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Was ist eigentlich Gesellschaft? Eine Ansammlung von Menschen, die wie Zahnräder ineinander greifen und jeden um sich herum beeinflussen? Und wenn wir alle nur Zahnräder sind, können wir diesem Uhrwerk überhaupt entkommen, oder sind wir auf ewig dazu verdammt, uns von unserem Umfeld lenken zu lassen?
Ich denke oft über die Menschen nach. Warum sind wir so schlecht, warum können wir oft nicht so sein, wie wir es gerne wären? Wieso kann ich morgens nicht zur Schule gehen und mich einfach auf meine netten Mitschüler freuen, anstatt jede Minute um meine bereits ziemlich bedeutungslose Position zu bangen? Und warum kann ich es nicht lassen, darauf zu achten, dass ich nichts Dummes Tue und von den anderen blöd angemacht werde, obwohl es mir doch egal ist, was die von mir denken. Denn gerade die, die sich sofort wegen eines Fehlers lustig machen, genau die sind es doch, bei denen ich keinen Wert darauf lege, dass sie mich mögen, denn solche Freunde braucht keiner. Warum bin ich so, wie ich bin und nicht wie mein Kopf mir sagt, wie ich sein sollte, wie ich innerlich, ganz tief verborgen, in Wirklichkeit bin? Ich weiß doch, dass mein eigentliches, mein bisher unerreichtes Ich, irgendwo in mir existiert. Größtenteils weiß ich sogar, wie es aussieht und dennoch schaffe ich es nicht, mich dementsprechend zu verhalten. Woran liegt das? An meiner Erziehung, meiner Kindheit, meinen schlechten Erfahrungen? Formt uns die Vergangenheit etwa so sehr, dass wir uns in Zukunft kaum mehr selbst beeinflussen können? Und wenn wir wirklich alle nur Zahnräder sind, dann brauchen wir ja gar nicht erst versuchen, uns selbst zu beeinflussen.
Wenn ich anfange, so nachzudenken, dann werde ich traurig und verzweifelt, ich lasse diese Gefühle jedoch verschlossen, denn ich weiß genau, mit der Erkenntnis könnte ich wohl nicht leben. Ich will weiterhin daran glauben, dass ich ich bin und kein Zahnrad, keine willenlose Marionette der Gesellschaft. Letztendlich kann doch niemand nachweisen, was wirklich ist. Nur Gott weiß es. Aber Gott will ich da gar nicht mit reinbringen, denn das überstiege nun wirklich meinen Horizont.
Wenn ich alle meine Gedanken aufschreibe, dann komme ich ja vielleicht darauf, warum ich nur immer so schrecklich verunsichert bin, warum ich mich kaum mehr so richtig geborgen fühle. Dass ich psychisch labil bin, weiß ich inzwischen längst, aber woher kommt das?
Und dann ist da noch mein Freund. Wir sind noch nicht lange zusammen, aber wenn ich ihn getroffen habe, am Wochenende, dann habe ich die nächsten Schultage auf einmal wieder weniger schlechte Laune. Aber woran liegt das? Fühle ich mich durch seine Liebe im Dasein, oder sogar im Nutzen auf dieser Welt bestätigt? Oder wirken die ausbrechenden Glücksgefühle noch nach einem Treffen weiter nach? Ist es Biologie, Pädagogik, Chemie, Physik oder irgendetwas Philosophisches?
Bisher sind das alles nur Fragen. In meinem Kopf wirbelt so vieles herum, ich kann einfach nur drauf losschreiben und sehen, was sich daraus ergibt.
