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Schicksalhafte Begegnung

Jörn traf ich Anfang 1989 in Bim´s Marktwirtschaft, einem Cafe-Restaurant am Düsseldorfer Carlsplatz. Er setzte sich mit seiner Frau an meinen Tisch, um etwas zu essen. Kurz darauf kamen wir ins Gespräch und unterhielten uns über Umwelt- und Gesundheitsthemen. In diesem Zusammenhang erzählte ich ihnen, dass ich Hatha-Yoga praktiziere, das ist das „Körper-Yoga“ mit seinen unterschiedlichen Stellungen, auch Asanas genannt. Als ich eine zeitlang bei meiner Mutter wohnte, entdeckte ich in ihrem Wohnzimmerschrank ein Buch mit dem Titel: Ein neues Leben durch Yoga von Indra Devi. Je mehr ich mich in dieses Buch vertiefte, um so mehr wurde mir klar, dass Yoga eine Lebensphilosophie ist und nicht nur aus Körperübungen besteht, die eine gesundheitsfördernde Wirkung haben. Heute weiß ich, dass es kein Zufall war, dass mir dieses Buch in die Hände gespielt wurde.

 

Zu Beginn meiner spirituellen Lebensreise 1988 las ich viele Bücher über Meditation und Yoga. Yoga steht für die Verbindung zwischen individuellem und kosmischen Bewusstsein. Yoga ist eine Philosophie, die den ganzen Menschen umfasst, denn nur wer den Menschen und seine Natur als Ganzes versteht, der kann einen Lebensweg beschreiten, der ihn zu einem höheren Bewusstsein führt, zu innerer Ausgeglichenheit und harmonischem Wohlbefinden. Das wissenschaftliche und technisch-analytische Denken verleitet den Menschen dazu, nur Teile des Yoga zu praktizieren. Solange es sich aber nur um Teile handelt, ist ein Ganzwerden des Menschen nicht möglich. Es ist wie bei den Einzelteilen einer Uhr. Erst wenn alle Bestandteile zusammengefügt sind, beginnt sie zu ticken.

 

Während meines Gespräches mit Jörn fiel mir ein ganz besonderer Ring an einem seiner Finger auf, der aus acht einzelnen, in sich verflochtenen Einzelringen bestand. Als ich ihn darauf ansprach, sagte er mir, dass er schon versucht hätte, die Bedeutung des Ringes herauszufinden. Ich sagte ihm, dass es sich um die Symbolik des Ashtanga-Yoga-Pfades von Patanjali handeln könnte. Als Jörn mir das erste Mal begegnete, verspürte ich bereits das vertraute Gefühl einer besonderen Seelenverwandtschaft. Bereits bei unserem zweiten Treffen sagte er mir: „Was hältst du davon, wenn wir beide Ende des Jahres nach Indien reisen?“ „Das hört sich sehr verlockend an“, sagte ich, "aber so eine Reise kann ich mir derzeit nicht leisten." „Da mach dir keine Sorgen", fuhr er fort, „Geld spielt keine Rolle. Ich lade dich zu dieser Reise ein, und außerdem ist das Leben in Asien ausgesprochen billig."

 

Jörn war 58 Jahre alt, von großer Statur und herzlicher Ausstrahlung. Er machte den Eindruck eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Ich war natürlich hocherfreut, als er mir dieses Angebot machte. Es war Frühjahr und zum Ende des Jahres 1989 sollte die große mehrmonatige Reise beginnen. Nach unserer letzten Begegnung begab er sich dann noch auf eine Ungarnreise, um mit Freunden auf Wildschweinjagd zu gehen. Da er nicht genau wusste, wann er wieder zurückkommt, bat ich ihn, sich anschließend bei mir zu melden. Die Zeit verging, aber er ließ nichts mehr von sich hören. Allmählich kamen mir Zweifel, ob er überhaupt noch Interesse an einer gemeinsamen Indienreise hatte. Da ich mich nicht aufdrängen wollte, suchte ich auch keinen weiteren Kontakt zu ihm.

