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Ich sitze am Lagerfeuer. Meine Freunde lachen vor sich hin und trinken Bier. Ich starre nur verträumt in die tanzenden Flammen.
Unsere Zelte sind gerade fertig aufgebaut, das Feuer ist noch jung, doch der volle Mond steht bereits hoch am Himmel.
Wir sind auf einem Festival und genießen die Atmosphäre, welche hier alle Gemüter bestimmt. Die Menschen sind fröhlich und leben einfach vor sich hin, wenn auch nur für ein einziges Wochenende. Die Musik einer Band dröhnt melancholisch über unsere Köpfe hinweg und versiegt in der Schwärze der Nacht, zusammen mit dem Gelächter und Gegröle der Menschen.
Ich fühle mich wohl.
Als sich einige dunkle Stimmen nähern, hebe ich den Blick und entdecke eine Gruppe aus fünf jungen Männern, die sich genau auf uns zu bewegt. Mir scheint, sie gehören zu den Zelten, welche direkt an unsere grenzen und tatsächlich steuern sie nacheinander auf die zwei Zelte zu. Gerade, als auch der Letzte von ihnen lachend im Zelt verschwinden will, treffen sich unsere Blicke. Die Luft glimmt. Anders kann ich es nicht beschreiben. Dieser mir völlig Fremde zieht mich an sich. Nicht physisch, sondern mit seinem Blick. Wir sehen einander gebannt an. Im Lichte des Feuers erkenne ich eine bräunliche Färbung der Iris. Sein glattes braunes Haar hängt ihm verspielt ins Gesicht. Ein leichter Windzug durchfährt es und lässt es tanzen. Dann plötzlich wird er von einem seiner Freunde ins Zelt gezogen und wir verlieren uns. Ich starre das Zelt an. Ein ganz normales Zelt. Ich bete, dass der Fremde doch noch einmal seinen Kopf herausstrecken und etwas sagen würde, doch nichts geschieht. Das alles ging so schnell, dass meine Freunde es nicht einmal bemerkt haben. Sie sitzen, wie zuvor, lachend beieinander, einen Arm um die Schultern des Nachbarn gelegt und Bier trinkend. Wie ich so dasitze und ernsthaft darüber nachdenke, in das Zelt des Fremden zu huschen, da legt sich auch mir ein Arm über die Schultern und schiebt mich im Rhythmus der Musik hin und her. Ich lasse von dem Zelt ab. Der Bann ist gebrochen. Ich beschließe, schlafen zu gehen, denn dann wird es schneller Morgen sein und ich kann den Fremden wiedersehen. Also wünsche ich meinen Freunden eine gute Nacht, gehe mir noch die Zähne putzen und kuschle mich dann in meinen Schlafsack. Da ich nur mit Jungs hier bin, schlafe ich alleine in einem Zelt. Das ist auch gut so. Ich schließe die Augen und rufe mir noch einmal das Gesicht des Fremden ins Gedächtnis. Diese wunderbaren Augen...


