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Vorwort

Wie war das damals in Berlin? Der Leierkastenmann, der Kohlenträger, der Schornsteinfeger und viel, viel mehr. Kindheits-Erinnerungen, erzählt im »Berliner Jargon«

Die Olympiade 1936 in Berlin

Mit knapp Viere war ick mit meene Eltern und Jeschwister - aus Breslau kommend, wo ick jeboren bin - in Berlin einjetroffen. Meene ersten Erinnerungen aus dieser Zeit waren de olympischen Sommerspiele 1936. Det war vielleicht ’n Rummel! Uff unsrer Straße hingen überall schwarz-weiß-rote Fahnen mit schwarze Hakenkreuze drin. Am Himmel sejelten Zeppelins mit fünf uffjemalte farbje Ringe. Ooch Fluchzeuje sah ick, hinter denen lange Spruchbänder flatterten. Ick weeß aber nich, wat da druffstand; ick konnte ja noch nich lesen. Mehr hab ick von de Olympiade nich mitjekricht, war ja noch zu kleen.

 

Im Kindergarten

Wenn man nich janz stille war, wurde man jleich verdroschen. Nich etwa mit die Hand, nee, mit’m Teppichklopper. Da wurde so’n kleener, zarter Kinderarsch von ei’m aus Rohr jeflochtnen Riesenwerkzeuch malträtiert. Da jab es imma vill Wehjeschrei. So’ne brutale Erziehungsmethode war nischt andres als Kindesmisshandlung. Die Kinderjartentante hatte ’n Jesicht wie ne Hexe, mit ’ner schmalen, krummen Nase und ’nem dicken jrauen Haarknoten hinten am Kopp. Jeden Tach krichten wa ’n Löffel Lebertran verpasst, hinterher jab’s ’n Schoko-Pfennich mit bunte Zuckerkrümels druff. Det sollte wohl den Nachjeschmack vom Lebertran lindern. 

 

Der Kleene uff de nächste Seite  - det war ick damals!

 

 

Die Grundschulzeit

Zu Ostern 1937 wurde ick einjeschult. Meene Oma hat ma zur Schule bejleitet, weil meene Mutter jrade wieder wat Kleenes jekricht hatte.

Uff dem nachfoljenden Foto mach ick 'n janz schön beklopptes Jesicht.

 

 

Am ersten Schultag saß neben mir ein Junge, der sich wohl vor lauter Angst in de Hose jemacht hatte. Det hat vielleicht jestunken! Es fing also jut an. Ooch heute noch erinnere ick ma daran, wenn dem sein Vorname irjendwo ufftaucht. Der lautete..., ach lassen wir det lieber!

 

Die Grundschuljahre war’n nich jrade det Jelbe vom’s Ei. Zu oft krichte man vom Lehrer wat mit’m Stock hinten druff. Nich etwa weil man unjezogen war, nee, wir Jungs saß’n meestens janz brav uff unsern Plätzen. Aber man wurde schon jeschlagen, wenn man beim Unterricht mal nich uffjepasst hatte. Dann musste man sich über die vorderste Bank beujen, die Hose runterzieh’n und bekam Hiebe mit’m jelben Onkel, so bezeichnete man den Rohrstock, den de hauwütje Lehrer im Klassenschrank uffbewahrte. Det verlief nich imma unblutig. Aber man durfte dabei keene Treene verjießen. Bereits die ersten Jedichte aus’m Lesebuch zeichten ei’m, wat ’n echter Junge zu sein hat. Da stand nämlich uff hochdeutsch jeschrieben:

›Aber Hans, wer wird denn weinen? Pfui, welch hässliches Gesicht! Kleine Mädchen dürfen weinen – Jungen, Hans, die tun das nicht!‹

Janz tapfer hielt man also de Schläje aus. Heutzutage würde der Lehrer für so wat int Jefängnis wandern.

