EINE SELTSAME REISEGEFÄHRTIN
Kurzgeschichte
nach
Frederick Marryat
1782 - 1848
Herausgegeben 1857 durch die
Hoffmann'sche Verlags-Buchhandlung Stuttgart
Text überarbeitet und neugefasst
von Claus H. Stumpff
© Claus H. Stumpff, Herausgeber
Das überarbeitete Werk darf – auch auszugsweise –
nur mit Genehmigung des Herausgebers wiedergegeben werden..
Gesamtgestaltung: Claus H. Stumpff
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Eine junge, voll verschleierte Dame berichtet von ihren tragischen Erlebnissen im Kampf um das algerische CONSTANTINE, welches am 13. Oktober 1837 von französischen Truppen eingenommen wurde. Ihren Vater, einen Tambour-Major, musste sie auf seinen Feldzügen begleiten und dabei viel Grausames erfahren. Erst zögerlich gibt sie preis, weshalb sie einen, ihr Gesicht verhüllenden Schleier trägt.
Diese Kurzgeschichte von Frederick Marryat ist anscheinend noch unbekannt. Ich entdeckte sie in dem 1857 bei der Hoffmann'schen Verlags-Buchhandlung Stuttgart erschienenen Doppelband »Der Pirat« und »Die drei Kutter«. Ganz am Schluss dieses Buches befand sich diese spannende Erzählung unter dem nichtssagenden Titel »Eine Begegnung«.
Ein Werk von Frederick Marryat unter diesem Titel ist unauffindbar. So kann ich davon ausgehen, dass es eine literarische Entdeckung ist und diese Veröffentlichung, der ich den besser passenden Titel »Eine seltsame Reisegefährtin« gab, eine wirkliche Sensation darstellt.
Die vorliegende, alte Fassung wurde textlich überarbeitet und neu formatiert.
Claus H. Stumpff
Herausgeber
Eines abends saß ich in der Gaststube des Hotels ›Goldene Krone‹ zu Boulogne, als ein alter Bekannter von mir eintrat, nämlich ein pensionierter Colonel des französischen Africa-Corps. Nachdem wir uns freudig begrüßt hatten, setzte er sich zu mir an den Tisch und gleich zündete sich jeder eine Zigarre an, bei deren Duft wir uns über die Ereignisse seit unserem letzten Treffen austauschten. Wir hatten etwa eine halbe Stunde lang geplaudert, als er sich erneut eine Havanna zwischen die Lippen steckte und sagte:
»Als ich das letzte Mal hier in dieser Gaststube saß, befand ich mich in einer seltsamen Gesellschaft.«
»Eines Mannes oder Weibes«, wollte ich wissen.
»Einer Frau«, erwiderte der Colonel, »sie ist jedenfalls der Anlass für eine Geschichte, die sich hören lässt und uns beiden die Zeit vertreiben dürfte. Ich will sie Ihnen erzählen, vorausgesetzt, dass Sie sich noch nicht nach dem Bett sehnen.«
Ich erklärte ihm, dass es mir noch nicht zum Schlafen zumute sei und ich ihm gern zuhören wolle, worauf sich seine Geschichte wie folgt anhörte:
»Ich hatte auf der Pariser Diligence (Großkutsche) einen Sitzplatz gebucht. Zu Notre Dames de Victoires stand sie bereits zur Abfahrt bereit. Das Gepäck war so hoch aufgetürmt wie ein englischer Heuschober, überall mit Riemen befestigt, als der Conducteur die Passagiere zum Einsteigen aufforderte. Ich tat noch einen letzten Zug aus meiner Zigarre, die ich nur ungern wegwarf, denn sie war eine echte, gute Havanna. Nachdem der Conductor ›Allons, Messieurs‹ gerufen hatte, stieg ich schnell ein. Als ich meinen Platz einnahm, saß mir gegenüber eine verschleierte Dame. Als wir an der Rue Nôtre-Dame des Victoires anlangten, trafen sich hin und wieder unsere Blicke. Sie hatte ihren Schleier doppelt heruntergezogen, sodass kaum etwas von ihrem Gesicht zu erkennen war. Die weiteren Reisegefährten waren junge Männer, alles Franzosen, die bester Laune waren und anscheinend Freude an einer solchen Reise hatten. Nur kurz beobachtete ich diese vergnügten Männer, dann fielen meine Blicke abermals auf die Dame gegenüber. Sie war in einen Wintermantel gehüllt, sodass von ihrer Gestalt nicht viel sichtbar war. Der Schleier saß so dicht vor ihrem Gesicht, dass ich lediglich eine Wange und einen Teil ihres Kinns sehen konnte. Dieses Bruchstück ihrer Physiognomie regte meine Fantasie an und ich hoffte darauf, dass sie irgendwann den Schleier hob.
Ich vergaß zu erwähnen, dass ich – bevor ich in die Diligence einstieg – beobachtet hatte, wie sie sich von einer hübschen jungen Dame verabschiedete. Da sie mir aber den Rücken zukehrte, konnte ich ihr Gesicht nicht sehen.
Die Mitreisende hatte sich jetzt zurückgelehnt und schien in Gedanken versunken zu sein, aber ich hätte nur zu gern in ihr Gesicht geschaut. Um meine Neugier zu befriedigen, fragte ich sie, ob sie vielleicht wünsche, dass ich das Fenster öffne. Sie sagte nur kurz ›non merci‹, das allerdings mit einer wunderschönen Stimme. Nach kurzer Zeit wagte ich einen weiteren Versuch und sagte:
›Sie sind wohl traurig über die Trennung von Ihrer bildschönen Schwester?‹, wobei ich soviel Anteilnahme wie nur möglich aus meinem Gesicht sprechen ließ.
›Wie kommen sie denn darauf, dass sie meine Schwester sei?‹, fragte sie.
