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Leseprobe

Die Bewahrer der Zeit 1

Elysium

Ronald Streibel

Das Buch

Alles beginnt damit, dass Adam, ein angehender Physiker, einem Fremden begegnet, der ihm einen Zettel übergibt.  Er enthält nur ein paar Zahlen, aber die haben genug Sprengkraft, um Adams Weltbild gründlich zu zerlegen und ihn an seinem Verstand zweifeln zu lassen.

Plötzlich erhält er einen ganz neuen Blick auf das Wesen des Universums, seinem Ursprung und der Bedeutung von Leben und Bewusstsein.

Und so schlittert er in ein Abenteuer, das ihn quer durch das Sonnensystem bis in die geheimnisvolle Oortsche Wolke bringt. Dort erwartet ihn die größte Überraschung von allem.  Doch all das sollte nur die Vorbereitung für eine Aufgabe sein, die ihm noch bevorsteht.

Ein Taschenbuch mit dem Inhalt von Band 1 und Band 2 ist bereits erschienen unter dem Titel Reise zum Ende der Zeit, ISBN: 979-8359050814.

Impressum © 2023 Ronald Streibel

Nelkenstr. 7, 73563 Mögglingen
streibel@proton.me

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Stable Diffusion

Inhalt

Titelseite

Das Buch

Impressum

Das Angebot

Aufbruch

Elysium

Das Angebot

1

Es war einer dieser letzten warmen Tage im Herbst. Ich hatte gerade mein Studium abgeschlossen und brauchte jetzt einfach eine kleine Auszeit. Also schlenderte ich gedankenverloren durch den weitläufigen Park meiner Stadt. Das Herbstlaub der Bäume leuchtete golden, und die Wärme der milden Herbstsonne fühlte sich angenehm auf der Haut an. So konnte ich endlich mal den Kopf freibekommen. Ein paar freie Tage wollte ich mir gönnen, bevor ich mich an die Jobsuche machen müsste.

Mein Name ist Adam Salander, ein angehender Physiker frisch von der Uni. Ich hatte mich auf Atomphysik spezialisiert und interessierte mich besonders für die Kernfusion als Energiequelle der Zukunft. Eine Anstellung bei einem der Forschungsinstitute, die sich mit der Entwicklung eines Fusionsreaktors befassen – sei es nun ein Tokamak oder ein Stellarator – das war mein Traum.

Ich konnte ja nicht ahnen, dass derartige Überlegungen bald völlig bedeutungslos sein sollten, dass dieser Tag der Beginn einer Kette von Ereignissen war, der Beginn einer bizarren Reise durch Raum und Zeit, die mich bis zum Ende der Zeit und zum Ursprung des Universums bringen sollte. Und dennoch bin ich wieder im Hier und Jetzt, um meine Geschichte aufzuschreiben. Ich weiß zwar nicht, ob mir jemals erlaubt wird, sie zu veröffentlichen, aber ich musste es einfach schriftlich festhalten.

Ich könnte all das, was passiert ist, auch für einen Traum halten. Es war aber alles andere als ein Traum, denn ich habe etwas verändert, etwas bewirkt, dafür gesorgt, dass die Dinge den richtigen Verlauf nahmen. Und ich habe gesehen, was geschehen wäre, hätte ich das nicht getan und es war eine albtraumhafte Welt, der Beginn eines dunklen, dystopischen Zeitalters, welches die Menschheit für lange Zeit im Würgegriff gehalten hätte. Ich weiß auch nicht, warum gerade ich das Zünglein an der Waage sein musste, der Ausschlag gebende Faktor – vom Hüter des Wissens erhält man selten eine Begründung für sein Handeln.

Aber von all dem hatte ich damals noch keine Ahnung. Stattdessen machte ich mir Gedanken, wo ich mich am Besten bewerben sollte. Wie ich so in Gedanken an einer Gruppe Ahornbäume vorbeiging, sprach mich plötzlich ein fremder Mann an.

»Sind Sie Adam Salander?«

Ich schaute ihn verblüfft an. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn jemals gesehen zu haben. »Ja – kennen wir uns?«

»Nein, eigentlich nicht. Aber vielleicht habe ich etwas für Sie. Ich weiß, Sie sind Physiker und noch auf der Suche nach einer Aufgabe.«

»Woher wissen Sie das?«, fragte ich misstrauisch.