 

Einige Wochen später las ich einen Zeitungsartikel, der mich regelrecht schockierte: „Täter erschießt sich nach Banküberfall! Der 58-jährige Jörn. H. aus Hilden...“ „Das kann doch nicht wahr sein?“ war mein erster Gedanke. Sollte es sich tatsächlich um Jörn handeln, den ich schon so gut zu kennen glaubte? Einige Tage später bestätigte sich der dunkle Verdacht durch seine Tochter, die mich aus Berlin anrief. Danach fiel mir ein, dass er sich bei unserem letzten Treffen sehr negativ über die Banken geäußert hatte. Jörn hatte eine Reifenfirma und die musste wohl bereits zum Zeitpunkt unserer ersten Begegnung Pleite gewesen sein. So war es wohl eine letzte verzweifelte Tat, um seiner finanziellen Misere zu entkommen. Selbst seine Frau war völlig ahnungslos, obwohl sie schon 30 Jahre mit ihm verheiratet war; auch von einer Indienreise mit mir war ihr nichts bekannt. Und dann erst der ganze Ärger mit der Polizei; plötzlich war sie die Frau eines Bankräubers. Kurze Zeit später gab sie Beruf und Wohnung auf und verließ die Stadt mit unbekanntem Ziel.

 

Ich kann mich noch gut an eine Bemerkung erinnern, die Jörn in einem unserer Gespräche über den Buddhismus zum Thema "Reinkarnation und Karmalehre" machte: „Glaubst du an solchen Blödsinn?“ fragte er mich. Ich sagte: „Das sind doch die elementaren Grundpfeiler dieser Religion." Für mich sind diese Begriffe inzwischen zu einem festen Bestandteil meines Lebens geworden und ich bin fest von einer Wiedergeburt überzeugt - in welcher Form auch immer. Sollte ihm vor Ausführung seiner Tat der Gedanke an Reinkarnation durch den Kopf geschossen sein? Vielleicht war ihm dieser schnelle Tod lieber, als ein jahrelanger „Tod auf Raten“ in einem deutschen Zuchthaus. Wichtig wäre noch zu erwähnen, dass während seiner Abwesenheit meine Entscheidung bereits feststand, nicht mit ihm nach Indien zu reisen - sondern allein. Die finanzielle Abhängigkeit zu ihm hätte meine freie Wahl der Reiseziele doch erheblich eingeschränkt. So konnte ich kompromisslos und intuitiv meinen eigenen Weg beschreiten. Jörn war eine wichtige Person in meinem Leben, der ich es zu verdanken habe, dass ich rechtzeitig in Indien eingetroffen bin - denn ich wurde bereits erwartet…

 

* * *

Wer den Weg zur Quelle sucht, muss gegen den Strom schwimmen.

Friedrich Nietzsche

Mein Weg zu Osho

Am 17. November 1989 begann meine erste Reise nach Indien. Von Amsterdam flog ich mit Singapur Airlines über Kuwait-City nach Bombay, das heute Mumbai genannt wird. Nach einer Übernachtung reiste ich dann mit dem Zug direkt nach Pune, einer Stadt mit zwei Millionen Einwohnern, ca. 100 km südlich von Mumbay. Mein Ziel war das OSHO International Meditation Resort, ein über 15 Hektar großes Gelände inmitten eines Villenviertels namens Koregaon Park. Während meiner Aufenthalte in Pune wohnte ich meistens im Sunderbans Hotel, das sich in unmittelbarer Nähe des Ashrams befindet.

 

Nach den Anmeldeformalitäten begab mich auf mein Zimmer und setzte mich auf das frisch bezogene Bett. Plötzlich sah ich eine Ameise über das Bettlaken laufen. Nach einer kurzen Rauminspektion entdeckte ich dann eine kleine Öffnung in der Deckenecke, wo andere Artgenossen ein- und ausgingen. Um diesem Treiben ein Ende zu bereiten, versperrte ich die Öffnung mit einem Papiertaschentuch. Mit dem sicheren Gefühl, weiteren Ameisen das Besuchsrecht entzogen zu haben, verließ ich den Raum. Doch für meine Rückkehr hatten sich die Ameisen eine besondere Überraschung ausgedacht. Als ich den Raum nach einigen Stunden wieder betrat und das Licht einschaltete, fuhr mir ein gehöriger Schreck durch die Glieder, als ich die vorher völlig verwaiste Deckenecke betrachtete. Tausende von Ameisen hatten sich dort auf einer Fläche von fast einem Quadratmeter versammelt. Sie nahmen alle eine sehr bedrohliche Haltung ein, die ich mit großem Respekt zur Kenntnis

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 27.11.2018
ISBN: 978-3-7438-8773-2

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