Cover

Titel

 

Drachenblut

 

Eine

Fantasyliebesgeschichte

 

von

 

Anna Kleve

 

 

 

 

 

 

1. Gabriel – Geschwisterjagd

 

Mein Name ist Gabriel Wolfenstein, aber die meisten sagen einfach Gabe zu mir. Ich bin fünfmal so stark, wie ein Mensch meiner Körperstatur und fünfmal so schnell. Es ist kein Problem für mich die Gedanken der Menschen zu lesen und den Verstand von Tieren zu beherrschen. Auch Menschen bestimmte Ereignisse vergessen zu lassen fällt mir nicht schwer. Selbst dem Wind kann ich befehlen. Warum? Ganz einfach: Ich bin ein Vampir, ein Bluttrinker, dessen Eckzähne bedrohlich lang werden können. Und was meine Fähigkeiten angeht. Nicht alles ist wie in Mythen und Legenden. Unsterblichkeit ist auch für uns ein Traum, der zu vielen Legenden geführt hat. Tatsächlich werden wir etwa doppelt so alt wie Menschen. Die Sonne? Nun, ich bekomme schneller und stärker Sonnenbrand, als Menschen, aber ich zerfalle nicht zu Staub. Kreuze sind eine Erfindung der Kirchen, um ihre Heilskraft zu bestätigen. Von wegen die alleinseligmachende Kirche! Mit fließendem Wasser habe ich zum Glück keine Probleme. Zum Glück! Meine Sinne sind wie die eines Raubtieres und der Gestank wäre kaum auszuhalten, wenn ich nicht duschen könnte. Alleine dieser Gedanke ließ mich erschauern. Und was gibt es sonst noch zu mir zu sagen? Vielleicht, dass ich in dem einzigen Dorf aufgewachsen bin, in dem nur Vampire lebten? Die meisten Vampire hatten sich in kleinen Gruppen in Großstädten niedergelassen, wo sie nicht weiter auffielen. Aber wir waren auch anders, als die meisten Vampire. Den Großteil unseres Bedarfs an Blut stillten wir über Tierblut. Nur einmal im Monat kam ein Wagen von einer Blutbank in unser Dorf, damit wir Menschenblut bekamen. Es war nötig zwischendurch Menschenblut zuzuführen, damit unsere Kräfte erhalten blieben. Diese Lieferungen mit Blut kamen immer am ersten Samstag des Monats und an einem dieser Samstag, etwa drei Wochen nach meinem 19ten Geburtstags, begann sich mein Leben für immer zu verändern.

„Wer zuerst da ist?“, fragte meine 16jährige Schwester Celest mich grinsend und warf dabei ihre rotblonden Haare zurück.

Die Locken, in derselben Haarfarbe wie meine kurzen Haare, fielen ihr immer wieder ins Gesicht, aber meistens hatte sie tatsächlich keine Lust sie zusammen zu binden.

„Du gewinnst eh nicht.“, erinnerte ich sie etwas spöttisch.

Celest schob die Unterlippe vor und brummte: „Angeber!“

„Erfahrungswerte!“, erwiderte ich stolz. „Außerdem ... wie wäre es mit ein bisschen Dächerspringen?“

Ich liebte meine kleine Schwester und wollte nicht, dass sie dachte, dass ich nichts mehr mit ihr machen wollte. Aber Dächerspringen war viel lustiger, als Wettrennen. Ich gewann viel zu oft. Das wurde langweilig.

„Ja!“, überdreht warf Celest ihre Arme in die Luft.

Lachend griff ich nach ihrer Hüfte, riss sie hoch und wirbelte sie im Kreis herum. Sie lachte fröhlich.

„Das ist eindeutig Zustimmung.“, amüsierte ich mich.

Nach ein paar Drehungen schlang sie die Arme um meinen Hals und vergrub ihr Gesicht in meiner Halsbeuge.

„Hoch werfen.“, meinte sie flüsternd.

„Du bist doch kein kleines Kind mehr.“, belehrte ich sie, setzte sie ab und tippte mit einem Finger auf ihre Nasenspitze.

„Och Menno, Gabe!“, schmollte Celest.

„Komm schon. Über die Dächer und den Wagen vor allen anderen erreichen?“, schlug ich vor.

„Dann aber los.“, nickte meine Schwester wieder euphorisch.