»Ich hätte da eine Nuss zu knacken – extra für Sie als Physiker«, sagte er und gab mir einen Zettel. »Wenn ich Ihr Interesse geweckt habe, treffen wir uns morgen zur selben Zeit an dieser Stelle.«

Ich warf einen Blick darauf. Auf dem Zettel standen oben eine Uhrzeit und eine Internetadresse.

»Das ist ein Live-Stream, er zeigt die Ziehung der Lottozahlen. Schauen Sie sich das an und tragen die Zahlen in der Reihenfolge ihrer Ziehung in die Kästchen auf dem Zettel ein und Sie werden begreifen.«

Ich sah sechs Kästchen in einer Reihe und dahinter nochmals eines. Unter den ersten vier Kästchen stand jeweils eine Zahl, ebenso unter dem Letzen.

Ich schaute verwirrt auf: »Jetzt sagen Sie aber nicht, dass Sie die Lottozahlen vorhersagen können!«

»Sie sind doch Physiker«, meinte er. »Sie wissen, das Ziehungsgerät ist ein chaotisches mechanisches System. Es ist unmöglich, das Ergebnis einer Ziehung vorherzusagen!«

»Und was sollen die Zahlen dann bedeuten?«

»Sie sollen Ihnen zeigen, dass das, was ich Ihnen morgen erzähle, wahr ist, auch wenn es sich noch so unglaubwürdig anhören mag.« Der Fremde wandte sich zum gehen. »Morgen, derselbe Ort, dieselbe Zeit – falls ich Ihr Interesse geweckt habe.«

Damit entfernte er sich. Ich wollte ihm noch nachrufen, dass ich morgen keine Zeit hätte, ließ es aber bleiben.

»Seltsamer Typ«, murmelte ich und schob den Zettel geistesabwesend in meine Tasche.

2

Diese seltsame Begegnung ging mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf, obwohl mir meine innere Stimme sagte, dass das eigentlich nur ein schlechter Scherz gewesen sein konnte. Dennoch überlegte ich, ob ich nicht doch einen Lottoschein ausfüllen sollte. Aber es fehlten noch zwei Zahlen – ich könnte natürlich alle Kombinationen durchprobieren, das wären 49 zum Quadrat – nein, vier Zahlen hatte ich schon, also 45 mal 44, das waren – ich rechnete kurz nach – 1980 Kombinationen. Ein teurer Spaß, außerdem würde ich Stunden brauchen, um all die Scheine auszufüllen – es sei denn, es gibt Systemscheine, bei denen man nur fünf oder vier Zahlen ankreuzen muss. Plötzlich ging mir ein Licht auf und ich schlug mir die Hand gegen die Stirn: »Ich Idiot, fast wäre ich darauf reingefallen!«

Ein Reklametrick. Jemand wollte, dass ich in das nächste Lottogeschäft renne, um einen teuren Systemschein auszufüllen. Wahrscheinlich kassierte dieser Typ dann eine ordentliche Provision. Ich erinnerte mich, wie ich als unbedarfter Anleger einmal auf eine E-Mail reagiert hatte, in der die Zukunftsaussichten einer neuen Firma und deren revolutionäres Produkt in den rosigsten Farben beschrieben wurden. Auch auf deren Webseite sah alles sehr verheißungsvoll aus. Die Aktienkurse sollten sich in kurzer Zeit vervielfachen. Naiv wie ich war, glaubte das auch noch und kaufte einige Aktien – zum Glück nicht allzu viel. Es dauerte nicht lange und die Aktien stürzten ab, und als sie nur noch wenige Cent wert waren, musste ich sie als wertlos ausbuchen lassen – der Verkauf hätte mehr Gebühren gekostet als der Erlös. Ich verbuchte es als Lehrgeld, noch einmal würde ich auf so etwas nicht mehr hereinfallen. Wenn mir ein Fremder unverlangt scheinbar wertvolle Informationen gibt, dann will er nur mein Bestes – mein Geld!

