A´kebur fluchte. Er verfluchte den Ferengi, dessen Mutter, dessen Vater und dessen gesamte Vorfahren. Er verfluchte die Kinder des Ferengi bis in die 8. Generation. Er wünschte ihnen alle Krankheiten an den Hals, die er kannte und die er nicht kannte. Dabei wechselte er fließend von Standard, in Vulkanisch, Romulanisch und Klingonisch.
Vulkanier blieben stehen und hörten sich das fasziniert an. Sie kannten keine Flüche. Dass jemand ihre Sprache dazu verwendete, war etwas Neues für sie.
A´kebur kroch aus der Jeffriesröhre und schmiss ein Ersatzteil in den Behälter, wo die anderen Ersatzteile lagen und die seiner Meinung nach identischen Schrott darstellten, wie das defekte Teil eben.
Ein paar seiner Kollegen glucksten und versuchten sich ihre Schadenfreude nicht ansehen zu lassen. Aber die Schadenfreude betraf nicht A´keburs Ausbruch. Vielmehr freuten sie sich auf den Anblick eines durch die Station gejagten Ferengi, der laut nach der Stationssicherheit schrie.
Niemand würde ihm helfen.
A´kebur tat niemanden etwas, so lange derjenige nicht selbst Gewalt anwendete. Aber sein Anblick, wenn er wütend war, war einfach nur ehrfurchtgebietend und die Aura der Androhung von sehr schmerzhafter Gewalt genügte vollkommen, damit er seinen Willen bekam.
Der Chefingenieur tat so, als hörte er nichts. Er machte nur einen Haken an die Stelle, wo stand, dass er neue Ersatzteile brauchte. Er war sich sicher, dass das Problem sich bald gelöst haben würde. Mit sich und der Welt zufrieden, weil alles wieder an seinem Ort schien, wo es hingehörte, ging er zur nächsten Station, wo er kontrollieren wollte, wie weit der Umbau erledigt war.
Die Station würde die modernste ihrer Art werden und sie lagen trotz zahlreicher Rückschläge wieder sehr gut im Zeitplan. Dank A´kebur gab es jetzt auch nur noch einen Ferengi, der nicht verstanden hatte, dass es äußerst ungesund war, an ihn Schrott zu liefern. Da A´kebur unter anderem für die Beschaffung zuständig war, konnte sich keiner von den Händlern an jemand anderes wenden und Captain Trevlet sah keinen Grund, sich in irgendetwas einzumischen. So wie es lief, lief es perfekt.
Er hatte sich entschieden und einen seiner Meinung nach hochqualifizierten Lieutenant auf diese Stelle gesetzt, der zudem fanatisch bezüglich der technischen Funktionen der Station war. So etwas konnte der Station nur guttun.
A´kebur zog sich wieder in die enge Röhre und suchte weitere defekte Teile, während er seine Sprachfähigkeiten aufpolierte. Ein weiteres Mal tauchte er aufgebracht aus der Röhre auf und sah in blaue Augen, das eine von einer hochaufgewölbten Augenbraue geziert. "Hallo Onkel", grüßte er Lakon.
"Es ist akzeptabel, dich zu sehen, Neffe", meinte dieser gewohnt zurückhaltend.
A´kebur grinste breit. "Ja, ich freue mich auch", erwiderte er und zog sich aus der Röhre. "Was führt dich in diesen Teil der Galaxie?", fragte er ihn.
Lakon legte die Hände auf den Rücken. A´kebur konnte die Ruhe und Zufriedenheit in ihm spüren. "Wir fliegen ins Kandarsystem und kartographieren es. Die Dehar haben der Föderation die Erlaubnis dazu gegeben."
A´kebur frischte kurz sein Gedächtnis auf. Soweit er wusste, waren die Dehar nicht sehr kontaktfreudig.
"Das ist ein großer Erfolg", meinte er dann. Lakon nickte knapp. "Die Sovk wird sechs Jahre unterwegs sein. Wir werden uns eine lange Zeit nicht sehen, daher wollte ich mich von dir verabschieden."
Für einen Moment spürte A´kebur so etwas wie Bedauern. In vier Monaten wollte er nach Vulkan fliegen und hatte eigentlich gehofft, dass Lakon zur gleichen Zeit Urlaub bekam. Aber dieser Wunsch hatte sich mit der Nachricht zerschlagen.
"Das ist ein großer Auftrag für die Sovk und für dich, Onkel."
Lakon gestattet sich ein Lächeln. "Ich wollte dich fragen, ob du mitkommen willst. Es wäre auch ein großer Auftrag für dich, wenn du das möchtest."
A´kebur konnte kaum glauben, dass er dieses Angebot bekam. Er hatte auf der Sovk kaum so etwas wie Gehorsam gezeigt. Ständig liefen seine Gefühle und sein Körper Amok. Erst seit gut vier Monaten war er wirklich stabil und die Ärzte sagten, dass es wohl auch so bleiben würde. Trotzdem war es kein gutes Bild gewesen, was er hinterlassen hatte. Jederzeit hatte er damit gerechnet, dass man ihn aus Starfleet unehrenhaft entlassen würde. Doch nichts dergleichen geschah.
Nach dem Charon-Zwischenfall, wie es jetzt hieß, war er befördert und für seine außergewöhnlichen Leistungen ausgezeichnet worden. Es war dann jedoch sein eigener Wunsch gewesen, wieder auf die Station Deepspace 13 zurück zu kehren. Es war eigentlich als selbst verordnete Strafe gedacht gewesen.
Aber jetzt, wo er wieder das Angebot bekam, fühlte er etwas anderes: Der Gedanke an eine Mission war aufregend. Die Station aber zu verlassen, verursachte ihm Unbehagen.
Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich zu Hause und dabei spielte die Station an sich keine Rolle – sie war nur der Ort, wo er dieses Gefühl zum ersten Mal erlebt hatte. Und dieses Gefühl konnte er am besten mit Akzeptanz und Respekt beschreiben.
Es war nicht nur so, dass er hier akzeptiert und respektiert wurde oder dass man es ihm in der Vergangenheit verweigert hätte, sondern dass er es selbst sich gegenüber zugestand. Dieser Zustand an sich war nicht mit einer Mission gefährdet. Aber es förderte in ihm auch nicht gerade den Wunsch, gleich sofort wieder irgendwohin aufbrechen zu wollen, selbst wenn es ihn reizte, mit seinem Onkel auf Forschungsreise zu gehen.
Lakon sah es ihm an, dass er haderte. Er nickte. "Das habe ich mir gedacht. Lial meinte, dass sie es akzeptabel findet, dich öfters zu sehen. Sie möchte dir alles zeigen. Die Traditionen unserer Familie sollen auch die deinen werden. Sie sind ein Geschenk an dich und sie sind dein Recht. Wenn Etienne Vulkan erträgt, so ist er jederzeit willkommen. Er gehört mit zur Familie, auch wenn er es wohl nicht so sehen wird."
A´kebur lächelte. "Er wird behaupten, unter Vulkans Sonne zu verbrennen. Aber er freut sich auch. Schade ist, dass er dich nicht mehr sehen wird. Sechs Jahre sind für einen Menschen eine noch längere Zeit."
Lakon konnte dieser Feststellung nur zustimmen. Für einen Moment sah er sich A´kebur genau an, als wollte er sich jedes Detail einprägen. Dann hob er die Hand.
"Dir ein langes Leben und Wohlergehen, Lanar", wünschte er seinem Neffen. A´kebur zögerte nicht und erwiderte den Gruß genauso ernst.
A´kebur blieb eine ganze Weile stehen, selbst als Lakon schon lange gegangen war. Er hatte in seinem Onkel jemanden gefunden, den er vermissen würde. An seinen Vater hatte er nicht annähernd soviel Zeit in seinen Gedanken gewidmet. Den Hinweis von Lakon auf Lial nahm er dankbar an. Seine Idee, seinen Urlaub auf Vulkan zu verbringen, war also schon beschlossene Sache.
"Wollen Sie Löcher in die Luft starren?", fragte ihn Chefingenieur Peel brummig.
A´kebur wandte sich ihm zu. "Ich habe mich von Captain Lakon verabschiedet", informierte er ihn. "Ich habe nur darüber nachgedacht ..."
"Sagen Sie bloß, Sie wollen wieder gehen? Die Sovk hat doch jetzt eine Mission. Tun Sie mir das nicht an, und fliegen mit!"
A´kebur grinste. "Ich hatte es nicht vor, Sir."
Der Chefingenieur sah ihn verblüfft an. Dann jedoch verzog er das Gesicht. "Und warum stehen Sie dann hier und tun nichts?"
A´kebur lachte. Die Präsenz nahe seinen Gedanken, ignorierte er.
Am Abend ging er in die Bar und gönnte sich romulanisches Ale. Trotz dieses Vorfalls mit Toran musste er zugeben, dass das romulanische Volk mit das beste Bier überhaupt machte. Und es war ihm immer noch egal, dass es verboten war – und er fragte auch nicht, warum er es hier mitten im Föderationsraum bekam. Er musste nicht alles wissen und die Stationssicherheit wusste es insoweit nicht, dass sie sich gezwungen sah einzugreifen. Mehr war nicht wichtig. Rechtschaffend müde ging er, ohne dass er denjenigen gesehen hatte, mit dem er die ganze Zeit und sowieso den ganzen Tag über schon rechnete.
Etienne hatte sich für heute angekündigt.
Er hatte brav seinen Monat auf der Reha-Kolonie abgesessen, und obwohl er A´kebur bei ihren gelegentlichen Com-Gesprächen buchstäblich die Ohren vollgejammert hatte, war es letztendlich wohl doch nicht so schlimm gewesen. Dennoch war Etienne natürlich froh gewesen, dort wieder herauszukommen, um sich seiner neuen Arbeit zu widmen. Die nächsten drei Monate hatte er mit Kenturry und T'Ro erst auf Charon 7, dann auf Varaas 3 und sowie dem neu entdeckten und benannten Planeten Varaas 3a verbracht. Die geheimnisvolle Schrift der Wächter, wie die Runen jetzt genannt wurden, war noch nicht ganz entziffert, leider beantwortete die uralte Zivilisation ebenso viele Fragen, wie sie wieder neue aufwarf.
Aber jetzt hatte Etienne endlich freibekommen und wollte A´kebur auf Deep Space 13 besuchen. Doch das Transportschiff, in diesem Teil der Galaxis kaum das neueste Modell, hatte kurz vor dem Abflug noch einen Antriebsschaden gehabt.
Dementsprechend war Etienne nun mehr als ungeduldig, als das Schiff endlich an der Station andockte. Gut zehn Stunden zu spät.
Als er die Bar der Station betrat, zwinkerte ihm Suahi zu. "Lang nicht mehr gesehen, aber kürzer als die anderen Male. Es ist erstaunlich. Wir treffen uns an einem Ort zweimal. Suchst du deinen Gefährten?", fragte ihn Suahi unumwunden.
"Trage ich ein Schild um den Hals oder ist das nur wieder deine einfühlsame Barkeeperseele?" Lachend setzte sich Etienne an die Bar. "Wie läuft es hier denn so?"
"Sehr gut, vor allen Dingen, seitdem dein Gefährte wieder da ist, geht es mit dem Umsatz in Sachen verbotenem Ale hervorragend. Und, meine einfühlsame Barkeeperseite, nun die gibt ihm des Öfteren ein gutes Ginger Ale. Von daher schwöre ich eher auf den Buschfunk." Suahi grinste frech.
"Soso. Hast du denn auch einen deiner üblichen Gifte für mich oder muss ich auf dem Trockenen sitzen? Und wo wir schon bei A´kebur sind: Hat er gerade Dienst oder frei?"
Suahi mixte ein wenig, mischte und wirkte dabei angestrengt, als müsste er nachdenken. Er tippte kurz gegen das Glas, wo er sein Ergebnis eingegossen hatte, so dass der Drink anfing zu leuchten. "Hier, dein Lieblingsdrink." Suahi nahm sich ein weiteres Glas und kippte sich auch etwas ein. "Was A´kebur anbelangt: Ich schätze, er hat den ganzen Tag auf dich gewartet. Er war unruhig wie die jungen Stürme auf Telar. Aber er hat nichts gesagt. Seine Schicht ist seit gut fünf Stunden vorüber. Ich schätze, er schläft jetzt."
"Dann sollte ich ihn besser noch etwas ausruhen lassen. Wenn ich da bin, ist an Schlaf ja eh nicht mehr zu denken." Etienne probierte vom Drink, nickte anerkennend. "Sowas habe ich vermisst. Die letzten Monate waren nun wirklich keine Erholung."
"Sag bloß, die haben keine anständigen Bars auf Charon 7? Ich bin enttäuscht - bei dem Ruf!" Suahi lachte und sein dunkler Bariton trug weit.
"Doch, hatten sie, aber bei dem ganzen Chaos hat es eine Weile gedauert, bis sich die richtigen Leute wieder eingefunden hatten. Außerdem hatte die Föderation ein strenges Auge darauf, da sind vermutlich einige der besseren Barkeeper außen vorgeblieben. Traurig, aber wahr." Etienne trank sein Glas leer und schloss genüsslich die Augen. "Ist hier immer noch Ärger mit den Ferengi? Meine Güte, ich hätte nicht gedacht, dass ich überhaupt noch mal hierherkommen würde, um so was zu fragen."
"Ja, natürlich! Ein Ferengi, der ehrlich wird, gehört auf die Couch. Nach Meinung der Ferengi. Aber jetzt ist Lanar genannt A´kebur hier. Seitdem hat sich hier einiges geändert und Chefingenieur Peel meint, die Station war noch nie in einem so guten Zustand, wo jetzt A´kebur alles in die Hand genommen hat. Ich schätze, der Kleine wird der nächste Chefingenieur. Aber bis dahin ist noch ein wenig Zeit. Sagt Mr. Peel. Doch das weißt du nicht von mir!"
Etienne lächelte. "Ich schweige wie ein Grab. Aber es ist gut zu wissen, dass hier wieder alles einigermaßen läuft. Allerdings habe ich die offizielle Auflage, mich nicht alleine in die Nähe von Hangarschotten auf Föderationsstationen begeben zu dürfen." Er schob Suahi sein leeres Glas auffordernd hin. "Gibt es sonst noch Neuigkeiten hier?"
"Es gibt neue Hangarschotten auf der Station!", antwortete Suahi trocken.
"Ich werde mich trotzdem nicht in ihre Nähe wagen; A´kebur würde mir vermutlich das Fell über die Ohren ziehen. Ist übrigens diese alte Krake noch immer Captain hier?"
Suahi mischte den nächsten Drink. Er bedachte Etienne mit einer hochgehobenen Augenbraue. "Captain Trevlet ist erst 1000 Erdenjahre alt. Er hat noch mindestens 900 Jahre seines Lebens vor sich. Er ist nicht alt."
"Unsereins würde sich in dem Alter bereits als wirklich antik bezeichnen. Ich komme mir ja jetzt manchmal schon vor, als gehörte ich zum alten Eisen." Etienne zog eine ironisch-mitleidheischende Grimasse. "Aber das könnt ihr El Aurianer sicher nicht verstehen."
Suahi tat so, als würde er wieder einmal angestrengt überlegen müssen. Dann antwortete er schlicht: "Nein!"
"Sag ich ja." Etienne trank sein Glas wieder halbleer. "Du weißt nicht zufällig, wo A´keburs Quartier ist? Vielleicht sollte ich ihn doch mal aufsuchen, bevor ich hier altersschwach zusammenbreche. Man muss die Zeit ja nutzen."
Suahi schrieb kurz etwas in ein Datenpad und reichte es Etienne. "Er hat ein eigenes Quartier. Die Station ist größer geworden und er ist Lieutenant. Das bringt Privilegien mit. Ich denke, die Nachbarn werden es zu schätzen wissen."
"Danke. Du bist wie immer eine wertvolle Hilfe in allen Lebenslagen, Suahi." Etienne grinste ihn an und trank seinen Drink aus. "Wir sehen uns später!"
"Oh, da bin ich mir sicher. Ich habe eine neue Charge Ginger Ale. Die wartet auf ihren Abnehmer." Suahi lächelte verschmitzt.
Etienne grinste ihm noch einmal zu und verließ dann die Bar. Während er durch die Gänge der Station wanderte, fiel ihm deutlich auf, wie ordentlich die einst so abgewrackte Sternbasis sich gemacht hatte. Nur noch an einigen Stellen wurde gebaut, der Rest schien tadellos zu funktionieren.
Schließlich fand er A´keburs Quartier. Es war in der Tat auf der Ebene der Offiziere, die trotz des beengten Platzes auf Deep Space 13 einigen Komfort genießen durften. Etienne überlegte kurz. Er wollte eigentlich nicht klingeln und so die Überraschung verderben, aber auf anderem Weg konnte er wohl nicht ins Zimmer gelangen.
Nun, es gab schon andere Möglichkeiten, aber denen hatte Etienne ja gerade versucht abzuschwören. Und noch mehr Ärger auf dieser Station wollte er sich nicht holen. Er betätigte also den Türsummer. Er wartete, doch es tat sich nichts. Hatte Suahi nicht gesagt, dass seine Freischicht war? Etienne versuchte es noch einmal, aber ohne Erfolg. Vielleicht war A´kebur auch gar nicht im Zimmer, sondern trainierte auf dem Holodeck, mutmaßte Etienne. Er machte sich nicht die Mühe, über ihr Band herauszufinden, was sein Geliebter gerade tat, das hätte schließlich seine Überraschung verdorben.
Zum Glück waren keine Kameras oder ähnliches in diesen Gängen, also überredete Etienne das Kontrollpaneel an der Tür kurzerhand, ihm trotzdem Einlass zu gewähren. Dass auch nicht sofort irgendwelche Sicherheitsleute angelaufen kamen, wertete er dabei als ein gutes Zeichen.
Im Inneren des Raumes war es dunkel. Stoff raschelte und er hörte ruhige Atemzüge. "Komm ins Bett und lass das Licht aus", brummte A´kebur. Das ließ Etienne sich nicht zweimal sagen. Er schlüpfte aus seinen Sachen, tastete sich zum Bett vor und kuschelte sich an A´kebur. "Und was hättest du gemacht, wenn ich ein Einbrecher gewesen wäre?", fragte er neckend und genoss die vertraute Wärme seines Geliebten. Verdammt, hatte er das vermisst.
A´kebur öffnete nicht einmal seine Augen. Er sah keinen Grund, auf diese Frage eine Antwort zu geben. "Ich werde noch mal mit dem Sicherheitschef reden müssen. Die Routinen sind überarbeitungsbedürftig." Er zog Etienne näher. "Du hast lange gebraucht." Der vertraute Geruch Etiennes ließ A´kebur zufrieden wieder wegdämmern. Jetzt war alles richtig und alles an seinem Ort.
Etienne streichelte über die langen weichen Locken und schloss ebenfalls die Augen. Ja, alles war wieder, wie es sein sollte.
Die Nacht war kurz. Als Etienne etwas weckte, hatte er das vage Gefühl, dass er gerade erst eingeschlafen sein musste. Es war A´kebur, der ihn geweckt hatte. Seine Wärme fehlte auf einmal. Er hörte seinen Seelengefährten durch das Quartier gehen. Dann war für einen Moment Licht auf der gegenüberliegenden Seite des Quartiers und das leise Summen der Dusche zu hören. Etienne jedoch störte sich nicht weiter daran, sondern schlief wieder ein.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er erneut aufwachte. Das Bett kam ihm ziemlich groß und kalt vor, aber ein Zettelchen lag auf dem Kopfkissen. Etienne lächelte und war froh, dass ihn gerade niemand sah. Sein Klingone war also doch irgendwo ein Romantiker. Etienne steckte das Zettelchen ein, das ihn einlud, sich zum Frühstück in der Bar zu treffen und suchte nach seinen Klamotten. Er hatte noch etwas Zeit und genoss es, sich nicht beeilen zu müssen.
Wie er schon bei seiner Ankunft bemerkt hatte, befand sich die Station in ihrem wohl besten Zustand. Sie war größer geworden und hing silbern vor dem schwarzen Hintergrund des Alls. Im Inneren tummelten sich jetzt noch mehr Besucher.
Etienne wusste, dass sich hier die Schiffe bevorrateten, um von hier aus in den nächsten Quadranten zu fliegen. Aus einem fast vergessenen und unbedeutenden Handelsposten entwickelte sich so nach und nach ein wichtiger und strategisch günstig liegender Umschlagplatz unweit der romulanischen Zone. Etienne sah, wie der Chefingenieur gerade um die Ecke bog. Im Schlepptau einen Pulk nagelneuer Fähnriche, die irgendwie noch äußerst enthusiastisch und absolut grün hinter den Ohren wirkten.
Etienne blieb einen Augenblick stehen, als Chefingenieur Peel, raubeinig und kompetent wie immer, an einer der Baustellen anhielt und seinen neuen Schützlingen einen Vortrag über das Prüfen von Lichtleitern hielt. Prompt wirkte die Hälfte von ihnen eingeschüchtert. Aber wenn sie A´kebur in die Quere kamen, würden sie sowieso ein dickes Fell bekommen und es auch dringend benötigen.
Etienne schwankte noch einen Moment zwischen Amüsement und einem plötzlichen Anflug von Sich-alt-fühlen, dann ging er weiter zur Bar. Suahi wartete schon offenbar auf ihn. "Geh in die Holosuite", forderte er ihn auf. "Es ist schon alles vorbereitet. A´kebur will in einer halben Stunde hier sein. Dann hat er eine Stunde oder auch mehr frei."
"Das klingt ja, als wärest du da in was eingeweiht", meinte Etienne und schmunzelte.
"Muss ich ja. Ich musste schließlich die Eier kochen." Suahi reichte ihm einen großen Brotkorb. "Den kannst du dazu stellen. Die Brötchen sind noch warm. Gerade fertig geworden. A´kebur hat irgendetwas von Pflaumenmus gesprochen. Ich bin mir nicht sicher. Aber ich habe welches hingestellt. Klingonen haben seltsame Geschmacksnerven."
Das wurde alles immer interessanter. Etienne nahm den Brotkorb entgegen, bedankte sich und machte sich zur Holosuite auf. Er war jetzt wirklich neugierig. Doch der Raum war nicht auf ein Programm eingestellt. Es waren nur die Gitterlinien zu sehen und in der Mitte des Raumes ein riesiger Tisch. Als Etienne näher trat, sah er, dass dieser üppig gedeckt worden war. Kaffee, Tee, Marmelade, diverse Wurst- und Fleischsorten, Gemüse und mehrere Terrinen mit geheimnisvollem Inhalt. Zwei Gedecke und zwei Stühle zeigten, dass es wohl nur sie beide sein würden, die hier eingeladen waren. Etienne blieb also nichts anderes übrig, als erst einmal zu warten. Er setzte sich und goss sich schon mal eine Tasse Tee ein - Import von der Erde, Jasmintee. Dass er diese Sorte liebte, hatte Suahi natürlich noch im Gedächtnis behalten.
A´kebur wurde von Suahi kontaktiert, dass Etienne schon da war. Dieser gab Mr. Peel Bescheid. "Ist das der Tag, wo du gesagt hast, dass du den ganzen Tag vielleicht nicht da sein wirst und frei nimmst?", fragte ihn sein Chef.
A´kebur nickte. "Ich nehme einen Tag Urlaub." Peel war das offenbar Antwort genug. Damit hatte der Ersatzteilhändler noch einen weiteren Tag Galgenfrist. "Viel Spaß!", wünschte er noch. A´kebur ließ sich das nicht zweimal sagen. Er beeilte sich. Suahi begrüßte ihn gleich und drückte ihn noch einen Teller frischer Pfannkuchen in die Hand. "Hier. Sirup steht schon da", meinte er mit einem Zwinkern, "Guten Appetit!"
"Danke, hast du schon ein Programm gewählt?" A´kebur balancierte kurz den heißen Teller. Er verzog jedoch keine Miene, obwohl ihm dieser die Finger verbrannte.
"Ich habe dir drei zur Auswahl herausgesucht", meinte der Barkeeper und hielt kurz ein Datenpad hoch. "Alles sehr schöne Umgebungen. Entscheiden musst du aber."
A´kebur überflog die Kurzbeschreibung und merkte sich die Codes und die Beschreibungen. Aber er würde letztlich Etienne fragen. Schließlich kannte der sich als Mensch mit so etwas am besten aus. Ihm war es egal. Hauptsache die Luft war atembar und die Gravitation heftete einen nicht am Boden fest. Aber dazu war ein Holodeck ja da: Es bot alle Vorteile, und die Nachteile konnte man einfach ausschalten.
Vollbeladen machte sich A´kebur zum Holodeck auf und erntete zur Begrüßung ein strahlendes Lächeln von Etienne.
"Hier sind noch Pfannkuchen. Suahi meinte, dass gehört zu einem Frühstück dazu. Ich hoffe, es gefällt dir. Ansonsten empfiehlt er noch einen Sonnenaufgang an der Südküste des amerikanischen Kontinents mit Palmen und Meeresblick auf einer Terrasse. Möchtest du etwas anderes haben?"
"Nein, das klingt gut." Etienne nahm die Pfannkuchen in Empfang und schnupperte genießerisch. "Hm, seit ich ein kleines Kind war, habe ich die nicht mehr so frisch gegessen. Meine Oma hat immer welche gemacht." Er lachte. "War das deine Idee mit dem Frühstück hier oder Suahis?"
"Suahis. Ich sagte, ich bräuchte Frühstück für dich. Mein Spender funktioniert im Moment nicht. Eigentlich funktioniert keiner so richtig. Daher hat er vorgeschlagen, dass er ein großes Frühstück auf dem Holodeck macht." A´kebur sah auf den Tisch. "Wie viel isst du so?", fragte er vorsichtig.
"Ich kann so einiges verdrücken. Aber das soll dich nicht abhalten. Und ich muss mich bei Gelegenheit bei Suahi bedanken. Der Gute weiß doch immer ganz genau, was man gerade braucht." Etienne griff sich ein Brötchen und bestrich es mit Marmelade. A´kebur setzte sich zu ihm. "Und willst du hier frühstücken oder auf dieser Terrasse?"
"Holodeckgitter sind nicht wirklich romantisch", erwiderte Etienne vergnügt, "pogrammier´ doch bitte die Terrasse."
"Computer, Programm Romantika Drei aufrufen." A´kebur verzog keine Miene bei diesem Titel. Er ignorierte sogar die Umgebung, die sich prompt um sie aufbaute, sondern griff nach eine der Terrinen.
Etienne grinste und sah sich um; ein strahlend blauer Himmel, leise rauschendes Meer, eine hübsche Terrasse unter grünen Palmen. Schlichtweg traumhaft. Und ja, wirklich romantisch. Er sah zu A´kebur hinüber, der sich mit Hingabe seinem Essen widmete. "Ich glaube, ich sollte öfter solange wegbleiben, wenn es dann jedes Mal so einen Empfang gibt."
A´kebur sah irritiert aus. "Warum? Das ist nur Essen und ein Holoprogramm!" Er tat sich etwas Gagh auf seinen Teller und sorgte dafür, dass es auch da blieb und sich nicht davon schlängelte.
"Ich finde es trotzdem sehr schön. Aber das ist wohl auch etwas typisch Menschliches." Die ersten Pfannkuchen wurden von Etienne ausgiebig in Sirup eingelegt.
A´kebur beobachtete ihn dabei. "Schmeckt das?", fragte er.
"Probier mal." Etienne hielt ihm die Gabel mit einem Stück Pfannkuchen hin.
A´kebur nahm das Stück und kaute. "Sehr süß", kommentierte er. "Nicht uninteressant. Willst du Gagh haben?"
"Gib her." Ungeniert schnappte sich Etienne ein paar der schlängelnden, klingonischen Delikatessen und rollte sie in den nächsten Pfannkuchen.
"Du meinst, das schmeckt?" A´kebur überlegte. Möglich war es. Aber vorerst wollte er sehen, wie es Etienne mundete. Dieser futterte die merkwürdige Kombination in sich hinein. "Sicher schmeckt das. Aber die meisten trauen sich solch eine exotische Kombination nicht." Er grinste.
A´kebur nahm die Herausforderung wortlos an. Er dekorierte einen Eierkuchen mit Sirup und Gagh und rollte ihn zusammen. Dann biss er beherzt zu. Es schmeckte wirklich gut. Nach einem weiteren Bissen goss er sich einen Kaffee ein, tat die Hälfte an Milch dazu und fünf Stück Zucker.
"Gut zu wissen, dass du Süßes magst", stellte Etienne zufrieden fest und setzte stumm hinzu: Kein Wunder, du bist selbst süß. Aber das hätte er nie laut gesagt. "Wie viel Zeit hast du heute für mich?"
"Mr. Peel hat mir freigegeben. Ich kann heute den ganzen Tag bleiben. Im Moment bekomme ich leider nicht länger frei, weil die Station Vorrang hat."
"Aber immerhin. Ich habe jedenfalls drei Wochen frei, bevor ich mich wieder beim Archäologenteam melden muss. Wir sind kurz davor, das System der Schriftzeichen zu entschlüsseln."
A´kebur hörte auf zu essen. "So schnell? Ich habe gelesen, dass das die Schrift eines älteren Volkes sein soll. Irgendeiner beschrieb sie mal als die der Allerersten. Und angeblich zählt die Anlage dazu. Das würde bedeuten, dass die Schrift der Allerersten entziffert wäre."
"Wie gesagt, wir haben große Hoffnungen, endlich den Durchbruch zu schaffen. Bis wir die Schriften aber wirklich entziffern können, wird es noch dauern." Etienne schenkte sich noch Tee nach. Eine leichte Brise streichelte durch die holographischen Palmen und Salzgeruch wehte von der Küste her. Man konnte beinahe vergessen, wo man war.
Eigentlich war die Illusion sogar perfekt. A´kebur sah ihn fragend an. "Du magst es, nicht wahr? Du magst das Meer! Warum bist du nie zur See gegangen?“
"Ich fürchte, da wäre ich nie so weit gekommen wie im Weltraum. Die Meere der Erde sind komplett erforscht, und wirkliche Geheimnisse gibt es nur noch weit unter dem Meeresspiegel. Die Zeiten der großen Seefahrer sind lange vorbei." Etienne blickte über die Küste.
"Es gibt noch Planeten mit Schiffen. Ich rede nicht von Forschung. Vielleicht, wenn du deine Arbeit gut machst, kannst du dorthin. Mein Fall wäre es aber nicht."
"Nun, noch ist es ja nicht soweit. Aber als Freizeitvergnügen wäre es sicher schön. Schließlich habe ich dir versprochen, dir das Opalmeer auf Betazed im Original zu zeigen."
A´kebur erinnerte sich. Er erinnerte sich auch, dass sie nicht viel Zeit damit verbrachte hatten, sich das Meer anzuschauen. Etienne erriet dessen Gedanken und lächelte. "Ich habe dich vermisst", erklärte er unvermutet.
"Dabei war ich fast jede Nacht bei dir." A´kebur nahm sich einen weiteren Eierkuchen. "Ich hatte merkwürdige Gefühle, wenn ich immer bei dir war. Einerseits warst du unglücklich. Aber du hast dich nicht schlecht gefühlt." Langsam füllte A´kebur ihn mit den Würmern, gab reichlich Sirup drauf und rollte ihn zusammen. "Und ich bin mir sehr sicher, dass die Arbeit, die du machst, dir mehr gefällt, als das, was du vorher gemacht hast. Du vermisst deine Eltern und du vermisst die Erde. Und ich bin immer dabei. Deswegen vermisst du mich nicht. Ich bin immer da."
Etienne sah ihn an. "Sicher. Du warst immer da. Und ich war immer bei dir. Du liebst es, diese Station wieder aufzubauen, respektiert zu werden. Du fühlst dich ebenfalls wohler als jemals zuvor. Aber trotzdem, ich habe dich vermisst. Ich habe es vermisst, dich anzusehen, dich zu berühren, deine Stimme zu hören. All das können Gedanken allein nicht ersetzen." Er lächelte und musste zugeben, dass er etwas verlegen war. "Oder war dir das genug?"
"Es hat mich ruhiger gemacht", gab A´kebur prompt und ohne Überlegen zu müssen zur Antwort.
"Das stimmt schon. Und das ist auch gut so, sonst hätten wir beide die Zeit gar nicht überstanden. Aber jetzt merke ich wieder, dass es trotz allem nicht das Gleiche ist."
A´kebur sah auf seinen Eierkuchenfladen. "Heißt das jetzt, wir fallen übereinander und verfluchen den Sand? Aber eigentlich möchte ich dich nur festhalten. Doch dann habe ich Angst, dass ich dann glaube, dass das genügen würde."
"Wieso denkst du eigentlich immer noch in Extremen?" Etienne stand auf und ging um den Tisch, blieb direkt neben A´kebur stehen. "Wir gehören zusammen, mehr ist nicht wichtig. Alles Weitere ist ein angenehmer Bonus."
"Du wirst wieder gehen und ich kann dir nicht folgen. Ich buddle nicht gern in der Erde. Eigentlich interessiert mich nur die Technik. Aber der Rest ist eher ... Doch du musst ... Und es gefällt dir." A´kebur erhob sich und sah ihn hilfeheischend an. "Ich hätte nicht gedacht, dass es so kompliziert sein kann. So nah und doch so fern. Uns trennen Welten und ich kann nicht ohne dich. Trotzdem haben wir überlebt."
"So ist das oft. Man kann nicht miteinander, aber ohne einander geht es auch nicht. Man muss Kompromisse finden. Jeder von uns hat sein eigenes Leben und das ist gut so." Etienne lächelte. "Trotzdem sollten wir die Momente genießen, in denen wir zusammen sind, oder nicht? Mehr verlange ich gar nicht."
"Ist dir aufgefallen, dass wir in diesen Momenten meist ineinandersteckten?", fragte A´kebur.
"Ich glaube nicht, dass uns das je gestört hat, oder? Trotzdem ist das ja wohl nicht alles." Etienne beugte sich zu A´kebur hinunter und sah ihm direkt in die Augen, die so blau leuchteten wie das künstliche Meer hinter ihnen. "Oder denkst du wirklich, mehr ist da nicht?"
"Doch, aber was? Seltsamerweise werde ich, wenn du bei mir bist unruhiger. Und ich warte auf dich. Immer."
"Ich auch. Und was wäre, wenn das Band nicht zwischen uns wäre? Ich glaube, wir würden genauso empfinden."
