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Die Kutter

Die Kutter

 

Erzählung

nach Frederick Marryat

1782 - 1848

 

Herausgeber

Herausgegeben 1857 durch die

Hoffmann'sche Verlags-Buchhandlung Stuttgart

 

Text überarbeitet und neugefasst

von Claus H. Stumpff

 

© Claus H. Stumpff, Herausgeber

Das überarbeitete Werk darf – auch auszugsweise – 

nur mit Genehmigung des Herausgebers wiedergegeben werden..

 

Gesamtgestaltung: Claus H. Stumpff

http://www.chsautor.de

 

Zum Inhalt

Die Erzählung handelt von drei Kuttern, von denen zwei – ein Zollschiff und eine Luxusyacht – vom englischen PLYMOUTH aus in See stechen, während der dritte auf französischer Seite in  ST. MALO seine Anker lichtet. Dies ist der ›HAPPY GO LUCKY‹, der unter Befehl von Jack Pickersgill segelt.  Dieser hat es sich zum Ziel gesetzt, wertvolle Handelsgüter am Zoll vorbei nach England zu schmuggeln. Als sein Schiff von dem englischen Zollkutter ›THE ACTIVE‹ verfolgt wird, sieht sich Lord B., der Besitzer der Luxus-Yacht ›THE ARROW‹, aus falsch verstandenem Pflichtgefühl dazu veranlasst, dem Verfolger beizustehen und gerät dabei in eine kriegerische Auseinandersetzung. Da fasst der Captain des Schmuggelkutters einen kuriosen Plan, der sich allmählich zu einem chaotischen Possenspiel entwickelt.

 

Captain Frederick Marryat kämpfte im Mittelmeer gegen Franzosen und Türken und war später Leiter einer Expedition nach Birma. Er schildert auf seine humorvolle Weise Vorkommnisse, die er selber mit Schmugglern erlebte, als er noch der Küstenwache angehörte. Diese Erzählung vermittelt einen wunderbaren Einblick in die Seeschifffahrt des 19. Jahrhunderts. Allein die Biografie Marryats ist lesenswert.

 

Vorwort

Frederick Marryats 1836 fertiggestellte Erählung »Die drei Kutter« (Original: »The Three Cutters«) wurde 1857 von der Hoffmann'schen Verlags-Buchhandlung Stuttgart in deutscher Sprache veröffentlicht. Dieses Werk dürfte nur wenigen Marryat-Fans bekannt geworden sein. Es erschien als Doppelband zusammen mit dem Roman »Der Pirat« (Original: »The Pirate«). Die vorliegende und überarbeitete Fassung trägt – bei unverändertem Inhalt – den neuen Titel »Die Kutter«. Damit soll sich diese Ausgabe von allen anderen E-Books und Taschenbüchern – mit der veralteten und fehlerhaften Übersetzung aus den 1850er Jahren –  deutlich abheben.

 

Claus H. Stumpff

Herausgeber

 

ERSTES KAPITEL

Die Luxus-Yacht The Arrow

 

Wenn du, lieber Leser, schon jemals in Plymouth gewesen bist, so wird bestimmt der liebliche Landsitz des Earl of Mount Edgecumbe deinen Blick auf sich gezogen und dich mit Entzücken erfüllt haben. Warst du aber noch niemals dort, so rate ich dir, dich baldigst auf den Weg dorthin zu machen.

 

Zu Mount-Edgecumbe nimmt dich ein Wald auf, der an Herrlichkeit seinesgleichen sucht, dessen prachtvolle Bäume die Hügel und von dort den Abhang hinab bis zum Flussufer in schönstes Grün schmücken. Von dieser Anhöhe aus bietet sich dir eines der wunderbarsten Panoramen der Welt. Du erblickst Ram-Head und die Cawsand-Bay, den Hafendamm und Drake’s Island; und zunächst unter dir die Devil’s Bridge, dann die Stadt Plymouth mit ihren Festungswerken und den Mount Hoe. Von da aus schweifen deine Blicke zum Devil’s Point hin, gegen welchen die Wolken in der Tat teufelmäßig anbrausen. Dort befindet sich das Proviantmagazin, um welches der alte Sir James Gordon alltäglich herumzustolpern und jedem, der ihm begegnete und eine Tabaksdose mit sich führte, um eine Prise zu bitten pflegte, und somit den Beweis lieferte, welch großes Vergnügen einem eine Prise Schnupftabak bereiten kann. Ferner erblickst du mount wise und Mutton cove; die Stadt Devonport mit ihren prachtvollen Schiffswerften und ihren Zeughäusern; die Nordecke, die Straße, die nach Saltash führt. Da siehst du auch im Bau begriffene und abgetakelte, in Reparatur und Ausrüstung befindliche Schiffe; entmastete und Deportationsschiffe nebst dem Wachtschiff; segelfertige und segelnde Schiffe, und daneben noch Lichter, Kriegsboote, Werftenbote, Marktboote und Hafenboote. Kurz, du bekommst in Plymouth, von dem Meer selbst gar nicht zu sprechen, unendlich viel Interessantes zu sehen. Ich möchte dir, lieber Leser, jetzt besonders empfehlen, dass du dich auf die Batterie von Mount-Edgecumbe begibst und deine Blicke zum Barn-Pool hin richtest. Dort wirst du einen Kutter erblicken, der sich an seinem Anker wiegt, und zugleich wirst du an seiner Flagge seinen Wimpeln erkennen, dass es sich um eine Yacht handelt.

