir stehen noch im Eingang und beobachten, wie sie zum Parkplatz gehen und Jonas dabei Malte hält wie Mama mich. Ich schaue nochmal zum Friedhof. Papa kommt mit Silke und Pierre. Silke ist auch nervlich stark mitgenommen. Sie wird von Pierre und Papa in der Hand geführt und trottet langsam und mit den Mundwinkeln nach unten gezogen weinend zu uns. „Scheisse“, weint sie bei uns angekommen und hält sich die Hände vors Gesicht. Ich gehe einen Schritt auf sie zu und wir umarmen uns. Ich drücke meine tränenüberflutete Wange gegen ihr Gesicht und sie ihre gegen meines. Es fühlt sich irgendwie so falsch an eine Frau zu berühren, finde ich, so als wäre mein Gesicht für jemand anderes bestimmt. Aber in der Trauer sind wir eins. Wir beenden unsere Umarmung und gehen in Richtung unserer Autos. Wortlos trennen wir uns, wortlos steige ich ein, wortlos fahren wir fort. Der Worte sind genug gesagt.

Wenn immer ein Stern...

Es ist nun fast ein Jahr her, dass wir meiner Freundin das letzte Geleit gegeben haben. Ich bringe zweimal pro Woche neue Blumen an das Grab und verweile. Ich erzähle ihr alles, was die Tage zwischen meinen Besuchen passiert ist. Was in der Welt passiert ist. Weinen muss ich inzwischen nicht mehr, wenn ich sie besuche. Aber den Klos im Hals werde ich nicht los, wenn ich dort bin. Ich richte alles so, dass es schön aussieht. Schließlich soll sie es am hübschesten haben und alle anderen sollen neidisch auf ihr schönes Grab sehen. Sie sollen alle denken, was hat sie denn für eine tolle Freundin, die sich so um sie kümmert. Dann perlt mir doch manchmal noch eine Träne die Wange herunter. Ich war im Winter einmal für eine Woche so krank, so dass ich sie nicht besuchen konnte. Es hatte mir fast das Herz gebrochen. Aber dafür war ich die darauf folgende Woche gleich viermal. Sie soll nicht denken, dass ich sie je vergesse, denn das werde ich nicht. Niemals.

Mir persönlich geht es seit diesen Tagen nicht gut. Ich bin abgemagert, esse kaum etwas und gehe nicht mehr auf Partys oder Discos. Eine neue Freundin oder einen neuen Freund hatte ich nicht. Zu den anderen habe ich auch keinen Kontakt. Ich habe gehört, dass Malte und Jonas nach Hamburg gezogen wären. Ich weiß es aber nicht. Silke bin ich zwei- dreimal am Friedhof begegnet. Sie hat sich inzwischen von Pierre getrennt und sich in ihre Arbeit vertieft. Wir waren aber noch nicht einmal einen Kaffee trinken in der ganzen Zeit.

 

*

 

Manchmal liege ich nachts auf einer Wiese und schaue in den Himmel, wo tausend Sterne leuchten. Ich denke mir dann, sie sitzt da oben und schaut auf mich. Und wenn immer ein Stern heller leuchtet als alle anderen, dann weiß ich, dass sie wirklich da ist.

Danksagung

Danke an alle, die geholfen haben, dass diese Geschichte erzählt werden konnte. Danke an die Beteiligten, die Vorlagen, danke an die, die sie gelesen haben - ob freiwillig oder nicht. Danke an die Zeit, die die Geschichte auch nach so einer langen Entwicklungsphase nicht alt erscheinen läßt. Danke für diesen guten Morgen... Danke an Willie und Sam.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.09.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet ist dieses Buch allen, die in ihm erscheinen. Zwar sind eure Namen geändert, aber eure Seele nicht.

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