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Prolog

1865, In den tiefen Höhlen von Asteria

 

Kreischendes, angsterfülltes Getöse hallte durch die modrigen Gänge, gepaart mit dem scharfen Zischen von Schlangenzungen. Es klang beinahe so, als lechzten sie nur danach, die verängstigten Körper zu kosten und sich dann dem süßen Geschmack von Blut hinzugeben. 

Schlangen. Welch schöner Gedanke, im Antlitz dieser Katastrophe. Leider gibt es in den Höhlen von Asteria keine Schlangen. Allerhöchstens ein paar nützliche Spinnentiere, dachte er und seufzte enttäuscht, als es erneut laut durch die niedrigen Gänge züngelte. Es kam näher. Hysterischer Singsang untermalte dabei die zunehmende Geräuschkulisse und zeigte deutlich, dass es allmählich ernst wurde. Williams Herz pochte ungleichmäßig in seiner Brust und brachte ihn etwas aus dem Gleichgewicht. Die Anspannung war kaum noch zu ertragen. Die Ereignisse der kommenden Minuten würden über Leben und Tod entscheiden, das Existieren allen Lebens drastisch beeinflussen und entweder Himmel oder Hölle zurücklassen. „Willliiaaammmmm. Mach dich bereit“, schrie plötzlich jemand panisch und vollkommen atemlos am Ende des langen Ganges, der direkt in die riesige Kammer führte, in der er sich befand. Wie in Zeitlupe sah er sich ein letztes Mal prüfend im Raum um. Die mehr als tausend Jahre alte Zeremonienkammer war, dank der Vielzahl an brennenden, systematisch auf die am Boden gezeichneten Pentagramme verteilten Kerzen, mit scheinheiliger Wärme gefüllt. Dies war unbedingt notwendig, denn sie unterstützten die vielen Runen und mystischen Zeichen in ihrer Macht. In der Mitte der Kammer glänzte ein riesiger schwarzroter Kreis, dem man für gewöhnlich wohl keinerlei Bedeutung schenken würde, hätte daneben nicht ein totes Tier gelegen; die Kehle durchtrennt und das Fell blutbesudelt.  Für einen kurzen Augenblick schloss William die Augen und gedachte der armen Ziege, die für dieses Vorhaben ihr Leben hatte lassen müssen. Ohne eine weitere Vorwarnung erfüllte plötzlich ein schnell lauter werdendes Fauchen den Raum und ließ ihn erschrocken zusammenzucken, als etwas nur knapp an seinem Ohr vorbeisauste. Ein kurzer Blick über die Schulter zeigte William sofort das Ausmaß dieses Übels, denn unweit an der Wand hinter ihm, soweit man sie noch als solche bezeichnen konnte, klebte eine grünschwarze Masse, die wie zäher Schleim an dem bröckelnden Gestein herabtropfte. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er zurück in den Gang. Fünf mystische Gestalten hasteten rücklings in seine Richtung und sammelten sich zu einem kleinen Zirkel, ehe sie schließlich in rasantem Tempo auf ihn zurannten. Hätte er sich in einer anderen Situation befunden, wäre er wirklich in Panik ausgebrochen, doch in diesem besonderen Fall waren es seine Verbündeten.  Unverzüglich eilte William zum anderen Ende des Raumes und nahm seine Position unweit des Blutkreises ein. Jedem war sein Platz zugeteilt worden und alle mussten sich daran halten, wenn sie diese Mission nicht gefährden wollten. Sein Blick huschte erneut in den Gang und sogleich bemerkte er, dass sich eine zierliche junge Frau in einem smaragdgrünen Kleid von der Gruppe entfernte, um nun mit eiligen Schritten an seine Seite zu eilen. Ihr blondes Haar wehte dabei wie weiche Seide um ihr schmales Gesicht, was ihre funkelnden grünen Augen noch mehr zur Geltung brachte. „Die Hexenmeisterin ist eingetroffen, William. Sie erwartet dich. Du musst dich beeilen und sie schnell herführen. Es wird Zeit, mit der Zeremonie anzufangen. Die Mitglieder des Zirkels werden den magischen Kreis nicht lange halten können, wenn du nicht dabei bist!“, keuchte sie und rang sichtlich nach Luft. Sie ist da! Natürlich wusste William um die bedeutsame Anwesenheit der Hexenmeisterin, doch noch mehr wusste er um die Bedeutung, den Fürst der Unterwelt im Bann des magischen Kreises gefangen zu halten.  Hastig rannte er den schmalen Gang entlang, der hinter ihm lag, nahm die nächste Abzweigung nach links und sprang die alte Steintreppe hinab, die direkt in eine etwas kleinere Kammer führte. Er war nicht sonderlich erstaunt, als er die Hexenmeisterin bereits auf sich zukommen sah, und lächelte leicht. Das ist ihre Natur. Anweisungen, die andere ihr geben, mag sie nicht und Warten war auch noch nie eine ihrer Stärken. Ein schmerzerfüllter Schrei, gefolgt von einem düsteren Raunen, drang plötzlich aus der Zeremonienkammer in Williams Ohr und ließ ihn sogleich ängstlich zurückblicken. Gott stehe uns bei. „William Hyronimus Galen“, ertönte augenblicklich eine weibliche Stimme und lenkte so die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Erva! Ich bin überaus froh euch hier zu sehen“, erwiderte er erleichtert und konnte ein sanftes Zucken seiner müden Augen nicht unterdrücken. Ihm war sofort klar, dass sie keinesfalls vorhatte ihre Schritte zu verlangsamen, um ihn zu begrüßen, sondern stattdessen schnurstracks in Richtung Zeremonienkammer weiterstiefelte. „Es ist sehr lange her seit unserem letzten Aufeinandertreffen. Ich bin so schnell ich konnte zu euch geeilt, als ich erfahren hatte, was ihr vorhabt.“ William bemühte sich ihr zu folgen und rannte beinahe in Erva hinein, als diese plötzlich am Eingang der Kammer stehen blieb. Der Zirkel war noch immer damit beschäftigt, den gigantischen, mit Blut getränkten Bannkreis aufrechtzuerhalten. William wusste, wenn sie nicht bald mit der Zeremonie beginnen würden, wären all ihre Bemühungen, Aládar zu bändigen, umsonst gewesen. Dieser lachte nur gehässig, als er Williams Gedanken las, und legte sich nur noch mehr ins Zeug, den magischen Kreis zu durchbrechen. Immer wieder zischten und vibrierten die geschwächten Schutzwände, sobald Aládars geballte Fäuste dagegen schlugen und böses Unheil prophezeiten. „Ist er das?“, fragte Erva ein wenig nervös und deutete auf den bebenden Blutkreis. „Ja, und wir sollten beginnen, bevor es zu spät ist!“, drängte William sichtlich eingeschüchtert, woraufhin Erva zustimmend nickte. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, machte sie sich ans Werk. Mit schnellen Schritten bewegte sie sich auf den kleinen Altar zu, der neben dem gefährlich zitternden Schutzwall errichtet worden war, warf ihre dunkelbraune Ledertasche kurzerhand darauf und holte mit geschickten Griffen einen kleinen Dolch, eine massive Steinschale, eine Ampulle mit einer klaren Flüssigkeit und ein sehr alt wirkendes Buch hervor. Gezielt schlug sie die benötigte Seite auf, überflog die in alter Schrift geschriebenen Zeilen und gesellte sich schließlich zu den anderen Mitgliedern des Zirkels. „Ich brauche nun eure Hilfe. Jeder von euch muss etwas Blut in die Schale geben. Im Gegenzug werde ich den jeweiligen Platz einnehmen, um den Kreis aufrechtzuerhalten. Wir müssen sofort anfangen!“, forderte sie und trat schnurstracks an die Seite des Goblinherrschers. Zeitgleich schritt dieser zum Altar, ergriff den kleinen metallenen Dolch und stach ihn sich, ohne Fragen zu stellen, in den Finger. Ein Tropfen nach dem anderen fiel in die Steinschale und färbte sie in tiefes Rot. Als nächstes machte sich die Feenkönigin auf den Weg, gefolgt vom ranghöchsten Gargoylekrieger, welcher statt Blut eine versteinerte Träne in die Schale fallen ließ. Der Fürst der Unterwelt fluchte und schlug noch fester gegen den schwindenden Kreis, der mittlerweile bedrohliche Wellen schlug und nur darauf wartete zu zerbrechen.  „Nun der Vampir und der Werwolf. Dann bleiben nur noch zwei übrig!“, rief Erva unter großen Mühen aus, denn auch für sie war es nur schwer zu ertragen, einen so mächtigen Dämon wie Aládar zu halten. In Windeseile schnitten sich beide eine tiefe Wunde in die Hand und füllten die Schale bis zur Hälfte mit ihrem Blut. „Je mehr desto besser, nicht wahr?“, drang es nun kehlig aus dem Mund des Wolfs-Mannes, der augenscheinlich kurz vor seiner Verwandlung stand, ehe er sich wieder dem Zirkel anschloss. „William, jetzt bist du an der Reihe. Wir brauchen noch das Blut eines Elfen und einer Hexe.“ „Aber ich bin kein Elf Erva!“, entgegnete William und sofort hallte Aládars düsteres Gelächter durch den Raum. „Du bist ein Halbelf, das muss reichen. Sonst sind wir alle verloren!“, erwiderte sie und drängte darauf, die Schale zu füllen. „Das seid ihr in jedem Fall“, knurrte der Dämon unter gehässigem Lachen und setzte dem Kreis ein weiteres Mal zu. William schluckte schwer, überlegte einen kurzen Moment und nahm schließlich den blutbeschmierten Griff des Dolches in die Hand, um die Klinge durch seine Handfläche gleiten zu lassen. Schmerzerfüllt schrie er auf, hielt jedoch unverzüglich seine zitternde Hand über die Schale, die sich sofort noch ein wenig mehr füllte. „Das reicht! Komm her und nimm meinen Platz ein. Ihr müsst den Kreis für einen kurzen Moment ohne mich halten, damit ich den Trank vollenden kann!“ Kaum hatte William Ervas Platz eingenommen, schlug der Dämonenfürst auch schon mit aller Kraft gegen den Schutzkreis, der unter der Wucht gefährlich tiefe Risse bekam. Das Ende war nah und es blieben nur noch Sekunden, ehe das Unheil in die Freiheit entlassen werden würde. Erva bemerkte die heikle Misere, öffnete die Ampulle mit der klaren Flüssigkeit, um sie unverzüglich in die Schale fallen zu lassen, und stach den Dolch unter lautem Geschrei tief in ihre Hand. Ihr Blut floss in Strömen über ihr zitterndes Handgelenk, während sie begann die Zeilen des ersehnten Sieges zu lesen.  „Die Kammer, in der das Böse wohnt, verschlossen durch vergossenes Blut, gefangen durch des Zaubers Bann, der nicht gebrochen werden kann. Verbannt auf ewig sollst du sein, bis sich die Steine wieder vereinen!“ Aládar schnaufte wutentbrannt, wobei seine schlangenartigen Augen nun in einem wahrlich bedrohlichen Rot glühten, während er wie von Sinnen gegen den bröckelnden Bannkreis schlug und unverständliche Worte hervorbrachte. Er wütete wie der Teufel in Person und wirbelte wie ein Tornado umher, ehe plötzlich eine Eiseskälte den Raum einnahm, die alle erzittern ließ. Die Mitglieder des Zirkels rissen erschrocken die Augen auf, denn sie wussten, dass es geschehen war. All ihre Hoffnung fiel mit einem Mal in sich zusammen und wurde von überwältigenden Überlebensängsten ersetzt. Ein markerschütterndes Reißen erfüllte die Kammer und der Bannkreis löste sich in Luft auf. Ohne zu zögern, schoss Aládars klauenartige Hand nach vorne, packte den Goblin an der Kehle und schleuderte ihn mühelos gegen die nächstgelegene Wand. Reglos blieb dieser in einer größer werdenden Blutlache liegen, was den Gargoylekrieger reflexartig nach oben schießen ließ, um sich an der gewölbten Decke in Sicherheit zu bringen. Doch es nützte nichts, denn Aládar erkannte sein Vorhaben schnell und bewarf ihn mit einer braunschwarzen Masse, die ihn zuckend auf den Boden zurückholte. „Cubiculum ubi malum habitat. Obsignare per Caedes”, stammelte Erva panisch, denn sie wusste, dass ihr Fluch nur sicher wirken konnte, wenn er auch lateinischen Ursprungs war.  Aládar schrie hysterisch auf und sprang wie ein tollwütiger Tiger auf sie los, wobei seine Entschlossenheit, ihr die Kehle herauszureißen, tief in seinen Augen geschrieben stand. „Captus per bannum incantationis“ , sagte Erva hastig, auch wenn sie wusste, dass es zu spät war, denn Aládar war nur noch einen halben Meter von ihr entfernt und sein mit Zähnen übersätes Maul weit aufgerissen. Als er jedoch nur wenige Millimeter vor ihr plötzlich herumgerissen wurde und sich nun nicht mehr auf sie zubewegte, schrie sie überrascht auf. Immerhin hatte sie dem Tod bereits ins Auge gesehen und nicht mit einem Wunder gerechnet. Gerade noch rechtzeitig und vollkommen unerwartet hatte sich der scharfe Kiefer des nun verwandelten Werwolfs in den Oberkörper des Dämons gebohrt, der sofort lauthals aufschrie. Doch der Schmerz wurde augenscheinlich schnell von Zorn überlagert, denn Aládar knirschte nur wenige Sekunden später wutentbrannt mit den Zähnen und grub entschlossen seine Klauen in das dichte schwarze Fell des Wolfes. Dieser ließ sogleich unter entsetzlichem Gejaule von ihm ab und verkroch sich in eine Ecke, um seine Wunden zu lecken.  „Potest non irritum“, schrie die Hexenmeisterin mit Nachdruck, doch Aládar hatte sich bereits wieder ihr zugewandt und griff nun fest nach ihrer Kehle. Angsterfülltes Röcheln, vom verzweifelten Kampf nach Luft, entglitt ihrem viel zu engen Hals, während sie wild strampelte und schließlich den Halt unter den Füßen verlor. „Du wirst sterben, Hexenschlampe. Genau wie alle anderen auch“, fluchte der Fürst der Unterwelt genüsslich und drückte noch fester zu. Ervas Sicht tauchte in tiefes Schwarz. Wir sind alle verloren, dachte sie, doch es dauerte nur einen Wimpernschlag, ehe sich der Druck wieder ruckartig von ihrem Hals löste. Die Vampirin hatte sich ebenfalls auf Aládar gestürzt und unter lautem Geschrei ihre spitzen Zähne in dessen Hals gerammt. Der Dämon zischte und versuchte sie zu ergreifen, doch sie war zu schnell für ihn und bewegte sich wie eine flinke Gazelle immer wieder um ihn herum, ehe sie erneut ihre Reißzähne in seine ledrige Haut bohrte. „Exsules aeternum sis“, keuchte Erva unter großen Mühen, ergriff mit letzter Kraft den blutbeschmierten Dolch und schnitt ein symbolisches Kreuz in die mit Blut getränkte Schale. Entsetzt riss Aládar die Augen auf und wollte, trotz der Vampirin im Nacken und mittlerweile auch wieder dem Wolf am Bein, auf Erva zustürmen, doch es half alles nichts. „Usque lapides contributuros!“, vollendete die Hexe eilig ihren Fluch und ging gleichzeitig, vollkommen entkräftet, zu Boden.  William, der sich mit der Fee in der hintersten Ecke der Kammer versteckt gehalten hatte, eilte nun besorgt an Ervas Seite, während sich allmählich der Geruch von verbranntem Haar breitmachte. Es waren nur Bruchteile von Sekunden, bis der Werwolf und die Vampirin erschrocken zurückwichen, als sich eine unsichtbare Schicht zwischen ihnen und dem Dämon breitmachte. Aládar stand währenddessen regungslos da, die geschlitzten, mit zügelloser Wut gefüllten Augen weit aufgerissen. „Was ist mit ihm?“, fragte die Feenkönigin überrascht, als sie nun hektisch vor seinen rot glühenden Augen hin und her schwebte. „Er ist gefangen in einer Art Zwischenwelt“, krächzte Erva leise und griff sich schützend an den brennenden Hals. „William, sieh in die Schale und sag mir, ob es funktioniert hat“, flüsterte sie, ehe sie einige Male kräftig hustete und sich räusperte, um wieder genügend Luft in ihre Lungen pressen zu können. William, der noch immer nicht so recht realisierte, was hier gerade geschehen war, tat jedoch, ohne Fragen zu stellen, was sie verlangte. „Da stimmt irgendetwas nicht. Das Blut … es ist verschwunden!“, sagte er erschüttert und starrte die Hexe verzweifelt an. Unverzüglich waren alle Augen auf sie gerichtet, die Zirkelmitglieder erwarteten eine Antwort, doch Ervas Gesicht blieb ausdruckslos, als sie ihre Augen schloss.

„Erva, was ist los?“

„Sieh noch einmal in die Schale, William, und sag mir, was du siehst!“

Wieder tat er, worum sie ihn bat, doch das Blut blieb weiterhin verschwunden.

„Kein Blut, Erva“, sagte er enttäuscht und sah immer wieder zwischen ihr und der Schale hin und her. „Warte … Was zum Teufel … Das ist doch nicht möglich!“, stotterte William plötzlich und traute seinen Augen nicht. Erva hingegen lächelte zufrieden, ehe sie langsam wieder die Lider öffnete.

„Das nenn ich wahre Magie“, sagte der Werwolf anerkennend, als er sich zu William gesellte, und auch die anderen staunten und wunderten sich, während sie gespannten Blickes in die Schale starrten. Es bedurfte keiner weiteren Ausführungen. Glücklich über ihren Erfolg, bemühte sich Erva aufzustehen, sackte jedoch sogleich wieder in sich zusammen. Ohne auch nur ein Wort zu verlieren, zog die Vampirin sie nach oben und ein kurzer Blick von Erva reichte aus, um ihr ihre Dankbarkeit zu zeigen.  „Das, meine Lieben, sind Blutkristalle und es wird von nun an eure Bestimmung sein, sie mit eurem Leben zu schützen. Jeder von euch wird einen Stein bekommen, und eure verschiedenen Lebensräume sichern eine hohe Distanz zwischen den einzelnen Elementen. Der Fluch von Aládar lebt in jedem dieser Steine und nur wenn sie alle wieder zusammengeführt und Eins werden, wird seine verdorbene Seele wieder auferstehen können“, predigte Erva und verlieh jedem ihrer Worte eine extra Portion Nachdruck. „Aber was passiert mit ihm?“ fragte William besorgt, drehte sich zu dem gefangenen Dämon um und wich erschrocken nach hinten. „Wo ist er hin?“, rief er entsetzt und musterte sofort die Kammer. „Beruhige dich, William. Aládar wurde von den uralten Gemäuern dieser Kammer aufgenommen und wird solange dort verweilen müssen, bis die Steine wieder in die richtige Position gebracht werden. Sieh dich um! Überall in den Wänden, der Decke und dem Boden sind Einlässe versteckt und nur wenn jeder dieser Steine seinen rechtmäßigen Platz findet, wird der Fluch gebrochen werden können. Es ist also beinahe unmöglich, ihn zu befreien!“, besänftige Erva ihn. „Solange also niemand von den Steinen und ihrem Aufenthaltsort erfährt, ist er verdammt bis in alle Ewigkeit“, flüsterte die Feenkönigin, als hätte sie Angst, sie könnte belauscht werden. „So ist es“, erwiderte Erva erschöpft, „Und Gott sei uns gnädig, ich bete, dass es auch so bleibt!“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1

Heute

Kapitel 1

 

Das leise Quietschen meiner Zimmertür drang von Weitem in mein Ohr, gefolgt von einem gedämpften Tapsen. Langsam näherte es sich dem Bett, in dem ich lag. „Wer ist da?“, fragte ich, ohne dass die Worte wirklich meinen Mund verließen, und öffnete meine Augen einen winzigen Spalt. Ich befand mich noch immer im Halbschlaf und nahm alles nur sehr unterschwellig wahr, doch es reichte aus, um mir einen leichten Schauer über den Rücken zu jagen. Wahrscheinlich ist es nur Oma, dachte ich schlaftrunken, schenkte der Situation keine weitere Aufmerksamkeit und schloss erneut die Augen. Doch es dauerte nur einen kurzen Moment, ehe ich spürte, wie die Matratze am Fußende meines Bettes deutlich nach unten gedrückt wurde und sich nun irgendetwas auf ihr befand. Sogleich wurde ich abermals aus dem Schlaf gerissen, denn etwas Feuchtes und zugleich auch Kaltes zerrte nun fordernd an meiner Bettdecke. Gänsehaut machte sich breit und ließ meinen Körper erstarren. Schnell arbeitete es sich unsanft von meinen Füßen zu meinem Oberschenkel, glitt höher in Richtung Kopfende und schob dabei ruppig mein Nachthemd hin und her. Dieses feuchtkalte Ding, das auch noch ziemlich behaart war, fuhr energisch wieder an meinem Rücken hinab, schleckte unerwartet mit seiner rauen Zunge über mein nacktes Schulterblatt, und zutiefst erschrocken, drehte ich mich reflexartig um.  Es war mein Golden Retriver Sammy, der ungestüm mit seiner kalten Schnauze in meiner Decke wühlte, sie immer wieder hin und her schob und sich dann gekonnt unter sie drängte. Eines musste man ihm wirklich lassen: Er war sehr erfinderisch, wenn es darum ging, Nähe zu bekommen. Ich sah auf meinen Wecker – sieben Uhr. „Sammy, das ist nicht fair. Ich hatte gerade so schön geträumt“, stöhnte ich enttäuscht und zog mir die Decke über den Kopf. Es war ein wunderschöner Traum gewesen, der jedoch in diesem Moment jäh unterbrochen worden war. Die Realität hatte mich wieder. Nacht für Nacht verbrachte ich in dieser Scheinwelt aus vielversprechenden Illusionen, die mich immer wieder auf die gleiche Art und Weise fesselte. Es waren zwar nur Bruchstücke, an die ich mich dabei erinnern konnte, aber sie waren unvergesslich für mich geworden.  Die Landschaft, in der ich mich dabei stets befand, wirkte ein wenig geheimnisvoll, ja sogar irgendwie märchenhaft. Alles war übersät von wunderschönen bunten Blumen und einer Vielzahl von hochgewachsenen Bäumen. Überall konnte man kleine Bienen und Schmetterlinge umherfliegen sehen, die sich hier und da auf Grashalmen niederließen oder sogar mit ihnen tanzten. Es duftete herrlich nach Frühling und das Farbenmeer aus weißen, gelben und purpurnen Blüten war einfach prachtvoll. Im Hintergrund erstreckte sich eine weitreichende, schneebehangene Bergkette, während inmitten dieser herrlichen Idylle leise ein kleiner Bach plätscherte. In dieser fast malerisch wirkenden Umgebung sah ich stets eine lange graue Steinmauer, die ein weitläufiges Gebiet abzugrenzen schien und durch ein großes eisernes Tor verschlossen wurde. Auf ihm war eine Art Wappen zu erkennen, das sehr filigran gearbeitet war und dadurch sehr edel auf mich wirkte. Das Nächste und bei weitem Interessantere, woran ich mich erinnerte, war ein mysteriöser junger Mann, mit hellbraunem, seidig glänzendem Haar. Er wirkte jedes Mal sehr anmutig, doch zugleich auch überaus männlich auf mich; eine Mischung, die meinen Körper sofort vor Verlangen erschaudern ließ. Seine elfenbeinfarbene Haut passte gut zu den roten Lippen, die ein strahlendes Lächeln formten. Er war genau der Mann, von dem ich mich sofort um den Finger wickeln lassen und dem ich mich bedingungslos hingeben würde, sollte er es wollen. Und zu guter Letzt war da noch ICH in meinem Traum. Jedes Mal aufs Neue ging ich auf den jungen Mann zu, nahm schüchtern lächelnd seine ausgestreckte Hand und schaute verlegen zu ihm hoch. Er strahlte mich mit hypnotisierendem Lächeln und saphirblauen Augen an, ehe er mich ein kleines Stück zu sich heranzog; gerade genug, um sich zu mir herunterzubeugen und meinen Handrücken küssen zu können. 

Für gewöhnlich erwachte ich anschließend, denn es war wie gesagt nur ein Traum. Warum sonst sollte ein so interessanter Mensch jemanden wie mich auch nur ansatzweise beachten? Ich war nicht einmal der übliche Durchschnitt und für gewöhnlich nicht mehr als die gute Freundin. Mein braunes, schulterlanges Haar hing meist langweilig an mir herab und meine Hüften, die nicht sonderlich einladend wirkten, waren mit ein bisschen zu viel Hüftgold besetzt. Ebenso wie meine strammen Oberschenkel, schreckten sie die heutige Männerwelt wohl eher ab, als dass sie mich begehrenswert machten. Mein letzter Freund David hatte sich damals als psychotischer Stalker entpuppt, was mir zeitweise immer noch das Leben schwer machte, und somit konnte ich nicht einmal aktuell mit so etwas wie einer Beziehung glänzen.  Angestrengt versuchte ich wieder in meine Traumwelt zu gelangen, drehte mich um und kuschelte mich fest an Sammy. Meine Hand strich über sein weiches Fell und ich schloss erneut die Augen. Sein warmer Körper schmiegte sich eng an mich, wobei ich sein sanft pulsierendes Herz unter meiner Hand spüren konnte, während sein heißer Atem leise aus seinen Nüstern blies. Optimale Bedingungen möchte man meinen, doch so sehr ich es mir auch wünschte und mich bemühte, es wollte mir nicht mehr gelingen einzuschlafen. Wieder einmal blieb mir nur das belebende Gefühl, das ich wie jeden Tag aus meinem Traum mitnahm.  Ich setzte mich auf, streckte ausgiebig meine verschlafenen Glieder, drehte mich zum Bettrand und ließ immer noch verträumt die Beine baumeln. Die Realität meines Traums verblüffte mich immer wieder aufs Neue; hatte ich diesen Mann doch noch nie in meinem Leben gesehen und war erst recht nicht von ihm in irgendeiner Form geküsst worden. „Jetzt ist aber genug geträumt, Ashley Galen. Reiß dich gefälligst zusammen“, ermahnte ich mich selbst, ehe ich, meinen Oberkörper leicht nach hinten geneigt, ein letztes Mal über Sammys Fell strich. Noch immer lag er eingekuschelt und seelenruhig schlafend auf meinem Bett und ich schmunzelte zufrieden. Voller Elan sprang ich schließlich aus dem Bett. Langsam ging ich zum Fenster und zog die schweren roten Vorhänge beiseite. Ich wollte unbedingt die Sonne hereinlassen, die heute mal den Weg durch die Wolken gefunden hatte. Mit ausgebreiteten Armen stand ich eine ganze Weile einfach so da, ließ die Sonnenstrahlen meinen Körper erforschen und die in mir aufsteigenden Glückshormone sprießen. Ein herrliches Gefühl der Wärme durchströmte mich und ein zartes Kribbeln wanderte über mein Gesicht. Ich genoss diesen Augenblick in vollen Zügen, denn es war einer der seltenen Momente in meinem Leben. Was für ein wunderbarer Morgen, dachte ich. Mit einem Lächeln im Gesicht und voller Vorfreude auf den Tag zog ich mir schnell meine ausgeblichene Jeans und einen Pullover über. Die Haare band ich mir locker im Nacken zusammen. Das wird fürs Erste reichen!  Leichtfüßig verließ ich mein Zimmer, sprang die alte Treppe ins Erdgeschoss hinunter und bemerkte sofort den herrlichen Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee. Kaum war ich unten angekommen, ging ich geradewegs auf die Küche zu. Mein Blick schweifte sofort über die in die Jahre gekommenen, braunen Möbel bis hin zu der kleinen Essecke neben dem Fenster. Und da sah ich sie auch schon. Die wohl wichtigste Person in meinem Leben. Meine liebe Oma May. Nach dem Unfalltod meiner Eltern vor sieben Jahren, hatte sie mich sofort bei sich in Tofino aufgenommen und war fortan alles, was ich noch hatte. Und ich war sehr dankbar dafür. Nun saß sie da, ihre kleinen, faltigen Händen um die Tasse gelegt, während sie genüsslich ihren Kaffee schlürfte. Kaum hatte sie mich entdeckt, wurde ihr Blick auch schon herzlich warm und ein liebevolles Lächeln schmückte ihr Gesicht. „Guten Morgen, mein Kind. Du bist früh wach. Hast du gut geschlafen?“, fragte sie mit einem Hauch Sorge in ihrer Stimme. Ich lächelte sanft über ihre wohlgeschätzte Fürsorglichkeit, nahm mir eine Tasse aus dem Schrank, die ich unverzüglich mit dem herrlich duftenden Kaffee füllte und setzte mich zu ihr. „Ja Oma, ich habe wieder traumhaft geschlafen, nur Sammy hat mich leider zu zeitig geweckt“, antwortete ich mit leichtem Schmollmund, wobei ich nachdenklich auf die schwarze Flüssigkeit in meiner Hand starrte. „Ich hatte wieder diesen Traum, von dem unbekannten Mann. So langsam beginne ich wirklich an mir zu zweifeln“, fügte ich leicht bedrückt hinzu und nahm zaghaft einen Schluck aus meiner Tasse. „Mach dir keine Sorgen um deinen Verstand, mein Schatz. Du weißt doch, was ich immer zu sagen pflege: Alles, was im Leben passiert, hat einen Sinn und wer weiß, vielleicht triffst du ja deinen Traumprinzen nachher im Keller, beim Wäschewaschen“, erwiderte sie mit einem breiten Grinsen auf den Lippen und brachte mich mit ihrer Anspielung, dass ich heute mit der Wäsche dran war, ebenfalls zum Lachen. Genüsslich setzte ich ein weiteres Mal die Tasse an meinen Mund und trank. Gewiss würde ich irgendwann meinen Traummann finden, aber garantiert würde er sich nicht bei uns im Waschkeller versteckt halten. Dafür musste ich schon rausgehen und Ausschau halten. Und genau das hatte ich dann auch vor.  Nachdem ich meinen Kaffee ausgetrunken und mir ein paar Löffel Müsli in den Mund geschoben hatte, machte ich mich schnell an meine Aufgaben. Eilig flitzte ich nach oben in mein Schlafzimmer, wo ich unverzüglich die Fenster öffnete und ordentlich mein Bett herrichtete. Und kaum konnten sich die Decken und Kissen darauf wieder sehen lassen, huschte ich auch schon ins Bad, ergriff sogleich meine Zahnbürste und putzte peinlich genau jeden noch so kleinen Winkel in meinem Mund. Ohne viel Zeit zu verlieren, warf ich mir anschließend eine Ladung Wasser ins Gesicht, trocknete mich geschwind ab und schnappte mir den großen Wäschekorb, um ihn zum Waschen in den Keller zu tragen. Ich blinzelte heimlich, ob nicht doch ein Ritter in weißer Rüstung auf mich wartete, und lächelte amüsiert, während ich die Schmutzwäsche in der Maschine verstaute. „Geschafft“, murmelte ich leise vor mich hin, drückte zufrieden den Startknopf und machte mich zu guter Letzt wieder auf den Weg nach oben, wo Sammy mittlerweile wartend an der Haustür stand. Behutsam legte ich ihm kurz darauf das Halsband um, welches ordentlich im Flur an der Garderobe hing, schnappte mir die dazugehörige Leine sowie meine Jacke und eilte mit einem lauten „Bis später Oma“ hinaus. 

Das Haus, in dem meine Oma und ich zusammen lebten, war eines der gemütlichen roten Holzhäuser, mit den typischen weißen Balken und Fensterrahmen, wie sie auch in Schweden zahlreich zu finden waren. Es hatte große Holzfenster, die mal wieder ein wenig Farbe gebrauchen konnten, und eine riesige Terrasse, die genau in Richtung MacKenzie Beach ragte. Der mit Treibholz übersäte Strand ergab mit den seichten Wellen des Meeres und den angrenzenden Bergen ein atemberaubendes Panorama, welches ich wahrlich den ganzen Tag hätte anstarren können. Sammy erinnerte mich jedoch schnell mit einem leisen Winseln daran, was wir eigentlich vorhatten. In zwei großen Schritten sprang ich die kleine Treppe herunter, die von unserer Veranda führte, und ging den schmalen Schotterweg entlang, der rings um unser Haus verlief. In dieser lebendigen Landschaft, mit ihren unzähligen Bäumen und aufblühenden Wiesen, waren ausgedehnte Spaziergänge keine Seltenheit und ich war wieder einmal glücklich, in Tofino leben zu dürfen.  Tofino - Das war ein kleiner idyllischer Ort, mit zirka zweitausend Seelen, an der Westküste von Vancouver Island, der jedes Jahr im Sommer zum Surferparadies wurde. Er war umgeben von einer herrlichen Kulisse aus zerklüfteten Bergen, grünen Wäldern, tiefen Seen und dem Pazifischen Ozean und mit all seiner Pracht der ideale Ort, wie mir schien, um alt zu werden.  Ich schlenderte mit der Leine in der Hand über den sandigen Waldweg, während Sammy vergnügt durch das grüne, wehende Gras rannte. Es war bereits Frühling geworden. Die Bäume waren mit ersten Knospen geschmückt, die Blumen begannen in den schönsten Regenbogenfarben zu erblühen und die Vögel zwitscherten wunderschöne Lieder, wobei die Insekten rhythmisch dazu zu tanzen schienen. Alles war so ein harmonisches Zusammenspiel, dass es fast schon unheimlich wirkte. Sammy genoss seinen Auslauf sichtlich und ich verfiel wie üblich in meine wirren Gedanken. Dieser Mann in meinen Träumen … Wie kommt es nur, dass er mir immer wieder erscheint? Es ist doch nicht normal, dass ich Dinge sehe, die mir völlig unbekannt sind. Oder? Ich konnte es einfach nicht nachvollziehen, geschweige denn eine logische Erklärung dafür finden. Dann plötzlich fielen mir die Worte meiner Oma wieder ein; dass alles einen Sinn haben sollte, was einem im Leben passiert. Ob sie wohl mehr weiß, als sie zugibt? Kennt sie womöglich diesen Mann und sagt es mir nur nicht? Aber warum sollte sie das tun? Meine Gedanken verschwommen zu einer wirren Masse und ließen kein logisches Denken mehr zu. Das alles war wirklich sehr kurios.  Sammys lautstarkes Bellen brachte mich kurz darauf in die Realität zurück. Verwundert blickte ich auf und sah, wie er einem Hasen hinterher rannte, und noch ehe ich darauf reagieren konnte, war er auch schon in der Dunkelheit des Waldes verschwunden. „Na toll, nun hast du auch noch den Hund verloren. Ganz große Klasse, Ashley“, sagte ich wütend auf mich selbst und sprintete schreiend hinter ihm her. Ich hegte Hoffnung, er würde von dem Hasen ablassen und einfach wieder zurückkommen, doch er kam nicht. Immer tiefer lief ich in den Wald und hörte, wie Sammys Bellen von Mal zu Mal intensiver wurde. „Dieses blöde Karnickel“, wetterte ich weiter, als plötzlich ein entsetzliches Jaulen und Gewimmer durch das dichte Geäst drang. Sofort läuteten meine Alarmglocken und Panik machte sich in mir breit. Mein Herz schlug kraftvoll gegen meine Brust, wodurch sich meine Finger schlagartig verkrampften und sich schmerzlich in die Leine bohrten. Ich musste wirklich kein Hellseher sein, um zu erkennen, von wem diese Laute kamen, und so rannte ich immer schneller und tiefer in den Wald, um Sammy zu helfen. Bäume flogen dabei wie Schatten an mir vorbei, während die Blätter der hochgewachsenen Büsche mir hart ins Gesicht peitschten. Wenn das so weiter ging, würde ich gewiss einige Blessuren davontragen.  Das Gebell und Gewinsel wurde immer lauter. Sammy schien in der Nähe zu sein. An der nächsten Gabelung blieb ich stehen und drehte mich hilflos im Kreis, denn ich wusste nicht mehr, wohin ich noch gehen sollte. Sammy, wo um alles in der Welt steckst du, dachte ich und als hätte er meine verzweifelten Gedanken gehört, sah ich ihn plötzlich vollkommen verängstigt und mit weit aufgerissenen Augen in meine Richtung rennen. „Was zum Henker ist los, Sammy?“, brüllte ich ihm entgegen und hob fragend die Hände gen Himmel. Irgendetwas musste ihn zu Tode erschreckt haben, denn normalerweise gehörte er nicht zu den Hunden, die frühzeitig den Schwanz einzogen und davonliefen. Und schon gar nicht vor einem Kaninchen! Neugierig ging ich noch ein paar Schritte auf Sammy zu, damit meine Augen besser den Wald durchforsten konnten, als ich ihn plötzlich aus einiger Entfernung auf mich zukommen sah. Ein riesiger Schwarzbär war hinter einem dicken Baumstamm aufgetaucht und sah mich mit finsteren Augen an. Hätte ich mich nicht in dieser nun gefährlichen Situation befunden, wäre ich wahrscheinlich staunend stehen geblieben und seiner Schönheit verfallen, doch das hier war todsicherer Ernst und keine Bären-Besichtigungs-Tour, wie sie hier üblicherweise für Touristen angeboten wurde. Die Augen weit aufgerissen, war ich wie erstarrt vor Angst, während mein Herz rasend und energisch gegen meine Kehle schlug. Meine Beine zitterten wie Espenlaub, doch ich stand einfach nur auf der Stelle und wartete offenbar einzig darauf, dass der Bär mich in Stücke riss. Als er bereits deutlich in meine Nähe gekommen war, fühlte ich mich plötzlich  wie vom Blitz getroffen. Ein wahrer Adrenalinstoß war durch meinen bebenden Körper geschossen und so drehte ich mich hastig um und ließ zu, dass meine Beine sich wie von selbst bewegten. Schneller als je zuvor rannte ich nun um mein Leben und nahm nur geistesabwesend wahr, wie Sammy an mir vorbeipreschte und sein Hecheln durch das tiefe, laute Schnaufen des Bären hinter mir ersetzt wurde. Seine Tatzen krachten immer wieder lautstark auf den harten Boden, wobei sein heißer Atem sich wie ein dichter Nebel auf meine Haut legte. Zumindest kam es mir so vor. Ein tiefes Grollen erklang aus seiner Kehle, als wolle er mir sagen, dass ich keine Chance hätte zu fliehen und endlich stehen bleiben solle. Ich rannte jedoch so schnell es meine Beine nur zuließen, auch wenn ich innerlich wusste, dass ich niemals schnell genug sein würde, um ihm zu entkommen. Das kehlige Brüllen des Bären, das man getrost mit einem Hirsch in der Brunftzeit vergleichen konnte, wurde auf einmal unermesslich laut und schien mittlerweile fast schon zweistimmig durch den Wald zu dröhnen. Unaufhaltsam durchfuhr es Mark und Bein und ließ mein Herz beinahe erstarren. Der Wind heulte auf, was die Blätter erzittern ließ, als stünden sie unter Strom und hätten ebenso Angst wie ich. Plötzlich überkam mich eine intensive, durchdringende Hitze, gepaart mit einem süßen Duft nach Vanille und Zimt, und mit einem Mal schien es, als hätte jemand der Natur das Leben ausgesaugt. Es war totenstill. Kein Rauschen des Windes, kein melodisches Singen der Vögel oder plätscherndes Wasser. Nicht einmal mein Herz wagte es, einen Ton von sich zu geben, und schien still zu stehen. Ich versuchte den Schmerz zu spüren, der mich ohne Zweifel hätte durchströmen müssen, denn ich musste bereits in dem gewaltigen Bärenmaul verschwunden sein und das Leben würde nun wie in einem Film an mir vorbeiziehen. So erzählt man es sich doch immer, oder? Und warum hätte der Bär auch seine Meinung, mich zu seinem Frühstück zu machen, ändern sollen? Doch ich war am Leben. Die Kraft in meinen Beinen ließ immer mehr nach, was meine Schritte stetig verlangsamte. Nach ein paar weiteren schleppenden Bewegungen blieb ich endlich stehen und drehte mich vorsichtig um. Ich wollte schauen, was los war. Warum zum Teufel hältst du an, Ashley? Nur dumme Teenager aus Horrorstreifen drehen sich in so einer Situation um, fallen hin und sehen schließlich ihrem Schicksal ins Auge, dachte ich, doch der Bär, der gerade eben nur einen Fuß hinter mir gewesen war und einzig seine scharfen Krallen nach mir hätte ausstrecken müssen, war wie vom Erdboden verschluckt. Das ist doch nicht möglich. Sollte ich mir das alles nur eingebildet haben? Bestand mein Leben nur noch aus Visionen und wurde ich langsam wahnsinnig? Wo verdammt nochmal ist Sammy? Trotz meiner überaus großen Verwirrung war ich nicht besonders scharf darauf, den Wald nach dem Bären abzusuchen, nur um mich davon zu überzeugen, dass ich nicht verrückt war. Also beschloss ich kurzerhand, mich schnellstmöglich nach Hause zu begeben. Dort angekommen sah ich sofort meinen verschwundenen Hund, vollkommen verängstigt, in seiner Hundehütte liegen. Ich hatte es mir also doch nicht eingebildet und war nur knapp dem Tode entkommen. Schnell rannte ich zu ihm, um ihn überglücklich in meine Arme zu nehmen. Er tat mir so furchtbar leid. Und obwohl auch ich eine Beruhigungstablette nicht abgelehnt hätte, war es doch mein größter Wunsch, meinen geliebten Sammy zu trösten. Wie hilft man einem Hund, der gerade die schlimmste Begegnung seines Lebens erlitten hat? „Sammy? Sammy, schau mich an“, sagte ich immer wieder, während ich seinen Kopf behutsam in meine Hände nahm und ihn liebevoll streichelte. „Wir sind in Sicherheit, okay? Alles ist gut, hab keine Angst.“ Doch der panische Blick in seinen Augen, der seine Todesangst deutlich widerspiegelte, verflog nicht. Er stand scheinbar unter Schock.  Oma May, die offensichtlich von dem Lärm vor ihrem Haus aufgeschreckt worden war, kam zur Tür heraus und eilte so gut es ihr möglich war zu uns. „Was ist passiert, Kind? Was ist mit Sammy los, warum rührt er sich nicht?“ „Im Wald Oma … wir sind plötzlich auf einen Bären gestoßen und wurden von ihm gejagt. Ich glaube, wir sollten schnell den Tierarzt rufen. Sammy könnte unter Schock stehen.“ Sichtlich verwundert und angespannt ließ sich Oma May neben Sammy nieder, während ich unverzüglich die Initiative ergriff und zurück ins Haus rannte. Mit zitternder Hand ergriff ich das Telefon, erklärte dem Arzt schließlich alles in kurzen Sätzen und bemühte mich, nichts auszulassen. „Bitte beeilen Sie sich“, sagte ich noch zu ihm, bevor ich hastig den Hörer wieder auf die Gabel legte. Nach dem Telefonat rannte ich wieder hinaus, in der Hoffnung, dass sich Sammy schon wieder ein wenig gefangen hatte, aber dem war nicht so. Still auf der Seite vor seiner Hütte liegend, hatte er die Augen noch immer weit aufgerissen. Fast so, als hätte er einen Geist gesehen. Seine Atmung war flach, zu flach und ich spürte wie Tränen in meine Augen schossen, aus Angst, der Arzt könnte nicht rechtzeitig eintreffen. Verzweifelt fiel ich vor Sammy auf die Knie und streichelte sein weiches, goldenes Fell, während seine Augen immer wieder vor Schwäche zufielen. „Sammy, du darfst jetzt nicht aufgeben, hörst du?“, flehte ich ihn an. „Gleich kommt Hilfe, aber bitte bleib bei mir und halte noch ein wenig durch! Du kannst mich jetzt nicht alleine lassen! Ich hab doch niemanden außer dir.“ Tränen liefen mir wie Sturzbäche über die Wangen. Ich schluchzte und fand kaum noch Luft zum Atmen. Die Kehle schnürte sich mir immer weiter zu, denn jetzt befand auch ich mich in einer Art Schockzustand. Vor mir lag mein treuster Freund, mein Hund, und drohte den heutigen Tag nicht zu überleben. Immer wieder rief ich mir ins Gedächtnis, dass ein Schock lebensbedrohlich sein konnte, und war sogleich in einer Art Trance gefangen. Ich nahm meine Umwelt nicht mehr richtig wahr, denn alles, was ich sah, war dieser verängstigte Blick in Sammys Augen, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.  Plötzlich heulte ein Motor auf und gewaltige schwarze Räder drehten auf dem schmalen Schotterweg vor unserem Haus durch. Sie wirbelten eine riesige Staubwolke auf, als sie abrupt zum Stehen kamen. Ein Mann stieg aus einem großen dunklen Jeep. In der Hand hielt er seine schwarze Tasche fest umklammert und rannte auf uns zu. Es war nur ein leichter Stupser, bevor ich unsanft zur Seite glitt und der Mann nun direkt neben mir saß. Ohne mir einen Blick zu schenken, kramte er sogleich in den verschiedensten Fächern seiner Tasche, ehe er eine Spritze herausholte, damit eine Flüssigkeit aus einem kleinen Glas zog, anschließend die Luft herausdrückte und Sammy, unter keinerlei Protest, die notwendige Medizin injizierte.  Der Mann, der demzufolge der Tierarzt war, überprüfte dabei ständig den Puls und die Temperatur meines Hundes, um sicherzugehen, dass es noch nicht zu spät war. Er wühlte noch ein paar weitere Male in seiner Ledertasche und setzte Sammy schließlich noch eine Infusion mit einem Flüssigkeitsbeutel am anderen Ende. Ich konnte nicht erkennen was es war, denn mein Blick war wieder stur auf meinen Hund gerichtet, der noch immer keine Veränderung zeigte. Erst als der Arzt sanft seine Hand auf Sammys Brustkorb legte und ihn mit einem „Ganz ruhig, mein Junge. Bald hast du es geschafft“ zu beruhigen versuchte, atmete Sammy einmal tief durch und schien beinahe erleichtert zu sein. Sanft schloss er kurz darauf seine braunen Augen, was mich sofort an das Schlimmste denken ließ. Das sogenannte letzte Aufbäumen vor dem Ende, wie man es immer hörte. Und wieder liefen schmerzerfüllte Tränen über mein Gesicht. Ich fühlte mich benommen, so als würde ich vollkommen neben mir stehen und all meine Lebensfreude mit einem Schlag verlieren, während der tiefe Schmerz in meinem Herzen sich langsam durch den Körper fraß. Der Arzt, der wohl ebenso ein Gespür für Menschen hatte, drehte sich sogleich mit einem leichten Lächeln zu mir, legte seine Hand tröstend auf meine Schulter und warf mir einen zufriedenen Blick zu. „Er wird wieder gesund, aber er braucht jetzt ein bisschen Ruhe und sollte schlafen“, sagte er mit leiser melodischer Stimme. Seine dunkelbraunen Augen sahen mich dabei überaus sanft und dennoch durchdringend an, sodass ich nicht wusste, was ich davon halten sollte.  Erst jetzt betrachtete ich ihn richtig und nahm das wahr, was mir in der ganzen Zeit in der er neben mir saß, entgangen war. Der Mann, so um die Vierzig vielleicht, der offensichtlich gerade meinen treuen Begleiter gerettet hatte, wirkte anmutig und dennoch auch kraftvoll in seinem Holzfällerhemd und der braunen Lederhose. Er hatte schwarzes, seidig glänzendes, kurzes Haar, das sehr gut zu dem angenehm erdig, blumigen Duft passte, der mir von ihm entgegenströmte. Seine Haut wirkte ein wenig blass, wobei rosa Lippen seine wirklich schönen Zähne umschlossen. Er war für sein Alter ein sehr gutaussehender Mann und ich fragte mich, was ihn wohl als Tierarzt nach Tofino verschlagen hatte, wo er doch zweifellos aus einer erfolgreichen Soap entsprungen sein musste und dort der beste Chirurg Amerikas war. Entsetzt bemerkte ich, wie ich ihn anstarrte und meinen Blick kaum von ihm lösen konnte, als meine Oma in ernstem Ton zu mir sagte: „Ash, könntest du bitte die Tür aufhalten, während Mr. ...“ „Mallory. Mein Name ist Khane Mallory“, unterbrach er sie freundlich und lächelte entschuldigend. „Okay, während Mr. Mallory Sammy ins Haus trägt?“, vollendete Oma May ihren Satz und sah ihn mit leicht zusammengekniffenen Augen schmunzelnd an. Von den ganzen Eindrücken noch immer leicht benebelt, zwang ich mich auf die Beine. Mr. Mallory stand sofort neben mir, die breiten Arme sanft um Sammys Körper geschlungen und bereit ihn ins Haus zu tragen. Eilig rannte ich die kleine Treppe zum Haus hinauf, um die Tür zu öffnen, und wartete geduldig, bis alle hereingetreten waren. Mr. Mallory stapfte mit seinen schweren Outdoorstiefeln verblüffend leise durch den Flur und geradewegs in das kleine Wohnzimmer, wo Sammys Hundekorb mit dem weichen, zitronengelben Kissen stand. Vorsichtig ging er zu Boden und legte Sammy sanft in sein Bett, damit er sich von den Strapazen erholen konnte. Er befreite ihn noch von seiner bereits durchgelaufenen Infusion und legte mit einer verblüffenden Leichtigkeit noch einen Verband um die Einstichstelle. Als er sich wieder erhob, sah er mich für einen kurzen Moment freundlich an und wandte sich dann meiner Oma zu, um ihr weitere Informationen zu geben, worauf wir in den nächsten Tagen zu achten hatten.  Ich bekam von alledem nicht wirklich viel mit, denn ich kniete schon wieder an Sammys Seite und strich ihm zärtlich durch das goldig schimmernde Fell. „Jag mir bitte nie wieder so eine Angst ein“, flüsterte ich ihm leise entgegen und kaum hatte das letzte Wort meinen Mund verlassen, begannen Sammys Augen sich langsam zu öffnen. Der liebevolle Hundeblick, den er mir sogleich schenkte, ließ mein Herz erfreut aufschlagen. Sanft kraulte ich ihm den Kopf, wobei er ihn leicht meiner Hand entgegen neigte und einmal zärtlich über meine Finger schleckte, bis ihm wieder die Augen zufielen. „Schlaf jetzt ein wenig, mein Großer. Ich hab dich wirklich sehr lieb und bin froh, dass es dir wieder besser geht.“ Vorsichtig und bedacht darauf leise zu sein, stand ich auf und folgte Oma und Mr. Mallory in die Küche. Die beiden schienen ihr Gespräch bereits beendet und alles geklärt zu haben, denn Mr. Mallory wandte sich sofort lächelnd zu mir. „Pass gut auf deinen Freund auf, er hat wirklich ein großes, starkes Herz“, sagte er mit zarter Stimme, ehe er ruhig an mir vorbei in Richtung Haustür ging. Seine Augen bekamen ein kaum erkennbares Strahlen und wieder zog ein blumiger, erdbesetzter Duft hinter ihm her. Ein letztes Mal drehte er sich zu uns, um sich zu verabschieden. „Mach’s gut, Ashley, und ich hoffe, wir sehen uns das nächste Mal unter angenehmeren Umständen wieder“, fügte er zwinkernd hinzu, verabschiedete sich mit einem freundlichen „Wiedersehen, Mrs. Galen“ von Oma und verließ dann das Haus genauso leise, wie er es betreten hatte.  Dankbar sah Oma ihm hinterher, kam anschließend einen Schritt auf mich zu und legte tröstend ihren Arm um mich. „Mein armes Kind, was ist euch nur Schreckliches geschehen?“, fragte sie bedrückt, nahm meine Hand und führte mich langsam zu der kleinen Essecke am anderen Ende der Küche. Während sie mir einen heißen Tee aufbrühte, hatte ich es mir bereits auf der alten Eckbank bequem gemacht. Es war mittlerweile Nachmittag geworden und alles an diesem Tag war so suspekt gewesen. Mein ganzes Leben ist irgendwie merkwürdig. Ständig diese Träume, die heutige Begegnung mit dem Bären, der aus heiterem Himmel verschwunden ist, ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen. Mr. Mallory, mit seinem ganzen Auftreten und selbst Oma wirkt in diesem Moment ein wenig komisch. Doch wahrscheinlich bildete ich mir das alles nur ein. Immerhin hatte ich fast meinen besten Freund verloren und das würde wohl an niemandem spurlos vorbeigehen, oder?  Nachdem Oma mir eine große Tasse Tee vor die Nase geschoben und sich auf ihren Stuhl gesetzt hatte, erzählte ich ihr von all den Dingen, die uns im Wald zugestoßen waren. Der mysteriöse Bär, die Hetzjagd, Sammy. Ein Schauder schlängelte sich meinen Rücken entlang, als ich Omas entsetztem Blick begegnete, in dem besorgtes Verstehen lag. Vorsichtig ergriff sie mit ihren alten Fingern meine Hand. „Normalerweise kommen die Bären nicht so nah an unser Dorf, geschweige denn in die Nähe unseres Hauses. Ich kann es mir nur so erklären, dass Sammy irgendetwas entdeckt hat, der Bär ihn als Gefahr ansah und deshalb hinter ihm hergejagt ist. Du warst höchstwahrscheinlich nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Mit Sicherheit hat sich der Bär deshalb auch so schnell zurückgezogen, als er gemerkt hatte, dass alles wieder in Ordnung ist und du ihm nichts tun würdest“, sagte sie nachdenklich und mit leicht zittriger Stimme.  Das war wahrscheinlich die plausibelste Antwort, die es gab, doch ich war auch zu erschöpft, um weiter darüber nachzudenken. Ich nahm einen Schluck aus meiner heißen Tasse und stand auf. „Oma, wenn du nichts dagegen hast, würde ich mich gern ein wenig hinlegen. Diese ganze Sache hat mich doch ziemlich mitgenommen und ich könnte, ebenso wie Sammy, ein bisschen Ruhe gebrauchen.“ Ich war wirklich erledigt und hatte kaum noch Kraft in meinen Beinen. Meine Augenlider waren bereits schwer wie Blei geworden und enorm geschwächt. Oma erhob sich ebenso, ihrem Alter entsprechend jedoch wesentlich langsamer, und streichelte liebevoll meine Wange. „Natürlich, mein Schatz, geh nur. Ich werde derweil auf Sammy Acht geben und zu dir kommen, wenn sich wider Erwarten etwas verschlechtern sollte. Schlaf gut und träum etwas Schönes“, sagte sie und gab mir einen sanften Kuss auf die Stirn.  Schlurfend setzte ich einen Fuß vor den anderen, ging die Treppe hinauf und schaffte es schließlich in mein Zimmer. Das große, dunkelbraune Bett mit der cremefarbenen Tagesdecke stand verlockend am Ende des Zimmers und rief mich förmlich zu sich heran. Ohne zu zögern, gehorchte ich seinem lautlosen Ruf, ging geradewegs darauf zu und setzte mich schließlich auf den hohen Bettrand. Erschöpft ließ ich meinen Atem in einem tiefen Seufzer aus meinen Lungen entweichen und zog langsam die oberste Schublade der kleinen antiken Kommode auf, die neben mir stand. Behutsam griff ich hinein und nahm den darin befindlichen silbernen Bilderrahmen heraus. Es war ein Bild meiner Eltern, die liebevoll ein in dicke Decken gewickeltes Baby auf dem Arm hielten, welches vor mehr als dreiundzwanzig Jahren, am Tag meiner Geburt, geschossen wurde. Sie sahen beide so unfassbar glücklich aus und strahlten voller Stolz in die Kamera, dass man ihre Liebe trotz der vergangenen Jahre beinahe spüren konnte. Zärtlich strich ich über das Glas, welches schützend auf dem Foto lag, und ich fühlte diesen ach so bekannten Schmerz in meiner Brust, der sich jedes Mal aufs Neue zeigte, sobald ich die beiden auf einem der unzähligen verbliebenen Fotos sah. Ich vermisste sie wirklich sehr und an einem Tag wie heute war es besonders schlimm.  Gedankenverloren stellte ich das Bild auf den leeren Platz neben meinem Wecker und zog entkräftet die Tagesdecke beiseite. So schwungvoll es mir noch möglich war, zog ich die Füße ins Bett, ließ sie unter die Decke gleiten und kuschelte mich anschließend in mein dickes Kissen. Den Blick wandte ich dabei nicht von dem kleinen Nachtschrank und dem Bild meiner Eltern ab, bis meine Augenlider schließlich zufielen und ich vollkommen übermüdet einschlief.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 2

Kapitel 2

 

Es war ein wunderschöner Tag. Warme Sonnenstrahlen kitzelten zärtlich meine Haut und die nach Vanille und Zimt duftende Luft verwöhnte meine Nase. Ich spazierte auf einer grünen Wiese, die mit herrlich duftenden Blumen übersät war, die Vögel sangen wunderschöne Lieder und kleine Schäfchenwolken zogen langsam am Himmel entlang. Als ich über den schmalen Schotterweg vor unserem Haus in Richtung Wald schlenderte, starrten mich plötzlich zwei große braune Augen an. Wie versteinert blieb ich stehen und konnte mich keinen Zentimeter mehr rühren, während der große Mister Petz sich mir näherte. Unmittelbar vor mir blieb er stehen und fletschte seine gelbbraunen Zähne, sodass zäher Speichel aus seinem Maul trat. Ein tiefes Grollen drang kurz darauf aus seiner Kehle, während sich sein Maul langsam, aber stetig immer weiter öffnete und ihn dabei noch grimmiger aussehen ließ. Sein heißer Atem blies mir feucht ins Gesicht und die Luft, die gerade noch so köstlich gerochen hatte, stank nun entsetzlich nach fauligem Fleisch. Ich wollte um Hilfe schreien und weglaufen, doch meine Stimme gehorchte mir nicht, während meine Beine plötzlich schwer wie Zementblöcke waren und sich nicht mehr bewegen ließen. Weshalb ich plötzlich meine Augen schloss, wusste ich nicht, doch ich wartete einfach ab, was passierte. Was konnte ich auch sonst tun? Mein Herz schlug unerwartet ruhig in diesem Moment und unwillkürlich musste ich an den fremden Mann denken, der mir stets in meinen Träumen erschien war. Plötzlich, fast zeitgleich und wie auf ein drängendes Verlangen hin, öffnete ich meine Augen.  Dort stand er nun, wie aus dem Nichts. Er lächelte, zog fragend die Schultern nach oben und sah mich mit unschuldigem Blick an. Der Bär war abermals verschwunden, doch dieses Mal durch meinen Traumprinzen ersetzt worden. Natürlich war ich überaus froh, ihn an Stelle des Bären zu sehen, obgleich ich nicht wusste, was mich nun erwartete oder was um alles in der Welt die Situation so drastisch geändert haben konnte. Seine blauen Augen funkelten mich an, während er vorsichtig meine Hand nahm und sanft mit seinem Daumen über meinen Handrücken strich. Seine Finger waren dabei leicht kühl und doch durchströmte mich eine wahre Hitzewelle. Ein eindrucksvolles Kribbeln machte sich in meinem Bauch breit. Kälteschauer oder sich ausbreitende Lust? Angst oder Verlangen? Verdammt, was passiert hier gerade mit mir? Er schien meine innere Zerrissenheit zu spüren, die das Herz in meiner Brust kräftig zum Trommeln brachte, und musste sich deutlich ein verschmitztes Lächeln verkneifen. Als er sich zaghaft ein Stück zu mir herunterbeugte und seine elektrisierenden Lippen meine Hand berührten, blieb für einen kurzen Moment die Welt um mich herum stehen.  Voller Genuss schloss ich meine Augen, denn ich wollte keine Angst haben und den Augenblick einfach nur genießen. Der Moment schien ewig anzuhalten und meine Hand kribbelte noch immer wie nach einem leichten Stromschlag. Zaghaft öffnete ich wieder meine Lider, nur um verwundert feststellen zu müssen, dass er verschwunden war. „Wo bist du? Du kannst doch jetzt nicht einfach verschwinden und mich hier so stehenlassen! Sag mir doch wenigstens, wer du bist!“ Ein paar Schritte ging ich noch auf den Wald zu, um den jungen Mann zu suchen, doch er war nirgends zu sehen. Mein Herz füllte sich sofort mit einem stechenden Schmerz, der, wie ich fürchtete, erst wieder vergehen würde, wenn ich ihn wiedersah. Doch wann würde das sein?  Schweißgebadet erwachte ich mitten in der Nacht. Es war alles wieder nur ein Traum, jedoch dieses Mal mit den Erlebnissen des Vortages vermischt. Diese ganze Bärengeschichte setzte mir wohl doch mehr zu, als ich mir eingestehen wollte. Der faulige Gestank seines Maules verflog nur langsam aus meiner Nase und machte dem lieblichen Duft von Vanille Platz, der mein Zimmer einhüllte. Der stechende Schmerz ist immer noch in meiner Brust zu spüren und auch das leichte Kribbeln auf meiner Hand ist noch da. Sämtliche Eindrücke des Traumes sind verflogen, nur diese nicht. Aber warum? Ungläubig schüttelte ich den Kopf, zog die Bettdecke beiseite und sprang aus dem Bett, um rasch das Bad aufzusuchen. Ich schaltete die kleine Deckenlampe ein, ging zu dem großen Spiegelschrank und betrachtete das, was sich darin befand. Mich. Rot verquollene Augen, die von dunklen Augenrändern umrahmt waren und den gestrigen Tag widerspiegelten, blickten mich an. Meine Haare wucherten in wilden Strähnen aus meinem Kopf und meine rehbraunen Augen sahen müde und verzweifelt aus. Ich befühlte mit der Hand meine Stirn. Kein Fieber. Und auch sonst lieferte mir mein Spiegelbild keinerlei Krankheitshinweise. „Das darf doch alles nicht wahr sein. So langsam wirst du echt verrückt!“, murmelte ich vor mich hin und beschloss kurzerhand, dass ich, sobald der Tag anbrach, einen Arzt aufsuchen würde, um mich untersuchen zu lassen. Das Rätsel der noch vorhandenen Empfindungen musste aufgelöst werden. Ich schaltete das Licht aus und verließ das Bad; die Hand fest an meine linke Brust gedrückt, in dem Versuch, den Schmerz zu lindern. Schlaftrunken stolperte ich die Flurtreppe hinunter in die Küche. Ich brauchte ein Glas Wasser. Während ich einen Schluck nahm, kreisten meine Gedanken schon wieder um diese verrückten Träume. Grübelnd fragte ich mich, ob es sich lohnen würde, das Internet mit Fragen zu durchlöchern und mein Wissen über Visionen und Traumdeutungen zu erweitern. Das Ganze muss ein Ende oder zumindest eine vernünftige Erklärung finden. Ein letzter Schluck und das Wasserglas war geleert. Doch ich konnte nicht einfach wieder nach oben gehen, ohne mich noch einmal zu vergewissern, dass es Sammy gut ging. Er schlief natürlich seelenruhig und ein leises Schnarchen drang unter seinen Lefzen hervor. „Mein kleiner Brummbär“, flüsterte ich zufrieden und machte mich schließlich wieder auf den Weg in mein Zimmer, um den Rest der Nacht hinter mich zu bringen. Zu meiner Verwunderung schlief ich auch recht schnell wieder ein. Als am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen meine Stirn küssten und eine sanfte Wärme sich auf mein Gesicht legte, begann ich leicht mit den Augen zu blinzeln. Ich hatte nicht mehr von plötzlich verschwindenden Tieren oder Ähnlichem geträumt und das war auch gut so, denn so hatte ich die Gewissheit, dass sich doch noch ein Hauch von Normalität in meinem Körper befand. Das Kribbeln auf meiner Haut hatte ebenfalls nachgelassen, aber das Stechen in meiner Brust war geblieben. Ich streifte die Bettdecke beiseite und setzte mich auf, um einen kurzen Blick aus dem Fenster zu werfen. Die Sonne hatte keine Chance, lange auf mir zu verweilen, denn die vorbeiziehenden Wolken versperrten ihr immer wieder die Sicht. Die Wellen unten am Strand waren heute kräftiger als gestern und alles in allem war es ein normaler Frühlingstag in Tofino. Langsam erhob ich mich und stand auf. Wahllos kramte ich mir ein paar Sachen aus dem Schrank, zog sie über und begab mich flink ins Bad, um mich frisch zu machen, mir die Zähne zu putzen und die Haare zu bürsten. Als ich kurze Zeit später fertig war, schlurfte ich nach unten in die Küche, wobei ich Sammy über den Weg lief, der schwanzwedelnd am Fuße der Treppe stand und auf mich wartete. Er sah wieder deutlich besser aus und holte sofort einen Ball aus dem Körbchen, um mit mir zu spielen. Ich war sehr erleichtert, dass er keine bleibenden Schäden davongetragen hatte und schon wieder Freude an seinem Spielzeug zeigte.  „Guten Morgen, mein Großer. Dir scheint es ja wieder besser zu gehen, wie ich sehe, aber das mit dem Spielen lassen wir lieber langsam angehen. Anordnung von Mr. Mallory“, zwinkerte ich ihm frech zu und wandte mich zum Gehen. Nicht wissend, was ich von ihm wollte, sprang er sogleich wie ein wild gewordenes Huhn vor meinen Füßen hin und her, was es mir unmöglich machte, auch nur einen Schritt weiter voranzukommen. Ich stupste einmal kurz den Ball an, um ihm ein Erfolgserlebnis zu geben, und ging dann weiter in die Küche. Sammy machte sich einen Spaß daraus, den Ball mit seinen Pfoten von einer in die nächste Ecke zu tapsen, und ich war sichtlich amüsiert über seine kleine Alberei. In der Ecke der kleinen Küche saß meine Oma wieder auf ihrem alten Stuhl und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Sie bemerkte überhaupt nicht, dass ich hereinkam, und war sichtlich erschrocken, als ich sie mit einem „Guten Morgen, Omilein“ begrüßte. Überrascht drehte sie sich zu mir um und fasste sich an die sichtlich bebende Brust. „Jag mir nicht so einen Schrecken ein, mein Kind, ich bin nicht mehr die Jüngste“, sagte sie und lächelte gezwungen. „Wie geht es dir heute? Konntest du diese Nacht denn gut schlafen?“ Ich hatte bereits auf der kleinen Eckbank Platz genommen und strich mir mit meinem rechten Daumen immer wieder prüfend über meinen linken Handrücken. „Mir geht es nicht so besonders. Ich glaube, ich sollte mal bei Dr. Mitchell vorbeischauen“, sagte ich mit gekräuselter Stirn. Was auch immer mein Problem ist, ein Arzt wird mir sicher helfen können, dachte ich. „Gut, mein Schatz“, sagte Oma einfühlsam und fügte sogleich hinzu: „Wenn du so lieb bist, kannst du danach noch zu Dr. Mallory fahren und etwas für mich abholen? Er bat mich kurz bei ihm vorbei zu kommen, doch wenn du einmal in der Nähe bist ...“ Verwundert riss ich meine Augen auf, als ich realisierte, was sie da gerade gesagt hatte. Mr. Mallory hatte sich zwar gestern gewünscht, dass wir uns unter anderen Umständen wiedersehen, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so bald sein würde. Ein leichtes Unbehagen stellte sich bei mir ein. Doch worüber machte ich mir Gedanken? Etwa weil ich diesen reifen Mann durchaus attraktiv und interessant fand? Wahrscheinlich. Immerhin war ich erst Dreiundzwanzig und sollte mich eher mit Leuten in meinem Alter abgeben, als dem Landtierarzt hinterherzuschmachten.  Schnell schüttelte ich meine Gedanken ab, denn weiter sollte dieses Hirngespinst nicht ausgeweitet werden. „In Ordnung. Ich werde dann jetzt losfahren und auf dem Rückweg bei ihm vorbeischauen“, sagte ich schnell, um mich abzulenken, stand auf und ging in Richtung Flur. Sammy bemerkte mich sofort und lief geradewegs auf mich zu. Er schien zu Ende gespielt und sich wieder beruhigt zu haben. Seine feine Nase schnüffelte nun aufgeregt, von meinem Fuß aufwärts, an mir entlang. Als er mit seiner kalten, nassen Schnauze meine Fingerspitzen berührte, zuckte ich kurz zusammen, ließ ihn dann aber gewähren. Verlangend grub er seine Nüstern in meine Handfläche, während er den Duft meiner Haut tief in seine Lungen einsog. Es kitzelte ein wenig und ich bemühte mich, nicht laut loszulachen beziehungsweise meine Hand an mich zu ziehen. Doch plötzlich löste sich Sammy von mir. Einen kurzen Moment sah ich ihn noch mit dem Schwanz wedeln, ehe er wie ein Stein auf den Boden fiel und sich reumütig unterwarf. Verdutzt sah ich ihn an. Was hatte ich getan, dass er mir diese Geste zeigte?

Ich wollte ihn streicheln und ihm zeigen, dass alles gut war, doch er wich vor mir zurück, seinen Bauch noch immer flach auf den Boden gedrückt. Wie auch immer ich sein merkwürdiges Verhalten deuten sollte, wusste ich nicht, doch ich ging auch nicht weiter darauf ein, sondern machte auf dem Absatz kehrt, nahm meine Wetterjacke in die Hand und verließ, ohne zurück zu blicken, das Haus. Was auch immer diese Reaktion bei ihm ausgelöst hatte, konnte und musste warten. Ich kümmere mich später darum!  Hinter dem Haus stand ein silberner Nissan Murano, den meine Oma sich im letzten Jahr neu gekauft hatte, um auch die nächste Zeit gut und sicher von A nach B zu kommen. Ich hatte es für meine Pflicht gehalten, ihr die Hälfte des Geldes dazuzugeben, denn immerhin nutzte ich den Wagen fast öfter als sie selbst. Zwar stammte ich aus einer normalen und bescheidenen Familie, doch meine Eltern hatten als Journalisten finanziell nicht sonderlich schlecht dagestanden. Sie hatten alles, was im Monat übrig geblieben war, auf die hohe Kante gelegt und nach ihrem Tod an mich vererbt. Ich musste kein genügsames Leben führen oder mit meiner Oma in einem Haus wohnen, bei dem schon die Farbe abblätterte, doch ich war auch nicht so eine Schickimicki-Tante, die damit prahlte, was sie hat. Natürlich war ich froh darüber, mir keine finanziellen Sorgen machen zu müssen, aber ich bildete mir auch nichts auf die Erfolge meiner Eltern ein. Schließlich hatten auch sie hart dafür arbeiten müssen und nichts geschenkt bekommen. Bei dem Wagen allerdings hatten meine Oma und ich unsere Prinzipien kurzerhand über Bord geworfen und uns ein wenig Luxus und Schönheit in unser Leben geholt. Der Spruch „Man gönnt sich ja sonst nichts“ war jedoch seither unsere stetige Ausrede gewesen, um das Gewissen im Zaum zu halten.  Es war nur ein Klick mit der Fernbedienung und der ganze Wagen fing an zu blinken. Die Türen waren entriegelt. Ich öffnete die große Wagentür, stieg schwungvoll hinein und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Ein tiefer Atemzug brachte den Duft frischen Leders in meine Nase, was mich nun sichtlich zufrieden den Schlüssel herumdrehen ließ. Der Motor schnurrte wie ein Kätzchen und so legte ich den ersten Gang ein, um endlich loszukommen.  Der kleine Waldweg, der unmittelbar an unser Haus grenzte, führte recht bald auf die Hauptstraße und von dort auf den Pacific-Rim-Highway. Leise Musik dudelte während der Fahrt aus dem Radio und sogleich summte ich ein paar bekannte Lieder mit, während ich mich dennoch auf die beidseitig dicht bewaldete Straße konzentrierte. Ich fuhr an vielen kleinen Geschäften, einer Bibliothek und unzähligen Restaurants und Motels vorbei, in Richtung General Hospital, wo Dr. Annemarie Mitchell sich gleich um mich kümmern musste. Am Krankenhaus angekommen, stellte ich den Wagen auf dem großen Parkplatz ab und ging zur Empfangshalle, um mich anzumelden. Die freundliche Dame hinter dem Tresen der Anmeldung, trug mich unverzüglich in den ratternden Computer ein und sagte lächelnd zu mir: „Sie haben Glück, Ms. Galen. Heute ist nicht viel los und Dr. Mitchell hat nur noch eine Patientin vor Ihnen. Sie sind bald dran. Gehen Sie doch bitte in den Wartebereich, Sie werden dann aufgerufen.“  Das Wartezimmer war ein zirka zwanzig Quadratmeter großer, in zartem Cremeweiß gehaltener Raum mit kleinen gemütlichen Stühlen, auf denen man es auch gut und gerne eine halbe Stunde länger hätte aushalten können. Im Hintergrund erklang leise ein schönes Klavierstück, welches die wartenden Patienten wohl entspannen sollte, doch ich schien dagegen immun zu sein. Überaus nervös nahm ich auf einem der Stühle Platz, denn ich wusste nicht, was mich gleich erwarten würde. Leicht beunruhigt starrte ich aus dem Fenster zu meiner Linken und sah, wie sich ein paar Regentropfen auf der Scheibe niederließen, sich langsam nach unten schlängelten und dabei lange Bahnen nach sich zogen. Es war, als würde der Himmel anfangen zu weinen. Ein unangenehmes Ziehen zog sich plötzlich durch meinen Bauch, als aus dem alten Lautsprecher an der Wand auf einmal blechern die Stimme der Ärztin erklang. „Ashley Galen bitte ins Sprechzimmer eins.“ Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass die Frau, die vor mir dran gewesen war, schon den Raum verlassen hatte, stand jedoch von meinem Stuhl auf und ging mit zugeschnürtem Magen langsam in den Behandlungsraum. „Hallo, Ashley, was kann ich für dich tun? Du siehst schlecht aus, wenn ich das so sagen darf“, ermahnte sie mich gleich, als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte und auf sie zuging. Frau Dr. Mitchell war wie eine gute Freundin für mich. Nach dem Tod meiner Eltern war ich bei ihr in Behandlung gewesen und sie hatte mich an Dr. Shylow, den besten Psychotherapeuten in der Klinik, verwiesen, damit ich dieses schreckliche Ereignis bestmöglich verarbeiten konnte. Egal welche Probleme mich seither auch plagten, ich konnte immer zu ihr kommen und mein Herz ausschütten, ohne Angst haben zu müssen, missverstanden zu werden. Das Zugband, welches eben noch um meinem Magen gelegen hatte, verschwand nun wieder, denn ich wusste, dass ich nichts zu befürchten hatte. Erleichtert nahm ich auf dem weißen Lederstuhl vor ihrem Mahagonitisch Platz und erzählte ihr von den Ereignissen des gestrigen Tages, von den ungewöhnlichen Träumen, die mich stets heimsuchten, und meinen Wehwehchen, die ich aktuell davongetragen hatte. Entsetzt, aber auch ebenso verständnisvoll blickte sie zu mir auf und nickte kurz, bevor sie sich weiter Notizen machte. Ich redete mir immer mehr von der Seele und war gewissermaßen froh, endlich jemandem von meinen Problemen erzählen zu können. Es war, als würde eine immense Last von mir abfallen und all meine verwirrenden Gedanken würden sich in Luft auflösen.  Plötzlich lehnte sich Dr. Mitchell an ihre Stuhllehne, schlug ihre Beine übereinander und sah mir mit prüfendem Blick einen kurzen Moment in die Augen. „Hör mal, Ashley. Das, was du im Wald erlebt hast, ist zwar selten und wirklich angsteinflößend, aber es kann, wie man sieht, passieren und ich bin froh, dass dir nichts geschehen ist. Es ist wohl mehr als verständlich, dass dich das ein wenig mitnimmt, weshalb ich dir zur Entspannung ein paar Tabletten mitgebe, die dich nachts besser schlafen lassen. Doch wegen deiner Träume, Ashley“, sie verstummte kurz, atmete tief durch und fuhr fort, „bin ich auf der einen Seite ein wenig besorgt, auf der anderen Seite würde ich es eigentlich als normal bezeichnen. Die Schmerzen, die du empfindest, klingen aus meiner Sicht stark nach Liebeskummer, Sehnsucht und Herzschmerz, allerdings ist es mir in diesem Maße, sprich durch Träume, noch nicht untergekommen. Sicher können Träume sehr real wirken und das Gehirn spielt uns dann, in Bezug auf die Gefühle und Wahrnehmungen, auch manchmal einen Streich, doch ich kann dir nur raten, dort nicht zu viel hineinzuinterpretieren. Vielleicht solltest du einfach mal wieder ausgehen, unter Leute kommen und dein Leben auskosten, wie es andere in deinem Alter auch tun“, sagte sie schnell, holte erneut tief Luft und war augenscheinlich noch immer nicht fertig mit ihrem Vortrag. „Versteh mich nicht falsch, aber du musst mal wieder etwas anderes sehen als das alte Haus deiner Oma und die triste Einöde. Solltest du allerdings wirklich mit jemandem reden wollen, der die entsprechende fachliche Kompetenz für solche Fälle wie dich hat, kann ich dir gern wieder einen Termin bei Dr. Shylow machen. Er konnte dir damals ja auch helfen.“  Ich versteifte mich und bohrte schmerzlich meine Finger in das weiche Leder des Stuhls, während die Wut in mir immer mehr die Überhand gewann und mich zum Kochen brachte. Das kann doch alles nur ein Witz sein. Will sie mir wirklich weismachen, dass sie einfach so ihre Diagnose stellen kann, ohne mich auch nur ein Stück weit untersucht zu haben? Und hat sie wirklich gerade gesagt: „Für solche Fälle wie mich“?Ich wollte auf der Stelle im Erdboden versinken und nie wieder das Tageslicht erblicken, denn die Scham, die von mir Besitz ergriffen hatte, würde jeder aus einigen Kilometern Entfernung erkennen. So sehr ich Dr. Mitchell auch schätzte und so gut ich mich bisher auch bei ihr aufgehoben gefühlt hatte, so sehr bereute ich nun meine Entscheidung, sie in meine kleine Welt geführt zu haben. Wie konnte ich nur annehmen, dass sie als Ärztin auch nur daran denken könnte, mal nicht auf wissenschaftliche Fakten zu hören und einfach mal ein bisschen weitsichtiger zu sein? Sicher konnte ich es mir selbst nicht erklären, warum alles so passierte, aber ich wusste genau, dass es mehr als nur ein Hirngespinst oder ein trauerndes Herz war, das mich quälte. Ich war doch klar bei Verstand und brauchte zu keinem Psycho-Seelsorger, oder?  „Danke für deine Zeit und die Tabletten, Annemarie. Sie werden mir bestimmt helfen, alles zu verarbeiten“, sagte ich enttäuscht, erhob mich vom Stuhl und ging schnurstracks zur Tür. „Ashley!“, rief sie besorgt hinter mir her, woraufhin ich mit einem leisen „Ja?“, fragend antwortete. Dabei drehte ich mich jedoch keinesfalls um, sondern starrte weiterhin auf die Tür. „Du kannst jederzeit zu mir kommen, ich bin immer für dich da, das weißt du?“, sprach sie nun weiter und ich schluckte schwer. „Ja, das weiß ich und ich danke dir wirklich sehr dafür. Mach’s gut“, erwiderte ich knapp und verschwand nach draußen. Völlig neben der Spur, ging ich durch die langgezogene Eingangshalle, geradewegs Richtung Parkplatz. Der stärker gewordene kühle Regen peitschte mir sofort ins Gesicht und drängte mich regelrecht ins Auto. Für einen Moment verharrte ich einfach so auf meinem Sitz und ließ es zu, dass meine Augen sich mit Tränen der Verzweiflung füllten, die sich kurz darauf über mein Gesicht ergossen. Wie kann sie nur so etwas sagen, nur so gemein sein und mich als Wahnsinnige darstellen, die mal wieder einen Psychiater benötigt? Hierherzukommen war das Dümmste, was ich tun konnte. Die Fahrt zu Mr. Mallorys Praxis war anschließend furchtbar tränenreich und verregnet. Immer wieder geriet ich in den Gegenverkehr, während ich verzweifelt versuchte meine  Tränen zu beseitigen. Ich musste mich sehr zusammenreißen, nicht die Kontrolle über den Wagen zu verlieren. Eilig bog ich in die kleine Straße ein, die unweit des Krankenhauses zur Praxis führte, und sah am Ende des Weges dann das kleine Schild, mit der rot verschnörkelten Schlange und dem Schriftzug Veterinär.

Das Motorengeräusch verstummte und meine Lungen füllten sich sofort mit kühler Luft, als ich aus dem Auto stieg und einmal tief durchatmete. Ich musste unbedingt wieder Herr über meine Lage zu werden. Schnell bemerkte ich, dass die Tür zur Praxis weit aufstand, was mich auf eine große Menschentraube samt tierischer Patienten schließen ließ. Drinnen angekommen sah ich jedoch niemanden außer der Frau an der Anmeldung.

„Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie freundlich und mit großen interessierten Augen, die eine fast greifbare Wärme ausstrahlten.

„Mein Name ist Ashley Galen und ich soll etwas für meine Oma abholen. Mr. Mallory erwartet mich sicher“, sagte ich zu ihr, als ich mir ein letztes Mal das Gesicht mit meinem Ärmel trocknete.

„Kommen Sie, ich bringe Sie zu ihm“, erwiderte sie mit verständnisvoller Miene, als wüsste sie genau, was in mir vorging. Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, folgten wir dem engen Flur, der überall mit hellblauen Fliesen versehen war. Es roch streng nach jeglicher Art von Tieren, Desinfektionsmitteln und einem Hauch von Zitrone, der wohl dem Putzmittel anhaftete.  Am Ende des Ganges befand sich zu meiner Rechten eine alte Holztür, mit einem kunstvollen und mit goldener Schrift verzierten Namensschild. Es war Mr. Mallorys Büro. Die Frau, die wirklich einen sehr netten Eindruck auf mich machte, klopfte leise an und sogleich drang von innen eine sanft klingende, tiefe Männerstimme: „Komm ruhig rein.“ Die freundliche Brünette, die ich grob auf Mitte dreißig schätzte, hieß allem Anschein nach Elise. Zumindest stand das auf dem plastischen Namensschild an ihrer Brust. Sie öffnete mir die Tür und deutete höflich mit der Hand an, dass ich hereintreten sollte. Vorsichtig betrat ich den großen, mit einer Vielzahl von Büchern gefüllten Raum, während hinter mir leise die Tür geschlossen wurde. Wow. Es ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Der Boden, auf dem ich nun stand, war mit hübschem dunklen Parkett bedeckt, durch das sich eine wunderschöne Holzmaserung zog. Die Wände waren in einem zarten Beige gehalten und mit zwei großen Holzfenstern versehen, welche spielerisch von roten, blickdichten Vorhängen umrahmt wurden. Das gesamte Mobiliar bestand aus edlem schwarzen Holz, welches auf Hochglanz poliert worden war und auf faszinierende Art und Weise wie aus einem anderen Jahrhundert wirkte. Wie viel man wohl als Tierarzt verdient, fragte ich mich heimlich, denn diese edle Ausstattung hatte mit großer Sicherheit einen stolzen Preis.  Langsam ging ich noch ein paar weitere Schritte in den Raum und entdeckte schnell Mr. Mallory, der hinter seinem Schreibtisch saß und offenbar damit beschäftigt war, irgendetwas auszufüllen. Doch kaum war ich in die Nähe seines Sichtfeldes getreten, drehte er sich auch schon nach mir um. Ohne zu zögern, erhob er sich, lächelte mich erfreut an und kam leichtfüßig und mit erstaunlicher Eleganz auf mich zu.

„Hallo, Ashley, mit dir hatte ich zwar nicht gerechnet, aber es ist mir eine Freude, dich wiederzusehen“, sagte er mit freundlicher Stimme und nahm mit seinen kühlen Fingern sanft meine Hand.

„Autsch“, schrie ich kurz auf und zog reflexartig meinen Arm zurück, als die Stelle, an der ich im Traum geküsst worden war, plötzlich wie tausend Nadelstiche brannte. So ein Mist, wann hört das endlich auf, schoss es mir durch den Kopf, während ich hektisch über meinen Handrücken rieb, in der Hoffnung, der Schmerz würde schnell wieder vergehen.

„Na da hat wohl bereits jemand anderes Hand angelegt“, murmelte Mr. Mallory kaum hörbar und  mit prüfendem Blick, ehe er in lauterem, ernsten Ton anfügte: „Tut mir leid, ich wollte dir nicht wehtun, Ashley. Wahrscheinlich bin ich elektrisch aufgeladen.“

„Ja, das wird es wohl sein. Kein Problem, Mr. Mallory. Hallöchen“, erwiderte ich und machte eine unbeholfen wirkende, winkende Handbewegung. „Oma May hat mich gebeten, bei Ihnen vorbeizukommen, um etwas abzuholen“, fügte ich schnell hinzu, um die Situation so gut es ging herunterzuspielen.

„Ja natürlich. Warte einen kleinen Moment, ich hole es schnell“, erwiderte er und zwinkerte mir zu. Er hatte wohl verstanden. Kurzerhand drehte er sich um und ging zu seinem Tisch zurück, holte ein kleines hellbraunes Paket aus der Schublade und war schneller wieder an meiner Seite, als ich erwartet hatte. „Es ist eine Art lichtspendender Bewegungsmelder, der mit einem für Menschen unhörbaren Laut verbunden ist. Er soll verhindern, dass sich ein Bär eurem Haus nähert und so unwahrscheinlich es aus sein mag, mir geht es, im Hinblick auf den gestrigen Tag, besser wenn ihr ihn habt“, sagte er aufrichtig. Oh. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Eine Bärenabwehr? An unserem Haus? Ist das denn überhaupt nötig? Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken und hoffte, dass er mit seiner Aussage Recht behielt, dass es wohl eher unwahrscheinlich sei, dass so etwas erneut passierte. Das kleine Päckchen, das er mir hinhielt, verschwand schnell unter meinem Arm. Mein Blick streifte erneut den seinen, blieb jedoch dieses Mal auf seinem Gesicht haften. Dieser Mann ist wirklich nett und dabei noch so gutaussehend, dachte ich und ohrfeigte mich innerlich selbst, dass ich ihn so sah. Ich sollte und durfte in meinem Alter nicht so denken, doch er strahlte eine fast schon greifbare Magie aus, die mir so noch nicht untergekommen war. Andererseits sind seine Bewegungen auch immer sehr anmutig. Ob er sich überhaupt von Frauen angezogen fühlt? Und falls dem so ist, wie lautet dann sein Beziehungsstatus? Schnell bemerkte ich den glänzenden Ring an seinem Finger.  Er war also verheiratet. Seine Frau kann sich wirklich glücklich schätzen, summte es leise in meinem Kopf und es war mir im Anschluss peinlich, überhaupt solche Gedanken gehegt zu haben.  Ich wollte nach Hause, diesen trüben Tag hinter mir lassen und nicht den netten Mr. Mallory mit meinem unsinnigen Wirrkopf bestrafen. „Wir sind Ihnen wirklich sehr dankbar dafür, Mr. Mallory, doch ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich nicht länger bleiben kann. Mir geht es heute noch nicht so gut wie Sammy und ich würde mich gern zuhause etwas ausruhen.“ Besorgt sah er mir in die verweinten roten Augen und legte seine immer noch kühle Hand nun auf meine Schulter. Ist es wirklich so kalt hier drinnen? „Soll ich dich lieber nach Hause fahren?“, fragte er hilfsbereit und schien wirklich beunruhigt zu sein.

„Das ist wirklich großzügig von Ihnen, aber ich denke, ich schaffe das schon“, erwiderte ich bestimmt und mit aufgesetztem Lächeln. Nach dem Gespräch mit Dr. Mitchell ist mir alles andere als zum Lachen zumute, aber das kann er ja nicht ahnen, dachte ich kurz und schüttelte den Gedanken schnell wieder ab.

„Gut, aber fahr bitte vorsichtig. Wir wollen doch nicht, dass dir etwas passiert, ja?“ Seine Augen bekamen plötzlich einen intensiven Glanz und ich konnte nicht anders, als ihn wieder einmal anzustarren. So funkelnd und schön, wie Glitzersteine. Und auch so geheimnisvoll. Wahnsinn, sprudelte es erstaunt in mir.

„Natürlich, ich fahre immer vorsichtig“, antwortete ich fast atemlos und hatte Mühe, mich auf etwas anderes als seine Augen zu konzentrieren. Nach einem tiefen Atemzug zwang ich mich jedoch wieder klar zu denken und meinen Blick von ihm abzuwenden, verabschiedete mich mit einem leichten Winken und verließ eilig das Zimmer. Den langen, Fliesen übersäten Flur entlang laufend, bemerkte ich nur flüchtig den netten Abschiedsgruß von der Frau am Empfang und verließ kurz darauf die Praxis. Das kleine Paket fest in meiner Hand. Gerade als ich das Auto öffnete und einsteigen wollte, spürte ich eine deutliche Präsenz hinter meinem Rücken. Erschrocken drehte ich mich um, atmete jedoch sofort erleichtert auf, als ich Mr. Mallory neben mir im Regen stehen sah. Wie um alles in der Welt ist er so schnell hierhergekommen? Er musste gerannt sein, doch er war nicht außer Atem. Warum war dieser Tag nur so verwirrend und kurios? Warum war scheinbar mein ganzes Leben eine riesige Verwirrung?

„Ashley, ich werde meinen Neffen morgen zu euch schicken, damit er das Gerät bei euch installiert“, sagte Mr. Mallory mit ruhiger Stimme und ließ mich verwundert aufblicken.

„Das ist wirklich sehr nett, aber ich denke, das bekommen wir auch allein hin. Machen Sie sich wegen uns nicht solche Umstände“, lehnte ich freundlich ab, während ich noch immer total verblüfft über sein plötzliches Erscheinen war.

„Es macht keine Umstände, Ashley, das versichere ich dir. Also, dann bis morgen und komm gut nach Hause“, erwiderte er bestimmend, drehte sich um und war, ehe ich widersprechen konnte, schon wieder im Haus verschwunden.

„Ähm … okay dann bis morgen“, stammelte ich kaum hörbar hinter ihm her, während der Regen noch immer hart auf meine Haut prasselte. Es goss mittlerweile wie aus Eimern und wenn ich mich nicht endlich ins Auto begab, würde ich wohl morgen mit einer dicken Erkältung im Bett liegen. Schnell schwang ich mich ins Wageninnere, ließ den Motor an und fuhr los. Die Heimfahrt kam mir besonders lang vor, was wohl auch an der völlig durchnässten Kleidung lag, die ich trug. Als ich schließlich zu Hause ankam, wartete Oma bereits ungeduldig auf der Veranda. Schnell stieg ich aus dem Wagen, rannte ins Haus und zog mir die Schuhe und die vor Nässe triefende Jacke aus.

„Mr. Mallory hat mir das Paket hier mitgegeben“, sagte ich atemlos und wedelte mit dem nassen braunen Karton vor ihrer Nase herum. „Er sagte, sein Neffe kommt morgen vorbei und baut es an.“

„Danke, mein Schatz. Das ist aber wirklich sehr aufmerksam und überaus freundlich von ihm. Nun zieh aber erst einmal deine nassen Sachen aus, du holst dir ja noch den Tod.“ Zügig ergriff sie das halb durchgeweichte Päckchen und nahm es mit in die Küche, während ich nach oben in mein Zimmer flitzte, um mir die Sachen vom Leib zu reißen. Es schien, als bedurfte es nur einer einzigen Bewegung, ehe ich nur noch in Unterwäsche dastand. Zitternd vor Kälte, nahm ich mir meine schlabberige Jogginghose und den kuscheligen roten Fleecepullover aus dem Schrank und genoss die aufsteigende Wärme in meinem Körper, als die Sachen sich an meine Haut schmiegten. Ich ging wieder nach unten, zu Oma in die Küche. Sie hatte Eintopf gemacht und mir lief sofort das Wasser im Mund zusammen. Wie üblich nahm ich auf der kleinen Eckbank Platz, während sie mir einen großzügig gefüllten Teller hinstellte. Gierig sog ich den Duft von frischem Gemüse tief in meine Nase und konnte förmlich riechen, wie gut es schmeckte. Es roch wunderbar nach Erbsen, Möhren und Lauch, während ich einen Löffel nach dem anderen hastig in meinen Mund schob. Das wärmende Gefühl, das sich sogleich in mir ausbreitete, war nach dem kühlen Nass wahrlich eine Wohltat. Oma konnte wirklich vorzüglich kochen und ich wünschte, ich könnte das Gleiche auch von mir behaupten. Ich war eher der Mal-schnell-etwas-warm-machen-Typ, aber ich brauchte bisher auch nie für mich selbst zu sorgen. Nachdem ich noch einen zweiten Teller gegessen hatte, war mein Hunger mehr als gestillt und mein Bauch begann schon ein wenig zu schmerzen. „Warum habe ich nicht einfach nach dem ersten aufgehört“, stöhnte ich leise und wollte mich keinen Zentimeter mehr rühren. Doch ich hatte nicht mit Sammy gerechnet, der meine Ansichten offenbar nicht teilte. Er saß direkt vor mir, den Kopf auf mein Knie gelegt, und sah mich mit großen Augen bettelnd an. „Wie soll ich dir so widerstehen, wenn du immer zu diesem gemeinen Trick greifst und deinen einmaligen Hundeblick aufsetzt? Kannst du nicht noch einen kleinen Moment warten? Bitte!“, grummelte ich leise und wusste genau, was er vorhatte. Er wollte raus ins Grüne, herumtoben und Fährten lesen, einfach frei sein und Spaß haben. Aber bei diesem Wetter? Mühsam und ohne sonderlich großen Willen, richtete ich mich auf und ging in den Flur, um alles für unseren ungeplanten Verdauungsspaziergang zu holen. Meine Jacke sowie meine Schuhe konnte ich, dank dem Regen, nicht mehr anziehen und musste mir von beidem etwas Neues besorgen. Trotz alledem waren wir beide schnell startklar und es konnte losgehen.  Draußen war es erstaunlicherweise wieder heller geworden und auch der Regen hatte nachgelassen. Somit war es, bis auf ein paar vereinzelte Tropfen, die von den nassen Bäumen fielen, nun trocken. Es muss wohl einen Hunde-Wettergott geben, dachte ich. Hinter den langsam ziehenden grauen Wolken ließ sich zwischenzeitlich sogar mal ein kleiner Sonnenstahl blicken, der sich wie Balsam um meine durchgefrorene Seele legte. Mit mühsamen Schritten ging ich hinunter zum Strand. Ich hatte dieses Mal absichtlich nicht den Weg in den Wald gewählt, denn die jüngsten Ereignisse wollte ich nicht noch einmal. Sammy ließ mal wieder sofort seinen Trieben freien Lauf und jagte hinter ein paar Vögeln her, die, durch uns aufgescheucht, davon flogen. Die angenehme ruhige Atmosphäre, die hier herrschte, tat mir gut und ich konnte meine Seele endlich mal wieder baumeln lassen und mich ein wenig entspannen. Schnell rollten die Wellen aus der Ferne heran, brachen sich an den Felsen und rauschten kraftvoll ans Ufer. Es war keine Menschenseele am Strand zu sehen und weit draußen auf dem Wasser konnte man eine kleine Gruppe von Walen erahnen. Immer weiter lief ich über den feinen Sand, bis ich an eine kleine Abzweigung kam, die vom Strand wegführte. Zufrieden schlenderte ich den kleinen Feldweg entlang und, wie schon so oft, staunte ich über die Schönheit, die hier in der Natur herrschte. Beim nächsten Mal nehme ich meine Kamera mit, um diese gewaltigen Eindrücke endlich einmal festzuhalten. Angrenzend an den Feldweg erstreckte sich eine grüne Wiese mit zahlreichen aufblühenden Blumen und langen Gräsern. Es duftete herrlich frisch nach Frühling. Sammy war wieder einmal weit voraus gelaufen und ich konnte ihn nur ab und zu durch das dichte Gras hüpfen sehen. Auch meine Beine trugen mich immer weiter, bis ich schließlich bemerkte, dass ich noch nie zuvor mit Sammy so weit gelaufen war. Doch mit einem Mal ergriff mich ein Anflug von Panik. Ich hatte keine Ahnung, woher dieser plötzliche Schwall von Gefühlen kam, doch ohne Vorwarnung machte mein Herz ein paar unregelmäßige Zwischensprünge und ein sanftes Kribbeln legte sich in meinen Bauch, das mich scheinbar zielstrebig vorantrieb. Es war, als würde mich irgendetwas magisch anziehen, und so lief ich weiter und weiter über diese wunderschöne Wiese, mit den Bergen und Bäumen im Hintergrund, die wie ein sehr gut gelungenes Landschaftsportrait aussahen. Unvorbereitet überkam es mich nun, als hätte ein Blitz bei mir eingeschlagen. Dieser Ort kam mir sehr bekannt vor. Doch es war, wie ich schnell feststellen musste, viel mehr als das. Ich kannte ihn. Und zwar aus meinen Träumen. Zumindest hatte er eine immense Ähnlichkeit mit dem, was ich immer des Nachts sah.  Prüfend sah ich Sammy an, der schon wieder eine Spur entdeckt hatte, und mir graute es vor dem, was es sein konnte. Hastig lief ich hinter ihm her und bog um ein paar hohe Bäume, bis ich, mit weit aufgerissenem Mund, vollkommen entsetzt stehen blieb. Unmittelbar vor mir befand sich eine graue Steinmauer, die, den teils abgewetzten und rissig gewordenen Steinen nach zu urteilen, getrost aus dem Mittelalter stammen konnte. Durch die unzähligen, hochgewachsenen Bäume, die sich dicht an dicht an das Gestein reihten, und das offenbar gezielt gepflanzte Buschwerk wurde das Bild eines mystischen, weitläufigen Anwesens perfekt abgerundet. Ehrfürchtig und mit äußerster Vorsicht berührten meine Finger das kalte Gemäuer und genau wie Sammy lief auch ich nun mit langsamen Schritten daran entlang. Bis wir vor einem großen, eisernen Tor innehielten. In der Mitte des gewaltigen Torbogens war ein silbernes Wappen eingearbeitet, das dem in meinen Träumen erschreckend ähnlich sah. Es war kreisrund, an den Seiten mit wunderschönen, goldenen Verzierungen versehen und so filigran verschnörkelt, dass es einem Meisterwerk recht nahekam. Inmitten dieser gearbeiteten Schönheit waren zwei Engel zu sehen, die einander zugewandt waren, sich an den Händen hielten und liebevoll küssten. Ich hatte noch nie etwas so Fantastisches gesehen. Ein kalter Schauer lief sogleich meinen Rücken entlang, wobei meine Gedanken sich irgendwie im Kreis zu drehen schienen. Wie um alles in der Welt kann das sein? Es ist doch alles nur ein Gespinst meiner Fantasie! Fing ich nun auch schon tagsüber an, zu träumen? Bekam ich Halluzinationen? Was, verdammt nochmal, war nur los mit mir? Auf den kalten Schauer, der noch immer meinen Rücken einnahm, folgte Angst und Verwirrung. Ich werd verrückt! Verdammt nochmal, ich werde wirklich verrückt! Schnell drehte ich mich um und lief zurück zur Lichtung. Es war mir beinahe unmöglich, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, und so ging ich völlig verwirrt immer weiter über die Wiese. Ich wusste nicht genau, wohin ich lief, aber ich war beruhigt, dass Sammy sich mir angeschlossen hatte. Ohne den Blick auch nur kurz zurück zu wenden, lief ich weiter, als vollkommen unerwartet ein leichtes Bellen aus Sammys Kehle erklang. Doch es war keine böse Drohgebärde, wie ich zuerst angenommen hatte, sondern er klang eher erfreut und irgendwie überrascht. Abrupt aus meinen Gedanken gerissen, blieb ich stehen und war überaus angespannt und auf alles gefasst. Prüfend musterte ich den Horizont, bis ich am anderen Ende der Wiese jemanden zwischen ein paar Fichten stehen sah. Achtsam bewegte ich mich auf die Person zu, doch ich konnte nicht erkennen, wer es war, und ich fragte mich insgeheim, ob ich es überhaupt wissen wollte. Die Umrisse ließen erahnen, dass es sich um einen Mann handelte, was mich als Frau in einer einsamen Gegend, nicht gerade in seine Arme hätte treiben sollen. Doch ich fasste all meinen Mut zusammen und ging nun sogar ein wenig schneller auf ihn zu.  Mein Blick war stur geradeaus gerichtet und all meine Konzentration galt nur ihm, denn ich wollte ihn keinesfalls aus den Augen verlieren. Im Nachhinein wäre es jedoch besser gewesen, den Boden im Auge zu behalten, denn ehe ich mich versah, stolperte ich bereits und fiel geradewegs in den kleinen Bach, der sich genau vor mir durch die Wiese zog. Ich versuchte noch mich abzufangen, fiel aber geradewegs auf meine Knie, verlor dabei das Gleichgewicht und stieß mir schließlich unsanft den Kopf an einem mittelgroßen Stein, der aus dem Flussbett ragte. „Au, verdammt. Das gibt eine dicke Beule“, grummelte ich und hielt mir reflexartig den schmerzenden Kopf. Verärgert über meine eigene Nachlässigkeit, rappelte ich mich langsam auf und bemerkte, dass Sammy wohl schlauer gewesen war als ich, denn er befand sich, im Gegensatz zu mir, im Trockenen. Seine Lefzen waren weit nach oben gezogen, als würde er über mich lachen, was mich ihm einen finsteren Blick schenken ließ. Frechheit! „So ein verfluchter Mist aber auch. Warum passiert so etwas ausgerechnet immer mir“, fluchte ich, als ich an mir herunterblickte und die völlig durchnässte Kleidung ansah, die gleich darauf klirrende Kälte auf meiner Haut zurückließ. „Diese Frage kann ich dir leider auch nicht beantworten, aber ich würde dir gerne helfen, wieder trockene Füße zu bekommen“, sagte plötzlich eine warme, sanfte Stimme zu mir und zutiefst erschrocken und vollkommen verdutzt, riss ich meinen Kopf nach oben. Und traute meinen Augen nicht. Ohne Frage musste ich mir den Kopf bei dem Sturz doch stärker angeschlagen oder meinen Verstand vollends verloren haben, denn dort stand er, mit ausgestreckten Armen, leibhaftig vor mir. Er war in Wirklichkeit noch attraktiver, als ich es mir je erträumt hatte. Sein hellbraunes Haar wiegte sich leicht im Wind und seine wunderschönen blauen Augen sahen mich so liebevoll und aufrichtig an, wie ich es noch nie zuvor bei jemand anderem erlebt hatte. Sein Hemd war einen Knopf breit geöffnet und ließ einen vagen Blick auf seinen muskulösen Oberkörper erahnen, während seine Jeans ihm wie auf den Leib geschnitten war und seine starken Beine besonders zur Geltung brachte. Seine hübsch geschwungenen Lippen formten ein so bezauberndes Lächeln, dass ich kaum meinen Blick von ihnen abwenden konnte und mir förmlich der Atem in den Lungen stockte.  „Reichst du mir deine Hand, damit ich dich da herausholen kann?“, fragte er vorsichtig und konnte sich sein amüsiertes Lachen kaum verkneifen. Ziemlich verlegen und mit beschämtem Lächeln, streckte ich meinen nassen Arm nach ihm aus. Ashley, das tust du jetzt nicht wirklich! Man kann sich nicht von einer Halluzination helfen lassen! Als seine Finger jedoch meine Hand berührten, durchströmte mich eine wohlige Wärme, obgleich seine Fingerspitzen ein wenig kühl waren. Ich war sofort wie elektrisiert und ein Stromstoß nach dem anderen zuckte sanft durch meinen Körper, bis auch die kleinsten Nervenbahnen erreicht waren. Doch es war nicht wie der leichte Schlag, den Mr. Mallory mir verpasst hatte. Nein, es war bedeutend zärtlicher, prickelnder.  Schwungvoll zog er mich aus dem kühlen Nass und es schien in keiner Weise anstrengend für ihn zu sein. Heiß schoss mir das Blut in den Kopf, und wäre es nach meinen Wünschen gegangen, so wäre ich am liebsten im Erdboden versunken oder ich hätte mich einfach in Luft aufgelöst. Da stand ich nun in meiner schlabberigen nassen Jogginghose und dem alten roten Fleecepullover und sah wie ein nasser Bauerntrampel aus. Er hingegen wirkte wie die Gottheit in Person. Gut, das war vielleicht etwas übertrieben, aber konnte es noch peinlicher für mich werden? „Danke“, sagte ich beschämt und holte meinen zuvor gehegten Gedanken wieder hervor. Das hier kann nur ein Tagtraum sein! Los Ashley, aufwachen! Während er noch immer zärtlich meine Hand hielt, füllte sich sein Gesicht mit einem liebevollen Lächeln, welches mir erneut den Atem raubte. „Es war mir eine Ehre, euch helfen zu können“, sagte er mit engelsgleicher Stimme und zog meine Hand vorsichtig an sein Gesicht. Verstohlen legten sich seine roten Lippen auf meinen Handrücken und für eine nicht enden wollende Sekunde blieb mein Herz stehen. Ich konnte ein süßes Verlangen in mir spüren, gepaart mit dem aufregendsten Kribbeln in den letzten … ich weiß gar nicht mehr, wie lange es schon her war. Seine saphirblauen Augen sahen mich hypnotisierend an und ich merkte, wie sich ein ohnmachtartiges Gefühl in mir breit machte. Was auch kein Wunder war, denn ich hielt noch immer wie gelähmt den Atem an. Als schien er zu spüren, was in mir vorging, löste er sich von mir und sofort kam ich wieder zur Besinnung. „Soll ich dich nach Hause begleiten? Du musst deine nassen Sachen ausziehen, sonst unterkühlst du dich“, merkte er besorgt und mit fragendem Blick an. Ich klimperte verwirrt mit den Augen, sah mich in der Umgebung um und erkannte, dass ich vorhin den rechten Weg genommen hatte und der Strand ganz in der Nähe war. „Danke, aber es ist nicht mehr weit bis nach Hause. Ich denke, ich schaff es allein, und Sammy ist ja auch noch da“, erwiderte ich, noch immer leicht benommen, und fragte mich, wo der Hund war. Kaum hatte ich meinen Gedanken zu Ende gebracht, sah ich Sammy auch schon über den Bach springen. Schwanzwedelnd stand er dem Mann nun gegenüber, sah ihn jedoch mit geducktem Kopf unterwürfig an und eilte dann zurück an meine Seite. Was ist nur mit Sammy los, dass er sich in letzter Zeit so merkwürdig verhält? „Gut, dann werde ich mal nach Hause stiefeln und vielleicht sieht man sich ja mal wieder, aber dann hoffentlich trockenen Fußes“, stammelte ich wirr und hätte mich im selben Moment dafür ohrfeigen können. Das war ja fast so, als hätte ich die berühmte Wassermelone aus einem Film zitiert! Der junge Mann zwinkerte mir jedoch mit schiefem Lächeln zu, ehe er ein weiteres Mal meinen Handrücken liebkoste und mich erneut spüren ließ, wie sich mein Gehirn voller Entzücken, wie durch einen Nebel, verschleierte. Es dauerte einen kurzen Moment, bis meine Sinne sich wieder erholt hatten, und gerade, als ich ihn noch fragen wollte, wie sein Name war, war er auch schon verschwunden. Egal wo ich auch hinsah, er war nirgendwo zu finden, was für mich wieder einmal der einschlägige Beweis dafür war, dass ich mir alles nur eingebildet hatte. Das Einzige, was Tatsache und wirklich real war, war, dass ich mit triefenden Sachen auf einer wunderschönen Blumenwiese stand, weil ich mich erneut in meine absurden Fantasien verloren hatte, anstatt besser auf den Weg zu achten. Das hatte ich nun davon.  Mit quietschenden Schuhen schlurfte ich zum Haus zurück. Oma May war fassungslos über mein Erscheinen und eilte schnell ins Bad, um mir ein trockenes Handtuch zu holen. „Kind, was machst du nur für Sachen? Wo bist du nur mit deinen Gedanken?“ „Ich weiß nicht, was mit mir los ist Oma. Es ist alles so verwirrend. Ich glaube, heute ist einfach nicht mein Tag.“  Wie schon einmal am heutigen Tag, ging ich hoch in mein Zimmer, um mich der nassen Sachen zu entledigen und mich neu einzukleiden. Mein Körper war mittlerweile eiskalt geworden und einzig meine Hand glühte wieder, nachdem die süßen Lippen des Unbekannten sie vorhin berührt hatten. Mit zitternden Händen griff ich mir meine Wolldecke und begab mich nach unten, wo Oma mir erneut eine heiße Tasse Tee auf den Wohnzimmertisch gestellt hatte. Sie saß mittlerweile in ihrem alten Schaukelstuhl und häkelte an einem Deckchen, woraufhin ich kurzerhand beschloss, ihr Gesellschaft zu leisten, mich auf die Couch zu setzen und in die wärmende Decke einzukuscheln. Verdammt, tat das gut! „Oma, meinst du, dass Träume wahr werden können?“, fragte ich nach kurzer Zeit, mit traurigem Unterton, als ich daran zurückdachte, wie schön es wäre, diesen Mann noch einmal wiederzusehen und ihn dann wahrhaftig berühren zu können. „Natürlich, mein Schatz. Du weißt doch genau, wie ich über solche Dinge denke. Man muss nur mit ganzem Herzen daran glauben, dann kann alles Wirklichkeit werden.“ Ihre Worte klangen dabei so aufrichtig und wahrhaftig, dass ich nur zu gern an das geglaubt hätte, was heute passiert war. Andererseits schämte ich mich in Grund und Boden, wenn ich nur daran dachte, wie lächerlich ich vor ihm gestanden und wie ein dummes, kleines Kind ausgesehen hatte. Vielleicht hat Dr. Mitchell ja doch Recht und ich sollte mal wieder etwas unternehmen und erleben, anstatt Tee trinkend meiner Oma beim Häkeln zuzusehen. Gleich morgen wirst du einen Ausflug machen, Ashley, damit du mal auf andere Gedanken kommst! Allerdings erst, wenn Dr. Mallorys Neffe diesen Bärenwächter bei uns am Haus angebracht hat. Allein der Gedanke, dass ich diesem Jungen, der wahrscheinlich nicht älter als sechzehn war, seine Ferien verdarb, machte mich fertig. Es musste furchtbar langweilig für ihn sein. Sicher wollte er lieber am Strand mit seinen Freunden ein bisschen surfen oder mit seiner Freundin den Tag verbringen, anstatt bei uns zu versauern und quasi einen Ferienjob zu erledigen. Da ist wohl morgen eine Entschuldigung fällig. Ich werde ihm sagen, dass wir zwei arme Frauen sind, die keine Ahnung von solchen Installationen haben, und ihn fragen, wie ich mich bei ihm revanchieren kann. Das ist wohl das Mindeste. Ich trank einen großen Schluck von meinem Tee, der mich sofort von innen wärmte, und machte mich auf der Couch lang, um mich ein wenig zu entspannen und diesen schrecklichen Tag gemütlich ausklingen zu lassen. Und das ging schneller als erwartet. Es blieb keine Zeit mehr, mich erneut meinen verworrenen Gedanken hinzugeben, denn meine Augenlider wurden immer schwerer. Ich versuchte mich wach zu halten, aber es war mit einem Mal so, als würde mich eine innere Stimme rufen und mich zum Schlafen drängen. Widerstand war zwecklos. Müde schloss ich schließlich meine Augen, in der Hoffnung, meinem Traummann schnell wieder ganz nah zu sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Nancy Steffens
Bildmaterialien: Rica Aitzetmueller von Coverandbooks-Buchcoverdesign http://coverandbooks.weebly.com/
Tag der Veröffentlichung: 13.09.2014

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