 

Leider jab’s damals noch nich so wat wie Koedukation. Unsre Schule hatte deshalb zwee separate Einjänge: Den linken für die Jungs, den rechten für die Mädchens. Aber die Mieken, so nannten wa die Mädchens, wurden vom Lehrer niemals jeschlagen, die galten als wat Besondres. Drum ärjerten wa se, wo wa nur konnten. Die sah’n aber ooch zu drollich aus in ihre altmodische Turnkostüme. Wat hab’m wa jefeixt, wenn wa se uff’m Schulhof jejenüber bei ihre Freiübungen rumhüpfen sah’n! Oben hatten se n’weißes Hemdchen an, drunter ’ne schwarze Turnhose, die an de Oberschenkels mit’m Jummiband zusammenjehalten wurde, det man dene ja nich zwischen die Beene kieken konnte. Det war als andre als sexy, keen Mädchen würde heutzutage noch so rumloofen.

 

Wenn im Winter die Mieken aus’m Schuljebäude kamen, hatt’n wa schon draußen uff se jewartet und mit Schneebälle bejrüßt. Wir hab’m uns himmlisch jefreut, wenn se mit ihre schneebedeckte Schulranzen heulend zur Mutti nach Hause rannten!

 

Der olle Hausmeester, der mit seene Schiebermütze fast wie der Kohlenklau von die überall anjeschlagne Warnplakate aussah, war’n leidenschaftlicher Zijarrnroocher. Der leechte seene brennende Zijarre imma uff’m Fensterbrett vor seene Wohnung im Schulparterre ab, wenn er draußen wat zu arbeeten hatte. Sobald wir Jungs det bemerkten, nuckelten wa abwechselnd an dem uffjeweichten Stummel rum. Davon is ma mal richtich schlecht jeworden und ick hab seitdem nie mehr ’ne Zijarre anjerührt.
Trotz allem hatte die Volksschulzeit ooch ihre juten Seiten jehabt. Ick erinnre ma noch zu jern an die vielen Schulausflüje, die wir in ’n Jrunewald oder mit’m Dampfer uff de Spree oder de Müggelsee machten. Da wurde imma viel jesungen! Meen liebstet Lied war

 

›Märkische Heide – Märkischer Sand, sind des Märkers Freude, sind sein Heimatland‹.

Schulferien

Verreisen in ’n Urlaub oder so wat det konnten sich nur wenje Familjen leisten. In de Ferien blieben wa daher schön zuhause. Da hab’m wa uff de Treppe vorm Hauseinjang jesessen, herumjealbert, uns Bälle zujeworfen, solange bis uns eener von de Hausbewohner wegjejaacht hat. Mitten uff de Straße hab’m wa Völkaball jespielt, denn da fuhr’n nur janz selten Autos. Und dann sind wa uff’m Bürjersteich in die mit Kreide hinjemalten Hopsekästchen jesprungen, hab’m ’n Holzkreisel mit de Peitsche jeschlagen oder sind mit Tretrollers rumjefahr’n. Een Junge besaß sogar ’n Wipproller mit Jummiräder, der über ’ne Fußwippe und Zahnstange anjetrieben wurde. Keener von uns hatte schon ’n Fahrrad. Aber ick besaß ’n Ruderrenner von Steiff, dessen Vorderräder man mit de Füße lenkte. Anjetrieben wurde det Janze durch wiederholtes Ziehen eines an der Hinterachse um eine Rückholfeder uffjewickelten Gurtbandes. Ooch 'ne Klingel war vorhanden. Det Janze war so wat Ähnliches wie’n Holländer, nur viel schneller und sportlicher.

Ick war jans schön stolz uff det Ding, wie man uff dem foljenden Bild sieht.

 

 

Streit unter Jungs

Jewiss, es jab ooch mal Streit, da hab’m wa uns anjeschrien und mit Schimpfworte rejelrecht uffjestachelt:

»Ick hau dir eens vorn Rangschierbahnhof,

det dir sämtliche Jesichtszüje entjleisen!«,

oder

»En Schlách, und du stehst ins Hemde,
der zweete Schlách is ne Leichenschändung!«

oder

»Ick hau dir eens vorn Latz,
det de durch de Rippen kiekst wie’n Affe durchs Jitter!«.