A´kebur überlegte. Dann nickte er. "Ganz am Anfang hätte ich nein gesagt", bekannte er. "Aber jetzt ist es so, dass es kein Band braucht. Mit dem Band weiß ich nur, dass du immer da sein wirst."
"Eben. Und wie würdest du so etwas nennen? Ich weiß jedenfalls seit geraumer Zeit Bescheid." Etienne grinste spitzbübisch.
A´kebur wusste nicht, was er meinte. Sein Gesicht verriet, dass er auch nichts vermutete. Doch dann antwortete A´kebur fragend: "Verrückt?"
"Verrückt auf jeden Fall. Aber es gibt ein netteres Wort dafür. Und nein, da musst du allein draufkommen." A´kebur bekam einen Kuss auf die Nasenspitze.
"Es gibt dafür ein Wort?"
"Ja, gibt es!"
A´kebur rieb sich die Nase. "Kenn ich dieses Wort?"
"Ja, tust du. Jeder kennt es. Aber was es wirklich bedeutet, das erfahren wohl nicht alle. Bei mir hat es auch eine ganze Weile gedauert." Etienne grinste und küsste A´kebur noch einmal auf Nase.
Dieser blinzelte. "Ich mag das Spiel nicht", brummte er.
"Du kannst ja in Ruhe drüber nachdenken. Wir haben Zeit, oder? Und derweil suchen wir uns Spiele, die dir mehr zusagen. Drauf zurückkommen werde ich aber in jedem Fall." Etienne genoss es sichtlich, A´kebur ein bisschen zappeln zu lassen. Aber für den restlichen Tag war das kein Thema mehr. Sie frühstückten gemeinsam und irgendwann bekam A´kebur die Vorzüge der Handfütterung vermittelt. Der Rest war dann einer der schönsten Tage, die sie beide in Erinnerung behalten würden.
6 Jahre später
A´kebur prüfte die Schärfe seines Bat’leths. In den letzten Monaten hatte er wie ein verbissener und bösartiger Krelat trainiert. Jedoch in der letzten Woche wurde er auf einmal die Ruhe in Person. Selbst Captain Trevlet war einerseits erstaunt, andererseits misstrauisch geworden. Dabei lag das nicht wirklich in seinem Wesen. Auch der Chefingenieur gab die Parole aus, dass jeder aufpassen sollte.
Dabei hatte A´kebur gar nichts getan. Er wusste jedoch, dass er aggressiv gewirkt hatte. Er musste keinen besonderen Vorfall auf seinem Konto verbuchen. Er war das Musterbeispiel eines Starfleetoffiziers.
Irgendwie war es für A´kebur belustigend gewesen, zu sehen, wie man um ihn herumschlich und versuchte, sich möglichst dem Gewitter zu entziehen, das er angeblich in sich trug. Doch dem war nicht so. Es war eher eine mentale Einstellung auf das gewesen, was A´kebur vor hatte. Aggressiv einerseits, kontrolliert andererseits.
Beide Seiten in sich zu vereinen und dabei die Balance zu halten, war trotz der täglichen Meditation alles andere als einfach. Zudem war Etienne seit knapp einem Jahr abwesend. Nicht in Gedanken, aber körperlich schon. Etienne hüpfte als begeisterter Forscher von einem Planeten zum anderen. Soweit A´kebur das beurteilen konnte, war er von seinem Archäologenteam adoptiert worden und damit irgendwie auch ein völlig vom Glauben des Gewinns abgefallener Pirat. In den wenigen Com-Gesprächen hatte sich Etienne als fast fanatischer Schützer aller archäologischen Stätten diesseits und jenseits der Lichtbarriere, des Föderationsgebietes und allen bekannten Paralleluniversen zusammen herausgestellt.
Für A´kebur eine belustigende Beobachtung. Der Nachteil war, dass sie sich dadurch äußerst selten sahen. Seltener als sowieso schon.
Zudem musste Etienne noch immer seine Bewährungsauflagen erfüllen und das war unter der Obhut der Archäologen einfacher. Ein weiteres lästiges Übel. Doch, weil Etienne seit fast einem Jahr nicht mehr im Urlaub gewesen war, vermuteten A´keburs Kollegen eine sexuelle Unausgeglichenheit. Vielleicht war das auch wirklich so. A´kebur hatte schon mehr als nur ein wenig Lust, sich in Etienne zu vergraben und ihn mit Haut und Haaren aufzufressen. Doch wozu waren die ganzen Übungen gut, wenn er sich nicht beherrschen konnte?
Irgendwann war auch für den letzten in der Mannschaft klar gewesen, zu wem A´kebur gehörte. Er selbst machte daraus kein Geheimnis; posaunte es nur nicht heraus. Es ging im Einzelnen niemand etwas an.
Seitdem war jedoch bei seinen Kollegen eine wahre Spekulationsflut ausgebrochen, was einige recht unangenehme Nebenkriegsschauplätze eröffnet hatte, die A´kebur unfreiwillig mit einbezog.
Es gab durchaus einige Idioten, wie er sie in menschlicher Form titulierte, die sich auf einmal nicht mehr benehmen konnten und ihn herausforderten.
Das brachte diesen Männern einen Verweis ein wegen intoleranten Verhaltens. A´kebur hätte das lieber selbst und im Stillen geregelt. Aber die Situation war zu schnell zu hoch gekocht, als dass er ihnen gepflegt Verstand einprügeln hätte können, und sie damit von seiner Männlichkeit zu überzeugen. Das war es, was diese Männer vermutet hatten: Das er auf einmal schwach und angreifbar war.
A´kebur hatte es sich nicht nehmen lassen und war nach dem Rapport auf die gemaßregelten Männer zugegangen. Er hatte sie herausgefordert. Einer nach dem anderen war dann von ihm still und heimlich mit reichlichen Blessuren in ihre Quartiere zurückgeschickt worden. Die Krankenstation wäre A´kebur lieber gewesen. Doch noch größeres Aufsehen wollte er nicht schaffen, als er es sowieso schon tat. Seit diesem Zeitpunkt war Ruhe und niemand zog ihn mehr auf. Dafür wurde er von drei Männern der Crew mit ganz anderen Augen gesehen. Die ignorierte er jedoch genauso.
In solchen Augenblicken kopierte er nur zu gern das abweisende Verhalten von Vulkaniern. Nur bei einem Verehrer führte das zu noch größeren Anschmachtungen als zu Abkühlung. Da das nicht wirklich heilbar war, wurde auch dieser Mann ignoriert.
A´kebur hatte nicht vor, in irgendeiner Weise unwürdiges Verhalten aufzuzeigen. Irgendwie wollte er insbesondere Lakon und Lial keine Schande bereiten. Ihre Meinungen waren ihm hoch und heilig, auch wenn sie wohl mit dieser Art Ergebenheit weniger anzufangen wussten. A´kebur Lanar blieb in dieser Hinsicht das besondere Kind der Familie.
Im Moment war A´kebur auf dem Weg nach Qo’noS. Danach wollte er seinen Urlaub auf Vulkan antreten. Ein schnelles Passagierschiff brachte ihn von einem Gebiet ins andere. Auf Vulkan wurde er erwartet. Auf Qo’noS rechnete niemand mit ihm.
Doch A´kebur scherte das wenig. Er wollte beim großen Bat’lethwettkampf mitmachen und als Sieger hervorgehen. Ein ungeschriebenes Gesetz sagte, dass jeder Teilnehmer den Zweiten Aufstieg gemacht haben musste. Da aber in den letzten Jahren immer wieder Außenweltler teilnehmen durften und diese nie als Krieger des Klingonischen Reiches galten, sah A´kebur seine Chance gekommen. Er hatte sich als Lanar angemeldet.
Mit seinem klingonischen Namen wäre ihm die Teilnahme verweigert worden, da ihm als Klingone der Zweite Aufstieg zum Krieger verweigert worden war. Er würde damit als Außenweltler, als Vulkanier, am Wettkampf teilnehmen. A´kebur war sich sicher, dass seine Halbbrüder und sein Vater da sein würden. Er stellte sich auf einen Kampf ein, der seine Teilnahme verhindern sollte.
Aber er war ein Spitzohr im wahrsten Sinne des Wortes und seine Anmeldung war wasserdicht, wie die Menschen so schön zu sagen pflegten. A´kebur war seit gut einem Jahr anerkannter vulkanischer Bürger. Lial hatte er damit glücklich gemacht. Durch diesen Akt hatte er sich bewusst für seine vulkanischen Wurzeln entschieden. Für A´kebur bedeutete das aber nicht, dass er damit gleichzeitig auch seinen klingonischen Anspruch aufgab. Er wollte ebenso Klingone sein und er würde davon seinen Vater überzeugen müssen. Er musste ihn überzeugen, dass er ebenfalls ein Klingone war. Der Preis spielte dabei keine Rolle. Diesen Triumph wollte sich A´kebur unbedingt erfüllen.
Seine vulkanische Familie hatte er aber über seine Pläne genauso wenig informiert wie seine klingonische. Selbst vor Etienne hielt er das geheim und so wie es aussah, wusste sein Gefährte auch wirklich nichts.
Zudem war Etienne wieder einmal derart beschäftigt, dass diesem wohl nicht einmal eingefallen wäre, aufzusehen, wenn A´kebur neben ihm an seiner Grabungsstelle aufgetaucht wäre.
A´kebur ließ die Klinge seines Bat’leths im Licht der spärlichen Kabinenbeleuchtung aufblitzen. Ein Gefühl der Befriedigung machte sich in ihm breit. Er war zuversichtlich. Niemand würde ihm sein Recht streitig machen. Unbewusst bleckte er die Zähne. Dann grollte er leise.
Eine Stunde später schwenkte das Passagierschiff in die Umlaufbahn von Qo’noS. Kein Muskel regte sich in A´keburs Gesicht, als er das vertraute Bild seines Geburtsplaneten wiedersah. Er hatte den Anblick vermisst, genauso wie er das Leben auf Qo’noS vermisste. Doch der Stich war nur kurz.
Er schulterte sein Gepäck und ließ sich umgehend auf die Planetenoberfläche transportieren. A´kebur hatte vulkanische Kleidung gewählt. Die Kapuze seines Wüstenmantels verdeckten die Stirnwülste und seine Ohren. Wie beabsichtigt, wurde er ignoriert. Mit ihm kamen noch einige andere Außenweltler, die sich in der Vorentscheidung bewähren mussten. Nur der Beste durfte gegen Klingonen antreten. Es war eine Ehre für jeden Fremden, wenn er dann auch nur die erste Runde mit einem reinrassigen Klingonen überstand.
Die Vorentscheidungskämpfe für Außenweltler liefen außerhalb des strengen ritualisierten Wettkampfes. Hierher kamen sogar einige junge Klingonen, um sich über die Dummheit und Arroganz der fremden Herausforderer lustig zu machen. Im Hauptwettkampf gab es dann nur noch den Schrei der Krieger wie aus einer Kehle, um die Kämpfenden anzufeuern und die eigene Lust am Kampf in geeignete Bahnen zu führen. Spott gab es nur für den ehrlosen Verlierer, wobei man immer nur hoffte, dass letzteres nie der Fall war.
A´kebur ging direkt zu dem staubigen Feld, welches für die Vorentscheidungen gebraucht wurde. Seine Anmeldung war gültig. Es war ein Mensch, der die Listen führte. A´kebur hatte sich so etwas schon gedacht.
Die ersten Kämpfe würden in einem halben Tag beginnen, die ganze Nacht dauern und am nächsten Morgen den Sieger feststellen. A´kebur verzichtete daher auf ein Quartier und zog sich auf einen Beobachtungsposten zurück.
Die Zeit verging jedoch ziemlich schnell, da er wie üblich alles und jeden genau beobachtet, nach außen hin aber den Anschein der brummigen Gleichgültigkeit gab. Er hatte dieses Talent in den letzten Jahren noch kultiviert und Etienne hatte schon mal gespottet, wenn A´kebur keine Lust mehr auf Starfleet habe, solle er Spion werden.
Natürlich waren hauptsächlich Klingonen zugegen in ihrer typischen Uniformen und herausfordernden Mienen aber dazwischen eine bunte Mischung aus der ganzen Galaxis: riesige Nausicaaner, Rigelianer in ihrer Fellkluft mit Speeren, stolz blickende Capellaner, dazwischen sogar Orionerinnen, deren Lächeln ebenso gefährlich wirkte wie ihre offen getragenen Dolche. Menschen oder Vulkanier hatte A´kebur noch nicht entdecken können, ausgenommen den Listenführer.
Damit war er wohl in jeglicher Hinsicht eine Ausnahme.
Die ersten klingonischen Krieger hatten schon ein paar abfällige Äußerungen fallen lassen. Doch die wenigsten Außenweltler verstanden diesen Dialekt. Hochklingonisch hatte A´kebur nur wenige Male hören können. Die meisten Dialekte stammten von klingonischen Kolonien. A´kebur wusste, die erfahrenen und ruhmreichen Krieger, die auf Qo’noS lebten und etwas auf sich hielten, kamen erst morgen.
A´keburs Zeitgefühl sagte ihm, dass es nur noch wenig dauert, bis die ersten Aufrufe für die Kämpfe der Außenweltler folgen würden. Dementsprechend erhöhte sich die Spannung im Getümmel und ein paar Mal wären die Vertreter der unterschiedlichen Völker schon vor der Arena ernsthaft aufeinander losgegangen. Dann endlich ertönte das Signal, und die ersten Kontrahenten wurden aufgerufen.
A´kebur wusste, er würde ungefähr in der Mitte der Ausscheidungskämpfe an der Reihe sein. Er suchte daher nicht die Nähe des Feldes auf. Er hatte nicht vor, sich dazwischen zu hängen, bevor nicht sein Kampf anstand. Zudem hatte er nicht vor, mehr als notwendig aufzufallen. Irgendwann würde dem ersten aufgehen, dass er ein Mischling war und Beleidigungen waren ein Lieblingssport der Klingonen. Diese trugen weit und sein Vater sollte ihn erst morgen in der Arena sehen. Nicht heute!
Die ersten Rufe erschollen aus der Arena, dann brandete Applaus auf. Offensichtlich war der erste Sieger des Tages bereits ermittelt. Mehr Bewunderung wurde aber demjenigen gezollt, der den Kampf hinauszog und eine Kunst daraus machten, mit seinem Gegner zu spielen. Stupides Draufhauen mochte für eine Kneipe taugen, aber nicht für einen derartigen Anlass.
Das merkten die ersten von ihnen. A´kebur sah einige Verletzten, die, wenn sie nicht mehr laufen konnten, einfach vom Kampfplatz geschliffen wurden, um sie am Rande zu verarzten. Mit viel Mitgefühl durften die Verlierer nicht rechnen. A´kebur nutzte die Lücken in den Reihen der Zuschauer, um sich die Überlebenden anzuschauen.
Wie schon zu erwarten war, waren es nicht diejenigen, die nur mit roher Kraft protzen konnten, sondern vor allem die, die ihre Waffen besonders geschickt einsetzten, wendig waren und ihre Gegner gut einzuschätzen vermochten. Leicht würde es auf keinen Fall werden. Doch A´kebur wusste auch, dass die Zähigkeit der Klingonen ihre größte Stärke war.
Wenn der Gegner zu leicht, zu schnell war, dann konnten sie ihn buchstäblich mit roher Kraft in den Boden stampfen. A´kebur hatte zu oft als Kind selbst diese Kämpfe beobachtet, um das vergessen zu haben.
Als sein Name aufgerufen wurde, musste er gegen einen Rigelianer antreten. Dieser musterte ihn abfällig von oben bis unten. "Mit diesem kleinen Bat’leth willst du mich besiegen?", rief er höhnisch.
A´kebur wusste, dass früher diese Äußerung gut genug war, um ihn heißblütig hochfahren zu lassen. Jetzt grinste er nur und bleckte seine Zähne. Mochten sie nicht wirklich so sein, wie die eines Klingonen: Seine Eckzähne zeigten, dass er kein zahmes Raubtier war. Ehe der Rigelianer verstand, dass er es mit einem echten Gegner zu tun hatte, war A´kebur unter ihm und fegte seine Beine fort. Mit einem gezielten Schlag raubte A´kebur ihm sein Bewusstsein.
Applaus erscholl; man hatte den Hohn des Rigelianers auch im Publikum gehört. Einiges Getuschel machte sich allerdings auch breit, da man unter Außenweltlern keinen so talentierten Bat’leth-Kämpfer vermutet hätte. Nach wie vor blieb A´kebur allerdings unerkannt.
Er zog sich wieder zurück und wartete auf seinen nächsten Auftritt. Dieser war etwas länger, aber nicht weniger erfolgreich. Als A´kebur mit nur noch drei weiteren als Kandidat auf der Liste der Außenweltler stand und davon einer seinen Kampf verlor, wurde er zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Niemand hatte bisher einen Vulkanier auf Qo’noS kämpfen sehen. Und damit auch keinen, der möglicherweise gegen einen Klingonen antrat. A´kebur gelang es mit etwas Anstrengung auch beim letzten Kampf sein Gesicht soweit zu verbergen, dass niemand Einzelheiten erkennen konnte. Sein Gegner hingegen hatte einen Blick auf Stirnwülste und Ohren nehmen können. Doch er schwieg. Er senkte anerkennend sein Bat’leth. "Viel Glück und viel Ehre", wünschte der Nausicaaner ihm.
A´kebur erwiderte den Gruß. Die Zuschauer waren inzwischen begeistert von seiner Darbietung und schlugen rhythmisch auf die Balustraden der Arena. Offenbar war auch damit eine weitere Hürde genommen. Aber die wirkliche Prüfung würde noch kommen. Doch das erst morgen.
A´kebur wollte bis dahin unweit der Arena nächtigen.
Zwei Tage zuvor
Etienne wanderte unruhig in seinem Quartier hin und her. Da war er nun seit einer halben Ewigkeit an Bord der Sovk und niemand hatte bisher für ihn Zeit gehabt. Nicht einmal Shana, geschweige denn der Captain.
Nicht, dass er sich selbst als so wichtig ansah, aber A´kebur hatte nun wirklich Priorität. Und im Augenblick war er dabei, etwas zu tun, das in Etiennes Augen eine große Dummheit war. Gut, der Captain hatte seine Reiseroute abgeändert. Sie hatten ein paar Anthropologen an Bord, die sich die Kämpfe auf Qo’noS anschauen wollten. Völkerkundler waren eine gute Möglichkeit, den Versuch zu starten, A´kebur von seinem Fehler abzuhalten. Genaues wusste Etienne selbst nicht. Er hatte nichts erfahren. Doch er hatte etwas gespürt und ein Traum A´keburs hatte ihn letztlich auf die Spur gebracht. Es war zugegebenermaßen nicht viel. Als er jedoch erfuhr, wann A´kebur Urlaub nahm, war der Gedanken nicht mehr weit, um die Zeichen richtig zu deuten.
Also hatte Etienne versucht, irgendwie von seiner Ausgrabung loszukommen, ohne dabei die Bewährungsauflagen zu verletzen. Es war ein Wink des Schicksals, dass Lakon sich meldete. Bis hierher war also alles glatt gelaufen. Doch was jetzt?
Wenn sie sich nicht ein wenig mehr beeilten, würde sich A´kebur in wer weiß was für Schwierigkeiten verrennen. Nicht, dass er sich nicht seiner Haut wehren konnte, aber wer wusste schon, was passieren würde, wenn er auf seine Familie traf? Wenn man so etwas überhaupt Familie nennen konnte.
Etienne drehte die nächste Runde in seinem Quartier und fluchte hingebungsvoll.
"Mr. Duval", meldete sich die Stimme Captain Lakon, "Haben Sie Interesse, mit mir zu Abend zu essen?"
Etienne lag schon eine bissige Erwiderung auf den Lippen, doch er gab zuckersüß zurück: "Natürlich doch. Ich warte seit Jahren, dass Sie mich das endlich fragen. Wann und wo? Und soll ich einen Smoking anziehen?"
Die Antwort war für einen Moment Schweigen im Intercom. "Legere Kleidung genügt", erklärte Captain Lakon dann jedoch schließlich. "Ich erwarte Sie in meinem Quartier!"
"Dann bis gleich." Etienne überlegte, ob er, um Lakon zu ärgern, sich wirklich schick machen sollte, entschied dann aber, dass die Sache eilte. Etienne schnappte sich seine Jacke und stürmte aus dem Zimmer. In Rekordzeit war er beim Quartier des Captains angekommen und klingelte. Ob dieser sich darüber wunderte, ließ sich Lakon nicht anmerken. "Ich bitte zu entschuldigen, dass Sie so lange warten mussten. Die Wissenschaftler zeigten sich äußerst emotional darüber, eine Chance bekommen zu haben, das Ritual des Wettbewerbs genauer zu beobachten. Zudem ist es selten, dass Klingonen noch mehr Einblicke in ihre Kultur gestatten. Wir fliegen momentan mit Höchstgeschwindigkeit nach Qo’noS."
"Das höre ich gerne", Etienne war bei den Worten etwas versöhnt, "und der Anlass ist ja auch die Aufregung wert. Aber ich weiß wirklich nicht, was mit A´kebur passieren wird, wenn er dort erkannt wird."
"Im Zweifel wird er disqualifiziert. Er ist Klingone und doch keiner. Soweit ich die Regeln verstehe, muss er den zweiten Aufstieg gemacht haben. Das ist aber nicht der Fall." Lakon legte den Kopf schief. "Mögen Sie essen?"
"Eine charmante Einladung und ein kostenloses Essen würde ich nie ausschlagen", erwiderte Etienne für einen Moment eher gelassen, wurde dann aber gleich wieder ernst und angespannt. "Und was, wenn er als Vulkanier unter den Außenweltlerregeln antritt? Ich bin sogar ziemlich sicher, dass er das versuchen wird."
"Die Frage ist, ob man ihm das durchgehen lässt." Lakon deckte recht häuslich den Tisch und goss Etienne ein Glas Wasser ein. "Wir werden sehen, was passiert."
"Trotzdem, mir gefällt das nicht. Vermutlich will A´kebur damit die Anerkennung gewinnen, die ihm immer verwehrt wurde. Aber ob das auf die Weise funktioniert, glaube ich nicht." Etienne trank einen Schluck und beobachtete Lakon. Dessen blaue Augen erinnerten ihn mit geradezu schmerzhafter Intensität an A´kebur. Ein Jahr war eine verdammt lange Zeit, bisher die längste, in der sie sich nicht gesehen hatten.
Lakon hob eine Augenbraue. "Sie werden ihn bald sehen", versprach er. "Soweit ich das weiß, werden wir pünktlich ankommen. Die Wissenschaftler wollen alles dokumentieren. Sie sind wie Jäger, nur ohne die üblichen Waffen." Er wirkte etwas erstaunt, sagte aber nicht, was er wirklich darüber dachte.
"Natürlich, jede neue Erkenntnis ist eine Trophäe mehr, die sich sich an die Wände des Museums ihres Geistes hängen können. Ich habe inzwischen gemerkt, dass die meisten von ihnen wirklich um des Forschen Willens forschen, nicht, um die Welt zu verbessern oder zu Ruhm zu gelangen. Allerdings sollten Sie das kennen, die Sovk ist schließlich ein Forschungsschiff."
"Ja, stimmt!", meinte Lakon. Etienne konnte sich jedoch nicht des Eindrucks erwehren, dass ein großes Aber zwischen ihnen stand. Offenbar hatte Lakon wirkliche Probleme mit diesen Wissenschaftlern. Es waren keine Leute seiner Mannschaft. Genauer waren es drei, menschlich und etwas verrückt.
Lakon holte die Speisen aus dem Replikator und setzte sich zu Etienne. Ein köstlicher Duft stieg von ihnen auf. Hm, Lammbraten mit Provencekräutern, der Captain war gut informiert. Und während Etienne nach dem Teller griff, wurde ihm auch klar, worum es gerade ging.
"Ich werde mir diese Anthropologen einmal anschauen", erklärte er, "bei Menschen hilft meistens Menschenkenntnis."
Lakons Gesicht drückte keine Dankbarkeit aus. Aber eine gewisse Erleichterung war schon zu erkennen. "Ich hoffe, Ihnen schmeckt die Auswahl. Die Rezepte sind nicht sehr präzise in den Datenbanken", meinte er und wechselte damit eindeutig das Thema.
Etienne probierte ein Stück und nickte dann. "Doch, es ist gelungen. Nicht ganz so, wie meine Mutter es zu machen pflegte, aber dicht dran. Wie lange werden wir bis Qo’noS brauchen?"
"Ein Tag, sechzehn Stunden, siebzehn Minuten und zwanzig Sekunden", lautete die äußerst präzise Antwort.
Etienne verkniff sich die Bemerkung, dass es jetzt nur noch neunzehn Sekunden waren und tat sich weiter am Braten gütlich. "Kommen wir als offizielle Beobachter der Föderation oder mehr oder minder inkognito?", wollte er wissen.
"Eigentlich nicht inkognito." Lakon nahm sich vom Salat und aß. "Wir sind ganz offiziell als Beobachter zugelassen. Ich denke jedoch nicht, dass die Teilnehmer davon wissen."
"Das klingt diplomatisch. Ich hoffe doch, dass ich mit runter kann. Damit dehne ich zwar meine Bewährungsauflagen ganz schön aus, aber das muss ja niemand wissen. Außerdem ist dieser jährliche Kampf ein einzigartiges Spektakel."
Lakon sah ihn an. "Sie haben das sich schon einmal angesehen? Nun", er schob eine Datenfolie über den Tisch, "Die Bewährung ist gewahrt, solange Sie sich in meiner Nähe, in der Nähe eines Sicherheitsoffiziers der Sovk oder auf der Sovk aufhalten."
Etienne nahm sie entgegen. "Das sollte sich machen lassen. Und ja, ich war vor ein paar Jahren dort und habe es mir angesehen. Oder besser gesagt, ich wollte es mir nur ansehen, wurde dann aber überredet, auch noch mitzumachen. Das erste und letzte Mal, dass ich einen Nausicaaner zu Boden geschickt habe. Mich am Sieg zu freuen, hatte ich allerdings keine Zeit mehr, da der Typ fünf ziemlich aufgebrachte Kollegen dabei hatte. Da sah ich zu, wie ich wegkam." Etienne lächelte etwas angesichts seiner nostalgischen Gefühle.
"Dann können Sie sich glücklich schätzen, noch bei Gesundheit zu sein", meinte Lakon trocken. "Was werden Sie tun, wenn wir da sind? Lanar wird sich nicht aufhalten lassen. Ich möchte nicht, dass dieser Aufenthalt Sie ins Gefängnis bringt!"
"Für Ihren Neffen werde ich so ziemlich jedes Risiko eingehen", gab Etienne ungerührt zurück, "und wie gesagt, was die Föderation nicht erfährt, bringt mich nicht hinter Gittern. Aber ich habe nicht vor, leichtsinnig zu sein, wenn Sie das beruhigt."
"Mischen Sie sich nicht ein!", kam Lakon sofort auf den Punkt. "A´kebur wird dort nicht allein sein. Egal, was passiert, dessen können Sie sich sicher sein."
"Ich werde schon nichts anstellen. Aber zugucken, wie A´kebur irgendwelchen unnötigen Unsinn macht, werde ich sicher nicht", Etienne sah den Captain entschlossen an.
"Glauben Sie nicht, dass ich dazu nicht in der Lage bin, das zu verhindern, Mr. Duval?", gab Lakon zu bedenken.
"Darum geht es nicht. Es ist eine Sache des Prinzips."
"Ein Prinzip, das auch von mir verfolgt werden kann. A´kebur ist ein starker Mann, der sich durchaus seiner Haut wehren kann. Er ist nicht sehr empfindlich. Vertrauen Sie seinen Fähigkeiten. Wir halten ihm lediglich den Rücken frei." Lakon goss Etienne noch einmal Wasser nach.
"A´kebur und nicht empfindlich? Ich dachte, Sie kennen Ihren Neffen inzwischen besser." Etienne nahm dankbar einen Schluck; dieses Gespräch machte ihn durstig. "Er mag sich zwar wehren können, aber gegen Beleidigungen und Demütigungen ist er genauso hilflos wie jeder andere auch. Vielleicht sogar noch mehr, weil es ihm etwas bedeutet, was über ihn gedacht wird. Mit einem Wort können die Klingonen da drüben alles kaputtmachen, was wir in den letzten Jahren mühsam erreicht haben."
"Haben Sie so wenig Vertrauen?" Lakon sah ihn fragend an. "Was wissen Sie über die Beleidigungen, die er bisher ertragen hat, wenn Sie nicht da waren?"
"Genug! Ich weiß auch, dass er gelernt hat, Dingen einfach aus dem Weg zu gehen, anstatt sich mit ihnen anzulegen. Das erspart viel Ärger. Aber nach Qo’noS zu fliegen, bedeutet den Ärger herauszufordern und das vielleicht völlig unnötig." Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: "Das hat nichts mit Vertrauen zu tun. Wohl eher mit Sorge."
"Dann vertrauen Sie ihm! Die Klingonen mögen roh sein, aber sie sind nicht ehrlos. A´kebur wird sich seine Ehre wiederholen und die Anerkennung. Wenn ihm das gelingt, wird er das haben, wonach er sich sein Leben lang gesehnt hat." Lakon sah Etienne ernst an. "Ich möchte nicht gezwungen sein, Ihnen das Versprechen abnehmen zu müssen, sich nicht einzumischen."
"Ich fürchte auch, dass Sie das nicht bekommen würden. Tut mir leid, Captain. Ich kann mich bemühen, aber ab einer gewissen Grenze werde ich ganz sicher einschreiten. Versprechen Sie mir lieber, dass Sie etwas tun werden, falls nötig."
Captain Lakon sah ihn seltsam an. "Wenn Sie das Versprechen nicht geben, dann werden Sie an Bord bleiben - unter Arrest!"
"Ist das ein Ultimatum?" Etiennes dunkle Augen bohrten sich in Lakons.
"Nein, eine Tatsache!"
Kurz herrschte Schweigen, dann knurrte Etienne: "Überaus freundlich von Ihnen, dass Sie mir die Wahl lassen. Aber wie gesagt, ich verspreche das nur, wenn Sie verspreche, einzuschreiten, wenn nötig."
"Ich hatte nichts anderes vor. Nur, es kann sein, dass wir in der Meinung des Wanns und des Wies differieren könnten. Von daher: Sie vergessen, dass ich der Captain dieses Schiffes bin. Ich bin für Sie verantwortlich. Ich bin Lanars Onkel. Auch für ihn trage ich eine gewisse Verantwortung. Von daher können Sie davon ausgehen, dass ich alles tun werde und unterbleiben lasse, was Lanar schädigen könnte."
"Ich wollte Ihnen hier keine mangelnde Sorge unterstellen", wiegelte Etienne ab, warf aber gleich seine nächste Trumpfkarte hin. "Aber, wenn ich das so sagen darf, wie viel wissen Sie über Klingonen? Mal abgesehen von den Datenbanken. Wissen Sie, wie es bei Ihnen zugeht? Könnten Sie wirklich beurteilen, was nur Show und was eine wirkliche Attacke ist? Oder was als Beleidigung gilt? Und nicht zu vergessen: Auf einen Universaltranslator kann man sich kaum verlassen, wenn zehn verschiedene Akzente durcheinander gesprochen werden."
Lakon sah ihn ausdruckslos an. Es schien, als wollte er erst darauf keine Antwort geben. Er erhob sich jedoch und hantierte kurz am Computerterminal. Dann kam er wieder und gab Etienne ein frisch geladenes Datenpad. Dieser überflog den Text darauf, runzelte die Stirn und fühlte sich kurz darauf ins buchstäbliche Fettnäpfchen gefallen. Er hatte völlig vergessen, dass Lakons Schwester von den Klingonen gefangengehalten wurde und dieser deswegen, wie das Datenpad berichtete, lange Jahre als Diplomat im Klingonischen Imperium tätig gewesen war. Und zudem hatte Lakon über hundert Erdenjahre mehr Lebenserfahrung aufzuweisen. Etienne biss sich auf die Lippe. "Ich nehme alles zurück. Ich verspreche, mich zu benehmen und Ihrem Urteil zu vertrauen. Genießen Sie den Etappensieg", setzte er spöttisch hinzu. Etienne hasste es, so dermaßen erwischt zu werden.
"Ich bin also qualifiziert?", fragte Lakon vorsichtshalber noch einmal nach.
"Sind Sie. Mehr als ich." Etienne gab das Datenpad zurück.
"Danke!" Lakon legte seinen Kurzlebenslauf weg. Er fand einmal mehr, dass Menschen äußerst seltsam waren.
Etienne hatte sich derweil wieder ins Essen vertieft. Er schwor sich, das nächste Mal vorsichtiger in Lakons Gegenwart zu sein, um sich nicht wieder so ausmanövrieren zu lassen. Der Vulkanier war auf seine geradlinige Art äußerst gerissen. Aber zumindest war der Vulkanier ein Vulkanier und verhöhnte ihn nicht. Irgendjemand anderes hätte sicher fies gegrinst.
Lakon machte sich darüber keine weiteren Gedanken mehr. Er dachte daran, wie sie vorgehen konnten. Er kannte die Bat’lethwettbewerbe nur zu gut. Einfach war es nicht.
"Wir werden erst einmal beobachten. Lanar soll seinen Kampf bekommen. Ich habe Ghors nicht persönlich kennengelernt. Ich habe auch kein Bild über ihn gefunden. Daher werden wir ihn nicht erkennen. Es wird Lanar sein, der ihn als erstes sehen wird."
"Vermutlich." Etienne versuchte sich unwillkürlich vorzustellen, wie A´keburs Vater wohl aussehen würde. Vermutlich mit einem ähnlich sturen Kinn und finster geschwungenen Augenbrauen. Das traf allerdings auf jeden Klingonen zu. Und wenn er ehrlich war, brannte er nicht sonderlich darauf, Ghors zu sehen. Der Mann war schließlich zum großen Teil dafür verantwortlich, dass A´kebur sich so schwer tat, einen Platz zu finden, wohin er gehörte.
Nun, zumindest ein Platz war ihm für immer sicher: in Etiennes Herz und Seele. Alle weiteren Gedanken dazu verbat Etienne sich. Lakon musste ja nicht sehen, wie frustriert sein Gegenüber inzwischen war.