Ich schmunzelte und lief los. Im nächsten Moment sprang ich schon auf ein Hausdach und blieb stehen bis Celest neben mir war. Dann liefen wir los. Eigentlich waren wir für dieses Spiel längst zu alt. Wir beide, aber wir konnten es einfach nicht lassen. Es machte irren Spaß von einem Hausdach zum Anderen zu springen.

 

Schließlich stoppten wir auf den Dächern am Dorfrand. Jeder von uns auf einer Seite der Hauptstraße, die auch zum Marktplatz führte.

Gleich!, erklang Celests aufgeregte Stimme in meinem Kopf.

Ich grinste. Dazu musste ich nichts sagen. Wir konnten beide längst das Geräusch des Wagens hören. Celests Hände berührten das Dach vor ihr, auf dem sie hockte. Telepathie und Hypnose waren Dinge, die jeder aus unserer Familie beherrschte. Hypnotisieren konnte sogar jeder Vampir. Dazu kamen eigene Fähigkeiten. Ich beherrschte den Wind und Celest konnte die Vibrationen von Erde und Stein fühlen und manipulieren. So wie ich sie kannte erspürte sie nun, wie weit der Wagen noch entfernt war. Mit dem Wind hätte ich dasselbe tun können. Nur tat ich das nicht. Stattdessen beobachtete ich meine kleine Schwester, wie sich ihre Haare etwas verdunkelten. Selbst auf die Entfernung konnte ich das rote Aufblitzen in ihren blauen Augen erkennen.

Über die Brücke., teilte sie mir mit.

Ich nickte ihr zu. Ihre Veränderungen bildeten sich in Sekundenschnelle zurück. Der Kastenwagen war auf dem unebenen Boden deutlich zu hören. Da nur selten Wagen herkamen war diese Straße nicht besonders in Schuss gehalten. Eigentlich gab es nur eine Straße aus dem Dorf raus und rein, die ordentlich gehalten wurde. Einfach, weil es der Weg war, den wir für unsere Geschäfte nutzten. Das Fleisch der erlegten Tiere an Restaurants verkaufen. Die Felle verscherbelten wir auch. Meistens! Sofern jemand nicht total ausflippte und alles mit Blut besudelte. Ich selbst brach den Tieren für gewöhnlich das Genick und biss dann vorsichtig zu. Wenn ich mich geschickt genug anstellte, konnte ich sogar noch die Köpfe von großen Tieren abtrennen und verkaufen. Es gab Leute, die sich so etwas aufhängten und behaupteten, dass sie selbst diese Trophäe erlegt hatten. Angeber, aber man konnte damit gut Geld machen. Meine guten Klamotten oder einige teurere Geschenke für Celest kamen nicht von ungefähr. Und nebenbei hatte ich noch etwas Geld beiseitelegen können. Dann war der Wagen zwischen den Häusern. Ich zählte. 1, 2 ...

Jetzt!, rief ich in Gedanken.

Wir sprangen fast zeitgleich und landeten auf dem Wagen. Ich balancierte auf dem fahrenden Gefährt und ergriff schließlich Celests Hand, mit einer von meinen.

Keine Angst. Ich lasse dich nicht fallen., meinte sie grinsend.

Als würde ich mir dabei weh tun., spottete ich. Außerdem wirst du mich schon deshalb nicht loslassen, weil du keine Lust hast Schlange zu stehen.

Entschlossen ließ ich mich hinten am Wagen herunter und öffnete die Luke. Mit einer Bewegung sprang ich hinein. Celest landete einen Moment später neben mir. Kälte umfing uns. Natürlich musste dieser Wagen gekühlt werden, bei all dem Blut. Wir griffen jeder nach zwei Blutkonserven. Ich legte zwei Scheine. Ein 200er und ein 50er. Das Transportfahrzeug bremste ab und wir sprangen raus.

„Ihr schon wieder.“, rief der Fahrer, während er noch die Tür am Öffnen war.

„Immerhin bezahlen wir.“, lachte Celest.