 

Zu den Vergnügen, die vom Adel und den Begüterten der britischen Insel genossen werden, zählt auch das Yacht-Segeln. Das ist eine Besonderheit Englands, nicht allein wegen seiner insularischen Lage und seiner erstklassigen Häfen, sondern weil außer der Abenteuerlust auch ein beträchtliches Einkommen dazu gehört, wie man es anderorts nur selten vorfindet. In weiser Voraussicht haben englische Könige dieses Vergnügen zu fördern angestrebt, denn sie erkannten gar wohl, dass die Sicherheit des Königreiches bedeutend größer wird, wenn jedermann einigermaßen mit dem Seewesen vertraut ist. Somit ist dieses Vergnügen für England von größter Bedeutung und hat in der Tat zur Vervollkommnung der Schiffsbaukunst und Schiffsausrüstung erheblich beigetragen, wobei es zugleich Matrosen und Schiffsbauern ausreichend Beschäftigung bietet. Aber wenn ich alles erwähnen würde, was zur Lobpreisung des Yachtsegelns zu sagen wäre, käme diese Geschichte keinen Schritt voran. Daher werde ich ein volles Glas auf die Gesundheit des Admirals Lord Yarborough und des Yachtclubs austrinken und mit meiner Erzählung fortfahren:

Du stellst fest, dass diese Yacht kuttermäßig aufgetakelt ist und sie sehr anmutig auf der Wasserfläche auf und ab schaukelt. Sie lichtet gerade den Anker, das Focksegel hängt frei, alles ist zum Abstoßen bereit – in wenigen Minuten wird sie unter Segeln stehen. Du siehst, dass dort einige Damen am Hackbord sitzen und fünf Keulen Wildbret über dem Stern hängen

Nichts geht über das Yachtsegeln. Doch wir wollen jetzt an Bord gehen. Das Verdeck besteht – wie du bemerkst – aus schmalen Tannenholzplanken, so weiß wie Schnee. Die Geschütze bestehen aus poliertem Messing, die Kabelbalken und Yachtköpfe aus Mahagoni. Der Yachtkörper ist kunstvoll lackiert und alle Metallformen sind vergoldet. Es fehlt an nichts und wie sauber, wie aufgeräumt sind die Verdecke!

Lasst uns nun hinunter gehen. Hier ist die Damen-Kajüte; kann es etwas Komfortableres geben? Herrscht hier nicht der Überfluss? Und auch so klein wie sie ist, erstaunst du über die ebenso bequeme wie auch geschmackvolle Einrichtung in diesem engen Raum. Hier ist das Speisezimmer, in welchem sich die Herrschaften versammeln. Was könnte da noch elitärer sein? Werfe auch noch einen flüchtigen Blick in ihre Prunkzimmer und Schlafstätten. Hier ist das Zimmer des Stewards und das Buffet. Der Steward drückt gerade Zitronen zum Punsch aus, dort steht der Champagner im Eis und neben dem Eiskübel sind die Flaschen in Reih und Glied aufgestellt.

Nun wollen wir das Vorderschiff besichtigen. Hier finden wir die Schlafstätten der Matrosen, sie liegen hier nicht so beengt wie auf Kriegsschiffen. Nein! Der Überfluss breitet sich vom Hinterdeck nach allen Seiten aus und verliert seinen Einfluss nicht einmal am Vorsteven. Hier ist die Küche – ist sie nicht kostspielig eingerichtet? Und wie wunderbar duftet die Schildkrötensuppe. Auf der See erlebt man gelegentlich Stürme, aber gebt mir nur eine solche Yacht und ich will jedes Unwetter gern vergessen.