Scheinbar mühelos schob sich Lakon durch das Gedränge, Etienne ihm dicht auf den Fersen. Die Besucher waren noch zahlreicher geworden, sodass die beiden in all dem Tumult nicht weiter auffielen; aus naheliegenden Gründen hatte der Captain seine Uniform gegen Zivil getauscht.
Eigentlich wirkten sie damit ziemlich abenteuerlich. Lakon sah aus, wie eine der rassischen Minderheit, die es bei den Romulanern gab. Er trug sogar Amulette wie diese. Etienne erkannte sie von seinen zahlreichen Reisen wieder. Lakon sah sich immer wieder um. Er verbarg keinesfalls, dass er jemand suchte
"Wir sollten näher zur Arena", schlug Etienne vor und beschleunigte seine Schritte, um neben Lakon zu gehen. "Ich glaube kaum, dass wir ihn vorher finden werden." Er musste nicht hinzufügen, dass A´kebur sich auch geistig völlig abgeschottet hatte und sich jeglichem Kontakt über das Band entzog.
Lakon sagte nichts, aber er führte sie sicher weiter. Unweit von ihnen folgten ihnen die weiteren Mitglieder ihrer Exkursion. Es waren ausnahmslos Leute von der Sicherheitscrew.
Die einzige Ausnahme war Shana, die in ihrer Funktion als Chefärztin darauf bestanden hatte, mitzukommen. Die zierliche Andorianerin hatte sich dem Anlass entsprechend in ein gewagtes Lederoutfit geworfen und stierte finster umher. Gleich darauf trat sie neben die beiden Männer. "Nichts zu sehen", erklärte sie, "aber ich habe schon fünf Angebote zum Zweikampf bekommen." Sie rümpfte die Nase.
Andorianer waren als wehrhaft bekannt und sie sah umwerfend aus. Klingonen jedoch sahen sie eher abfällig an. Shana war entschlossen, diese zu ignorieren.
Lakon schaffte es tatsächlich, sie fast in die erste Reihe der Arena zu bringen. Er knurrte beeindruckend, als ein Klingone sie wegstoßen wollte. Für einen Moment knisterte es zwischen den Beiden. Dann schnaubte der Klingone abfällig und ließ den Romulaner in Ruhe. Etienne hatte unmerklich den Atem angehalten. Er hatte keine Lust auf Streit, wo sie schließlich hier waren, um Auseinandersetzungen zu verhindern.
Applaus erscholl und der erste Kampf wurde angekündigt. Etienne ließ seinen Blick über die Reihen der Zuschauer schweifen, besonders die logenartigen Abtrennungen. Überall konnte er finster blickende Klingonenpatriarchen im Kreise ihrer Wächter sehen.
Plötzlich erschollen tiefe, weittragende Rufe. "Kahless", konnte Etienne ausmachen. Immer wieder erscholl der Name des Patriarchen und Gründervater des Klingonischen Reiches. Der Ruf ging durch Mark und Bein und ließ das Blut kochen. Dann war Stille.
Der Zeremonienmeister begann sein Werk. Nur zu gut konnte sich Etienne daran erinnern. Die Ritualworte, die den Bat’lethwettbewerb einleitete. Die raue Stimme, die abgehackten Worte priesen die Kraft, die Stärke und die Ehre. Sie erinnerte auch die Kämpfer an ihr Hiersein.
Nacheinander traten die Kämpfer vor, die sich für den heutigen Wettbewerb qualifiziert hatten. Zuerst natürlich die Klingonen, aber A´kebur schien nicht darunter zu sein. Als die wenigen Außenweltler vortraten, sah Etienne kurz hellblaue Augen unter einer dunklen Kapuze aufblitzen. Aber das war wohl nur ein Trugschluss oder der Wunsch war Vater dieses Eindrucks. Die Gestalt jedoch war eindeutig die eines vulkanischen Kämpfers in traditioneller vulkanischer Wüstenkleidung und Etienne wusste, dass das nur A´kebur sein konnte. Welcher Vulkanier hätte sich sonst in so einen unlogischen Kampf ohne Not und logische Ausrede gestürzt?
"Da ist er", murmelte er zu Lakon.
"Ja, nicht zu übersehen. Der einzige Außenweltler von einer Welt mit friedliche Tradition und Kultur. Die Kapuze soll seine Stirnwülste verdecken, er will nicht erkannt werden." Lakon sah zu Shana. "Haben Sie das Notfallset?", fragte er.
Sie nickte. "Aber ich hoffe, wir werden es nicht brauchen", flüsterte sie und blickte gebannt zu A´kebur hinüber. Per Losverfahren wurden soeben die ersten beiden Kontrahenten ermittelt. Etienne spürte kurz Lakons Blick auf sich. Er war zum Warten verurteilt.
Ganze fünf Tage würde das Ereignis insgesamt dauern. Die erwählten Kämpfer waren in den Kammern der Arena untergebracht, wenn sie nicht auf Qo’noS wohnten. Viele Zuschauer hatten sich in den umliegenden Hotels, Tavernen und Pensionen eingemietet. Andere würden, wie Etienne wusste, in der Arena schlafen, wenn es sein musste.
Als die ersten Kämpfe begannen, ging der Tumult in den Logen los. Es war ein einziger Schrei aus Tausenden Kehlen. Es war beeindruckend und verursachte bei jedem, der dafür empfänglich war, eine Gänsehaut.
Endlich war A´kebur dran. Er kämpfte wie ein Berserker und mehr als einmal drohte die Kapuze herunterzurutschen. A´kebur musste sie aber festgemacht haben, um das zu verhindern. Doch für den Kampf war es wohl noch nicht fest genug. Im nächsten Kampf würde er das abändern müssen.
Der nächste Kampf war schwach. Eigentlich eine Schande für den jungen Mann. Er wich mehr aus, als dass er angriff und wurde daher für seine Feigheit ausgebuht. Die darauffolgenden Kämpfer waren wieder sehr viel besser.
Etienne war sich sicher, dass der junge Klingone sich so schnell nirgendwo mehr sehen lassen brauchte. Dann endlich war wieder A´kebur dran. Es war mittlerweile Abend und die Sonne verfärbte den Himmel.
Noch immer erlaubte die Kapuze keinen guten Blick auf das Gesicht, und vereinzelt tuschelten die Zuschauer über die Identität des unbekannten Kämpfers. Mit tödlicher Eleganz wirbelte A´kebur sein Bat’leth und parierte den ersten Angriff.
Doch sein Gegner war weitaus geschickter und setzte nicht nur die Waffe, sondern seinen ganzen Körper ein, und ehe A´kebur sich versah, wurde ihm das Bein ausgehebelt, so dass er strauchelte. Die Kapuze rutschte ihm vom Kopf, noch ehe er es verhindern konnte.
Etienne hielt den Atem an und klammerte sich an die Brüstung der Arena. Die Zuschauer waren still geworden. Eine erschrockene, geradezu eisige Stille hatte sich ausgebreitet.
A´kebur war gut zu erkennen und die Stirnwülste waren verräterisch eindeutig. Genauso wie die typische Lockenpracht eines Klingonen.
Dass er Mischling war, entging niemandem. A´kebur ließ sich davon jedoch nicht beeindruckend. Er sprang wieder auf die Beine und ging zum Gegenangriff über. Der Klingone knurrte und beleidigte ihn. Aber A´kebur interessierte das reichlich wenig. Er verletzte ihn. Sein Sieg war jedoch, als er ihm das Bat’leth aus den Händen schlug.
Augenblicklich erhob sich unwilliges Knurren aus den Zuschauerreihen. Auch die noch wartenden Duellanten hoben drohend ihre Waffen und gaben Ausdrücke von sich, von denen "Bastard" noch der freundlichste war. Offenbar glaubten sie, einen Romulanermischling vor sich zu haben; über einen Halbmenschen oder Halbvulkanier hätten sie sich nicht so aufgeregt. Der Schiedsrichter schien nicht geneigt, dem Treiben Einhalt zu gebieten.
"Wir müssen was tun!", zischte Etienne und tastete nach seiner Waffe, die er aufgrund der Bewährungsauflagen schon seit Jahren nicht mehr trug.
"Es passiert nichts", erklärte Lakon. "Der Schiedsrichter wird niemanden aufs Feld lassen. Da, er erklärt ihn zum Sieger." Tatsächlich geschah das. Der Schiedsrichter trat damit zwar eine Welle der Abneigung los, aber ein noch archaischer klingendes Wort, als sich Klingonisch sowieso schon anhörte, brachte das Publikum zum Schweigen. "Er hat "Ehre und Ruhm" gesagt. Das war es, was Kahless forderte. Wer den Kampf gewinnt, dem steht dies zu", erklärte Lakon. Erst jetzt sah er Etienne an.
Dieser war noch nicht beruhigt. "Sobald A´kebur aus der Arena ist, wird es losgehen, garantiert. Wir sollten zum Ausgang des Kampfplatzes." Ohne eine Antwort abzuwarten, drängelte sich Etienne an Lakon vorbei.
Dieser hielt ihn jedoch unmissverständlich fest. Wie ein Schraubstock schlossen sich die Finger um Etiennes Schulter. "Sie werden hierbleiben. Wenn nicht, gehen Sie wieder zurück an Bord!"
"Dann kommen Sie gefälligst mit!" Etienne hielt es für unter seiner Würde, in Lakons Griff zu zappeln, aber seine Stimme klang tödlich entschlossen.
Lakon griff nach seinem Kommunikator. Doch ehe er hineinsprechen konnte, hatte Etienne ihm das Ding aus der Hand geschlagen und es aufgefangen. "Den Sternenflottenkommunikator wird man hier sofort erkennen. Ich bitte Sie, Captain, lassen Sie das. Wir sind hier, um A´kebur zu helfen und nicht, um uns zu streiten. Ich darf nichts tun, also gehen Sie etwas machen, Sie stures Spitzohr! Bei Wasser und Brot einsperren und Auspeitschen können Sie mich hinterher immer noch!"
"Das werde ich tun, Mr. Duval. Ich habe Ihr Versprechen." Lakon sah zur Arena. A´kebur verließ sie und hatte die Zähne gebleckt. Als er sein Bat’leth hob und seine Herausforderung in das Publikum schrie, antwortete es. Dann folgte der Ruf nach Kahless. "Sie greifen ihn nicht an. Sie haben ihn anerkannt", erklärte Lakon.
Etienne sah ebenfalls wieder zur Arena. Die Rufe waren wirklich unmissverständlich: Das Blatt hatte sich zu A´keburs Gunsten gewendet. Offenbar war der vielgerühmte Ehrenkodex der Klingonen angesichts von Stärke größer als ihr Abscheu vor schwachen Mischlingen. Einer der Patriarchen in der Loge erhob sich. Etienne sah es nur aus den Augenwinkeln, aber er gab wohl einen Wink an einen seiner Gefolgsmänner. Lakon sah es auch. "Jetzt werden wir gehen", murmelte er. "Aber wir werden ihm folgen", und deutete dabei auf den Patriarchen
Etienne nickte. Langsam bahnten sie sich ihren Weg zum Ausgang der Arena. A´kebur hatte seinem Kontrahenten sowie dem Schiedsrichter zugenickt und machte sich ebenfalls daran zu gehen. Etienne und Lakon konnten sehen, wie der Gefolgsmann des Patriarchen ihn am Ausgang abfing und grüßte.
A´keburs Blick war ausdruckslos. Er ballte seine Hand und erwies dem Mann seinen Respekt. Dieser jedoch grollte und bellte ihn an. Noch kürzer und abgehackter kamen die harten Worte des Klingonen über dessen Lippen, als das sonst sowieso schon der Fall war.
"Es ist mein Recht", knurrte A´kebur zurück. "Ich bin nicht mehr sein Sohn, also kann ich auch als Außenweltler in die Arena treten. Wenn er es verhindern will, dann soll er gegen mich antreten!"
Die Antwort des anderen bekamen Lakon und Etienne nicht mit, aber da er sich abwandte, schien er seinem Herrn die Nachricht überbringen zu wollen. Nun, jetzt wussten sie zumindest, wer Ghors war. Kurz fragte Etienne sich, ob Lakon trotz seiner kühlen, nüchternen Fassade nicht innerlich kochte. Das war immerhin der Mann, der seine Schwester jahrelang gefangengehalten hatte.
Aber Lakon verzog keine Miene. Dafür jedoch sah er starr auf A´kebur und Etienne begriff erst einen Moment später, warum. A´kebur hatte sie erkannt. Statt jedoch auf sie zuzukommen, wandte er sich ab und verschwand in der Menge. Für Sekundenbruchteile hatte Etienne die vertraute Berührung seines Seelengefährten gespürt, aber diese Tür zwischen ihnen war blitzschnell wieder zugeschlagen worden.
Offenbar war das hier eine Welt, die A´kebur nicht teilen wollte. Etienne brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass der bittere Geschmack in seinem Mund Enttäuschung war.
"Deshalb wollte ich nicht, dass er uns sieht", murmelte Lakon. "Hier muss er bestehen und er will es allein." Lakon drehte sich zu Etienne. "Der Wettkampf ist für heute beendet. Morgen geht es weiter. Es wird ein riesiges Gelage geben."
"Und was tun wir jetzt? Zum Schiff zurück?", wollte Etienne wissen, obwohl ihm der Gedanke an eine weitere Nacht allein in seiner Kabine plötzlich scheußlich vorkam.
"Ja, das hatte ich vor. Zwei Sicherheitsoffiziere und die Anthropologen werden hierbleiben. Ich schätze jedoch, dass heute nichts mehr passiert."
Ein blaues, in Leder gehülltes Etwas drängte sich neben die beiden. "Mir gefällt das alles nicht", gab Shana kund, "sollen wir A´kebur wirklich hier allein lassen?"
"Wollen Sie zu ihm, Dr. Shana?", stellte Lakon die Gegenfrage.
"Genau das wollte ich zum Ausdruck bringen, Captain", erwiderte sie. "Habe ich Ihre Erlaubnis? Ich bleibe auch inkognito."
Etienne wusste, dass es keinen Sinn hatte zufragen. Er würde sonst garantiert unter Gewalt an Bord geschleppt werden.
"Bleiben Sie bei ihm! Vielleicht redet er mit Ihnen." Lakon griff in seinen Gürtel und holte einen Dolch hervor. "Das hier gehört ihm. Er soll ehrvoll kämpfen", sagte Lakon Shana.
Die Andorianerin nahm die kostbare, vulkanische Waffe entgegen und nickte. "Aye, Sir. Ich werde Bericht erstatten."
Sie klopfte Etienne zum Abschied kurz auf den Arm und verschwand dann in der Menge. Selten hatte Etienne jemanden so beneidet wie Shana in diesem Augenblick. Aber er zwang sich, nicht daran zu denken. Er würde A´kebur bald wieder haben. Hoffentlich.
Shana machte sich auf den Weg, um A´kebur so schnell wie möglich den Dolch zu bringen. Sie wusste, dass das praktisch der Segen für diesen Kampf war, den seine vulkanische Familie ihm damit gab. Shana vermutete, dass A´kebur damit rechnete, dass man sein unlogisches Verhalten verurteilte. Offensichtlich war dem nicht so.
Shana wusste, dass in der vulkanischen Tradition eine ganze Menge von unlogischen Regeln in der Erinnerung der Vulkanier erhalten geblieben waren und diese zum Teil sogar auch ohne ein Augenbrauenheben gepflegt wurden. Nicht alle, dennoch waren es eine ganze Menge. Doch selbst wenn eine Tradition nicht mehr verfolgt und gepflegt wurde: Unbekannt waren sie ihnen jedoch kaum. A´keburs Anspruch, Anerkennung im Kampf zu finden, durfte Lakon also nicht fremd sein. Und genau dies übermittelte Shana nun mit diesem Dolch.
Sie beeilte sich, ihn nicht aus den Augen zu verlieren, aber allzu eilig schien es A´kebur auch nicht zu haben. Die Umherstehenden wichen ihm sogar teils respektvoll aus und ließen ihn vorbei. Shana fragte sich gerade, wo er überhaupt hinwollte, als A´kebur an einem der Verkaufsstände stehen blieb, die von Essensduft umweht waren. Shana konnte nicht behaupten, dass das nun auch ihren Geschmack traf, aber jedem das Seine. Sie trat wie beiläufig näher. "Hey, lange nicht gesehen."
A´kebur zog das lebendige Gewusel zwischen seinen Zähnen in den Mund und kaute. Er sah Shana dabei an. Aber erst als er schluckte, brummte er unbestimmt. Gut erzogen war er wohl genug, um nicht mit vollem Mund das Äquivalent einer Begrüßung von sich zu geben.
"Der Kampf war absolut beeindruckend", plauderte Shana unbefangen weiter, "Schade, dass es so schnell vorbei war. Du hast uns doch gesehen, oder?" Der letzte Satz trug einen gewissen scharfen Unterton, der unausgesprochen noch hinzufügte: Einfach wegrennen ist kein Benehmen, besonders, nachdem wir uns alle so lange nicht gesehen haben!
A´kebur kaute weiter und zog seine Augenbrauen gewittrig zusammen. "Ich wollte euch nicht sehen", brummte er. "Mein Vater hat mir zu verstehen gegeben, dass er solchen Abschaum wie mich nicht zu sehen wünscht. Ich soll mich vom Wettkampf zurückziehen. Ich brauche dafür keine Zeugen."
"Na und? Beeindruckt dich das? Und nur, weil er dich nicht sehen will, musst du uns doch nicht meiden. Komische Logik." Shana stemmte die Arme in die Hüften und sah ihn finster an. "Dabei habe ich was für dich. Ob du's verdient hast, muss ich mir noch schwer überlegen."
"Mein Vater hält mich für einen Schwächling. Wenn ich das hier nicht allein durchstehe, dann verliere ich das letzte bisschen meines Namens, das ich noch habe. Dann wird er aus dem Buch der Familie gestrichen und ich habe nie existiert." A´kebur nahm sich eine nächste Portion. Dann erinnerte er sich, dass Shana von etwas sprach, dass sich wie Geschenk anhörte. Er sah sie fragend an.
Sie ließ ihn noch einen Augenblick zappeln, dann zog sie den Dolch aus ihrem Ausschnitt; den einzigen Ort, an dem noch genug Platz dafür war. Prompt erntete sie Pfiffe und ähnliche Äquivalente anderer Kulturen von allen Seiten.
"Hier. Von deinem Onkel. Du sollst die Ehre hochhalten."
A´kebur sah den Dolch stumm an. Kurz senkte er beschämt den Kopf. "Danke", murmelte er. Er ließ Essen Essen sein und nahm Shana vorsichtig den Dolch ab. Er wusste, dass er eine Kostbarkeit in Händen hielt und er spürte, dass dieser Dolch nicht nur ein Schmuckstück war. Sicher hatte er schon mehr als einmal Blut geschmeckt.
Angesichts A´keburs Gesichtsausdruck war Shana wieder versöhnt. Kurz stellte sie sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. "Und das ist von Etienne", erklärte sie leise.
A´keburs Gesichtsausdruck war göttlich zu benennen. Shana konnte grüne Schatten erkennen. Die blauen Augen blickten etwas nervös in die Runde. Aber außer ein paar neidischen Gesichtern und lautem Gejohle gab es keine weiteren Kommentare. Es gab nur ein paar Klingonen, die Shana etwas abschätzend betrachteten und allein durch Mustern herauszufinden versuchten, inwieweit diese Frau an den Kampffähigkeiten einer Klingonin kam. Hübsch und gefährlich genug sah sie ja aus.
Die kleine Andorianerin grinste wie ein Honigkuchenpferd. "Jedenfalls wird auf dich gewartet, da solltest du nicht allzu ewig zögern", setzte sie noch hinzu.
"Lakon wird mich nicht hindern. Was ist aber mit Etienne?", fragte A´kebur sie.
"Lakon hat ihm regelrecht gedroht, aber wer weiß, was ihm noch einfällt", erwiderte sie, "ich würde mit allem rechnen. Er will dich sicher nicht abhalten, deine Ehre zu gewinnen, aber wenn er dich in ernsthafter Gefahr weiß, wird er da sein."
"Er soll sich zurückhalten. Ich bin nicht mehr in Gefahr als sonst auch. Außerdem: Er ist der Mensch. Er soll seinen Arsch hinter Lakon halten", knurrte A´kebur.
Shana verkniff sich sämtliche Kommentare, die ihr in Bezug auf Etiennes Hinterteil einfallen könnten und nickte. "Ich wollte dich nur warnen. Geh bitte keine unnötigen Risiken ein, dass ist für uns alle einfacher."
"Ja, Mama!", knurrte A´kebur, schnappte sich sein Essen und stapfte davon. Er hatte genau wegen dieser Ermahnungen niemandem etwas gesagt. Er wollte das hier allein erledigen. Er brauchte keine Zeugen.
Shana grinste ihm hinterher und ließ ihn ziehen. Sie war wirklich nicht sein Kindermädchen, und den Dolch hatte sie ja überbracht. Der Rest würde sich schon ergeben.
Etienne war im Allgemeinen ein sehr toleranter Mensch, sah man einmal von seinem Umgang mit Ferengi und Leuten ab, die ihn umbringen wollten, aber in diesem Moment verfluchte er die Vulkanier. Oder zumindest einen ganz besonders. Was fiel Captain Lakon eigentlich ein, seine Drohung wahrzumachen und Etienne nicht mehr auf den Planeten hinunterzulassen? Es war nicht auszuhalten. Da war er so dicht an A´kebur und konnte ihm trotzdem weder helfen, noch geschweige denn ihn sehen.
"Ich werde mich nicht wiederholen", sagte Captain Lakon, "Sie werden nicht mehr während der Wettkampftage Ihre Kabine verlassen. Sie stehen unter Arrest. Den Wettkampf können Sie sich über Ihr Terminal ansehen."
"Ach, und was soll das nützen? Wozu durfte ich überhaupt mit, wenn Sie mich hier bloß zappeln lassen? Ich weiß, ich bin nicht in der Position, was zu verlangen, aber Sie sind unfair, Sir!", knurrte Etienne, "Können Sie sich nicht mal für drei Sekunden in meine Lage versetzen? Nein, was frage ich auch." Ihm war kaum bewusst, wie nörgelig er klang.
Doch die hochgezogene Augenbraue des Captains brachte ihn auf die vage Idee. "Sie hatten Ihr Versprechen gegeben. Jetzt nehme ich Sie beim Wort. Bei Wasser und Brot und Peitsche. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt."
Etienne zog ebenfalls eine Augenbraue hoch. "Ihnen war klar, dass das eine Redensart war? Ich vermute mal, Starfleetregulationen verbieten das."
"Ja, aber nicht den Arrest, wenn die Sicherheit berührt ist. Mr. Duval?" Lakon verabschiedete sich.
Kaum war er aus dem Raum, bedachte Etienne ihn mit diversen unhöflichen Namen in gut drei Dutzend Sprachen und noch ein paar Dialekten, von denen ihm nicht einmal bewusst war, dass er sie sprach. Jetzt saß er hier fest und konnte Däumchen drehen.
Shana brauchte etwas, ehe sie sich ungesehen von Qo’noS verabschieden konnte. Wieder an Bord der Sovk ließ sie sich von Lakon darüber informieren, dass Etienne in seiner Kabine schmorte. Das hatte er davon, dachte sie sich. Sie zog sich um und machte sich mit einer extragroßen Flasche Ale auf den Weg in Etiennes Quartier. Ihr sicherer Instinkt sagte ihr, dass Etienne ganz sicher gerade sein Kissen in kleine Fetzen rupfte, weil er nicht bei A´kebur sein konnte. "Männer", murmelte sie. Die zwei benahmen sich wirklich wie die Kleinkinder.
Ein schlechtgelauntes "Herein" begrüßte sie. Etienne nahm sein Kissen zwar nicht auseinander, aber eine Gewitterwolke schien geradezu über seinem Kopf zu schweben. "Bringen Sie mir das Wasser und Brot?", wollte er wissen.
Shana sah sich kurz um, als wollte sie wissen, ob sie mit dieser Begrüßung gemeint war. "Nein, ich bringe Ale. Ist das genehm?"
"Sie sind wie immer ein rettender Engel." Etiennes Miene hellte sich gleich ein bisschen auf. "Kommen Sie rein! Vermutlich finden Sie die ganze Geschichte ziemlich lächerlich, oder? Ist sie auch, und ich würde drüber lachen, wenn ich nicht so ärgerlich wäre."
"Ärgerlich ist untertrieben. Ich habe das Gefühl, es hier mit zwei verliebten Pennälern zu tun zu haben. Pennäler ist doch richtig? Jugendliche, Kinder, die zur Schule gehen und gerade in die hormonelle Umstellung kommen. Absolut verantwortungslos, ich-bezogen und irrational." Shana setzte sich auf den einzigen Stuhl in Etiennes Kabine und öffnete die Flasche.
Etienne lächelte etwas schief. "Kann gut sein, dass wir Männer aus dieser Phase nie ganz herauskommen. Tatsache ist, ich vermisse A´kebur und ich hatte einfach ein ungutes Gefühl bei dieser ganzen Sache hier. Und Ihr bezaubernder Captain liebt es offenbar, seine Macht zu demonstrieren, indem er mich wegsperrt als erzieherische Maßnahme."
"Mein Captain?", wiederholte Shana wenig erbaut.
"Captain Lakon eben. Der Kerl macht mich noch wahnsinnig." Etienne fuhr sich mit der Hand durch die Haare und verstrubbelte sie. "Ich weiß, die Bewährungsauflagen und all das. Und A´kebur kann auf sich selbst aufpassen. Aber, ach, verdammt." Er nahm Shana ein Glas Ale aus der Hand und nahm einen großen Schluck.
Sie goss ihm nach und nickte bedächtig. "Er ist nicht MEIN Captain. Er ist der Captain, Etienne. Und du warst es, der sich nicht benehmen konnte. Reiß dich zusammen. Weder du noch A´kebur scheinen im Moment zu wissen, wem sie hier Respekt und Loyalität schulden."
"Schulde ich wirklich irgendwem was? Es gab mal Zeiten, da war ich niemandem etwas schuldig. Ich war frei, zu gehen wohin ich wollte und zu tun und zu sagen, was ich wollte. Es waren schwierige und gefährliche Zeiten, und ich habe eine Menge Dinge getan, auf die ich vielleicht nicht sonderlich stolz bin. Aber ich gehörte mir. Nur mir allein." Etienne trank das Glas in einem Zug leer.
"Diese Zeiten sind vorbei", schloss Shana unerbittlich. "Du bist das Mitglied einer Familie, du bist der Gefährte eines Mannes. Du bist das Mitglied eines Teams, welches sich jetzt irgendwo auf einem Planeten befindet. Du bist Mitglied dieser Crew, solange du dich hier befindest. Du bist mein Freund. Das ist viel. Aber es macht dich in vielen anderen Dingen freier als du es vorher warst. Mag sein, dass du das nicht so siehst. Aber es ist so."
Etienne sah auf. "Kann sein, dass du recht hast. Aber im Augenblick fühle ich mich bloß eingezwängt. Denkst du, es macht mir Spaß, mich mit dem Captain anzulegen? Ich hatte genug Ärger, dass es für ein ganzes Leben reicht. Ich will nicht noch mehr. Aber ich hasse es, überhaupt nichts tun zu können."
"Ach, und was willst du tun?", fragte Shana etwas verärgert. "A´kebur auf Schiff schleppen und ihn in einen Elfenbeinturm sperren, dass er niemals mehr darüber nachdenkt, wer ihn beleidigen könnte, wer ihm den Respekt verweigert? Dass er immer nur noch fröhlich ist? Damit kriegst du ihn nicht ruhig. Er ist Klingone! Kein Kuscheltier."
"Ich weiß! Und ich bin ein Mensch, verdammt! Wir sind nun mal weder logisch noch praktisch veranlagt! Ich will A´kebur auch nicht wegsperren! Aber was, wenn …" Etiennes Stimme sackte zu einem Flüstern, als begreife er selbst gerade erst, was er da sagte: "Was, wenn das Band zwischen uns und die Sehnsucht nicht genug ist? Wenn einfach doch zuviel zwischen uns liegt? Das ganze letzte Jahr haben wir immer wieder in Kontakt gestanden, aber jetzt, wo wir uns endlich wiedersehen können, geht er. Ich weiß, seine Ehre ist für ihn wichtiger als alles andere, die Anerkennung von Leuten, die es gar nicht wert sind, dass er sich um sie bemüht. Und dann bin ich hier, und verlange nichts, und trotzdem ..."
"Du verlangst nichts? Du verlangst, dass er mit dir kommt!", stellte Shana unerbittlich klar. "Und das mit dem was zwischen euch ist: Nun, das könnt nur ihr beiden euch klarmachen. A´kebur liebt dich. Aber alle Details könnt nur ihr beiden zusammen klären."
"Sag ihm das mal." Etienne klang plötzlich sehr müde. "Mehr als sieben verdammte Jahre, und trotz allem kann ich mir nicht sicher sein. Mag ja sein, dass du recht hast. Aber solange ich es nicht von ihm selber weiß. Ich bin so blöd, entschuldige. Schenk mir noch was nach." Er hielt ihr sein Glas hin.
"Er hat dir nie gesagt, dass er dich liebt?", fragte Shana einigermaßen verblüfft. Sie vergaß darüber sogar, dass sie eingießen sollte.
Etienne schüttelte den Kopf. "Kein Wort."
Shana bekam ihren Mund nicht mehr zu. Dann schüttelte sie fassungslos den Kopf. "Okay, das muss ich nicht verstehen. Männer. Verstehe einer die Männer."
"Tröste dich, die verstehen sich ja nicht mal selber." Etienne nahm Shana kurzerhand die Flasche ab und goss Ale nach.
Sie schaute ihn schräg an. "Na, wenn du meinst. Aber so kommt ihr beide nicht sonderlich weit, oder? Sag, wenn ich das falsch sehe! A´kebur redet nicht. Du redest nicht. Keiner spricht hier Klartext. Kein Wunder, dass du frustriert bist. Abhängig von ihm und doch weißt du nicht wirklich, woran du eigentlich bist."
"Ich und nicht reden? Das halte ich für ein Gerücht! Aber ob er zuhört, ist die ganz andere Frage. Ist ja nicht so, als hätte ich ihm nie die Pistole auf die Brust gesetzt. Aber A´kebur hat ein Talent dafür, in solchen Momenten auszuweichen oder mich abzulenken, dass ich nicht mehr dran denke."
"Wirklich? Er sollte Diplomat werden", murmelte Shana mehr für sich.
Etienne zog die Augenbrauen hoch. "Dass er die Methoden bei wem anders anwendet, dagegen hätte ich allerdings was. Apropos wer anders: Vielleicht sollte ich ihn einfach mal eifersüchtig machen. Obwohl, das könnte schmerzhaft enden." Er starrte in sein Glas.
Shana gluckste. "Er wird dich töten. Wenn du Glück hast, ziemlich schnell. Sadistisch ist er zum Glück nicht veranlagt. Du kannst nur hoffen, dass er gut trifft."
"Tolle Aussichten sind das. Aber naja, sollte ich jemals die Nase voll haben von allem, weiß ich ja was ich tue." Mit einem Zug leerte Etienne sein Glas.
"Einen anderen Mann anlachen und dafür sorgen, dass es A´kebur sieht?"
"Yep. A´keburs Gesichtsausdruck wäre sicher was für dein Fotoalbum. Obwohl ich mir das auch nur mit einem 2-Meter-Muskelpaket erlauben dürfte, sonst wäre der auch hinüber." Etienne lächelte schief.
Shana schüttelte den Kopf. "Hör mal zu: Sag ihm, was du willst, aber stell klar, was du willst. Ich weiß nicht. So ein ähnliches Gespräch habe ich mit A´kebur schon einmal geführt. Es ging um Gleichberechtigung. Eigentlich führt ihr keine Partnerschaft. Ihr habt Sex und seid zufällig miteinander verbunden. Macht daraus endlich eine Beziehung, sonst schlägt dich A´kebur zu Brei, weil du dich tatsächlich dazu entschließt, ihn eifersüchtig zu machen. Bis das der Tod euch scheidet!"
"Und wie soll ich ihm das klarmachen? Du kennst ihn doch; es gibt Konzepte, die einfach nicht in seinen Kopf wollen. Ich bilde mir ein, in all der Zeit schon einiges in der Richtung erreicht zu haben, aber wie man es auch dreht und wendet, wir leben nicht nur in zwei, sondern drei unterschiedlichen Welten. Ich weiß nicht, ob so etwas wie eine Beziehung nach meinen und deinen Maßstäben überhaupt möglich ist. Ist ja nicht so, dass wir eine Familie gründen könnten."
Shana zog eine Augenbraue hoch. "Nein? Wie schade!"
"Verdammt, Shana, was soll ich machen?", verlor Etienne die Geduld, "Ich sitze hier ziemlich hilflos und das ist so ziemlich das, was ich am meisten hasse!"
"Keine Ahnung. Ich werde dir keinen Rat geben. Da kann ich nichts machen. Sauf dir einen an!", sagte sie und erhob sich. "Sex, Sex, Sex. Eigentlich sollte ich mich nicht wundern, dass Männer nur daran denken und dann bemerken, dass es irgendwie nicht reicht."
"Ein wahres Wort gelassen ausgesprochen. Lass mir die Flasche da und ich sehe, was ich tun kann. Trotzdem danke." Etienne lehnte sich im Sessel zurück und seufzte uncharakteristisch. Shana sah ihn mitleidig an und ging dann aber, ohne sich zu verabschieden. Sie schlich sich zu Lakon. Durchaus möglich, dass der Captain schon schlief. Als sie jedoch klingelte, öffnete er ihr.
"Was gibt es, Dr. Shana?", fragte er. Lakon trug ein Meditationsgewand und sein Zimmer war mit Kerzen beleuchtet.
"A´kebur und Etienne!", fasste Shana zusammen.
"Kommen Sie doch herein", Lakon trat zur Seite, "Ich nehme an, keiner von beiden ist mit der momentanen Situation zufrieden."
Shana trat ein. "Ach, wie kommen Sie darauf?", murmelte sie. "Also, A´kebur hat den Dolch. Er war beeindruckt. Etienne besäuft sich in seinem Quartier und hiermit habe ich Bericht erstattet."
Lakon zog die Augenbraue hoch. "Faszinierend. Ich fürchte nur, ich kann Mr. Duval nicht verbieten, sich übermäßig dem Alkohol hinzugeben, solange er keinen langfristigen Schaden nimmt. Und da A´kebur offiziell um Erlaubnis für die Teilnahme an den Wettkämpfen gebeten und ich ihm zudem mein Wohlwollen ausgedrückt habe, kann ich auch hier kein Verbot aussprechen."