Wir rannten zwischen die Häuser und beschleunigten schließlich. Zwischen den Häusern hindurch und dann in den Wald hinein. Wir liefen eine ganze Weile bis wir unsere Lichtung erreichten. Grinsend ließen wir uns in den Schnee fallen. Eine Wolke aus Pulverschnee stob um uns herum auf. Schließlich glitzerten die letzten Teile im Sonnenlicht. Wunderschön und mit der Feuchtigkeit und Kälte hatten wir zum Glück wenig Probleme. Wir waren zwar nicht immun gegen Krankheiten, aber es brauchte schon einiges Mehr, als bei Menschen, damit wir erkrankten.

„Kriegst du das warm?“, fragte ich nach einem Moment, in dem ich das Glitzern betrachtet hatte.

„Logisch.“, grinste Celest. „Oder sollte das eine Beleidigung sein?“

„Würde mir im Traum nicht einfallen.“, lachte ich daraufhin scheinheilig.

Im nächsten Moment bekam ich eine Ladung Schnee ins Gesicht.

„Heuchler!“, schnaubte sie dazu.

„Mach hin.“, knurrte ich nur und reagierte nicht weiter auf ihre Attacke, aber ich würde es mir merken. „Ich hasse kaltes Blut!“

„Ich doch auch.“, lachte Celest und legte ihre Hände auf den Schnee.

Dieses Mal gab sie alles. Es war eindeutig, denn dieses Mal verwandelte sie sich komplett. Als erstes wuchsen ihre Eckzähne auf eine bedrohliche Länge und wurden spitzer. Ihre Haut wurde heller bis sie schneeweiß war. Die über den Rücken fallenden rotblonden Haare wurden länger, reichten ihr fast bis zu den Knien und sie färbten sich pechschwarz. Einen Sekundenbruchteil darauf wurden ihre Fingernägel länger und gebogen. Ein tiefes Knurren entkam ihr, als sich rote Linien durch ihre blauen Augen zogen und sie sich zum Schluss komplett rot färbten. Ihre ganze Haltung war geduckt, ihr Knurren gefährlich, denn nun hatte ich ein Raubtier vor mir. Ein magisches Raubtier unter dessen Pranken der Schnee zu schmelzen und verdampfen begann. Celest sog die Wärme aus den Tiefen der Erde an die Oberfläche, um das Blut etwas zu erwärmen. Besser als mit der Mikrowelle, wie andere das machten. Zwischen uns war schließlich der Schnee fort und die Blutkonserven lagen darauf. Mit einem Grinsen griff ich zu, als sie noch dabei war sich zurück zu verwandeln. Meine Eckzähne fuhren aus, ohne dass ich mich weiter verwandeln musste. Ich biss in dem Moment hinein, als ihre Augen wieder blau wurden. Auch sie bediente sich nun an dem von ihr erwärmten Blut. Es war herrlich und köstlich, auch wenn Menschen das bestimmt anders sehen würden. Unsere Sinne unterschieden sich erheblich von denen von Menschen. Jeder von uns leerte zwei Beutel und Celest schüttelte knurrend den Kopf.

„Noch Hunger, was?“, fragte ich neckend.

„600 Milliliter reichen einfach nicht.“, meinte sie.

„Menschenblut ist eben nur eine Ergänzung.“, erinnerte ich sie und erhob mich aus dem Schnee. „Hunger auf irgendetwas Bestimmtes?“

„Etwas raubtiermäßiges.“, grinste meine Schwester nun.

„Warum frage ich eigentlich?“, schüttelte ich schmunzelnd den Kopf.

Die Antwort war tatsächlich etwas, womit zu rechnen konnte. Meistens wollte sie etwas in der Art und ich konnte die Beutetiere am Schnellsten finden.

„Mach einfach.“, knurrte Celest mich an.

„Gieriges Biest.“, schnaubte ich.

