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I M P R E S S U M


Die Sternenbücher Band 16

 

Vergehen und Werden

 

 

von Walter Gerten


© 2018 Walter Gerten.
Alle Rechte vorbehalten.
Autor: Walter Gerten
info@smg-gerten.de

Dieses E-Book, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne Zustimmung des Autors nicht vervielfältigt, wieder verkauft oder weitergegeben werden.

Text, Zeichnungen, Bilder und Fotos von Walter Gerten. © 2018 Walter Gerten

 

Der Autor:

Walter Gerten lebt seit vielen Jahren in der ländlichen Südeifel. Als Autor betätigt er sich seit dem Jahr 1999. In der Anfangsphase, ab 2000 bis 2003 nahm er an einer intensiven Schreibwerkstatt teil, es folgten Lesevorträge. Daneben betreibt er seit dem Studium Malerei und Grafik, die ebenfalls teilweise als Illustration Einzug in seine Schriftwerke findet.

 

 

 

Weitere Romane:

Manfred Wilt und der Tote am Fluss
Manfred Wilt und die Rocker
Der Bote des Zarathustra
Monte Nudo
Unterwegs mit Tom Kerouac
Ich bin ein Schiff
Die Sternenbücher 1 Professor Montagnola
Die Sternenbücher 2 Akba
Die Sternenbücher 3 Die dunkle Seite des Mondes
Die Sternenbücher 4 Der Sinn des Lebens
Die Sternenbücher 5 Planet der Phantome
Die Sternenbücher 6 Das Nichts
Die Sternenbücher 7 Tod eines Springers
Die Sternenbücher 8 Paradise2
Die Sternenbücher 9 Solitan
Die Sternenbücher 10 Das Symbol für Solitan

Die Sternenbücher 11 Das Ubewu
Die Sternenbücher 12 Ich und Es

Die Sternenbücher 13 Der dreizehnte Stern

Die Sternenbücher 14 Die Raumzeit

Die Sternenbücher 15 Selbst Ich

 

 

Das Buch

 

Kulturen streben ihrem Höhepunkt entgegen und verschwinden. Das ist auf dem Planeten Igmatan nicht anders als auf der Erde. Zunächst scheint es den Forschern, als ob die ehemaligen Schöpfer einer dortigen Hochkultur verschwunden seien. Doch während der mühseligen Ausgrabungen ergeben sich Erkenntnisse, die Fragen aufwerfen. Die Ereignisse im Grabungsgebiet und das Zusammentreffen mit den Lebewesen auf Igmatan eröffnen eine ganz neue, ungewohnte Erlebniswelt, in der sich letztendlich das Scheitern der Kultur erklärt.

 

 

Inhalt

Inhalt

 

I M P R E S S U M

 

1       Zum Basislager

2       Zum Rudel

3       Zum Gipfel

4       Zur Stadt

5       Zum ersten Mal

6       Zum Menschen

7       Carl

8       Zum Weg

9       Zurück

10     Norwis

 

 

 

1 Zum Basislager

1 Zum Basislager

 

Eine quälend lange Zeit hatten wir in unseren Biwaks verbracht, weil uns die klimatischen Bedingungen dazu zwangen. Ähnlich dem hohen Norden auf der Erde gab es auf Igmatan eine Phase extrem niedriger Sonnenbahn. Sie hatte uns nicht überrascht, - wir waren lange vorbereitet auf die Jahreszeit der Dunkelheit und auch die Kälte, minus 45 Grad Celsius, schreckte uns nicht. Aber die Segnungen des Fortschritts hatten sich als Luftnummern erwiesen. Entgegen der Planung war eine Erforschung dieser Region von Igmatan unter Kunstlicht nicht möglich.

Jetzt, zwei Monate später als die Kalkulation, waren wir endlich wieder unterwegs. Nur das Sonnenlicht, das nun wieder stetig zunahm, ermöglichte die Auffindung der verborgenen Städte, der monumentalen Bauwerke im wuchernden Urwald, der Figuren und Stelen, der großflächigen Schriftbilder und der längst vergangenen Infrastruktur, die Zeugin einer vergangene Kultur war, deren Spuren wir auffinden sollten.