›Aus der großen Ähnlichkeit zwischen Ihnen beiden‹, antwortete ich, ›ich erkannte das auf den ersten Blick.‹
›Aber sie ist meine Schwägerin, Sir – also die Gattin meines Bruders.‹
›Dann hat er sich vermutlich eine Gattin gewählt, die Ihnen so ähnlich wie nur möglich war. Das ist ganz natürlich, ich hätte das gleiche getan.‹
›Sie sind sehr höflich, Sir‹, sagte die Dame, die jetzt das Fenster herunterließ, und erklärte: ›Ich liebe die frische Luft.‹
›Vielleicht würden sie sich noch besser fühlen, wenn Sie Ihren Schleier lüfteten.‹
›Ich will das nicht als Neugierde Ihrerseits betrachten, Sir‹, entgegnete die Dame, ›da Sie mein Gesicht soeben kurz gesehen haben.‹
›Es sollte Sie aber nicht wundern, wenn ich es gern nochmals sehen möchte.‹
›Sie sind wirklich sehr höflich, Sir.‹
Trotz der Weichheit ihre Stimme lag doch eine gewisse Härte und Entschlossenheit darin. Die übrigen Reisenden sprachen sie ebenfalls an und es entwickelte sich nach und nach ein lebhaftes Gespräch. Die verschleierte Dame beteiligte sich daran und zeigte viel Witz und Klugheit in ihren Beiträgen. Schon nach einer Stunde war die Reisegesellschaft miteinander vertraut. Als die Pferde gewechselt wurden, zog ich meine Zigarrendose hervor, worauf die Dame bemerkte:
›Sie rauchen, wie ich sehe, und die anderen Herren vermutlich ebenfalls. Aber lassen Sie sich nicht durch mich davon abhalten, ich mag Zigarenrauch – denn ich bin daran gewöhnt. Ich rauche sogar selber und es stört mich keinesfalls, wenn andere rauchen.‹
Daraufhin hielt ich ihr mein Zigarrenetui hin. Sie nahm sich dankend eine der echten Havannas und hob ihren Schleier soweit hoch, um einen wohlgeformten Mund nebst einer Reihe schneeweißer Zähne sehen zu lassen. Als sie die Zigarre in den Mund steckte, gab ihr einer der Männer Feuer. Binnen einer Minute waren alle Fenster heruntergelassen und sämtliche Insassen der Diligence rauchten Zigarren.
›Wo lernt denn eine Frau wie Sie das Rauchen, Madame?‹, fragte der Herr, der neben der Unbekannten saß.
›Wo? – im Krieg – in Nordafrika. Ich war Angehörige der Armee, das heißt, mein Mann war Capitaine beim Siebenundvierzigsten. Er fiel in dem letzten siegreichen Feldzug gegen das algerische Constantine – c’etait un brave homme.‹
›Tatsächlich? Sie waren in Constantine dabei?‹
›Ja, ich begleitete die Armee während des ganzen Feldzuges.‹
Die Diligence machte einen längeren Halt, und wir erhielten Gelegenheit, das Diner oder das Souper einzunehmen, wie man es auch nennen mochte. Als der Conducteur den Schlag öffnete, dachte ich: ›Jetzt werden wir endlich ihr Gesicht sehen‹, und vermutlich dachten die anderen Männer das Gleiche. Wir irrten uns jedoch, denn die Dame stieg die Treppe nach oben und ließ sich das Souper aufs Zimmer bringen. Als wir anderen unsere Mahlzeit beendet hatten, saß sie bereits wieder in der Diligence, den Schleier wieder hinuntergelassen.
Das fand ich wirklich sehr bedauerlich, denn sie war sehr lebhaft und witzig in der Unterhaltung, auch der Teil ihres Gesichts, den wir kurz gesehen hatten, war so vollkommen, dass ich bei dem Gedanken, sie werde uns verlassen, ohne meine Neugierde befriedigt zu haben, meine Enttäuschung nicht unterdrücken konnte. Man spricht so oft von der Neugierde der Frauenzimmer, aber wir Männer sind im Grunde genommen auch davon betroffen. Es wurde dunkel, die Dame vermied jetzt jedes weitere Gespräch, und wir anderen mussten uns damit – so gut es ging – abfinden.
Ich will mich kurz fassen: Am nächsten Morgen zeigte sie sich ebenso zurückhaltend wie zuvor. Die Diligence hielt vor der ›Goldenen Krone‹, also vor diesem Hotel – alle Passagiere stiegen aus – da stellte ich fest, dass diese Dame und ich die einzigen Personen waren, die hier Quartier nahmen. Die Franzosen, die mit uns gereist waren, gingen fröhlich lachend ihrer Wege.
›Sie bleiben hier?‹, fragte ich, als wir aus dem Wagen gestiegen waren.
›Ja‹, erwiderte sie, ›und Sie...?‹
›Ich ebenfalls, aber hoffentlich beabsichtigen Sie nicht, auch weiterhin verschleiert zu bleiben. Das fände ich nicht besonders nett von Ihnen.‹
›Ich muss jetzt auf mein Zimmer gehen und mir’s ein wenig bequemer machen. Und danach, Monsieur l’ Anglais, würde ich mich mit Ihnen gern unterhalten. Sie setzen vermutlich in dem Paketboot nach England über?‹
›Ja, und zwar schon morgen.‹
›So werde ich mich unter Ihren Schutz begeben, denn ich reise ebenfalls nach London.‹
›Ich schätze mich glücklich...‹
›Au revoir!‹
»Eine halbe Stunde später teilte mir der Garçon mit, die Dame würde sich glücklich schätzen, mich im Zimmer Nummer 219 zu empfangen. Also stieg ich in den zweiten Stock hinauf, klopfte an und wurde hineingebeten. Sie hatte ihren Schleier abgelegt und was glauben Sie wohl, was der Grund für die Verhüllung ihres Gesichts war?«
»Beim Bart des Propheten, woher soll ich das wissen?«
»Na gut. Also, sie hatte die schönsten Augen, die ich je zu sehen bekam. Ihre Augenbrauen waren hübsch gewölbt, ihre Stirne glatt, ihr Mund verführerisch. Kurz, sie war so bildschön, wie man sich ein Weib nur wünschen kann. Leider hatte sie eine gebrochene Nase, die wie eine Boxernase aussah. Wie schade war das, denn sie musste davor unglaublich schön gewesen sein. Nun, um fortzufahren: ich machte vor ihr eine tiefe Verbeugung.
›Sie wissen jetzt, Sir‹, sagte sie, ›weshalb ich mich stets verschleiere.‹
›Wahrhaftig nicht‹, log ich.
›Sie sind entweder sehr höflich oder gar blind‹, entgegnete sie, ›Letzteres dürfte aber kaum der Fall sein. Ich wollte mich in der Diligence nicht der Taktlosigkeit meiner Landsleute aussetzen, denn die würden mir hunderte von Fragen zu meinen Unfall gestellt haben. Sie sind jedoch ein Engländer und haben Achtung vor einer Frau, die jetzt sehr unglücklich ist.‹
›Ich hoffe, Ihre gute Meinung über mich zu verdienen, und wenn ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein kann...‹
›Deswegen habe ich Sie auch zu mir gebeten. Ich kenne mich nämlich in England nicht aus. Dort möchte ich den Professor Lis-tong aufsuchen, einen berühmten Chirurgen.‹
›Tatsächlich, Madame. der würde Ihnen vielleicht sogar eine ganz neue Nase verschaffen‹, erklärte ich.
