Ich habe nie daran gedacht, dass ich einmal zum Beschützer werden würde. Bei allem was ich in über 2000 Jahren getan habe, war eine Laufbahn als Bodyguard niemals in meinen Gedanken aufgekreuzt. Nur das Schicksal geht manchmal andere Wege und nimmt einem jegliche Wahl. Ich zumindest hatte ab einem bestimmten Zeitpunkt keine Wahl mehr gelassen bekommen …
Ich war ein Killer. Seit annähernd 2300 Jahren, um es genau zu nehmen. Mitgefühl, Freundlichkeit, Gnade – alles Worte, die für mich schon seit der Gründung der Stadt Aksum keine Bedeutung mehr hatten. Das brachte ein ganz bestimmtes Thema mit sich, über das ich nicht nachdenken wollte: Einsamkeit. Größer als die Antarktis, die größte Wüste der Welt – wenn auch eine Eiswüste. Nicht, dass ich mir je erlaubte darüber nachzudenken. Es war nicht wichtig, denn es gab nichts was ich weniger wollte, als … Gemeinsamkeit. Ich war nicht immer … alleine, aber ich hatte auch zu niemandem eine tiefe Verbindung. Wenn jemand mich gefragt hätte, wie ich zu einer Karriere als Mörder gekommen war, würde ich antworten, dass mir der Tod im Blut liegt. Das wäre nicht einmal gelogen gewesen. Angefangen hatte es allerdings mit einer jungen Frau. Fast noch ein Mädchen. Atemberaubend schön und herzzerreißend unschuldig, nicht dass es mich interessiert hätte. Die nebelverhangene Abendröte schwand an jenem Abend gerade und die samtene Schwärze der Nacht streckte unaufhaltsam die Fühler aus, genau wie die Kräfte des Todes mein Blut erfüllten und sich unaufhörlich nach dem Leben dieses magischen Kindes – einer jungen Fairy – ausdehnten. Ich sah sie unter den Bäumen stehen, deren Blätter sich bereits herbstlich verfärbt hatten. Ein kurzer Windhauch ließ etwas von dem gefallenen Laub aufwirbeln und ich konnte den schweren Duft des Herbstes riechen: feucht und erdig. Der Geruch von etwas das ging und erst Monate später wiederkommen würde. So wie ich bereits wusste, dass ihr Leben gehen würde, nur mit dem Unterschied, dass dieses Leben niemals zurückkehren würde. Ich trat aus dem Schatten der Bäume und ließ das Laub unter meinen nackten Füßen rascheln. So wie ich dieses Geräusch bewusst hervorrief, konnte ich mich auch absolut lautlos bewegen. Je nach Bedarf. Die Frau – nein, eher doch ein Mädchen – drehte sich zu mir herum. Ihre leuchtend blauen Augen – rein und klar, wie ein Gebirgsquell – sahen mich geweitet an. Ich wusste was sie sah. Ein Mann, mit pechschwarzem Haar, zwar nicht allzu groß, aber muskulös, attraktiv – ohne dass ich angeben wollte. Es war klar, dass sie die schönsten Männer der Welt kannte – immerhin war sie eine Fairy und kannte die anderen wunderschönen Fairy: Männer wie Frauen – und doch sah sie mich mit dieser Mischung aus Erstaunen, Bewunderung und Faszination an. Ich hatte erst später begriffen, was es tatsächlich war. Nicht nur das Aussehen, es war noch etwas anderes. Die Aura von Gefahr und Dunkelheit, die besonders die … Guten … anzog. Geschöpfe, wie sie. Das Mädchen kam näher auf mich zu. Ein Lächeln erschien auf ihren vollkommenen Zügen. Von ihrem Körper strahlte eine angenehme Wärme aus, während mein Körper nach und nach zu Eis gefror. Ihr Atem streifte meine Wange, wie ein sanfter Blütenhauch. Zu sanft, für meinen Geschmack. Das Eis des Todes wanderte bis in meine Fingerspitzen. Sie kam noch etwas näher. Ich konnte ihren Duft von Rosenblüten wahrnehmen. Es hätte mich kaum weniger locken können. Meine plötzlich so eisigen Finger