Wir hatten es versucht, aber diese lächerlichen Scheinwerfer auf fliegenden Maschinen spotteten in ihrer erbärmlichen Wirksamkeit jeder Beschreibung. Wir hatten es ja bereits auf der Erde, lange vor dem Start zu dieser Mission prophezeit, dass es Grenzen gab für Technik, selbst wenn man sie für zukunftsträchtig hielt.

Die Lampen warfen Schatten, die im Gegensatz zum Sonnenlicht extrem destruktiv waren. Wir hatten es ehrlich versucht, aber es lag nicht an unseren Augen oder den Sehgewohnheiten. Der Schattenwurf vernichtete jeglichen Versuch, Strukturen zu entdecken, die unter natürlichen Bedingungen entstanden waren, nicht unter künstlichen.

Je mehr wir lernten über diese untergegangene Kultur, desto mehr gelang es uns, eine entfernte Vorstellung von der Art des Lebens zu imaginieren, das wohl geherrscht hatte, als sie noch blühte. Und es schien, als ob der einfache, direkte, persönliche, normale und natürliche Zugang zu den Resten dieser Kultur dem hochtechnisierten Zugang meilenweit überlegen war.

Es sollte ein Schlüsselerlebnis bleiben. Denn immer wieder mussten wir erkennen, dass unsere Technik nicht in der Lage war, die vergangenen Gegebenheiten dieser Lebensform abzubilden. Notwendig war eine Bereitschaft, eine Minimalfähigkeit, die Zeit einer solchen Lebensausformung nachzuempfinden. Und das wurde nachhaltig gestört durch all die Dinge, mit denen wir anfangs operierten, die unserer „modernen“ Kultur entsprangen.

In der Folgezeit hatten wir die Flüge eingestellt und stattdessen eine Landefähre mit allem bestückt, was wir für den Einsatz auf dem Boden des Planeten benötigten: Fahrzeuge, Proviant, Kleidung gegen Kälte und Wärme, Zelte, Elektronikausstattung und so weiter. Wasservorrat benötigten wir nicht, denn es gab Trinkwasser auf Igmatan.

 

Mittlerweile hatten wir uns schon lange akklimatisiert, an die Schwingkreise des Planeten angepasst; hatten uns dem strengen Winter gebeugt, der Last der Dunkelheit konform angeglichen und abgewartet, bis das Gestirn wieder höher stieg am gelben Himmel. Wir hatten einen Modus angenommen, den wir fast als Winterschlaf empfanden, als gedimmte Dynamik, besänftigte Arbeitswut, als unfreiwillige, aber akzeptierte Traumzeit. Zwei Kuppelzelte standen in der Lichtung einer dünn bewaldeten Tiefebene, wussten kaum mehr voneinander, bis ihre Bewohner sich räkelten, im Dämmerlich nach draußen wankten und bemerkten, dass es noch eine Außenwelt gab, mit anderen, ebenfalls schläfrigen Besuchern der „Igmatanwelt“, die sich noch im Schlummer befanden oder in einer Übergangsphase.

 

Noch immer wehten Erinnerungen an die Traumzeit durch das Bewusstsein, gemahnten an tiefere Schichten, die sich ausgiebig hatten austoben können und nun Schritt für Schritt ins Halbdunkel zurück sanken, dem Alltagsbewusstsein wichen, während wir wieder unterwegs waren. Unterwegs zum südwärts gelegenen Anstieg auf „Kapell“, den zweithöchsten Berg dieses flachen Kontinents. Unsere Wahrnehmung wurde noch immer unterbrochen von Episoden, die wir weder dem realen Geschehen der Zeit vor dem Winter, noch den vielen symbolischen und märchenhaften Szenen während der Dunkelheit zuordnen konnten. Wir versuchten, uns gegenseitig bezüglich der Frage „Traum oder Wirklichkeit“ zu unterstützen, uns mit Erinnerungen zu bestätigen. Aber es gelang nur mühsam, so dass wir in einer Art Halbwelt, einem semiwachen Status dahin wankten, unser Gepäck zogen und trugen, dabei darauf hoffend, dass mit steigender Sonne die Klarheit zurückkehren möge.

Vor uns lag „Kapell“, veränderte sich kaum beim Näherkommen. Zu gewaltig waren seine Ausmaße, als dass sich einige Kilometer an seinem Erscheinungsbild bemerkbar gemacht hätten. Lediglich sein Schatten zog von links nach rechts durch unser Blickfeld.