›Er soll mir nur die alte Nase wieder richten, mehr erwarte ich nicht. Sie sollen wissen, dass alle ihre Knochen gebrochen sind.‹
›Das hat nichts zu sagen. Professor Lis-tong soll jemandem sogar ein neues Auge eingesetzt haben. Die Person war stark kurzsichtig und sah jetzt mit dem neuen Auge weitaus besser als mit dem normalen anderen.‹
›Est-il possible? Mais, quel homme extraordinaire! Aber nehmen Sie doch bitte Platz, Monsieur, dann könnten wir noch ein wenig plaudern.‹
›Ja, sehr gern, Madame. Wie Sie gewiss schon bemerkt haben, bewundere ich Sie und möchte Ihnen gerne eine Frage stellen, falls es Ihnen nicht zu unangenehm ist, darauf antworten.‹
›O nein! Ihre Frage lautet gewiss: Wodurch haben Sie die Nase gebrochen – nicht wahr? Nun gut, ich will sie gern beantworten:
Ich bin jetzt zweiundzwanzig Jahre alt. Mein Vater war Tambour-Major der kaiserlichen Garde. Ich wurde im Lager geboren, im Lager erzogen, und heiratete zuletzt im Lager einen Infanterie-Lieutenant. Ich gehöre deshalb, wie Sie sehen, mit Haut und Haar zum Militär. Als Kind wurde ich ständig durch den Lärm von Trommeln und Pfeifen aus dem Schlaf geweckt und wenn ich wieder einschlafen wollte, drangen die Klänge der Hörner in meine Ohren. Als Mädchen wurde ich mit allen militärischen Manövern vertraut gemacht, und würde jetzt als erwachsene Frau – das glaube ich jedenfalls – besser für den Kommandostab geeignet sein, als so mancher der Marschälle, die ihn fälschlicherweise errungen haben. Ich befasste mich fast ausschließlich mit dem Studium der Militärtaktik, wofür ich, wie mein seliger Gatte sagte, ein besonderes Talent besaß. Doch davon später.
Ich heiratete mit sechzehn Jahren und begleitete meinen Mann auf allen seinen Kriegszügen, und zwar so lange, bis ich eines Tages an seinem Grabe stehen musste. Er vertauschte das Ehebett mit dem Bett der Ehren, wo er jetzt in Frieden schlummert.
Das Regiment meines Vaters erhielt den Befehl, sich nach dem unglücklich verlaufenen Vorstoß auf Constantine nun ebenfalls nach Algerien zu begeben. Es war nun unsere Aufgabe, die Ehre unserer Armee in einem erfolgreicheren Feldzug wieder herzustellen, der – wie Ihnen bekannt sein dürfte – vor etwa drei Monaten stattfand. Aber ich möchte Sie nicht mit der Geschichte unserer Einschiffung langweilen. Ein Dampfschiff brachte uns nach Bona, und bald danach erhielt die Compagnie meines Mannes die Order, einen Convoi mit Proviant für die Armee zu begleiten, der bei Mzez-Ammar zusammengestellt wurde. Wir gelangten wohlbehalten zu den verschiedenen Lagern Dréan, Rech-Meya und Amman-Berda. Wir machten einen kleinen Abstecher nach Delma, weil ich interessiert war, diese einstmals so bedeutende Stadt zu sehen. Ich muss sagen, dass ich nie eine wehrhaftere Festung sah; doch ich ermüde Sie gewiss mit all diesen Einzelheiten – oder?‹
›Nein, ganz im Gegenteil, ich höre Ihnen mit großem Vergnügen zu.‹
›Sie sind sehr geduldig. Ich hätte Ihnen noch erklären müssen, dass das Herumreisen in dieser unwirtlichen Gegend alles andere als angenehm ist. Der Boden dort besteht aus einer Art Ton, der bei Trockenheit steinhart wird, aber sobald es regnet, kaum zu passieren ist. Bei schlechtem Wetter ist das Marschieren eine Qual. Die Soldaten rutschen ständig auf dem nassen Boden aus und fallen hin, was zwar recht komisch aussieht, aber für die Männer alles andere als lustig ist. Ich reiste entweder zu Pferd, oder in einem Gepäckwagen, wie sich’s gerade ergab. Auch war ich zu wohlbekannt und ich hoffe, hinzufügen zu dürfen, auch zu beliebt, als dass nicht umfassende Sorge für meine Sicherheit getroffen worden wäre. Es ist seltsam, wie schnell sich’s ein Franzose behaglich machen kann, wohin ihn auch sein Schicksal führt. Im Lager von Mzez-Ammar ging es so rührig und lebhaft zu, als läge es im Herzen von Frankreich. Das Armeegefolge hatte aus Baumzweigen Hütten errichtet und diese mit Laub bedeckt. Alle waren in einer Linie ausgerichtet, sodass dazwischen richtige Straßen gebildet wurden, die gegen die sengende Hitze Schutz boten. Wir hatten Restaurants, Cafés, Wurstmacher, Fleischer, Gewürzhändler – kurz – man konnte hier alles kaufen, was man zum Leben brauchte, wenn auch nicht gerade billig. Aber Sie müssen bedenken, dass diese kleine Stadt wie durch einen Zauber mitten in der Wüste entstanden war.
Es es war im September, als General Damrémont (Generalgouverneur von Algerien 1837) ein Regimentkorps nach Constantine entsandte, wohin auch ein Bataillon des ›Siebenundvierzigsten‹; also des Regiments meines Mannes, beordert wurde.
Ich habe Ihnen noch nichts von meinem Gatten erzählt. Er war ein erstklassiger, ehrbarer Offizier, aber leider ein Starrkopf, der von niemandem einen Rat annehmen wollte, aber kein Mensch ist nun mal fehlerfrei. Er verlangte von mir, im Lager zu bleiben, aber ich habe es mir zur Regel gemacht, mich niemals zurückdrängen zu lassen. Also brachen wir gemeinsam auf, und ich fuhr in einem kleinen Wagen mit, einem sogenannten ›Cacolet‹, der für die Beförderung von Verwundeten bestimmt ist. Das war eine schreckliche Reise. Ich wurde, als es den steilen Berg Rass-el-Akba hinauf ging, fast zu Staub gerüttelt, aber zum Glück erreichten wir den Gipfel, ohne dass ein Schuss gefallen wäre. Oben angelangt, schauten wir hinab und genossen das sich uns bietende, malerische Panorama.
