Kindheitserinnerungen im Kriegswinter 1944
Vorwort
Die Schriftstellerin und Pastorentochter Dr.phil. Gertrud Grote (1899 - 1986) war viele Jahre Lektorin und Übersetzerin bei den Verlagen C.H.Beck und Biederstein in München, sowie Maier in Ravensburg. Sie war maßgeblich beteiligt am Zustandekommen des großen Gedichtbands »DER EWIGE BRUNNEN« (Verlag C.H.Beck)
Das folgende Gedicht von Gertrud Grote entstand in den von ständigem Fliegeralarm begleiteten, düsteren Weihnachtstagen des Kriegswinters 1944 in München. Sie erinnerte sich darin mit Wehmut an ihre Kindheit im evangelischen Pfarrhaus des kleinen, am Westharz gelegenen Dorfes Düderode, wo sie mit vier jüngeren Schwestern - darunter meine Mutter - aufwuchs und in der St.Petri-Kirche nebenan der Weihnachtspredigt des geliebten Vaters lauschte.
Claus H. Stumpff - www.chsautor.de
Die lichterlose heil'ge Nacht ist da,
Die Dunkelste, die unser Leben sah.
Wann war man je daheim so heimatlos,
So arm, so bang, die Angst so tief und groß?
O, folgt mir zu dem einz'gen sanften Licht,
Das aus der Kindheit fernem Tale bricht.
Und wenn wir's auch nicht, ohne Tränen schau'n,
Es leuchtet lieblich in des Krieges Grau’n.
Unwissend waren wir, die kleine Schar,
Geschwätzig, brav, mit glattgezopftem Haar.
Wenn uns die Lampe um den Tisch gesellt,
Umschloß uns traulich unsre enge Welt.
Die Puppen waren schon zur Ruh gebracht,
Die Schularbeiten schlecht und recht gemacht.
Nun mühte man mit bunten Fäden sich,
Und stach voll Eifer Kreuz- und Kettenstich.
Das Jüngste saß im hohen Stuhl dabei.
Mit Hühnerhof, Bauklötzchen, Schäferei.
Noch Englein halb, doch schon voll Lernbegier,
Erspähend, was die Schwestern treiben hier.
Und war die Weihnachtsarbeit flott in Gang,
Erscholl ein kunstlos freudiger Gesang.
Da horchten auch die Eltern lächelnd hin,
Und manche Trübsal schwand aus ihrem Sinn.
So ging sie hin, die hoffnungsreiche Zeit.
Die braunen Kuchen waren schon bereit.
Nun rauschte es – das Wunder war ganz nah!
Wir fühlten ungeseh’n: Der Baum ist da!
Still lag das Dorf im grauen Winterlicht.
Die letzten Stunden – ach, wer kennt sie nicht!
O Weihnachtsungeduld, was kommt Dir gleich?
Wie harrt man gern am Tor zum Himmelreich!
Die Mutter eilig hin und wieder ging.
Geputzt war in der Stube jedes Ding.
Doch Alltag noch. Wir durften nicht hinaus.
Am Fenster sah'n wir nach dem Christkind aus.
Die Mäntel, Muffe, Handschuh acht und mehr,
Zum Ofen trugen wir sie sorglich her.
Nun war auch dieses Letzte noch getan.
Nun dämmerte der Abend schon heran.
Und leis begann das Wunder aufzublüh’n,
Wie Sterne, die am Himmelsgrund erglüh’n,
Wuchs aus den Kirchenfenstern milder Glanz
Der ersten Weihnachtskerzen, Kranz um Kranz.
Andächtig staunend standen wir bereit.
Die liebe Glocke sprach: »Nun ist es Zeit!«
Nie gab es süßern Klang im ganzen Jahr.
Wir sangen's oft, nun ward es wieder wahr.
O Kinderandacht vor dem Krippenbild,
Im Lichte schon – die Weihnacht halb erfüllt!
Die hohen Tannen. Lieder wohlvertraut,
Des Vaters Stimme, warm und kräftig, laut.
Wir fassten kaum der heil'gen Worte Sinn.
Wir blickten nur zur hellen Krippe hin.
Und was in unserm Wesen Unschuld war,
Das schwebte mit den Engeln zum Altar.
Doch blieb auch wach ein kleiner Erdenrest,
Der jubilierte: »Bald kommt u n s e r Fest!«
Und losch am Kirchenbaum das letzte Licht,
Wir fürchteten der Christnacht Dunkel nicht.
Die Stube kühl, es tickt die Dielenuhr,
Die Lampe trüb, im Haus Geflüster nur.
War dieser allerletzte Augenblick
Nicht süßer noch als der Erfüllung Glück?
Die Augen klar, die Schürzen steif und weiß,
Die Hände ruhe los, die Backen heiß,
So harrten wir des Glöckchens Silberklang.
Des Tones, unvergessen lebenslang.
Jetzt, jetzt! Er kam! Halb tat sich auf die Tür.
Im Spiegelschein des Baumes standen wir.
Und langsam führte uns der goldne Schein
Ins Paradies der Weihnachtsstube ein.
* * * * *
Längst liegt die alte Stube öd und leer.
Ein Grab im F'riedhof, weiter blieb nichts mehr
Doch wo ein Herz von unsern Herzen schlug,
Es stets die ”Weihnachtsstube“ mit sich trug.
Wir dachten ihrer in manch' frohem Jahr.
Nur heut’ erst wird ihr Wunder offenbar.
Kein Schrecken löscht ihr mildes Leuchten aus.
Wir weinen – doch sie winkt uns: „Seid zu Haus!”
* * * * *
Texte: © Claus H. Stumpff - www.chsautor.de
Tag der Veröffentlichung: 08.12.2009
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