 

Links stapfte Gynar durch den dünnen Schnee, zog mit gebeugtem Rücken seinen Gepäckwagen am Schultergurt voran, während er mit gleichmäßigem Pumpen der Arme die Stecken in den Boden rammte um seine lahmen Beine zu unterstützen. Wir hatten einen Trott gefunden, der es uns erlaubte, die Anstrengung an unsere schwache Kondition anzupassen. Vor uns sahen wir Carl und Merrit, die ebenfalls an langen Schultergurten die flachen Gepäckanhänger zogen und zusätzlich, wie wir, voluminöse Rucksäcke auf den gebeugten Körpern trugen.

 

„Bald wird es leichter, wenn der Schnee schmilzt und die Räder leichter rollen; zumindest in der Ebene.“, sagte Gynar.

Ich nickte tonlos; und erzählte ihm, was mir gerade durch den Kopf ging.

„Ich war mit etwa zehn Mann unterwegs zum Schwimmbad; alle waren ehemalige Klassenkameraden. Ich bemerkte, dass ich keine Badehose dabei hatte. Muss wohl ein Traum gewesen sein; einer von vielen während der Zeit der Dämmerung, wo man nicht weiß, wie man es am Ende schaffen wird, aufzuwachen.“

„Und; wie ging es weiter ohne deine Schwimmhose?“, fragte Gynar.

„Ich wollte mir irgendwo eine kaufen oder leihen; aber dann entschlossen wir uns, nackt zu schwimmen.“

 

Merrit hatte sich umgedreht und uns zugewinkt; aber wir hatten nicht reagiert, oder so spät reagiert, dass sie es nicht mehr gesehen hatte. Der Boden wankte leicht vor meinen Augen und ich betrachte ihren Rücken. Sie hatte eine blaue Jacke an mit einer dick gefütterten Kapuze, aus der seitlich einige blonde Haarsträhnen heraus wehten. Carl war mindestens zwei Köpfe größer als sie. Auch er hatte die orange Kapuze übergezogen und beugte sich beim Stapfen angestrengt nach vorne.

 

„Und dann seid ihr alle nackt ins Schwimmbecken gestiegen?“

„Nein, der Traum hörte vorher auf.“

„Ach …“

„Bist du auch so schwach, Gynar?“

„Ich könnte hier stehen bleiben und die Augen schließen. Nach zehn Sekunden wäre ich eingeschlafen. Meine Beine sind schwer; die Arme lahm. Das schwache Sonnenlicht ist mir schon zu grell und auf den Ohren habe ich Rauschen. Wie weit ist es zur nächsten Bar?“

Er grinste. Die große, schillernde Brille ließ kaum etwas von seinem Gesicht erkennen außer dem Mund mit den spröden Lippen, die sich blass-rosa von dem schwarzen Stoppelbart abhoben. Durch die Nasenmaske saugte er rasselnd Atemluft und stemmte sich wieder in die Gurte.

Ich rammte beide Stöcke in die flache, verharschte Schneedecke und beeilte mich, mit ihm Schritt zu halten. Carl gab ein hohes Tempo vor, aber Merrit schien damit keine Probleme zu haben. Weit vor uns stieg die Ebene langsam an. Die leergeräumt wirkende Senke ging dort in lockeres Buschwerk über, welches an der ersten Hügelkette von den schwarzblättrigen Baumriesen abgelöst wurde. Eindrucksvoll stieg dahinter der Berg steil in den Himmel, umschlungen von einer Spirale aufwärts strebender Terrassen, die von unten bis weit oben stellenweise von den Schwarzblattriesen, gewaltigen Bäumen, gesäumt wurden. Diese Terrassen, deren Entstehung uns noch unklar war, würden wir hinauf steigen, sobald wir, vermutlich in ein bis zwei Wochen, den Fuß „Kapells“ erreichen hätten.

Unten, in der Buschlandschaft, planten wir ein Basislager zu errichten. Wir wussten, dass auch dort die längst vergangene Kultur am Werke gewesen war. Bereits vor der Mission hatten wir es gewusst. Das Raumfahrtdezernat besaß seit einem ganzen Jahrzehnt den Bericht eines Forschungsroboters, der mehr oder weniger durch Zufall den Weg nach Igmatan gefunden hatte und dort mit seinen Detektoren menschliches Leben konstatierte, ohne es selbst gesehen zu haben. Aber „Rob14“ hatte die Indizien ihrer Existenz dokumentiert, zudem einige Luftaufnahmen von Gebäudekomplexen und ein lückenhaftes Netz an Verbindungswegen, die allesamt im Urwald verborgen und nur an wenigen Stellen sichtbar waren.