Im Tal erwarteten uns um die fünftausend arabische Reiter, deren weiße Burnusse – wie sie das lange, ihre Körper umhüllende Gewand nennen – im Winde flatterten, wobei sie ihre blitzartig funkelnden Waffen über ihren Köpfen schwenkten. Wir schlossen uns zusammen und stiegen hinab, worauf uns die Araber in Gruppen zu etwa vierzig Mann ohne Unterlass von den Seiten her angriffen, ohne dass es zu einem regelrechten Kampf gekommen wäre. Sie schossen zu hastig und ungezielt ihre Gewehre ab, um danach wieder davonzujagen. Es war also das reinste Affentheater, Sir, trotzdem wurden einige unserer Leute verwundet und der kleine Wagen, auf dem ich saß, musste vorfahren und sie aufnehmen. Unglücklicherweise hielt sich der Kutscher, um den Truppen auszuweichen, zu sehr an den Rand eines Hohlweges, den wir passieren mussten. Die Folge davon war, dass der Wagen, auf dem ich immer noch saß, umkippte, und ich einen steilen Abhang hinuntergeschleudert wurde.‹
›Und dabei haben Sie sich die Nase gebrochen‹, fiel ich ihr inֺ’s Wort.‹
›Nein, das nicht, Sir. Ich kam mit einer Quetschung der Hüfte davon, die mich allerdings eine Zeit lang quälten und mir das Rütteln des Wagens noch unerträglicher machten. Gut, die Erkundung der militärischen Lage gelang zwar, aber General Damrémont beurteilte sie völlig falsch. Ich erklärte ihm das auch, als ich ihn traf, aber er war ein starrköpfiger, alter Narr, und seine Antwort klang nicht so höflich, wie sie hätte sein können, wenn man nämlich bedenkt, dass ich damals ein sehr hübsches Mädchen war. Wir kehrten nach dem Lager Mzez-Ammar zurück. Ein paar Tage danach wurden wir von den Arabern angegriffen, die trotz ihrer unsteten Art Krieg zu führen, dennoch viel Mut und Entschlossenheit zeigten. Doch das konnte auf französische Truppen keinen besonderen Eindruck machen. Das Gefecht dauerte drei Tage lang, dann verschwanden die Araber ebenso plötzlich, wie sie erschienen waren. Doch das dürfte für Sie wohl kaum von Interesse sein, Monsieur.‹
›Ganz im Gegenteil, lassen Sie nur kein Ereignis oder eine Erklärung dazu aus.‹
›Sie sind wirklich sehr geduldig. Vermutlich ist Ihnen nicht bekannt, dass wir Militärs unsere erfolgreichen Schlachten gern nochmals wiederholen würden. Nun, Sir, wir blieben im Lager, bis der Herzog von Nemours eintraf. Das war ein gut aussehender, junger Mann, der mir freundlich zulächelte. Am ersten Oktober brachen wir nach Constantine auf, das heißt, die Vorhut, zu der auch die Compagnie meines Gatten gehörte, setzte sich in Richtung des Feindes in Bewegung. Das Wetter, das bisher sehr schön gewesen war, schlug jetzt um und es regnete den ganzen Tag über in Strömen. Der ganze Weg war nur ein einziger Schlamm, wodurch es ständig zu Verzögerungen. unseres Marsches kam. Endlich hörte das schlechte Wetter auf, und wir kamen am fünften Tag in die Nähe von Constantine, als die Araber uns erneut angegriffen, wobei ich beinahe in Gefangenschaft geraten wäre.
›Da hatten sie aber Glück gehabt!‹
›Ja, auf Wunsch meines Gatten, der – wie ich bereits erwähnte – ein Starrkopf war, sollte ich in der Nachhut auf einem Munitionswagen mitfahren, während ich doch lieber vorne dabeigewesen wäre, wo man gut meinen Rat hätte gebrauchen können. Der Angriff der Araber geschah ganz unversehens, die drei Männer hinter dem Munitionswagen wurden niedergemetzelt, während ich in die Hände des Häuptlings fiel. Dieser wandte gerade sein Pferd um, um mit mir davonzujagen, als er von einer Kugel in den Hals getroffen wurde und mit mir zu Boden stürzte. Ich machte mich los, fasste das Pferd am Zügel und eignete mir dann die zwei Pistolen und den Pallasch (Hieb- und Stichwaffe mit gerader Klinge) des Gefallenen an.‹
›Tatsächlich?‹
›Mein Gatte verkaufte am folgenden Tag das Pferd an einen unserer Generäle, der leider – als mein Gatte tot war – die Zahlung dafür zu leisten vergaß. Der Pallasch und die Pistolen wurden mir in derselben Nacht gestohlen, aber das war wegen unserer inzwischen ziemlich demoralisierten Soldateska zu erwarten.
Am nächsten Tag trafen wir vor Constantine ein und mussten unter feindlichem Geschützfeuer eine Schlucht durchqueren. An einer Engstelle brachen Männer und Pferde im Kugelhagel zusammen, auch der Munitionswagen, auf dem ich saß, wurde durch einen Treffer umgeworfen. Ich stürzte in die Schlucht hinab und geriet dabei unter die Hufe der Pferde. Sie schlugen hilflos aus und es war ein Wunder, dass ich mit dem Leben davonkam. Da geschah es, dass...‹
...›Ihnen dabei die Nase zerschmettert wurde?‹, unterbrach ich sie.
›Nein, Sir, ich erhielt nur einen Huftritt auf den Arm, den ich dann einige Tage lang in der Schlinge tragen musste. Das Wetter wurde immer schlechter, wir hatten nur wenige Zelte, die obendrein derart durchlässig waren, sodass sie vor Sturm und Regen keinen Schutz bieten konnten. Wir mummelten uns ein, so gut es ging, und fühlten uns wie in einen Wasserloch. Die Araber griffen uns erneut an, noch bevor wir das Feuer unserer Batterien einsetzen konnten. Wir befanden uns derart in der Klemme, dass wir – hätte das schlechte Wetter angedauert – einen Rückzug hätten erwägen müssen. Dann hätten sich diejenigen glücklich preisen dürfen, die wohlbehalten wieder im Lager von Mzez-Ammar eingetroffen wären. Ich habe nie wieder soviel durchmachen müssen, wie damals. Aber anstatt dass man mir für meinen Einsatz gedankt hätte, erklärte der General nur: Was zum Teufel treiben Sie denn hier?
Erst am zehnten Tag wurde es uns möglich, das Feuer unserer Batterien zu eröffnen. Überall war Schmutz, Schmutz und wieder Schmutz. Männer und Rösser waren von Schlamm bedeckt, die Federbüschel der Stabsoffiziere starrten vor Straßendreck. Jede feindliche Kugel bereitete uns einen klatschenden Regen aus Schlamm. Sogar das Gesicht des Herzogs von Nemours war vor lauter Schmutz kaum noch zu erkennen. Ich muss sagen, dass sich unsere Geschütze – mit Ausnahme der großen Mörserbatterie – in einer sehr guten Position befanden. Ich wies General Damrèmont, als er an mir vorbei ritt, auf diese Unterlassung hin, aber er zeigte sich sehr ungehalten. Wichtige Männer dulden es nicht, dass man ihnen einen Fehler nachweist. Aber es war sein Pech, denn da er meinen Rat nicht befolgte, fiel er drei Tage danach. Er ritt gerade mit Lieutenant Ruthières den Berg hinunter, als ich zu ihm sagte: Mein General, Sie setzten sich zu sehr der Gefahr aus, was für einen Subalternen die Pflicht ist, ist für den Feldherrn ein Fehler. Er hieß mich sehr höflich dorthin zu gehen, wo er wahrscheinlich jetzt selbst ist, denn eine Kanonenkugel streckte ihn wenige Sekunden später nieder. Corporal Perrégaux wurde zur gleichen Zeit schwer verwundet.