Dann verwandelte ich mich und rief im selben Gedanken den Wind herbei. Im Gegensatz zu meiner Schwester wurden meine Haare mit der Verwandlung sehr viel heller. Weißblond bis weiß! Nur ein wenig dunkler, als meine schneeweiß werdende Haut. Auch meine nun hellen Haare wurden etwas länger, fielen etwas wild über meine Schultern. Meine Fingernägel erinnerten an gefährliche Krallen, in dem Augenblick, in dem der Wind mich in den Himmel hob. Meine Zähne waren lang und gefährlich. Nur aus den Erzählungen der anderen Vampire wusste ich, dass ich verwandelt dieselben grellen, roten Augen besaß, wie Celest. Die Augen von verwandelten Vampiren sahen sich selten so ähnlich. Es gab verschiedene Rottöne, aber auch violette, orange und gelbe Augen im verschiedenen Tönungen. Doch in diesem Augenblick war mir das ziemlich egal. Der Wind hob mich immer höher und trieb mir Geräusche und Gerüche zu. Ich konnte die Gerüche und Geräusche aus allen Richtungen aufnehmen und musste nicht auf die Windrichtung achten, wie andere. Mir fiel das Knurren spielender Wölfe auf. Es war leicht sie zu riechen, stark, fast penetrant. Nein! Ich hörte Hufe auf steinernem Grund und witterte Ziege. Bergziege! Auch nicht! Hufe auf Schnee, teilweise Erde. Aus verschiedenen Richtungen. Hirsche, Elche, Rehe! Alles nicht das Richtige. Die kahlen Äste der Bäume raschelten. Die Nadelbäume weiter oben waren lauter. Mehr Angriffsfläche. Und dann wurde ich vor Überraschung fast aus der Bahn geworfen. Es war mitten im Winter. Eigentlich sollte dieses Tier schlafen. Ein Bär. Braunbär! Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich im nächsten Frühjahr als erstes einen Bären erwischen würde, nachdem ich mehrere Monate keinen bekommen würde. Das war sogar noch besser. Was auch immer mit diesem Bären los war, mir war danach ihn zu jagen. Bei dem Geruch seines Blutes hatte ich das Gefühl, dass meine Reißzähne vor Hunger noch einen Tick länger wurden. Dabei hatte ich gerade erst Menschenblut getrunken. Egal! Ich wollte diesen Bären erlegen und sein Blut trinken. Mit einem Satz war ich zurück auf dem Boden. Celest hatte sich ebenfalls verwandelt. Jagdbereit!

„Was hast du?“, fragte sie mit einem Fauchen in der Stimme.

„Lass dich überraschen.“, ich grinste sie mit einem Reißzahngrinsen an.

„Oh etwas Besonderes. Dann los.“

 

Der Bär richtete sich gerade auf die Hinterbeine auf und brüllte laut. Sein Kopf bewegte sich hin und her. Offenbar hatte ihn irgendetwas beim Winterschlaf gestört. Bevor ich mir weitere Gedanken machen konnte, sprang Celest vor und riss dem Tier die Beine weg. Ich bewegte mich automatisch und warf ihn um. Das war nicht schwer, nachdem er ohnehin nicht mehr vernünftig stehen konnte. Er landete auf dem Rücken. Seine Krallen kratzten leicht über meine Haut. Seinen Zähnen wich ich etwas aus, bekam ihn aber mit den Händen im Maul zu fassen. Entschlossen hielt ich sein Maul offen, spürte die Zähne, fühlten meine Blut auf der Haut und riss seinen Kopf herum, dass es knackte, als sein Genick brach. Ruckartig ließ ich ihn los. Ein Teil meiner Hände war blutig und aufgerissen. Manchmal konnte man sich echt wünschen, dass man als Vampir so eine harte und undurchdringliche Haut hätte, wie in den Geschichten. Hatte ich nicht. Nur etwas beschleunigte Heilung. Die verwundeten Stellen pochten.

„Du musst immer übertreiben.“, kommentierte Celest schmunzelnd, aber durch die Fänge immer noch fauchend.

„Er wollte mich beißen.“, gab ich zurück.

„Du bist doch schnell genug, um auszuweichen.“, meinte meine Schwester.

Dann wäre der Bär vermutlich wieder aufgestanden. Das sagte ich ihr allerdings nicht. Stattdessen zuckte ich nur die Schultern und vergrub meine Zähne im Körper des toten Bären. Ich konnte hören wie Celest auf der anderen Seite dasselbe tat. Das Blut schmeckte gut und es war etwas wärmer, als Menschenblut, erwärmte mich am kalten Wintertag. Als liebenswerter, älterer Bruder hörte ich früher auf zu trinken und zog mich ein Stück zurück. Doch ich hatte nicht vergessen, was sie vorher getan hatte, aber ich wartete bis sie sich ebenso wie ich zurückverwandelt hatte. Erst danach griff ich in den Schnee hinter mir und warf ihr eine Ladung Schnee entgegen. Dabei blieb es jedoch nicht. Sie konterte direkt und bald tobten wir in einer wilden Schneeballschlacht quer durch den Wald.