"Das wäre auch keine Lösung, Captain. Das müssen sie unter sich ausmachen!"
"In dem Fall ist es auch nicht unser Problem, Doktor", erklärte Lakon, "die beiden sind erwachsen."
Shana bezweifelte es. Aber sie sagte nichts dazu. "Dann werden wir uns morgen die nächsten Kämpfe anschauen. Auf zum fröhlichen Gemetzel."
"Sie klingen sarkastisch, Doktor. Für andere Vorschläge bin ich immer offen." Lakon legte die Fingerspitzen aufeinander und sah sie abwartend an.
Shana senkte den Kopf. "Ehrlich gesagt, habe ich keinen Vorschlag. Wie Sie schon sagten, die beiden sind erwachsen. Das müssen sie unter sich ausmachen. Wir sorgen nur dafür, dass hier kein Gemetzel von unvermuteter Seite ausbricht. Alles schön nach den Regeln dieses Wettkampfes.“
"Das scheint mir eine angemessene Zusammenfassung der Situation zu sein. Das ist aber nicht der Hauptgrund, warum Sie hergekommen sind, oder? Sie hätten mich auch per Intercom benachrichtigen können."
Shana grimassierte. "Ich bin ganz ehrlich völlig ratlos. Es tut weh, sie so zu sehen", gestand sie. "Wie kann man nur so ignorant sein? Der eine wie der andere. Jeder auf seine Art benimmt sich irgendwie wie ein Tkrah. Das ist so ein großes Tier, das nicht hinschaut, wohin es tritt."
Ein Lächeln schien in Lakons hellen Augen aufzublitzen. "Ein adäquater Vergleich. Aber wir sollten etwas Vertrauen haben. Sie werden sicher zueinander finden. Charaktere, wie die ihren, brauchen wohl ihre Zeit, sich über sich selbst und andere klarzuwerden. Und wenn sie zu uns damit kommen, können wir ihnen auch nur einen guten Rat geben, mehr nicht."
"Wenn ich den mal hätte", murmelte Shana kleinlaut. "Ich werde wohl eher meinen Vorrat an Ale auffüllen müssen."
"Nun, wenn es hilft, ich habe auch da volles Vertrauen in Sie, Shana." Lakon lächelte ganz kurz. "Sie sollten sich nun auch ausruhen."
Shana ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie suchte ihr Quartier auf und hoffte, dass es A´kebur einigermaßen gut ging. Auf dem Planeten nahe seiner Familie, die ihn verabscheute, war es sich nicht gar so gemütlich.
Am nächsten Tag wohnte sie mit Lakon wieder den Kämpfen bei. Die Anthropologen amüsierten sich prächtig, so wie sich Wissenschaftler amüsierten, wenn ihnen eine Chance geboten wurde, etwas äußerst Interessantes zu untersuchen.
Die nächsten drei Tage änderte sich auch nicht sehr viel daran. Am fünften Tag des Wettkampfes kochte die Stimmung hoch und die menschlichen Beobachter mussten zusehen, dass sie dabei nicht untergingen. A´kebur war noch immer im Rennen und mittlerweile räumte man ihm die eine oder andere Chance ein. Aber auch an ihm zerrten die aufreibenden Kämpfe. Lakon hatte Etienne wieder das Versprechen abgenommen, dass er sich an ihn hielt und nicht einfach in die Arena lief, um A´kebur zu retten. Dementsprechend durfte er zusehen, wirkte aber nicht sonderlich glücklich dabei. Es war nicht nur die Sorge um A´kebur, sondern mehr und mehr das Gefühl, ihm glitte da etwas aus den Händen.
Shana stand direkt neben ihm, so dass ihr nicht entging, wie Etienne ein ums andere Mal die Fäuste ballte.
"Zieh ihm nachher die Ohren lang", flüsterte sie ihm zu.
Etienne sah zu ihr hinunter. "Wenn ich überhaupt nah genug an ihn herankomme."
"Das liegt in deinen Händen!"
"Schon vergessen, dass der Captain meine Leine kurzhält?"
Shana grinste. "Nur bis der Kampf beendet ist. Der Rest ist privat zwischen euch beiden. Er hat damit nichts zu tun. Das hier ist eine Familienangelegenheit der besonderen Art. A´kebur soll für seine Ehre kämpfen, wenn er meint, dass das notwendig ist. Ein unlogisches Wesen kann nicht ohne."
"Auf deine Verantwortung, Shana." Etienne sah wieder zur Arena. "Ich habe nämlich auf vor, mich reichlich unlogisch und emotional zu benehmen."
Shana wusste nicht, ob sie darüber lachen oder besorgt sein sollte. Aber sie sagte nichts mehr. Während sie schweigend Zeugen waren, geschah das Unglaubliche: Der Außenweltler und Außenseiter kam unter die Finalisten.
Die letzten Kämpfer würden gegeneinander kämpfen und unter sich die ersten drei Plätze ausmachen. A´kebur war unter ihnen. Und sein Bruder. Beide sahen sie sich nicht an.
Lakon informierte Etienne darüber, dass A´keburs Halbbruder mit unter den Finalisten war. Zuerst konnte Etienne das kaum glauben. Morgrq, Sohn von Ghors, schien so gar nichts mit A´kebur gemeinsam zu haben. Er war groß selbst für einen Klingonen und so stämmig, dass A´kebur neben ihm beinahe zierlich wirkte. Das Gesicht war unter tiefhängenden Augenbrauen und dem Bart kaum zu erkennen, aber die dunklen Augen funkelten verschlagen. Obwohl die Zuschauer inzwischen offen ihre Sympathie für A´kebur bekundeten, sprühte Morgrq förmlich vor Kampfeslust. Etienne gefiel das Ganze überhaupt nicht.
Lakon blieb aber, wo er war. Nichts zeigte, was er über diese Situation dachte. Der Wettkampfrichter leitete die nächste Runde ein.
A´kebur kämpfte als erstes. Aber nicht gegen seinen Bruder, sondern gegen den anderen Favoriten. Er gewann mit Mühe den Kampf und erntete dafür das anerkennende Gebrüll des Publikums. A´kebur atmete sichtlich schwerer. Aber er hielt das Bat’leth triumphierend in die Höhe. Der nächste Kampf war der mit seinem Bruder und dem Verlierer seines Kampfes.
Viel Zeit zum Ausruhen blieb jedenfalls nicht, denn Morgrq gewann den nächsten Kampf mit erschreckender Mühelosigkeit. Schon winkte der Schiedsrichter A´kebur, ebenfalls wieder Stellung zu beziehen. Kaum war das Signal zum Kampf gegeben, hatte sich Morgrq auch schon auf seinen Halbbruder gestürzt. Er war überraschend wendig für seine Körpergröße, verfehlte A´kebur aber knapp. Das Publikum hielt den Atem an.
A´kebur nutzte jedoch Morgrqs Schwung und versetzte ihm einen Schlag, den dieser taumeln ließ. A´kebur wusste, dass er nur diese Chance hatte, um jemals die Anerkennung seiner Familie zu bekommen. Er kämpfte und gab alles.
Sein Bruder war ihm jedoch an Kraft, wenn auch nicht an Wendigkeit, überlegen. Morgrq traf ihn in einem schwachen Moment und gewann den Kampf für sich. Außer Atem blickte er ihn an. Seine Augen waren kaum unter den buschigen Augenbrauen zu sehen. Er bleckte seine Zähne und grinste breit. "Gut gemacht, kleiner Bruder", knurrte er und lachte. "So einen Kampf hatte ich schon lange nicht mehr."
Als war dies das Zeichen gewesen, brach das Publikum in donnernden Applaus aus, der gleichermaßen den beiden exzellenten Kämpfern geschuldet war. Auch Ghors hatte sich erhoben und klopfte auf die Brüstung seiner Loge. Sein Blick, das sah Etienne deutlich, ruhte geradezu wohlwollend auf A´kebur.
"Mag sein, dass er nicht den ersten Platz hat. Aber er hat den zweiten Platz nach einem großartigen Kämpfer eingenommen und damit auch einen Platz an der Seite seines Vaters", stellte Lakon gewohnt sachlich fest. Dass er dabei äußerst zufrieden wirkte, übergingen sowohl Shana als auch Etienne. Die beiden waren jedenfalls erleichtert.
Unter nicht enden wollendem Applaus holte der Schiedsrichter die Pokale und überreichte sie den drei besten Kämpfern feierlich. "Ewiger Ruhm sei Kahless!", verkündete er laut, und die Kämpfer stimmten in den Ruf ein.
"Damit ist der offizielle Teil beendet", erklärte Etienne und wandte sich an Lakon, "Sir, habe ich die Erlaubnis, noch hierzubleiben?"
"Die haben Sie. Seien Sie aber vorsichtig. Sie sind kein Mitglied dieser Familie. Man könnte Ihre Intension missverstehen", warnte Lakon.
"Keine Sorge, ich bin vorsichtig. Außerdem habe ich ja für Notfälle einen Kommunikator dabei. Bis nachher." Etienne lächelte Shana an und verschwand dann in der Menge. Sie sah ihm kurz nach. "Ich glaube, ich würde nicht in A´keburs Haut stecken wollen", murmelte sie.
Lakon hob nur stumm eine Augenbraue. "Wir sollten die Wissenschaftler aufsuchen und zurück an Bord bringen. Eventuell werden wir sie auch begleiten müssen, sollten sie an den hier stattfindenden Feiern teilnehmen wollen."
Sie nickte. "Wer weiß, was die anstellen würden. Die brauchen noch nötiger einen Babysitter als Etienne, wenn Sie mich fragen, Sir."
Dieser hatte sich inzwischen bereits durch die jubelnden Zuschauer gekämpft und war am Arenaausgang angekommen; Morgrq und A´kebur wurden dort gleichermaßen belagert.
Lakon ging mit Shana an ihnen vorbei.
Er sah dabei A´kebur nur kurz an, dann waren sie an ihnen vorbei. Etienne konnte er nicht bei ihnen entdecken. Das galt gleichermaßen für die Wissenschaftler. Derweil wurde A´kebur bestimmt von seinem Halbbruder aus der Umarmung der Massen gerissen und zu seinem Vater geschliffen. Ghors bleckte seine Zähne. "Du hast uns Ehre gemacht", grüßte er A´kebur. Beide wussten sie, dass er ohne zu zögern ihm vor die Füße gespuckt hätte, sofern A´kebur es sich getraut hätte, nach einer Niederlage bei ihm aufzutauchen. Um das der Familie zu ersparen, hatte A´kebur auch aus dem Wettkampf gedrängt werden sollen. Doch nun hatte sich alles zum Guten gewandelt.
A´kebur ballte seine Hand zur Faust und nahm die Worte mit einem Schlag auf seine Brust entgegen.
Ghors und Morgrq antworteten ihm in gleicher Weise. "Wir werden diesen Anlass gebührend feiern", verkündete der Patriarch, "Heute ist unsere Familie zu viel Ruhm gelangt."
"Komm, kleiner Bruder, lass uns trinken!" Morgrq schlug A´kebur auf den Rücken.
A´kebur knurrte seine Zustimmung. Trotz seines Triumphes jedoch konnte er sich nicht wirklich freuen. Es war nicht vollkommen und er wusste, dass es das nicht war. Seltsamerweise wusste er in diesem Moment, dass es schon seit dem gestrigen Abend so war. Seitdem er erkannte hatte, dass er durchaus gewinnen konnte. Vielleicht hatte er diesem Gefühl auch seine Niederlage und damit den zweiten Platz zu verdanken.
Aber er hatte kaum Zeit, darüber nachzudenken, denn Morgrq zog ihn mit sich. An die Arena grenzte ein größerer Festsaal, der nun für die Feier beschlagnahmt wurde. Romulanisches Ale und noch weitaus Stärkeres wurde großzügig ausgeschenkt, und ein riesiges Büffet sorgte für das leibliche Wohl. Es war beinahe so laut, dass man sich nicht mehr unterhalten konnte.
Aber das störte niemand. A´kebur wurde als zweiter Sieger genauso viel eingeschenkt wie dem Sieger und Ghors wurde nicht müde, seine Söhne zu loben. Immer wieder tranken sie auf Kahless und auf die Ehre der Familie und der Ahnen. A´kebur trank, soviel er schlucken konnte. Der Rest floss an seinem Mund vorbei.
Er war akzeptiert. Er war ein Klingone unter Klingonen. Wenn das kein Grund zum Feiern war, dann gar nichts. Erneut prostete Morgrq ihm zu. "Auf den ewigen Ruhm der Klingonen!", dröhnte er. Falls auch er schon angetrunken war, bemerkte man nichts davon. "Sag mal, kleiner Bruder, wie hältst du es nur unter Menschen und Vulkaniern und all dem aus?"
A´kebur trank einen weiteren Schluck. "So, wie sie es mit uns aushalten", antwortete er, als er den Krug wieder absetzte.
Morgrq lachte. "So schlimm? Nun, dann solltest du etwas länger hierbleiben." Er blickte auf. "Apropos Mensch: Da starrt dich einer von denen schon die ganze Zeit wütend an. Du solltest ihm ein paar verpassen, der hat hier nichts zu suchen."
A´kebur brauchte sich nicht umzusehen. Er wusste, wer da war. Er drehte sich dennoch um. Etienne war wütend bis in die Haarspitzen. Träge erhob sich A´kebur und trat vor ihm. Sein Bruder brüllte vor Lachen.
"Du scheinst dich ja gut zu amüsieren", meinte Etienne. Seine Stimme klang kalt. A´kebur senkte kurz seinen Blick. "Du hättest nicht hierherkommen sollen!"
"Los, hau ihm eine rein!", rief Morgrq unter Beifall von Ghors.
"Tja, dafür ist es zu spät, ich bin leider hier." Etienne grinste plötzlich zuckersüß und ehe A´kebur noch begriffen hatte, hatte er einen Kinnhaken verpasst gekriegt. "Danke für den Tipp", wandte sich Etienne an Morgrq und drehte sich um, um zu gehen.
A´kebur sah ihm nach.
"Hey", rief Ghors, "Lass dich nicht von einem Menschen so beleidigen."
A´kebur sah seinen Vater an. "Ich werde ihm Manieren beibringen", versprach er. "Aber vorher müssen wir noch eine andere Kleinigkeit klären." Damit folgte er Etienne.
Dieser hatte genau das erreichen wollen. Kaum waren sie außerhalb des Festsaals, blieb er stehen. "Ich gratuliere dir", sagte er, ohne sich umzudrehen, "Scheint, du hättest auch deine andere Familie für dich gewonnen."
"Das ist nicht, was du sagen willst", erwiderte A´kebur.
"Hörst du denn zu?"
"Hier ist der falsche Ort dafür", meinte A´kebur und ließ seinen Blick schweifen. "Klingonen schlagen sich. Sie reden nicht miteinander."
Etienne drehte sich zu ihm um. "Das habe ich schon bemerkt. Also, willst du dich schlagen oder reden? Wenn letzteres, lass uns woanders hingehen."
"Wähle du den Ort!", ließ ihm A´kebur die Freiheit.
Etienne fischte den Kommunikator aus der Tasche und gab ein paar Koordinaten an den Transporterchief. Um ihn und A´kebur herum flimmerte die Luft, dann fanden sie sich am Ufer eines Sees wieder. Rötliche Felsen türmten sich hinter ihnen auf, und riesige Vögel glitten über den purpurnen Himmel. "Ungestört genug?", wollte Etienne wissen und steckte den Kommunikator wieder ein. "Ich bin hier mal gewandert, als ich das letzte Mal auf Qo’noS war."
A´kebur sah sich nicht um, sondern ließ seinen Blick über Etienne wandern. Sein Herz schlug schneller schon seitdem er ihn gesehen hatte. Doch dafür war nicht die Zeit. Etwas war wichtig. Und Etienne schien es ihm sagen zu wollen.
Dieser kam ein paar Schritte näher und sah A´kebur direkt an. "Du hättest mir ruhig sagen können, was du vorhattest", erklärte er mit mühsam unterdrücktem Ärger, "Indem du mich ignorierst, erreichst du bloß, dass ich dir erst recht hinterherrenne."
"Ich habe alles verborgen. Du hättest nicht wissen dürfen", entgegnete A´kebur mit nicht minderem Ärger.
"Habe ich aber! Zumindest etwas geahnt. Und Lakon hat es dann auch herausbekommen, und wir sind sofort her. So leicht kannst du dich nicht verdrücken. Aber ich verstehe immer noch nicht, warum du nichts gesagt hast. Ich hätte dich nicht aufgehalten. Ich habe es auch jetzt nicht, obwohl es mir zwischendurch verdammt schwer fiel."
"Ach wirklich? Soweit ich weiß, hättest du mich am liebsten sofort aus der Arena geholt. Oder habe ich das falsch in der Erinnerung? Es war Lakon, der dich aufhielt, nicht wahr? Anders kann ich es mir nicht erklären, dass du nicht doch schon vorher aufgetaucht bist."
"Stimmt. Also bedank dich bei deinem Onkel", knurrte Etienne, "Und entschuldige vielmals, dass ich mir Sorgen gemacht habe!"
A´kebur wollte aufbrausen und sagen, dass er das ständig machte. Er war keine schwache Menschenfrau, wie wohl Etienne in ihm zu sehen pflegte, er war ein Krieger und er würde sich auch wie ein Krieger verhalten.
Es war einfach lächerlich, dass er sich wie ein Dieb hatte fortschleichen müssen. Besser wäre es gewesen, er hätte es voller Stolz gesagt, dass er zu dem Bat’lethwettbewerb wollte. Etienne hätte kein Recht zu einem Einwand gehabt. Aber der hätte sich das nie sagen lassen. Tausend Argumente gefunden, ihm das Leben und die Freude daran vermiest. Doch A´kebur sagte nichts. Er war, wie er feststellen musste, schon mehr in menschlichen Verhaltensweisen gefangen, als er geglaubt hatte. Mochte es sein, dass er wie eine Klingone gekämpft hatte.
Er benahm sich mehr und mehr mit der Zurückhaltung der Menschen in bestimmten Situationen. Sie waren wohl sehr viel aufbrausender als Vulkanier. Aber gegen Klingonen waren sie nichts.
Je mehr A´kebur das klar wurde, umso mehr zog sich sein Herz zusammen. Unter allen Klingonen, er hatte sich nicht so gefühlt, als wäre er zuhause angekommen. Zuhause sein, bedeutete etwas anderes. Nichts von diesen Gedanken drang aus A´kebur heraus. Er wollte nicht, dass Etienne irgendetwas davon erfuhr. Er wusste sowieso nichts mit dem Menschen anzufangen, als mit ihm Sex zu haben.
Es war seltsam.
Fast, als wäre etwas erloschen, von dem er nicht einmal gewusst hatte, dass es je gebrannt hatte. Das war es auch, was Etienne sagen wollte. A´kebur brauchte die Worte nicht, auch wenn er keine eigenen dazu fand. Gleichzeitig fürchtete er sich davor, dass Etienne etwas sagen würde. Dann war alles zerstört, was für A´kebur jemals von Bedeutung war. Von Lial und Lakon einmal abgesehen.
Aber Dankbarerweise sagte Etienne wirklich nichts; er hatte A´kebur nur keine Sekunde aus den Augen gelassen. Jetzt jedoch wandelte sich sein Gesichtsausdruck von Ärger zu etwas, das A´kebur an jemanden erinnerte, der unvermutet von einer Klinge durchbohrt wurde und sich den Schmerz um nichts in der Welt anmerken lassen wollte.
Minuten vergingen, und nichts war zu hören außer dem leisen Wind über dem See und dem Krächzen der Vögel.
Dann, ganz langsam holte Etienne den Kommunikator wieder hervor, ohne ihn jedoch zu aktivieren. Sein Blick ruhte noch immer auf A´kebur.
Doch auch diese Galgenfrist verlief im Schweigen. Ob A´kebur wirklich nicht verstand, was Etiennes Geste bedeutete oder nicht, fand Etienne nicht mehr raus. Er gab das Signal zum Beamen. Sich selbst zurück zur Sovk, A´kebur zurück zum Ausgangspunkt. Er hatte genug. Ganz gleich, was er gesagt hätte, es hätte nichts gebracht.
Sekundenbruchteile später fand er sich im Transporterraum wieder. Er nickte dem Transporterchief kurz zu, der ihn fragend ansah, und ging, so schnell er konnte. Er wollte jetzt niemanden sehen und erst recht mit niemandem reden müssen. Etiennes Sicht verschwamm, und er wischte sich ungehalten über die Augen.
Das fehlte noch! Was für ein Waschlappen war er eigentlich? Er hatte nur getan, was unvermeidbar war, wollte er nicht noch länger in dieser unhaltbaren Situation bleiben.
A´kebur fand sich mitten auf dem Fest der Klingonen wieder und wurde mit besoffenem Grölen begrüßt. A´kebur glaubte nicht, jemals so nüchtern gewesen zu sein wie in diesem Moment. Er sah sich um und stolperte zurück.
Dann floh er die Klingonen. Langsam begriff A´kebur, was gerade passiert war. Etienne hatte sich verabschiedet und das für immer. Dabei wusste A´kebur noch nicht einmal genau, warum er das getan hatte. Es war kein wirkliches Wort zwischen ihnen gewechselt worden. Trotzdem hatte er die Gewissheit, dass die Schuld allein bei ihm lag.
"Hey, wo willst du hin?", rief ihm Morgrq nach, "Das Fest hat doch gerade erst angefangen!" A´kebur sah ihn an, als würde er Ferengi mit ihm sprechen. Dann schüttelte er den Kopf.
"Mein Gefährte ist weg", erklärte er.
"Dein was? Doch nicht der Mensch von eben?" Morgrq sah ihn ungläubig an.
"Ich bin Telepath und er ist der Teil, der mir entspricht. Ich muss gehen. Ich kann hier nicht mehr bleiben. Vater hat Recht. Ich gehöre nicht hierher." Damit riss sich A´kebur los.
"Jetzt warte mal!" Aber A´kebur ignorierte es. Sollte Morgrq doch denken, was er wollte, das war nicht mehr wichtig. Sein Halbbruder hielt ihn jedoch erneut fest. "Du kannst jetzt nicht wegrennen. Vergiss den Menschen und komm mit. Vater wollte gerade eine offizielle Ankündigung machen."
A´kebur sah ihn an. Er begriff, was das bedeutete. "Ich bin würdig, sein Sohn zu sein? Nein, bin ich nicht. Ich laufe einem Menschen hinterher, der mir mein Leben bedeutet!"
Morgrq sah ihn ernst an. "Du hast heute ehrenvoll gekämpft und dir unser aller Respekt verdient. Viele glaubten nicht, dass das je möglich sein würde, aber du hast es bewiesen. Du bist Teil der Familie. Also wirf das nicht weg!"
A´kebur wandte sich Morgrq ganz zu und legte ihm die Hände auf die Schulter. "Ich habe heute alles gewonnen und ich werde heute alles verlieren. Ich muss meinen Onkel finden. Er muss sich hier irgendwo noch befinden. Sag Vater, dass er mich verstoßen soll. Ich habe seinen Respekt nicht verdient!"
"Du bist wirklich verrückt!" Morgrqs Augenbrauen zogen sich finster zusammen. "Ich werde Vater vorerst nichts sagen. Noch kannst du zurückkommen. Aber beeil dich!" Damit schlug sich Morgrq kurz auf die Brust und wandte sich um.
A´kebur war das egal, wie viel Zeit er dafür brauchte. Plötzlich war Etienne ihm wichtiger als alles andere hier. Vergessen war der Sieg, vergessen der Kampf um Anerkennung. Vergessen seine Zweifel, was Etienne und ihn anbelangte. "Lakon!", brüllte er über den Festplatz. Es interessierte ihn nicht sonderlich, was man davon hielt, dass er nach einem Vulkanier rief. "Lakon!", brüllte er noch eine ganze Nuance lauter.
"Wir sind hier!" A´kebur sah einen blauen Arm winken. Shana und Lakon standen bei den Wissenschaftlern, die sich begeistert tuschelnd Notizen machten, während sie das Fest beobachteten. "Was ist los?"
"Ich muss auf die Sovk!", rief A´kebur noch auf halben Weg und wirkte dabei nicht, als ob er eine Erklärung für seinen Wunsch abgeben wollte.
Lakon zog eine Augenbraue hoch und zückte seinen Kommunikator. "Mit Ihrer Erlaubnis, Sir, komme ich mit", beschloss Shana und sah A´kebur dabei warnend an, dass er nicht auf die Idee kommen sollte, zu protestieren. Doch der nahm sie kaum wahr. Er sah nur Lakon an.
Dieser nickte und gab den Befehl, zwei Personen hochzubeamen. Er konnte sich schon ungefähr denken, was vorgefallen war. Kaum waren Shana und A´kebur wieder auf der Sovk, wandte diese sich stirnrunzelnd an ihn: "Lass mich raten, du hast es vermasselt!"
A´kebur sah sie an. Sagte jedoch nichts dazu. "Wo ist seine Kabine?", fragte er stattdessen.
"Deck 3, Sektion 24", gab sie zurück, "und wehe, du machst es noch schlimmer, dann ziehe ich dir das Fell über die Ohren!"
A´kebur hörte auch diese Mahnung nicht. Er lief einfach los. Für seinen Aufzug erntete er keine Blicke, aber dafür, dass er rannte und dass er kein Mitglied dieser Crew mehr war. A´kebur war jedoch mehr und mehr auf Etienne konzentrierte. Er war nicht in seinen Gedanken, nicht in ihm. Er war weg. Verschlossen wie die sprichwörtliche Auster. In all der Zeit hatten sie gelernt, die Gedanken vor dem anderen so gut zu verschließen, dass das Band fast nicht mehr spürbar war. Aber jetzt fühlte es sich beinahe wie gerissen an.
Erst am besagten Quartier hielt A´kebur inne. Er legte seine Hand auf die Tür und sammelte sich. Dann klingelte er und bat um Einlass. Er versuchte nicht, Etienne in seinen Gedanken zu erreichen. Sein Gefährte würde es verhindern und mit Gewalt wollte A´kebur nicht in ihn dringen.
Auf das Klingelzeichen folgte jedoch keine Reaktion. War Etienne überhaupt nicht hier? A´kebur versuchte es noch einmal. Nichts.
Er war sich jedoch sicher, dass Etienne in der Kabine war. In einem Akt der Verzweiflung warf sich A´kebur gegen die Tür. Immer und immer wieder.
Unvermittelt ging das Schott auf und A´kebur taumelte ein paar Schritte hinein.
"Wenn du so weitermachst, kommt gleich die Sicherheit." Etienne saß in einem Sessel, die Beine angezogen und blickte A´kebur nicht an. Seine Stimme klang heiser.
"Wenn du nicht aufmachst, bist du selbst daran schuld“, gab A´kebur zurück.
"Aha, meine Schuld. Alles klar. Was frage ich auch."
"Warum bist du weggelaufen? Warum verschließt du dich? Warum öffnest du die Tür nicht?", brüllte A´kebur.
Etienne sprang auf. "Du fragst mich das allen Ernstes? Okay, wenn du wirklich so dumm bist, dann werde ich es dir sagen: Weil ich genug habe. Es geht so nicht weiter. Es steht zuviel zwischen uns, Seelenband hin oder her. Als ich dich getroffen habe, habe ich begriffen, dass ich nicht länger nur mir allein gehören wollte. Aber du hast alles genommen und als selbstverständlich erachtet! Aber was willst du wirklich? Einen Saufkumpan? Einen Sparringpartner? Ein Betthäschen? Das findest du in jeder Raumhafenkneipe, und zwar weitaus einfacher! Wozu dich also mit mir belasten?"
A´kebur zog die Augenbrauen zusammen. "Ist es das, als das du dich fühlst?", fragte er dann.
Etienne sah ihn an. "Ist das alles, was du in mir siehst?", fragte er zurück.
A´kebur sah ihn entsetzt an und schüttelte abwehrend den Kopf. "Nein, das habe ich nie in dir gesehen!“
"Ach, und was dann? Du hattest sieben Jahre Zeit, dir darüber klar zu werden. Da kann ich langsam mal eine Antwort erwarten."
"Was für eine Antwort?", fragte A´kebur verzweifelt. "Was willst du hören?"
"Das, was du wirklich fühlst. Ganz tief in dir, unabhängig von dem Band, unabhängig vom Sex. Was bedeute ich dir wirklich, A´kebur Lanar?" Etienne trat einen Schritt näher und sah A´kebur fest in die Augen. Sein Herz klopfte so laut, dass er seine eigenen Worte kaum mehr hatte hören können. Alles in ihm wartete nur noch auf A´keburs Antwort.
Er sah, wie sich seine Lippen lautlos bewegten. Sein Atem ging so heftig wie der von Etienne. In A´kebur kam die Ahnung auf, was genau Etienne meinte und er erinnerte sich, dass er es nie ausgesprochen hatte. Über jeder Eifersucht hinweg, über jeden Besitzanspruch, über jeden Sex und jedes Begehren stand das Gefühl, was nur für Etienne bestimmt war.
"Liebe", wisperte A´kebur.
Einen Augenblick lang traute Etienne seinen Ohren nicht, doch dann begriff er. Er hatte schon beinahe aufgegeben zu hoffen, dass A´kebur dies jemals würde aussprechen können. Aber jetzt, endlich ... Instinktiv streckte Etienne die Arme aus, um seinen Geliebten an sich zu ziehen.
"Ist es das, was du hören wolltest?", fragte dieser ihn leise und eindeutig ungläubig.
"Ja, du Riesentrottel! Mehr wollte ich nicht", flüsterte Etienne. Ihm war egal, dass er sich hier gerade wie ein liebeskranker Teenager aufführte. Es zählte allein, dass A´kebur es endlich ausgesprochen hatte.
"Und warum hast du das nicht einfach gefragt?" A´kebur fiel ein Stein vom Herzen. Aber das "Typisch Menschen, keiner versteht sie" konnte er dennoch nicht unterdrücken. Etienne ließ er deshalb aber nicht los.
"Das habe ich immer wieder, auf die eine oder andere Weise und gedacht, du verstehst den Wink. Ansonsten ist es einfach üblich, dass man irgendwann mit der Sprache herausrückt. Wie soll sich der andere sonst je sicher sein?"
"Ähm", A´kebur deutete sich an die Schläfe. "Dadurch?", schlug er vor.
"Das ist was anderes. Und der Gedanke "ich liebe dich" ist dir nie durchs Hirn geschossen, wenn ich zugehört habe, das wüsste ich aber." Etienne schnappte sich eine von A´keburs Haarsträhnen und zog spielerisch daran.
"Menschen sind kompliziert", brummte A´kebur und zuckte halb mit der Schulter. "Naja, bist auch einer. Heißt das aber jetzt, dass du nicht mehr davonläufst? Soll ich noch etwas sagen? Irgendetwas, was wichtig ist?"
"Wie wär’s damit, dass du mir in Zukunft Bescheid gibst, wenn du mal wieder zu irgendwelchen Aktionen aufbrichst? Und mich nicht übergehst? Das wäre schon ein Anfang." Auf Etiennes Gesicht blitzte wieder sein altes Lächeln auf. "Ansonsten, sag, wonach dir ist."
"Hau nicht wieder ab und tu so, als würdest du nicht wieder kommen wollen!", gab A´kebur prompt zur Antwort.
"Hab ich nicht vor, solange du mir nicht wieder Anlass dazu gibst!"
"Ich liebe dich", brummte A´kebur, "und jetzt hole ich Romulanisches Ale. Ich hatte Angst und das ist Grund genug, um mehr als einen Krug darauf zu leeren."
"Warte." Etienne angelte eine Flasche unter dem Tisch hervor. "Shana hat ein paar Flaschen dagelassen für Notfälle. Ich habe zum Glück was übriggelassen." Er zog A´kebur herunter aufs Bett.
Dieser sah auf die Flasche. "Hältst du es aus, wenn ich dich meiner Familie vorstelle?", fragte er.
"Kommt drauf an, ob die es aushält. Wenn sie mir dumm kommt, gibt's lockere Zähne, das weißt du ja." Etienne grinste. "Du willst mich im Ernst mitnehmen? Nicht, dass sie dich gleich wieder rauswerfen."
"Ich habe Morgrq gesagt, dass er Ghors sagen soll, dass ich auf seinen Respekt pfeife, weil mein Gefährte mich verlassen hat und ich ihn suchen muss. Von daher: Ich gehe von nichts aus!"
"Dann wird es ja lustig werden. Aber ich passe schon auf dich auf." Ein Kuss landete erst auf A´keburs Nasenspitze und dann auf seinem Ohr.
A´kebur zuckte zusammen und schloss die Augen. "Ich passe auf dich auf", grummelte er.
"Vermutlich passen wir einfach gegenseitig aufeinander auf. Nötig haben wir es wohl beide." Etienne küsste A´kebur sanft auf die Lippen. "Ich liebe dich", murmelte er.
"Muss ich darauf jetzt antworten?", fragte A´kebur nach.
Etienne lachte. "Nur, wenn du willst. Aber du hast ja gesehen, es tut nicht weh zu antworten."
"Es war keine Frage von dir!" Damit erhob sich A´kebur. "Klingonen singen von ihrer Liebe zu Kahless, über die Ehre, die Liebe und die Verehrung der Eltern, die Liebe zu ihren Gefährten. Aber es ihnen ins Ohr zu flüstern, darauf kommen nur Menschen. Los, komm! Ich hole mir jetzt meine Abreibung von meiner klingonischen Familie."
"Was, sofort? Da sehen wir uns ein Jahr nicht, streiten und versöhnen uns und dann lässt du uns nicht mal fünf Minuten Ruhe. Aber meinetwegen." Etienne erhob sich ebenfalls.
"Nun, die Sovk wird hier nicht lange bleiben. Du musst wieder weg und du wolltest nicht ständig Sex, dann können wir uns genauso gut anderweitig amüsieren", war A´keburs Argument.
"Na gut, hauen wir auf den Putz. Vielleicht wird es ja wirklich lustig. Soll ich so bleiben oder mir einen ähnlich auffälligen Lederdress raussuchen wie Shana?", grinste Etienne.
A´kebur sah auf dessen Brust und verzog den Mund. "Deine Oberweite ist bescheiden", meinte er.
Etienne versuchte mit Mühe, ein ernstes Gesicht zu bewahren. "Kann ja nicht jeder deine Körbchengröße haben, Schatz", säuselte er und ging hinüber zum Schrank.