 

Unsere Fahrzeuge waren nun vor genau 16 Erdenwochen havariert. Ein Ereignis, das uns einen gehörigen Schecken versetzt hatte. Man hatte bei der Konstruktion der Maschinen, speziell der Fahrwerke, eine unverzeihliche Nachlässigkeit begangen, indem man sich nicht gründlich genug um die Zusammensetzung des Schnees auf Igmatan gekümmert hatte. Bei Erreichen des kontinentalen Nordens und seiner jahreszeitlichen Kälte fielen nach und nach sämtliche Lagerstellen unserer Transporter aus, je länger wir im flachen Schnee fuhren. Carl hatte das Phänomen bereits beim ersten Schaden richtig diagnostiziert, aber es gab keine Möglichkeit, dem Komplettausfall vorzubeugen.

Also hatten wir beschlossen, nach der Winterpause zu Fuß weiterzumachen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Säuregehalt des weißen Pulvers bereits alle beweglichen Stellen der Unterkonstruktionen in ein dick verrostetes, bewegungsunfähiges und rotbraunes Trauerspiel verwandelt. Die Menschen im Leitzentrum auf der Erde hatten keine andere Alternative parat, also hatten wir uns den Gegebenheiten gefügt. Man schickte uns eine lange Dokumentation über die Mineralien auf Igmatan und deren Möglichkeiten, Legierungen einzugehen. Wir lasen sie nur zu einem Zehntel, dann verstanden wir, dass wir selbst sehen mussten, wie wir mit der Örtlichkeit und ihren Besonderheiten klarkamen.

Carl hatte es sogar angekündigt. Die Tatsache, dass dieser Planet ganz eigene molekulare Vorlieben hatte, faszinierte Carl in einer Weise, die einer platonischen Liebe glich. Er sprach von diesen Dingen so, wie er von den Eigentümlichkeiten einer edlen und sensiblen Dame vielleicht gesprochen hätte, von ihrer außergewöhnlichen Erscheinung, milde und nachsichtig gestimmt in Bezug auf ihre Kanten und Ecken, respektvoll, mit Verständnis für ihre eigenen Bedingungen.

 

Diese Betrachtungsweise war auf uns anderen drei übergesprungen. Carl hatte uns in ein ganz eigenes System von Perspektiven auf die planetarische Ganzheit eingestimmt, das sich als Vorteil herausstellte, denn die Liebe zu diesem System öffnete uns die Augen für die ganz spezielle Schönheit. Gynar hatten diese romantisch gefärbte Brille hin und wieder abgelegt und uns auf Fakten hingewiesen, die ganz und gar nicht edel waren.

„Was ist mit unserer Landefähre? Wie wird sie aussehen, wenn wir zu unserem Raumschiff im Orbit zurückkehren wollen. Wird sie ebenfalls vor Rost starren und unbeweglich am Boden bleiben? Hast du eine Antwort, Carl?“

Carl hatte eine Antwort, die uns alle beruhigte:

„Die Fähre steht südlich der kontinentalen Gebirgsbarriere. Soviel wir wissen, gibt es dort keinen Frost. Außerdem ist der Boden dort anders zusammengesetzt; es wird keine Säurebildung stattfinden. Aber ganz abgesehen davon würde am Unterboden der Fähre maximal das Landegestell beschädigt, das wir sowieso nicht mehr benötigen.“

„Sofern es nicht komplett wegrostet und die Fähre deshalb umkippt!“

„Das wird nicht passieren, Gynar. Da sind keine Gelenke vorhanden.“

„Also kann sie nicht wegen Rost umkippen?“

„Nein, kaum!“

Carls blaue Augen hatten gestrahlt, als er Gynar zuzwinkerte, um ihn von der positiven Lage zu überzeugen.