 

Solche Sprüche hatt’n wa mal irjendwo uffjeschnappt. Dann hab’m wa uns jekloppt. Aber dabei is nie eener valetzt worden. Det jab’s nich, mit’m Fuß an de Kopp treten oder so. Nee, wir sind sportlich jeblieb’m! Hab’m uns de Hosen abjeputzt und war’n bald wieder die besten Freunde.

Auto fahren

Wenn sich jelejentlich ’n Auto in unsre Straße verirrte, war det für uns Jungs ’ne echte Sensation. Und de Benzinabjase roch’n wa zu jern, drum rannten wa jedem Auto hinterher. Niemand uff unsre Straße besaß ’n eijnes Auto, abjesehen von so’m ollen Taxi-Schofför. Dem sein schwarzes Taxi vom Typ Opel P6 war mit schwarz-weiß-karierte Streifen ringsum jemustert, wie eemt alle Taxis damals. Und wenn der Schofför amds nach Hause kam, durft’n wa mit in seene Jarasche runterfahr’n. Um de wenjen Plätze hab’m wa uns dann rejelrecht jebalcht.

Das Postauto

Es war für mich imma wat Besondres, von ei’m Auto mitjenommen zu werden. Dazu hatte ick nur selten Jelejenheit. Eene davon war unser jelbes Postauto. Det hatte ’n Akku-Antrieb und fuhr fast jeräuschlos durch de Straße. Ick hab dem Fahrer imma zujekuckt, wenn er Pakete ausjetragen hat. Als ick so um die Neune alt war, hab ick ihm mal jeholfen, Pakete in’n dritten Stock ruffzutragen. Imma wenn seitdem det Postauto mit’m selben Fahrer vorfuhr, durfte ick ma uff’n Beifahrersitz setzen und ’n janzes Stück mitfahr’n. So wat wär’ heutzutage bei de Deutschen Post oder DHL nich denkbar.

Bolles Milchwagen

Jeden Tách rollte Bolles Milchwagen durch de Straße, det war ’n Pferdewagen mit zwee kleene Schimmels davor. Wir Jungs fuhr’n jern heimlich uff dem rückwärtjen Trittbrett mit, aber wehe, wenn det de Kutscher bemerkte, dann knallte schon mal seene Peitsche nach hinten und wir sprangen janz schnell wieder runter.

Der Eismann

Nur wenje Leute besaßen damals ’nen mittels elektrischem Strom betriebenen Jefrierschrank. Die meesten hatten nur ’n eenfachen Kühlbehälter, in den imma wieder frisches Eis nachjefüllt werden musste. Dafür war ’n Eismann zuständich. Der zooch aus’m Laderaum von sei’m Eisauto mit ’ner Spitzhacke ’nen quaderförmjen Eisblock raus, packte den uff seene mit’m Lederlatz jejen Kälte und Nässe jeschützte Schulter und ab jing’s zu de Kundschaft. Manchmal musste der Eisblock vorher mit ’ner Hacke zerteilt werden, wenn der Platz im Kühlschrank für’n janzet Stück nich ausreichte. Dabei brachen Eissplitter ab, die wir Jungs uns heimlich stibitzten, sobald de Eismann in ei’m Haus verschwand. An heiße Sommertage war det ’n Hochjenuss. Heutzutage kann man sich überall Tüteneis oder ’n Eisbecher koofen, aber damals hatt’n wa für so wat eenfach keen Jeld.

 

Der Schornsteinfeger

Der is ma irjendwie unheimlich jewesen. Vor’m Kehrtag stand er unten im Hof und schrie dann zweemal janz laut:

 

»Schorn-stein-feejer kommt morjen! Schorn-stein-feejer kommt morjen!«

 

Und am nächsten Morjen kam er wieder und rief dann:

 

»Schorn-stein-feejer kommt heute! Schorn-stein-feejer kommt heute!«

 

Bald darauf hörte man seene Kugel und Bürste im Kamin rumpeln. Ick hab’ imma aus’m Fenster rausjekuckt und die Schornsteinfeejer oben uff de Dächer beobachtet. Die hatten janz schwarze Jesichter und ’ne runde Lederkappe uff’m Kopp. Eener hatte sojar ’n Zylinderhut uff, bis der mal bei ei’m Windstoß vom Dach runterjeweht wurde! Det sah wirklich komisch aus und ick hab ma halb schief jelacht!