A´kebur verstand das mit der Körbchengröße nicht. Das mit dem Schatz schon und es gefiel ihm. "Beeil dich!", forderte er daher einfach.
Etienne grinste vor sich hin und tauschte seine in letzter Zeit ziemlich bieder gewordene Kleidung gegen schwarze Hosen, passende Stiefel und eine Lederjacke. Dann wuschelte er sich noch einmal durch die Haare und erklärte: "Fertig! Gehen wir."
"Du bist hübsch genug, Schatz", gab A´kebur zurück und ging vor.
Etienne folgte ihm und befand im Stillen einmal mehr, dass A´kebur unglaublich süß war. Niemand sonst konnte so etwas mit todernster Miene vorbringen. Der Transporterchief staunte nicht schlecht, als er die zwei nun schon wieder hereinkommen sah, diesmal in schönster Eintracht. Aber er fragte nicht und beamte sie wieder hinunter. Dort tobte noch immer die Siegesfeier mit ungebrochener Intensität.
Mitten im Getümmel fanden sie Lakon und die Wissenschaftler. Sie fütterten gerade ihre Translatoren mit klingonischen Saufliedern. Lakon sah ihnen stoisch dabei zu. Er fand andere Wissenschaften interessanter.
"Wir melden uns zurück, Sir", gab Etienne bekannt. Lakon nickte. "Ghors' Familie ist noch dort drin", meinte er wie beiläufig, "Aber der Patriarch scheint nicht sehr erbaut zu sein." Er sah seinen Neffen fragend an.
"Ich habe ihm gesagt, dass mir Etienne wichtiger ist!", sagte dieser nur und wandte sich dann Richtung Festzelt. Lakon sah den beiden kurz nach. Er hoffte dringend, dass das keinen größeren Konflikt geben würde.
Ghors und Morgrq sahen sofort auf, als A´kebur eintrat. Ihre Mienen verfinsterten sich zusehends, als sie sahen, dass Etienne neben ihm ging. "Was soll das?", knurrte Ghors.
"Mein Gefährte Etienne", stellte A´kebur knapp vor.
"Als Morgrq eben etwas davon sagte, wollte ich es nicht glauben." Im Saal war es plötzlich still geworden; alle Anwesenden wollten erfahren, was Ghors nun mit seinem frisch gewonnenen Sohn machen würde. "Wie kannst du nur einen schwachen Menschen als Gefährten wählen, noch dazu einen Mann, der dir nicht einmal Nachkommen schenken kann? Das ist völlig lächerlich!"
"Das Schicksal hat uns zu Gefährten gemacht. Aber ich bin nicht hier, um mit dir zu streiten Vater oder mein Handeln zu rechtfertigen." A´kebur schlug seine Faust auf die Brust und entbot seinen Gruß. "Lebwohl! Du wirst mich nicht wiedersehen."
Gemurmel ging durch den Saal. "Du bleibst hier, A´kebur!", dröhnte Ghors, "Ich dulde nicht, dass du hierherkommst und mich lächerlich machst! Du hast heute ehrenvoll gekämpft, also gebührt dir unser Respekt. Warum setzt du das aufs Spiel, indem du diesen Menschen hierherbringst?"
"Weil auch ihm mein Respekt gilt, genauso wie ich ihn dir entgegenbringen wollte. Aber ich kann nicht beides vereinen. Ich habe mich für ihn entschieden", gab A´kebur voller Stolz laut und deutlich wieder, so dass jeder ihn hören konnte.
Ghors starrte seinen Sohn ungläubig an. Es war Morgrq, der als erster die Sprache wiederfand. "Ich muss schon sagen, kleiner Bruder, du hast Nerven. Aber du beweist Mut." Er sah seinen Vater fragend an. Ghors schüttelte den Kopf, aber mehr aus Verwirrung denn Ablehnung. Er schien immer noch nicht zu wissen, was er sagen sollte.
A´kebur entbot auch ihm stumm seinen Gruß. Dann wandte er sich zum Gehen. Niemand im Raum wagte etwas zu sagen; so eine Situation hatte noch keiner von ihnen erlebt.
Doch dann war es Etienne, der das Ganze noch bizarrer machte, indem er stehen blieb und Ghors direkt ansah. Ohne Translator erklärte er auf Klingonisch: "Ehrwürdiger Ghors[1], hier wird soviel von persönlicher Ehre gesprochen. Aber wenn Ihr einen Mann erst bereit seid zu akzeptieren, wenn er Mut bei einem Schaukampf bewiesen hat, wie könnt Ihr ihn dann ablehnen, wenn er noch viel größeren Mut im wirklichen Leben zeigt? Er kam hierher, um Euch zu zeigen, dass er würdig ist, akzeptiert zu werden. Aber Ihr müsst ihn auch als Ganzes hinnehmen und nicht nur den Teil, der Euch passen könnte."
Ghors’ Augen verfinsterten sich unter den weißen, buschigen Augenbrauen. Er musterte A´kebur und Etienne abwechselnd. Sein Sohn hatte sich wieder umgewandt, als Etienne eingegriffen hatte. Er sah ihn halb erstaunt an, dann jedoch wirkte sein Gesicht so ausdruckslos wie das eines Vulkaniers.
Ghors’ Blick wurde von dem eines Vulkaniers eingefangen, der die ganze Situation aus gebührender Entfernung betrachtete. Ghors sah die blauen Augen, so ungewöhnlich für einen Vulkanier wie für einen Klingonen. Wer auch immer dieser Mann war, er war A´keburs andere Seite. Die Seite seiner Mutter. Ghors betrachtete wieder Etienne und grinste breit. "Mutige Worte von einem kleinen Menschen!", meinte er rau. "Du willst also der Gefährte eines ehrbaren Klingonen sein? Und wie ist dein Name?"
"Etienne Valor Duval, batlh' Ghors", gab Etienne zurück, "Und ich stehe hier voller Stolz neben A´kebur. nIteb Qob qaD jup 'e' chaw'be' SuvwI'[2] ."
"Eine Gefahr?", grollte Ghors. "Du meinst, ich bin eine Gefahr für meinen Sohn?", Ghors lachte laut.
"Seid Ihr es? Wenn ja, ist es umso wichtiger, dass ich hier stehe, um seine Ehre mit verteidigen zu können, falls das nötig ist."
Ghors schwankte sichtlich zwischen Lachen und Unglaube. A´kebur jedoch trat an Etiennes Seite. "Solltest du ihn beleidigen, dann steht er genauso wenig allein", warnte er.
"Du hältst mich für ehrlos, Mensch?" Ghors sah sich um und vergewisserte sich all der Aufmerksamkeit. "Nun, wie wäre es mit einem Zweikampf. Wir beide allein. Dann werde ich ja sehen, ob die Wahl meines Sohnes die richtige war."
"Ich nehme an!", gab Etienne prompt zurück, "Welche Waffen?"
"Die Fäuste. Ich will dich nicht lebensgefährlich verletzen. Nicht, dass es zu diplomatischen Verwicklungen kommt. Das wollen wir doch nicht", höhnte Ghors und warf einen Blick auf Lakon, der für ihm nach Starfleet-Offizier roch, so wie er sich mit den anderen drei Menschen gab, die schon die ganze Zeit über immer Aufnahmen gemacht hatten.
"Nein, das wollen wir wirklich nicht. Jetzt sofort oder später? Und welche Regeln?" Etienne hatte schon damit gerechnet, dass Lakon eingreifen würde, aber es blieb still.
"Am besten sofort." Wie auf Kommando erhob sich einer nach dem anderen und bald hatte das gespannte Publikum aus Klingonen und wenigen Außenweltlern genug Platz für eine provisorische Arena gemacht. A´kebur gesellte sich zu ihnen. Er hatte nicht vor, Etienne aufzuhalten. Er kannte dessen Kampfkunst. Ghors würde es nicht einfach haben. Ob Etienne jedoch gewinnen konnte, bezweifelte A´kebur.
Ghors betrat die Mitte der Arena und sah zufrieden, dass Etienne nicht einen Moment zögerte. Der Mensch hatte wirklich Mumm.
Allerdings blieb ihm auch nichts viel mehr übrig. Etienne konnte sich nur dann in Ghors' Augen bewähren, wenn er nach dessen Regeln spielte. Nicht, dass ihm die Akzeptanz des Klingonen irgendetwas bedeutet hätte, aber er stand hier, weil es A´kebur wichtig war. Der Schiedsrichter der vorherigen Kämpfe trat vor. "Kampf ohne Waffen bis zur Kampfunfähigkeit eines Kontrahenten. Zum Ruhm von Kahless!" Damit war das Duell eröffnet.
Ghors griff ohne Vorwarnung an. Aber warum hätte er auch warten sollen, hatte der Richter doch die Freigabe gegeben. Der alte Klingone bewegte sich dabei mit einer Geschwindigkeit, die man ihm kaum zutraute. Kein Muskel hatte sich vorher bewegt und so fand sich Etienne nach einem Faustschlag mit schmerzendem Kinn auf dem Boden wieder.
Das Publikum brüllte. Etienne rappelte sich wieder auf.
Nun, dann würde Shana nachher eben wieder was zu tun bekommen. Er taxierte Ghors, der sich wieder ein paar Schritte zurückgezogen hatte, entschlossen, sich diesmal nicht wieder überrumpeln zu lassen, sondern im Gegenzug zum Angriff überzugehen. Ghors mochte zwar flink und kräftig sein, aber er war nicht mehr der Jüngste; das war Etiennes Chance. Er täuschte von rechts an, um dann mit links mit voller Wucht zuzuschlagen.
Doch weiter kam Etienne mit dem Abschätzen seiner Chancen nicht. Denn er und Ghors verknäulten sich und begannen zu ringen. Eine Weile war nur Schnaufen zu hören, dann auf einmal waren die beiden wieder auseinander. Laut wurden sie angefeuert und ein paar Wetten abgeschlossen. A´kebur bemerkte, dass Lakon zu ihm getreten war und einfach mit zusah.
Auch Shana kam hinzu und verbarg ihre Aufregung nicht; sie knabberte an den Fingernägeln und warf immer wieder besorgte Blicke zu A´kebur. "Wie kannst du bloß so ruhig bleiben?", wollte sie leise wissen.
"Sie schlagen sich. Sie bringen sich nicht um!", brummte der nur.
"Trotzdem! Es geht hier doch letztendlich um dich!" Wieder brüllte das Publikum, als Etienne zum zweiten Mal zu Boden geworfen wurde, diese Position aber gleich nutzte, um Ghors die Beine wegzuziehen. Staub wirbelte auf.
"Etienne muss sich abreagieren. Schließlich hatte ich schon meinen Kampf. Von daher ist es nur fair", widerlegte A´kebur sie logisch. "Außerdem hätte mein Vater ihn töten können, wenn er es wollte. Aber er nimmt keine Waffen und sie kämpfen nach den Regeln."
Shana wollte etwas einwenden, als die Umstehenden aufkeuchten: Etienne hatte Ghors erneut einen ordentlichen Treffer verpassen können, sodass dieser tatsächlich ein paar Schritte zurücktaumelte. Doch damit schien für diesen der Spaß zuende: Noch ehe Etienne vernünftig ausweichen konnte, hatte er einen derartig harten Schlag gegen die Schläfe versetzt bekommen, dass er augenblicklich zusammensackte.
A´kebur kniff die Augen zusammen. "Es hat seine Vorteile, wenn man die Schwächen eines Menschen kennt", kommentierte er trocken. Mit einer Hand hielt er Shana auf und ging selbst zu Etienne.
Dieser schien nicht schwer verletzt, aber eine Klingonenfaust hinterließ deutliche Spuren; vermutlich würde er in ein paar Minuten wieder aufwachen.
Der Schiedsrichter hob einen Arm. "Sieg für Ghors! Ewiger Ruhm für Kahless!" Die Zuschauer applaudierten, aber eine gewisse Zurückhaltung war deutlich erkennbar; offenbar hatte keiner gedacht, dass ein Mensch ein derartiges Hindernis darstellen konnte.
A´kebur sah zu Ghors auf, dann jedoch wandte er sich wieder Etienne zu. Er nahm ihn einfach über seine Schulter und stemmte sich mit ihm in die Höhe. Stumm erwies er Ghors noch seinen Respekt, dann ging er zu Lakon. "Ich denke, Etienne kann jetzt ein wenig Ruhe brauchen", meinte er zu ihm. "Zwei Personen zum Hochbeamen."
Lakon nickte. "Dr. Shana, gehen Sie mit", befahl er und gab die entsprechenden Anweisungen in den Kommunikator. Gleich darauf lösten sich die drei in glühender Transportenergie auf. Kaum waren sie zurück an Bord der Sovk, fragte Shana: "Und, war’s das wert? Wird man dich und ihn jetzt akzeptieren?"
A´kebur sah sie an. "Es war es wert. Ob wir akzeptiert werden, spielt keine Rolle mehr. Aber Etienne war es ein Vergnügen. Jetzt jedoch sollten wir dafür sorgen, dass er nicht eher erwacht, bis er deine Behandlung hinter sich hat."
Die Andorianerin nickte. "Dann auf zur Krankenstation." Dort angekommen untersuchte Shana zuerst gründlich Etiennes Verletzungen, kam aber zu dem Schluss, dass es nur ein paar Prellungen und blaue Flecken waren, die weitgehend von selbst verheilen mussten. Sie injizierte noch ein Schmerzmittel und erklärte dann: "Warten wir, bis er wieder aufwacht. Das werden garantiert die phänomenalsten Kopfschmerzen dieser Galaxis."
A´kebur sah Etienne mit schiefgelegtem Kopf an. Dann beugte er sich einfach über ihn und küsste seinen Geliebten.
Etienne blinzelte und sah A´kebur etwas orientierungslos an. Shana grinste. "Ich lasse euch Turteltauben dann mal alleine. Hier liegen noch ein paar Kopfschmerzmittel; wenn sonst noch was ist, bin ich nebenan." Damit ging sie.
"Hab ich's dem Alten gezeigt?", wollte Etienne flüsternd wissen und hielt sich gleich darauf das schmerzende Kinn.
"Er hat gewonnen. Du hast dich gut geschlagen. Aber das nächste Mal solltest du ausweichen!", riet A´kebur.
"Ach, sag bloß! Ghors ist verdammt schnell. Jetzt weiß ich, woher du das hast." Etienne versuchte ein Lächeln, das allerdings ziemlich schief wurde.
A´kebur lachte. Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu Etienne. "Du bist richtig dumm!", beschied A´kebur ihm freimütig. "Als Mensch einen Klingonen schlagen zu wollen und dann nicht einmal ausweichen. Machst du so was öfters?"
"Nein, eigentlich nicht. Aber es ging hier ja nicht darum zu gewinnen, sondern etwas zu beweisen. Da muss man nicht nur austeilen, sondern auch einstecken können. Steht garantiert irgendwo in Kahless’ ungeschriebenen Statuten. Und natürlich ist das dumm."
A´kebur grinste breit. "Dafür bist du jetzt aber geradezu handzahm. Magst du Brei?"
"Du stellst Fragen. Wer mag das Zeug schon? Außerdem habe ich noch alle Zähne; Schwiegerpapa hat sie freundlicherweise alle drin gelassen." Etienne setzte sich langsam auf, so dass A´kebur ein wenig zurückweichen musste.
"Ich glaube, er mag dich", meinte A´kebur sehr viel ernster.
"Wirklich? Dann war das alles ja nicht umsonst. Ich hoffe, du weißt zu schätzen, was ich hier mal wieder für dich durchmache." Der letzte Satz klang nur halb scherzhaft.
"Mal wieder? Für mich?" A´kebur war beleidigt und zeigte das auch.
"Ja, für dich. Aber ich hab’s gerne gemacht. Ich weiß doch, wie viel es dir bedeutet, endlich von ihm akzeptiert zu werden. Dafür würde ich mich auch zehnmal zusammenschlagen lassen."
"Das ist noch dümmer, als in einem Bat’lethwettbewerb als Außenweltler teilzunehmen!", stellte A´kebur fest.
"Klar. Habe auch nie behauptet, dass es schlau wäre. Oder logisch. Aber so ist es eben." Etienne schnappte sich eine von A´keburs langen Haarsträhnen und zog ihn daran näher zu sich. Und A´kebur küsste ihn.
[1] batlh' Ghors
[2] Ein Krieger lässt einen Freund nicht allein der Gefahr entgegentreten
Zwei Tage später war Etienne wieder vorzeigbar hergestellt. Lakon hatte ihm und A´kebur ausgerichtet, dass Ghors mit ihnen sprechen wolle und sie erneut in der Stadt erwartete. Dieses Mal jedoch nicht bei der Arena. A´kebur und Etienne sollten sich beim Haus von Ghors einfinden. Offenbar waren sie willkommen. A´kebur sagte dazu nichts. Er hatte seine Kampfkleidung gegen schlichtes Zivil gewählt. Ähnlich Etienne; der trug sein übliches Schwarz; einzig ein kaum mehr sichtbarer Bluterguss an seiner Schläfe erinnerte noch an den Kampf.
An der Tür begrüßte Morgrq die beiden mit dem traditionellen Gruß. "Willkommen, kleiner Bruder. Auch du, Mensch. Folgt mir."
A´kebur passte es nicht, dass sein Bruder Etienne nicht mit Namen ansprach. Ehe er jedoch hochfahren und seinen Ärger Luft machen konnte, hatte Etienne ihn berührt. Nur kurz, aber die Botschaft war klar. A´kebur stieß einen stummen Seufzer aus und sah dann Etienne böse an.
Dieser schüttelte leicht den Kopf. Ihm war Ghors’ Anerkennung wichtig, nicht die von Morgrq. Außerdem hatte er den Verdacht, dass A´keburs Bruder jeden anderen Menschen genauso angeredet hätte.
Die beiden folgten Morgrq in einen größeren Saal. Am Kopfende eines langen Tisches saß Ghors; nicht einmal seine Leibwachen waren zu sehen. Er erhob sich, als sie eintraten und grüßte sie auf die traditionelle Art.
"Lasst uns ractajino[1] trinken", deutete Ghors auf den Tisch. "Kennst du das?", wandte er sich direkt an Etienne.
Dieser nickte. "Allerdings habe ich ihn lange nicht mehr frisch getrunken. Gutes Gebräu." Er zupfte A´kebur kurz am Ärmel, um ihm zu bedeuten, sich zu setzen.
A´kebur runzelte die Stirn. Mit einem Kaffeekränzchen hatte er eigentlich nicht gerechnet. Aber er setzte sich und nahm sich einfach eine Schale und trank. Etienne griff ebenfalls danach und prostete Ghors zu. "reH tlhutlhrup tlhIngan SuvwI'[2]", intonierte er und nahm einen kräftigen Schluck. Der ractajino hatte etwas von irdischem Kaffee, der mit Schnaps gekocht worden war, aber Etienne mochte es.
A´kebur goss sich einfach nach, schob Etienne die Kanne zu und trank noch mal. "Du musst mir von deiner Zeit im Klingonischen Reich erzählen", brummte er.
"Hab ich das noch nicht? Wird nachgeholt", meinte Etienne.
"Warum erzählst du es nicht jetzt?", fragte Ghors. "Wenn mein Sohn dich gewählt hat, dann ist es nur recht, dass auch ich mehr über dich erfahre!"
"Gut." Etienne nahm noch einen Schluck. "Es ist, glaube ich, fast fünfzehn Jahre her. Ich war schon öfter kurz auf Qo’noS gewesen wegen meiner Geschäftsbeziehungen. Ich war Händler", erklärte er Ghors, "damals waren auch die Wettkämpfe und ein paar Kollegen überredeten mich, mitzumachen. Nachdem ich es bis ins Viertelfinale geschafft hatte, beschloss ich, mehr vom Kampfstil der Klingonen zu lernen und blieb ein ganzes Jahr hier. Ich habe viel von Qo’noS gesehen; zwischendurch ging mir mein Universalübersetzer abhanden, aber ich habe schnell gemerkt, dass es auch ohne ging. Irgendwann zog es mich dann allerdings wieder fort."
"Das erklärt deine ausgezeichneten Sprachkenntnisse", bemerkte Ghors. "Ich habe keinen Dialekt und keinen Akzent festgestellt. Mein Sohn scheint sich aber bisher kaum für dich interessiert zu haben, wenn er davon nichts gewusst hat."
A´kebur blinzelte über seinen Becher und sah dann von Ghors zu Etienne und wieder zurück. Seine Ohrenspitzen wurden grünlich. Eindeutig war er hier ertappt worden. "Ich habe gewusst, dass er Klingonisch kann", rechtfertigte er sich. "Ich wusste, dass es Hochklingonisch ist, also kann er es nur auf Qo’noS gelernt haben und das für eine lange Zeit."
"Aber nachgefragt hast du nicht. Wie immer!" Ghors zuckte mit der Schulter. "Es mag sein, dass du denkst, dass du ein Klingone bist. Doch du bist keiner. Einerseits bist du wie einer, andererseits mischst du das mit deinem vulkanischen Naturell. Trotzdem muss ich zugeben, dass ich mich geirrt habe. Ein Krieger bist du allemal. Dein Kampf war gut."
Darauf blieb A´kebur nicht viel zu antworten. Etienne hingegen musste sein Grinsen verstecken; irgendwie wurde ihm Ghors langsam immer sympathischer. "Ihr könnt in jedem Fall stolz auf A´kebur sein", meinte er, "ansonsten, nur Kahless ist vollkommen", zitierte er einmal mehr eine klingonische Weisheit. "Wir alle haben unsere Fehler. Ich bin allerdings dankbar, dass Ihr uns eingeladen habt."
Ghors stellte mit einem kräftigen Ruck seinen Becher ab, so dass der ractajino hoch schwappte. "Keine Förmlichkeiten", bestimmte er schnarrend. "Und ja, niemand ist vollkommen. Nur ehrlos sollte niemand sein. Aber mein Sohn ist ehrvoll und unvollkommen. Kahless wird seinen Kampf genossen haben. Er wird dennoch den Zweiten Aufstieg nicht machen. So lange ich lebe, wird er ihn nicht hier machen. Das ist mein Wort."
A´keburs Gesicht gefror. Er knallte den Becher seinerseits auf den Tisch. Ghors begegnete seinem Blick mit dem gleichen unbeugsamen Willen. "Du bist ein Krieger. Aber nicht nach den Regeln der Klingonen. Wenn ich tot bin, dann kannst du wiederkommen. Dann, wenn dein Bruder dem Haus vorsteht. Bis dahin wirst du ein Kind bleiben."
Auch Etienne runzelte die Stirn. "Und warum, wenn ich fragen darf? Was bezweckt Ihr damit?"
A´kebur hätte am liebsten gebrüllt. Aber eine Antwort wollte er auch.
Ghors lehnte sich zurück und sah sie beide an. Er wirkte nicht unzufrieden. "A´kebur Lanar hat er sich genannt, als er auf dem Platz antrat, weil er wusste, dass er den Zweiten Aufstieg brauchte, um als klingonischer Krieger anzutreten. Nur ein Nicht-Klingone wäre auf die Idee gekommen, diese Regel zu umgehen. A´kebur, du hast das Erbe von zwei Welten. Du hast immer wieder versucht, nur Klingone zu sein. Du denkst, du machst mich stolz damit, wenn das tust. Aber dem ist nicht so. Ich habe dich all die Jahre beobachtet. Als T'Lera mir vor ihrer Abreise sagte, dass du Telepath bist und du wohl denselben biologischen Regeln unterworfen sein wirst, wie jeder andere Vulkanier auch, wusste ich, dass ich dich niemals als Klingone anerkennen darf. Das mag für dich ungerecht sein, weil du dich klingonischer als ein Klingone verhältst, aber auch das ist nur ein weiterer Beweis, dass ich richtig gehandelt habe. Such dir deinen eigenen Weg und wenn du verstanden hast, was es bedeutet, Vulkanier zu sein, dann darfst du auch wieder Klingone sein."
Etienne musste gestehen, dass das zumindest in seinen Augen Sinn machte.
Aber A´kebur empfand das keinesfalls so, das spürte er; da war immer noch der Gedanke, nicht gut genug zu sein, egal, wie sehr er sich auch anstrengte. Etienne sandte ihm eine stumme Umarmung.
A´kebur sah ihn an, sprachlos und ohne die geringste Idee, wie er das auch nur ansatzweise akzeptieren sollte. Er verstand seinen Vater. Aber seine Wut war noch lange nicht verraucht. Es war einfach demütigend, als Klingone für eine sehr lange Zeit nicht als vollwertiger Klingone zu zählen. Addiert zu der Tatsache, dass die ein Hälfte seiner Gene nicht klingonisch war. A´kebur fühlte sich betrogen. Zudem wurde er das Gefühl nicht los, dass es keinen Sinn machte, hier noch weiter Zeit zu vertrödeln. Er würde hier nichts erreichen. Mit der Bitterkeit, die in ihm aufstieg, war auch die Hoffnung gestorben, dass er eine Chance gehabt hätte. Jetzt hatte er nicht einmal diese mehr. A´kebur sah seinen Vater an, der ihm alles verweigerte, auf das er seiner Meinung nach einen Anspruch hatte. "Ich werde nicht wiederkommen", gab er rau von sich.
"Das steht dir frei", gab Ghors zurück. "Ich hoffe, du wirst noch begreifen, warum ich das hier tue, Sohn."
Etienne sah zwischen den beiden hin und her. Konnte man A´kebur irgendwann begreiflich machen, worum es hier ging? Er hoffte es zutiefst.
A´kebur erhob sich. Er wollte aus einem Reflex heraus seinen Gruß entbieten. Doch mitten in der Bewegung hielt er inne. Kraftlos ließ er seine Hand fallen. Er warf einen letzten Blick auf Ghors, dann wandte er sich ab und ging. A´kebur wusste nicht, ob er träumte oder wach war. Das hier war für ihn ein Alptraum. Er fühlte sich als hirnloser Idiot. Warum war er überhaupt hierhergekommen? Er wusste es nicht mehr.
Einen Sinn machte es nicht.
Jetzt war er wütend auf sich. Nicht einmal auf seinen Vater. Mit geballten Fäusten ging er an Morgrq vorbei. Grußlos, wortlos.
Etienne hingegen entbot beiden Klingonen den traditionellen Gruß und folgte A´kebur dann nach draußen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er tun konnte, um A´keburs Enttäuschung irgendwie zu mildern, aber irgendetwas würde ihm sicher einfallen. Alleinlassen mit seinem Ärger würde er ihn ganz sicher nicht.
Morgrq trat zu seinem Vater. "Er nimmt es als Vulkanier", brummte er.
Ghors nickte. "Seine Wut ist groß, aber mit der Zeit wird er begreifen. Erinnerst du dich? A´kebur hat immer nur um Anerkennung gekämpft und dabei nie gelernt, dass es nicht auf die anderen ankommt, sondern auf ihn selbst, die eigene Achtung vor sich."
"Wie sollte ich mich nicht erinnern. Der Mensch wird ihm wohl schon sagen, dass es da noch mehr gibt. Schade ist nur, dass ich mich nicht mehr mit A´kebur raufen kann. Er ist ein guter Kämpfer." Morgrq grinste breit.
"Sei dir nicht so sicher. Bis du meinen Platz einnimmst, wird noch eine lange Zeit vergehen und du solltest mehr vom Universum sehen als nur Qo’noS." Ghors klopfte seinem Sohn auf die Schulter.
Morgrq lachte.
Etienne wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte sich auf die Hieroglyphen zu konzentrieren, die die glatte Steinwand vor ihm überzogen.
Velaran 2 war ein extrem heißer, schwüler Planet, aber die Archäologen konnten nicht riskieren, die uralten Relikte zu zerstören, wenn sie Klimaregulatoren in der Höhle aufstellten.
Es war bereits spät in der Nacht, aber die Temperaturen noch immer unerträglich. Etienne hatte sich ein ums andere Mal gewünscht, auf Vulkan zu sein; dort war es garantiert kühler. Aber derartige Gedanken konnte er nicht riskieren, wollte er nicht schon wieder an A´kebur denken.
Sie hatten sich vor knapp einer Woche auf Qo’noS voneinander verabschieden müssen, ohne vernünftig miteinander reden zu können.
Seitdem herrschte Funkstille, sowohl im Subraum als auch im Geiste; A´kebur wollte wohl vorerst alles mit sich allein ausmachen. Und Etienne hatte nur eine Sondergenehmigung für den Flug nach Qo’noS bekommen gehabt, keinen Urlaub; die Wissenschaftler hatten Etiennes Sachverstand, wenn man es denn so nennen konnte, tatsächlich vermisst. In all den Jahren hatten sie immer mehr Spuren der Bewahrerkultur, die die von einigen Kulturen in diesem Teil der Galaxie auch die Allerersten genannt wurden, gefunden und versuchten noch immer mühsam, deren unglaublich komplexe Schriftarten zu entschlüsseln.
Aber, was macht dieser Sturkopf A´kebur Lanar? Ließ ihn hier schmoren, ohne ein erneutes Lebenszeichen von sich zu geben. A´kebur kannte nur ein für sich und ein allein mit sich ausmachen. Trotz aller Worte war er nicht wirklich zahmer geworden. Er versuchte partout seine Unabhängigkeit zu bewahren, um wem auch immer etwas zu beweisen. Einfach idiotisch, wenn es nach Etiennes Meinung ging. Aber das ging es natürlich nicht. Mal wieder!
Etienne wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn.
Er konnte sich hier nicht mehr konzentrieren, die Hieroglyphen verschwammen schon langsam vor seinen Augen. Oder er wurde langsam weitsichtig. Etienne beschloss, sich bei nächster Gelegenheit überprüfen zu lassen; wenn man langsam auf die 40 zuging, war das wohl nichts Ungewöhnliches. Mit diesen deprimierenden Gedanken schlurfte Etienne nach draußen. Dort war die Luft kaum kühler.
"Hey, Etienne", rief sein Kollege. "Komm, mach Feierabend! Die Luft ist zum Schneiden. Morgen früh machen wir weiter." Es war John Killigan. Er suchte mit den Sensoren meist das nächste Grabungsgebiet ab. Wenn er das nicht tat, dann ging er den anderen zur Hand.
"Danke, werd’ ich machen. Irgendwas Neues gefunden?", rief Etienne zurück.
"Nein. Los, komm. Es riecht gut. Ich glaube, es gibt Ei und Zwiebeln. Absolute Delikatesse. Selbst gemacht, mit replizierten Tomaten." John verschwand aus dem Lichtkegel und ließ Etienne mit dem Vorgeschmack zurück.
Es hatte schon seine Vorteile, dass das Team zum großen Teil aus Menschen bestand. Zumindest gab es keine Streitigkeiten in punkto Essen. Auf dem Weg zum Gemeinschaftszelt fiel Etiennes Blick auf die provisorisch aufgebaute Funkzentrale. Er durfte funken. Ein Privileg, das er sich hart hatte erarbeiten müssen. Schließlich hätte er sich so eine Flucht ermöglichen können. John schaute aus dem Zelt und sah ihn davor stehen. "Na los, ruf sie an!", rief er. "Dann können wir endlich essen!"
Etienne grinste. Johns gradlinige Art erinnerte ihn doch immer wieder ans Wesentliche. Mit ein paar Handgriffen sandte er eine Subraumanfrage zu Lials Anwesen nach Vulkan.
Das würde etwas dauern. Aber nach dem Essen dürfte seiner Einschätzung nach, die Verbindung stehen. Als Etienne das Zelt betrat, wurde ihm gleich ein Teller in die Hand gedrückt. "Arbeitest wie ein Tier, sollst etwas Vernünftiges essen."
"Ich bin gerührt." Etienne tangierten solche Sprüche nicht sonderlich, er hatte schon ganz anderes erlebt. Und die Wissenschaftler waren ein netter Haufen.
"Lass mich raten, Etienne hat endlich sein Herzblatt angerufen?", fragte eine der jüngeren Archäologinnen mit vollem Mund, wobei sie von ihrem Mentor gleich mit strengem Blick bedacht wurde.
"Hat er", antwortete John. "Er konnte es nicht aushalten. Hat das Funkgerät angebetet wie die Jungfrau Maria!"
"Da spricht der pure Neid", gab Etienne gutmütig zurück, "Wie lange hattest du keine Beziehung mehr, John, weil du nie zurückrufst?"
John wurde rot und verstummte. Die anderen lachten. "Ja, wahre Worte", meinte Dr. Kenturry. "Und weil er es tut, hält seine Beziehung länger!"
"Wollen wir doch hoffen." Etienne angelte sich Nachschub. "Dr. Kenturry, was ist eigentlich mit meiner Urlaubsbewilligung?"
"Du hast keinen mehr. Tut mir leid, Etienne. Wirst wohl warten müssen."
"Oh, ausgerechnet jetzt? Wir werden hier nie fertig!"
"Ich weiß noch nichts Bestimmtes, aber wenn, dann ist es ein Notfall. Ich arbeite das alles hinterher wieder auf", versprach Etienne.
Kenturry wirkte widerstrebend. "Wir brauchen dich hier echt. Aber wenn es ein Notfall ist, okay."
"Danke. Entschuldigt mich kurz, das Essen war köstlich." Damit stand Etienne auf und ging zurück zur Funkanlage. Inzwischen stand die Verbindung, sogar ein Bild war vorhanden, auf dem Lial in gewohnt kühler Miene erschien. "Langes Leben und Wohlergehen, Lial", grüßte Etienne sie, "ich wollte mich erkundigen, ob A´kebur bei euch ist."
"Langes Leben und Wohlergehen auch dir", grüßte Lial. "Er ist hier. Ich werde ihn holen."
"Danke." Etienne fasste sich in Geduld, während Lial aus dem Bild verschwand. Offenbar war seine Eingebung richtig gewesen, dass A´kebur bei der Familie, die ihn inzwischen vorbehaltlos akzeptierte, derweil Zuflucht gesucht hatte. Etienne fühlte kurz einen Stich. Mit ihm redete er natürlich nicht. Typisch.
Er musste ein wenig warten, dann schob sich A´keburs Gesicht in den Bildschirm. "Langes Leben und Wohlergehen", brummte er.
"Dir auch", gab Etienne zurück, "Wie geht's dir?" Er wusste, dass diese Frage nicht viel Sinn machte. Aber er wollte es zuerst im Guten versuchen, auch wenn A´keburs Gesicht Etienne erneut das schmerzliche Vermissen fühlen ließ.