schlossen sich um den Dolch an meinem Gürtel. Die Kristalle am Griff kratzten an meiner Haut. Ich spürte wie die Finger des Mädchens meinen Handrücken berührten, warm und weich. Erst da zuckte sie vor mir zurück, als sie die Kälte spürte. Ein flüchtiges Lächeln huschte über meine Lippen. Ihr Leben war vorbei, bevor ich den Dolch überhaupt gezogen hatte, denn ich konnte ihre Lebensenergie bereits versiegen spüren. Einen stetigen Strom, der immer langsamer und schwächer floss. Das zu bemerken dauerte nur einen Sekundenbruchteil. Ich zog den Dolch hervor und griff nach ihrer Hand. Die so schönen und reinen Augen des Mädchens waren weit aufgerissen, als sie die Kälte des schleichenden Todes nun deutlicher fühlen konnte. In den blauen Tiefen konnte ich erkennen, dass sich nun Angst in ihr ausbreitete. Bevor die Angst sie auch nur zu einer winzigen Reaktion veranlassen konnte, hatte der Dolch in meiner Hand sich durch ihren Oberkörper gebohrt, zwischen zwei Rippenbögen hindurch und direkt ins Herz. Der Dolch und die Kristalle – eine Konstruktion meines Vaters – begannen vor Lebenskraft zu pulsieren. Ich lächelte zufrieden, als ich die Kraft darin spürte. Der Funke des Lebens verschwand schnell aus den blauen Augen, die nicht länger strahlten und funkelten. Die Lebensenergie strömte wie ein gewaltiger Strom in mich hinein. Ihr Körper wurde kalt und leblos. Die Schönheit im Tod eingefroren. Ich begann zu zittern. Immer mehr Kraft flutete mich und ihr Körper entglitt meinen Händen. Es war rein, kraftvoll, beinahe übermächtig. Mein Dolch fiel zu Boden. Ich wich zurück. Angst breitete sich unendlich weit in meinem Körper aus. Zu spät! Es wurde mir zu spät bewusst. Ich liebte es. Diese Kraft, diese Energie. Es war nicht zu vergleichen mit den Tieren, die ich getötet hatte, um zu leben. Ich würde es nie vergessen. Nein! Ich wollte es immer wieder spüren. Es konnte süchtig machen. Dieses Aroma hatte mich bereits süchtig gemacht. Ich würde mich nicht mehr nur mit Tieren begnügen können. Das war mir sofort klar gewesen. Nicht, dass es mein Gewissen je besonders belasten würde. Ich kehrte unbemerkt nachhause zurück. Es war nicht verwunderlich, dass mein Auftraggeber bereits alles was ich gefordert hatte dort hinterlassen hatte. Natürlich! Niemand würde jemals daran zweifeln, dass ich ein Opfer töten würde. Ich war der Geist des Todes: Arawn, der Peryton, der das Leben seiner Opfer verschlang, ohne dabei Skrupel zu verspüren. Das kleine, fast zerbrechlich wirkende Instrument blieb auf der Bank liegen, während ich das glänzende Schwert aufhob. Mein Dolch lag immer noch hunderte Meter entfernt neben einer Leiche. Er war die Vergangenheit. Beinahe. Eines musste ich noch erledigen. Das Schwert in meiner Hand dagegen die Zukunft. Ein seltenes Stück. Über 2000 Jahre später vollkommen einzigartig.
Und mit diesem Schwert war ich am trainieren, als ich den Auftrag erhielt, der mein Leben für immer auf den Kopf stellen sollte.
„Arawn!“, rief mich eine vertraute Stimme.
Ich hatte nicht die geringste Lust mich mit ihm zu beschäftigen. Es war nicht wichtig genug, um mich zu reizen. Sam kannte mich gut genug, um später nicht darauf herum zu haken. Mein Körper zeigte kein Anzeichen, dass ich ihn bemerkt hatte. Dass es doch so war, wussten wir beide. Ich schwang mein Schwert mühelos durch die Luft. Inzwischen war ich die leicht scharfkantigen Kristalle am Griff gewöhnt. Nicht, dass sie mich wirklich verletzen konnten.
