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D E R   T O D   D E S   M O T O B I K E R S

Dem Herrgott ins Handwerk gepfuscht?

 

Kurzgeschichte

von

Claus H. Stumpff

 

 

Ein Tag in der Unfallklinik Murnau

 

 Der Chefarzt streifte die Latexhandschuhe ab und warf sie zusammen mit seinem grünen Operationskittel und sonstigem Krimskrams in das dafür vorgesehene Behältnis, worin sich bereits ein Sammelsurium verschiedenartigster Abfälle befand. Die 22-jährige OP-Schwester Beatrix sah ihm dabei mit ehrfurchtsvollen Blicken zu. Heute hatte sie bereits zum zweiten Mal dem renommierten Professor – einer Kapazität für Plastische und Rekonstruktive Mikrochirurgie – assistieren dürfen. Das war eine Auszeichnung, die nicht jeder ihrer Kolleginnen zufiel, manche waren einfach zu ungeschickt, manche verhielten sich so, als seien sie ein bisschen ”Plemplem“, waren also völlig ungeeignet für diesen anspruchsvollen Beruf. Und der berühmte Chirurg wusste es seinerseits zu schätzen, wenn seine Assistentin ihm mit geübtem Griff die in knappem Befehlston angeforderten Operations- und Nahtbestecke, Klemmen, Tupfer und Verbandsmaterialien zureichte. Schwester Beatrix dagegen hatte auch diesmal die unglaubliche Geschicklichkeit des Operateurs im Umgang mit Pinzette, Nadelhalter und chirurgischem Faden bewundert.

Heute herrschte hier mal wieder ein regelrechtes Tohuwabohu, ein  Schwerverletzter oder Sterbenskranker nach dem andern kam auf den OP-Tisch. Und heute hatte der Meister seines Faches einen Jugendlichen vor dem sicheren Tod gerettet, dessen Verletzungen bestimmt keine Lappalien waren.  Er hatte den Burschen wieder so zusammengeflickt, sodass bald nur noch winzige Narben an dessen schweren Unfall erinnern würden.

Der junge Mann hatte gegen Mitternacht reichlich alkoholisiert die Beherrschung über sein Motorrad verloren und war holterdiepolter in einer scharfen Rechtskurve hinauskatapultiert worden. Dabei hatte die schwere Maschine einen Weidenzaun durchbrochen und ihren Fahrer abgeworfen, der - sich mehrfach überschlagend - schließlich gegen eine steinerne Viehtränke geschleudert wurde. Mit schwersten inneren Verletzungen sowie zahlreichen Knochenbrüchen, aber auch mit grässlichen Schnittwunden im Gesicht, wurde der Bewusstlose am frühen Morgen von einem Landwirt vorgefunden.

»Diese Bengel auf ihren viel zu schweren Maschinen machen immer wieder solch dämliche Fisimatenten, indem sie meinen, jede noch so steile Kurve auch mit höchstmöglicher Geschwindigkeit bewältigen zu können«, rief er den Rettungssanitätern zu, die den blutüberströmten Motobiker in einen Rettungshubschrauber des ADAC schoben. »Dieser ganze Firlefanz mit Motorrädern, es ist zum Kotzen, diese Biker sollte man am Schlafittchen packen und in die Hölle schicken«, schrie er dem Heliokopter noch hinterher, als dieser sich bereits in die Luft erhoben hatte.

 

  Die Operation des Schwerstverletzten war wegen seines enormen Blutverlusts äußerst schwierig und hatte mehrere Stunden beansprucht. Aber nachdem sich sein Zustand etwas stabilisiert hatte und er zur weiteren Beobachtung auf die Intensivstation verlegt werden konnte, enthielt sich Schwester Beatrix nicht länger der Bewunderung für ihren Chef und erklärte sichtlich erleichtert:

 »Ich glaube, Sie hatten dem lieben Gott auf die Finger geschaut, Herr Professor! Wie Sie das nur wieder hinbekommen haben! Unser Patient ist wohl gerade noch einmal dem Tod von der Schippe gesprungen!« Aber das hat man davon, wenn man solche Mätzchen mit schweren Motorädern macht.