Vier Tage dauerte der schreckliche Kampf. Die Batterien schossen Tag und Nacht in einem fort, während wir den wütenden Angriffen der arabischen Kavallerie ausgesetzt waren. Der Befehlshaber unserer Armee schickte eine Waffenstillstandsflagge in die Stadt und forderte sie damit auf, sich zu ergeben. Aber was meinen Sie wohl, was man uns antwortete? ‹Wenn ihr Pulver braucht, so wollen wir es euch gern schicken. Und fehlt es euch an Brot, so werden wir euch auch damit versorgen. Aber solange ein guter Muselmann am Leben ist, solltet ihr besser nicht in diese Stadt kommen›. War das nicht großartig? Als diese Antwort den Truppen bekannt gemacht wurde, schwuren sie bei ihren Fahnen, den Muslimen kein Pardon zu geben, sollten diese den Kampf verlieren.
Zwei Tage danach war General Ballée – an den nach Damrèmonts Tod das Kommando überging – der Auffassung, dass die erzielte Bresche nun weit genug für einen Angriff sei, und wir erwarteten stündlich den Befehl zum Stürmen. Dieser traf endlich ein. Mein armer Gatte befand sich in der zweiten Gruppe der Angreifer. Seltsamerweise war er an jenem Morgen sehr melancholisch und schien eine Vorahnung von dem zu haben, was kommen sollte. ‹Coralie›, sagte er zu mir – wobei er sich mit einem Taschenmesser den Schmutz von seinen Hosenbeinen wegkratzte – ‹möge es dir wohlergehen, sollte ich fallen. Ich hinterlasse dich als Vermächtnis dem General Ballée, er wird dies zu schätzen wissen. Denke also daran, ihm meine testamentarische Verfügung mitzuteilen›.
Ich versprach ihm, diesen Wunsch nicht zu vergessen. Da riefen die Trommeln zum Sturm auf. Er küsste mich auf beide Wangen. ‹Geh’, mein Philipp›, sagte ich, ‹geh’ den Weg zum Ruhm›. Er zog in den Kampf, als plötzlich eine Landmine explodierte, wodurch er mit vielen anderen in die Luft gesprengt wurde. Ich hatte die vordere Reihe der Gruppe nicht aus den Augen verloren und konnte noch die Gestalt meines geliebten Philipps erkennen, als plötzlich die Kolonne von einer ungeheuren Rauchsäule umhüllt wurde. Als die sich verzog, sah ich Verwundete, die in alle Himmelsrichtungen davonstieben, aber mein Gatte befand sich nicht darunter. Das Feuer und das Blutbad waren entsetzlich. Jedoch etwa eine Stunde nach dem Beginn des Angriffs flatterten die drei Farben Frankreichs auf den Minaretts von Constantine.
Erst am folgenden Tag konnte ich mich dazu entschließen, den Leichnam meines Gatten zu suchen, aber dieses Vorhaben war äußerst schwierig. Ich kletterte die Bresche hinauf, die von den Leichen unserer tapferen Krieger, wie auch deren der Araber übersät waren, entdeckte ihn aber nirgendwo. Dann sah ich einen vom Rumpf getrennten Kopf im Gras liegen und betrachtete ihn genau. Ja, es war der Kopf meines Philipps, geschwärzt, verbrannt und grauenvoll entstellt. Ich beugte mich über sein unkenntlich gemachtes Gesicht. Mein armer Philipp!, rief ich – wobei die Tränen über meine Wangen rollten – als ich in der Nähe den Herzog von Remours im Kreise seines Stabes bemerkte. ‹Was gibt’s denn da zu sehen›?, hörte ich ihn fragen und ging auf ihn zu. ‹Eine Frau, die den Körper ihres gefallenen Mannes sucht›, erklärte ich. ‹Ich kann ihn nirgends finden, obwohl ich bereits seinen abgetrennten Kopf entdeckte›. Er gab daraufhin eine höfliche Bemerkung von sich und zog weiter.
Ich setzte die Suche fort, allerdings erfolglos. Dann beschloss ich, mir in der Stadt einen Quartier zu suchen. Als ich weiter kletterte, gelangte ich an eine zerschossene Mauer, die – als ich meinen Fuß darauf setzte – nachgab, so dass ich nach hinten zurück fiel. Ich blieb eine Weile betäubt am Boden liegen, und als ich wieder zu mir kam, stellte ich fest...‹
›Dass Sie sich die Nase gebrochen hatten?‹
›Nein, ich hatte mir zwar das Sprunggelenk verrenkt und die Kniescheibe beschädigt, aber meine Nase war noch heil. Sie müssen also noch ein wenig Geduld haben.
Was man vo den sterblichen Überresten meines Mannes noch fand, wurde mit den Leichen und verstümmelten Gliedmaßen der Gefallenen in einem Gemeinschaftsgrab beigesetzt. Ich besorgte mir ein Zimmer in Constantine und verblieb dort mehrere Tage, um sein Schicksal zu beklagen. Am Ende fiel mir ein, dass ich sein Testament erfüllen musste. Ich schrieb an General Ballè und setzte ihn von dem letzten Willen meines Gatten in Kenntnis. Seine Antwort war nur ganz kurz: Er fühle sich außerordentlich geschmeichelt, aber die Geschäfte ließen ihm keine Zeit, sich als Vollstrecker dieser testamentarischen Verfügung zu betätigen. Das war gewiss nicht sehr höflich.
Am Sechsundzwanzigsten brach ich mit einer Abteilung Verwunderter von Constantine auf. Die Ruhr und die Cholera wüteten, sodass sich schon bald den Munitionswagen für mich ganz allein hatte. Der Regen goss wieder in Strömen und es gab eine schreckliche Leichenprozession. Immer wieder wurde ein Unglücklicher, der zu Tode gerüttelt worden war, in die Pfützen am Wege geworfen und das Geschrei der Überlebenden war wirklich herzzerreißend. Viele starben vor Hunger und Kälte, und als wir nach drei Tagen im Lager von Mzez-Ammar eintrafen, hatten wir über die Hälfte unserer Kranken verloren.
