Cover

Prolog

Ich musste dreimal blinzeln, um zu realisieren, wo ich war. Oder genauer gesagt, wo ich nicht war. Das letzte woran ich mich erinnern konnte war, dass ich mich, nachdem meine Zofe mir beim Zubettgehen geholfen hatte, in mein weiches cremefarbenes Himmelbett gelegt hatte und versuchte einzuschlafen. Vergeblich. Meine Gedanken kreisten ununterbrochen um den kommenden Tag und die kommenden 24 Stunden. Mein Geburtstag und der Tag, an dem ich mich für meine Berufung entscheiden musste. Ich konnte es die ganzen Jahre über kaum abwarten endlich 18 zu werden und meine Berufung zu wählen. Vorallem nachdem ich mich nach endlosen und kräfteverzehrenden Diskussionen mit meinem Vater endlich durchsetzen konnte und somit wie jeder andere Engel auch, mit Eintritt in das Erwachsenenalter seinen weiteren Lebensweg selbst wählen durfte. Nachdem er vor einem Jahr endlich kapitulierte und mir gewährte eine Ausbildung meiner Wahl zu beginnen, war ich einfach nur überglücklich. Denn das bedeutete, dass ich für ein ganzes Jahr mein Zuhause, den königlichen Hof verlassen konnte und in der Goldenen Stadt mit meinen Mitabsolventinnen und Absolventen zusammenleben würde und anschließend in meinem Ausbildungsgebiet meinem erlernten Beruf nachgehen würde. Nun gut, das Letzte war noch nicht ganz mit meinem Vater ausgehandelt. Schließlich galt unserer Abmachung nur, dass ich die einjährige Ausbildung absolvieren durfte. Von einer darauffolgenden Anstellung war bisher nicht die Rede. Noch nicht.

 

Allerdings je näher mein Geburtstag kam, desto unsicherer wurde ich auch. Wobei es unsicher nichtmal annähernd traf. Ich wurde von Tag zu Tag panischer. Ich war mir einfach nicht sicher, welcher Zweig der Richtige für mich war und diese Unentschlossenheit wurde immer schlimmer. Dies würde ich vor meinem Vater allerdings niemals zugeben. Dann wäre unsere Abmachung sofort zunichte, da er mich nicht reif genug für solch eine wichtige Entscheidung hielt.

 

Was mich wieder zu meinem ursprünglichen Gedanken brachte. Ich müsste eigentlich seelenruhig in meinem Bett liegen und mich zumindest für ein paar Stunden dem Schlaf hingeben. Wohlwissend, dass ich morgen dennoch dicke Augenringe haben würde. Stattdessen befand ich mich in einem dunklen feuchten Raum. Es gab keine Fenster, nur eine kleine, flackernde Lampe am anderen Ende des Raumes, spendete gerade so viel Licht, dass ich meine Hände leicht im Dunkeln erkennen konnte. Es war still hier. Absolut Totenstill. Plötzlich mit einem ohrenbetäubenden Knall öffnete sich die alte Holztür, die ich erst jetzt bemerkte.

 

Mein Herz hämmerte wie wild. Wie war ich nur hierhergekommen? Zögerlich stand ich auf und bemerkte, dass ich noch immer mein weißes seidenes Nachthemd trug, das mir bis zum Boden reichte. Zügig überquerte ich die fünf Schritte bis zur Tür und spähte hinaus. Vor mir befand sich ein langer Gang. Er war ebenfalls nur spärlich mit ein paar Lampen beleuchtet. Rechts, ein paar Meter neben meinem Raum befand sich eine Wand. Daher blieb mir nur die Möglichkeit nach links zu gehen. Wenn ich irgendwie hier reingekommen war, dann würde ich bestimmt auch wieder herauskommen. Ich trat gerade aus meinem „Gefängnis“ heraus, da schlug hinter mir die Tür zu. Ruckartig drehte ich mich um, doch es war niemand zu sehen. Ich spürte einen festen Knoten in meiner Brust und begann zu zittern. Wie konnte sich diese Tür geschlossen haben, wenn es nicht mal Fenster für einen Luftzug gab? Ich musste hier raus und zwar schnell. Schnellen Schrittes eilte ich den Gang entlang und blieb kurz darauf vor Schock wieder stehen.

 

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Angelina.“ Vor mir erschien ein Mann, der mir mit seiner eiskalten Stimme einen Schauer über den Rücken jagte. Mir blieb keine Zeit, um ihn genauer zu betrachten. Ich hätte ihn auch gar nicht richtig beschreiben können. Es wirkte, als würde sein Aussehen ständig ändern. Mal hatte er helle Haare und mal dunkle. Ebenso sein Alter war nicht festzustellen. Im einen Moment wirkte er wie Mitte zwanzig und im nächsten sah er sehr sehr alt aus. Dennoch wirkte er absolut anziehend. Ein Gedanke, den ich schnell beiseiteschob. Es war meinem Volk nicht gestattet solche Gedanken zu hegen. Das Einzige, das ich von ihm mit absoluter Gewissheit wahrnehmen konnte, waren seine stechend roten Augen, die mich ewig verfolgen würden und mir das Blut in den Adern gefrieren ließen. In seinem Blick lag so eine Kälte, dass ich einen kurzen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Hastig drehte ich mich um und rannte den Gang zurück. Mein einziger Ausweg führte zurück in den kleinen Raum, aus dem ich kam. Vielleicht gelang es mir, rechtzeitig die Tür zu schließen, bevor er mir folgen konnte. Mit zitternden Händen rüttelte ich am Türknopf und bekam die Tür nach ein paar erfolgslosen Versuchen endlich auf.

 

„Es bringt nichts wegzulaufen. Du wirst mir nicht entkommen.“ Abgelenkt von der furchterregenden Stimme, achtete ich nicht darauf, dass sich der Raum verändert hatte und ich mit meinem nächsten Schritt direkt in den dunklen Abgrund stürzte und fiel.

 

 

„Nein!“, schrie ich panisch und befand mich mit zitterndem Körper wieder in meinem Bett. Noch bevor meine Zofe mich beruhigen konnte, wusste ich, dass es ein Traum war. Schließlich hatte ich diesen Traum seit Tagen jede Nacht.

 

„Ganz ruhig, Prinzessin. Es ist alles gut. Das war nur ein Traum.“ Magdalena  tätschelte mir kurz und zaghaft auf die Schulter und reichte mir ein Taschentuch. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich weinte. Mit immer noch pochendem Herzen, setzte ich mich auf und versuchte mich vergeblich zur Ruhe zu zwingen.

 

„Ich weiß, er-er war nur so real.“ Magdalenas grau blaue Augen wurden mitfühlender und weicher und sie nickte.