Die Müllmänner

Wenn der Hausmüll abjeholt wurde, hörte man det Müllauto schon von Weitem. In dieset Unjetüm drehte sich nämlich ’ne Förderschnecke, die den Abfall von hinten nach vorn transportierte. Dabei purzelte allet durcheinander, wat ’n höllischen Lärm machte.

Die Müllkutscher hab’ ick imma bewundert. Die hatten’s noch nich so komfortabel wie die heutjen ›Entsorjungstechniker‹ mit ihre technisch hochentwickelte Jerätschaften. Die übawiejend mit Kohleasche jefüllten Mülltonnen hatten’n janz schönet Jewicht und noch keene Rollen. Drum holten immer zwee Männer eene Tonne ab, die se erst zwischen sich hinbugsierten, dann jemeinsam anhoben. Dazu diente ’n lederner Tragejurt, den se in de Tonnenjriffe einhakten. Der Mann links von die Tonne stützte sich nun mit sei'm rechten Arm an de linke, mit’m Lederschurz bedeckte Schulter seines Kollejen ab. De Mann rechts dagejen stützte sich mit'm linken Arm uff'm Tonnendeckel ab oder umjekehrt. Danach hoben se die schwere Tonne an und ab jing’s zum Müllauto. Die Müllkutscher stellten nun de Tonne hin und schoben se mit vereinte Kräfte in die Kippvorrichtung ruff und rüttelten solange, bis se janz leer war. Det gab ’n Mordsjepolter. Bei runde Tonnen umfasste dann een Träjer mit sei'm Lederhandschuh die runde Wölbung uff'm dem Mülltonnendeckel, kippte de Tonne und rollte se dann – mit de freie Hand schupsend – zurück an ihr'n Platz. Ick hab det imma vom Fenster aus beobachtet.

 

Die Kohlenträger

Die körperliche Leistung von de Kohlenträjer war bewundernswert. Ölheizungen oder so wat jab’s damals noch nich. Jeheizt wurde mit Koks oder Kohle, die von ›Schwarzen Männern‹ in zentnerschwere Säcke in finstre Kohlenkeller runterjetragen werden mussten.

Bei Briketts war det anders: Die wurden in meterhohe, flache Kästen anjeliefert und mussten wie’n Rucksack uff’m Rücken oft viele Stockwerke hoch jetragen werden. Muss ’ne Mordsanstrengung für de Träjer jewesen sein, denn det war ’n ziemliches Jewicht! Bei de Kundschaft musste der Mann die Briketts dann neben de Ofen akkurat hinschichten.

Die »Eierhäuser«

Im Sommer bin ick mit meene Eltern und Jeschwister hin und wieder zu die »Eierhäuser« nach Berlin-Treptow jefahr’n. Warum man die so nannte weeß ick nich. Aber det war für uns Kinder imma ’n Mordsverjnüjen. Da jab’s nämlich so’ne Art Lunapark, ein jeringer Ersatz für das 1934 uff Anordnung Hitlers abjerissene, weltberühmte Verjnüjungszentrum. Ick erinnere ma nur noch daran, det die Erwachs’nen im Wirtsjarten bei Kaffee und Kuchen saßen, während wir Kinder zu dem riesijen Spielplatz eilten, für fuffzich Pfennje ’ne Plakette an’t Hemd jeheftet krichten und dann all die tollen Spieljeräte benutzen durften. Da jab’s sogar ’ne Liliput-Eisenbahn, für die man aber extra wat bezahl’n musste.

Eenmal war ick verschwunden und wurde von meene Eltern jesucht. Da entdeckten se ma verjnücht in der kleenen Bahn rumfahrend. Als sie den Schaffner fraachten, wer det denn bezahlt hätte, saachte der: »Der Kleene hat behauptet, dat seene Eltern jestorben wären, da ließ ick ihn umsonst fahren.«

Ick muss also 'n richtjer Lausebengel jewesen sein.