Ich nahm von einer der Baumzweig-Hütten – die ich bereits beschrieb – Besitz und hatte jetzt Zeit genug, Pläne über mein zukünftiges Leben zu schmieden. Ich war jung und hübsch, folglich auch nicht chancenlos. Ich hatte mein Gepäck, das ich im Lager zurückgelassen hatte, wieder zurückerhalten und sah mich endlich wieder dazu imstande, auf die Pflege meines Äußeren zu achten. Die jungen Offiziere im Lager schenkten mir viel Aufmerksamkeit und kamen ständig an meiner Hütte vorbei, um sich einen Blick nach der schönen Witwe – wie sie mich nannten – zu gönnen. Aber jetzt kommt die Geschichte meines Unglücks.
Die Zweighütte, in der ich wohnte, war zweigeteilt, jede Abteilung war von der andern durch eine aus verschlungenen Ästen gebildete Wand getrennt, die etwa sieben Fuß hoch war, aber nicht bis an’s Dach reichte. In dem einen Teil wohnte ich, in dem anderen ein junger Offizier, der mir viel Aufmerksamkeit schenkte, der aber nicht mein Interesse fand. Ich war in der Abendkühle spazieren gegangen und vernahm, als ich zurückkam, aus der anderen Abteilung Stimmen. Ich trat leise ein, damit mein Kommen nicht bemerkt wurde, und hörte, dass ich der Mittelpunkt des Gespräches war. Ich muss gestehen, dass die Äußerungen der Herren für mich sehr schmeichelhaft waren, als einer von ihnen bemerkte: ‹Sie ist in der Tat ein hübsches Frauenzimmer und passt recht gut zu einem wackeren Soldaten. Ich hoffe, schon bald General zu werden und mir würde ein Marschallstab gut stehen. Bevor wir das Lager verlassen, gedenke ich, ihr meiner Hand anzubieten›.
Nun, Sir, den Sprecher erkannte ich nicht an der Stimme, aber da ich mich durch dessen Bemerkung sehr geschmeichelt fühlte, so wollte ich natürlich auch erfahren, wer das gesagt hatte. Ich dachte, wenn ich auf den Sitz des einzigen Stuhls – der sich in meinem Abteil befand – stieg, so könnte ich über die Trennwand hinwegsehen um meine Neugier zu befriedigen. Ich kletterte also auf den Stuhl, was mir – ohne jedes Geräusch zu machen – auch gelang, aber als ich meinen Kopf hinüber reckte, um mir die Personen da drüben anzusehen, kippte der Stuhl um und ich stürzte zu Boden. Unglücklicherweise traf meine Nase direkt auf den Rand der Bratpfanne, worin mein armer Philipp unser Fleisch zu braten pflegte, und nun wissen Sie, Sir, auf welche Weise es geschah, dass ich mir die Nase brach.‹
›Unglaublich!‹, sagte ich.
›Ja, unglaublich und schlimm für mich. Ich hatte ohne einen ernstlichen Unfall den ganzen Feldzug mitgemacht und dann... Aber im Grunde genommen war’s doch ganz natürlich: Die zwei Teufel, unter denen die Weiber zu leiden haben, sind Eitelkeit und Neugier. Wenn man die Sache genau betrachtet, so wird man feststellen, dass dies die beiden Fallgruben sind, in welche die meisten Weiber stürzen und sich dabei die Nasen brechen.‹
›Sehr wahr, Madame‹, sagte ich. ›Ich danke Ihnen für ihre wunderbare Erzählung und würde mich glücklich schätzen, Ihnen meine weitere Hilfe anbieten zu dürfen. Ich will Sie jedoch nicht länger von ihrer Ruhe abhalten und wünsche Ihnen eine gute Nacht.‹
Nun, lieber Colonel, fragte ich ihn, als er seine Erzählung beendet hatte, was geschah dann weiter?
»Ich nahm mich ihrer an, bis wir in London eintrafen. Dort besorgte ich ihr noch ein gutes Quartier im Leicester-Square und dann trennten wir uns für immer. Ob Professor Lis-tong ihre Nase wieder richten konnte und sie jetzt – genauso schön wie vor ihrem Unfall – in Paris herumflanniert, oder ob seine Kunst vergebens war, und sie nunmehr unter den Barmherzigen Schwestern oder in einem Kloster dahinvegetiert, vermag ich nicht zu sagen, da ich sie seitdem weder gesehen noch etwas von ihr gehört habe.«
»Nun gut, ich bin nämlich mit Professor Lis-tong gut bekannt und will daran denken – wenn ich ihn das nächste Mal aufsuche – Erkundigungen über Ihre seltsame Reisegefährtin einzuziehen. Darf ich Ihnen noch eine Zigarre anbieten?«
»Nein, herzlichen Dank, ich habe heute schon zuviel geraucht, außerdem hat mich das ganze Erzählen müde gemacht. Somit sage ich Ihnen für heute ›Gute Nacht‹.«
* * * * *
Frederick Marryat
† 2. August 1848 in Langham, Norfolk
Sir Frederick Marryat, Captain der Royal Navy, war nicht nur Abenteurer und Erfinder, Salonlöwe und Gutsbesitzer, sondern glänzte auch als populärer Schriftsteller seiner Zeit. Er gilt als Erfinder eines literarischen Genres, des marinehistorischen Romans.
Frederick Marryat stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus. Sein Vater Joseph Marryat war Mitglied des englischen Unterhauses und hatte eine einflußreiche Stellung als Kolonialbeauftragter für die Insel Grenada.
Der kleine Frederick genoß zunächst Privatunterricht, war aber ein schwieriges Kind. Er riß wiederholt von zu Hause aus und war von seinen Lehrern nicht zu bändigen.
1806 trat er im Alter von 14 Jahren in die Royal Navy ein. Als Fähnrich Frederick Marryat begann er seine Marinekarriere an Bord der Fregatte Imperieuse unter dem Kommando des berühmten Lord Cochrane, dessen Persönlichkeit bei dem späteren Schriftsteller Frederick Marryat sichtlich Eindruck hinterlassen hatte. Auf Cochranes Fregatte erlebte Fähnrich Marryat zum ersten Mal ein blutiges Gefecht, als die Fregatte im September 1807 ein vermeintliches Kaperschiff angriff – was sich später als tragischer Irrtum herausstellte: es war ein verbündetes Kriegsschiff.
Bald darauf bewährte sich der junge Frederick als Lebensretter, indem er einen anderen Fähnrich vor dem Ertrinken rettete, der über Bord gefallen war – Marryat war ein guter Schwimmer.
Am 11.April 1809 nahm er am Angriff Admiral Lord Gambiers und Cochranes auf das französisches Geschwader vor der Ile d´Aix teil.