Ich wartete solange bis ich ganz sicher war, dass Sam nicht mehr im Raum war. Mein Schwert krachte gegen den Dummy, der ohne Magie längst zerbrochen wäre. Na ja, wenn ich selbst die Klinge mit Magie einsetzen würde, würde auch das nichts mehr bringen. Die künstliche Figur schwankte noch immer, als ich das Schwert zurück in die Scheide schob. Mit gelassenen Schritten ging ich zu dem Tisch, der sich in der Nähe der Tür befand. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es besonders schwierig werden würde. Ehrlich gesagt fehlte mir die Herausforderung ein wenig. Entspannt setzte ich mich auf die Tischplatte und nahm die Mappe mit dem Auftragsdossier in die Hände. Die Belanglosigkeiten überging ich lieber. Das alles interessierte mich nicht und spielte für mich auch keinerlei Rolle. Es war noch nie wichtig für mich gewesen besonders viel über meine Opfer zu wissen. Erik Brand, 19 Jahre alt, Student, samstags besuchte er immer seine Großmutter, das genügte auch schon. Trotzdem betrachtete ich das Foto noch einen Moment, in der Hoffnung etwas Besonderes zu finden. Ganz ehrlich, ich fand nichts. Ein Durchschnittsgesicht, die braunen Haare zu einer Kurzhaarfrisur geschnitten, wie es sie zu dieser Zeit oft gab, braune Augen, leicht gebräunte Haut, einfach ein ganz normaler Junge. Schließlich klappte ich das Dossier zu, ohne auch nur die Hälfte gelesen zu haben. Einen passenden Plan hatte ich schon nach den wenigen Informationen zusammen.
Am nächsten Samstag wartete ich einfach auf einem Hochhausdach. Es würde nicht besonders interessant werden. Da war ich mir ziemlich sicher. Okay, ich konnte den Jungen in der ganzen Stadt spüren. Ohne Mühe! Das war zwar ungewöhnlich, aber nachdem ich noch einmal in das Dossier gesehen hatte, hatte ich keinerlei magische Verwicklungen gefunden. Erik stammte laut den Unterlagen aus einer magischen Familie, hatte aber nie Anzeichen dafür gezeigt selbst über magische Kräfte zu verfügen. Der Grund warum er getötet werden sollte war mir immer noch schleierhaft, aber das sollte nicht meine Sorge sein. Ich würde meinen Auftrag erfüllen und fertig. So wie immer. Die Beweggründe gingen mich nichts an und es war mir auch egal. Gelangweilt zog ich den Gurt der Schwertscheide über meiner Schulter etwas fester. Mein Blick fiel auf meine Uhr und ich erhob mich. Es würde gleich soweit sein. Ich sah hinab und überprüfte, ob irgendjemand in der Nähe war. Zwar wussten die Menschen seit Jahren von uns Übernatürlichen, aber viele reagierten dennoch geschockt und manchmal entsetzt, wenn sie sahen, wie wir unsere Kräfte einsetzten. Nicht, dass es mich je gekümmert hätte, aber ich legte keinen Wert auf Berichte über mich, wenn ich meiner Arbeit nachging. Es war niemand zu sehen, also sprang ich einfach vom Dach hinunter und steuerte eine Seitengasse an, durch die der Junge nach dem Besuch bei seiner Großmutter kommen würde. Es würde nicht mehr lange dauern bis er auftauchen würde. Ich lehnte mich gegen eine Mauer und verschwand beinahe im Schatten. Das hatte allerdings nichts mit Magie zu tun. Es war einfach nur so, dass ich dunkle Kleidung trug und mich deshalb gut im Schatten verstecken konnte. Natürlich hätte der Junge nie eine Chance gegen mich gehabt, aber ich musste ja nicht riskieren, dass er die ganze Gegend zusammenschreien würde. Als er schließlich auftauchte, konnte ich ihn schon vorher lachten hören und ich wusste dadurch auch, dass er nicht alleine war. Auch kein Problem. Ich hatte schon zu anderen Zeiten Unbeteiligte getötet. Kollateralschaden nannten das die modernen Menschen, soweit ich wusste. Demnach würde es mich auch dieses Mal nicht stören zwei Personen statt einer zu töten. Ich spürte den kalten Hauch des Todes bereits auf meiner Haut und mein Körper kühlte runter. Dann tauchten die zwei Personen auch schon auf. Eriks Begleitung war eine junge Frau mit blonden Haaren und für einen Menschen ziemlich attraktiv. Reizvolle Kurven, lange Beine, ein schönes Gesicht und so, aber wer die Fairys kannte ließ sich davon wenig beeindrucken.