A´kebur wirkte zerknirscht. "Tut mir leid", entschuldigte er sich. "Ich weiß, dass du wütend bist. Aber ..."
"Oh, du merkst aber schnell heute." Gut, wenn er gleich mit der Tür ins Haus fiel, dann musste Etienne ja auch keine weitere Rücksicht üben. "Erst düst du nach Vulkan ab, ohne dass wir noch einmal vernünftig miteinander reden konnten, geschweige denn uns über unser Wiedersehen freuen, und dann meldest du dich danach nicht mal. Ich weiß auch, dass ich hier festsitze, aber du bekommst bei Starfleet weitaus einfacher Sondergenehmigungen durch Lakon."
"Ich kann nicht jedes Mal meinen Onkel fragen. Außerdem, ich weiß nicht, was ich machen soll. Es ist so unvollkommen. Es passt nichts. Ich fliege nach Qo’noS, alles umsonst. Ich liebe dich und ich kann dich nicht haben. Egal, was ich anpacke, und was mir wichtig im Leben ist, es gelingt mir nicht und ich weiß nicht, was ich noch tun soll."
Etienne beugte sich näher zum Bildschirm. "Du tust gerade so, als wäre dein Leben komplett zusammengebrochen. Du hast Lial und die ganze Familie, du hast mich, auch wenn ich mal weiter weg bin, du hast deine Karriere bei Starfleet. Und du hast dich und deine Selbstachtung, wenn du endlich mal genug Mumm zeigst, dazu zu stehen. Das ist eine ganze Menge und mehr, als die meisten anderen haben! Also hör auf zu jammern!"
"Ich jammere nicht!", fuhr A´kebur getroffen auf.
"Doch, du jammerst! Ein anderes Wort fällt mir dafür nicht ein!"
"Tu ich nicht!"
"Tust du doch!" Etienne musste plötzlich lachen. "Hör sich das einer an, wir streiten uns hier wie kleine Kinder."
A´kebur zog eine Miene. Dann lachte er auch. Er wurde jedoch bald wieder ernst. "Es stimmt dennoch nichts. Egal wie wir es drehen oder wenden. Ich bin nichts Halbes und nichts Ganzes und ich mache dich wütend. Am schlimmsten ist es jedoch, wenn du nicht da bist."
"Tja, dagegen gibt's nur ein Mittel: Sieh zu, dass du herkommst. Bis ich wieder Urlaub bekomme, bin ich alt und grau", übertrieb Etienne und grinste. "Und du bist sehr wohl was Ganzes. Absolut einzigartig."
"Ich könnte darauf verzichten. Aber, es ist nicht zu ändern. Nur, dass mit dem Urlaub passt mir nicht. Es ist zu wenig. Ich weiß, dass es dir genauso geht. Noch länger und ich werde Vulkanier, weil ich sonst alles kurz und klein schlage."
"Lass Lials Einrichtung ganz, ja? Irgendwas wird uns schon einfallen. Aber das Leben besteht eben aus Kompromissen." Etienne fühlte kurze Wehmut. A´kebur hatte ja recht. Wie lange konnten sie so weitermachen?
"Ich will keine Kompromisse mehr", knurrte A´kebur. "Ich werde einen Weg finden, der diesen faulen Kompromiss beendet. Ich will nicht mehr!"
"Wenn du einen Weg findest, gut." Etienne atmete tief durch. "Gib mir Bescheid, wenn dir was eingefallen ist. Ich vermisse dich."
"Ich dich auch", flüsterte A´kebur. Er berührte den Bildschirm und plötzlich war die geistige Verbindung offen. "Ich will dich fühlen."
Etienne streckte ebenfalls instinktiv die Hand aus und spürte A´kebur klar und leuchtend in seinem Geist. Er umarmte diese vertraute und doch so lang vermisste Präsenz mit aller Macht.
A´kebur schnappte nach Luft. Etienne konnte spüren, dass A´kebur ihn liebte und dass sein Liebe fast an körperlichen Schmerz grenzte. Aber schnell war das Gefühl wieder versteckt. Dafür war da nur noch die Sehnsucht zu spüren.
Und beide gaben sich dieser Sehnsucht hin, scheinbar eine Ewigkeit lang. Doch Etienne wusste, in Wahrheit hatten sie nur Sekunden. Er war nicht allein. Und er würde seinen Kollegen nicht noch mehr Gesprächsstoff bieten wollen. Mit unendlichem Bedauern riss er sich los und schnappte nach Luft.
A´kebur sah ziemlich geknickt aus. Sagte aber nichts.
Dann verwandelte er sich wieder in diesen schreckenerregenden Vulkanier, der aussah wie ein Klingone. Ausdruckslos, gefühllos, distanziert - mit Stirnwülsten und spitzen Ohren. Auch die Verbindung war wieder tot. "Das ist besser für uns beide. Meine Gefühle könnten dafür sorgen, dass du irgendwo einen Fehltritt machst. Ich werde mich um unser Problem kümmern", informierte er Etienne sachlich.
"Ich... danke", dieser trat einen Schritt vom Bildschirm zurück und fühlte sich plötzlich leer und allein. Aber es ging nicht anders. "Melde dich bald wieder! Wir werden wohl noch eine Weile hier auf Velaran bleiben."
"Damit habe ich gerechnet. Ich weiß gern, wo du bist!" Bei diesen Worten wirkte A´kebur ausgesprochen unschuldig und provokativ zugleich. Er beendete die Verbindung, bevor Etienne etwas erwidern konnte.
Dieser starrte noch kurz auf den nun schwarz gewordenen Bildschirm, dann wandte er sich langsam zum Gehen. Er fühlte sich einfach nur noch erschöpft, geistig und körperlich. Ob A´kebur wirklich eine Lösung finden würde? Und was für eine sollte das sein?
Etienne lief es trotz der schwülen Temperaturen eiskalt den Rücken hinunter, als ihm klar wurde, dass nur eine Trennung ihre Probleme wirklich lösen würde. Aber das war es ja hoffentlich nicht, was A´kebur ihm Sinn hatte. Nein, daran sollte er lieber gar nicht erst denken.
So langsam wie möglich ging Etienne zu den Zelten zurück. Er hatte jetzt keine Lust mehr auf Gesellschaft.
"Das sieht nicht gut aus", stellte Jennie fest. Sie war erst jetzt gekommen, weil sie die Sensoren im Gebirge hatte kontrollieren wollen. Natürlich war sie darüber informiert worden, dass Etienne seine Liebe angerufen hatte. Als sie ihn jetzt mit buchstäblich hängenden Ohren angetrottet kommen sah, wusste sie, dass etwas Schlimmes passiert sein musste.
"Hm?" Die anderen sahen auf. "Scheint echt Probleme im Paradies zu geben", meinte John lapidar. "Aber Fernbeziehungen sind ja immer so eine Sache. Sollen wir ihn aufmuntern?"
"Nein, besser nicht", erwiderte Dr. Kenturry.
Etienne hatte das Ganze natürlich mitbekommen. "Flüstert ruhig lauter, es ist sehr faszinierend", brummte er. Hatten sie nicht irgendwo noch etwas Ale-Vorrat?
"Nun, du kannst darüber reden oder dich besaufen", schlug Jennie vor. "Doch Reden ist besser. Hilft nicht sofort, aber hält länger.“
"Ach, spricht da deine Erfahrung?" Etienne wollte eigentlich nicht nörgelig klingen, aber manchmal erinnerte ihn Jennie in ihrer Art an Shana. Oder besser, an eine nicht blaue, jüngere und definitiv neugierigere Version von Shana. Nicht, dass das Mädchen was dafür konnte.
"Ja", rief sie. "Thomas hat mir vor zwei Monaten den Laufpass gegeben. Er hatte keine Lust mehr auf mich zu warten."
Etienne blieb stehen. "Das wusste ich nicht, entschuldige. Aber ich glaube, bei mir ist es ein anderes Problem." Er rieb sich die Stirn und setzte sich zu den anderen. Die würden ja doch keine Ruhe geben.
"Anders?", kam auch gleich die unvermeidliche Frage von einem anderen Kollegen. Er war auch Mensch, aber ein Scheidungskind, welches dann später auf einer der vielen Kolonien der Erde aufgewachsen war, weil sich seine Mutter neu verliebt hatte. Sein Erbe war daher eine unheimliche Neugier, was die Beziehungen anderer Leute anging.
"Ist eine lange Geschichte", und zwar eine, die Etienne jetzt nicht zu erzählen bereit war, "Aber das geht bereits seit sieben Jahren so. Wir können nie länger als zwei, drei Wochen zusammen verbringen. Aber jetzt scheinen wir beide damit am Ende. Ach, ich weiß auch nicht." Er strubbelte sich durch die Haare, die dringend wieder eines neuen Schnittes bedurften.
"Wegen deiner Bewährung, nicht wahr?" Wie immer hatte John die Wunde gefunden. "Na, aber es muss da doch eine Lösung geben."
"Hey, hör auf", rief Kenturry, "Du suchst eine Möglichkeit, einen Kollegen abspenstig zu machen. Ich brauche das Genie hier!"
Fast gegen seinen Willen musste Etienne lachen. "Ihr macht mich ja ganz verlegen hier. Außerdem bin ich kein Genie, Dr. Kenturry. Ich habe nur eine etwas andere Herangehensweise. Aber was mein Beziehungsproblem betrifft: Es ist eben wahnsinnig kompliziert. Ich muss meiner Bewährungsauflage genüge tun, also könnte nur er den Dienst quittieren, um bei mir zu sein. Und das würde ich nie zulassen."
"Ein Starfleet-Offizier! Uhhie, das ist nicht mal was Kleines", kommentierte Jennie. "Und dann ein Pirat. Das ist geradezu romantisch und ihr könnt nicht zusammen. Das ist besser als jeder Liebesroman!"
"Na, ich bezweifle, dass die Story hier jemand lesen würde", meinte Etienne trocken, "viel zu unrealistisch. Und nicht halb so romantisch, wie du denkst."
"Och, ich denke schon", erwiderte Jennie und erntete ein paar Lacher.
Etienne musste auch grinsen. "Na, dann lasse ich dir mal deine Illusionen. Und vielleicht fällt dir ja auch ein Happy End für uns ein, ich weiß nämlich partout keines."
"Na ja, bei so einer romantischen Story muss ein Happy End rausspringen." Seine Kollegen nickten einmütig. "Wie heißt er denn?", fragte Jennie. Die Männer schauten sich etwas pikiert an. Dieses Detail war ihnen aus irgendeinem Grund bisher entgangen. Nur offenbar den Frauen nicht, denn diese wirkten nicht einmal annähernd uninformiert. Aber das war im Moment erst einmal uninteressant, denn das andere interessierte sie mehr. Nur, danach fragen, kam absolut nicht in Frage.
Bisher hatte Etienne Details erfolgreich zurückhalten können, aber warum sollte er jetzt ausweichen? Die Frage, ob er es konnte, erübrigte sich dabei. Es machte nicht mehr wirklich mehr den Unterschied. "A´kebur Lanar", antwortete er. "Momentan Lieutenant der technischen Abteilung auf Deep Space 13."
Seine Kollegen schauten sich gegenseitig an. "War das jetzt ein klingonischer Name und ein vulkanischer?", fragte Kenturry. Er lehnte sich zurück und tippte in die Datenbank A´keburs Name ein und zog eine Augenbraue hoch. "Das sind nicht nur klingonische und vulkanische Namen. Das ist ein klingonisch-vulkanischer Mann!"
"Sie haben es erfasst." Etienne wappnete sich mental gegen den Ansturm an Fragen, der jetzt zweifellos kommen würde. Das war ja fast schlimmer, als sich vor seiner Familie outen zu müssen. Nicht, dass Etienne das je getan hätte. Aber so ungefähr stellte er sich das vor.
Sie schwiegen alle. Einige nickten mit dem Kopf. "Wow", murmelte John schließlich. "Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Ich glaube, dass ist die explosivste Mischung, von der ich je erfahren hätte. Nichts gegen eine Orionerin. Die haben Temperament. Aber das!"
"Orionerinnen sind zahme Kätzchen dagegen", bestätigte Etienne. Wenn schon, dann konnte er auch gleich etwas angeben. Wer wusste schon, wie lange noch? "Und, Neugier befriedigt oder wollt ihr noch mehr wissen?"
Jennie beugte sich über Kenturrys Schulter. "Ausnehmend hübsch. Hat er blaue Augen? Wahnsinn. Schade, dass er vergeben ist!"
"Na, wer weiß, wenn das so weiter geht ..." Etienne hätte sich am liebsten den Mund zugehalten. Was sollte das? Noch war hier gar nichts entschieden, und einen Weg würde es sicher geben, dass sie zusammen sein konnten.
Jennie sah ihn an. "War nicht so gemeint", murmelte sie kleinlaut.
Seit exakt 10,3 Minuten lauschte Lial dem Umherstampfen ihres Urenkels, der offenbar den Boden seines Zimmers durchwetzen wollte. Sie entschied, dass nun allerdings genug Zeit für ihn vergangen war, um sich abzureagieren und klopfte.
"Herein?", hörte sie ihn.
Lial öffnete die Tür. "Du bist viel zu erregt, um logische Überlegungen anstellen zu können", rügte sie ihn sanft, "So kommst du nicht weiter."
"Wer sagt, dass ich logisch denken will?", stellte A´kebur eine Gegenfrage. "Entschuldige!", murmelte er gleich, als er merkte, dass er unhöflich war.
Lial schüttelte nachsichtig den Kopf. "Aber ich vermute doch, du willst eine Lösung für euer Problem finden, oder? Du solltest einen Weg finden, wie ihr zusammen sein könnt, ohne dass einer von euch zu große Opfer bringen muss."
"Ich habe eine Idee", gestand A´kebur. "Nur, ich weiß nicht, ob es funktioniert und es hängt von einigen Umständen ab. Ich werde es aber versuchen."
"Wenn ich dir helfen kann, werde ich alles tun", erwiderte Lial.
"Danke, aber ich möchte das selbst regeln. Ich werde Starfleet überzeugen. Alles andere hat keinen Wert!"
"Gut. Ich wünsche dir viel Erfolg, mein Enkel."
A´kebur neigte kurz sein Haupt. "Ich werde zur Erde reisen. Mein Urlaub erlaubt das noch. Wünsch mir Glück!"
"Gib uns Bescheid, wenn du Erfolg hast", erwiderte Lial.
A´kebur nahm das als Segen und den diskreten Hinweis, dass er nicht damit rechnen musste, auf die Spur seiner Familie zu stoßen. Wenn er es recht bedachte, hatten sie ihm wohl oft geholfen, ohne dass er wirklich viel davon mitbekommen hatte.
Etienne hatte recht: A´kebur hatte es gut getroffen. Nicht so, wie er es vielleicht gewollt hatte, aber er war nicht allein. Was immer geschah, er konnte immer hierher zurückkommen und diesen Ort, so fremd er ihm auch war, als sein Zuhause ansehen. Das war es auch, was sein Vater gewollt hatte. A´kebur war nicht dumm. Nur, es zu akzeptieren, war schwer.
Es fühlte sich wie ein Verrat von seiten seines Vaters an, nicht seinem Vorbild folgen zu dürfen. Sein Halbbruder durfte, er nicht. Es wog schwer auf ihm. Aber A´kebur hatte nicht vor, sich davon jetzt in irgendeiner Weise behindern zu lassen. Er wollte bei Etienne sein. Nicht kurz, nicht für einen begrenzten Zeitraum, sondern für eine lange Zeit.
Für einige Zeit und eigentlich auch für Jahre, war es auch so gegangen. Aber jeder Tag mehr wurde nunmehr zur Qual. Vulkanier konnten da vielleicht drüber stehen, aber sie beide waren nichts davon.
A´kebur wusste jetzt, was er zu tun hatte. Noch war die Idee nicht ausgereift, aber wenn eine Chance bestand sie umzusetzen, würde er es versuchen. Er verließ sein Zimmer und ging hinüber in Lials Arbeitszimmer, genauer gesagt, zu ihrem Terminal. Von hier aus war es ein Leichtes, Starfleet zu kontaktieren.
"Enkel?" A´kebur hatte nicht bemerkt, dass Loran in einem der hinteren Stühle im Arbeitszimmer gesessen und eine alte Schriftrolle studiert hatte.
A´kebur hätte sich beinahe erschrocken. Normalerweise hätte er jeden bemerkt. Aber abgelenkt von seinem Vorhaben und der Wichtigkeit, war ihm die Anwesenheit eines andere nicht aufgefallen. "Großvater Loran", grüßte er.
"Ich nehme an, du hast einen Entschluss gefasst?", fragte dieser.
"Woher nimmst du an, dass ich etwas habe, worüber ich einen Entschluss gefasst habe?", fragte A´kebur nach.
"Logische Schlussfolgerung. Da du die letzte Zeit mit unruhigem Umherwandern verbracht und dies nun offenbar aufgegeben hast, um den Terminal zu benutzen." Loran legte die Schriftrolle beiseite.
A´kebur knurrte unbestimmt. Darauf hätte er wirklich selbst kommen können. "Ähm, ja, habe ich wirklich", meinte er dann. "Ich will versuchen, dass Etienne zu Starfleet kann. Wenn das nicht geht, werde ich kündigen. Dann werde ich Maulwurf bei diesen Archäologen."
"Nun, das scheinen die beiden logischen Konsequenzen zu sein", stimmte Loran zu, "Dann wünsche ich dir viel Erfolg.“
"Danke!" A´kebur wusste nicht, was er viel darauf sagen sollte. Er sah noch kurz dabei zu, wie Loran sich einfach wieder über die Schriftrolle beugte und sie las. Er zuckte mit der Schulter und ging dann zu Lials Schreibtisch. Er brauchte nicht lange zu warten, dann wer mit dem Netzwerk der Erde verbunden. Die Verbindung war langsam und schwerfällig. Aber erträglich. A´kebur las sich die Einstellungsbedingungen für zivile Angestellte durch und presste die Lippen zusammen.
Etienne fiel nicht darunter. Er erfüllte nichts davon. Also musste A´kebur für ihn einen anderen Weg finden. Als er sich schon wieder ausloggen wollte, sah er eine Nachricht. Ein neues Schiff wurde gebaut und in fünf Monaten würde es mit einer neuen Besatzung vom Stapel laufen. Die Mannschaftsgespräche waren schon im vollen Gange. Auswahlverfahren wurden als vielversprechend gepriesen. A´kebur hatte völlig vergessen, dass die Dragon, wie das Schiff einmal heißen würde, eines der neuen Flagschiffe von Starfleet soweit war. Sich zu bewerben, war eigentlich nicht mehr möglich. Die Fristen waren alle verstrichen. A´kebur lehnte sich zurück.
"Dann eben anders", murmelte er kurz entschlossen.
[1] Cappuccino der gefährlichen Art
[2] Ein Krieger ist immer vorbereitet zu trinken.
Ian Vernando, zukünftiger Schiffscounselor der USS Dragon, dem zukünftigen Stolz von Starfleet sah den bestimmt hundertsten Bewerbungsbericht durch. Es war unglaublich, wie viele Offiziere und Zivilisten, talentiert oder nicht, sich beworben hatten, um auf die Dragon zu kommen. Ian erinnerte sich, dass man ihm erzählt hatte, vor dem Start jeder neuen Enterprise sei es genauso schlimm gewesen.
Zu Anfang waren schon der Captain, der Erste Offizier und der Counselor ermittelt worden. Sie mussten die Crew, die eines Tages das Schiff bevölkern würde, mit auswählen. Diese kleine Auswahl, die hier vor ihm lag, füllte immer noch dieses Zimmer und einige andere. Viele waren schon ausgesiebt worden.
Die Auswahl hier würde noch einen letzten Test machen, der Rest, der dann übrigblieb, wurde dann in persönlichen Gesprächen ermittelt. Das Schiff füllte sich auf diese Weise Mann für Mann und Frau für Frau - oder eben mit anderen Geschlechtern. Das Universum war schließlich vielfältig und äußerst kreativ in den evolutionären Verläufen der diversen Spezies.
Trotzdem wünschte Ian, er müsse die Listen nicht alle praktisch per Hand durchgehen. Aber er war derjenige, der die erste Auswahl traf, bevor der Erste Offizier und der Captain weitersiebten. Und wie Ian Captain Elena Volkov kannte, würde sie ihm den Kopf abbeißen, wenn er nicht gründlich war. Auf die nette Art natürlich, aber unmissverständlich.
Sie, die erste Crew und Mannschaft, hatten sich vom ersten Tag an gut verstanden. Das war der Hauptgrund, warum sie ausgewählt worden waren. Durch sie drei würden sich auch die anderen, künftigen Crewmitglieder um sie sammeln und das Teamwork schnell aufbauen können. Sicher, es würde am Anfang nicht alles eingespielt von der Hand gehen. Das war normal. Aber der Grundton war durch sie drei gelegt worden und sie bauten darauf das Gebäude der Mannschaft der Dragon.
Ian legte den letzten Bericht weg und streckte sich. Er hatte kaum gemerkt, wie die Zeit vergangen war und beschloss, erst einmal Mittagspause zu machen. Per Intercom benachrichtigte er seine Assistentin, die das Pech hatte, alle eingesandten Bewerbungen sortieren zu müssen.
Sein Weg führte ihn wie immer zu Captain Elena Volkov. Sie sah ähnlich konzentriert aus, wie er vor ein paar Minuten. "Die besten Leute von Starfleet", murmelte sie und ihr russischer Akzent war auch jetzt ziemlich gut zu hören. Ian lächelte.
"Genau die werden wir bekommen", stimmte Ian zu. "Haben Sie Lust, mit zum Mittagessen zu kommen? Die Akten laufen uns nicht weg."
"Das fürchte ich auch", stöhnte sie. "Warum kann ich nicht einfach sagen, dass das die Besten sind und ich nehme sie alle? Es sind wirklich die Besten, davon abgesehen. Ausgezeichnete Noten, ausgezeichnete Leistungen. Ich kann jede Stelle mit vier Leuten besetzen."
"Aber wir müssen uns entscheiden, es hilft nichts. Kommen Sie, mit vollem Magen ist man klüger. Anweisung des Counselor." Er zwinkerte.
A´kebur befand sich seit drei Tagen auf der Erde. Er war immer wieder ins Starfleet-Hauptquartier gegangen. Aber die Informationen waren dieselben: Die Bewerbungsfrist war abgelaufen und er könnte sich auch auf einem anderen Schiff bewerben. Seine Auszeichnungen waren ja nicht die schlechtesten.
A´kebur wusste, dass das möglich war. Er gehörte mit zu den Besten, davon abgesehen gab es eine Menge qualifizierter Leute wie ihn. Doch, es gab nicht viele Schiffe, wohin man seine Familie mitnehmen konnte. Und in dieser Hinsicht war auf absehbare Zeit kein Platz. Er konnte sich auf Wartelisten eintragen lassen. Doch er hatte keine Kinder und würde niemals welche haben. Damit sahen seine Chance insgesamt äußerst bescheiden aus.
Trotzdem hatte er es bisher nicht über sich gebracht, unverrichteter Dinge abzureisen. In Galauniform und mit ausnahmsweise zusammengebundenen Haaren, um auch einen guten Eindruck zu machen, der bisher nichts genützt hatte, schlenderte er durch die Lounge.
Er sah wieder und wieder die Bilder der neuen Dragon an. Langsam freundete er sich mit dem Gedanken an, sein Entlassungsgesuch einzureichen. Ganz langsam strich A´kebur über die holographischen Formen des Schiffs. Der Antrieb war der neueste, den es gab. Er wusste, dass darin ein guter Teil seines Wissens steckte. Der veränderte Antrieb der Bewahrer und die holographische Simulation hatten zu einigen Änderungen auch in der Bauweise des neuen Schiffes geführt. Es war nichts, was alles über den Haufen warf. Die neueste Generation von Antrieben befand sich noch in der Testphase. Aber wenn es soweit war, würde die Dragon einen komplett neuen Antrieb erhalten und dafür waren die Änderungen vorgesehen. Sie würde damit das erste Flagschiff seiner Art werden.
Bis er für alle Schiffe eingesetzt werden konnte, würden jedoch noch gut vier oder fünf Jahre vergehen. Vielleicht sogar mehr. Aber zumindest würde etwas bleiben, wenn A´kebur Starfleet wirklich verließe. Es wäre also nicht alles völlig umsonst gewesen.
"Entschuldigen Sie?", wurde er unvermutet von hinten angesprochen, "Warten Sie auf jemanden?" Es war ein Mensch mit freundlichen und offenen Gesichtszügen. Neben ihm am Tisch saß eine ausgesprochen hübsche Frau mit einem langen schwarzen Zopf und den Rangabzeichen eines Captains. Im Gegensatz zu ihrem Begleiter sah sie nicht von ihrem Datenpad auf.
Elena hatte ihre Arbeit mitgenommen. Als sie jedoch merkte, dass ihr künftiger Counselor jemanden ansprach, den er für wichtig hielt, sah sie auf und steckte das Pad weg. "Guten Tag", grüßte sie. Ein wenig erstaunt bemerkte sie, dass sie es hier mit einem Vulkanier-Klingonen-Mischling zu tun hatte. Davon gab es in Starfleet nicht viele. Sie kramte in ihren Erinnerungen und hob dann erstaunt eine Augenbraue. "Lieutenant A´kebur", grüßte sie.
Ian war aufgestanden und streckte spontan die Hand aus. "Sie haben die Grundlagen für den Antrieb der Dragon geliefert, nicht wahr? Denken Sie nicht, das wäre kein Allgemeinwissen unter den Senioroffizieren. Das ist übrigens Captain Elena Volkov, und ich bin Commander Ian Vernando."
"Captain Volkov, Commander Vernando", murmelte A´kebur und nahm für einen Moment Haltung an. Als aber die Hand von Ian noch immer so war, wusste er, dass er sich nicht formell verhalten sollte. Er schüttelte sie vorsichtig und schüttelte auch die von Elena, die sich sichtlich freute, ihn zu sehen.
A´kebur wusste nicht, dass er einen solchen Namen hatte. Er sagte dazu aber nichts. Wahrscheinlich war es nur eine Art Nettigkeit, wie sie Menschen des Öfteren pflegten.
"Dürfen wir erfahren, was Sie herführt?", fragte Captain Volkov. Sie und Ian hatten kurze Blicke getauscht, die A´kebur verrieten, dass die beiden sich schon lange kannten und kaum mehr Worte bedurften, um sich zu verständigen.
"Ich wollte mich für die Dragon bewerben", erklärte A´kebur sofort. "Aber ich habe die Bewerbungsfristen versäumt. Ich hatte auch nicht daran gedacht, muss ich zugeben. Nun, die Schuld liegt bei mir. Ich will Sie nicht weiter aufhalten. Ich muss heute Abend die Erde wieder verlassen und zurück zu meiner Station."
Captain Volkov schüttelte den Kopf. "Sie halten uns nicht auf, im Gegenteil." Wieder tauschten die beiden Senioroffiziere kurze Blicke. "Sie wollten sich für die Dragon bewerben? Haben Sie Ihre Unterlagen trotzdem noch offiziell vorgelegt?"
"Nein, Ma´am, ich habe meine Unterlagen nicht mehr einreichen können. Aber das ist nicht weiter problematisch."
"Sie können das noch nachholen", schaltete sich Ian ein, "wir treffen die Auswahlen für die Besatzung, also können Sie uns die Bewerbung direkt geben. Auf ein Datenpad mehr oder weniger auf dem Schreibtisch kommt es nicht an."
A´kebur sah sie beide an. "Und was ist mit den Tests? Die sind doch schon gemacht worden!", wandte er nicht unberechtigt ein.
"Die können mit Sondererlaubnis nachgeholt werden. Vermutlich fallen sie dann etwas strenger aus, aber wenn Sie das nicht abhält ..."
A´kebur schöpfte neue Hoffnung. Er zog sein Datenpad hervor und reichte es Ian. "Ich werde die Tests nachholen", versicherte er. "Bei wem muss ich die Sondererlaubnis nachholen?"
"Beantragen Sie sie in der Rekrutierungsabteilung unter Aktenzeichen C21. Dann wird man Bescheid wissen und Sie können die Tests nachholen. Falls Fragen bestehen, soll man sich direkt an mich wenden." Ian überflog das Pad, bevor er es an Captain Volkov weiterreichte. "Wie ich sehe, beantragen Sie die Versetzung nur unter Berücksichtigung einer Partnerschaft?"
Ian beobachte genauso interessiert wie Elena, dass sich das Gesicht des Lieutenants leicht grünlich färbte. Am interessantesten dabei waren aber die Spitzen der Ohren.
"Mein Gefährte und ich, wir sind an verschiedene Orte gebunden. Es bestehen gewisse Schwierigkeiten, die unter Umständen seinen Aufenthalt auf einem Schiff von Starfleet behindern könnten. Abgesehen davon, ob ich die Tests bestehe, heißt das natürlich."
"Schwierigkeiten? Welcher Art, wenn ich fragen darf?", erkundigte Ian sich, "Wir müssen natürlich Ihren Partner genauso überprüfen, wenn die Bewerbung vollständig sein soll."
"Ich habe seine Unterlagen meiner Bewerbung beigefügt, Sir. Er ist auf Bewährung. Er ist Pirat gewesen." A´kebur hatte nicht geglaubt, dass es so schwer war, dass öffentlich zu zugeben, wo doch jeder, wenn er es wollte, ohne Schwierigkeiten eins und eins zusammenzählen konnte. "Er wird noch für eine lange Zeit auf Bewährung sein. Das ist auch der Grund, warum wir an die jeweiligen Orte gebunden sind. Wenn mein Gesuch abgelehnt wird, werde ich meine Entlassung einreichen. Das ist die einzige logisch verbleibende Lösung."
Elena und Ian blickten sich an. "Gut, dann wissen wir Bescheid. Schreiben Sie sich für die Tests ein, dann sehen wir weiter." Elena klemmte sich das Datenpad unter den Arm und reichte A´kebur die Hand. "Auf baldiges Wiedersehen, Lieutenant."
A´kebur nickte und versuchte zu verstehen, was das jetzt bedeutete.
"Interessanter Mann", murmelte Elena und sah sich die Daten von A´keburs Lebenslauf durch. "Und noch ein interessanter Mann", murmelte sie, als sie Etiennes Daten überflog.
Ian nickte. "Unter normalen Umständen käme es nicht in Frage, sich solche, nun ja, Sonderfälle auf ein Schiff zu holen, aber die Dragon ist kein normales Schiff. Wir brauchen die besten Leute, und Lieutenant A´keburs Ideen haben diesen Antrieb überhaupt erst ermöglicht. Wirklich geniale Leute bewegen sich immer außerhalb der Konventionen."
"Nun, Mr. Duval wäre dann unser schwarzes Schaf auf dem Schiff. Pirat, Schmuggler, seit sieben Jahren auf Bewährung auf irgendeinem gottverlassenen Planeten, wo er als Archäologe arbeitet. Er gilt als Spezialist für die Kultur der Bewahrer. Ian, hatte ich schon gesagt, dass die zwei interessant sind? Die zwei zusammen sind eine äußerst interessante Kombination. Wie kommt ein Vulkanier-Klingonen-Mischling dazu, der Starfleet-Offizier ist, dass er sich einen Menschen als Gefährten wählt, der Pirat und ein überführter Krimineller ist? Die zwei zusammen ..." Elena hielt kurz die Luft an und ließ sie dann langsam entweichen.
"Ich weiß, was Sie meinen. Ein explosives Gemisch, aber in die richtigen Bahnen gelenkt mit ungeheurem Potential. Wir riskieren eine Menge, wenn wir sie an Bord holen, aber mit etwas Glück könnten die beiden eine unvorstellbare Bereicherung der Crew sein. Und Sie könnten ein Beispiel setzen, Captain. Nicht, dass so etwas jemals jemand gewagt hätte, nicht mal der legendäre Captain Kirk." Ian grinste verschwörerisch.
Elena sah Ian mit gerunzelter Stirn an. "Du hattest die Position eines Counselors, nicht wahr? Vielleicht sollte ich mir das noch einmal überlegen. Oder ich stelle dir einen Sicherheitsoffizier zur Seite, der dir täglich die Sicherheitsvorschriften vorliest. Ist sicher ein interessanter Anblick."
"Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Captain. Ich gebe hier lediglich meine fachmännische Einschätzung. Die Entscheidung liegt bei Ihnen. So, wollen wir jetzt endlich zu Mittag essen?"
Elena lachte. "Dann würde ich sagen, hast du dir hier deine eigene Arbeit an Bord geholt. Die zwei und dann der Rest der Crew. Wenn du Urlaub brauchst deswegen, dann werde ich dir diesen Tag immer unter die Nase reiben. Versprochen, Ian. Wenn er den Test besteht, haben wir einen Chefingenieur und einen Experten für die Kultur der Bewahrer an Bord."
Ian grinste breit. "Abgemacht. Und dafür lade ich Sie jetzt ein, Captain. Ich habe nämlich im Gefühl, dass wir diesen Tag feiern sollten."
A´kebur befand sich einen Tag später als geplant wieder auf der Station. Er hatte die Tests im Galopp machen müssen, wie sich ein Mensch ausgedrückt hatte. Körperlich, geistig - alles an ihm war noch einmal geprüft worden.
Er hatte gehört, dass sich die Bewerber vorher vorbereitet hatten. Sie hatten ja auch gewusst, dass sie sich bewerben wollten. So war A´kebur nach diesem Tag völlig fertig und mit dem sicheren Wissen zum Schiff gegangen, dass alles umsonst gewesen war. Im letzten Test, es waren Konzentrationsaufgaben gewesen, Beheben eines Notfalls am Antrieb und gleichzeitiges Singen eines von ihm gewählten Liedes, hatte er vollkommen versagt. Dessen war er sich sicher. Sein Antrieb schwebte danach im virtuellen Universum, weil er völlig überhitzt war und A´kebur es nicht geschafft hatte, ihn zu retten und damit das Schiff betriebsfähig zu halten.
Und nun hielt ihm Chefingenieur Peel auch noch einen langen Vortrag, dass man sich gefälligst an die vorgegebenen Beurlaubungen zu halten habe und sich bei Verspätung rechtzeitig melden müsse.
Schließlich bräche doch hier die halbe Station zusammen, wenn A´kebur nicht da sei und was ihm überhaupt einfiele... Und so ging es noch eine ganze Weile weiter. A´kebur begriff langsam, dass der alte Ingenieur unter seinem Ärger nur die Enttäuschung versteckte, dass sich sein bester Mitarbeiter anderweitig beworben hatte.