Dass ich meine Gedanken über die Menschen nicht in ein Bild bannen kann, dass habe ich deutlich gemerkt. Ich mache mir so viel mehr Gedanken, als die meisten Anderen. „Mach dir doch keinen Kopf“, heißt es dann oft von allen Seiten, „Mach doch einfach mal deinen Kopf leer.“ Den Kopf leer machen? Einfach so? Wenn sie das sagen, dann heißt das ja wohl, dass die Menschen um mich herum zu so etwas in der Lage sind. Wieso kann ich es dann nicht? An einem Tag, an dem der Himmel wolkenverhangen ist und schon am frühen Morgen alles schief geht, da kann ich oftmals keine gute Laune mehr bekommen, komme was wolle. Dann will ich einfach nur in Ruhe gelassen werden und kann nicht aufhören, über die banalsten Dinge nachzudenken. Solche alltäglichen Sachen, wie zum Beispiel:
Er hat mir auf die Schulter geklopft. Mag er mich doch ganz gern oder macht er das bei jedem?


ODER
Sie hat so eine tolle Stimme, dabei dachte ich doch, ich könne schon sehr gut singen.


Dann verliere ich mich in der Melancholie und werde deprimiert. Bei jeder Kleinigkeit, den ganzen Tag über. Außer ich habe sehr gute Laune, dann denke ich wohl einfach nicht so nach.
Dann ist da auch noch das Problem der Selbstverwirklichung. Mit 16 beendete ich mein erstes Buch. Alle, die es lasen, lobten es in höchsten Tönen. Nur manchen war es zu kitschig. Damals suchte ich emsig nach irgendeiner Möglichkeit, mein Buch publik zu bekommen, ohne Erfolg. Ein Verlag zum Beispiel sagte mir, dass sie mein Buch verlegen würden, als ich es ihnen schickte. Ich freute mich schon wie ein bunter Hund. Dann kam der Anhang, die Bedingungen. Mehr als 1000¤ wollten sie dafür haben. Klar, dachte ich mir. Wenn mein Buch gut wäre, bräuchten die das Geld ja nicht, dass würde dann ja das Buch einbringen. Ich habe mein Manuskript bis heute noch nicht an große Verlage geschickt. Vielleicht aus Faulheit, vielleicht aus Angst davor, ein halbes Jahr auf Antwort zu warten, nur um dann eine Absage zu bekommen. Auch passende Schreibwettbewerbe oder so etwas fand ich nicht. Inzwischen kann jeder das Buch kostenlos im Internet in einer Community lesen. Damals habe ich aber viel geweint. Wieso gibt es keine Möglichkeiten, wieso konnte mir keiner helfen? Wenn mein Buch doch so gut ist und mein Schreibstil angeblich so toll ist, warum gibt es dann keine Möglichkeiten? Wie funktioniert so etwas? Braucht es wirklich Kontakte. Haben nur Menschen mit viel Geld die Chance, sich selbst zu verwirklichen? Dieser Gedanke tut mir im Herzen weh. Alle meine Träume kann ich erst erfüllen, wenn ich eines Tages mal gutes Geld verdiene.
Nach all diesen Gedanken fühle ich mich bereits ausgelaugt, so sehr rauben sie mir die Energie. Wer bin ich schon? Eine Durchschnittschülerin, eher schlechter, eine gute, aber nicht besonders begabte Sängerin, so scheint mir. Am Gymnasium scheinen ebenfalls alle gut schreiben zu können, also bin ich auch nur eine Durchschnittsschreiberin in meinem Umfeld? Früher war ich mal echt gut im Zeichnen, im Gegensatz zu anderen. Dann haben sie mich fast alle eingeholt, mit den Jahren und seit dem zeichne ich nur noch sehr selten und auch nur Sachen, die mir gelingen können, nichts Schwieriges mehr. Wenn ich mich mit diesen Gedanken in meinem Zimmer umsehe, so vollgestopft mit Dekorationen, viel im asiatischen Stil, spiegelt mein Zimmer dann vielleicht den Versuch wieder, mich als normales Wesen in etwas Besonderes, Einzigartiges zu verwandeln? Dass ich einfach alles Schöne, Kleinigkeiten, ein paar selbstbemalte Leinwände, Teile aus meinem Lieblingsmanga an meinen Wänden verteile, so wie ich auch versuche, aus vielen kleinen, scheinbar nichtigen positiven Eigenschaften mein Ich als Ganzes zu erschaffen? Dass ich nach jedem Strohhalm greife, der mich zu meiner gewünschten Persönlichkeit führen könnte, bis ich eines Tages den entscheidenden Strohhalm ergreife, zufällig herausgepickt aus einer Tüte mit Millionen von Strohhalmen, der mich endlich zu dem Menschen macht, der ich sein möchte?