 

Die Berliner Schupos

Die Polente von damals war wat janz andres als heute. Vor de Schupos in ihre jrüne Uniforms hatten wa ’n Mordsrespekt. Allein der jlänzende Tschako uff’m Kopp von so’m Beamten war schon furchterregend. Dem seene Beene steckten in Britscheshosen und hohen glänzenden Schaftstiebeln. Und an sei’m Hintern bammelten ’ne Pistole und ’n Schláchstock.

Een Schupo hielt imma Wache uff de Albrechtstraße. Da jab’s vill Verkehr und so wat wie Zebrastreifen und Fußgängerampel kannte man ja noch nich. Wenn ick uff de andre Straßenseite wollte, bin ick zu diesem Schupo hinjeloofen. Und der hat ma dann an de Hand jenommen und über de Straße jeführt. Dabei mussten alle Autos und sogar die riesjen Doppeldeckerbusse anhalten und uns beede passier’n lassen. Det war vielleicht ’n Hochjefühl!

Omnibuse und Straßenbahnen

Die jelben Doppeldecker hatten ’nen Kühler vorn fast so lang wie’n heutjer Kleenwagen. Det war’n Büssings, ne echt tolle Marke. Die besaßen noch ’n richtjes Jesicht, hatten nich mehr so’n Allerweltsausseh’n wie die heutjen, vorn janz platten Busse. Leider fuhr uff de Albrechtstraße keene Straßenbahn oder Tram; man sagte damals ›Elektrische‹ dazu. Ick fuhr nämlich zu jern mit der Elektrischen. Da stand ick neben dem Wagenführer und hab imma jenau hinjekuckt, wat der so machte, denn ick wollte unbedingt ooch Trambahnführer werden.

Die damaljen Elektrischen hatten oben keenen Stromabnehmerbüjel oder -korb wie moderne Trams oder E-Locks, sondern ’ne schräg nach hinten jeneichte Stromstange, in der die Oberleitung wie in ’ner Schiene jeführt wurde.

 

Der Leierkastenmann

Der kam jeden Monat vorbei, schob seine Drehorjel in’n Hof rin und dann jing’s los mit de Musike! Die bejann imma mit Paul Linckes

›Das ist die Berliner Luft, Luft Luft!‹

 

Det war nämlich det erste Stück uff sei’m Lochkarton, wie er mir mal varaten hat. Manchmal hat er sojar zu 'ner Melodie jesungen. Ick erinnere ma noch jut an diese Verse:

 

In Rixdorf is Musike,

da jibt's 'ne Pferdebahn.

Det eine Pferd, det zieht nich,

det andre, det is lahm.

Der Kutscher, der ist bucklich,

die Deichsel, die ist krumm.

Und alle fünf Minuten,

da kippt die Karre um.

 

Überall öffneten sich dann Fenster und die Frauen warfen ihm in Papier einjewickeltet Kleenjeld zu. Dat war’n noch richt’je Hausfrau’n und Muttis, die war’n imma zuhause und so’n Drehorjelspieler hatte dadurch ein kleenes aber rejelmäßjes Einkommen. Wenn er schließlich mit’m Orjeln uffjehört hatte, kiekte er dankbar nach oben zu de Fenster hoch und verbeuchte sich wie’n Schauspieler nach ’ner Theatervorstellung. Dann sammelte er die Jeldstücke uff und schob sein’n Leierkasten wieder raus. Es dauerte nich mehr lange, da erklangen de jleichen Melodien wieder aus’m Nachbarhof.

Der Lumpensammler

Det war so’n Typ mit’m struppjen, grauen Bart. Der zog humpelnd ’n Bollerwagen hinter sich her und rief ’ne Glocke schwingend:

»Lumpen, Papier und Schrott koof ick hier!«

 

Die Leute hab’m ihm – wat se an Jerümpel loswerden wollten – hinjebracht. Der Lumpensammler hängte alles an de Haken von ’ner rostjen Federwaage, zooch dann seen Portmannee raus und zahlte je nachdem mal zehn oder fuffzich Pfennje für den Krempel, manchmal sojar ’ne Mark. Da krichte man tatsächlich Jeld für! Heutzutage is man froh, sein Jerümpel uff’m Wertstoffhof loszuwerden. Schließlich packte de Lumpensammler alles uff sein Karr’n und zooch wieder weiter,

 

»Lumpen, Papier und Schrott koof ick hier!«

 

ausrufend und de Bimmel schwingend. Eenmal wollte ma de Lumpensammler vadreschen: Für die Penne mussten wa Papier, Staniol und so’n Kram sammeln, jetreu dem lustjen Lied

 

›Lumpen, Knochen, Eisen und Papier – ausjeschlag’ne Zähne sammeln wir!‹,

 

wat dann von uns erjänzt wurde mit ›für Hermann‹. (Damit meente man den feisten Hermann Jöring, Adolf Hitlers eitlen, sojenannten Reichsmarschall.)