 

„Ja, Alpträume wirken oft ziemlich real. Wenn wir schlafen, ist der Schleier zwischen unserer Welt und der Menschenwelt sehr dünn und ermöglicht es dunklen Geistern, die sich dort manifestiert haben, leicht in unser Bewusstsein einzudringen.“ Auch das wusste ich schon. Magdalena erklärte es mir jeden Morgen aufs Neue. Allerdings fürchtete ich mich dadurch nicht weniger. Ich wollte ihr gerade erklären, dass ich mit real nicht den Traum, sondern den Mann meinte, als sie sich umdrehte und mir ein kleines hellblau verpacktes Päckchen reichte.

 

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Prinzessin.“ Bei ihren Worten, durchzuckte mich für einen Moment die Erinnerung an meinen furchterregenden Traum. Schnell schob ich diese beiseite und nahm wiederwillig das kleine Geschenk.

 

„Ach Magdalena, du weißt doch, dass ich Geschenke hasse.“ Ein kleines Augenrollen konnte ich mir nicht mehr verkneifen. Auch meine Zofe schien das bemerkt zu haben.

 

„Euer Vater würde Euch jetzt rügen. Ihr seid ab heute ein erwachsener Engel, also be-“, hastig unterbrach ich sie „Also soll ich mich auch so benehmen. Ich weiß tut mir leid. Danke für das Geschenk.“ Mit zufriedenem Blick sah Magdalena mich an und zeigte mit ihrem Finger auf das Geschenk: „Aufmachen.“

 

Hastig öffnete ich die goldene Schleife und war froh, dass meine Hände mittlerweile nicht mehr zitterten. Darin befand sich sorgfältig verpackt, eine kleine schöne silberne Brosche mit einem funkelnden Rubin darin. Sie war wirklich wunderschön.

 

„Die ist aber schön, wo hast du die her? Die hat doch bestimmt ein Vermögen gekostet.“ In ihren Augen blitzte etwas auf und sie wand den Blick ab. „Ein Familienerbstück.“, sagte sie knapp. Magdalena hatte keine Kinder. Ihr Ehemann starb vor einigen Jahren. Sie waren sehr lange zusammen, über 40 Jahre, soweit ich mich erinnern konnte. Magdalena selbst sah aber immer noch aus wie Mitte/Ende zwanzig. Also so, wie die meisten Engel.

 

„Die kann ich nicht annehmen, was wenn du es dir anders überlegst und beschließt doch wieder ein Mädchen in ein paar Jahren zu bekommen.“ Kaum hatte ich es ausgesprochen, wusste ich, dass sie ihre Meinung nicht ändern würde und bereute meine Worte sofort. Magdalena hatte damals tatsächlich schon eine Tochter. Sie hieß Estella. Ich kannte sie. Magdalena hatte sie manchmal mit ins Schloss genommen, als sie noch jünger war und ich auch. Wir hatten ab und zu zusammen gespielt. Sie war vor zwei Jahren 18 geworden, als das Unglück geschah. Wie jeden Monat am Monatsanfang, kam eine Schar abgesandter Krieger der Hölle in unser Reich, um uns einen der unseren zu nehmen. Als vor über 50 Jahren ein Krieg zwischen der Hölle und dem Himmel entfachte und die Hölle dem Sieg nahe war und die Möglichkeit hatte uns zu besiegen, einigten sich beide Parteien auf einen Pakt. Der Krieg wurde mit einem Waffenstillstand beendet. Der Preis dafür war, dass die Hölle jeden Monat entweder einen volljährigen Jungen oder ein Mädchen, das nicht dem direkten Blut der sieben Erzengel angehörte, mit sich in die Hölle nehmen konnte. Genauso war es bei Estella. Ihr Vater versuchte seine Tochter zu beschützen und stellte sich den Kriegern in den Weg. Dafür wurde er skrupellos von einem der Soldaten umgebracht. Estella haben sie mitgenommen.

 

„Nein. Ich werde nie wieder Kinder bekommen und ihnen das antun. Nimm sie, sie gehört dir.“ Magdalena versuchte mich anzulächeln, allerdings sah ich, wie sie bei der Erinnerung an diesen Tag schmerzlich zusammenzuckte. Ich beschloss nicht weiter in ihren Wunden herumzubohren und nahm mit einem kurzen Danke die Brosche an.

 

Ich stand auf und ging schnell ins Bad. Magdalena hatte mir bereits ein Bad eingelassen, das ich heute allerdings nicht ganz genießen konnte. Anschließend putzte ich mir schnell die Zähne und nahm mir einen Augenblick um mich im Spiegel zu betrachten. Was mir sofort auffiel, waren meine Haare. Ich hatte taillenlange feuerrote Haare, die wirr in alle Richtungen standen. Ich nahm mir schnell eine Bürste und kämmte meine Haare, bis sie wieder geordnet in sachten Wellen herunterfielen. Leider fielen auch allen anderen immer wieder meine Haare auf. Hier im Himmel hatte jeder Engel hellblonde bis mittelblonde Haare, die strikt kurz oder zusammen getragen wurden. Zudem hatte jeder blaugraue Augen. Dazu natürlich die strahlend weißen Flügel, die wir meistens am Rücken angelegt hatten. Meine Augen entsprachen auch nicht ganz der Norm. Ich hatte strahlend blaue Augen, die an einen wilden Ozean erinnerten und im Kontrast zu meiner blassen Haut nur noch mehr strahlten. Aber immerhin stimmte hier die Farbe wenigstens annähernd. Wenigstens meine Flügel waren normal und fielen nicht auf. Hier im Palast behandelten mich alle ganz normal, aber wenn ich mit meinem Vater manchmal in der Stadt war, bemerkte ich natürlich das Getuschel und die verschiedenen Verschwörungstheorien, die die anderen über mich anführten. Es hatte mich früher immer gestört, aber mittlerweile war es mir nur noch egal. Ich erwischte mich sogar gelegentlich dabei, wie ich mir demonstrativ die Haare öffnete, um noch mehr ihr Missfallen zu erregen. Natürlich nie ohne einen tadelnden Blick meines Vaters. Offene und lange Haare waren bei uns tabu, da sie ein Zeichen der Begierde waren und diese versuchten Engel nicht zu entlocken.

 

Magdalena hatte mir bereits ein rosafarbenes bodenlanges mit Steinchen verziertes weites Ballkleid rausgelegt. Es war mein Lieblingskleid, was meine Laune immerhin etwas steigerte. Das Kleid war trägerlos, sodass die die silbernen Ornamente, die meine rechte Hand zierten, gezeigt wurden. Jeder Engel hatte an seinem rechten Arm diese Male, die Runen und himmlische Engelssymbole zeigten. Wir hatten sie seit unserer Geburt. Bei Erzengeln bedeckten sie den ganzen Arm. Bei normalen Engeln ohne Rang, lediglich ca. handgroß den Oberarm. Nur meine flossen von meinem Arm bis hin zu meinem Rücken und über mein linkes Bein. Zudem erkannte ich darin immer wieder Symbole, die ich nicht zuordnen konnte. Magdalena war die Einzige, die davon wusste. Und mein Vater natürlich. Er wollte nicht, dass ich die erweiterten Male jemandem zeigte. Jedes Mal, wenn ich ihn darauf ansprach, wich er sofort aus und meinte, er wisse auch nicht, woher sie kommen. Ich wusste er log. Auch wenn uns lügen strikt verboten war.