Ich bin ein sehr unsicherer Mensch. Eine ganze Zeit lang wurde ich gemobbt. Eigentlich war es weniger Mobbing, als totales Ignorieren. Eigentlich kann ich mich auch kaum mehr erinnern, ich habe diese 2 schlimmsten Jahre wohl verdrängt. Noch heute habe ich unbändige Angst davor, allein zu sein, wieder ignoriert zu werden. Deshalb bange ich wohl so um meinen Status. Noch heute gehe ich mit vielen Menschen zur Schule, die mir damals sehr wehgetan haben, nur dass meine Erinnerungen zu undeutlich geworden sind und ich nun mit diesen Menschen auskommen muss. Ich hoffe ja, dass meine Unsicherheit nachlässt, wenn ich erst einmal die Schule verlassen habe und in einem ganz neuen Umfeld von vorne beginne. Vielleicht schleppe ich unbewusst ja wirklich meine Gefühle von damals mit durch die Schule, solange ich unter denen sitze, die mir das damals angetan haben. Aber wenn ich doch so unsicher bin, warum war ich dann überglücklich, als ich einem Jungen in der Schule gestanden habe, was ich für ihn empfinde und er mich hat abblitzen ließ? War es nur, weil er es total nett getan hatte oder weil ich stolz war, dass geschafft zu haben? Wieso gab mir diese Erfahrung nicht ein negatives Gefühl? Natürlich war ich leicht enttäuscht, aber nur kurzzeitig.
Ich weiß nicht, ob ich meine Mobbingjahre als negativ oder positiv sehen soll. Zum Einen bleibt die Verunsicherung, die natürlich nicht nur darauf zurückzuführen ist. Zum Anderen halte ich es jedoch für sehr wahrscheinlich, dass ich nur durch diese schlechte Erfahrung an mir selbst so eine mitfühlende Person geworden bin. Und dafür bin ich nun wirklich dankbar. Wie wäre ich heute, wenn ich damals beliebt gewesen wäre? Ich glaube, ich will es gar nicht wissen.
So viele meiner wirklich lieben Freunde waren einmal Mobbingopfer gewesen oder sind teilweise noch welche. Meine beste Freundin musste sogar einmal die Schule wechseln. Was bedeutet das? Können nur die Menschen wirklich nett sein, die durch die Gesellschaft erfahren haben, was Leiden bedeutet? Darauf weiß ich wirklich keine Antwort, aber ich finde die Theorie alleine schon tragisch, dass ich es so empfinde. Mir ist nichts wichtiger, als die zwischenmenschliche Beziehung. Wo andere ihre besten Freunde fallen lassen, um nur für die Schule zu leben, da hört mein Verständnis auf. Ich würde bei so einer Lebensart wahnsinnig werden, ich könnte das nicht. Aber warum nicht? Wieso bin ich in meiner gesamten Einstellung so anders? Und wieso kommt mir meine Art zu leben oft als so viel richtiger vor? Vielleicht ist es ja eine „Das Leben ist kurz“ - Philosophie, die in meinem Kopf herumschwirrt.