Ich wache auf. Der Reißverschluss an meinem Zelt ist so laut. Erst als ich einen Schatten in meinem kleinen Zimmerchen herumhuschen sehe, begreife ich die Bedeutung dieses Geräuschs. Ich öffne erschrocken die Augen und suche den Bereich zu meinen Füßen nach dem Einbrecher ab. Ich beruhige mich. Gleichzeitig beginnt mein Herz schneller zu schlagen. Nicht vor Angst, sondern vor Freude. Der Fremde hockt zu meinen Füßen in meinem Zelt und starrt mich an. Ich krieche aus meinem Schlafsack. Er erhebt sich und kommt nahe an mich heran, um mich mit beiden Armen hochzuheben. Ich halte mich an seinem Hals fest und schließe die Augen. Ich kann spüren, wie meine nackten Füße das Zelt streifen, während wir selbiges verlassen.
Wir reden kein Wort. Wir sehen uns nicht an. Ich vertraue ihm blind. Die Nachtluft kühlt meine geröteten Wangen. Ein umherfliegendes Blatt streift mein nacktes Bein. Mir wird bewusst, dass ich gerade entführt werde, nichts anderes am Leib, als eine megakurze Schlafhose und ein lockeres T-Shirt. Mein Entführer trägt nicht einmal ein Oberteil. Nun setzt mich der Fremde ab. Ganz vorsichtig und langsam, als sei ich so wertvoll und zerbrechlich, dass schon der kleinste Fehlgriff mich zerschmettern könnte. Der Wind ist stärker geworden. Ich sitze jetzt auf grasigem Untergrund und rechts von mir fließt ein Fluss. Das silberne Mondlicht spiegelt sich im leichten Wellengang des Wassers. Die Bäume rauschen.
Mir ist warm. Ich fühle mich geborgen.
Erst jetzt sehe ich zu dem Fremden auf. Er sieht mich an. Emotionslos. Er streckt seine Hand nach meiner Wange aus und berührt sie sanft. Ich lächle ihn an und er lächelt zurück. Er kniet sich zu mir auf den weichen Untergrund und küsst mich. Ich schließe die Augen. Ein unbeschreibliches Gefühl inneren Friedens durchströmt mich und ich denke, dass muss der Himmel sein. Und tatsächlich fühle ich mich so schwerelos, dass ich erschrocken die Augen öffne, nur um festzustellen, dass ich noch immer festen Boden unter den Füßen habe. Der Fremde lässt von mir ab und grinst verlegen. Ich will nicht, dass er mich loslässt, doch ich lasse ihn gewähren.
„Ich bin übrigens Aric.“
Seine Stimmer ist so weich. Sie umschmeichelt mich wie eine schöne Melodie.
„Ich bin Janna.“
„Es tut mir leid, dass ich dich entführt habe, aber ich konnte einfach nicht anders.“
„Ich bin froh, dass du es getan hast. Ich wäre dir auch fast ins Zelt gefolgt.“
„Merkwürdig, oder?“
„Ja.“
Wir sehen uns an und lächeln. So geht das eine ganze Weile. Ich halte es nicht mehr aus und springe ihm um den Hals. Er scheint so etwas erwartet zu haben, denn er küsst mich im selben Moment. Ich umarme ihn ganz fest. Ich will für immer so verharren. Ich streichle über seinen bloßen Rücken. Er wird wärmer. Da berühren meine Finger etwas Plüschiges, etwas, dass sich bewegt. Verwirrt beende ich den Kuss und beobachte, was dort vor sich geht. Arics Haare werden heller, ebenso seine Augen. Aus seinen Schultern erwächst etwas leuchtend Weißes und entfaltet sich. Aric kniet vor mir und lächelt noch wärmer, als zuvor. Strahlend weiße Flügel erstrecken sich nun über ihm. Vor seinem Gesicht wehen weiße Haarsträhnen im Wind. Seine Augen strahlen eine Helligkeit aus, die mich beinahe blendet. Niemals zuvor habe ich etwas so Schönes gesehen. Ich sehe ihn an und lasse sein Licht auf mich wirken. Aric nimmt meine Hände in seine. Eine wohlige Wärme durchfährt meine Arme und meinen gesamten Körper. Ich kuschle mich instinktiv an seinen strahlenden Körper und schließe die Augen, während er schützend seine Arme um mich legt.
„Dass ist meine wahre Gestalt.“
Ich lächle seelenruhig.
„Bist du ein Engel?“
„Ja. Ich hatte es nur vergessen.“
„Was ist passiert?“
Er streicht über meine Stirn. Als ich die Augen öffne, blickt er mich direkt an, so eindringlich, dass ich weinen könnte.
„Was passiert ist? Ich habe eine Sterbliche geliebt.“
Ich beginne zu weinen.
„Und ich habe sie gefunden und mich erneut in sie verliebt.“
Ich streiche durch sein weiches Haar.
„Und ich habe mich in einen Engel verliebt.“
Ich höre ein Donnergrollen. Ich sehe in den Himmel und erschrecke vor den gewaltigen dunklen Wolkenbergen über uns, aus denen plötzlich Blitze zu Boden zischen. Heftiger Regen durchnässt mich und lässt meinen Körper nun doch frösteln. Arics Augen blicken erstarrt gen Himmel. Sein Körper bebt.
„Sie sind gekommen!“
Seine Stimme klingt entsetzt. Ich will ihn umklammern und nicht mehr loslassen, doch ich umschlinge nur meine Bettdecke. Ich blinzle in helles Licht. Meine Mutter steht am Fenster, die Vorhänge noch in der Hand.
„Aufstehen! Es ist spät, Janna.“ Sie lächelt und verlässt mein Zimmer.
Mein Zimmer...
Wie betäubt setze ich mich auf. Ich bin in meinem Zimmer, in meinem Bett.
War etwa alles nur ein Traum?
Wankend stehe ich auf und folge meiner Mutter in die Küche, wo sie gerade Frühstück zubereitet.
„Und? Freust du dich auf das Festival?“
Ich blinzle ungläubig zu ihr rüber. Sie wendet sich verwirrt vom Herd ab und mustert mich.
„Du weißt schon. Das Musikfestival, auf das du heute fährst. Freust du dich?“
Ich überlege kurz.
„Schätze schon.“
„Schätze schon? Seit Wochen redest du doch von nichts anderem mehr.“
„Ich bin noch müde.“
Ich gehe betäubt zurück in mein Zimmer, die Nachrufe meiner Mutter ignorierend und schließe die Tür ab. Ich setze mich auf mein Bett.
„Es muss ein Traum gewesen sein.“
Mir kommen die Tränen. Was für ein grausam schöner Traum. Er war so echt. Ich falle in meine Kissen und weine leise, genau wissend, dass auch meine Tränen nichts gegen den Schmerz in meiner Brust ausrichten können.


Nun bin ich erneut auf dem Festival. Ein Déjà-vu jagt das Nächste. Ich sitze mit meinen Freunden am Lagerfeuer. Alles ist genau, wie in meinem Traum. Sogar die Zelte neben unseren stehen da. Wie ich so dasitze und auf ein Wunder warte, höre ich erneut diese Männerstimmen. Ich springe auf, voller Vorfreude auf meinen Engel. Ich lasse die verwirrt dreinblickenden Männer an mir vorbeiziehen, doch als auch der Letzte in mein Blickfeld gerät und kein Aric zu sehen ist, da springe ich dem Fremden an den Arm und halte ihn fest. Verheult blicke ich ihn an.
„Wo ist Aric?“
Der Fremde schüttelt mich ab, als wäre ich ein unerwünschter Parasit.
„Wer soll das sein?“
Dann verschwindet er in seinem Zelt.
Ich stehe da. Es beginnt zu regnen. Meine Freunde sehen verwirrt zu mir auf, wissen aber nicht, was sie tun sollen. Ich gehe wortlos in mein Zelt und lege mich hin.
„Also wirklich nur ein Traum...“
Und wie ich mich so in meinen Schlafsack kuschle, während mein Herz erkaltet, wird mir eines klar.





Nie wieder werde ich jemand anderes lieben können.


Impressum

Texte: Copyright picture and text @ Melanie Kespohl
Tag der Veröffentlichung: 07.08.2010

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