A´kebur zeigte sich verständnisvoll. "Ich sehe keine andere Möglichkeit", entschuldigte er seine Entscheidung. "Auf die Station kann er nicht kommen." Familien waren nur eingeschränkt möglich und im Moment war auf absehbare kurze oder lange Zeit kein Quartier frei, welches einem Mannschaftsmitglied ermöglichte, seine Familie nachzuholen. Die, die vor A´kebur ein Anrecht hatten, besaßen zudem noch Kinder.
"Ja ja, schon gut", brummte Peel, "Ich sage ja nichts mehr! Aber was glauben Sie, was ich für eine Arbeit haben werde, Ihren Nachfolger anzulernen. Diese Jungspunde haben hier doch von nichts eine Ahnung. Aber wehe, Sie machen mir keine Ehre an Bord des neuen Schiffes, mein Junge!"
A´kebur lächelte. "Ich denke, dass ich Ihnen keine Schande bereiten werde. Aber ich glaube nicht, dass ich genommen werde. Ich habe die Tests nicht bestanden. Ich habe versagt."
"Sie, versagt? Von wegen! Wer mir hier jahrelang die Stationsrelais mit Pflastern zusammenhält, der besteht auch so ein paar läppische Tests. Aber gehen Sie jetzt an die Arbeit, ehe ich mir doch wünsche, dass Sie nicht bestehen!"
A´kebur ließ sich das nicht zweimal sagen. Er machte sich auf und verschwand die nächsten Tage mehr oder weniger von der Bildfläche beziehungsweise im Maschinenraum und diversen Jeffriesröhren.
Es dauerte ganze drei Monate, ehe endlich die Ergebnisse der Tests in A´keburs Hände gelangten. Zeitgleich erhielt Etienne die Erlaubnis und auch den Befehl, sich auf der Erde einzufinden, um dort an Bord des Schiffs USS Dragon seinen Dienst anzutreten.
Sein Bewährungshelfer teilte ihm zudem mit, dass er mit einem Passagierschiff zur Erde gebracht werden würde und nicht die Route verlassen dürfte.
Etienne hatte zunächst überhaupt nichts mit dieser Anweisung anfangen können. Seine Arbeit auf Velaran war noch nicht wirklich beendet. Aber er musste diesem Aufruf Folge zu leisten. Wirklich zu schaffen machte ihm allerdings, dass er von A´kebur schon länger nichts mehr gehört hatte. Der Äther blieb stumm und per Intercom klang sein Geliebter immer extrem beschäftigt.
Seine Kollegen waren über diese Aufforderung auch alles andere als begeistert. "Das klingt, als ob die der Meinung sind, dass du mir nichts dir nichts hier überflüssig bist. Hast du dich für die USS Dragon beworben? Das ist doch dieses neue Flaggschiff, nicht wahr?" Kenturry sah ihn etwas verärgert an, als machte er Etienne dafür verantwortlich.
Dieser hob die Hände. "Ich schwöre Ihnen, ich habe keine Ahnung, was das soll. Sie wissen genau, wann ich mit wem per Subraumfunk geredet habe. Ich weiß wirklich nicht." Etienne unterbrach sich, als ihm klar wurde, was hier los war. Offenbar hatte A´kebur eine Lösung für sie gefunden. Eine andere Erklärung konnte es nicht geben.
"Aber?", fragte Kenturry. "Sag mir nicht, dass du nicht weißt, was hier los ist? Ich finde das nicht ganz in Ordnung. Ich ..." Er fuhr sich durch die Haare. "Okay, ich schätze, damit kann ich mich wohl von einem meiner besten Mitarbeiter verabschieden."
Etienne war gegen seinen Willen gerührt. Er hatte in all der Zeit seinen Kollegen wirklich ins Herz geschlossen, auch wenn er zu dieser Arbeit ursprünglich völlig unfreiwillig verdonnert worden war.
"Um so größer die Chance für Sie, wieder ernsthafte wissenschaftliche Studien aufzunehmen und nicht länger meinen Grabräubermethoden zusehen zu müssen", erklärte er lächelnd. "Ich bin sicher, Sie alle hier kommen bestens ohne mich aus."
"Das glaube ich kaum. Ich habe selten jemanden gesehen, der so unkonventionell arbeitete und damit die besten Ergebnisse erzielt hat. Du hast das Wissen um die Bewahrer um gut zehn Jahre vorangebracht. Aber nun, wann fliegst du ab?"
"Mein Flug geht übermorgen. Knapper hätten sie natürlich nicht vorwarnen können."
"Ganz deiner Meinung. Die von Starfleet hätten sich das ruhig eher überlegen können. Wenn die dich nicht mehr brauchen, kommst du dann zurück?" Kenturry sah ihn eindeutig bittend an.
"Wie schon gesagt, die Entscheidung liegt nicht wirklich bei mir", wich Etienne aus, "Aber ich bin auch nicht gänzlich aus der Welt. Wenn was ist, bin ich ja erreichbar."
"Dein Wort in Gottes Gehörgang. Ich glaube ja kaum, dass du erreichbar sein wirst. Aber wie auch immer, melde dich", grollte Kenturry nicht wirklich versöhnt. Eindeutig sauer auf Starfleet verließ er das Zelt, um nach der neuen Grabungsstelle zu sehen. Sie würde sie vielleicht ein gutes Stück weiter bringen in der Forschung über die Bewahrer. Etienne konnten sie da gut bei brauchen.
Dieser sah dem knurrigen Wissenschaftler einen Moment nach. Einerseits hatte Etienne mit den Leuten hier gerne zusammengearbeitet, aber die Aussicht, auf Dauer mit A´kebur zusammen sein zu können, ging eindeutig vor.
Außerdem würde Etienne all seine Forschungsergebnisse sofort an Kenturry und T'Ro weiterleiten. Da so wenig Zeit bis zur Abreise blieb, sollte er lieber vorher noch etwas Nützliches tun. Persönliche Sachen waren kaum zu packen, also ging Etienne zurück zur Höhle, um sich noch weiter den Schriften zu widmen.
Er hatte ein schlechtes Gewissen, das er jetzt einfach so ging. Daher wollte er bis zu seinem Abflug noch das eine oder andere schaffen. Er lud sich die Arbeit und die Ergebnisse, die er vielleicht eines Tages brauchen könnte, auf ein Datenpad und vergaß bewusst, dass das seine letzten Stunden als praktischer Archäologe waren.
Etwa zwölf Stunden später wurde er abgeholt und zur Erde gebracht. Er erfuhr, dass der Stapellauf der Dragon bevorstand. Er würde pünktlich ankommen, wurde ihm versprochen.
Fast gegen seinen Willen war Etienne fasziniert von dem neuen Schiff, um dessen Konstruktion sich so viele Geheimnisse und Gerüchte gerankt hatten.
Aber nun, da es friedlich in Raumdock schwebte, bereit, die Weiten des Alls zu erkunden, bot es einen unglaublichen Anblick. Schlank und aerodynamisch geformt, mit seitlichen Warpgondeln, erinnerte es tatsächlich an einen Drachen.
"Als ich das Schiff, das erste Mal gesehen habe, dachte ich an eine Figur aus einem Fantasy-Roman", hörte er hinter sich eine eindeutig junge Stimme eines Mannes. Als Etienne sich umdrehte, sah er sich bestätigt sich. Es war ein höherrangiger, menschlicher Offizier in einer blauen Starfleet-Uniform. Er trug den Kommunikator der Dragon. Etienne hatte das Zeichen des Schiffs in der Datenbank gefunden. Sein eigener Kommunikator ließ noch auf sich warten. Sicher bekam er ihn erst an Bord.
"Stimmt", erwiderte er. "Hoffentlich hält es auch, was es verspricht. ich war mal auf der Enterprise und hätte nicht gedacht, dass die zu toppen sei." Mit kurzem Schmerz dachte Etienne an sein eigenes Schiff zurück. Die Drake war zwar klein und kaputt gewesen, aber ein Stück Zuhause.
"Ja, die Enterprise. Ein Schiff mit einem großen Namen. Vielleicht kann die Dragon es ihr nachtun. Aber wer an die Enterprise denkt, denkt an mehr als nur an das Schiff. Ich träume ja davon, dass man auch mal von der Dragon und seiner Mannschaft wie von einer Legende spricht. Aber wie sagte mein Vater schon? Nomen est omen. Ein Schiff mit dem Namen Dragon sollte das Fantastische schon mit sich tragen, nicht wahr?"
"Allerdings. Dann bleibt nur abzuwarten, was sich Fantastisches finden wird." Etienne gestand sich ein, dass er den jungen Mann sympathisch fand. Problem war nur, dass er selbst noch keine Ahnung hatte, wie sein Status an Bord wirklich sein würde: War er den Sektionsleitern der Forschungsabteilung direkt unterstellt oder eher so eine Art freier Mitarbeiter? Andererseits war dies immer noch eine Art Strafarbeit, wenn auch in ungewöhnlicher Umgebung.
"Was wird Ihr Aufgabenbereich auf der Dragon sein, Commander?", fragte Etienne in Berücksichtigung auf die Rangabzeichen an der Uniform seines Gesprächspartners.
"Commander Ian Vernando, ich bin der Schiffscounselor und suche meine Schäfchen zusammen. Sie sind eines davon, Mr. Duval." Ian lächelte.
"Scheint mir auch so. Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht, Counselor, Kompliment." Etienne passte es gar nicht, sofort erkannt zu werden, aber er war auch nicht gerade unauffällig als so ziemlich einziger Anwesender, der nicht in einer Starfleetuniform steckte. "Ich vermute, Sie werden auf mich Verbrecher ein scharfes Auge haben?"
Ian legte seine Hände auf den Rücken und drückte ihn durch. "Nein, Mr. Duval. Sie haben eine Fußfessel, die schwerer ist als jede Eisenkugel, die man Ihnen umbinden könnte. Soweit ich weiß, ist Lieutenant Commander A´kebur Lanar Re auf der Dragon. Er gehört zur ersten Notbesatzung. Es kann sein, dass sie sich erst nach der Zeremonie treffen."
Lieutenant Commander?, dachte Etienne erstaunt. A´kebur war doch tatsächlich befördert worden, ohne dass er das erfahren hatte. "Nun, das ist noch früh genug", murmelte er, "Und erzählen Sie mir nicht, sie haben ihn zum Chefingenieur von diesem Wunderwerk gemacht?"
Ian grinste von einem Ohr zum anderen. "Zu was, Ihrer Meinung nach, hätten wir ihn denn sonst machen sollen? Er hat alle Qualifikationen und er war der Beste bei den Tests."
Etienne zog die Augenbaue hoch. Na, da hatte man ihm aber eine ganze Menge verheimlicht. "Das glaube ich gerne. Ich wusste nur nichts davon. Genau genommen wusste ich bis vor zwei Tagen überhaupt nicht, dass ich auf der Dragon lande."
"Ja, ich weiß." Ian winkte leicht, dass Etienne ihm folgen sollte. "Wissen Sie, Lieutenant Commander A´kebur hatte leider keine Zeit mehr, nachdem er erfuhr, dass er angenommen worden ist. Zudem war nicht sicher, ob man Sie mitnimmt. Als er dann drängte, dass man endlich wegen Ihnen eine Entscheidung fällen soll, hat man mir die Aufgabe zugeschoben. Also habe ich Ihnen geschrieben, dass Sie sich auf der Dragon einzufinden haben. Ich sehe keinen Grund, warum Sie nicht auf die Dragon sollen. Lediglich, dass mich der Captain Kiel holen könnte, wenn ich falsch liege. Aber, ein gewisses Risiko gibt es immer."
"Aber Sie wissen schon, was Sie sich mit mir aufhalsen?", fragte Etienne nach, "Und ich weiß auch nicht wirklich, wo ich Ihnen auf so einem Schiff nützlich sein kann."
Ian blieb stehen und sah ihn für einen Moment stumm an. Dann tippte er an seinen Kommunikator. "Zwei Personen zur Dragon", kontaktierte er den Transporterraum.
Etienne sah ihn verwirrt an, hoffte aber, schnell eine Erklärung für all das hier zu bekommen. Und wenn er bereits die Dragon von innen sehen durfte ...
Transporterenergie erfasste die beiden Männer und sandte sie hinüber zum Schiff. Der Transporterraum der Dragon war dem der Enterprise recht ähnlich, aber anstatt des üblichen sterilen Graus waren die Wände cremefarben gehalten. Es wirkte warm und freundlich.
Er stellte fest, dass ansonsten ziemlich viel Rot verwandt worden war. Das typische Grau war wohl durch ein neues Design abgelöst worden. Vielleicht hatte es jemanden gelangweilt.
"Was schätzen Sie, was die Dragon hauptsächlich für ein Schiff ist? Ich meine, was für einen Auftrag sie hat?"
Etienne blickte Ian an. "Nun, das, was die meisten Starfleetschiffe haben. Entdeckung neuer Welten, Forschung, Karthographierung, Erstkontakte. Und natürlich potenzielle Feinde einschüchtern."
"Genau!" Ian lachte. "Ihre Aufgabe ist die Wissenschaft. Noch steht der Forschungsauftrag nicht genau fest. Aber ich denke, dass die Dragon sicher bald genau einen Spezialisten brauchen wird, wie Sie es einer sind." Ian hielt an eine der unzähligen Türen. "Mein Büro", erklärte er. Er ging direkt zum Terminal und nahm dann eines der unzähligen Datenpads auf.
Er drückte es Etienne in die Hand. "Ich muss noch eine Million Namen und Gesichter auswendig lernen. Das verlangt die Stelle eines Counselors. Ich weiß auch nicht warum. Aber es erwartet jeder von einem. So, aber das ist das, warum Sie hier sind. Sie sind wissenschaftlicher Mitarbeiter, sofern Sie damit einverstanden sind. Sie sollten vor Ihrer Entscheidung jedoch wissen, dass wir einen neuen Chief für die Technik brauchen werden, wenn Sie ablehnen. Lieutenant Commander A´kebur hat seine weitere Anstellung bei Starfleet davon abhängig gemacht, wenn sein Partner und Lebensgefährte bei ihm sein kann. Andernfalls reicht er sein Entlassungsgesuch ein."
Etienne starrte auf das Datenpad. "Natürlich werde ich hierbleiben, das steht gar nicht zur Diskussion. Aber bei Starfleet gibt es doch unzählige Experten, die weitaus versierter sind. Oder auch Dr. Kenturry, unter dem ich gearbeitet habe."
"Wollen Sie tatsächlich hören, dass Sie hier nur an Bord sind, weil wir Ihren Partner als Chief wollten und Sie leider das ungeliebte Mitbringsel sind? Wir beide wissen, dass Sie das nicht hören wollen. Sehen Sie es so: Sie sind die nette Kleinigkeit dazu, die wir bekommen können. Auf den Chief bestehen wir jedoch. Es liegt an Ihnen, wenn Sie uns beweisen, dass Sie mehr sind, als eine nette Kleinigkeit." Ian hielt Etienne die Hand hin. Der kleine mattgoldene Kommunikator schimmerte auf ihr. "Willkommen an Bord, Mr. Duval. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit."
Etienne nahm den Kommunikator entgegen und schwor sich, sich in Zukunft vor Ian in Acht zu nehmen. Der nette junge Mann hatte definitiv was auf dem Kasten. "Danke. Dann wollen wir alle hoffen, dass unsere Erwartungen erfüllt werden. Ich werde mir jedenfalls Mühe geben, kein lästiges Anhängsel zu sein. Zur Not können Sie mich ja Teller waschen lassen."
Ian lachte herzerwärmend. Er freute sich wirklich und ohne Hintergedanken. "Selbstmitleid steht Ihnen nicht, Mr. Duval. Ach, und bevor ich es vergesse zu erwähnen: Ich bin übrigens Empath. Aber ich schätze, damit kennen Sie sich aus besser als ich."
"Ich habe mir schon so etwas gedacht. Und nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich habe gelernt, mich abzuschirmen und werde das nutzen. Ungebetene Gäste in meinem Kopf hatte ich bereits genug."
Ian schüttelte den Kopf. "Ich bin nicht in Ihrem Kopf. Ich bin an der Oberfläche Ihrer Gefühle. Das ist schlimmer oder besser. Je nach Ansichtssache. Aber das braucht Sie nicht weiter interessieren. In fünf Stunden beginnt die Zeremonie für die Dragon. Das hier ist der Plan der Dragon." Ian deutete auf das Datenpad. "Damit werden Sie Ihr Quartier finden. Ich denke, dass Sie sich vorher noch einrichten wollen. Vor der Zeremonie muss bis auf die Notbesatzung, das Schiff verlassen sein. Der Aufruf folgt. Einfach zur nächsten Transporterplattform."
"Danke." Etienne lächelte; Ian Vernando war einfach zu nett, um ihn nicht doch zu mögen, trotz oder gerade wegen seiner Empathie. "Ich schätze, wir werden uns noch oft genug sehen. Oh, und wenn Sie so berühmte Pokerrunden wie auf der Enterprise gründen wollen, stehe ich gern zur Verfügung."
"Poker?" Ians Gesicht wirkte auf einmal einige Nuancen jünger als er sowieso schon wirkte. "Klasse. Ich bin dabei!"
"Gut. A´kebur wird sicher auch mitspielen, und wenn Sie noch wen wissen, haben wir genug Leute für eine Runde." Die Aussichten wurden immer besser. "Ich mache mich dann mal auf den Weg, bevor ich zur Zeremonie rausgeworfen werde."
Ian lachte. "Ja, beeilen Sie sich!", riet er.
Etienne hob zum Gruß die Hand und ging den Korridor entlang. Ein Blick aufs Datenpad sagte ihm, dass sein neues Quartier auf Deck 9, Sektion 22 lag. Der Turbolift brachte ihn in Windeseile dort hin und nach entsprechender Stimmenfreigabe gelangte Etienne in die besagten Räumlichkeiten. Seine halbherzige Hoffnung wurde mit einem Blick bestätigt: Es war eine Kabine für zwei Personen. Allein das große Bett sprach Bände. Etienne ließ sich darauf fallen. Er musste A´kebur definitiv die Ohren langziehen, dass dieser ihm all das verheimlicht hatte, und ihn dann auf selbige küssen aus Dankbarkeit.
Die Kabine war geradezu komfortabel, wie Etienne zu seinem Erstaunen auch noch feststellen musste. Offenbar lohnte sich der Job eines Chefingenieurs. Ein nagelneuer Replikator funkelte in der Wand. Die Fenster zeigten den echten Blick zum Weltraum. Etiennes Blick in die Schränke offenbarte ihm, dass er nicht mit schwerem Gepäck hätte reisen müssen, hätte er das je vorgehabt. Für ihn waren genauso Sachen vorhanden wie für A´kebur. Was jedoch Etienne fast einen Schlag in die Magengrube versetzte, war ein Holobild, die seine eigene Familie zeigte. Es war ein aktuelles Bild, nicht das alte von der Drake.
Vorsichtig nahm Etienne es in die Hand und betrachtete die sich bewegenden Bilder. Seine Mutter und sein Vater, beide mit mehr Falten und mehr grauen Haaren, aber so tadellos elegant und korrekt wie immer. Daneben sein Bruder Marc in seiner Starfleetuniform, stolz lächelnd. Und seine Schwester Danielle mit einem kleinen Kind auf dem Arm, das die gleichen hellblonden Wuschelhaare hatte wie Etienne in dem Alter. Wie lange hatte er sich bei ihnen nicht gemeldet? Zwei Jahre, drei? Oder schon länger?
Wie zum Teufel hatte es A´kebur geschafft, dieses Bild zu bekommen? Die Tür zischte und mit der goldenen Uniform der technischen Abteilung bekleidet, zusammengebundenen Haaren und einem bajoranischen Ohrring im rechten, spitzen Ohr betrat A´kebur das gemeinsame Quartier.
Etienne konnte ihn ein paar Augenblicke bloß anstarren, ehe ihm ein "Verdammt" entfuhr. Ob es ein Fluch oder ein Kompliment sein sollte, wusste er selber nicht. Vermutlich beides. "Du bist echt ein Verschwörer!"
"Bin ich nicht! Ich habe eine Lösung gesucht", antwortete A´kebur ohne Zögern ohne auch nur dem Hauch eines schlechten Gewissens. Er hatte auch keines, da er einen Grund dafür nicht erkennen konnte.
"Nun, die hast du wohl gefunden. Aber du hättest ruhig mal verraten können, was du vorhast. Und nein, ich beklage mich nicht, ich bin nur noch ziemlich überrumpelt." Etienne lächelte etwas schief.
A´kebur trat endlich ein, so dass die Tür sich hinter ihm schließen konnte. "Ich war beschäftigt. Seitdem ich eine Lösung gesucht habe, wurde ich von einem Ort zum anderen geschickt. Und dann haben sie mir noch das Kommando über den Maschinenraum gegeben. Nichts funktionierte richtig oder war richtig eingestellt. Die Werkseinstellungen waren wohl aus dem Handbuch für Segelschiffe entnommen worden. Keine Ahnung."
Weiter kam nicht, denn schon war Etienne bei ihm und hatte ihn umarmt. "Wie ich dich kenne, bringst du das alles hier schnell auf Vordermann", murmelte er und zupfte das Haarband aus A´keburs Zopf. Etienne wurde erst jetzt bewusst, wie sehr er A´keburs Nähe vermisst hatte. Aber jetzt waren sie ja zusammen und blieben es auch.
"Was denn sonst?", flüsterte A´kebur eindeutig eine Spur beklommen. Lange Strähnen fielen ihm lose ins Gesicht, nachdem Etienne das Band weggezogen hatte. "Ich, ich... ich muss... ich weiß nicht", suchte er nach den richtigen Worten, ohne zu wissen, was er eigentlich überhaupt sagen wollte.
"Du musst gar nichts. Counselor Vernando hat gesagt, die Einweihung beginne in fünf Stunden. Und ich muss hier nichts einräumen." Etienne fuhr mit der Fingerspitze ein spitzes Ohr entlang bis zu dem Ohrring. "Du hast doch tatsächlich jemand anderen als mich an deine Ohren gelassen?"
"Es war ein Abschiedsgeschenk von der Crew der Station. Ich glaube, es hat ihnen Spaß gemacht. Die Bajoraner meinten, dass es für Glück und Frieden steht. Es ist erlaubt, also trage ich es." A´kebur hob einfach die Schulter. Für ihn war das Thema damit erledigt.
"Soso." Etienne stellte sich auf die Zehenspitzen und fuhr mit der Zunge den Rand des Ohrs ab. "Aber ich glaube weniger, dass dir das Schmuckstück zu Ruhe verhilft."
A´kebur schloss die Augen und grollte leise. Er lehnte sich leicht gegen Etienne und seufzte dann still.
Etienne strich langsam durch die langen Locken und obwohl er A´kebur am liebsten sofort Richtung Bett geschoben hätte, kostete er diesen Moment sanfter Intimität voll aus. Als hatte er ein gefährliches Raubtier besänftigt, dass sich nun von ihm hinter den Ohren kraulen ließ. Dieser Gedanke war nicht einmal so abwegig, und Etienne lächelte still in sich hinein.
"Ich, ich, ich... ", stotterte A´kebur erneut, ohne formulieren zu können, was er wollte. Aber das geistige Band zwischen ihnen öffnete sich und eine gewisse Eile war zu spüren. Offenbar hatte A´kebur vorgehabt, sich in Galauniform zu schmeißen. Er war dafür verantwortlich, dass, wenn der Captain den Befehl gab, dass das Schiff sauber aus den Hafen fuhr. Kein Stottern im Antrieb und erst recht kein Ausfall.
Mit Bedauern ließ Etienne seinen Geliebten langsam los. Chefingenieure waren immer mit ihren Maschinen verheiratet, das war eben so. "Und nachdem die Dragon ordnungsgemäß ausgeparkt wurde", wollte er wissen. "Wirst du dann nachts den Warpantrieb bewachen wollen?"
A´keburs Augenbrauen zogen sich beeindruckend zusammen. "Wir können unser Bett neben den Antrieb aufschlagen. Ich sehe da kein Problem", meinte er knapp, entwand sich der gefährlichen Nähe Etiennes und ging ins Schlafzimmer.
"Denkst du, ich teile dich?", brummte Etienne. Wer brauchte fünf Stunden, um sich umzuziehen? Und wie er A´kebur kannte, würde die Technik einwandfrei funktionieren. Seufzend setzte er sich aufs Bett. Plötzlich sah er etwas auf sich zufliegen und ehe er ausweichen konnte, hatte es ihn auch gefangen.
"Das sind deine Sachen", meinte A´kebur. "Ich habe deine Größe geschätzt. Ich habe auch deinen Geschmack eingeschätzt. Ich hoffe, das geht so. Sind die Galasachen für die Taufe des Schiffes." Er warf Etienne nicht großartig einen Blick zu, sondern schnappte sich seine eigene Uniform, legte sie auf dem Bett ab und zog sich aus.
Etienne schenkte der Kleidung nur einen flüchtigen Blick, sie war vorwiegend schwarz, aus teilweise glänzendem Stoff, und sah dann ungeniert A´kebur zu.
Dieser hielt inne und sah ihn an. "Ja?", fragte er.
"Oh, nichts weiter." Etienne grinste. "Schöne Galaaufmachung."
A´keburs Blick sagte ihm, dass er alles glaubte. Aber das nicht. "Ich habe nichts an", stellte er das Offensichtliche fest.
"Sag bloß. Da wäre ich von alleine jetzt nicht draufgekommen." Etiennes Grinsen wurde breiter. "Aber Hauptsache, dieser Anblick bleibt exklusiv für mich vorbehalten."
"Ich geh duschen", brummte A´kebur und tappte ins Bad.
Etienne überlegte kurz, ob er ihm folgen sollte. Einerseits war die Aussicht mehr als verlockend, aber andererseits war es keine gute Idee, den sowieso schon nervösen A´kebur noch verrückter zu machen. Nicht, dass Etienne nicht immer schon eine Schwäche für ungute Ideen hatte; jetzt jedenfalls zögerte er nicht lange und folgte A´kebur ins Bad.
A´kebur sah ihn etwas überrascht an. "Mhm?"
"Lass dich nicht stören." Etienne ging zum Spiegel und versuchte seine Haare etwas zu ordnen. Er musste wirklich ganz dringend zum Friseur. Im Spiegel hatte er eine wunderbare Aussicht auf A´keburs unbekleidete Schönheit in der Dusche.
Er sah auch, dass A´kebur auf ihn ansprach. Deutlich ansprach. Trotzdem duschte er sich einfach. Als er fertig war, trat er neben Etienne und suchte seinen Blick im Spiegel.
Dieser lächelte. Die Hypodusche hatte A´keburs lange Haare ein wenig zerzaust, und als dieser sich etwas vorbeugte, streiften ein paar Strähnen Etiennes Nacken. Etienne atmete unwillkürlich ein bisschen schneller, drehte sich aber nicht um.
A´kebur griff nach einer Flasche, gab etwas Flüssigkeit auf die Hand und rieb sie dann zwischen seinen Handflächen. Mit einem paar geübten Strich glitt er mit den so präparierten Händen durch seine Haare. Die Locken legte sich in Form und alles in allem wirkte A´kebur seriös, wenn man von seinem Adamskostüm absah. "Wie lange können wir warten?", murmelte er, ohne Etienne dabei anzusehen.
"Nicht mehr lange. Höchstens bis heute Abend, aber wenn's nach mir ginge, keine drei Sekunden mehr", gab Etienne leise zurück und hielt sich am Waschbecken vor sich fest. A´keburs unmittelbare Nähe war nahezu berauschend. Warum machten sie beide es sich eigentlich so unnötig kompliziert?
A´kebur kam ihm näher, sah ihn schief an und küsste ihn dann. "Du schmeckst gut", murmelte er.
"Du auch", wisperte Etienne zurück und umarmte A´kebur, um ihn fest an sich zu ziehen. Es war fast, als fügten sich zwei Hälften eines Ganzen wieder nahtlos aneinander.
A´kebur küsste, als hinge davon sein Leben ab. Er drängte sich so nahe er konnte, an Etienne. Doch er suchte nicht, ihn auszuziehen.
Etienne stöhnte halb wohlig, halb frustriert auf. Er hatte über ein Jahr warten müssen, da kam es auf ein paar Stunden auch nicht mehr an. Auch wenn es ihn fast wahnsinnig machte. "Du weißt, dass da hier Folter ist, oder?", flüsterte er halb scherzhaft.
A´kebur führte Etiennes Hand in seinen Schritt. "Ja, ich weiß", murmelte er. "Ich will dich. Wie, ist mir egal."
"Und eben hattest du es noch eilig, zum Maschinenraum zu rennen. Dabei kann dir dein Warpantrieb hier auch nicht helfen." Etienne griff zu, nicht gerade unsanft, aber auch nicht zu zärtlich, und küsste A´kebur aufs Schlüsselbein.
"Was für ein Maschinenraum? Was für ein Warpantrieb?", stöhnte A´kebur.
"Vergiss es", Etienne küsste sich am Hals hoch bis zum Ohrläppchen und biss hinein. Vage überlegte er, ob das Badezimmer so ein geeigneter Ort war, aber letztlich war es ihm egal.
A´kebur begann an seinen Sachen zu zerren und zerriss letztlich den Stoff, um an alles das zu kommen, was sich darunter befand und wenn es keine Haut war, das auch noch zu zerreißen. Er folgte wie ein Süchtiger den Zähnen und der Zunge an seinem Ohr, um mehr von den Schauern zu bekommen.
Etienne schlüpfte aus den Resten seiner Kleidung. Warum nur hatte er sie nicht gleich ausgezogen? Er schob A´kebur gegen die nächste Wand. Das Waschbecken wollte er selbst jedenfalls nicht im Kreuz haben. Ganz so optimal war die Position immer noch nicht, aber Etiennes Hirn sah sich nicht mehr in der Lage, noch weiter darüber nachzudenken. Es hielt vielmehr ein Schild hoch, auf dem die eindeutige Aufforderung stand, sich gefälligst voll und ganz dem Genuss hinzugeben. Etiennes freie Hand krallte sich in A´keburs Haare, während die andere noch immer in südlicheren Regionen beschäftigt war.
A´kebur zwang ihn langsam in die Knie. Überall, wo dieser hinkam, verteilte er Bisse, Küsse und Streicheleinheiten. Dabei knurrte er wie ein Raubtier. "Du oder ich?", fragte er abgehackt. "Ich will nicht mehr warten. Mir ist egal..."
"Mach du. Ich will dich so tief in mir haben wie nur möglich", gab Etienne ungeduldig zurück. Irgendwo in den letzten klaren Resten seines Verstandes wunderte und freute er sich, dass A´kebur ihm tatsächlich die Wahl gelassen hatte. Sie hatten in den sieben Jahren tatsächlich einen langen Weg zurückgelegt.
Doch im nächsten Moment wusste er, dass sie irgendwie dafür sorgen sollten, dass sich im Bad so etwas wie Gel befand. A´kebur war in ihm, keinen Atemzug später und blies ihm seinen Atem auf die bloße Haut. A´kebur rührte sich jedoch nicht. Er hatte seinen Fehler am anderen Ende des Bandes gespürt.
Etienne atmete so ruhig wie möglich weiter und entspannte sich, auch wenn die Erregung es kaum zuließ. Stumm sandte er A´kebur sein Einverständnis, weiterzumachen und zog ihn zu einem Kuss hinunter.
Die nächsten Minuten waren die Hölle und der Himmel zugleich - für sie beide. Aber sie beide kannten in diesem Moment auch keine Reue.
Irgendwann hob A´kebur den Kopf und sah Etienne an. Dieser hatte noch immer die Augen geschlossen. "Ich hätte nicht sollen", murmelte er. "Ich habe von dem Gleitgel was im Schlafzimmer untergebracht. Falscher Ort."
"Bis dorthin hätten wir's nicht mehr geschafft", murmelte Etienne noch immer atemlos. Er fühlte sich so wunderbar und schrecklich wie schon lange nicht mehr. Lebendig. Zölibat war definitiv nichts für ihn.
"Ja, deswegen kannst du jetzt weder stehen noch sitzen", hielt ihm A´kebur entgegen. "Das Zeug ist einfach notwendig."
Etienne musste lachen. "Danke für deine kleine Predigt, aber zu spät. Du kannst mich ja tragen. Würde bestimmt für Aufsehen sorgen." Er küsste A´kebur auf die Nase. "War trotzdem der Wahnsinn. Tu mir einen Gefallen und lass mich nie wieder so lange auf dem Trockenen."
A´kebur legte den Kopf schief. "Das war trocken", brummte er und erhob sich.
Etienne lachte lauter und setzte sich auf, um gleich darauf zu ächzen. "Was auch immer. Jedenfalls brauche ich jetzt mal die Dusche. Wenn ich vom Boden hochkomme. Zum Glück haben wir ja noch Zeit."
A´kebur reichte ihm die Hand. "Wir brauchen beide noch einmal eine Dusche", meinte er.
Etienne ließ sich hochziehen. "Zu zweit ist es auch schöner", grinste er, "Obwohl eine Wasserdusche noch besser wäre. Aber ich schätze, so was gibt's hier nur auf dem Holodeck."
"Und selbst die ist nicht echt!"
Eine halbe Stunde später steckten sie beide wieder in Sachen und sie wirkten, als wäre nichts zwischen ihnen vorgefallen. A´kebur drängte es in den Maschinenraum. Er hätte vor knapp einer Viertelstunde wieder zurück sein wollen. Jetzt hatte er seinen eigenen Zeitplan über den Haufen geworfen. Aber es war wichtiger gewesen. Selbst wichtiger als die Taufe eines neuen Schiffes.
Etienne hatte zum Glück keine derartigen Verpflichtungen und konnte sich mehr Zeit nehmen.
Er fand sich daher wieder in der Lounge des Starfleet-Hauptquartiers ein, in der sich nun noch mehr Gäste und zukünftige Besatzungsmitglieder tummelten. Counselor Vernando war ebenfalls dort und als sich ihre Blicke kreuzten, schenkte er Etienne ein wissendes Lächeln.