 

Als ma mal de Lumpensammler mit’m Bündel Zeitungen unter’m Arm aus eem Haus kommen sah, is er wie wild uff ma zujeschossen und wollte ma vaprüjeln. Uff eenmal konnte der loofen wie’n junget Reh! Aber ick war dann doch schneller und habe später imma uffjepasst, ihm nich mehr in de Quere zu kommen.

Kuchenkrümel

Meen Freund und ick wir hab’m imma irjendwat ausjeheckt. Stets knurrte uns der Magen, besonders als der Kriech allmählich uff Touren jekommen war. Mutich jingen wa in de Bäckereien und fraachten:

 

»Hab’m Se Kuchenkrümels?«

 

Und die Bäckersfrauen war’n imma nett und packten uns alles Mööchliche in ’ne Tüte rin: Zerbröselte Schweinsohren, halbe ›Afrikaner‹, Streusel vom Kuchenblech. manchmal sogar ’n richtjes Stück Bienenstich. Det alles hab’m wa dann uff ’ner Bank im Stadtpark jenussvoll uffjejessen. Aba als meene Olle davon erfuhr, da hat se mir vielleicht ausjeschimpft, von wejen ’n Professorensohn und um Kuchenkrümels betteln.

Beim ›Deutschen Jungvolk‹

Kaum war ick Zehne jeworden, da kam so’n ›Jungenschaftsführer‹ in Hitlerjugend-Uniform zu mee’m Erzeujer. Und eh’ ick ma’s versah, steckte ooch ick in dieser braunen Kluft. Ick muss zujeben, det ick anfangs mächtich stolz war uff den schwarzen Lederjürtel mit’m Koppelschloss, wo ›Blut und Ehre‹ druffstand. Und wenn ick die braune Uniform des Deutschen Jungvolks trug, brauchte ick keene Angst mehr vor dem Lumpensammler zu haben. Aber um ’n richtjer Jungvolkjunge zu werden, musste man erst noch die ›Pimpfenprobe‹ bestehen. Da wurde man jefraacht, wann der ›Marsch zur Feldhernhalle‹ stattjefunden hat, wann und wo der Adolf Hitler jeboren wurde, wat man von die Juden hält und so weiter. Zum Schluss musste man über ’n offnet Feuer springen und sich an Ringkämpfe beteiljen. War allet jut jeloofen, wurde ei’m noch ’n Schulterriemen sowie ’n schwarzet Halstuch mit’m braun’n Knoten verpasst. Erst von da ab jehörte man dazu, musste allerdings jeden zweeten Sonntach zum Appell antreten, stundenlang rummarschieren und Lieder singen wie

 

›Ein junges Volk steht auf zum Sturm bereit, reißt die Fahnen höher Kameraden‹ usw.

 

Wie kriminell det Janze war, is ma erst nach Kriechsende bewusst jeword’n.

Schwarzfahrten mit U- und S-Bahnen

Natürlich hab’m wa Jungs die Uniform weidlich ausjenutzt. Wir besorchten uns beim NS-Ortsjruppenleiter Sammelbüchsen des NS-Hilfwerks und machten uns an de Arbeet: Mit ’ner Büchse in de Hand klappert’n wa die S- und U-Bahnen ab und konnten jetzt umsonst fahr’n. Man kam ja nich so ohne Weiters uff’n Bahnsteich. Nee, vorher musste man durch ’ne Sperre, wo ein Kontrollör mit ’ner kleenen Zange ’n Loch in de Fahrkarten knippste. Aber wir hatten ja keene und machten uns den Spaß und fraachten den Kontrollör:

 

»Warum eijentlich zwick’n Se ’n Loch in de Fahrkart’n?«

 

Der hatte dann jeantwortet:

»Damit keener zweemal fahr’n kann!«

 

Und ick saachte dann:

»Nee, weil man ohne Loch keenen fahr’n lassen kann!«

 

Wat hab’m wa jelacht, als wa dem sein beklopptet Jesicht sah’n! Aber der Kontrollör hätte sich nich jetraut, ’nen Hitlerjungen anzuschnauzen. So war det eemt.