 

2. Lucien – Erste Begegnung

 

Magie hatte eindeutig Vorteile. Ich konnte mich frei bewegen, ohne uns zu verraten. Mit der Umgebung verschmolzen schoss ich zwischen den Bergen durch die Luft. Es tat gut unser Gebiet mal zu verlassen. Keine anderen Drachen, die ständig etwas von mir wollten. Und das nur weil ich Lucien war, einer der Wächter von Akon. Ein ziemlich starker und ziemlich geachteter. Das war zwar manchmal gut, aber es konnte einem auch auf die Nerven gehen. Zumal ich nie sicher sein konnte, was andere wirklich von mir dachten. Abgesehen von meiner Familie. Gedanken lesen kam auch nicht in Frage, denn Drachen lernten schon früh ihre Gedanken zu schützen. Es gab immerhin auch Vampire, die Telepathie beherrschten. Wir taten alles, damit sich die Vergangenheit nicht wiederholte. Plötzlich vibrierte die Luft, um mich herum. Eine Sekunde darauf landete ich an einem Berghang. Meine Krallen gruben sich tief in Schnee, Stein und Eis. Aufmerksam sah ich mich um. Etwas stimmte doch nicht. Zuerst sah ich nichts, aber plötzlich hörte ich fröhliches Lachen. Zwei Stimmen. Neugierig lauschte ich. Eine Stimme männlich, die andere weiblich. Sie schien Spaß zu haben und ich musste unwillkürlich daran denken, wie es vor langer Zeit gewesen war, als ich mit meinem Bruder herumgetobt hatte. Es fühlte sich an, als läge das Ewigkeiten zurück. Dann erschienen zwei Personen zwischen den Bäumen und sprangen regelrecht auf eine schneebedeckte Lichtung. Sie bewarfen sich mit Schnee, sprangen aufeinander zu, schrien und lachten. Offenbar hatten sie ziemlichen Spaß, aber ich verkrampfte mich unwillkürlich. Ihre Bewegungsabläufe waren eindeutig und schnell. Vampire! Ich schluckte angespannt, aber ich war auch fasziniert. Die einzigen Vampire, die ich je gesehen hatte, waren hart, gefährlich und blutrünstig gewesen. Erbarmungslos! Diese beiden Vampire dagegen ... Sie waren unbeschwert, fröhlich und einfach nur lebendig. Irgendwie ganz anders. Diese Seite der Vampire war mir so fremd. Lachend fielen die beiden Vampire übereinander in den Schnee und legten sich dann nebeneinander auf den Rücken. Ihre Witterung war durch den Schnee nur schwach, weshalb ich sie wohl nicht schon früher bemerkt hatte.

„Du bist so ein Chaot.“, lachte das Mädchen.

Sie war eindeutig im jugendlichen Alter. Ihr rotblondes Haar wirkte auf dem Schnee fast grell, obwohl sie eigentlich sehr hell sein mussten.

„Wir kommen schon zurück.“, meinte der junge Mann neben ihr lässig und streckte sich dabei.

Durch die dicke Winterkleidung, auch wenn sie bei ihm etwas zerrissen war, erschienen die beiden breiter, als sie sein konnten. Vampire waren immer schlank. Sie ernährten sich ja auch nur von Blut.

„Nur du schaffst es dich bei einer Schneeballschlacht zu verkaufen.“, grinste das Mädchen und richtete sich in eine sitzende Position auf.

Nur aufgrund meiner guten Drachenaugen konnte ich das rote Aufblitzen in den sonst grünen Augen ihres Begleiters erkennen.

„Du bist mit mir hier.“, erwiderte er belustigt.

„Ich sollte dir nicht so vertrauen.“

„Natürlich.“, belustigt und spöttisch.

In einer fließenden Bewegung war der männliche Vampir auf den Beinen. Seine Füße stemmten sich tief in den Schnee, damit er nicht stürzte.

„Du hast uns hergeführt. Also bringst du uns auch hier raus.“, knurrte die Vampirin und erhob sich etwas langsamer, aber nicht weniger elegant.

„Jaaa.“, der Vampir dehnte seine Antwort aus, als wäre er genervt, aber er grinste.