Ich bin mit der Vorstellung aufgewachsen, dass wir alle eins sind. Schon alleine durch all die Walt Disney Zeichentrickfilme, von denen wir zu Hause noch heute massig Videos haben, die ich auch immer noch gerne ansehe. Es betrübt mich jedoch, dass diese Filme utopisch sind. Selbst wenn es theoretisch möglich wäre, dass die Menschen glücklich sind zusammen und sich als eine Einheit fühlen, vielleicht liegt es nicht in unserer Natur. Ich träume von einer Gesellschaft, in der die Menschen freundlich sind und man sich keine Gedanken um Position oder Aussehen machen muss. Ich wünschte, unsere Triebe, immer an erster Stelle stehen zu wollen, in welchem Bereich auch immer, würden durch die Evolution eines Tages ausgelöscht. Wie wäre diese Welt wohl, wenn alle nett miteinander umgehen würden? Die Vorstellung ist so unlogisch und surreal, dass ich es mir nicht einmal erträumen könnte. Dann würden ja alle Menschen um einen herum nur noch lachen, oder würden wir uns dann gar nichts mehr aus Freundlichkeit machen? Wären Freunde für uns dann etwas so Alltägliches, dass es uns fast schon wieder egal ist? Brauchen wir die vielen schwarzen Schafe um uns herum, um die Engel wahrzunehmen? Wüsste ich meine Freunde auch noch so sehr zu schätzen, wenn ich Hunderte davon hätte? Wenn mir an jeder Ecke jemand entgegengrinsen würde? Oder wäre der Mensch dann einfach nur noch glücklich, weil ihn niemand verletzt? Dann wären Krankheit und Tod wohl die einzigen Sachen, wegen denen es Trauer gebe. Aber trotzdem ist die Gesellschaft so, wie sie ist. Aber warum denn nur? Hat nicht jeder Mensch das Interesse, dass alle nett zu ihm sind? Oder brauchen diese Menschen einfach den Konflikt? Müssen sie sich unbedingt dauernd selbst etwas beweisen? Und gehöre ich insgeheim auch zu diesen Menschen, gerade weil ich von „diesen Menschen“ rede? Und wo fängt diese Einstellung an? Bei unseren evolutionären Anfängen oder spielt da wieder die Erziehung als entscheidender Faktor mit? Gibt es die perfekte Erziehung? Und hat man überhaupt die geringste Chance, heutzutage zu überleben, ohne ab und zu gemein zu sein? Gibt es überhaupt irgendein Lebewesen, irgendeine Pflanze, die ohne Konkurrenz lebt? Wo wir dann auch wieder bei Gott wären. Hat er das beabsichtigt? Ist es wirklich die Evolution, die uns zur Konkurrenz veranlasst? Wenn ja, warum hat Gott dafür gesorgt, dass wir uns so und nicht anders entwickeln? Ich denke, selbst die größten Wissenschaftler könnten mir da keine befriedigende Antwort geben. Ja, Konkurrenzverhalten. Ohne könnten wir nicht leben, blabla. Vielleicht wären wir dann auch längst nicht mehr da, ohne Mord und Todschlag. Vielleicht wäre die Welt dann längst überbevölkert. Vielleicht macht mir die Frage Gesellschaft auch nur so zu schaffen, weil sich der Mensch zu einem Wesen mit hohem Denkvermögen entwickelt hat. Vielleicht ist das einfach der große Fehler der Evolution. Wir können nicht mehr ohne Konkurrenz. Gerade weil wir denken. Als das Leben noch kurz war und die Zeit dabei draufging, uns Nahrung zu suchen, da brauchten wir nichts weiter. Wir mussten uns nicht selbst verwirklichen um glücklich zu sein.