Im Juli 1809 war er an der WalcherenExpedition beteiligt, der Landung britischer Truppen an der Küste Hollands. Dabei erkrankte er am sogenannten Walcheren-Fieber, offensichtlich eine Form der Malaria, erholte sich aber in England schnell von der Krankheit. Die Malaria sollte ihn jedoch ein Leben lang begleiten.
Unter Sir Samuel Hood kam er im Oktober 1809 mit der Centaur in´s Mittelmeer. Dort rettete er erneut einem über Bord Gefallenen das Leben, indem er dem Nichtschwimmer hinterhersprang.
1811 fuhr Marryat auf der Aeolus, die am 30.September 1811 in einem Sturm im Atlantik nur knapp der Vernichtung entging.
Im November 1811 wechselte er auf die Spartan, die vor der amerikanischen Küste erfolgreichen Kreuzerkrieg führte und einige Prisen (Seekriegsbeuten) machen konnte. Dabei konnte sich Marryat auszeichnen.
Am 26. Dezember 1812 wurde Marryat zum Leutnant befördert. Er begann seinen Dienst im Januar 1813 auf der Sloop Espiegle, die zusammen mit der Peacock vor der südamerikanischen Küste segelte.
Am 8.Februar 1813 kam Marryat bei einem vergeblichen Rettungsversuch eines von einer Rahe hinuntergefallenen Seemanns beinahe ums Leben.
Nur wenige Tage später, am 24. Februar 1813, versenkte die amerikanische Hornet die Peacock, ohne daß ihr die Espiegle zur Hilfe kam. Marryats Commander Taylor wurde deswegen durch ein Kriegsgericht verurteilt und aus dem Dienst entlassen.
Marryat, der wieder unter Malaria litt, verließ die Espiegle und reiste nach England zurück. Im Januar 1814 kehrte er als Leutnant auf dem Linienschiff Newcastle in nordamerikanische Gewässer zurück.
Am 19.Dezember 1814 führte er ein Enterkommando in die Bucht von Boston, das trotz heftigen Widerstands vier Schiffe als Prisen entführte.
Im Juni 1815 wurde Marryat zum Commander befördert. Der Frieden setzte ihn 1815 zunächst aufs Trockene und er befasste sich mit wissenschaftlichen Studien. So z.B. arbeitete er den militärischen Popham-Signalcode für den Gebrauch auf Handelsschiffen um und konstruierte ein spezielles Boot zur Rettung Schiffbrüchiger. Für beide Arbeiten wurde er ausgezeichnet und als Mitglied in die ROYAL SOCIETY aufgenommen. In Frankreich wurde ihm 1833 für den modifizierten Popham-Code das Kreuz der Ehrenlegion verliehen.
1819 heiratete Marryat Catherine Shairp, mit der er eine sehr fruchtbare Ehe führte: Das Paar produzierte sieben Töchter und vier Söhne.
Im Juni 1820 erhielt Commander Marryat das Kommando über die Sloop Beaver. Die Beaver gehörte zu einer Reihe vor St. Helena kreuzenden Kriegschiffen, die eine Art maritime Wache für den auf die Insel verbannten Ex-Kaiser Napoleon Bonaparte darstellten. Als Napoleon am 16.Mai 1821 starb, brachte Marryat die Todesnachricht nach England.
Bis Februar 1823 machte Marryat erfolgreich Jagd auf Schmuggler im Kanal, bis er ein neues Kommando erhielt. Mit der Larne segelte er in den Golf von Bengalen, um im britischen Krieg gegen Burma eingesetzt zu werden. Der das Oberkommando führende Kommodore Grant mußte schon bald erkennen, daß die Burmesen in diesem Krieg nicht der einzige und bei weitem nicht der mächtigste Feind waren. Das unverträgliche Klima und Krankheiten reduzierten das britische Expeditionskorps, auch der Kommodore mußte schließlich todkrank sein Kommando Marryat überlassen.
Frederick Marryat, nun Kommandant der Tees, wurde im April 1825 zum Captain zur See befördert.
Am 8. Mai 1826 verließ Captain Marryat Burma und übernahm 1828 sein letztes Kommando über die Fregatte Ariadne. Er wurde zeitweise im diplomatischen Dienst eingesetzt und verrichtete Lotungs- und Vermessungsarbeiten im Atlantik. Diese wenig abwechslungsreichen Tätigkeiten waren für ihn offensichtlich der Anlass, mit dem Schreiben zu beginnen.
1829 entstand sein erster Roman The Naval Officer, in dem sein Ich-Erzähler Frank Mildmay annähernd Marryats eigene, abenteuerliche Karriere schildert.
Im November 1830 zog sich Captain Marryat auch wegen seiner angegriffenen Gesundheit aus dem aktiven Dienst zurück. Inzwischen wurde The Naval Officer ein großer sowohl publizistischer wie auch finanzieller Erfolg, der Marryat zu einer Schriftstellerkarriere ermutigte.
Während er fleißig Romane produzierte, war er von 1832 bis 1835 Chefredakteur des Metropolitan Magazine, in dem er auch viele seiner Geschichten und Romane veröffentlichte.
1834 entstand sein berühmtester Roman Peter Simpel.
1836 verbrachte der fließend französisch sprechende Frederick Marryat in Brüssel, wo auch heute noch Spuren von ihm zu finden sind. Im selben Jahr wurde der Roman Mr. Midshipman Easy veröffentlicht, der 1935 von Hollywood unter dem Titel Men of the Sea – Regie Carol Reed – verfilmt wurde.
Von 1837 bis 1839 bereiste Marryat Kanada und die USA. Während der Reise führte er ein viel beachtetes Tagebuch.
Von 1839 bis 1843 lebte er in London, wo er in Schriftstellerzirkeln um Charles Dickens oder Clarkson Stanfield verkehrte.
1840 entdeckte der geschäftstüchtige Schriftsteller eine neue Marktlücke und begann nun auch Bücher für Kinder zu schreiben, die sich hervorragend verkauften. Sein recht aufwendiger Lebenstil zwang ihn wohl auch zu dieser Maßnahme.
1843 zog sich Marryat auf ein kleines Gut bei Norfolk zurück, doch sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehens. Der Tod seines ältesten Sohnes auf der Fregatte Avenger am 20. Dezember 1847 war ein zusätzlicher Schock, von dem Marryat sich nicht mehr erholte.
Frederick Marryats Tochter Florence Marryat (1838-1899) sowie sein Sohn Frank wurden ebenfalls bekannte Schriftsteller.