Dann bekam ich zum ersten Mal die Verwandlung eines Vampirs zu sehen. Ich hatte sie verwandelt gesehen, oder unverwandelt, aber den Verwandlungsvorgang selbst nicht. Nun konnte ich beobachten wir die Eckzähne auf volle Länge ausfuhren und mich überlief ein heftiger Schauer, wenn ich daran dachte, was solche Zähne anrichten konnten. Das hatte ich vor langer Zeit selbst sehen müssen. Die weitere Verwandlung lenkte mich zum Glück ab. Die vorher rotblonden Haare wurden heller, im selben Moment, in dem sie sich verlängerten. Blonde bis weiße Haare fielen ihm über die Schultern. Trotz der dicken Kleidung konnte ich erkennen, wie sich sein Körper anspannte. Es war, als wäre er jeden Moment bereit zu springen. Ein Jagd- und Kampfbereites Raubtier, mit Fingernägel wie messerscharfe Krallen. Schneeweiße Haut und glühende, flammendrote Augen. Seine Fänge waren so lang und imposant, dass er die Lippen nicht mehr aufeinanderlegen konnte. Ein leises Fauchen war zu hören. Das zu beobachten war unglaublich. Obwohl ich selbst über mächtige Kräfte verfügte, war dieses blutsaugende Raubtier zwischen den Phasen unglaublich und für einen Moment blitzte etwas ungeheuer Gewaltiges in den roten Augen auf. Allerdings war ich zu weit weg, um es genauer bestimmen zu können. Im nächsten Augenblick hob er vom Boden ab und mir blieb förmlich das Herz stehen. Er manipulierte den Wind und Angst schoss wie Gift in meine Adern. Mit dieser Kraft konnte er einen Drachen vom Himmel holen. Der Wind wehte seine hellen Haare nach oben, als er über den Baumwipfeln zum Stoppen kam. Die Augen waren geschlossen.

„Nein!“, hörte ich die Vampirin schreien.

Das Raubtier riss die Augen auf. Ich hörte ihn laut und alarmiert knurren. Das Wesen, das auf ihn zu raste war blau und weiß, wie der Himmel mit den Wolkenfetzen und die schneebedeckten Berghänge. Kein Wunder, dass ich ihn vorher nicht bemerkt hatte. Es war ein Drache, der die Krallen vorgestreckt hatte. Das erklärte die Vibration, die mich zum Landen gebracht hatte. Vampire konnten das schwerlich sein. Ein Drache schon. Nur was tat er an diesem Ort. Er sollte gar nicht da sein. So ein Idiot. Zwar hatte ich schon mal von Drachen gehört, die davon sprachen so etwas zu tun, aber dass sie es wirklich wagten ... mich überlief ein eiskalter Schauer und ich ließ mich in den Wind fallen. Der Vampir versuchte auszuweichen. Es gelange ihm nur zum Teil. Der scharfe Geruch von Vampirblut erfüllte die Luft. Das roch erstaunlich gut. Irgendwie hatte ich es anders in Erinnerung. Grauenhafter! Meine Flügel rauschten mit jedem Schlag, als ich näherkam. Der junge Mann fiel vom Himmel. Der weißblaue Drache drehte in der Luft und ich erreichte ihn.

Genug., ließ ich meine Gedanken durch seinen Geist knallen und er zuckte zusammen. Ich bin Lucien von Akon, Wächter der Barriere. Du hast das Gesetz der Drachen gebrochen. Kehre heim und du wirst milde erfahren. Fliehe oder mache weiter und deine Strafe wird erheblich sein.

Seine eisblauen Augen waren weit aufgerissen. Seine Flügel zuckten aufgewühlt. Einen Moment sahen wir uns noch an, bevor er abdrehte und in Richtung Akon davonflog. Grollend drehte ich herum und steuerte die Lichtung an. Der Schnee, in den Vampir gefallen war, war vom Blut rot getränkt. Er lag darauf. Tot war er nicht, aber extrem geschwächt und verletzt. Trotzdem hielt er mühsam die Augen auf. Vampire waren echt hart im Nehmen, wenn auch nicht unverwundbar. Bei diesen Temperaturen würde er jedoch nicht überleben. Der Schnee stob um meine Beine, als ich landete. Ich musste mir etwas überlegen. Sie hatten uns gesehen. Diese Vampire wussten nun von uns. Das konnte ich nicht dulden. Nicht als Drache und besonders nicht als Wächter.