 

Jetzt, unterwegs zum „Kapell“, gab es keine Bedenken mehr. Wir konnten unseren Optimismus auf eine Reihe unbedeutender Funde stützen, die allesamt Hoffnungen auf große Ereignisse bestätigten. Vor uns lagen versunkene Städte, unbekannte Kunstwerke, Zeugnisse einer Hochkultur, die wir noch entdecken und verstehen mussten. Alles deutete darauf hin, dass „Kapell“ ein Geheimnis bereithielt. Der Berg schien das Zentrum eines lückenhaften Netzes gewesen zu sein, einer alten und verschütt gegangenen Infrastruktur.

Die Frage, ob es noch Überlebende der Katastrophe gab, die zum Untergang der „Kapell-Kultur“ geführt hatte, wurde vom Kontrollzentrum mit einem klaren Nein beantwortet, obwohl die Dokumente von „Rob14“ in diesem Punkt unklar waren. Wir benutzten diese Bezeichnung erst seit wenigen Wochen und die Erde verwendete noch einen Zahlenschlüssel, doch der Ausdruck „Kapell-Kultur“ beinhaltete eine Vielzahl an Spekulationen, die sich erst noch klären mussten. Deshalb hatte sich eine unterschwellige Aufregung aufgebaut, ganz so wie vor einem geplanten Rendezvous.

Die Lady war alt, uralt und verwittert und ihre Verehrer wollten ihr endlich ins Gesicht blicken und sie kennen lernen.

 

„Ob sie wohl mit Zugtieren gearbeitet haben? Die Pflasterstraßen lassen es fast vermuten. Auf jeden Fall hatten sie Karren; Transportfahrzeuge mit Rädern, die irgendwie gezogen oder geschoben wurden.“

Gynar drehte sich um und starrte kurz nach hinten, ganz so, als ob er den zurückgelegten Weg abschätzen wollte. Seufzend beugte er den Rücken und stemmte sich in seine Schultergurte. Unsere Gepäckwagen hatten große Räder und liefen sehr gut auf dem flachen Restschnee. Im Unterboden waren weder metallene Lager noch sonstige rostende Materialien verbaut. Und trotzdem wären wir sie lieber heute als morgen los geworden. Sie waren überladen und die langen Gurte schnitten an den Schultern schmerzhaft ein. Zugtiere wären eine gute Idee.

„Es gäbe ja einige Arten, die vom Körperbau her gut geeignet wären; die Koladi, die kräftigen Nox, die Guman, die Barad, alles Vierbeiner mit kräftigen Muskeln.“

Igmatan beherbergte eine enorme Vielzahl an Tieren. Wir hatten längst nicht alle gesehen und über sehr wenige hatten wir Daten, aber wir kannten mittlerweile diejenigen Arten, die uns gefährlich werden konnten. Es waren einige große Flugtiere, die sich angriffslustig verhielten und es waren Rudel von zweibeinigen Raubtieren, die schnell und unerwartet auftauchten und bedrohlich wirkten. Doch die meisten waren friedlich und neugierig. Wenn wir ihnen begegneten, reagierten sie ohne Angst und durchaus kontaktfreudig.

 

Tja, die Grenzen der Technik, sie waren uns ganz unverhofft mehrmals begegnet auf diesem Planeten, der aus dem Orbit so zweifarbig aussah. Im Gegensatz zur Erde, die stets weiß und blau wie ein Edelstein in unserem Sonnensystem kreiste, waren hier die vorherrschenden Farben Weiß und Grün. Zwar gab es in dem gesamten topfebenen Hochplateau kaum grüne Pflanzen, aber das war die Ausnahme und der Trockenheit geschuldet. Auch das hatte die rein mechanische Erkundung während der Vorbereitungsphase völlig falsch eingeschätzt. „Rob14“ hatte aus unbekannten Gründen den Weg nach Igmatan gefunden und die Beweggründe gab er mit "Lebewesen, human…" an.

Und er bezeichnete damit explizit menschenähnliche Wesen, nicht die Koladi, die Nox, die Guman oder die Barad, die ersten drei vergleichbar etwa unseren irdischen Hunden, die letzten eher Bären oder Büffeln. Die Sensorik von „Rob14“ war modern. Seine Algorithmen bezogen alle anderen Messungen mit ein und prüften sie mehrfach. Dieser Roboter war das zuverlässigste Forschungswerkzeug für intergalaktische Projekte, das man auf der Erde zur Verfügung hatte.