 

Da ich dich nun mit dem Fahrzeug bekannt gemacht habe, will ich dir jetzt die Gesellschaft an Bord vorstellen:

 

Du siehst dort einen jungen, hübschen Mann in weißen Hosen und blauer Jacke, der ein Teleskop in der einen Hand hält und ein Glas Branntwein in der anderen, das er zum Mund führt und austrinkt. Es ist Lord B.; der Eigentümer des Schiffs und Mitglied des Yacht-Clubs. Er sieht aus wie ein einfacher Matrose, doch habe ich ihn bei der Eröffnung des britischen Oberhauses in Frack und Zylinder gekleidet gesehen. Der Mann, der neben neben ihm steht, ist der See-Lieutenant Stewart. Er hält sich mit einer Hand am Takelwerk fest, da er sein ganzes Leben lang im aktiven Dienste stand, so weiß er nicht, was er mit seinen Händen anfangen soll, wenn sie nichts zu halten haben. Lord B., der ihn protegiert, hat ihm die Führung der Yacht anvertraut.

 

Dort am Yachtkopfe siehst du einen kräftigen, gut gebauten Mann stehen, es ist Mr. Hauteine. Er diente sechs Jahre als Midshipman in der Flotte, was ihm gar nicht behagte. Danach war er sechs Jahre bei einem Reiterregiment, was ihm ebenfalls nicht gefiel. Schließlich heiratete er und fand nach einer viel kürzeren Probezeit, dass ihm auch dies zuwider war. Aber er ist ein großer Liebhaber von Yachten und findet an den Frauen anderer Männer gefallen, weil ihm seine eigene nicht zusagt. Aber er ist überall gern gesehen.

 

Der junge Mann dort mit der gestickten seidenen Weste und den weißen Handschuhen, der in gebückter Haltung mit einer der Damen spricht, ist Mr. Vaughan. Man sieht ihn häufig bei Almack’s, bei Crockford’s und auch anderswo. Jedermann kennt ihn und er kennt jedermann. Er hat erhebliche Schulden, und eine Yachtparty kommt ihm gerade recht gelegen.

 

Der Herr gegenüber ist Mr. Ossulton, ein Cousin von Lord B. und ein ziemlicher Angeber, der ein reicher Erbe wie auch ein Wichtigtuer ist. Er gibt sich nämlich so, als sei er ein echter Seemann. Deshalb hat er sich nicht rasiert, weil ein Seemann nie die Zeit dazu hat. Sein Hemd hat er schon lange nicht gewechselt, weil ein Seemann nicht täglich sein Hemd wechseln kann. Und er hat eine brennende Zigarre im Mund, was den Damen sehr missfällt. Er prahlt damit, welches Vergnügen ihm eine Schiffsreise bei ungestümer See bereite, sodass schließlich alle Damen von seiner Prahlerei genug haben, ihren Platz verlassen und nicht mehr erleben, wie schlecht es diesem angeberischen Mr. Ossulton beim Rauchen seiner Zigarre wurde.

 

Schließlich der letzte der an Bord befindlichen Herren, mit denen ich dich bekannt machen möchte, ist Mr. Seagrove. Er ist sehr schlank und hat markante Gesichtszüge, die einen wachen Geist verraten. Er ist Rechtsanwalt und verfügt über alle Kenntnisse, die dieser Beruf verlangt, allerdings nicht über den dafür erforderlichen Fleiß. Noch nie wurde ihm eine Rechtssache übergeben, auch besteht hierfür kaum eine Aussicht. Er ist der Musikant der Gesellschaft und hat das Gerichtsbüro verlassen, um der Einladung Seiner Lordschaft Folge zu leisten und für die Leute an Bord aufzuspielen.

 

Ich will dir noch die Damen vorstellen – vielleicht wäre es schicklicher gewesen, wenn ich mit ihnen begonnen hätte – aber ich bin hier meinem Grundsatz treu geblieben, wonach das Beste immer zuletzt kommt. Bei allen Puppenspielen ist dies der Fall, und dieses hier ist nichts anderes, als der erste Auftritt in diesem Puppenspiel. Ich will die Damen dem Alter nach vorstellen:

 

Jenes große, hagere und traurig dreinblickende Wesen ist die ehrenwerte Miss Ossulton, eine Jungfer im Alter von fünfundvierzig Jahren und die Schwester von Lord B.  Sie sträubte sich lange, bis sie sich schließlich doch dazu überreden ließ, mit an Bord zu kommen. Nur ihr Begriff von Schicklichkeit gestattete es nicht, dass ihre Nichte Cecilia unter dem alleinigen Schutz ihres Vaters mit auf’s Schiff ging. Sie erschreckt sich ständig über alles. Ist ein Tau auf das Verdeck herabgefallen, so fährt sie zusammen und schreit »O Gott, o Gott!«. Geht sie bei Regen über das Verdeck, so befürchtet sie, das Wasser könne in den Kielraum fließen. Ist sie aber unten und vernimmt ein Geräusch, so ist sie davon überzeugt, dass ihr höchste Gefahr droht. Und selbst wenn absolute Stille herrscht, so weiß sie gewiss, dass gleich irgendetwas Schlimmes geschehen würde. Sie quält sich und andere, und fällt durch ihren Stolz und ihre Misslaune jedermann zur Last. Dabei hat sie sehr strenge Begriffe von gutem Benehmen und gefällt sich als Märtyrerin.