Fliegeralarm

Als det mit die Fliejeralarme losjing, war meene schönste Zeit in Berlin vorbei. Wenn wa det Motorjeräusch von die feindlichen Uffklärer hörten, stiech ick mit mee’m ältren Bruder uffs Flachdach von unserm Mietshaus. Wir beobachteten die Suchscheinwerfer von die Flakstellungen, die schon bald mit’m Böllern anfingen. Und es dauerte jar nich lang, da heulten die Sirenen und wir mussten schnell in’n Luftschutzkeller runter. Meistens passierte det nachts und wir wurden aus’m tiefsten Schlaf jerissen. Meen kleener Bruder war da erst Viere und hüpfte in sei’m Bett uff und jubelte:

»Au fein, Alaam!«

 

Wenn er abends ins Bett jebracht wurde, erkundichte er sich erwartungsvoll:

 

»Öb se woll kommen?«

 

Meene Mutter hatte über die Fliejeralarme Buch jeführt. Als wir zum fuffzichsten Mal mit alle Leute aus’m Haus nachts im Luftschutzkeller zusammensaßen, hatte se Pflaumenkuchen mitjebracht. Det is dann ’ne richtich schöne Feier jeworden und de meesten Hausbewohner hab’m sich hier erstmals näher kennenjelernt. Daraus hab ick die Erkenntnis jewonnen, det sich durch Not und Angst ’n echter Jemeinschaftssinn entwickeln kann.

 

Im Winter hatt’n wa oft schulfrei, denn wenn’s keene Kohle jab, blieben de Klassenzimmer kalt. Wir Jungs vertrieben uns dann de Zeit mit’m Uffsammeln von Splittern von die Flakjeschosse oder Sprengbomben. Det war’n richtje Schätze und Tauschobjekte für uns.

Der Abschied von Berlin

Im Jahr 1942, als ick Elfe war, kam der Abschied. Meen Erzeujer hatte eine Berufung nach Graz erhalten, det jehörte seit 1938 zum Jroßdeutschen Reich. Wat war ick da unjlücklich! Wat hab’ ick ma da nach Berlin zurückjesehnt, musste immazu an meene Freunde und de verlor’ne, jeliebte Heimat denken. Ick hab meen Berlin nie mehr verjessen, obwohl de damaljen Zeiten nich jrade rosich war’n. Ick vastand kaum een Wort von diese österreichischen Steiermärker. Da jab’s keene Kartoffeln, nee, det war’n uff eenmal ›Erdöpfel‹. Und zu de Tomaten saachte man ›Paradeiser‹, zum Blumenkohl ›Karfiol‹. Und eine Wolldecke hieß jetzt ›Kotz’n‹. Pfui!

 

Für meene Mitschüler – det war’n allet Katholische – galt ick als ›Ketzer‹. Und weil ick aus Berlin war, beschimpfte man mir als ›Piefke‹ oder ›Marmeladinger‹.

 

Doch es is unser Glück jewesen, det wa wechjezogen waren, denn schon sechs Wochen danach brannte unsere ehmaljes Haus nach einem Bombardemang vollständich aus. Andrerseits dauerte det Jastspiel in Graz nur knapp vier Jahre, denn 1946 wurden wa von de Österreicher 'heim ins Reich' jeschickt.