 

Magdalena nahm die Brosche und steckte sie mir ins mittlerweile zu einem Zopf geflochtene Haar. „Ihr seht toll aus, Prinzessin. Habt ihr euch schon entschieden?“

 

„Ich denke ich mache es spontan.“, antwortete ich knapp und erinnerte mich an mein ursprüngliches Problem zurück. Ich musste mich heute entscheiden, ob ich den Weg als Heilerin, Seherin oder Schutzpatronin einschlagen wollte. Alle Engel hatten gewisse Heilfähigkeiten. Meine waren ganz in Ordnung aber ausbaufähig. Aber ob dies die richtige Berufung für mich war, wusste ich nicht. Seherinnen erhalten Visionen von Unglücken in der Menschenwelt. Früher wollte ich das immer werden. Nach meinen immer wiederkehrenden Alpträumen, war ich mir allerdings nicht mehr sicher. Schutzpatronen werden Menschen zugeordnet, die sich nicht auf dem rechten Weg befinden. Sie sind dafür da, diese wieder in die richtige Richtung zu  lenken.

 

Magdalena zog entrüstet die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Zusammen verließen wir mein helles großes Zimmer und schritten gemeinsam hinunter in den Thronsaal. Mein Vater Gabriel stand dort umringt von den anderen sechs Erzengeln und unterhielt sich mit ihnen. Als der Krieg beendet wurde, haben sie einvernehmlichen meinen Vater als amtierenden neuen Herrscher gewählt. Daher wohnten wir auch im Schloss. Die anderen Erzengel, bezogen Häuser in der Goldenen Stadt. Er musste sie zu meinem Geburtstag eingeladen haben. Natürlich, es war ja in gewisser Weise auch ein politisches Ereignis, wenn die einzige Tochter des Herrschers des Himmels volljährig wurde.

 

„Angel, meine liebe Tochter.“ Mein Vater kam zielstrebig auf mich zu. Wäre er nicht mein Vater, hätte ich vermutlich Angst vor ihm gehabt, denn er strahlte eine enorme Macht und Willensstärke aus. Er blieb vor mir stehen und sah mich an. Einen Moment lang dachte ich, er würde mich umarmen. Aber natürlich tat er es nicht. Damit würde er gegen eine unserer Prinzipien verstoßen. Keine Berührungen außer zu Verteidungszwecken. Er schenkte mir ein sehr kurzes Lächeln, das eher der Andeutung eines Lächelns glich. Eine weitere unserer himmlischen Prinzipien: kein Zulassen von Emotionen in der Öffentlichkeit. Mein Vater sprach mich mit der Kurzform meines Namens Angelina an. Obwohl wir hier im Himmel waren und es nur passend war mich als Engelstochter mit Angel abzukürzen, hasste ich diese Kurzform. Es fühlte sich einfach falsch an.

 

Gabriel deutete mit der Hand auf einen Stuhl und ich setzte mich. Jetzt würde eine Rede kommen. Das war typisch für ihn. Bevor er anfing und ich meine Aufmerksamkeit auf ihn richtete, hatte ich kurz Zeit mir den Thronsaal anzusehen. Es bestand fast ausschließlich aus massivem Gold und hatte hohe Wände mit gotischen Bleiglasfenstern, die aus menschlichen Kirchen bekannt sind. Überall waren schöne Rosen angebracht in allen möglichen Farben, außer Rot. Rot war die Farbe der Unterwelt und die versuchten wir zu vermeiden. Im Hintergrund war sanfte Musik eines Klaviers zu hören. Einige Bedienstete, die ich gut kannte, waren ebenfalls anwesend und nickten mir zu und deuteten eine Art Verbeugung an. Mein Vater stieg auf eine kleine Erhöhung und augenblicklich richteten sich alle Augen auf ihn und gaben ihm den nötigen Respekt.

 

„Angelina, du bist jetzt 18 Jahre alt und somit ein ausgewachsenes Mitglied unserer Reihen. Als vollwertiger Engel unterstehst du nun neuen Pflichten, aber natürlich auch Rechten. Eines davon ist es, dass jeder volljährige Engel, seine Berufung selbst aussuchen darf. Daher habe ich beschlossen, dass auch du diesen Weg gehen sollst und dir eine Ausbildung wählen darfst. Ich gehe davon aus, dass das Wissen, dass du dir im nächsten Jahr aneignen wirst, dir von großem Nutzen sein wird.“ Ich fasse es nicht, er stellte es so hin, als wäre es seine Idee gewesen. Ich versuchte mir mein Missfallen nicht anmerken zu lassen und unterdrückte den Funken Wut, der in mir aufstieg. „Für heute möchte ich einfach nur meine Glückwünsche zu deinem Geburtstag ausdrücken und dir meinen Segen wünschen.“ Es brach tosender Applaus aus und überall aus der Ecke wurden mir Glückwünsche zugerufen. Mein Vater deutete zu dem Berg an Geschenken, den ich erst jetzt bemerkte. Ich wollte gerade darauf zugehen, als meine Welt mit einem Schlag ins Wanken geriet. Denn da materialisierte sich hinter mir eine Gestalt, deren Stimme ich überall erkennen würde.

 

„Auch von mir die herzlichsten Glückwünsche und meinen Segen.“ Es war die Stimme des Mannes aus meinen Träumen.

Kapitel 1

Schon bevor ich mich umdrehte, wusste ich, dass er es war. Er sah aus, wie in meinem Traum, auch wenn es genauso undefinierbar war. Es schien, als würde sein Erscheinungsbild stetig wechseln. Erst glaubte ich, er wäre ein 18 jähriger blonder Junge, mit einem frechen Grinsen. In der nächsten Sekunde erschien er mir mit kinnlangen pechschwarzen Haaren und sah um die Mitte dreißig aus. Er war groß, mindestens 1,85 m und sehr muskulös. Seine Kleidung war einfach zu beschreiben, denn sie war komplett schwarz. Schwarze Lederschuhe, eine schwarze Jeans und ein schwarzes Hemd. Alles in allem sah er unwahrscheinlich attraktiv aus. Sofort verwünschte ich mich für diesen Gedanken. Sowas durfte ich nicht denken. Nun stachen mir seine glühend roten Augen ins Gesicht. Sein Blick war noch intensiver als in meinen Träumen. Absolut fesselnd. Und es war noch etwas anders, als in meinen Träumen. An seinem Rücken befanden sich zwei riesengroße schwarze Flügel. Erst jetzt stellte ich fest, dass er mich geradewegs anstarrte. Ich hätte den Blick abwenden sollen, so wurde ich erzogen. Aber ich konnte einfach nicht.