 

Die Dame, in deren hübschem, länglich rundem Gesicht sich – wenn sie lächelt – unzählige Grübchen bilden, das ist die junge Witwe Madame Lascelles. Sie heiratete ihren Eltern zu Gefallen einen alten Mann und zeigte sich dadurch als folgsame Tochter, wofür sie fürstlich belohnt wurde, indem sie sich schon bald im Stand einer steinreichen Witwe wiederfand. Da sie ihre erste Wahl nach dem Wunsche ihrer Eltern traf, so ist sie jetzt geneigt, sich nach eigenem Belieben wieder zu verheiraten. Sie ist jedoch noch sehr jung und es besteht dafür vorerst keine Eile.

 

Die junge Dame mit dem hübschen Gesicht ist die ehrenwerte Cecilia Ossulton. Sie ist munter, witzig und furchtlos, dabei aber noch sehr jung, nämlich erst siebzehn Jahre alt. Niemand an Bord ahnt, wer sie eigentlich ist – sie verrät es aber auch nicht.

 

Dies alles wäre also die Gesellschaft in der Kajüte. Die Schiffsmannschaft besteht aus zehn schmucken Matrosen, dem Steward und dem Koch. Außerdem befinden sich auf dem Schiff noch Lord B.’s Diener Simpson, Mr. Ossulton’s Sekretär und Miss Ossulton’s Kammermädchen. Die übrige Dienerschaft wurde am Land belassen, da man keinen Platz mehr für alle hatte.

 

Die Yacht hat nun die Anker gelichtet und alle Segel gesetzt. Sie steuert zwischen Drake’s Island und dem Festland hindurch. Man hat zur Tafel gebeten. Da du, lieber Leser, inzwischen mit allem halbwegs bekannt gemacht wurdest, so magst du selbst beurteilen, ob es sehr angenehm ist, auf einer schaukelnden Yacht an der Essenstafel zu sitzen.

Die Fahrt hatte den Appetit sämtlicher Anwesender angeregt und erst als man das Tafeltuch entfernt hatte, fand eine allgemeine Unterhaltung statt.

»Mr. Seagrove«, sagte Seine Lordschaft, »Sie wären beinahe nicht mehr mitgekommen; ich erwartete Sie bereits am vergangenen Donnerstag.«

»Es tut mir sehr leid, Mylord, dass mich meine Geschäfte abhielten, Eurer Lordschaft gütiger Einladung früher meine Zustimmung zu geben.«

»Sagen Sie nicht so etwas Unstimmiges, Seagrove«, bemerkte Mr. Hautaine, »als sie vor einigen Abenden so gesprächig waren, erklärten Sie mir, noch nie in Ihrem Leben einen Prozess geführt zu haben!«

»Umso besser für mich«, erwiderte Mr. Seagrove, »denn hätte man mir eine Rechtssache anvertraut, so hätte ich gewiss nicht gewusst, wie ich damit zurecht kommen sollte. Es ist nicht meine Schuld, aber ich tauge nun einmal zu nichts anderem als zu einem Kommissionär. Dessen ungeachtet hatte ich Geschäfte, und zwar sehr wichtige. William Ponsonby ersuchte mich, zusammen mit ihm Tattersall’s aufzusuchen, um ein Gutachten über ein Pferd abzugeben, das er zu kaufen beabsichtigte, und ihn alsdann nach Forest-Wild zu begleiten, wo ich ihn in einer persönlichen Angelegenheit bei seinem Onkel vertreten sollte.«

»Sie waren also doch abgehalten«, bemerkte Lord B. »Doch verraten Sie mir, ob es für ihren Freund gut ausging.«

»Nein, Mylord, es ging nicht gut aus, aber er machte ein gutes Geschäft.«

»Erklären Sie mir das«, bat Cecilia Ossulton.

»Die Sache verhält sich so: der alte Ponsonby hat keinen sehnlicheren Wunsch, als dass mein Freund

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Claus H. Stumpff
Bildmaterialien: Cover-Motiv: Englisches Linienschiff »Royal Sovereign« 1637 (Aus »Meyers Conversations-Lexikon 1895«)
Lektorat: Claus H. Stumpff
Tag der Veröffentlichung: 16.07.2017
ISBN: 978-3-7438-2316-7

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