Ich glaube nicht daran, dass es eines Tages einmal friedlich zugehen wird, zwischen den Menschen. Deshalb muss sich jeder an die paar Menschen klammern, denen er wirklich vertrauen kann. Und selbst mit denen, denen man nicht vertrauen kann, redet man noch, weil man sonst kaum wen zum Reden hätte. Ich freue mich, wenn ich im Bus oder sonst wo jemanden treffe, mit dem ich reden kann, selbst wenn ich weiß, dass derjenige nur so nett tut. Dann muss ich halt aufpassen, was ich sage, dann sollen die halt lästern, wenn’s denen Spaß macht. Ich spiele halt mit. Nach dem Abitur kann’s mir eh egal sein, was sie heute oder morgen reden. Die haben alle einen falschen Eindruck von mir, habe ich das Gefühl. Manchmal sind sie so überrascht, wenn sie mich auf Partys treffen und ich abfeiere, nur weil sie nie auf den Gedanken gekommen sind, dass ich auch so drauf bin, wie sie, nur halt netter. Ja, ich halte mich für nett. Und wenn ich gemein bin, dann direkt und ehrlich. Wenn mir was nicht passt, dann sage ich das. Deshalb können meine Freunde sich bei mir auch so sicher sein. Sie wissen bei mir, woran sie sind, wohingegen die meisten anderen mir das nicht mal abkaufen, dass ich wirklich so ehrlich bin. Das verletzt mich noch mit am meisten, wenn mir plötzlich das Lügen vorgeworfen wird und ich dann nicht weiß, wie ich das Gegenteil beweisen soll. Was soll ein Mensch denn tun, damit die Anderen, die so viele Intrigen gewohnt sind, einem ehrlichen Menschen auch glauben? Ich bin stolz auf meine Ehrlichkeit und gleichzeitig traurig, dass so viele Menschen um mich herum damit gar nicht umgehen können. Ich suche mir Freunde, die das an mir zu schätzen wissen.
Einmal, da war ich kurzzeitig total verzweifelt. Ich war einen Tag nicht in der Schule gewesen, weil ich wieder mal mit den Nerven am Ende gewesen war. Ich habe dann mit einer Schul – „Freundin“ gechattet, und sie nach den Hausaufgaben gefragt. Sie hat mich sofort angefahren, dass ich die wüsste, wenn ich da gewesen wäre. Sie machte mir dann den Vorwurf, dass es Leute gebe, die sich auf mich verlassen. Es hat sie total wütend gemacht, dass ich „schwänze“ und jemanden mit einer Gruppenarbeit alleine lasse. Damit meinte sie nicht mal sich selbst. Ich hab ihr dann erklärt, dass es mir total dreckig ging, sie meinte nur, dass jeder so seine Probleme habe, so nach dem Motto, die schwänzen ja auch nicht. Ich habe sie dann gefragt, ob derjenige, mit dem ich in der Schule hätte arbeiten müssen, sauer war. Sie meinte, er wäre richtig wütend gewesen. Das traf mich hart, weil ich ihn zuvor noch angerufen hatte, um alles zu klären und er einen auf verständnisvoll gemacht hatte. Ich bin darauf in mein Zimmer und hab nachgedacht. Für ein paar Stunden hatte ich das Gefühl, dass mich die Selbstzweifel auffraßen, dass ich mir selbst eine Identität zugelogen hatte, um die Wahrheit verkraften zu können. Ich begann zu überlegen:
Bin ich wirklich so ein unzuverlässiger Mensch? Und wenn mir nie jemand glaubt, lüge ich dann vielleicht wirklich dauernd, ohne es zu merken? Ist es normal, dass es einem so dreckig geht, dass man nur noch heulen will? Bin ich dann wirklich einfach nur faul, wenn ich zu Hause bleibe? Und wenn es allen insgeheim so geht wie mir, bin ich dann nur ein Weichei? Und wird es mir dann mein Leben lang so gehen? Will ich dann überhaupt leben, wenn das völlig normal ist, innerlich so zu leiden?


Mich hat diese Vorstellung so verzweifelt, dass ich meine beste Freundin anrief und geweint habe. Sie kam dann sofort vorbei, wofür ich ihr unendlich dankbar bin. Ich habe ihr die Situation erklärt und gefragt, ob ich wirklich so scheiße bin. Sie war nur total geschockt, dass ich so etwas denken konnte.