Neu ist allerdings, dass sie die Leute jetzt schon persönlich ansprechen – und woher kannte der Typ meinen Namen? Das machte das Ganze doch etwas merkwürdig. Wenn er einfach irgendwelche Passanten ansprach, konnte er ihre Namen nicht kennen – oder hatte er eine neuartige Gesichtserkennungssoftware? Hatte nicht Facebook mal so was aktiviert? Gut, ich hatte mir nichts dabei gedacht, als ich mein Profilfoto da hochgeladen hatte, aber ich dachte, die Gesichtserkennung wäre längst wieder abgeschaltet – aus Datenschutzgründen. Aber was Facebook kann, können andere schließlich auch, und die Bilder sind frei zugänglich. Aber, so recht gab die ganze Sache keinen Sinn. Ich musste heute Abend einfach die Übertragung anschauen. Dann konnte ich das Ganze ruhigen Gewissens als Fake abtun und musste mir weiter keine Gedanken mehr darüber machen. 

Ich kehrte also zurück zu meiner Wohnung, ohne einen Lottoschein auszufüllen. Den Aufzug ließ ich wie üblich links liegen und nahm die Treppe zu meiner Wohnung im dritten Stock. Gut, Wohnung war übertrieben, es war ein besseres Wohnklo, aber für einen Student war es ausreichend, und für einen Job würde ich eh umziehen müssen. Als ich mein Zimmer betreten hatte, fiel mein Blick auf das gerahmte Foto von Katrin und brachte mir wieder schmerzvoll meinen großen Verlust zu Bewusstsein. Ich sollte das Foto wegräumen, um nicht ständig an sie erinnert zu werden, aber ich brachte es bisher nicht übers Herz. Außerdem hätte es nicht viel genützt. Immer wieder im Verlauf eines Tages, oft in den unpassendsten Momenten überfiel mich die Erinnerung an diesen schrecklichen Tag.

Katrin Arnsfeld war da bereits seit zwei Jahren meine Freundin und wir überlegten uns, eine gemeinsame Wohnung zu nehmen, als mich die Nachricht über ihren plötzlichen Tod völlig aus der Bahn warf. Sie war gerade zu Besuch bei ihren Eltern – ihre Mutter hatte Geburtstag. Ich selbst habe ihre Eltern noch nie gesehen – ich wusste nicht, warum sie immer noch zögerte, mich ihren Eltern vorzustellen, aber ich wollte sie nicht bedrängen. Jedenfalls war dort auch ihr älterer Bruder Robert anwesend. Und weil es so ein schöner Vorfrühlingstag war, überredete er sie zu einer kleinen Spritztour mit seinem neuen Motorrad.

Man hat nie herausgefunden, warum er in dieser Linkskurve von der Fahrbahn abgekommen war. Ihr Bruder hatte noch Glück und landete bei dem Sturz im Gestrüpp, aber Katrin wurde gegen einen Baum geschleudert. Ihr Genick traf direkt auf den Baumstamm und wurde zertrümmert. Sie war auf der Stelle tot. Auf der Beerdigung wussten ihre Eltern nicht, wer ich war. Wahrscheinlich hielten sie mich für einen ihrer Kommilitonen, von denen einige anwesend waren – was ja eigentlich auch stimmte. Ich beließ es dabei – ich war sowieso nicht in der Lage, über sie und meine Gefühle zu ihr zu sprechen – nicht in dieser Situation.

Ich schüttelte die Erinnerung daran und meine trübseligen Gedanken ab und machte mir mein Abendessen. Ich war gerade mit dem Abendessen fertig, als mich beim Blick auf die Uhr eine gewisse Beklommenheit erfasste. Die Lottoziehung müsste gleich beginnen. War es wirklich nur ein Scherz oder ein Werbetrick, oder steckte doch mehr dahinter? Und wenn ja, was würde das bedeuten für mein Bild von der Welt und für alles, was ich glaubte? Andererseits, als Wissenschaftler sehnte ich es auch herbei, das Unerwartete, das Ergebnis eines Experiments, das sich mit den bekannten Theorien nicht erklären lässt und so die Tür aufstoßen könnte zu ganz neuen Erkenntnissen, zu einer neuen Physik.