 

„Was tust du hier?“ Hinter mir ertönte die kraftvolle Stimme meines Vaters. Ohne ihn anzusehen wusste ich, dass er angespannt war. Er klang ziemlich verärgert.

 

„Oh verzeihe, alter Freund. Ich dachte, ich wäre eingeladen gewesen.“ Auf den Lippen des Eindringlins zeichnete sich ein schiefes Lächeln ab. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht definieren. Er wirkte irgendwie amüsiert. Obwohl er mit meinem Vater sprach, ruhte sein Blick immer noch auf mir.

 

„Was willst du hier? Und wir sind keine alten Freunde. Das weißt du.“ Mein Vater klang nun noch angespannter, als zuvor schon.

 

„Ich möchte deiner hübschen Tochter zum Geburtstag gratulieren und ihr ein Geschenk überreichen.“ Ich hörte einige Engel entrüstet die Luft einziehen. Wer war nur dieser Mann und was wollte er hier?

 

„Ich sage es dir ein letztes Mal. Verschwinde augenblicklich von hier.“ Die Stimme meines Vaters kam näher und ich sah, wie einige Wachen an den Türen sich bereit machten um jederzeit angreifen zu können.

 

„Und ich dachte der Himmel steht für Gastfreundschaft.“ Der Fremde zog sarkastisch die Augenbrauen hoch, als er sah, wie sich unsere Wachen bereit machten, um anzugreifen. Beim genauen betrachten unserer Soldaten stellte ich fest, dass ihre Züge angespannt wirkten und ihnen sogar ein wenig Angst ins Gesicht geschrieben war. Es schien den Schwarzgeflügelten alles scheinbar nicht zu interessieren, obwohl er vollkommen alleine und unbewaffnet war, denn er kam anmutig auf mich zu und überquerte mit vier Schritten die Distanz zwischen uns und blieb direkt vor mir stehen. Mein Atem begann sich zu beschleunigen und mein Herz raste wie wild. Der Fremde streckte mir seine Hand entgegen und sah mich fragend an. Ich wusste, dass es sehr dämlich war, aber ich konnte nicht anders, als meine Hand in seine hineinzulegen. Erstaunlicherweise fühlte sich seine Hand angenehm warm und geschmeidig an. Er führte meine Hand zu seinem Gesicht und was er dann tat, machte mich fast unfähig, einen weiteren Gedanken zu hegen. Er senkte seinen Kopf leicht herab und gab mir einen kurzen, raschen Kuss, auf den Handrücken. Überwältigt von seiner Geste realisierte ich, dass ich komplett aufgehört hatte zu zittern und sich mein Herzschlag komplett beruhigt hatte.

 

„Es freut mich, dass wir uns nun auch außerhalb deiner Traumwelt kennenlernen. Meinen Glückwunsch zu deinem Geburtstag.“ Mit geweiteten Augen starrte ich ihn an. Meine Träume waren keine reine Fantasie gewesen. Er hatte sich hineingeschlichen und mir Tag für Tag neue Alpträume beschert.

 

„Wer sind Sie?“ Ich war erstaunt, wie selbstbewusst ich klang. Denn so fühlte ich mich überhaupt nicht.

 

„Verzeihe meinen Mangel an Benehmen. Ich vergaß komplett mich dir vorzustellen. Ich habe mehrere Namen aber ich werden dir den nenne, unter dem du dir etwas vorstellen kannst. Mein Name ist Luzifer.“ Ich hätte ausrasten sollen oder mich von ihm entfernen. Aber ich blieb wie versteinert stehen. Ein Teil von mir hatte es die ganze Zeit über geahnt, dass er böse war. Und vielleicht hätte ich auch darauf kommen können, dass er Luzifer war. Der Herrscher der Hölle und der absolute Inbegriff des Bösen. Wie konnte ich auch nur für einen Augenblick glauben, dass er attraktiv wäre. Was war nur in mich gefahren.

 

Schließlich fand ich meine Stimme wieder: „Ja ihr Name ist mir definitiv ein Begriff. Was wollen Sie von mir Luzifer?“ Mutig reckte ich den Kopf und starrte so furchtlos ich konnte in seine glühenden Augen. Eine Sekunde lang durchzuckten seine Augen etwas Merkwürdiges. Aber ich wusste nicht, was es bedeutete.

 

„Du bist mutig Angelina. Das gefällt mir. Ich bin hier um dir ein Geschenk zu machen. Ich bin persönlich hierhergekommen um zu verkünden, dass du es bist die ich mir ausgesucht habe, die diesen Monat mit mir in mein Reich gehen wird.“

 

Mit einem Schlag stellte sich mein Vater zwischen mich und den vertrauten Fremdem. „Wage es nicht Luzifer. Wir haben einen Pakt und der beinhaltet nicht meine Tochter. Du kannst sie nicht mitnehmen.“ Die Stimme meines Vaters geriet beim Sprechen ins Wanken. Er klang nun eher verzweifelt. Und genauso fühlte ich mich auch. Und ich wusste, wovon er sprach. Es war zwar nicht mehr Monatsanfang, dennoch wusste ich, dass zum ersten keine Abgesandte der Hölle gekommen waren, um ihren Tribut einzufordern. Das bedeutete, der Hölle stand tatsächlich zu diesen Monat noch jemanden einzufordern. Aber was mein Vater sagte stimmte absolut. Der Pakt galt nur für Engel, die nicht aus der direkten Abstammung der Erzengelblutlinie stammten. Das war bei mir nicht der Fall. Mein Vater war definitiv ein Erzengel und meine Mutter ein Engel, auch wenn sie bei meiner Geburt gestorben war.

 

Weiter hinten zwischen den Reihen, erkannte ich Magdalena. Ihre Augen waren geweitet vor Schreck und ich sah vereinzelte Tränen ihre Wangen herunterlaufen.

 

Zu meinem Erstaunen brach Luzifer in schallendes Gelächter aus. Es klang absolut unheimlich und zugleich auch absolut wundervoll. „Gabriel dachtest du wirklich ich würde dein Geheimnis nicht kennen? Ich weiß ganz genau, dass ich ein Recht darauf habe sie auszuwählen.“ Was meinte er damit? Welches Geheimnis? Erstaunlicherweise schwieg mein Vater. Warum sagte er denn nichts?

 

„Können wir nicht einen Kompromiss finden? Ich könnte dir stattdessen zwei aus unseren Reihen anbieten.“ Ich sah, wie die anderen Erzengel bleich wurden vor Entsetzen. Was mein Vater da vorschlug, war absolut inakzeptabel und unvereinbar mit unserem Glauben. Alleine diese Aussage könnte ihn seine Herrschaft kosten.