Wir hatten sogar erwogen, ihn wieder mitzunehmen nach Igmatan, aber er war eine reine Flugmaschine, am Boden unbrauchbar. Er hätte uns im Nebel der Überganszeit, in die wir geraten waren, nichts genützt. Wir hatten stattdessen kreisende Überwachungsfluggeräte dabei, die uns Bildmaterial lieferten.

Und jetzt, nachdem wir uns entschlossen hatten, zur ursprünglichsten Form der Expedition zurückzukehren, die es gab, nämlich zu Fuß, waren wir uns sicher, dass es besser so war. Wir alle kannten die Berichte von Catherwood und Stephens, die im neunzehnten Jahrhundert die Ruinen der Maya-Kultur in Südamerika erforscht hatten. Carl hatte uns darauf aufmerksam gemacht und tatsächlich waren wir alle begeistert von den Berichten über die beiden Forscher. Sie hatten mit einer unglaublichen Beharrlichkeit den Kampf gegen den allesverschlingenden Dschungel aufgenommen und während vieler Jahre ein verschollenes Bauwerk nach dem anderen entdeckt. Der Maler Catherwood hatte die Monumente per Hand gezeichnet und gemalt und mit dieser direkten und analogen Methode bessere Zeugnisse dessen abgeliefert, was sie entdeckten, als es jede maschinelle Arbeitsweise vermocht hätte. Gynar erwog sogar, statt unserer allgegenwärtigen Interkomm-Geräte selbst zu versuchen, seine Eindrücke auf Papier festzuhalten. Leider bemerkten wir in der Vorbereitungsphase zu unserem Marsch, dass wir nur sehr eingeschränkt das benötigte Material zur Verfügung hatten. Doch Gynar grinste und zeigte auf seinen Rucksack, in dem er vorsorglich ein dickes Skizzenbuch verstaut hatte.

 

Merrit war stehen geblieben und Carl hatte ihr das Spektiv gereicht, ein kleines Fernrohr. Vermutlich hatten sie etwas entdeckt. Wir beeilten uns, zu ihnen aufzuschließen. Noch immer hatte ich nicht den Eindruck, dass wir uns „Kapell“ näherten. Er war einmal so groß wie das andere Mal. Doch nun sah ich, dass die Terrassen in der Bergflanke vermutlich ein umlaufender Weg waren, der vom Fuß bis zum Gipfel wie eine Spirale aufwärts führte. Man sah die schwarzblättrigen Bäume, die neben ihm wuchsen. In ihrem Schatten war der Untergrund relativ frei von höherem Bewuchs geblieben, abgesehen von niedrigen Grasarten.

Merrit reichte mir das Spektiv und deutete auf eine kleine Baumgruppe. Carl sagte:

„Achte auf den Bereich unter diesen dicht stehenden Bäumen!"

Ich hob das Gerät vor mein linkes Auge, suchte die Stelle und stellte scharf. Die dunklen Blätter, die nicht wirklich schwarz waren, sondern eher purpurfarben mit schwarzen Rändern, gingen fast nahtlos über in die Schattenzone. Zwischen den massiven Stämmen schimmerte lediglich ein schwacher Kontrast von hellerem Grün. Und dort, neben einem der Stämme, meinte ich eine aufrechte Figur, eine starre Silhouette, ein Lebewesen zu sehen, das sich exakt uns zugewendet hatte und nun den Arm hob, um auf uns zu deuten. Einen Moment lang glaubte ich, glänzende Augen zu erkennen, bevor sich ein Kopf wegdrehte. Wollte es einem anderen Wesen außerhalb des Blickfeldes Informationen mitzuteilen, die uns betrafen. Oder war das alles Wunschdenken, selektive Fehldeutung ganz anderer Gegebenheiten. Mein Auge tränte, - ich wischte mit dem Fingerknöchel darüber -, und ich sah danach nur mehr die Baumgruppe.