Frederick Marryats ins Deutsche übertragenen Werke:
1829 Der Flottenoffizier
Original: The Naval Officer or Scenes and Adventures in the Life of
Frank Mildmay
1830 Königs-Eigen
Original: The King's Own
1832 Newton Forster oder des Kaufmanns Dienst
Original: Newton Forster or the Merchant Service
1834 Peter Simple
Original: Peter Simple
1834 Die Abenteuer des Jakob Ehrlich
Original: Jacob Faithful
1835 Der Pascha
Original: The Pacha of Many Tales
1836 Seekadett Jack wird vernünftig oder Seekadett
Jack Freimut
Original: Mr Midshipman Easy
1836 Japhet, der seinen Vater sucht
Original: Japhet in Search of a Father
1836 Der Pirat - Die drei Kutter
Original: The Pirate - The Three Cutters
1837 Der Höllenhund
Original: Snarley Yow or the dog friend
1839 Das Geisterschiff oder der fliegende Holländer
Original: The Phantom Ship
1840 Der arme Jack
Original: Poor Jack
1841 Der Schiffbruch der Pacific
Original: Masterman Ready or the Wreck of the Pacific
1842 Captain Kiene
Original: Percival Keene
1843 M. Violet's Reisen und Abenteuer
Original: Narrative of the travels and adventures
of Monsieur Violet in California, Sonora and Western Texas
1844 Die Ansiedler in Kanada
Original: The settlers in Canada
1845 Die Mission oder Szenen und Abenteuer in Afrika
Original: The mission
1846 Der Kaperschiffer
Original: The Privateersman or One Hundred Years Ago
1847 Kinder des Waldes, Flucht in den Neuwald
Original: The Children of the New Forest
1848 Die Schiffbrüchigen auf den Chincha-Inseln
Original: The Little Savage
(Quelle: Wikipedia)
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Claus H. Stumpff
Autor und Herausgeber
Die folgenden Seefahrer-Romane des ehemaligen englischen Fregatten-Kapitäns und weltberühmten Schriftstellers Frederick Marryat wurden textlich überarbeitet und sind in Form von Taschenbüchern und E-Books erhältlich:
Die Geschichte handelt von Captain William Vanderdecken, der von den Seefahrern wegen seiner Wutanfälle gefürchtet war. Trotz eines herannahenden Sturmes will er noch das Kap der Guten Hoffnung umschiffen. Doch sein waghalsiges Unternehmen scheitert. Wutentbrannt wirft er den Steuermann über Bord und stößt gleichzeitig einen gotteslästerlichen Fluch aus – für den er ewig büßen muss: Bis zum jüngsten Tag soll er als Untoter auf einem Schiff die Weltmeere durchqueren.
Eines Tages erfährt sein Sohn Philipp, dass nur er allein die Möglichkeit habe, seinen Vater von diesem grausamen Schicksal zu erlösen. Er zögert nicht lange, sondern begibt sich auf eine gefahrvolle, um die halbe Welt führende Seereise.
Auf der Fahrt nach Australien geriet der Großsegler ›Pacific‹ in einen schweren Sturm. Er verlor alle Masten und strandete vor einer anscheinend unbewohnten Koralleninsel. Der Captain und alle Matrosen verließen den Dreimaster in einem Beiboot, während sich die zurückgelassenen Passagiere und der alte Seebär Ready darum bemühten, Tiere und Warenbestände des langsam sinkenden Schiffs zu bergen. Mittels der noch an Land geschafften Lebensmittelvorräte und Gerätschaften begann für die Schiffbrüchigen ein abenteuerliches und entbehrungsvolles Insel-Dasein.
Die Gestrandeten hatten bereits alle Hoffnung auf Rettung aufgegeben und sich primitive Behausungen geschaffen, als sie von wilden Eingeborenen überfallen wurden. Im Augenblick höchster Gefahr kam unerwartete Hilfe, aber dennoch schlug das Schicksal unbarmherzig zu.
Abu Hassan, ehemaliger Barbier und Heerführer, wurde vom Kalifen zu Bagdad als Pascha über Kairo und die umliegenden Provinzen des Osmanischen Reiches eingesetzt. Zu seinem Wesir ernannte dieser wiederum Mustapha, seinen persönlichen Barbier, der ihm unterwürfigst zur Seite stand.
Pascha Abu Hassan war von Geltungssucht beherscht und wollte es dem berühmten Kalifen Harun Al Raschid gleich tun, dem es allein darum ging, von den Sorgen und Nöten der Bewohner zu erfahren. So gerieten immer wieder Menschen in das Blickfeld des Paschas – zumeist in Kairo lebende Sklaven – die ihm von ihren zumeist seltsamen Erlebnissen berichten mussten. Dabei legte der Pascha großen Wert auf spannende Geschichten. Wurde diese Forderung nicht erfüllt, drohte dem Erzähler die Bastonade, schlimmstenfalls die Enthauptung.
Der Seeräuberschoner Avenger unter seinem Captain Cain versetzte die Handelsschifffahrt weltweit in Angst und Schrecken. Den Schiffsbesatzungen war bekannt, was sie erwartete, sollte je ihr Schiff vom Avenger gekapert werden. Dieser Schoner war einst für den Transport afrikanischer Sklaven nach Südamerika bestimmt. Nach Beendigung des Sklavenhandels wandte sich Captain Cain einem anderen Betätigungsfeld zu, nämlich dem Raub wertvoller Güter von Handelsschiffen, wobei deren Crews und Passagiere brutal niedergemetzelt wurden. Auf Befehl der englischen Admiralität nahm die Dreimast-Fregatte Entreprise die Verfolgung des Avenger auf, um dessen verbrecherisches Treiben zu beenden.
Die Erzählung handelt von drei Kuttern, von denen zwei – ein Zollschiff und eine Luxusyacht – vom englischen PLYMOUTH aus in See stechen, während der dritte auf französischer Seite in ST. MALO seine Anker lichtet. Dies ist der ›HAPPY GO LUCKY‹, der unter Befehl von Jack Pickersgill segelt. Dieser hat es sich zum Ziel gesetzt, wertvolle Handelsgüter am Zoll vorbei nach England zu schmuggeln. Als sein Schiff von dem englischen Zollkutter ›THE ACTIVE‹ verfolgt wird, sieht sich Lord B., der Besitzer der Luxus-Yacht ›THE ARROW‹, aus falsch verstandenem Pflichtgefühl dazu veranlasst, dem Verfolger beizustehen und gerät dabei in eine kriegerische Auseinandersetzung. Da fasst der Captain des Schmuggelkutters einen kuriosen Plan, der sich allmählich zu einem chaotischen Possenspiel entwickelt.
Texte: Claus H. Stumpff, Herausgeber
Bildmaterialien: Coverbild: Midjourney Bot
Cover: Covergestaltung: Claus H. Stumpff
Lektorat: Claus H. Stumpff
Tag der Veröffentlichung: 15.07.2017
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