 

„Nein! Ich habe keine Lust mehr auf diese Spielchen. Entweder du gibst sie mir freiwillig mit oder der Pakt und der dazugehörige Waffenstillstand ist hinfällig. Entscheide dich Gabriel. Jetzt.“ Um uns herum veränderte sich die Luft. Die Augen des Teufels blitzten bedrohlich auf und wirkten nun noch röter als zuvor. Es schien, als würde sich Feuer in seinem Blick befinden, das nun anfing in Bewegung zu geraten. Mir stellten sich die Härchen. Alles, was gerade eben noch so anziehend an ihm wirkte, verursachte mir jetzt nur noch einen absoluten Schrecken.

 

„Komm zur Vernunft Gabriel. Wir dürfen einen Krieg nicht riskieren.“ Ohne hinzusehen wusste ich, dass es Michael war, der sprach. Ehe mein Vater protestieren konnte, waren nun auch die anderen Erzengel in der Lage zu sprechen. „ich weiß zwar nicht wovon er da spricht, aber er wird seine Meinung nicht ändern. Gib sie ihm mit. Was ist schon ein Leben im Vergleich zu einem ganzen Volk.“, ertönte von nebenan Uriels Stimme. Bei seinen kalten Worten wurde mir nur übel. Mein Vater würde niemals zulassen, dass ich mit Luzifer ging. Ich war seine einzige Tochter.

 

Es schien eine gefühlte Ewigkeit zu vergehen, bis mein Vater antwortete. Als er sprach klang er alt, sehr sehr alt und gebrochen. Es war nicht mehr als ein heiseres Flüstern: „So sei es.“  

 

„Ich wusste doch, dass auch du zu brechen bist Gabriel. Wie immer ist dir dein Ansehen und dein Ruf als Retter deines Volkes am Wichtigsten.“ Luzifer wand sich wieder mir zu „Wir werden sofort aufbrechen. Du kannst dich noch verabschieden.“ In meinem Kopf drehte sich alles. Was hier passierte war einfach nicht zu fassen. Langsam drehte ich mich zu meinem Vater und sah ihn an. Er hatte den Blick gesenkt. Schaute mich nicht einmal mehr an. Er flüsterte ein heiseres „Es tut mir leid.“ Tief in mir drin wusste ich, dass er keine andere Wahl hatte. Dennoch war ich einfach nur maßlos enttäuscht und zutiefst verletzt. Ohne irgendetwas zu antworten drehte ich mich wieder zu Luzifer zu.

 

„Ich bin fertig hier. Wir können gehen.“ Meine Stimme klang hart und kalt. Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass mir eine einzelne Träne die Wange herunterlief. Luzifer streckte mir die Hand aus, die ich ohne Zögern ergriff. Ohne noch einmal zurückzuschauen, wand ich meinem alten Leben den Rücken zu und verschwand Hand in Hand mit dem Teufel in der Dunkelheit.

Kapitel 2

Ich wusste nicht wie spät es war, als ich aufwachte. Genauso wenig wusste ich, wie ich hier überhaupt hergekommen war. Das letzte an das ich mich erinnern konnte war, dass ich die Hand des Teufels genommen hatte und daraufhin ein merkwürdiger dunkler Rauch um uns herum aus dem Boden empor stieg. Das war’s. Ich nahm mir Zeit mein „Gefängnis“ zu betrachten. Es war ein mittelgroßes Zimmer. Die Wände waren weiß. Es gab zwei große Fenster, die von einem dunkelgrauen Fensterrahmen umrahmt waren. Ich selbst befand mich auf einem schmalen Bett, welches aus einem grauen Stahlgestell bestand. Es war mit einfacher cremefarbener Bettwäsche überzogen. Nebendran stand ein kleiner weißer Nachttisch, mit einer weißen Nachttischlampe obendrauf. Erstaunt stellte ich fest, dass es ziemlich normal aussah und überhaupt nicht höllenartig. Wie ein ganz normales Zimmer eben. Diesen Gedanken verwarf ich sofort, als ich die andere Seite des Zimmers betrachtete. Es gab die gleiche Einrichtung: graues Bett und gleicher Nachttisch. Das Bett war allerdings mit knallpinker Bettwäsche überzogen. Und nicht nur das, an der Wand waren unzählige Poster angebracht. Ich ging näher heran, um mir diese ansehen zu können. Mir entfuhr ein geschocktes „Oh Gott“ denn auf den Postern waren einige Männer darauf, die sagen wir mal nur spärlich bekleidet waren. Ja, manche waren sogar fast nackt. Sofort wand ich meinen Blick ab.

 

„Na gefällt dir, was du siehst?“ Ich hatte sie gar nicht bemerkt. War sie schon die ganze Zeit da gewesen oder gerade eben erst hereingekommen? Ich schätzte sie auf das gleiche Alter, vielleicht etwas älter. Sie war ebenfalls nicht gerade groß, vielleicht sogar noch kleiner als ich, was bei meinen 1,60 m nicht gerade leicht war. Zudem war sie schlank. Das waren aber auch schon die einzigen Ähnlichkeiten. Das Mädchen hatte schwarze kinnlange Haare, die wirr abstanden. Ihre Augen waren stechend grün, die von schwarzer Farbe umrandet waren und dadurch noch mehr auffielen. Auf ihren Lippen trug sie lila Lippenstift. Ihre Haut war hell, aber dennoch etwas dunkler als meine. Nun fiel mein Blick auf ihre Kleidung. Sie trug einen schwarzen sehr sehr kurzen Rock, der ihr gerade mal über den Po reichte und eng anlag. Obenrum hatte sie ein kurzes bauchfreies Top an, das die gleiche Farbe hatte wie ihre Lippen. Ihre Schuhe machten mich ungläubig. Das waren bestimmt 15 cm Absätze. Sie waren ebenfalls schwarz und mit ein paar Riemchen und Nieten geziert.

 

„Krasse Haarfarbe. Wusste gar nicht, dass Engel rote Haare haben.“ Sie musterte mich ausgiebig. Ich bemerkte den Argwohn in ihrer Stimme, als sie das Wort Engel aussprach. Ansonsten wirkte ihre Stimme normal, sogar fast freundlich, wenn da nicht ein Hauch von etwas anderem darin gewesen wäre. Sarkasmus, das musste wohl Sarkasmus sein, dachte ich.

 

Da mir nichts Besseres einfiel sagte ich schlicht: „Sind das deine?“ und deutete dabei auf die Poster, die ich vergeblich versuchte zu vergessen.

 

„Ja, geil oder? Ach wie ich Channing Tatum einfach liebe, obwohl er nur ein simpler Mensch ist. Dennoch ist er heiß. Willst du auch eins, ich habe in meinem Nachttisch glaube ich noch welche.“ Sie machte sich dran, in ihrem Nachttisch nach etwas zu wühlen.