„Das deine Oma wirklich gedacht hat, dass wir beide ein Paar wären. Köstlich.“, lachte sie gerade, als die beiden die Gasse betraten.
Uninteressiert beobachtete ich die beiden, während sie weiter in die Gasse hineinkamen. Der Student lachte ebenfalls und er schüttelte amüsiert den Kopf.
„Sie wünscht sich halt, dass ich eine Freundin habe.“, erklärte er dabei.
„Ich glaube, dass sie sich einfach nur jemanden wünscht, der immer für dich da ist. Eine Art Empathielink.“, schmunzelte die Blonde.
Erik lachte wieder und die beiden waren nah genug, dass ich seine Augen funkeln sehen konnte. Und ich war wie gelähmt. Es war mir einfach unmöglich mich zu bewegen. Ich hatte keine Ahnung warum. Der Junge interessierte mich nicht. Er war nicht besonders attraktiv, eben ein Durchschnittstyp. Da war auch nichts Außergewöhnliches im Funkeln seiner Augen gewesen und es lag auch kein Zauber oder irgendetwas in der Luft. Das war es alles nicht. Ich wusste nicht was es war. Auf jeden Fall schien ich nicht emotional berührt zu sein. Das war etwas ganz anderes. Beinahe wie eine Umklammerung und es war einfach unmöglich anzugreifen. Und ich verstand es nicht. Nicht einmal die Kälte verschwand aus meinem Körper und dann waren die beiden auch schon fort. Hektisch schnappte ich nach Luft. Alles in mir schrie nach dieser verdammten Energie. Mein Körper fing unkontrolliert zu zittern an. Wie bei einem Junkie auf Entzug. Vielleicht war ich in diesem Moment genau das, auch wenn es mich nicht nach irgendwelchen illegalen Substanzen, sondern nach Lebensenergie verlangte. In diesem Augenblick tauchte eine dunkle Katze in der Gasse auf und ich warf das meiste was ich sonst in den Vordergrund stellte über Bord. Ein Schwertstreich genügte, um das Tier zu töten und die Kristalle glühten auf. Die Energie strömte in meinen Körper, wie das Blut auf den Boden floss. Im Vergleich zu Übernatürlichen und Menschen fühlte es sich schal und schwach an, aber es beruhigte meinen Körper und die Kälte löste sich kribbelnd aus meinem Körper. Auch das Zittern verebbte und ich beruhigte mich langsam, aber die Verwirrung blieb. Was hatte dieser Junge an sich, dass ich nicht angreifen konnte? Am Ort konnte es nicht liegen. Ich musste unbedingt herausfinden was es damit auf sich hatte. Oder war das nur ein kurzzeitiger Aussetzer meinerseits gewesen? Aber so etwas war mir noch nie passiert. Und dass in über 2000 Jahren. Alleine der Gedanke ließ mich heftig erschauern. Ich musste das klären, bevor es sich am Ende noch weiter ausbreitete. Egal was ich dafür tun musste: Das musste ich herausfinden!
Autorin & Copyright: Anna Kleve
Texte: Anna Kleve
Bildmaterialien: Anna Kleve
Tag der Veröffentlichung: 08.08.2017
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