Ich aktivierte mein Smartphone. Die Internetadresse auf dem Zettel ignorierte ich. Falls das zu einem gefaketen Stream führen sollte – darauf würde ich nicht hereinfallen. Stattdessen aktivierte ich die Spracheingabe und sagte »Lottoziehung«. Der erste Treffer der Suche war eindeutig ein Link zur Lottogesellschaft – ich tippte darauf. Auf der nun geöffneten Seite tippte ich auf das Videofenster mit dem Titel Live-Ziehung.

Die Übertragung hatte gerade begonnen. Ich blickte auf den Zettel des Fremden: »19, 8, 47, 11, und am Ende eine 3«, murmelte ich.

Die Kugeln ergossen sich in die Glaskugel, und diese begann zu rotieren. Nach einer Weile änderte sich die Drehrichtung und der Aufnehmer gabelte einige Kugeln auf. Ich beugte mich dichter über den Bildschirm. Die Kugel ganz vorne sah aus wie … konnte das tatsächlich die 19 sein? Die Kugel rollte in den Auffangbehälter.

»Und es ist die 19«, sagte gerade die Moderatorin.

Ein flaues Gefühl machte sich in meiner Magengrube breit. »Zwei Prozent Wahrscheinlichkeit!«, dachte ich, »Es kann immer noch ein Zufall sein.«

Als der Aufnehmer wieder eine Reihe Kugeln erfasste und ich eine 8 erkennen konnte, glaubte ich schon nicht mehr an einen Zufall. Wie betäubt saß ich da und war nicht mehr sonderlich überrascht, als die Moderatorin sagte: »und Kugel Nummer drei ist die 47.«

Die Ziehung lief weiter, es wurde noch die 11, die 49 und die 1 gezogen. Am Ende war dann noch die Superzahl an der Reihe. Es war natürlich die 3. Im ersten Moment hatte ich das Gefühl, gerade eine einmalige Chance verpasst zu haben. Ich hätte heute den Jackpott knacken können. Ein unangenehmes Gefühl verkrampfte meinen Magen – das Gefühl, das man vermutlich hat, wenn man gerade einige Millionen Euro verzockt hat – obwohl ich das Geld natürlich nie besessen hatte. Aber ich hätte es können, wenn ich nur …

Ich kam zur Besinnung. Da war irgendetwas faul. Ein Trick, vielleicht Versteckte Kamera oder wie diese Fernsehshows alle hießen. Ich bin Physiker, ich weiß, was möglich ist und was nicht, und das konnte definitiv nicht so sein, wie es zu sein schien. Als erstes musste ich diese Zahlen verifizieren.

»Alexa, wie sind die Lottozahlen?«

Die Antwort meines smarten Lautsprechers kam sofort: »Die Gewinnzahlen der Lotto 6 aus 49 Ziehung von heute waren 1, 8, 11, 19, 47 und 49. Die Superzahl war 3.«

Okay, das ging alles über das Internet. Wenn sie mein Internet gehackt hatten – es wäre zwar aufwendig, mehrere verschiedene Quellen zu fälschen, aber diese TV-Teams haben sicher ein großes Budget und entsprechende Spezialisten. Hm, ich könnte einfach mitspielen und das gute Opfer mimen – andererseits packte es mich an der Ehre. Mein Ruf als Wissenschaftler wäre doch ruiniert, bevor ich überhaupt angefangen hätte. Ich brauchte etwas, das nicht über das Internet ging – Videotext! Das war zwar schon etwas antiquiert, aber hatte den Vorteil, dass er völlig unabhängig vom Internet war. Die Satellitenschüssel war am Balkongeländer montiert, von dort ging es durch eine Fensterdurchführung direkt zum Receiver. Das war noch ein älteres Modell ohne Internetanbindung und ohne WLAN. Ich kontrollierte alles, konnte aber keine Anzeichen einer Manipulation entdecken. Ich schaltete den Receiver und den damit verbundenen Fernseher an. Dann aktivierte ich die Anzeige der Signalqualität und drückte gegen die Schüssel. Bei einem leichten Druck verschlechterte sich der Wert, und bei einem starken Druck fror das Fernsehbild mit Mosaikstörungen ein. Das war eindeutig das Signal vom Satellit. Da der Satellit in halb Europa empfangen werden konnte, war es unvorstellbar, so ein Signal zu fälschen. Es heißt zwar immer, die Lottozahlen wären ohne Gewähr, aber die rechtlichen Konsequenzen, wenn Millionen Menschen absichtlich mit gefälschten Informationen versorgt werden – kein TV-Streich würde dieses Risiko rechtfertigen. Also suchte ich im Index nach den Lottozahlen, rief die Seite auf – es waren wieder dieselben Zahlen. Fieberhaft überlegte ich weiter – was konnte ich noch tun? Ich ließ den Fernseher weiterlaufen, am Ende der nun beginnenden Nachrichtensendung sollten auch die Lottozahlen gezeigt werden.