„Lauf.“, nur ein heißeres Krächzen.

„Ich lasse dich nicht alleine.“, rief das Mädchen aus.

Und ich sah es in den roten Augen des Verwandelten erneut aufblitzen. Mein Herz beschleunigte, sobald meine Kräfte anstiegen und ich einen Blick tief in ihn werfen konnte. Ein junger Mann, ein blutsaugender Jäger, ein unglaublicher Chaot, ein mächtiger Elementarmagier, ein liebevoller Bruder, ein fürsorglicher Sohn, ein guter Freund, ein leidenschaftlicher Liebhaber und ein stolzer Vampir. In nur einem Blick konnte ich all das erfassen. In einem Anflug von überschäumender Magie, wie sie bei Drachen gelegentlich auftrat und unsere Fähigkeiten manipulierte. Nur hatte ich gedacht, dass ich diese Phase meiner Entwicklung längst hinter mir gelassen hätte. Doch dieser Blick hatte etwas tief in mir berührt. Noch ehe ich wirklich erfasst hatte, was ich eigentlich tat spürte ich bereits das Ziehen und Reißen in meinen Gliedern. Meine Wirbelsäule schien sich zusammenzuziehen, wie eine Ziehharmonika und sie schien Schwanz und Flügel einzusaugen. Mein Hals kam mir wie Gestaucht vor. Die Gesichtszüge schoben sich unaufhaltsam hin und her. Ich fühlte es in jeder Faser meines Körpers. Ein Schmerz, so vertraut und willkommen, wie man ihn sich nicht vorstellen konnte, wenn man es nie erlebt hatte. Zum Glück war mein Blut ein paar Grad wärmer, als das von Vampiren und Menschen. Außerdem strahlte meine Feuerlunge ziemliche Wärme aus. Bei den Temperaturen und dem Schnee war das richtig gut, denn anstatt Schuppen hatte ich in der anderen Gestalt Haut. Harte Haut zwar, aber eben Haut. Im Grunde spürte ich die Kälte auf der nackten Haut, aber nur an den Füßen war es unerwartet unangenehm. Ich ignorierte es und ging auf die Vampirgeschwister zu. Nachdem ich einen Blick in sein Inneres hatte verwerfen können, wusste ich wie diese Zwei zueinanderstanden. Ihre Namen kannte ich daher jedoch nicht. Etwas rot blitzte in den blauen Augen des Mädchens auf.

„Komm ihm nicht zu nah.“, knurrte sie.

Ich hatte den Eindruck, dass sie sich gleich verwandeln würde. Da war ich aber schon bei ihr und schob sie an der Schulter beiseite. Ein empörter Laut entkam ihr. Ich ließ mich in den blutigen Schnee neben den verwundeten Vampir sinken. Bilder aus seinem Kopf blitzten bei jeder Bewegung in meinen Gedanken auf. Er war ganz anders, als ich von Vampiren gedacht hatte. Dieser Vampir war interessant und vielleicht sogar etwas mehr, aber er lag im Sterben. Doch ich wusste auch, was Drachenblut bei Vampiren bewirken konnte. Meine Möglichkeiten waren nur gering. Zwei Möglichkeiten! Entweder ich tötete beide oder ich nahm die Vampire mit. Meine Reaktion kam, bevor ich wirklich darüber nachgedacht hatte. Ich lehnte mich über den Blutsauger, streckte meine Hand aus und ritzte meine Handfläche an seinen Fängen auf, um mein Blut in seinen Mund fließen zu lassen. Hinter mir hörte ich die Vampirin erschrocken nach Luft schnappen. Damit hatte sie sicher nicht gerechnet. Ehrlich gesagt, war ich selbst von mir überrascht. Darüber wollte ich nicht weiter nachdenken. Deshalb verwandelte ich mich wieder und konzentrierte mich auf meine Aufgabe. Verhindern, dass die Vampire erfuhren, dass es noch Drachen gab. Mit dem Schwanz umschlang ich das Mädchen und schob sie vor meine Pranken, wo bereits ihr Bruder lag. Sie war viel zu überrascht, um zu reagieren, als ich beide Vampire packte und mich ruckartig in die Luft erhob. Die Vampirin schrie und strampelte. Unvermittelt stoppte ich in der Luft, drehte meine Flügel für dieses Manöver und wandte den Kopf zu ihr herum, um sie anzusehen.