 

„Nein!“, sagte ich hastig. Das Mädchen lachte kurz auf und murmelte etwas, das wie „Engel haben einfach keinen Geschmack“ klang. Aber sie hörte auf nach diesem Channing irgendwas zu wühlen und setzte sich stattdessen auf ihr Bett. „Nur dass eins klar ist Engelchen, auch wenn wir jetzt Zimmernachbarn sind, du bleibst gefälligst von meinen Klamotten weg und bleibst schön auf deiner Seite des Schrankes.“ Mit ihrem langen Finger zeigte sie auf den dunkelbraunen Kleiderschrank, der mir bisher gar nicht aufgefallen war.

 

„Nein, nenn mich nicht so. Ich heiße…“ Aprupt brach ich ab. Sie schien nicht zu wissen, wer ich war und das sollte auch so bleiben. Ich konnte ihr nicht meinen richtigen Namen nennen. Sie würde in Kombination mit meinem Aussehen schnell darauf kommen, wer ich war. „Lina.“, sagte ich schließlich. Komischerweise fühlte ich mich damit ziemlich wohl.

 

„Alles klar, dann also Lina. Ich bin Cassandra. Aber du kannst auch Cassie zu mir sagen. Ist mir lieber.“

 

„Freut mich dich kennenzulernen äh Cassie. Schöner Name.“, stammelte ich unbeholfen.

 

„Danke. Meine Eltern wollten einen Namen mit Bedeutung und da sie beide Sexdämonen sind, dachten sie der Name wäre passend.“ Automatisch zuckte ich beim Wort mit S zusammen. Ein Wort, das wir Engel nicht in den Mund nahmen niemals und einer unseren größten Verbote. Keine körperliche Nähe zu anderen. Nicht einmal in der Ehe. Wenn Engel Kinder bekamen geschah das alleine durch die Verschmelzung des Geistes zwischen Mann und Frau in einem zeremoniellen Ritual, bei dem sich beide Partner festlegen konnten, ob sie ein Mädchen oder einen Jungen wollten. Dass Cassie eine Dämonin war, war mir längst klar.

 

„Und was bedeutet dein Name?“, fragte ich ziemlich einfallslos und versuchte mir nicht mein Unbehagen anmerken zu lassen.

 

„Die Verführerin oder die Männerfangende. Wobei ich das zweite besser finde.“ Oh wow. Dagegen war die Bedeutung meines Namens ziemlich einfallslos. Angelina bedeutete Engel bzw. Engelchen. War ja klar, dass sich mein Vater sowas ausgesucht hatte. Bei der Erinnerung an meinen Vater spürte ich etwas in mir. Eine Sekunde lang dachte ich, es wäre Wut gewesen. Dann schob ich schnell jegliche Gedanken an ihn beiseite.

 

„Wo bin ich hier?“, fragte ich froh vom Thema verführen etc. ablenken zu können.

 

„Okay ich merke du hast so ziemlich keinen Plan. Dann werde ich es dir mal kurz erklären. Du weißt, dass du in der Hölle bist oder?“ Zustimmend nickte ich. „Gut. Und was denkst du, was mit euch Engeln passiert, wenn ihr hierherkommt?“ Kurz dachte ich über ihre Worte nach. Die meisten Engel gingen davon aus, dass wir in der Hölle sterben oder, dass irgendetwas mit unserer Seele gemacht wird. Aber tot war ich nicht und komisch fühlte ich mich bisher auch nicht. Da ich das aber nicht sagen wollte, zuckte ich lediglich mit den Schultern.

 

„Das hier ist so ne‘ Art Internat. Hier gibt es ganz normalen Unterricht und wir werden zu Dämonen ausgebildet.“

 

„Aber du bist doch schon eine äh Dämonin?“ Alleine beim Aussprechen dieses Wortes wurde mir übel.

 

„Ja schon, aber noch keine ausgebildete. Wir haben bis zu unserem 18. Lebensjahr ganz normalen Unterricht in den Fächern Mathe, Fremdsprachen, Sport und das übrige Zeugs. Ich denke mal, das wird bei euch nicht anders sein?“ Erstaunt sah ich sie an. Ja das war bei uns genauso. Wir hatten ganz normale Schulfächer und nebenbei noch ein paar spezielle Fächer, die unsere besonderen Fähigkeiten unterstützten, wie das Erlernen der Heilkünste. „Ja das ist bei uns genauso. Aber das heißt hier an diesem Internat sind Dämonen und Engel oder wie kann ich das verstehen?“

 

„Ja ganz genau. Deshalb sind wir auch zusammen in einem Zimmer. Sie wollen, dass euch die Anpassung leichter fällt. Und der Unterricht ist auch gemischt. Ach da fällt mir gerade ein, hier ist ein Umschlag für dich. Vermutlich dein Stundenplan.“ Immer noch völlig entgeistert, nahm ich den Brief entgegen. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Aber es war schlau. Luzifer erschuf sich somit nach und nach eine Armee funktionsfähiger Engel. Damit würde er einen zweiten Krieg definitiv gewinnen. Langsam öffnete ich den Umschlag. Eine Doppelstunde in Abschlachten von Engeln konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen. Ich atmete einmal tief durch und sah mir dann meinen Stundenplan an.

 

Stundenplan

 

Stunde 1+2             Geschichte der Hölle        

08:30 – 10:00         Prof. Damian, Raum E102

 

Stunde 3+4            Emotionen und Gefühle

10:00 – 11:30         Prof. Lucian, Raum E104

 

Mittagspause          Mensa

11:30 – 12:30

 

Stunde 5+6            Gabenkunde

12:30 – 14:00         Prof. Damien, Raum O204

 

Stunde 7+8            Angriff und Verteidigung

14:00 – 15:30         Prof. Lucian, Sporthalle

 

Immer wieder las ich mir meinen Stundenplan durch und wartete darauf, dass doch noch irgendetwas Monströses darauf auftauchen würde. Also unter Geschichte der Hölle konnte ich mir etwas vorstellen. Und Angriff und Verteidigung erklärte sich von selbst. Ehe ich etwas sagen konnte, riss Cassie mir den Zettel aus der Hand.

 

„Lass mal sehen. Oh wow hast du ein Glück. Du hast nur Unterricht bei Professor Damian und Lucian.“ Sie stieß einen theatralischen Seufzer aus.

 

„Wieso? Ist der Unterricht so gut?“

 

„Ach wen interessiert schon der Unterricht? Auf einer Skala von 1-10 sind beide definitiv ne 10. Wobei ich Lucian sogar auf 11 ansetzen wurde. Er macht immer so auf unnahbar, aber den kriege ich schon noch geknackt.“

 

Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte ich sie an. „Geknackt? Du meinst doch nicht etwa..?“ „Sex? Doch genau das meine ich.“ Cassie grinste mich an.

 

„Aber es sind doch unsere Lehrer. Das geht doch nicht?“ Das konnte doch nicht ihr Ernst sein.