Ich schaltete meinen Computer ein und startete den Torbrowser. Als Exitnode wählte ich willkürlich einen Ort im Ausland. Ich suchte mit mehreren Suchmaschinen nach den deutschen Lottozahlen und verglich die gefunden Ergebnisse. Es waren immer die gleichen Zahlen, die ich längst auswendig kannte. Mittlerweile war die Nachrichtensendung fast am Ende, und die Lottozahlen wurden eingeblendet und vorgelesen – immer die gleichen Zahlen. Und da auch kein Fernsehfritze aus einem Schrank gesprungen kam mit dem Ruf ›April, April‹ oder ›Herzlich willkommen in der Fernsehsendung Sowieso‹ musste ich wohl langsam akzeptieren, dass das wohl keine derartige Verlade war. Aber was dann? Kann so ein Ziehungsgerät womöglich doch manipuliert werden – eventuell mit Magneten in manchen Kugeln? Aber das würde doch auffliegen, und dann wären Gefängnisstrafen fällig – es wäre schließlich ein Betrug an Millionen von Spielern, und es ginge um viele Millionen Euro. Und das alles, um mich in die Irre zu führen?

In dieser Nacht schlief ich schlecht. Immer wieder kreisten die Gedanken um diese Geschichte und als ich schließlich einschlief, hatte ich wirre Träume, in denen es um irgendwelche unheimlich wichtige Zahlen ging, an die ich mich aber nicht mehr erinnern konnte und einem verschwundenen Lottoschein, der mich zum Millionär machen würde, wenn ich ihn nur endlich finden könnte.

3

Am nächsten Morgen irrte ich ziellos durch die Straßen der Stadt, und immer wenn ich an einem Kiosk oder Laden vorbeikam, an dem es Tageszeitungen gab, schaute ich nach den Lottozahlen – irgendwie hoffend, einmal andere Zahlen zu finden, als die auf dem Zettel – aber dem war nicht so. So vertrödelte ich in Gedanken versunken die Zeit, denn zu etwas Konstruktivem war ich im Moment nicht fähig. Als der vereinbarte Zeitpunkt näher rückte, machte ich mich auf zum Park und suchte die Stelle auf, an der ich den Fremden gestern getroffen hatte.

Als ich schließlich an der Baumgruppe angekommen war, erblickte ich den Fremden, der in der Nähe entspannt auf einer Bank saß. Ich ging direkt auf ihn zu. Anstelle einer Begrüßung rief ich: »Was wird hier gespielt?«

Er blinzelte in meine Richtung: »Oh, Herr Salander, schön, dass Sie gekommen sind.«

»Wie hätte ich nicht kommen können, bei dem Hammer von einem Rätsel, das Sie mir hinterlassen haben. Ich hätte mich mein Leben lang gefragt, was dahintersteckt.«

»Sie sollen alles erfahren, vorausgesetzt, Sie sind unser Mann.«

Das überraschte mich etwas: »Sie wollen mir einen Job anbieten?«

»Ja, das kann man so sagen.«

»Und um was geht es bei diesem Job?«, fragte ich misstrauisch.