„Was hast du gesehen, Merrit?“

„Carl sagte, er hätte eine Bewegung wahrzunehmen, dort unter den Bäumen. Aber ich konnte nichts entdecken. Mag ein Tier gewesen sein. Und du?“

„Ich? Ich, ich bildete mir gerade ein, etwas gesehen zu haben. Vielleicht wirklich ein Tier, aber eins, das sich auf die Hinterbeine erheben kann.“

„Du meinst, ein Barad?“

„Ja, eventuell. Die Barad richten sich hin und wieder auf wie Bären. Zuerst hat es mich an einen Menschen erinnert, aber das hat sicherlich getäuscht.“

Ich wusste nicht, was ich glauben sollte und reichte unschlüssig das kleine Fernrohr weiter an Gynar. Er richtete es aus und starrte lange hindurch. Dann gab er es weiter an Carl, der es nach kurzer Zeit wieder wegpackte.

„Nichts zu sehen. Habe mich wohl getäuscht. Was ist mit dir, Gynar?“

„Tja, weiß nicht. Ich dachte auch zuerst, ich hätte etwas wie einen aufrecht stehenden Körper gesehen. Doch vermutlich habe ich mich geirrt. Als ich nachjustierte, war es weg, was immer es gewesen sein mag. Vermutlich ein Hirngespinst.“

 

Die Barad waren merkwürdige Wesen; stark behaart mit breiten Schädeln. Man hätte sie für Büffel halten können, nur etwas kleiner. Aber trotz des ersten, vermeintlich wohlbekannten Eindrucks entsprach ihr Körperbau nicht annähernd irdischen Vergleichstieren. Sie hatten weder ein Skelett noch Gelenke. Sie benötigten keine Lunge und hatten deshalb auch keine Nasenöffnungen. Ihre Beine wirkten merkwürdig flexibel und ihre Art der Fortbewegung glich einem schleichenden Schweben. Sie brachten ihre vier Extremitäten dabei in wellenartiges Fließen, bei dem lediglich die Sohlen in schneller Folge den Boden berührten und den Körper horizontal vorwärts beförderten. Das passierte nicht sonderlich schnell, aber mit einer ruhigen Gleichmäßigkeit, die währenddessen andere Aktivitäten parallel ermöglichte, wie Fressen, Schauen, Rufen, Fressen, Ausscheiden, Schauen. Besonders das Schauen schien ihnen eine Leidenschaft zu sein und sie bewegten sich spontan stets in die Richtung der betrachteten Objekte.

Zu ihrem Körperbau ergaben sich einige erhellende Erkenntnisse, als sie sich uns das erste Mal näherten und wir feststellen durften, dass sie extrem zutraulich, ja zahm waren. Man konnte sie gefahrlos berühren und spürte dabei sofort, dass unter ihrem dunkelbraunen Fell keine Muskel- oder Fettmasse war, sondern harter Panzer. Sie besaßen, das konnte man bei der weiteren Erforschung ihrer Eigenheiten feststellen, einen Aufbau mit innenliegender Muskulatur, vergleichbar unseren Insekten. Ihr Körper bestand aus einer Vielzahl ineinandergreifender harter Segmente. Die Extremitäten beispielsweise wiesen schätzungsweise jeweils zehn ringförmige Glieder auf, die in gewissen Grenzen flexibel miteinander verbunden waren und daher eine Vielzahl von Bewegungen ausführen konnten. Daher die Möglichkeit für dieses wellenartige Gehen und Laufen.

Andererseits konnten aber offenbar auch Versteifungen an beliebigen Stellen hervorgerufen werden, vermutlich über die innere Muskulatur, so dass es ihnen auch gelang, sich aufzurichten, wenn sie zum Schauen einen vorteilhafteren Stand einnehmen wollten.

Da wir als fremde Wesen von extremem Interesse für sie waren (ebenso wie sie für uns) stellten sich bei der ersten Begegnung die hinteren Tiere des Rudels auf die Hinterbeine, um uns besser mustern zu können. Ihre wolligen breiten Schädel reckten sie empor und rollten mit den Augen, stützten sich dabei auf den Rücken ihrer Vordermänner ab und drängten vorwärts, bis die ersten ganz vorne einen Warnruf abgaben. Dann stockte das Ganze.

Vorne war man bis auf wenige Zentimeter an uns herangerückt und glotzte uns an, hinten reckte man sich noch weiter in die Höhe, streckte den Rücken und wartete ab, was passieren würde. Sie hatten

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Walter Gerten
Bildmaterialien: Walter Gerten
Cover: Walter Gerten
Tag der Veröffentlichung: 27.05.2018
ISBN: 978-3-7438-7026-0

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