 

Tja, det war nur'n kleener Teil aus meene Biojrafie! Wat für uffrejende Sachen ick sonst noch erlebt habe? Uff Hochdeutsch hab ick einijes davon uffjeschrieben. Zum Beispiel wie ick nach 'nem Fliejerangriff vaschüttet wurde, wat ick mit de Soldateska von de sowjetische Rote Armee so alles erlebt habe, wie ick im Wald zwee Leichen von 'nem Baron und seener Jemahlin jefunden habe und so weiter. Det alles ist zu lesen im eBook bei BookRix unter dem Titel:

 

»April/Mai 1945: Ein Vierzehnjähriger erlebt das Ende des Zweiten Weltkriegs«

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   Claus H. Stumpff

 

 

A.) ROMANE

von Claus H. Stumpff

 

Der Schwur am Shaw Hill Castle

– ein mörderisches Komplott

Schottland-Kriminalroman mit

Detective Chief Inspector

Paul O'Brien vom CID Inverness

(Jetzt auch als Taschenbuch erhältlich

unter ISBN 978-1494945800)

 

Das schottische Medaillon

Schottland-Thriller und eine Art

«Reiseführer» durch die Highlands

mit Detective Chief Inspector

Paul O'Brien vom CID Inverness

(Jetzt auch als Taschenbuch erhältlich

unter ISBN 978-1494421380)

 

Der alte Wunderdoktor

Spannender Thriller mit

schicksalhaften Verstrickungen

und einem überraschendem Finale

ISBN 978-3-7309-7179-6

 

 

B.) ROMANE und MÄRCHEN

aus der Weltliteratur

in Neufassung und Überarbeitung

durch Claus H. Stumpff

 

Der Pirat

Realistischer Seeräuber-Roman

nach Captain Frederick Marryat

(1782 - 1848)

 

Der Schifbruch der Pacific

Familiendrama auf einer Koralleninsel

Klassiker der Seeabenteuerromane

nach Captain Frederick Marryat

(1782 - 1848)

 

Die Flusspiraten

Vom Kampf der Siedler im

›Wilden Westen‹ der Union gegen das

sich ausbreitende Bandenunwesen

Nach dem Roman

»Die Flusspiraten des Mississippi«

von Friedrich Gerstäcker (1816 - 1872)

ISBN 978-3-7309-8273-0

 

Die Regulatoren

Die abenteurliche Geschichte des

US-Bundesstaates Arizona

Nach dem Roman

»Die Regulatoren in Arkansas«

von Friedrich Gerstäcker (1816 - 1872)

ISBN- erst nach Freigabe von BookRix

 

Orientalische Geschichten - Teil I

- Das Gespensterschiff

- Die Errettung Fatmes

- Der falsche Prinz

nach Wilhelm Hauff (1802 - 1827)

 

Orientalische Geschichten - Teil II

- Almansor

- Saids Schicksale

- Der kleine Muck

nach Wilhelm Hauff (1802 - 1827)

 

Orientalische Geschichten - Teil III

- Die abgehauene Hand

- Kalif Storch

- Zwerg Nase

nach Wilhelm Hauff (1802 - 1827)

 

Zauberhafte Märchen - Teil I

- Das kalte Herz

- Der junge Engländer

- Der Reußenstein

- Die Höhle von Steenfoll

- Der Hirschgulden

nach Wilhelm Hauff (1802 - 1827)

 

Zauberhafte Märchen - Teil II

aus der Sammlung »Träumereien an

französischen Kaminen«,

nach Richard von Volkman-Leander

(1830 - 1889)

 

C.) KURZGESCHICHTEN

von Claus H. Stumpff

 

Gefürchtete Seeräuber

Spannende Erzählung

vom grausamen «Henker-Käpt'n»

Henning Feddersen, sowie über die

Piraterie in der Nordsee

im 19. Jahrhundert

 

Kommissar Bex

Drei mysteriöse Kriminalfälle

- Betörender Duft

- Ein ungewöhnlicher Tatort

- Das Engelsgesicht

 

Späte Vergeltung auf

Woodsford Castle

Kriminalerzählung á la Agatha Christie

 

Weitere Kurzgeschichten siehe

unter www.chsautor.de

Impressum

Texte: Claus H. Stumpff - www.chsautor.de
Bildmaterialien: Claus H. Stumpff; Coverfoto: Dr. Christian Stumpff, Berlin
Tag der Veröffentlichung: 12.03.2011

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