  Der Chirurg zog die Schutzhaube vom Kopf herunter und schaute dabei seine Assistentin wohlwollend über die Brille hinweg an:

 »Ach was, Papperlapapp, liebe Schwester Beatrix«, sagte er schmunzelnd. »Mit dem Tod ist das so eine Sache. Niemand kennt Gottes Plan und Er lässt sich bestimmt nicht gern ins Handwerk pfuschen. Aber ich vermute, dass auch der liebe Gott eine so flinke Hilfskraft gehabt haben muss, wie Sie es soeben für mich waren, sonst hätte Er uns Menschen wohl kaum so perfekt erschaffen können!«

  Beide brachen daraufhin in befreiendes Lachen aus, dann trafen sie Vorbereitungen für die nächste Operation.

 

Zwei Jahre sind seitdem vergangen, als ein junger Mann nach einem Lungenschuss in lebensbedrohlichem Zustand eingeliefert wurde.

»Das ist der Kerl, der noch vor einer Stunde die Kreissparkasse überfallen hat«, schrie einer der beiden Rettungssanitäter, die in großer Eile den an Infusions- und Beatmungsgeräte angeschlossenen Bewusstlosen über den langen Gang zum OP rollten. »Der hat den Filialleiter ermordet, außerdem zwei Bankkunden schwer verletzt!«

 

Der bei einem kurzen Feuergefecht von einem Polizisten niedergeschossene Bankräuber hatte viel Blut verloren und befand sich im Koma. Wieder einmal tat Schwester Beatrix im OP Dienst und durfte dem Professor assistieren. Sie hatte schon viele Unfallopfer vor sich liegen sehen, aber dieser Fall trug seine besondere Note, nicht nur wegen des tief in die Lunge eingedrungenen Projektils aus einer Polizeiwaffe. Vor ihr lag ein Gangster, ein Mann, der aus Habgier soeben einen anderen Menschen rücksichtslos umgebracht hatte.

»Der macht bestimmt keine Kinkerlitzchen mehr, so wie es aussieht. Kommt er wohl noch durch?« Mit einem unguten Gefühl im Bauch sah Schwester Beatrix zunächst den Narkosearzt an, dann ihren Chef.

  »Es ist gut möglich, dass wir ihn nicht mehr hinkriegen«. Mit ernster Miene blickte der Operateur auf den nur noch schwach atmenden Mann.

»Sehen Sie sich doch mal seine feinen Narben an!«, rief Schwester Beatrix aus. »Lag der nicht schon mal hier?«

Der Professor betrachtete das bleiche Gesicht des Patienten und erkannte die fast unsichtbar gewordenen Spuren seiner chirurgischen Kunst. »Sie haben recht, das ist unser Motorradfahrer. Jetzt erinnere ich mich wieder. Rambazamba! Den hat’s nun schon wieder erwischt!«

Noch auf dem Operationstisch verstarb der zum Mörder gewordene Mann infolge seines hohen Blutverlusts.

»Vielleicht sollte man unserm Herrgott doch nicht ins Handwerk pfuschen«, gab der Chefarzt zu bedenken, als er anschließend den OP-Kittel abstreifte und sich die Hände wusch.
  Daraufhin meinte Schwester Beatrix:

»Ja, es ist schon sonderbar. Denn hätten Sie damals das Schicksal unseres Motorradfahrers in Gottes Hände gelegt und ihn nicht durch ärztliche Bemühungen dem sicheren Tod entrissen, dann wäre der arme Filialleiter vielleicht noch am Leben und zwei weitere Menschen wären nicht durch die Schüsse dieses, inzwischen zu einem brutalen Räuber gewordenen Mannes verletzt worden.«

  Der Chefarzt nickte. »Da mögen Sie wohl recht haben, Schwester. Aber es ist nun mal unsere ärztliche Pflicht, nicht alles dem lieben Gott zu überlassen. Denn schließlich wären wir Ärzte dann arbeitslos.«

  »Und wir Schwestern und Pfleger vermutlich auch!«, ergänzte Schwester Beatrix. Aber in diesem Fall war es doch gut, dass unser Herrgott das letzte Wort gesprochen hat.«

  Für die Fortsetzung dieser Diskussion blieb den beiden keine Zeit mehr, denn inzwischen hatte man ein neues Unfallopfer in den Operationssaal geschoben.

Impressum

Texte: Claus H. Stumpff - www.chsautor.de
Bildmaterialien: Foto by Ralf Kistner - 239198 pixelio.de
Cover: Erstellt durch Claus H. Stumpff
Tag der Veröffentlichung: 08.11.2019

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