„Du bist mit Abstand der ehrlichste Mensch, den ich kenne und da bin ich total dankbar für! Dir kann ich wenigstens vertrauen. Das ist sehr wichtig für mich. Hör doch nicht darauf, was die sagt.“
Damit hat sie mich gerettet. Ich wäre wohl sonst abgestürzt. Ich habe ab und zu einfach das Gefühl, dass alle Welt gegen mich ist.
Bald darauf war ich noch einmal bei der Schulpsychiaterin. Sie hatte einen Test von mir ausgewertet und mir gesagt, dass es mir wirklich unnormal schlecht ginge, im Gegensatz zu anderen und dass es auf jeden Fall gut gewesen war, zu ihr zu kommen. Mich hat das unendlich gefreut. Ich war also kein faules Weichei. Ich bin wohl wirklich labiler als die meisten Anderen. Am liebsten hätte ich das der Mitschülerin sofort unter die Nase gerieben, aber was soll’s. Ich habe gar nicht mehr vor, es ihr zu sagen. Mir reicht es zu wissen, dass sie Unrecht hat.
Auch wegen der Gruppenarbeit habe ich noch einmal mit dem Mitschüler geredet, der so sauer gewesen sein soll. Er wäre erst nur sauer gewesen, weil er gedacht habe, dass er jetzt alles alleine machen müsse. Als ich angerufen habe, damit er mir Aufgaben fürs Wochenende übertragen konnte, war er besänftigt gewesen.
Ich glaube, dass ich einen guten Charakter habe. Nur das geringe Selbstbewusstsein stört noch. Wenn ich das weg habe, dann bin ich schon sehr nahe an meinem versteckten Ich.
Inzwischen habe ich die Einstellung, dass mir die Leute egal sein können, die mich nicht mögen. Ich suche mir Freunde, die mich so mögen, wie ich bin und dass sind dann auch meistens die allerbesten Freunde, bei denen ich keine Angst haben muss. Warum soll ich mich zwanghaft in eine Gesellschaft einbringen, die mich gar nicht will? Ich muss niemandem etwas beweisen. Letztendlich zählt für mich nur, dass ich mich selbst mögen kann und dass ich Freunde habe, die mich zu schätzen wissen. Vielleicht mache ich mir das Leben mit dieser Einstellung schwer, aber gleichzeitig mache ich es mir auch leichter. Auch wenn ich mich in dieser Gesellschaft nicht wohl fühle, ich für mich fühle mich wohl.
Ich habe zwei Lieblingssprüche:
1. Ein Tag ohne Lächeln, ist ein verlorener Tag.
2. Für die Welt bist du nur ein Mensch, aber für einen Menschen, bist du die Welt.
Nach dieser Philosophie versuche ich zu leben, unabhängig davon, was die Gesellschaft von mir verlangt. Ich werde es auch auf meine Weise schaffen. Und vielleicht stecke ich ja sogar ein paar Menschen um mich herum mit dieser Art zu Denken an.
Bin ich nun ein Zahnrad? Keine Ahnung. So, wie ich mich entgegengesetzt meines Umfeldes entwickle, kann ich zumindest sagen, dass ich mich, wenn ich eines bin, zumindest ein bisschen dagegen wehren kann, schnell gedreht zu werden. Ich werde nie die Antwort wissen, aber ich lebe so, als sei ich keines. Wenn jemand einmal herausfinden sollte, dass wir wirklich nur aus unserer Umwelt entstehen, dann will ich es nicht wissen. Wenn ich ein Zahnrad bin, dann kann ich doch außerdem nur unterschiedlich gedreht werden, links herum, rechts herum, schnell oder langsam. Aber wer bestimmt, welche Farbe ich als Zahnrad habe, welche Größe, wie viele Zacken. Ich bin ich und kein Zahnrad, egal was für Zweifel manchmal über mich kommen.


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Texte: copyright by M. K.(picture and story)
Tag der Veröffentlichung: 14.06.2009

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