Verhalte dich ruhig, Blutsaugerin!, schickte ich in ihren Kopf. Entweder ich nehme euch mit oder ich töte euch. So sind die Regeln. Also, sei ruhig.

Ihre Augen waren weit aufgerissen, aber sie war verstummt und zappelte nicht mehr die ganze Zeit herum. Entschlossen flog ich nun weiter auf Akon zu. Ein Brüllen öffnete die Barriere, die wir um unsere Stadt gezogen hatten. Eine Barriere, die es noch an anderen Orten auf der Welt gab. Mit eng angelegten Flügel schoss ich in den Tunnel hinein, der dann den Zugang bildete. Mit den Hinterbeinen und halb ausgebreiteten Schwingen stoppte ich auf einem großen Felsen. Ohne die Flügel wäre ich gefallen, da ich die Vorderbeine mit zwei Vampiren belegt hatte.

„Zwei Vampire?“, fragte eine tiefe Stimme.

Ja., antwortete ich mit meinen Gedanken.

„Das widerspricht jeder Regel.“, meinte die Stimme daraufhin.

Lass das Sorge des Ältestenrates sein., erwiderte ich und stieß mich in den Tunnel ab.

„Es ist dein Hals.“

Meine einzige Reaktion war ein ärgerliches Knurren, ehe ich endgültig Richtung Stadt davonflog.

 

Ein Brüllen genügte, um das Dach des Hauses zu öffnen, damit ich hineinfliegen konnte. Ich setzte beide Vampire auf dem Boden ab, rief nach meinem Bruder und verwandelte mich erneut. Kurz überprüfte ich die Funktionen des Körpers des Vampirs. Mein Blut schien Wirkung zu zeigen. Gut!

„Du hast ihm dein Blut gegeben.“, stellte mein Bruder fest.

Im Gegensatz zu mir hatte er Kleidung an. Allerdings hatte er sich wohl nicht gerade erst verwandelt.

„Ja. Übernimm das Mädchen.“, mehr musste ich ihm gar nicht sagen.

Es war einleuchtend. Wir kannten beide die Regeln und wussten was zu tun war.

„Nein!“, schrie die Vampirin und wehrte sich gegen die Hände, die sie packten und mit sich zogen.

Ihre lautstarken Flüche gebe ich lieber nicht wieder. Heftig! Und sie wehrte sich mit Händen und Füßen. Dass sie sich nicht verwandelte, wunderte mich ja bereits. Zum Glück waren Drachen sehr stark. Als die Vampire noch Jagd auf Drachen gemacht hatten, brauchte es fünf von ihnen, um einen von uns zu erledigen. Ich erschauerte bei dem Gedanken.

 

Vorsichtig legte ich den jungen Vampir auf dem Bett ab. Er hatte sich nicht zurückverwandelt. Womöglich heilten Vampire in dieser Gestalt schneller. Darüber wusste ich im Grunde gar nichts. Alles was ich wusste war, dass dieser Vampir interessant war und dass ich meine Entscheidung unterbewusst schon längst getroffen hatte. In dem ich ihm von meinem Blut gegeben hatte, hatte ich es quasi besiegelt. Aber es hätte weit schlimmer kommen können. Neugierig betrachtete ich ihn nun genauer. Seine langen Eckzähne konnten einem echt Angst machen. Immerhin wusste ich, dass er damit sogar Drachenschuppen durchdringen konnte. Aber seine Gesichtszüge waren faszinierend. Scharf geschnitten, hohe Wangenknochen, fein geschwungene Augenbrauen, volle Lippen - mich schauderte wieder beim Blick auf seinen Mund, die durch Fänge geteilten Lippen. Gutaussehend und bedrohlich. Für einen Moment musste ich an seine andere Gestalt denken. Unverwandelt waren seine Züge weicher und er eindeutig entspannter. Ich fragte mich unwillkürlich, ob er in Gestalt des Raubtieres je entspannt sein konnte.

 

Link zum Buch: https://www.amazon.de/Drachenblut-Anna-Kleve-ebook/dp/B0764B4V1X/ref=zg_bs_8421131031_2?_encoding=UTF8&psc=1&refRID=65DSFVBQ5JAZ3063JEE1

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 05.10.2017

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /