Cover

Adam & Sal - was keiner zu sagen wagt

Adam & Sal

Was keiner zu sagen wagt

 

Gay Romance

 

Jessica Martin

 

© Jessica Martin, Februar 2017

39108 Magdeburg

 

 

Cover: Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de

unter Verwendung von Bildmaterial von

LilKar & Tomertu / www.shutterstock.com

 

 

Die Personen und Begebenheiten in dieser Geschichte sind ausschließlich meiner Fantasie entsprungen. Ähnlichkeiten mit realen Personen, Ereignissen oder Orten wären daher reiner Zufall.

 

E-Books sind nicht übertragbar und dürfen weder kopiert noch weiterverkauft werden.

Bitte respektieren Sie dies, denn in jedem Buch stecken viel Liebe, Zeit und Arbeit.

 

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 1

 

Fünfundzwanzig Minuten. Fast eine halbe Stunde warte ich nun schon. Nicht, dass mir das neu wäre, aber Herrgott, dass dieser Mann nicht ein einziges Mal pünktlich sein kann! An sein Handy geht er auch nicht. Weiß der Teufel, wo er sich mal wieder rumtreibt. Oder mit wem. Letzteres könnte mir so ziemlich egal sein, ist es aber nicht. Außerdem hasse ich es, zu warten. Vor allem, weil ich hier so was wie Frischfleisch bin und die Geier bereits kreisen. Da kommt auch schon der nächste angeflogen. Mal schauen, welch originellen Spruch der hier auf Lager hat.

»Hey, Süßer.«

Süß? Nix da! Sauer bin ich. Aber so richtig. »Hallo.« Und viel zu nett, verdammt noch mal!

Der aktuelle Geier legt den Kopf schief und lässt seinen gierigen Blick über meinen Körper wandern, bevor er es dann doch schafft, meine Augen zu fixieren. Na ja, fast. Zumindest meinen Mund, aber damit ist er schon näher dran, als die drei vor ihm. »Ich habe dich beobachtet. Du machst ja mittlerweile ein ganz miesepetriges Gesicht. Sag nicht, es war wirklich jemand so dämlich, einen Hübschen wie dich zu versetzen.« Während er diesen unglaublich kreativen und hochgradig intelligenten Spruch ablässt, wandert sein Blick auch schon unaufhaltsam tiefer.

Ich verdrehte demonstrativ die Augen und blase die Backen auf. Mal ehrlich, ist denn wirklich niemand mehr in der Lage auch nur einen einzigen Satz zu sagen, ohne dabei meinen Schritt zu inspizieren? Der Barkeeper grinst mir zu und reicht mir ein neues Bier. Wenigstens einer, der aufmerksam ist. Na, er verdient ja auch sein Geld damit.

»Kein Interesse!« Den ersten beiden habe ich es noch erklärt, beim Dritten habe ich mich bereits kürzer gefasst, nun ist es genug.

»Du weißt doch gar nicht, was ich sagen will«, empört sich Geier Nummer vier.

Okay, dann doch die lange Version. Ich seufze, dann zwinge ich mir ein genervtes Lächeln ins Gesicht. »Du wirst mir gleich ein frisches Bier anbieten«, beginne ich und deute auf die volle Flasche vor mir, woraufhin sein Grinsen bereits ein wenig ins Wanken gerät. »Dann wirst du mir sagen, was für einen geilen Arsch ich habe, der dir natürlich direkt aufgefallen ist, als ich zur Tür reingekommen bin.

Nachdem ich mich höflich für dieses wahnsinnig originelle Kompliment bedanke, willst du mich auf die Tanzfläche überreden, was ich etwa acht Minuten lang vehement ablehne, weil ich weiß, dass du eigentlich lediglich wissen willst, wie sich der Stoff meiner Hose über meinem Hintern anfühlt.

Wenn wir dies hinter uns gebracht haben, versuchst du mich in ein Gespräch über deine topmodisch eingerichtete Wohnung, die zufällig direkt um die Ecke liegt, zu verwickeln und in dem du mehrmals erwähnst, wie bequem doch deine Couch, dein Küchentisch, dein Bett oder sonst ein Möbelstück ist, über das ich dich beugen oder auf das ich mich legen kann.

Da ich jedoch absolut kein Interesse an One-Night-Stands habe, was generell so ist und du nicht persönlich nehmen musst, zudem tatsächlich auf einen Freund warte, der, wenn er nicht bald seinen Arsch hier her bewegt, in Zukunft seinen Freitagabend ohne meine Anwesenheit verbringen muss, können wir uns das ganze Theater wirklich sparen, in dem ich nett, aber unmissverständlich sage: Kein Interesse!«

Der Gesichtsausdruck meines Gegenübers hat sich von belustigt, über ungläubig und ertappt, hin zu genervt gewandelt. Das kann ich durchaus verstehen, es wäre aber vermeidbar gewesen, wenn er mir gleich zugehört hätte. Nun bleibt ihm nichts weiter, als den Kopf unter die Flügel zu stecken und von dannen zu ziehen.

»Nun, da dein Freund jedoch nicht hier ist und die Sache mit dem Bier wohl überflüssig ist, warum lässt du mich nicht einfach gleich den Stoff deiner Hose befühlen, während wir noch mal über deine Abneigung One-Night-Stands gegenüber reden?«, startete er jedoch einen neuen Anflug.

Jetzt muss ich echt grinsen. Der Typ hat mich definitiv überrascht und ganz niedlich ist er eigentlich auch, aber ich reiße nun mal keine Geier auf. Um genau zu sein, reiße ich grundsätzlich niemanden auf und lasse mich auch nicht aufreißen. Ich lerne Männer kennen und gehe mit ihnen aus. Manchmal sogar mehrmals, sofern sie nicht gleich nach dem zweiten Date ihre Finger in meine Unterwäsche stecken wollen. Die Anzahl der Typen, die es in den letzten vier Jahren bis zum fünften Date geschafft haben, liegt jedoch bei genau null. Erbärmlich, aber leider die Wahrheit.

»Deine Hartnäckigkeit ehrt dich, aber die Antwort bleibt nein«, entgegne ich lächelnd.

Kopfschüttelnd dreht er sich um und fliegt zurück zu seinem Ausguck. Sicher visiert er gleich die nächste Beute an, sodass ich deswegen kein schlechtes Gewissen habe.

Rick, so heißt mein Lieblingsbarmann, klopft sich lachend auf einen Oberschenkel und schiebt mir ein Glas über die Theke, das mit zwei Finger breit klarer Flüssigkeit gefüllt ist. »Wieder mal absolut genial, Adam. Der geht auf mich.«

Rick ist so ziemlich der Einzige, der auf Anhieb behalten hat, dass mein Name nicht deutsch, sondern englisch ausgesprochen wird, denn ich bin gebürtiger Brite, auch wenn ich seit meinem elften Lebensjahr in Deutschland lebe. Meine Mum und ich sind damals meinem Vater zuliebe hergezogen, der uns nicht mehr nur alle paar Monate mal sehen wollte. Die beiden haben sich über die Arbeit kennengelernt und waren einige Monate zusammen, bis Dad von seiner Firma nach Deutschland zurückversetzt wurde.

Leider ist er vor fünfzehn Jahren von uns gegangen. Mum ist noch hiergeblieben, bis ich meinen Berufsabschluss in der Tasche und einen Job hatte, dann ist sie zurück in ihre Heimat gezogen. Seitdem sehen wir uns nur noch drei- bis viermal im Jahr zu den großen Feier- und unseren Geburtstagen.

Während Rick noch lacht, verdrehe ich die Augen, dann trinke ich einen Schluck. Der Wodka brennt in meinem Hals, wärmt jedoch, sobald er im Magen ankommt. »Sie kapieren es einfach nicht«, murmle ich vor mich hin.

»Keiner kapiert es, Schätzchen«, meint der Barkeeper milde lächelnd.

»Jap«, stimme ich zu und nippe erneut am Wodka. »Wie läuft es mit Jeremy?«

Rick guckt etwas ratlos, dann scheint er sich an den Typen zu erinnern, mit dem er letzten Samstag den Laden hier verlassen hat. »Ah, der war echt gut. Hübscher, enger Arsch und mit seiner Zunge konnte er umgehen, sag ich dir.« Rick hat ein seliges Lächeln auf den Lippen, bevor er etwas erschrocken guckt. »Sorry.«

»Kein Ding«, winke ich ab und schiebe ihm das leere Glas über die Theke, woraufhin er es wieder füllt. »Habe ich also richtig rausgehört, dass Jeremy nicht mehr aktuell ist?«

»Ach, Schätzchen«, seufzt er nun mit echtem Mitleid in der Stimme. Auch er kann absolut nicht nachvollziehen, warum ich nicht jedes Wochenende mit einem anderen, mir völlig fremden Typ Horizontalsport betreibe und einen Jahresvorrat an Kondomen mit mir herumschleppe, damit ich für alle Eventualitäten, die so eine Toilette in einer Schwulenbar bereithält, gerüstet bin.

»Gott, ihr glaubt nicht, was mir passiert ist!« Ein blonder Wirbelwind springt auf den Barhocker neben mir, drückt einen Kuss auf meine Wange und lächelt dann Rick an. »Überrasch mich, Großer.«

»Mit Vergnügen«, wird ihm versprochen, woraufhin mein bester Freund zufrieden nickt und sich zu mir umdreht.

Als er meinen Gesichtsausdruck sieht, runzelt Sal die Stirn. »Wer hat dir denn ins Bier gepisst?«

»Es ist zwanzig vor zwölf«, informier ich ihn knurrend.

Sal starrt mich an, als wäre ich nicht ganz dicht, nickt dann jedoch. »Gut zu wissen.« Sein Blick huscht kurz zu Rick, der sich das Lachen nicht wirklich verkneifen kann.

»Wir waren zu um elf verabredet. Wie jede Woche!« Es ist sinnlos, aber ich kann es mir einfach nicht verkneifen. Ich hasse es, zu warten, und habe irgendwie doch noch die leise Hoffnung, dass er mich eines Tages überrascht.

»Ich bin doch hier!«, empört mein blonder Kumpel sich, während er das neonfarbene Getränk entgegennimmt, das Rick ihm reicht.

»Vierzig Minuten zu spät, Sal!«

Er starrt mich noch immer ungläubig an. Sals umwerfend schöne, stechend grüne Augen umrahmt schwarzer Kajal, was sie noch stärker leuchten lässt. Plötzlich bilden sich jedoch leichte Lachfältchen an seinen Augenwinkeln, die seine dreiunddreißig Jahre dann doch irgendwie verraten.

»Herrje, wie viele habe ich denn verpasst?«, fragt er an Rick gewandt.

»Vier!«, prustet dieser los. »Der letzte war sogar ein wenig hartnäckig. Je abweisender Adam ist, desto reizvoller wird er für sie.«

Sal pfeift kurz, dann tätschelt er grinsend meinen rechten Oberschenkel. »Armes Häschen.«

»Scheiß auf Häschen. Wo zum Teufel hast du denn diesmal wieder gesteckt?«, verlange ich zu erfahren und bereue es auch gleich, denn so genau will ich das eigentlich gar nicht wissen.

»Ich war Arbeiten!«, erklärt Sal empört, dann grinst er dieses freche Grinsen, das er immer auf den Lippen hat, wenn er an was Schmutziges denkt. »Hat heute echt Spaß gemacht.«

Ich seufze resigniert. Das habe ich heute Abend schon ziemlich oft getan, wie mir auffällt und ich bin mir sicher, dass es nicht das letzte Mal gewesen sein wird. »Gibt mir noch einen, Rick.«

»Hey, alles klar bei dir?«, fragt Sal und sieht mich ehrlich besorgt an.

Sal heißt eigentlich Salvatore, doch so darf ihn niemand nennen. Da kann er richtig biestig werden. Seine Mutter hatte sich, nach der Trennung von ihrem damaligen Freund, einen Urlaub in Italien gegönnt und dort einen verführerischen Einheimischen kennengelernt, mit dem sie den Urlaub im Hotelzimmer verbracht hat. Kaum wieder daheim stellte sie fest, dass sie schwanger war. Der Urlaubsflirt war natürlich nichts weiter als genau das, daher war sie so ziemlich auf sich allein gestellt, aber glücklich, wenigstens ein Andenken zu haben. Natürlich bekam ihr Sohn einen passenden Namen, auch wenn mit zunehmendem Alter klar wurde, dass er so gar nichts von dem vermeintlich italienischen Erzeuger hat. Dafür die blonden Haare und grünen Augen ihres Exfreundes.

Der war nur mäßig begeistert, von dem plötzlichen Sohn zu erfahren, und hat sich sehr schnell wieder aus dem Staub gemacht. Als Sal zehn war, lernte seine Mutter dann seinen Stiefvater – ein homophobes Arschloch – kennen. Sal hat ihr das bis heute nicht verziehen und den beiden mit zwanzig auf Nimmerwiedersehen gesagt hat. Aber wie alles im Leben eben zwei Seiten hat, hatte die Hochzeit damals auch etwas Gutes, denn so wurden Sals Eltern und meine Nachbarn und wir die besten Freunde.

»Sicher«, antworte ich nickend und lächle ihn an, um ihm zu zeigen, dass er sich keine Gedanken zu machen braucht. Rick hat mir derweil einen neuen Wodka vor die Nase gestellt und sich ans andere Ende der Bar verzogen. »Dein Abend war also nett?«

Sal sieht nicht wirklich überzeugt von meinem Schauspiel aus, kann sich jedoch auch nicht bremsen. »Absolut.«

 

»Du kannst dich doch nicht von jedem deiner Kunden flachlegen lassen«, mahne ich kopfschüttelnd, nachdem mein bester Freund mir in allen Einzelheiten vom Abschluss seines neusten Projekts und dem anschließenden Essen mit seinem Kunden erzählt hat. »Du ruinierst dir den Ruf.«

»Ist doch piepegal. Außerdem glaube ich das auch nicht«, winkt Sal ab, muss sich dabei jedoch an der Theke festhalten, die bereits etwas ins Schwanken gerät. »Bisher kommen die Aufträge schneller, als ich neue Tapetenmuster auftreiben kann.«

Selbst mein alkoholumnebeltes Hirn erkennt, dass das wohl eher nicht piepegal ist. »Was, wenn die Leute dich nur noch engagieren, weil sie gehört haben, wie gut du blasen kannst?«

»Hm.« Er tippt sich mit dem rechten Zeigefinger gegen die Unterlippe, bevor er ihn sich ein Stück in den Mund schiebt und gedankenverloren daran zu nuckeln beginnt.

»Lass das!«, schimpfe ich und ziehe seine Hand von seinem Gesicht weg.

Sal guckt böse, dann zuckt er mit den Schultern. »Ist doch egal, Hauptsache die Kohle stimmt.«

»Dir ist klar, dass das nach Prostitution klingt?«, frage ich etwas entsetzt nach.

»Schwachsinn!«, winkt er augenrollend ab. »Die Kohle kriege ich für die neue Inneneinrichtung, alles hinterher nehme ich als Bonus.«

»Wenn du meinst«, erwidere ich skeptisch.

Lachend schlingt mein bester Freund einen Arm um meine Taille. »Deine Sorge in allen Ehren, Adam, aber könntest du mal nicht so ein verklemmter Spießer sein?.«

Ich bin immer noch skeptisch, aber Sal ist halt durch und durch optimistisch und bisher scheint sein Job als selbstständiger Inneneinrichter ordentlich was abzuwerfen. Egal, ob mit oder ohne Zusatzleistungen. »Okay, schon gut. Ist ja auch deine Sache«, gebe ich nach, woraufhin er mir völlig unerwartet lachend um den Hals fällt und einen Kuss auf meine Lippen drückt.

Für einen winzigen Moment küsse ich ihn zurück, denn es fühlt sich echt schön an. Ich küsse sehr gerne, doch dabei gibt es wiederum das Problem, dass so ziemlich alle Typen sich damit eben nicht zufriedengeben, sondern einem zwei Minuten später bereits an die Wäsche wollen. Und das will ich halt nicht. Davon abgesehen, dass es sowieso nicht der Richtige wäre.

»Hättest doch einfach sagen können, dass du einen Lover hast«, werden wir unterbrochen. Einer der Geier von vorhin steht neben uns und nimmt gerade zwei Flaschen Bier von Rick entgegen.

Ehe ich etwas entgegnen kann, wirbelt Sal herum. »Wer bist du denn?«

»Nummer zwei«, hilft Rick aus, woraufhin der Geier ihn irritiert anstarrt.

»Süß«, befindet Sal anerkennend. »Aber definitiv nicht dein Typ, Hase.« Er lässt seinen Blick von den Schuhen bis zu den Haarspitzen des Geiers wandern, dann lehnt er sich leicht an meine Schulter zurück. »Bisschen zu alt.«

»Bitch!« Mit aufgeplusterten Federn stolziert Nummer zwei davon.

Rick und ich prusten los, als Sal sich mit riesengroßen Augen und runtergeklapptem Unterkiefer zu uns umdreht. »Hat der mich gerade eine Zicke genannt?« Seine Stimmlage ist eine Oktave in die Höhe geschossen, was die Situation noch komischer macht. »Mich?«

»Hör auf!«, flehe ich lachend, doch als Sal Anstalten macht, aufzustehen und dem Typen nachzugehen, ziehe ich ihn am Bund seiner Jeans wieder zurück auf den Barhocker. »Er ist es nicht wert.«

»Sag mal, Adam, bin ich etwa eine Zicke?«, will Sal allen Ernstes wissen.

Ich versuche mir das Lachen zu verkneifen und schlucke ein paarmal. »Die schlimmste, die mir je über den Weg gelaufen ist«, bestätige ich gluckend, woraufhin er die Augen und Lippen zusammenkneift. »Aber auch die liebenswerteste«, füge ich lächelnd hinzu.

Sal schnaubt, dann nickt er knapp. »Grad noch so gerettet.«

Rick muss sich offensichtlich auf die Unterlippe beißen, um sich das Lachen zu verkneifen. »Ihr zwei seid meine absoluten Lieblingsgäste«, eröffnet er uns dann kichernd. »Noch eine Runde?«

Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass es bereits halb drei ist. »Lieber nicht«, sage ich kopfschüttelnd und fische ein paar Scheine aus meinem Portmonee. »Ich mache mich los.«

»Ich auch.« Sal wirft ebenfalls ein paar Scheine auf die Theke und rutscht dann vom Stuhl. »Hab um neun einen Vor-Ort-Termin.« Er torkelt ziemlich, greift eilig nach meinem Arm und erwischt meine Hand, an die er sich klammert.

»Bist du bis dahin wieder fit genug?«, frage ich skeptisch, nachdem wir uns von Rick verabschiedet haben, der verspricht ein Taxi zu rufen, und Richtung Tür bewegen.

Sal nickt enthusiastisch, wodurch er ins Stolpern gerät und mich fast zu Boden reißt, wäre der Türsteher nicht so nett, mich an der Hüfte zu schnappen und aufrecht zu halten. »Wem du’s heute kannst besorgen, den vertröste nicht auf morgen«, erklärt er unbeeindruckt von dem riesigen Muskelmann, der uns amüsiert beobachtet. »Oder so ähnlich.«

»Diese Einstellung gefällt mir«, meint der Bewacher der Tür grinsend und hält uns netterweise Selbige auf, jedoch nicht ohne mir den Hintern zu tätscheln, was ich ihm durchgehen lasse, weil er nun mal gute zwanzig Kilo Muskelmasse mehr vorzuweisen hat.

Sal wirft ihm eine Kusshand zu und dann stehen wir auch schon auf der Straße. »Scheiße, kalt«, bibbert er beinahe sofort.

Kein Wunder, bei dem dünnen Fummel, den er trägt. Wir haben zwar Mai, aber nachts ist es immer noch ziemlich kühl und nur mit dem hauchdünnen Shirt bekleidet, wundert mich gar nicht, dass er friert. Ich ziehe meine Strickjacke aus und lege sie ihm über die Schultern, während wir auf das Taxi warten. Zehn Minuten später sind wir auf dem Heimweg. Zwei weitere und Sal schläft an meine Schulter gelehnt. Ich streichle ihm eine blonde Strähne aus der Stirn, dann lehne mich an die Kopfstütze zurück und versuche angestrengt, die Augen offen zu halten.

Kapitel 2

Kapitel 2

 

Als ich am nächsten Morgen aufwache, tut mir alles weh. Nicht nur mein Kopf, wie es bei einem Kater hin und wieder vorkommt, sondern so ziemlich jeder Muskel und jeder Knochen meines Körpers schmerzen. Ich kann kaum meine Augen aufmachen, geschweige denn den Kopf heben.

Ächzend hieve ich mich auf die rechte Seite und versuche, die Lider weit genug zu öffnen, um die grünen Zahlen auf dem Radiowecker lesen zu können. Es ist erst kurz nach zehn. »Oh Gott sei Dank«, murmle ich und angle nach meinem Handy.

Sal hätte es mir wochenlang vorgehalten, wenn ich zu spät zu unserem festen Samstagstermin gekommen wäre. Vor allem nachdem ich ihn gestern wegen seines Zuspätkommens angemotzt habe. Berechtigterweise, wie ich immer noch finde.

Heute schaffe ich es allerdings nicht, zum Brunchen in unser Stammrestaurant zu fahren, wo wir uns, seit ich vor vier Jahren wieder hergezogen bin, jeden Samstag treffen. Ich hoffe, dass ich es überhaupt bis zur Toilette schaffe.

Brunch muss ausfallen. Fühl mich total mies. Sry., tippe ich und lasse mich ins Kissen zurückfallen, nachdem ich auf Senden gedrückt habe.

Kurz überlege ich, ob ich aufs Sofa umziehen sollte, doch nachdem mich meine Blase ins Bad gezwungen hat, füttere ich noch schnell Molly, meine Katze, und kuschle mich wieder unter die Decke, die ich mir bis zum Kinn ziehe.

 

Erbarmungsloses Klingeln an der Wohnungstür, begleitet von lautstarkem Klopfen weckt mich eine halbe Stunde später. Stöhnend vergabe ich den Kopf unter dem Kissen. Offenbar gibt derjenige, der seinen Finger auf dem Klingelknopf geparkt hat, jedoch nicht auf, daher quäle ich mich grummelnd aus dem Bett.

Noch bevor ich mich durch den Flur geschleppt habe, höre ich einen Schlüssel im Türschloss, was mich stutzen lässt. Es gibt nur einen Menschen, der einen Schlüssel zu meiner Wohnung hat. Sal. Aber er würde ihn nie benutzen, ohne, dass wir es abgesprochen haben.

Dann fällt mir ein, dass ich ihm ja eine Nachricht geschickt hatte. Vielleicht macht er sich Sorgen und will sehen, wie es mir geht. Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus, während ich auf die Tür zugehe, die sich gerade öffnet. Es hält aber nur etwa zwei Sekunden an, nämlich so lange, bis ich eine gedämpfte Frauenstimme höre.

»Komm schon, arbeite mal ein bisschen mit«, nuschelt Sals Mitbewohnerin. »Nun mach dich doch nicht so schwer.«

»Astrid?«, frage ich verwirrt, als ich endlich den Flur durchquert habe. Überrascht reiße ich die Augen auf, was einen stechenden Schmerz in meinen Kopf schickt. »Sal?«

»Oh gut, du bist doch da«, bringt Astrid keuchend hervor. Sie trägt einen Mundschutz und Einmalhandschuhe, während sie meinen besten Freund über die Schwelle zerrt. »Er ist krank.«

Perplex blinzle ich. »Sollte er dann nicht im Bett sein?« Mein Blick gleitet über Sals in sich zusammengesackten Körper, der von einem hellblauen Bademantel mit gelben Entchen drauf verhüllt wird. Darunter scheint er einen roten Schlafanzug zu tragen. Außerdem hat er eine hellgrüne Beanie auf dem Kopf und Sneakers an den Füßen. Diese Kombination ist selbst für meinen besten Freund schräg.

»Wenn du mal mit anfasst, ist er das auch gleich«, keucht Astrid. »Er hat Fieber.«

»Okay, aber wieso schleppst du ihn her?«, will ich wissen, nachdem ich einen Arm um Sals Taille geschlungen habe, um ihn zu stützen.

»Er hustet die ganze Zeit und verteilt überall seine Bazillen.« Bei ihrem vorwurfsvollen Ton könnte man meinen, dass ich schuld daran wäre. »Und er jammert.«

»Ich bin selbst krank. Ich kann mich nicht noch um ihn kümmern«, entgegne ich kopfschüttelnd, denn ich weiß, wie wehleidig ein kranker Sal ist. »Nimm ihn wieder mit.«

»Auf keinen Fall! Außerdem hab ich schon seinen Hausarzt angerufen, der kommt nach seiner Schicht beim Notdienst hier her. Gegen drei.« Astrid geht in den Hausflur zurück und zerrt eine riesige Tüte in meine Wohnung. »Hier ist alles drin. Fiebersenker, Thermometer, Hustensaft, Taschentücher, Handy-Ladekabel, Tee, Äpfel, ein paar Bananen, Hühnersuppen aus der Tüte, Lutschtabletten, Hustenbonbons, was zum Einreiben, Krankenkarte, Zahnbürste, T-Shirts, Unterwäsche und seine Schlafmaske. Viel Glück.« Mit diesen Worten wendet sie sich um und ist im nächsten Moment schon die Treppe hinuntergeflitzt.

»Adam?« Aus müden Augen blickt Sal verwirrt zu mir auf. »Hi.«

»Hi«, grüße ich immer noch überfordert zurück.

Er schnieft kurz und lehnt seine Stirn gegen meine Schulter. »Ich bin krank.«

»Davon hab ich gehört.« Seufzend versuche ich, ihn so weit in die Wohnung zu kriegen, dass ich die Tür schließen kann.

»Kümmerst du dich um mich?«, nuschelt er hoffnungsvoll. »Astrid wollte mich nicht mehr. Sie ist echt gemein.«

Ich lehne ihn gegen die Wand, denn ich muss mich selbst für einen Moment abstützen. »Scheint wohl so. Zieh die Mütze und Schuhe aus, dann kriegst du das Sofa.«

Das Stechen in meinem Schädel wird stärker und nun gesellt sich noch leichter Schwindel hinzu. Ganz zu schweigen von dem Kribbeln in meiner Nase und dem Kratzen im Hals.

»Okay«, flüstert er, rutscht an der Wand nach unten und bleibt auf dem Hintern sitzen. »Is‘ kalt hier.«

»Bekommst ’ne Decke«, verspreche ich und mache mich dann auf den Weg ins Schlafzimmer zurück, um die Wolldecke aus dem Schrank zu zerren.

Nachdem ich auch noch ein frisches Laken gefunden habe, schleppe ich mich wieder in den Flur, wo Sal noch immer an die Wand gelehnt sitzt, allerdings schon die Mütze und einen Schuh ausgezogen hat.

»Alles klar?«, frage ich sicherheitshalber, was er mit einem Husten beantwortet, sodass ich eilig auf Abstand gehe. »Hab deine Decke. Komm ins Wohnzimmer.«

»Hilfst du mir?«, kommt es kläglich aus dem Flur.

Ich lasse die Decke und das Laken aufs Sofa fallen, atme tief durch und gehe dann zu meinem besten Freund zurück. Er hat den zweiten Schuh ausgezogen und versucht gerade sich aufzurichten. Gemeinsam schaffen wir es bis zur Couch.

»Machst du die Heizung an?«, bittet er, nachdem ich ihn in die Waagerechte und unter die Decke bugsiert habe.

Molly guckt unter dem kleinen Esstisch hervor, der die Küchenzeile vom Wohnbereich trennt, doch als sie sieht, wer sich auf ihrem Territorium rumtreibt, bleibt sie mit grimmigem Blick und ausreichend Sicherheitsabstand sitzen. Bei jedem anderen Menschen wäre sie wahrscheinlich neugierig hervorgekommen, um ihn zu begrüßen, aber um es milde zu sagen, kann Molly meinen besten Freund nicht ausstehen. »Geht nicht. Es ist Mai. Die wurde schon abgestellt.«

Sal nuschelt Unverständliches, während er sich noch tiefer unter die Decke schiebt, wodurch seine, in blau-rosa-Ringelsocken steckenden Füße unten vorgucken. »Hast du noch eine Decke?«

Nur meine Bettdecke, aber die kriegt er nicht, die brauche ich selber, daher schüttle ich den Kopf. »Versuch zu schlafen.« Mit diesen Worten wuschle ich ihm durch die wirren Haare, dann erhebe ich mich und rufe nach Molly, die aufspringt und zu mir gelaufen kommt. Gefolgt von meinem launischen Fellball schleppe ich mich, Sals Protest überhörend, in mein Schlafzimmer zurück, lasse aber die Tür offen. Geistesgegenwärtig stelle ich den Handyalarm auf halb drei, bevor meine Augen wieder zufallen.

 

»Adam. Hase.«

Leises Flüstern weckt mich, zusammen mit eiskalten Fingern, die mich im Nacken berühren.

»Adam. Molly faucht mich an und ich hab Fieber.«

Grummelnd versuche ich, die Hand abzuschütteln, doch das war ein Fehler, denn nun weiß deren Besitzer, dass ich noch lebe.

»Kannst du mal messen?«

»Nein!« Herrgott, der Mann ist erwachsen, er wird doch wohl seine Körpertemperatur allein messen können.

»Aber ich bin krank«, motzt er beleidigt. »Und deine Katze hasst mich.«

Seufzend hebe ich den Kopf, um ihm einen finsteren Blick zuzuwerfen. »Ich bin auch krank und hörst du mich jammern?«

Das nimmt ihm offenbar den Wind aus den Segeln, denn er guckt gleich ganz mitleidig und setzt sich neben mich auf die Matratze. Tatsächlich sieht er aus, als hätte er Fieber. Er zittert. Außerdem sind seine Augen glasig und seine Wangen gerötet. »Was hast du denn?«

»Erkältung«, antworte ich so knapp wie möglich, denn mein Hals brennt wie Feuer. Vielleicht sollte ich, jetzt, da ich sowieso wach bin, eine Kanne Tee kochen. Viel trinken soll ja bei sämtlichen Krankheiten helfen. Außerdem hatte Astrid was von Lutschtabletten oder Bonbons erzählt, die könnten auch helfen.

»Wo willst du denn jetzt hin?«, will Sal hustend wissen, als ich ihn sanft vom Bett schubse, um aufstehen zu können.

»Bad und dann koche ich Tee.«

Er kommt mir hinterher, bleibt aber im Türrahmen stehen, indem er sich dagegen lehnt, was wohl ganz gut ist, denn er wird ein bisschen blass um die Nase. Überhaupt ist von seiner sonst so aufgedrehten, flamboyanten Art nicht viel zu sehen. »Krieg ich auch welchen?«

Während ich mich erleichtere, nicke ich. Anschließend wasche ich mir die Hände und das Gesicht, dann nehme ich meinen eigenen Bademantel vom Haken an der Tür und ziehe ihn über, denn es ist wirklich ziemlich kalt. Wahrscheinlich habe ich auch Fieber.

»Adam?«

Ich bleibe neben ihm stehen und schaue in seine müden Augen hinunter. »Hm?«

»Bist du mir böse?«

Lächelnd schüttle ich den Kopf. »Nein. Wieso sollte ich?«

»Weil ich krank bin«, kommt es kläglich. »Und du auch.«

»Kannst du doch nix für«, erinnere ich und lege einen Arm um seine Schultern. »Molly hat dich geärgert?«

»Geärgert?«, schnaubt er, was ihn jedoch husten lässt. »Das Vieh hasst mich. Ich bin mir sicher, dass sie schon Mordpläne hat.«

»Du übertreibst«, widerspreche ich amüsiert, obwohl die Abneigung meiner Katze meinem besten Freund gegenüber schon ziemlich stark ist. »Sie ist nur eifersüchtig, weil sie weniger Aufmerksamkeit von mir bekommt, wenn du da bist.« Nicht, dass sie sonst irgendwelchen Wert darauf legen würde, aber sobald mein bester Freund auf dem Sofa sitzt, scheint sie das Bedürfnis, von mir gestreichelt und gekrault zu werden, regelmäßig lawinenartig zu überkommen. »Ich mach uns erst mal Tee. Du hast welchen dabei, oder?«

Er lässt den Kopf hängen und zuckt mit den Schultern. »Weiß nicht. Astrid hat alles eingepackt. Konnte mich gar nicht schnell genug loswerden.«

»Du bist nicht gerade einfach, wenn du krank bist«, erinnere ich auf dem Weg ins Wohnzimmer. Dort angekommen, schnappe ich mir die Tüte und kippe sie auf dem Couchtisch aus.

Astrid hat nicht übertrieben. Sie hat wirklich an alles gedacht. Erleichtert schnappe ich mir die Packung mit den Halsschmerztabletten und drücke eine aus dem Blister, bevor ich ihn Sal in den Schoß werfe. Während er seine Kleidung vom Rest der Medikamente und Lebensmittel trennt, suche ich den Tee raus – Kamille, wie eklig – und schleppe mich in die Küche.

Molly hat unser Treiben vom höchsten Punkt ihres Kratzbaums aus beobachtet, erhebt sich jetzt jedoch hoheitsvoll und springt herunter, bevor sie mit in die Höhe gerecktem Schwanz zu mir stolziert kommt. Dabei würdigt sie Sal keines Blickes.

Ich stelle den Wasserkocher an und hocke mich zu ihr hinunter. »Hey, meine Schöne. Hast du den armen Sally wieder geärgert?«

Vom Sofa ist ein Schnauben zu hören, schließlich darf nur eine Person meinen besten Freund Sally nennen und das ist meine Mum. Allerdings hat sie ihn nie gefragt und auch keinen Hintergedanken dabei gehabt, auch wenn jeder Sal sofort auf hundert Metern Entfernung ansieht, für welches Geschlecht sein Herz schlägt. Einmal hat er sich getraut, sie zu fragen, warum sie ihn mit einem Frauennamen anspricht, doch Mum hat nur gelacht und gemeint, er solle mal nicht kleinlich werden. Für sie ist er halt Sally, der Nachbarsjunge mit dem Faible für Kleidung in bunten Farben und dem Dauergrinsen im Gesicht. Auch wenn der kleine Junge mittlerweile erwachsen ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Mum öfter mit ihm telefoniert, als mit mir, was mir aber nichts ausmacht.

»Oh Gott, Adam! Hilfe!«

Seufzend richte ich mich auf, wobei ich das Schwindelgefühl ebenso wie das empörte Mauzen ignoriere, und widme mich dem Quälgeist. »Was ist denn?«

»Ich habe bestimmt schrecklich hohes Fieber. Das Thermometer blinkt ganz wild und hat ein paarmal gepiept.«

Der Wasserkocher arbeitet noch munter vor sich hin, daher gehe ich erst mal zur Couch und sehe mir an, welche astronomisch hohe Temperatur das Gerät verkündet.

»Die Messung war nur fehlerhaft«, erkläre ich das wilde Blinken, drücke den On-/Off-Knopf ein paarmal, bis das Gerät mir erneute Betriebsbereitschaft verspricht. »Versuch’s noch mal. Halt diesmal still, damit es richtig misst.«

Sal nimmt mir das Thermometer ab, um es sich erneut ins Ohr zu halten. Als es piept, schaut er aufs Display und verzieht das Gesicht. »39,1°C.«

»Das ist ordentlich«, stimme ich zu. »Leg dich hin, der Tee ist gleich fertig. Hast du Hunger?«

»Nein«, antwortet er matt und hält mir das Thermometer entgegen. »Willst du bei dir auch mal messen?«

»Wenn du noch einen frischen Aufsatz hast.« Es wäre vielleicht gar nicht schlecht, meine Temperatur zu kennen, bevor der Arzt nachher kommt. Bestimmt kann er mich auch gleich untersuchen.

»Moment.« Er fummelt in der Schutzhülle des Geräts herum. »Hier.«

»38,8°C, hast gewonnen«, scherze ich, nachdem ich meine Temperatur ebenfalls gemessen habe.

Grinsend lässt Sal sich gegen die Lehne zurückfallen, dann seufzt er herzzerreißend. »Hast du auch so schlimme Halsschmerzen?«

»Nimm so eine Tablette«, rate ich mitfühlend. »Betäubt alles.«

»Davon muss ich immer würgen«, murrt er. »Vielleicht hilft auch Tee.«

Während ich eine Thermoskanne und zwei Tassen aus dem Schrank hole, den Tee aufkippe und anschließend alles zum Couchtisch trage, hat Sal sich zurück unter seine Decke verkrochen und liefert sich ein Blickduell mit Molly, die wieder auf dem Kratzbaum hockt.

Erschöpft lasse ich mich neben seinen Füßen auf die Couch fallen. »Vertragt euch.«

»Sie hat angefangen. Ich hab hier nur gelegen. Molly hat zuerst gefaucht.«

Ich drehe meinen Kopf zu ihm, um zu sehen, ob er das ernst meint. »Zuerst? Soll das heißen, du hast zurückgefaucht?«

Als er schmollend die Unterlippe vorschiebt, kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen, was jedoch keine so gute Idee ist, weil es mich zum Husten bringt.

Eine Weile schweigen wir und baden ein wenig in Selbstmitleid. Wahrscheinlich geben wir gerade das perfekte Ebenbild typischer Männerschnupfen-Erkrankter ab, aber es ist ja nicht so, als würde uns jemand sehen.

»Adam?«

»Ja?«

»Danke.«

»Kein Ding.«

Als Sal sich aufrichtet und gegen meine Schulter lehnt, durchfährt mich wieder dieses warme Gefühl. Nähe, Geborgenheit und ein leiser Anflug von Nervosität, das sind die Emotionen, die seit ziemlich genau neunzehn Jahren meine ständigen Begleiter sind, zumindest solange mein bester Freund in meiner Nähe ist.

Zum ersten Mal gespürt habe ich die Gefühle mit fünfzehn, als ich neben einem vierzehnjährigen Sal im Garten hinter seinem Elternhaus stand und seiner schluchzend hervorgebrachten Grabrede für Mister Pepper, seinen Hamster, gelauscht habe. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen: Wir standen in der Abendsonne, vor uns lag das von uns eigenhändig, frisch ausgehobene Hamstergrab mit dem bunten Schuhkarton darin. Ich hatte meinen Arm in einer freundschaftlichen, tröstenden Geste um Sals Schultern gelegt, doch als er sich, wie schon unzählige Male zuvor, an mich lehnte und zu mir aufsah, war plötzlich alles anders. Er war mir zu nah und doch nicht nah genug. Sein mir so vertrauter Geruch, seine vom Stimmbruch krächzende Stimme, seine stechend grünen Augen, in denen schon damals grundsätzlich ein Schimmer von Neugierde und gleichzeitig Vorsicht lag. Es war, als würde mir all das zum ersten Mal auffallen.

Ich habe nie was gesagt. Natürlich nicht. Er ist mein bester Freund! Stattdessen habe ich es verdrängt, als Schwärmerei abgetan und als die Jahre ins Land gingen und auch das nicht half, bin ich geflüchtet. Nachdem ich mit meinem ersten Job als Makler unzufrieden war, bin ich mit vierundzwanzig in eine andere, größere Stadt gezogen. Ich musste weg. Weg von den vertrauten Plätzen unserer Heimatstadt, weg von den immer gleichen Leuten, den immer gleichen Gesprächen und weg von Sal.

Er hat es nie verstanden, aber hingenommen und mir sogar beim Umzug geholfen, weil beste Freunde das nun mal so tun. Als ich mich von Sal verabschiedet hatte und am ersten Abend ganz allein in einer fremden Stadt in meiner neuen Wohnung saß, trauerte ich um eine Beziehung, die ich nie wirklich geführt hatte. Natürlich waren Sal und ich unzertrennlich, wir haben schließlich alles geteilt. Hoffnungen, Träume, Sorgen und Ängste. Wir waren die allerbesten Freunde, so was wie Brüder. Nur waren wir eben kein Paar. Und würden es auch niemals sein, denn auf keinen Fall hätte ich es riskiert, ihn zu verlieren, wenn ich ihm von meinen Gefühlen erzählt hätte.

Die Männer kamen und gingen und obwohl uns zweihundertdreißig Kilometer trennten, ließ Sal nicht locker. Er weigerte sich schlicht, mich ihn vergessen zu lassen, also hat er mir Nachrichten und Fotos geschickt. Jeden Tag. Von Dingen, die ihm wichtig waren, die er lustig fand und hin und wieder von sich selbst oder einfach nur seinem Frühstück. Manchmal haben wir telefoniert, dann aber stundenlang.

In diesen fünfeinhalb Jahren habe ihn furchtbar vermisst, doch erst als mein letzter Exfreund Klartext mit mir geredet hatte, habe ich eingesehen, dass es egal ist, wie weit ich davonlaufe. Sal wird immer meine große Liebe bleiben. Das waren auch so ziemlich genau die Worte, die mein Ex mir halb wütend, halb mitleidig entgegenschleuderte, bevor er die Tür hinter sich und unserer Beziehung zugezogen hat.

Einen Monat später bin ich zurück in meine Heimatstadt und meine jetzige Wohnung gezogen, zusammen mit dem festen Entschluss, Sal die Wahrheit zu sagen. Ihm endlich zu gestehen, wie sehr ich ihn liebe und wie lange ich mich schon danach sehne, mehr als nur der beste Freund zu sein.

Doch dann stand er vor mir. Zwischen all den Umzugskartons, mit dem breitesten Grinsen im Gesicht, von Freudentränen verschmiertem Kajal und weit ausgebreiteten Armen, bevor er förmlich an meine Brust geflogen ist. Und da wusste ich, dass ich es doch nicht schaffe und auch niemals schaffen werde. Weil ich unter keinen Umständen riskieren werde, ihn für immer zu verlieren, wenn ich ihm sage, dass ich ihn liebe.

Deswegen lächle ich ihn auch jetzt lediglich an, schlinge einen Arm um seine Schultern und drücke ihn an mich. »Du glühst ja richtig«, erkenne ich besorgt. »Vielleicht solltest du was gegen das Fieber nehmen. Ich hol dir ein Wasser zum Runterspülen, ja?«

»Aber von den Tabletten werd ich immer so müde«, mault er wie ein kleines Kind.

Ich streichle ihm eine blonde Strähne aus der Stirn. »Dann schlaf doch. Ist sowieso das Beste, wenn man krank ist.«

»Lieber nicht, sonst greift Molly mich bloß wieder an. Vorhin saß sie auch direkt vor mir, als ich wach geworden bin und hat mir ins Gesicht gefaucht.«

»So schlimm?«, frage ich amüsiert, obwohl ich seine Worte nicht anzweifele. Meine eifersüchtige Stubentigerin würde so ziemlich alles tun, um ihn loszuwerden. Wahrscheinlich ist sie die Einzige, die durchschaut hat, was ich für meinen besten Freund empfinde, was sich wiederum echt abgedreht anhört, wie mir selbst auffällt.

»Ja. Oder kann ich mit in dein Bett kommen?«

Auf keinen Fall! Es ist nicht so, als hätte wir noch nie ein Bett geteilt. Als Teenager haben wir vermutlich öfter auf einer Matratze geschlafen, als getrennt. Aber wir sind keine Teenager mehr und es reicht mir schon, dass ich mit einer dicken Erkältung zu kämpfen habe, da will ich nicht noch eine unmissverständliche Beule in der Schlafanzughose vor ihm verbergen müssen. Zudem würde mein Bett vermutlich noch ewig nach ihm riechen und ich weiß nicht, wie meine Libido das mitmachen würde. »Nein!«, widerspreche ich daher sofort und etwas zu vehement, seinem Stirnrunzeln nach zu urteilen. »Ich meine, mir ist schwindelig und ich hab Kopfschmerzen, deswegen will ich nicht ständig den weiten Weg bis in die Küche laufen, um dir Tee oder was zu essen zu holen.«

Nickend seufzt Sal leise und sackt wieder ein bisschen in sich zusammen. »Okay.« Plötzlich richtet er sich auf und die funkelnden Augen, mit denen er mich nun ansieht, verheißen nichts Gutes. »Hol doch deine Decke her. Dann ziehen wir das Sofa aus. Ist bestimmt eh langweilig im Schlafzimmer, oder hast du da jetzt einen Fernseher?«

Perplex schüttle ich den Kopf.

»Na siehst du. Hier können wir wenigstens DVDs gucken und du kannst mich vor Molly beschützen.«

»Aber...« Ratlos, wie ich das abwehren kann, öffne und schließe ich ein paarmal meinen Mund, doch eine Ausrede lässt auf sich warten. Dafür hebt mein bester Freund erwartungsvoll die Augenbrauen. »Ist gut«, höre ich mich schließlich sagen.

Sal lächelt zufrieden und befreit sich etwas mühsam von der Decke, bevor er aufsteht und den Couchtisch beiseiteschiebt.

Ich riskiere einen Blick zu Molly hoch, die mich völlig ausdruckslos anstarrt. Als hätte sie jedoch unsere Unterhaltung verstanden, steht sie auf, streckt sich kurz und kommt zu mir. Schnurrend springt sie auf meinen Schoß und schiebt die Nase unter meine Hand, um mir zu signalisieren, dass sie gestreichelt werden möchte, was ich ergeben tue.

Als Sal hustend und bibbernd genügend Platz geschaffen hat, verschränkt er die Arme vor der Brust und sieht zu uns runter. »Du müsstest da mal aufstehen, damit ich das Sofa ausziehen kann. So wie es jetzt ist, wird es sicherlich zu eng.«

»Oh, klar.« Ich springe etwas zu schnell auf, was wegen des anhaltenden Schwindelgefühls und der Kopfschmerzen keine gute Idee war. Kräftige Hände packen mich an den Oberarmen und drücken mich auf die Sitzfläche zurück.

»Hey, mach langsam.« Sal kniet neben mir und sieht besorgt in mein Gesicht.

Dabei kommt er mir so nah, dass ich mich nur ein wenig vorzubeugen bräuchte, um meine Lippen auf seine pressen zu können. Doch das mache ich nicht. Wir küssen uns zwar hin und wieder, aber nur in Situationen wie gestern Nacht, wenn die Initiative von ihm ausgeht und der Alkohol meine Selbstkontrolle ausschaltet, was gerade eindeutig nicht der Fall ist. In meinem Magen flattert es jedoch gewaltig, auch das Atmen fällt mir schwer.

»Geht es dir gut?«

»Ja«, bringe ich krächzend hervor. »Bin nur zu schnell aufgestanden.«

»Hab ich gesehen. Mensch, jag mir doch nicht solchen Schrecken ein«, schimpft er, zieht sich aber nur wenige Millimeter zurück. »Geht’s echt wieder?«

Ich atme tief ein und nicke, um mich von dem unverwechselbaren Duft meines besten Freundes abzulenken. »Ja, geht schon. Ich hol dann meine Decke.«

»Vergiss dein Handy nicht. Und Kissen. Ich weiß, dass du mindestens zwei hast.«

Ergeben nicke ich wieder und stehe langsam auf. Molly mauzt empört und folgt mir meckernd, als ich auf wackligen Beinen ins Schlafzimmer gehe. Ich weiß ja selbst, dass es keine gute Idee ist, aber Sal ist der einzige Mensch auf der Welt, dem ich noch nie etwas abschlagen konnte.

Impressum

Texte: Jessica Martin
Bildmaterialien: Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de unter Verwendung von Bildmaterial von LilKar & Tomertu / www.shutterstock.com
Tag der Veröffentlichung: 16.05.2017

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