 

„Ach Schätzchen, wir sind hier in der Hölle. Du wirst schon noch merken, dass es fast nichts gibt, dass es hier nicht geht.“

 

„Okay, mach was du willst. Aber eine Frage habe ich noch. Was ist, wenn ich verweigere an diesem Unterricht teilzunehmen. Ich denke nicht, dass Angriff und Verteidigung was ist, mit dem ich mich anfreunden kann.“ Nun sah mir Cassie genau in die Augen und war wieder vollkommen Ernst.

 

„Das ist ganz einfach. Entweder du schaffst es dich damit ‚anzufreunden‘“ Cassie setzte mit ihren Fingern anfreunden in Anführungszeichen „oder sie sehen dich als gescheitert an.“ Dabei hob sie ihre Hand vor ihren Hals und schnitt sich damit imaginär den Kopf ab. Das bedeutete wohl ich hatte keine andere Wahl. Na klasse.

Kapitel 3

Ich war gerade in einen tiefen, traumloses Schlaf gesunken, als quer durch den ganzen Raum „Shot through the heart. And you're to blame. Darlin', you give love a bad name” drang. Ich war sofort hellwach und vergaß sogar für einen Moment, wo ich war. Dann fiel es mir schlagartig wieder ein. Natürlich. Ich war in einem Hölleninternat in meinem Zimmer mit meiner mehr als merkwürdigen Zimmernachbarin Cassandra. Und au weia, heute war mein erster Schultag.

 

Gestern war nichtmehr viel passiert. Cassie war kurz darauf verschwunden. Sie sagte, sie würde sich mit Freunden treffen. Sie bot mir nicht an mitzugehen, aber das hätte ich sowieso nicht vorgehabt. Mit Freunden bedeutete nämlich mit anderen Dämonen. Und da musste ich nicht dabei sein.

 

Erstaunlicherweise war bereits später Nachmittag gewesen. Daher schaute ich mir das Zimmer näher an. Ich ging zu einem der großen Fenster und spähte hinaus. Es war leicht bewölkt, aber vereinzelt drangen ein paar Sonnenstrahlen durch. Es konnte keine wirkliche Sonne sein, schließlich waren wir unter der Erde. Aber die Simulation sah erstaunlich echt aus. Das Grundstück, auf dem sich das Internat befand, war von einer Grünanlage umgeben. Ich erkannte mehrere Jungs und Mädchen in meinem Alter, die zu kleinen Grüppchen zusammenstanden. Dabei war deutlich zu erkennen, dass die Engel weit entfernt von den Dämonenkids standen. Die Engel standen eher ruhig beieinander und unterhielten sich oder lasen ein Buch, während die Dämonen sich eher um den Sportplatz herum versammelten und Basketball spielten. Erschrocken stellte ich fest, dass einige sogar Zigaretten rauchten.

 

In meinem Nachttisch befanden sich ein paar Gegenstände. Erstaunt stellte ich fest, dass es unter anderem mein Handy war. Ich hatte es im Himmel bereits gehabt, allerdings nicht viel genutzt. Wen sollte man als Prinzessin auch kontaktieren? Ich ging meine Kontakte durch. Sie waren leer. Klar, sie wollten nicht, dass wir Kontakt zu unseren Familien im Himmel aufnahmen. Magdalenas Nummer kannte ich auswendig. Schnell tippte ich sie und stellte fest, dass die Verbindung nicht hergestellt werden konnte. Soweit hatten sie also auch gedacht. Gefrustet legte ich es beiseite. Es lagen auch ein paar Bücher darin, die ich nicht kannte. Da ich nicht wusste, was ich tun sollte, nahm ich mir wahllos eins mit dem Titel „Ein ganzes halbes Jahr“. Nach circa der Hälfte stellte ich fest, dass es sich um einen Liebesroman handelte. Welch eine Ironie. Liebesbücher in der Hölle.

 

Cassie war immer noch nicht zurück und erstaunt stellte ich fest, dass es bereits 21 Uhr war. Zeit zum Schlafengehen. Der Kleiderschrank war erstaunlicherweise bereits eingeräumt mit allen möglichen Sachen. Zu meinem Entsetzten stellte ich fest, dass die meisten Sachen der Kleidung von Cassie ähnelten. Die Nachthemden bestanden alle aus feiner Spitze und waren sehr kurz. Weiter hinten fand ich ein einfaches brr schwarzes T-Shirt und eine schwarze knielange Leggings. Es war zwar nicht meine Farbe, aber noch akzeptabel. Das Badezimmer war ebenfalls sehr schlicht gehalten, mit einem kleinen Fenster, einem weißen Waschbecken, einer Toilette und einer Dusche. Es war ein ganz anderer Standard als ich es gewohnt war, dennoch reichte es mir vollkommen. Normalerweise half mir Magdalena immer beim Zubettgehen. Aber sie war nicht hier. Also putzte ich mir schnell die Zähne, öffnete meine Haare und kämmte sie mir kurz durch und wechselte dann meine Kleidung. Nun nahm ich mir kurz Zeit mich im Spiegel zu betrachten. Ich sah aus wie ich. Aber dennoch irgendwie anders. Obwohl es mir schwerfiel es zuzugeben, aber die dunkle Kleidung schmeichelte mir. Unter meinen Augen befanden sich dunkle Augenringe, die mich etwas alt aussehen ließen. Ich ging zurück ins Zimmer und legte mich erschöpft ins Bett. Davor sammelte ich kurz meine Energie und zog meine Flügel ein. Beim Blick aus dem Fenster hatte ich niemanden mit Flügeln gesehen. Und auffallen wollte ich auch nicht. Ich war so müde, dass ich fast sofort einschlief und nicht einmal mitkriegte, wie Cassie zurückkam.

 

„Mach das aus.“, grummelte ich, als nach ein paar Sekunden immer noch der Lärm aus Cassies Richtung kam. „Cassie!“, rief ich etwas lauter, als immer noch nichts geschah. Vom anderen Bett aus, hörte ich ein genervtes „Mach mal halblang“ und dann schließlich, machte sie die Musik aus. Ich warf einen Blick auf meinen Wecker, den ich gestern noch aufgebaut hatte. 7.30 Uhr. Okay also genug Zeit um mich fertig zu machen. Der Unterricht begann erst in einer Stunde.

 

„Ist es für dich in Ordnung, wenn ich zuerst ins Bad gehe?“, fragte ich. Cassie hatte sich schon wieder umgedreht. „Mach was du willst Lina. Ich penn noch ein bisschen. Und mach nicht zu viel Krach“ Ich ging ins Bad und duschte mich eilig. Nachdem ich mich fertiggemacht hatte, zog ich mich an. Es gab hier eine Schuluniform, die aus einem für meine Verhältnisse viel zu kurzen schwarzen Rock bestand. Er ging bis zur Mitte meiner Oberschenkel und legte den Blick auf meine Tättowierungen an meinem linken Bein leider völlig frei. Dazu gab es ein einfaches weißes Hemd, welches ich in den Rock hineinsteckte. Die Schuhe bestanden aus schwarzen kurzen Stiefeletten, die zum Glück einen nur sehr geringen Absatz hatten. Ich nahm mir ein Haargummi und machte meine Haare zu einem Dutt. Beruhigt, dass jeder Engel die selben Probleme mit der Schuluniform hatte, ging ich zurück ins Zimmer. Cassie war mittlerweile wach und ging direkt nach mir ins Bad. Als sie heraus kam, merkte ich, dass sie zwar die selbe Uniform anhatte, es aber komplett anders trug. Sie hatte ihren Rock weit hochgezogen, sodass er sehr knapp saß. Ihr weißes Hemd hatte sie weit aufgeknöpft und bauchfrei zusammengebunden. Und sie trug andere Schuhe. Schwarze Stiefel, die bis zu den Knien gingen. Zudem war sie wieder stark geschminkt und trug heute einen leuchtend roten Lippenstift.

 

„Wo hast du als Erstes?“, fragte sie schließlich. Mir entging dabei nicht, wie sie mich von oben bis unten musterte. Ihr Blick blieb dabei kurz an meinen silbernen Ornamenten an meinem Bein hingen. „Habt ihr mittlerweile schon an den Beinen diese Tattoos?“

 

„Manche schon.“, log ich und wurde sofort mit ein paar Gewissensbissen dafür belohnt. „Ich habe in E102 Geschichte der Hölle bei Professor Damian.“, ergänzte ich schnell, damit sie keine weiteren komischen Fragen stellen konnte.

 

„Dann kannst du mit mir mitkommen. Ich bin nebenan in E101.“ Cassie nahm sich ihre Schultasche und ich nahm mir meine, die bereits vorgerichtet an meinem Bettende stand. Im Flur kamen uns einige Leute entgegen. Zudem mussten wir zwei Treppen nach unten nehmen. Dann waren wir direkt im Lehrgebäude. Einige Dämonen grüßten Cassie. Es waren hauptsächlich Jungs. Ich war sehr angekrampft, aber je weiter ich ging, desto mehr stellte ich fest, dass hier keiner wirklich furchterregend aussah. Dämonisch ja, aber nicht böse und gefährlich. Immer wenn wir an Engeln vorbeikam, senkte ich den Blick. Ich wollte nicht, dass jemand mich erkannte. Cassie blieb vor einer Tür stehen. „Hier ist dein Zimmer. Ich bin gegenüber.“ Und bevor ich noch etwas sagen konnte, war sie schon verschwunden. Hilflos blieb ich vor dem Klassenzimmer stehen. Okay, jetzt bloß nicht in Panik geraten. Ich atmete dreimal tief durch und dann trat ich ein.

 

Die Klasse war größtenteils schon gefüllt. Es gab etwa 30 Schüler und jeder hatte seinen eigenen kleinen Tisch. Die Wände waren dunkelgrau gestrichen. Es gab aber vier große Fenster, wodurch es trotzdem freundlich aussah. Kaum trat ich ein, verstummten die Gespräche und es richteten sich alle Blicke auf mich. Nervös murmelte ich ein leises Hallo. In den letzten zwei Reihen saßen die Dämonenkids. Ein paar steckten sofort die Köpfe zusammen und begannen zu tuscheln. Ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Zum Glück rettete mich ein Mädchen aus der zweiten Reihe. „Hey, bei mir ist noch ein Platz frei.“ Erleichtert setzte ich mich an den holzfarbenen Tisch, der direkt am Fenster stand. Sie hatte dunkelblonde schulterlange Haare, die sich zu Locken kringelten. Ihre Augen waren in einem freundlichen Blauton. Sie war definitiv ein Engel. „Ich bin Anna.“, sagte sie freundlich und reichte mir die Hand. Als sie mich anschaute weiteten sich ihre Augen. Oh nein. Nicht das noch.

 

„Danke, dass du mir geholfen hast Anna. Ich bin Lina.“, sagte ich schnell und hoffte, dass sie es verstand. Sie sah mich ein paar Sekunden lang einfach nur an und schien zu überlegen.

 

„Lina… okay. Ich verstehe.“ Leiser sagte sie „Ich kümmere mich darum, dass niemand etwas sagt.“ Dankend sah ich sie an.

 

„Sicher, dass du am richtigen Tisch sitzt Neue? Oder haben Engel jetzt mittlerweile rote Haare?“ Vor meinen Tisch stellte sich ein muskulöser Junge, der die männliche Schuluniform trug. Gleiches Outfit, nur anstatt eines Rockes eine lange schwarze Hose. Er hatte dunkelbraune Haare und ebenfalls braune Augen. Ich wusste, dass er mich provozieren und herausfordern wollte, also versuchte ich ihn einfach zu ignorieren. Ich wollte nicht gleich vor meiner ersten Stunde eine Konfrontation auslösen.

 

„Wenn du magst Süße kannst du auch nach hinten zu uns kommen. Auf meinem Schoß ist noch ein Platz frei.“, sagte er und lehnte sich nah zu mir vor, sodass uns noch etwa 30 cm trennten.

 

Ich wusste, dass er ein Dämon war und sehr gefährlich werden konnte. Ich sah es aber nicht ein, dass er so mit mir sprach. Keine Ahnung was mich geritten hatte, aber ich lehnte mich zu ihm vor und tat etwas ziemlich unengelhaftes. Ich lehnte mich so nahe, dass ich seinen Atem spüren konnte und sagte so süß ich konnte „Danke für das nette Angebot, aber ich denke ich verzichte. Ach und nenn mich doch künftig Lina.“ Dann klimperte ich ihn zweimal mit den Augen an und drehte ihm meinen Rücken zu. In der letzten Reihe brach schallendes Gelächter aus. Ein Junge mit kurzen dunkelblonden Haaren rief: „Die hat‘s dir aber gegeben.“ Ein anderer rief „Siehs ein nicht jede verfällt deinem Charme.“

 

„Wer war das?“, fragte ich leise Anna, die mich mit großen Augen ansah. Dann schließlich musste sie kichern. „Das war Alex. Sagen wir mal so, er ist bei den hmm Mädchen seiner Art sehr beliebt. Er kennt eigentlich keine Zurückweisung.“ Ich warf einen kurzen Blick nach hinten und begegnete direkt dem Blick von Alex. Zu meinem Erstaunen sah er nicht sauer aus. Er grinste mich frech an und zwinkerte mir zu.

 

„Wenn das alles ist, können wir ja nun endlich mit dem Unterricht anfangen.“ Oh nein. Wie lange war der Professor denn schon anwesend.

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Tag der Veröffentlichung: 07.08.2019

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