Etienne konnte nicht verhindern, dass er leicht rot um die Nasenspitze wurde, was man dank seiner gesunden Bräune aber kaum bemerkte. Offenbar hatte Ian Vernando kein eigenes Leben, dass er sich so für das Leben anderer Leute interessierte. Aber vielleicht interpretierte Etienne auch zuviel in die Geste, denn der Counselor wandte sich ab und unterhielt sich mit anderen, offenbar Mitgliedern der Crew der Dragon. Etienne konnte es sich aussuchen, aber soweit kam er nicht, denn im nächsten Augenblick sah er etwas Blaues auf sich zu hüpfen. Eigentlich eine unangemessene Feststellung, denn Dr. Shana wirkte würdevoll, wie sie auf ihn zukam. Aber das Glitzern in ihren Augen verriet einiges über das, was sie dachte, als sie Etienne zu Gesicht bekam. "Ich hätte es nicht geglaubt, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte", rief sie.
"Shana? Was machst du denn hier?", wollte Etienne überrascht wissen, "Sag bloß, du bist auch ein Crewmitglied der Dragon."
"Ach was!", winkte sie ab. "Die meisten Schiffe, die in der Nähe waren, haben die Erlaubnis bekommen, bei der Einweihung mit dabei zu sein. Du glaubst gar nicht, wie voll es draußen ist. Ein einziges Heer großer und kleiner Schiffe. Beeindruckend. Seit der Enterprise ist kein so großes Schiff mehr vom Stapel gelaufen. Wir werden zudem ab der nächsten Woche wieder einen neuen Auftrag bekommen. Ein Teil der Crew wechselt und dann geht es wieder hinaus bis zum Horizont."
"Ach so. Ich habe ja von all dem Chaos hier kaum was mitbekommen, seit ich hier bin", gab Etienne zu, "Und, kennst du wen von der neuen Dragon-Crew? Der Counselor jedenfalls ist echt ausgeschlafen."
Shana sah sich um, dann lachte sie und schüttelte den Kopf. "Klar, A´kebur Lanar Re ist ein Mitglied und den kenne ich ganz gut. Dann dich. Aber ich vermute, du meinst jemand anderes. Dieser Counselor, was hat er getan?"
"Och, nichts weiter, außer mir an der Nasenspitze anzusehen, was in mir vorgeht. Aber sonst scheint er nett zu sein, ich werde mich aber beim Pokern mit ihm vorsehen müssen. Weißt du was über den Captain?"
Shana hob ihre Hand. "Stopp, langsam Etienne. Du hast was gegen ihn, oder wie soll ich das verstehen? Er ist Empath. Er ist niemand, der in den Köpfen anderer herumfuhrwerkt. Er muss wissen, wie es dir geht, so wie er es wissen muss, wie sich die Crew fühlt. Er schießt sich auf sie ein. Ich weiß, dass er ein Klassecounselor wird. Es gibt wohl keine bessere Besetzung für diese Position. Einen Besseren hätte ich auf jeden Fall nicht gewusst. Denkst du jetzt, dass er Vorbehalte gegen dich hat?"
Etienne zuckte mit den Schultern. "Nein, das vielleicht weniger. Aber du kennst ja mein allgemeines Misstrauen gegen jeden, der Psikräfte hat und nicht A´kebur heißt. Ansonsten, ich bin momentan absolut in der Schwebe hier. Ich weiß weder, was ich für einen Status an Bord haben werde noch mit wem ich zusammenarbeiten muss noch sonst etwas. Am Ende kommen die noch auf die Idee mich zu bewachen oder so."
Shana blinzelte. "Sag mal, spinnst du?", herrschte sie ihn an.
"Ja, das kann gut sein!", fauchte er zurück, "Da sitze ich friedlich auf Velaran und tue meine Arbeit und werde dann mir nichts dir nicht hierher verfrachtet. Natürlich bin ich froh, mit A´kebur zusammen zu sein, aber vielleicht bin ich hier auch bloß sein lästiges Anhängsel, dass man leider mitnehmen musste, weil man sonst den tollen Chefingenieur nicht bekommen hätte. Und ich habe keine Lust, die nächsten paar Jahre angestarrt zu werden, wenn ich durch das Schiff gehe."
Shana war für einen Moment erschrocken, dann jedoch verfinsterte sich ihr Gesicht. Resolut packte sie Etiennes Arm und zog ihn hinter sich her. Sie erntete fragende Blicke, aber niemand hielt sie auf. Shana entschied sich kurzerhand und schob Etienne in ein leeres Büro. "Hast du deine Personalakte gesehen?", fragte Sie Etienne mit mühsamer Beherrschung.
"Nein, sowas zeigt man mir nicht." Dieser verschränkte die Arme und sah ungehalten aus. "Du bist doof!", knurrte Shana.
Gegen seinen Willen musste Etienne lachen. "Also das hat mir noch keiner gesagt", meinte er, "jedenfalls nicht ins Gesicht. Also, dann klär mich doch mal auf."
Shana musterte ihn, als wollte sie prüfen, ob sie ihm das abnehmen sollte, doch dann entschied sie, dass es wohl so sein musste. "Also, du Pirat und Schmuggler in allen Galaxien: Du hast tatsächlich keinen Blick in deine Personalakte riskiert oder mal versucht, ob du es kannst? Du lässt nach. Also, Personalakten sind in bestimmten Teilen allen zugänglich, in besonderen Teilen nur ausgewählten Personen einschließlich deren Inhaber. Du kannst also reinschauen, was du an Bord der Dragon bist. Aber ich sage es dir: Du bist wissenschaftlicher Mitarbeiter wie es sie zu Hauf auf der Dragon gibt. Du hast keinen besonderen Status, du hast nur die übliche Pflicht, wie es jedes Crewmitglied auch hat. Niemand verlässt das Schiff, außer der Captain befiehlt es oder gibt die Erlaubnis. Zudem ist deine Bewährungsakte blütensauber und du hast eine ausgezeichnete Reputation von Dr. Kenturry. Du bist vielleicht mit deiner Vergangenheit etwas Besonderes. Aber in der Gegenwart höchstens für die übrigen Mitglieder, so lange sie dich ausgequetscht habe und alles von dir wissen. Was die Zukunft angeht: Das ist deine Angelegenheit."
Das klang alles fast schon zu gut, um wahr zu sein. "Ich werde mir die Akte mal ansehen", entschied er, "aber ehrlich gesagt, hat mich bis dato nicht wirklich interessiert, was da drin steht, zumal ich mich damals auf der Reha-Kolonie nicht sonderlich benommen hatte." Etienne hatte nie mit jemandem darüber geredet, wie es ihm dort ergangen war, aber er würde diesen einen Monat am liebsten aus seinem Leben gestrichen haben. Selbst nach so langer Zeit.
"Am besten du tust es jetzt, sonst glaubst du das wirklich weiter", meinte Shana. "Was denkst du, Etienne, was da drinsteht? Ich würde es gern wissen, bevor du nachliest."
Etienne sah sie an. "Nun, vermutlich, dass ich meine Arbeit ganz ordentlich mache, aber absolut nicht als geläuterter Krimineller angesehen werden darf, der lammfromm geworden ist. Bin ich ja auch nicht. Und sonst, keine Ahnung."
"Na ja, dann, lies mal in deiner Akte." Shana deutete auf das Terminal. "Ist soweit ganz richtig, aber die Einschätzung mit der Läuterung ist ein wenig anders."
Fast gegen seinen Willen neugierig geworden, setzte Etienne sich vor den Bildschirm und begann zu lesen. Schon nach kurzer Zeit wanderten seine Augenbrauen in die Höhe, um dann wieder von einem Stirnrunzeln abgelöst zu werden. "Ist das wirklich deren Ernst?", fragte er schließlich, eher rhetorisch, denn wenn es dort stand, musste es wohl so sein.
"Na ja, sonst hätten sie es nicht hingeschrieben, oder?" Shana verschränkte die Arme. "Es ist nicht perfekt und du hast sicher nicht erwartet, eine reine Weste zu haben. Es ist aber nicht so, als dass deine Fähigkeiten und dein Wissen vollkommen unter den Tisch gekehrt werden. Genauso wenig, wie deine Fähigkeiten in einem Team zu arbeiten. Du gehörst mit zu den Koryphäen, die es bei der Bewahrerkultur gibt. Die, die es noch gibt, wollen auf kein Schiff. Sie wollen graben, zusammenpuzzeln und dann zum nächsten Planeten. Aber für kurze Zeit an einem Ort sein, ist ihnen zu wenig. Du bist noch kein wirklicher Maulwurf. Reisen steckt dir im Blut. Du bist wichtig. Gewöhn dich an den Gedanken."
Etienne lächelte etwas schief. "Und wenn noch hundert Jahre vergehen, ich glaube nicht, dass ich mich daran wirklich gewöhnen könnte. Ich war immer alles Mögliche: interessant, aufregend, leichtsinnig, von Glück begünstigt, kriminell, berüchtigt, aber wichtig war ich nie."
Shana lächelte. "Hey, dir das auf die Nase zu binden, verleitet dich nur zu Höhenflügen. Also vergiss, was ich gesagt habe. Mach dir einen neuen Namen und werde eine Legende auf der Dragon. Das Potential hast du."
"Zu spät. Ich fürchte, der Schaden ist angerichtet, Teuerste", Etienne lächelte sein altes Herzensbrecherlächeln. "Aber du hast recht, ich werde mich ins Zeug legen. Und wenn mir jemand dumm kommt, nun, dann wird mir schon was einfallen."
"Hallo? Etienne, mach keinen Unsinn. Das gibt mehr Ärger, als du haben willst."
Dieser grinste. "Keine Sorge. Bisher bin ich doch immer aus allem rausgekommen. Und im Zweifelsfall verstecke ich mich hinter A´keburs breitem Rücken."
Shana sah ihn böse an. "Ich werde persönlich dafür sorgen, dass du das nicht kannst. Also?" Sie kam drohend näher.
"Muss ich jetzt Angst haben?" In Etiennes Augen blitzte der Schalk. "Das war ein Scherz, Shana. Selbst ich bin nicht so blöd, mir die Chancen zu verscherzen, die sich hier auftun."
"Gut!" Shana blieb stehen. "Dann will ich nur noch das Beste von dir hören. Schließlich gehörst du ja jetzt zu Starfleet!" Sie feixte ganz offen.
"Aye, Ma´am!" Etienne salutierte und stand auf. "Sollen wir zurückgehen? Nicht, dass sie ohne uns anfangen."
Shana schaute auf ihre Uhr. "Der offizielle Teil beginnt in zwei Stunden. Aber die Crew soll sich schon vorher einfinden. Eigentlich müsstest du das Programm doch bekommen haben, oder?"
"Habe ich, aber bestimmt nicht auswendig gelernt. Und da ich zur Crew zähle, gilt der Aufruf wohl auch für mich."
Shana gluckste. "Genau, auch für dich. Gewöhn dich an den Gedanken. Du bist ab sofort das Mitglied einer größeren Herde."
"Dabei war ich noch nie das perfekte Herdentier, eher das schwarze Schaf", gab Etienne zurück, "völlige Anpassung halte ich immer noch für Stillstand."
"Einfach perfekt. Eine weiße Herde ist auf Dauer sowieso nur langweilig. Dann mal los, du Schaf", meinte Shana, die viel zu oft das mit den Schafen gehört hatte, um sich über Menschen zu wundern, die sich mit wollbedeckten Vierbeinern verglichen, mit denen sie nicht die geringste Ähnlichkeit hatten.
Etienne grinste ihr noch einmal zu und machte sich wieder auf den Rückweg in die Lounge. Dort war es inzwischen noch voller geworden, und auch die Stimmung war gespannter, erwartungsvoller. Etienne sah sich um, ob er jemand Interessanten erspähte und blieb an einer schlanken dunkelhaarigen Frau mit dem Rangabzeichen eines Captains hängen. Sie begrüßte soeben ein paar Neuankömmlinge.
In dem Moment richtete sich ihr Blick auf ihn. "Ah, Mr. Duval. Ich habe Sie noch gar nicht persönlich gesehen. Ich bin Captain Elena Volkov." Sie kam auf Etienne zu und reichte ihm einfach die Hand.
Dieser versteckte seine Überraschung hinter einem Lächeln. Hatte er ein Schild auf der Stirn, auf dem stand, wer er war?
"Schön, Sie kennenzulernen, Captain. Darf ich Ihnen zum Kommando über die Dragon gratulieren? Sie ist wirklich ein wunderschönes Schiff."
"Vielen Dank. Ich hoffe, die Mannschaft und das Schiff werden Großartiges leisten. Hatten Sie schon Gelegenheit, sich das Schiff anzusehen?"
"Ja, aber nur kurz." Dass der Badezimmerfußboden seines Quartiers unbequem war, ging Captain Volkov ja nichts an. "Ich werde noch genügend Gelegenheit dazu haben, denke ich. Wissen Sie schon, wohin uns unser Jungfernflug führt?"
"Nun, erst einmal nach Alpha Centauri. Dort werden noch zwei weitere Crewmitglieder zu uns stoßen. Sie kommen gerade von einem Forschungsflug zurück und haben ihre Familien besucht. Dann fliegen wir in den Beta-Quadranten. Die Neuen dürften Sie übrigens interessieren: Es sind Anthropologen."
Etienne nickte. "Ich muss gestehen, dass ich auch noch nicht weiß, mit wem ich zusammenarbeiten werde. Den Chef der Wissenschaftsabteilung habe ich noch nicht treffen können."
"Das ist Lieutenant Jeckings. Er steht da drüben bei der Versammlung blauer Uniformen." Captain Volkov deutete in die Nähe des Replikators, wo sich tatsächlich ein Pulk in dieser Farbe gebildet hatte.
"Danke. Dann werde ich ihm noch meine Aufwartung machen, damit er weiß, was auf ihn zukommt. Und Captain: Vielen Dank. Sie können sich sicher kaum vorstellen, welchen Gefallen Sie mir und Commander A´kebur hiermit tun."
Captain Volkov nickte. "Das tun sie uns auch. Das kann ich Ihnen versichern." Hinter Captain Volkov lächelten ein paar Offiziere, einige tuschelten. Das bedeutete wohl, dass die letzten in Kenntnis gesetzt wurden, wie Etiennes Dank jetzt gemeint war.
Diesem war das nicht ganz so recht, aber da die Senioroffiziere Bescheid wussten, was nützte da Geheimniskrämerei? Außerdem war so ein Schiff wie ein kleines Dorf und Neuigkeiten verbreiteten sich schnell. Davon abgesehen musste Etienne sich für nichts schämen. "Nun, ich hoffe, wir alle werden Ihren Erwartungen gerecht werden."
"Ich gehe von nichts anderem aus. Willkommen an Bord."
"Danke, Captain. Nun halte ich Sie aber nicht länger von Ihren Pflichten ab. Wenn Sie mich entschuldigen?" Etienne lächelte sie an und machte sich dann auf den Weg hinüber zu den Wissenschaftlern. Captain Volkov schien kompetent und diplomatisch; vermutlich würde sie das Schiff und die Mannschaft bestens in den Griff bekommen.
Besagter Lieutenant Jeckings war leicht am Rangabzeichen zu erkennen. Er war ein stämmig gebauter Mann, fast einen Kopf kleiner als Etienne, und schon leicht ergraut. Seinen scharfen, kompromisslosen Augen schien nichts zu entgehen, und die Fähnriche um ihn herum schienen an seinen Lippen zu hängen.
Er erzählte gerade, wie er eine energetische Lebensform als solche identifiziert hatte. Er war ein Mensch großer Gesten und wirkte nicht sehr kompetent, wie er sich da aufplusterte. Soweit Etienne es beurteilen konnte, war aber nichts, was er sagte falsch. Doch Exobiologie gehörte nicht zu seinen Stärken.
Starfleet hätte den Mann jedoch sicher nicht zum Chef der wissenschaftlichen Abteilung gemacht, wenn er inkompetent wäre. Etienne hörte auch, dass Lieutenant Jeckings in einem breiten Englisch sprach. Es wirkte irgendwie von der Erde, aber weder war es ein schottischer noch ein irischer Akzent. Doch die Gegend musste sich irgendwo dort befinden, wo Jeckings seine Kinderstube gehabt haben musste. So eine ausgeprägte Aussprache erlangte ein Mensch gewöhnlich nur in seiner Kindheit.
Etienne brauchte einen Moment, bis er es als typischen Slang aus dem Süden Nordamerikas erkannt hatte. Er hatte ihn nicht oft gehört, aber die verwaschenen Vokale erinnerten an einen französischen Einschlag. Etienne hörte vorerst still zu in der Hoffnung, dass man ihn schon bemerken würde: sich aufzudrängen hatte er keine Lust, und wenn eh schon das halbe Schiff wusste, wer er war...
Aber der Lieutenant war mitten in der Fahrt und die Fähnriche, und wie jetzt Etienne erkannte, traten auch höhere Offiziere hinzu, schienen jedes Wort mit den Augen abzulesen. Etienne musste zugeben, dass sein Chef gut erzählen konnte.
Immer wieder machte Jeckings effektvolle Pausen, um die Spannung zu erhöhen, um dann sein Publikum mit der Pointe zu belohnen. Besonders von den Jüngeren erntete er unverhohlen bewundernde Blicke.
Es konnte gut sein, dass sich in dem Stammbaum dieses Mannes die Vorfahren von Barden und Märchenerzähler befanden. Das Gesicht stammte von der alten Welt der Erde. Möglich war alles. Etienne trat näher, um besser zu hören zu können. Aber dann war auf einmal Schluss.
"Ja, so ist das. Die Praxis lehrt mehr als jedes Buch", zog Jeckings sein Resümee.
Die Zuhörer nickten und murmelten beifällig, um sich dann nach frischen Gläsern zu trinken umzusehen und den Meister wieder zu Atem kommen zu lassen. Etienne ergriff die Gelegenheit. "Lieutenant Jeckings? Falls Sie je keine Lust mehr auf Forschung verspüren, sollten Sie sich aufs Erzählen verlegen. Etienne Duval, zu Ihren Diensten, Sir." Derartige Rangbekundungen fielen Etienne noch immer etwas schwer, aber langsam hatte er sich daran gewöhnt.
"Na, wenn Sie meinen, Mr. Duval. Und Sie sind mir also zu Diensten?" Lieutenant Jeckings sah ihn musternd an. "Nun, ich hoffe weniger."
Etienne zog die schon ausgestreckte Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. Das fing ja gut an. "Ich wollte lediglich auf gute Zusammenarbeit verweisen und einen guten ersten Eindruck bei Ihnen machen", erklärte er merklich kühler, "Aber wie es scheint, waren die Gerüchte schneller."
"Nun, ich weiß nicht, was Sie meinen. Aber ich hoffe auf gute Zusammenarbeit. Wir werden uns dann ja sehen." Damit wandte sich Jeckings ab und ging zu einer anderen Gruppe. Einige Kollegen waren betreten stehen geblieben. Sie schienen im ersten Moment nicht zu wissen, wie sie mit der peinlichen Situation umgehen sollten, doch dann entschieden sie sich, schlicht vorzustellen, um das unangenehme Schweigen zu beenden, welches sich aufgetan hatte.
"Mein Name ist Kathrin Lawless, das ist Peter Stalk, Nunuk Shar, Temris und Polina McKormick", stellte eine blondhaarige Frau mit den Zeichen eines Lieutenants, der der Sicherheit angehörte, die Umstehenden vor. "Schön, Sie kennenzulernen. Wir haben uns schon gefragt, wie Sie sind. Lieutenant Commander A´kebur ist recht bekannt. Er hat schon länger die Gelegenheit gehabt, auf der Dragon zu arbeiten.
Erleichtert schüttelte Etienne ihr und den anderen jungen Leuten die Hand; sie alle wirkten aufgeschlossen und sympathisch, ein krasser Gegensatz zu Jeckings abweisender Art. "Mir scheint, wo ich auch hinkomme, weiß man, wer ich bin. Und ich bin froh zu sehen, dass Sie offenbar weniger Vorurteile haben als der Lieutenant. Ich hoffe, das gibt sich auch bei ihm noch."
Fähnrich Peter Stalk, Angehöriger der wissenschaftlichen Abteilung, hob die Schulter. "Nun, so etwas wie Sie gab es bisher so eigentlich noch nie. Aber ich habe Ihre Aufzeichnungen gelesen. Sind zwar keine wissenschaftlichen Abhandlungen, aber sie gehören schon jetzt zu den wichtigen Aufzeichnungen über die Bewahrer. Und dann sind Sie auch noch ehemaliger Pirat. Na ja, zu sagen, dass Sie interessant sind, ist eher untertrieben. Und das mit, ähm, Ihrem Lebenspartner, nun ja, ich hätte nicht geglaubt, das, ähm, Lieutenant Jeckings damit ein Problem hat. So etwas gibt es doch alle naselang und es gibt fast dreißig bekannte Kulturen, wo das einen guten Teil der offiziellen Traditionen und Riten einnimmt."
"Nun, bei anderen Kulturen duldet man es wohl eher als in der eigenen", gab Etienne zurück und grinste den jungen, etwas nervös wirkenden Mann an, der leicht rot um die Nase geworden war. "Jedenfalls muss er sicher keine Sorge haben, dass ich ihn ungehörig angucke." Damit erntete er gleich ein Lachen bei den Frauen.
"Nun, er wird sich daran gewöhnen müssen", brummte Nunuk Shar und strich sich über die Ohren. Es war ein Katzenwesen. Etienne versuchte den Stamm und die Kolonie dieser Rasse einzuordnen. Das Geschlecht war auch nicht auf Anhieb zu erkennen. Das Fell von Nunuk Shar war schwarzbraun und die Augen beunruhigend grün. Fähnrich Stalk lächelte Nunuk immer wieder etwas länger an. Er selbst wirkte dagegen jedoch eher in seinen Farben staubig und blass. Nur die blaue Uniform gab ihm einen etwas stärkeren Anstrich.
Etienne musterte auch die anderen beiden Frauen in der Runde. Temris war eine Vulkanierin, offenbar aus der medizinischen Sektion, und Polina McKormick trug die goldgelbe Uniform der Technik; vermutlich wussten sie daher alles über A´kebur. "Dann hoffe ich, Sie alle werden mir die Daumen drücken", meinte Etienne, "und Ihnen wünsche ich auch viel Erfolg. Sie sind alle frisch von der Akademie, habe ich recht?"
"Mehr oder weniger", meinte Peter. "Es sind viele Fähnriche genommen worden. Aber auch viele erfahrene Offiziere. Aber soweit ich weiß, sind die meisten Fähnriche als Kinder auf Stationen oder großen Schiffen geboren worden und aufgewachsen."
"Nun, dann muss ich zusehen, dass ich hier nicht gleich zum alten Eisen gerechnet werde", meinte Etienne lachend, "und ich hoffe, Sie üben da Nachsicht, dass ich mit den neuesten Starfleetprotokollen noch nicht wirklich vertraut bin. Mein Jahr an der Akademie ist eine Weile her."
Temris hob eine Augenbraue. "Es gibt 192 zivile Mitarbeiter auf der Dragon. Sie alle sind nicht mit jedem Punkt des Protokolls und der Vorschriften vertraut, auch wenn sie verpflichtet sind, bis zum Antritt ihres Dienstes, das zu wissen. Ich schätze, dass Sie mit diesem Defizit nicht allein sein werden."
"Das beruhigt mich zu hören." Das tat es wirklich; Etienne hatte schon befürchtet, eine Ausnahme zu bilden. "Übrigens, wissen Sie etwas mehr über die Senioroffiziere? Ich habe bisher nur den Captain und Counselor Vernando getroffen. Wie sind die anderen so?"
"Am besten, Sie bilden sich ein eigenes Bild", riet Temris. "Vorgefertigte Meinungen führen zu Fehleinschätzungen."
"Ich bin sicher, Ihr logischer Verstand ist über subjektive Urteile erhaben", gab Etienne ernst zurück und sah die Vulkanierin an. A´kebur oder seine Familie hätte er mit so einem Ausspruch ärgern können, aber Temris verzog keine Miene. "Ich bin ziemlich unvermittelt hier gelandet und hätte gerne ein paar vorgefertigte Meinungen gehört."
"Sie bekommen keine", gab Temris zurück und erntete ein Glucksen von menschlicher Seite. Temris verzog keine Miene und Nunuk schnurrte, was wohl auch eine Art Lachen war.
"Na schön, dann muss ich wohl in mein Unglück rennen. Ich hoffe, wir sehen uns öfter an Bord. Ich brauche erstmal was zu trinken." Etienne lächelte in die Runde, um sich zu verabschieden. Wenn Jeckings nicht gewesen wäre, hätte er sich vorbehaltlos auf den Dienst auf der Dragon freuen können. Aber was konnte er tun, um seinen Vorgesetzten auftauen zu lassen?
Wohl, erst einmal nichts. Leider war A´kebur nicht auf dieser Vorfeier. Er war weiterhin mit der Not-Crew im Maschinenraum des Schiffes. Wahrscheinlich würde Etienne ihn erst wiedersehen, wenn dieser Tag vorbei war. An der Bar bekam Etienne dann etwas zu trinken.
Natürlich kein Romulanisches Ale, aber wenigstens auch kein scheußliches Synthohol, das einem nach Etiennes Ansicht den Gaumen zuklebte. Mit einem Glas saurianischen Brandy bewaffnete drehte Etienne noch eine weitere Runde durch die Lounge in der Hoffnung, interessante und weniger voreingenommene Leute zu treffen.
Irgendwie schaffte er es, sich nicht weiter mit Leuten anzulegen, die seine zukünftigen Arbeitskollegen darstellen würden. Dabei traf er dann auch den Ersten Offizier Thomas L. Sobold, der ihn auch willkommen hieß. Er war Mensch und stammt von der Marskolonie. Wie Etienne erfuhr, kannte dieser seinen Vater. Zum Glück besaß der Erste Offizier soviel Takt, nicht weiter auf dieses Thema einzugehen.
Er bemerkte sofort, dass Etienne das unangenehm war.
Dann war es jedoch soweit und der Festsaal begann sich zu leeren. Etienne ging mit den anderen zivilen Mitarbeitern, die einen besonderen Platz hatten. Die militärischen Crewmitglieder stellten sich auf dem Deck auf, wo die Dragon zum Stapellauf bereitstand. Die Gäste, die für dieses Ereignis geladen waren, sammelten sich. Etienne fiel erst jetzt auf, dass der Captain und der Erste Offizier knapp eine halbe Stunde vorher nicht mehr in der Lounge gewesen waren. Jetzt traten sie an der Seite der vereinten Admiralität vor.
Einer der Admiräle, ein kleiner weißbärtiger Mensch, der Etienne unwillkürlich an alte Darstellungen vom Weihnachtsmann erinnerte, hielt eine kurze Ansprache, in der er die Dragon als ultimative Innovation der Technik pries, den neuen Besatzungsmitgliedern viel Erfolg wünschte und anschließend den Senioroffizieren die Hand schüttelte.
Captain Volkov bekam eine Flasche Champagner in die Hand gedrückt. Ganz kurz wurde das Energiefeld geöffnet, das den Saal mit dem Raumdock verband, und die Flasche segelte durch die Schwerelosigkeit, bis sie schließlich am Rumpf der nun frisch getauften Dragon zerbrach. Applaus erscholl.
"Und nun bitte ich Sie alle, sich zu den Transporterräumen zu begeben", verkündete Captain Volkov.
Eine Gruppe nach der anderen verschwand in einem Sternenregen. Es war beeindruckend. Soviel Transporte auf einmal zum Schiff gab es nicht so oft. Auch die zivilen Mitarbeiter verschwanden auf diese Weise in Gruppen. Sie freuten sich offener und waren nicht gar so steif wie die Militärangehörigen. Dann war Etienne an der Reihe. "Willkommen an Bord. Bitte machen sie die Transporterplattform frei", wurde er mit fünf anderen begrüßt.
Sofort taten sie wie geheißen und verließen den Transporterraum. In den Gängen waren mehrere Crewmitglieder postiert, die dafür sorgte, dass zunächst alle in die große Messe im Vorschiff gelotst wurden.
Ähnlich dem berühmten Zehn Vorne auf der Enterprise, hatte man einen großzügigen Raum mit einem atemberaubenden Ausblick zum gesellschaftlichen Mittelpunkt des Schiffs gemacht. Gemäß dem Design der Dragon war auch hier alles in Creme- und Rottönen gehalten. Hinter der Bar entdeckte Etienne überrascht ein bekanntes Gesicht.
Suahi tippte gerade ein Glas an und schob es auf der Theke in Richtung Etienne. "Dein Lieblingsdrink, Valor", meinte er. "Lass es dir schmecken."
"Dein Anblick erwärmt mein Herz, alter Freund", erklärte Etienne und nahm den Drink dankbar an. "Was hat dich denn hierher verschlagen? Ich dachte, du wärst ganz zufrieden auf Deep Space 13?"
Suahi lächelte und entblößte seine schneeweißen Zähne. "Manchmal treibt es mich alle hundert Jahre zu anderen Ufern und was wäre dafür besser geeignet als ein Schiff dieser Größe, mein Freund. Und um dich angemessen zu begrüßen: Auch du erwärmst mit deinem Anblick mein Herz."
"Darauf ein Cheers." Etienne nahm einen tiefen Schluck. "Aber sag mal: Ist das irgendwie eine Verschwörung von euch El-Aurianern, auf den großen berühmten Schiffen von Starfleet die Herrschaft über die Bars zu übernehmen? Erst Guinan auf der Enterprise und jetzt du hier."
"Zwei El Aurianer und eine vollständige Verschwörung. Aber du hast Recht: Wir haben die Admiralität erpresst. Wenn sie uns nicht die Bars auf allen Schiffen von Starfleet überlassen, dann werden wir verraten, welche Farbe die Unterhose jedes einzelnen hat." Suahi sah Etienne bei diesen Worten äußerst unschuldig an. Nur seine Augen verrieten den Spaß, den er hatte.
"Aaaaha. Ich wusste es doch." Etienne grinste und nahm noch einen Schluck; sein Lieblingsdrink schmeckte wirklich nur, wenn Suahi ihn mixte. "Apropos Verschwörung: Kannst du mir wenigstens als Autorität auf diesem Gebiet was über die Besatzung erzählen? Ich habe da so ein kleines Problem mit Lieutenant Jeckings, dem Leiter der Wissenschaft. Ihm passt irgendwas nicht an mir, und das täte ich gerne ändern."
"Dann müsstest du wohl ein Frauenheld werden, deine Vergangenheit ausradieren und nicht ein ziviler Fuzzi sein", antwortete Suahi prompt und ohne Zurückhaltung. Er beugte sich jedoch über die Theke und sah Etienne ernst an. "Versuch nicht, dir alle auf einmal zum Freund zu machen. Sei du selbst und mach deine Arbeit gut. Sonst gibt es einfach mehr Spannung, als du ertragen kannst, mein Freund. Es wird noch genug auf dich zukommen. Fremde Leute, fremde Regeln, dann das ganze militärische Protokoll ... Lass es auf dich zu kommen und ignorier ihn auf dieser Ebene."
"Na, wenn's mal so einfach wäre. Der Typ ist mein Chef, und wer weiß, wie lange ich den vor der Nase haben werde." Etienne trank sein Glas leer. "Und davon abgesehen bin ich ein Frauenfreund. Ist ja nicht so, dass ich stockschwul wäre." Etienne musste über sich selbst grinsen. "Dabei sollte man denken, solche bigotten Typen seien längst ausgestorben."
"Niemand kann so leicht über seinen Schatten springen, Etienne. Manche Dinge werden aus Missverständnissen geboren oder Erfahrungen, die ein Wesen gemacht hat. Leicht ist es nicht. Aber leben müssen wir alle damit. Noch ein Drink?"
"Gerne. Es ist wirklich gut zu wissen, dass ich hier in Zukunft eine Anlaufstelle habe", erklärte Etienne und grinste.
"Oh, deswegen bin ich nicht hier. Ich mache Drinks", meinte Suahi.
"Ja, natürlich. Das sagen sie alle." Etienne wedelte mit dem leeren Glas.
Suahi nahm es ihm ab und machte einen neuen Drink. "Wer ist alle?", fragte er unschuldig.
"Es ist eher Zufall", sagte er Etienne. "Als die Dragon auf Kiel gelegt worden ist, habe ich mich beworben. Da war an dich noch lange nicht zu denken gewesen. Sagen wir so: Das Schicksal hat uns wohl aneinandergebunden."
"Darauf noch ein Cheers. Aber im Ernst: ich hoffe, das wird alles besser laufen, als ich jetzt befürchte, dann musst du mich und mein Gejammer auch nicht ständig ertragen."
"Ach, du befindest dich im Jammertal? Dafür muss ich sagen, dass die Hölle luxuriös ist."
"Klar, damit keiner merkt, wo man ist. Aber ich beklage mich ja nicht. Es könnte weitaus schlimmer sein." Etienne nahm seinen neuen Drink entgegen. Er vertrug zwar einiges, aber heute Abend hatte er nichts dagegen, ein bisschen beschwipst zu sein. Oder ein bisschen mehr als das. Nur der Barkeeper sah das ganz anders. Er bekam beim dritten Mal ein Glas Wasser und eine Schale Knabbereien. "Das hilft", meinte er nur.
"Ich dachte, Schokolade sei gegen deprimierte Stimmungen!" Er grinste schief. Sein Blick schweifte über die euphorischen Mannschaftsmitglieder, die Zeugen sein durften und keinen Dienst hatten. Das hier würde ihr gemeinsames neues Zuhause sein. Etienne hob sein Glas und prostete dem abwesenden A´kebur stumm zu. Egal welche Herausforderung vor ihnen lag: jetzt waren sie endlich zusammen.
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Tag der Veröffentlichung: 02.03.2017
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Rechteinhaber: Das Universum von Star Trek gehört seinem Erschaffer Gene Roddenberry und dem, der die Lizenzen verkauft. Im Moment ist das Paramount Pictures. Bis auf die bekannten Figuren der Enterprise sind jedoch alle andere Charaktere frei von den Autoren erfunden. Fanfiktion mit diesen Figuren sind erlaubt, eine kommerzielle Verwendung verbietet sich aber aus mehreren Gründen. Bitte bei Leihen jeglicher Art die Autorinnen fragen (weil wir nämlich neugierig sind) - Mails werden aktualisiert, sollten sie sich ändern. Bei dem Urheber und den Rechtsinhaber von Star Trek bitten wir um Entschuldigung, dass wir nicht gefragt haben und wir lediglich versprechen können, dass wir das hier nicht als unsere eigene Sache ausgeben. Es ging einfach nicht anders, denn mit Star Trek fing im Grunde alles an...