»Oh, Details kann ich Ihnen noch nicht nennen, aber ich kann Ihnen sagen, er ist sehr gut bezahlt, Ihre Ausbildung und Ihre speziellen Fähigkeiten kommen zum Einsatz, und Sie werden so viel lernen und erleben, wie in keinem anderen Job der Welt – und ich werde Ihre Fragen beantworten.«

Das klang erstmal zu schön, um wahr zu sein, daher fragte ich vorsichtig: »Und wo ist der Haken? Ist es gefährlich oder illegal oder unmoralisch?«

»Kein Haken, nichts dergleichen. Ihnen kann nicht das Geringste passieren und Ihre Aufgabe wird höchst ehrenwert sein. Allerdings unterliegt alles, was sie erfahren, der strengsten Geheimhaltung. Sie könnten zwar jederzeit aussteigen, wären aber verpflichtet, unsere Geheimnisse weiterhin zu wahren. Und Sie würden sich auf eine weite Reise begeben – natürlich mit allem Komfort und ohne Entbehrungen, und es wäre eine außerordentlich interessante und informative Reise.«

Eine Reise also. Ich war kein Freund des Verreisens, nur um des Reisens willen, aber das klang dennoch interessant. »Klingt erstmal nicht schlecht. Sie sagten, die Bezahlung wäre gut – wie gut?«

Er erwiderte: »Nennen Sie mir Ihre Gehaltsvorstellungen, und ich werde den Betrag verdoppeln.«

Damit hätte ich nun nicht gerechnet. Ich überlegte mir, was ich anderswo an Gehalt erwarten konnte – nicht das Anfangsgehalt, sondern nach einigen Jahren an Erfahrung. Aufgrund der besonderen Situation und der Geheimniskrämerei schlug ich noch 50 Prozent dazu und rundete das Ganze großzügig auf. Dann nannte ich den Betrag. Ohne mit der Wimper zu zucken, nannte er den doppelten Betrag: »Und falls das nicht reicht, können wir jederzeit noch etwas draufschlagen, und Erfolgsprämien sind auch möglich. Und übrigens, es gibt einen Vorschuss von drei Monatsgehältern, den Sie auf keinen Fall zurückzahlen müssen.«

Ich war ziemlich perplex. Wenn das wirklich so war, was hatte ich zu verlieren? »Wo muss ich unterschreiben?«

»Keine Unterschrift, ein Handschlag genügt.«

Ich streckte Ihm meine Hand entgegen: »Ich kenne immer noch nicht Ihren Namen.«

»Ich muss mich entschuldigen.« Er ergriff meine Hand. »Nennen Sie mich einfach Elias. Willkommen im Club!«

»Danke, Elias – gut, dann können Sie Adam zu mir sagen.«

»Auf gute Zusammenarbeit, Adam.« Damit ließ er meine Hand los.

»Gehen wir ein Stück, dann kann ich Ihnen die drängendsten Fragen schon mal beantworten. Ich nehme an, sie beziehen sich auf den Zettel, den ich Ihnen gegeben habe.«

»Allerdings«, entgegnete ich. »Verraten Sie mir nun den Trick dahinter? Haben Sie die Ziehung manipuliert? Oder haben Sie mich hypnotisiert und dann heimlich den Zettel ausgetauscht?«

Er lächelte: »Das war kein Trick. Die Zahlen standen im Almanach – sozusagen.«

Mir war der Begriff ›Almanach‹ zum ersten Mal in dem Film ›Zurück in die Zukunft‹ begegnet. Es handelte sich um ein Verzeichnis aller wichtigen Sportergebnisse, aber im Film kam er aus der Zukunft. Wer ihn besaß, konnte todsichere Wetten abschließen und stinkreich werden.

»Sie wollen allen Ernstes sagen, Sie haben Aufzeichnungen über Lottozahlen aus der Zukunft? Na, kein Wunder, dass sie bei meinem Gehalt so großzügig sein konnten«, ergänzte ich sarkastisch.

»Oh, wir bevorzugen Wetten auf Aktien- und Devisenkurse. Das geht viel eher in der Masse unter.«

Er schien es tatsächlich ernst zu meinen. Daher argumentierte ich verärgert: »Meinens Wissens erlauben die Gesetze der Quantenphysik keine exakte Prognose der Zukunft, Sie wissen schon, Unschärferelation, echter Zufall – man erhält stets nur Wahrscheinlichkeiten. Dazu kommen die Gesetze der Chaostheorie. Wie zum Teufel wollen Sie dann die Zukunft vorhersagen – oder haben Sie etwa eine verdammte Zeitmaschine?«

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Copyright © 2023 Ronald Streibel, Nelkenstr. 7, 73563 Mögglingen, streibel@proton.me
Tag der Veröffentlichung: 23.04.2023
ISBN: 978-3-7554-4011-6

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