Ich hatte vor ca. 5 Wochen einen Unfall. Banjo...ähm, mein Hund und ich waren auf unserer Abendtour und es war zwar noch nicht ganz, aber doch schon ziemlich finster. Mein Vierbeiner ist so einer von diesen ‚Ponyhunden’ - ziemlich groß gewachsene Deutsche Dogge, kurzes Fell in weiß mit Flecken in allen möglichen Grauschattierungen bis hin zu einigen vereinzelten schwarzen Stellen. Sein Herz und seine Freude sind wohl ebenso groß denn er hat trotz seiner mittlerweile 8 Jahre immer noch eine ziemlich überschäumende Art.
Ok, also Banjo hatte irgendwas weiter vorne entdeckt, was in interessierte und lief einige Meter weg von mir, verschwand kurz darauf gänzlich aus meinem Blickfeld. Ich machte mir keine großen Gedanken, denn ich wußte, daß ich ihn im Fall des Falles nur zu rufen brauchte.
Schließlich war es für ihn, daß wir noch unterwegs waren und meiner Ansicht nach, sollte er sich ruhig auch ein bißchen Spaß gönnen. Ein wenig beschlich mich das schlechte Gewissen, weil ich ihn an diesem Tag ziemlich lange hatte allein lassen müssen.
Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr und blieb stehen, weil ich dachte es sei Banjo, der da wie eine riesige Kanonenkugel auf mich zuwalzte. Mein Riesenbaby machte sowas öfter und bis jetzt hatte er es immer noch geschafft, rechtzeitig anzuhalten. Doch ich konnte in solchen Situationen anscheinend einen ängstlichen Gesichtsausdruck nicht verhindern. Stellen Sie sich einen Ballettänzer mit dem Ball in der Hand, während eines laufenden Spiels auf einem American Football Feld vor. Dann haben Sie es.
Genau darin schien auch der Kick für Banjo bei diesem „Spiel“ zu bestehen. Denn meist angelte er dann mit der einen Pfote meinen abwehrend erhobenen Arm herunter, die andere freundschaftlich auf die Schulter gelegt, und drückte mir einen seiner sehr feuchten Hundeküsse ins Gesicht. Beinahe als wollte er sagen »Ist ja gut Boss, hab doch nur Spaß gemacht«. Doch an diesem Tag war es anders.
Ich kann nicht genau sagen, was abgegangen ist, aber ich erinnere mich an einen heftigen Schlag, als wär ich von einem LKW gerammt worden, was aber mitten auf einer Wiese eher unwahrscheinlich ist. Dann gingen mir für eine unbekannte Zeitspanne die Lichter aus.
Das nächste, was ich wahrnahm war eine grau gesprenkelte Schnauze in luftiger Höhe über mir, heftige Schmerzen - vor allem in meinem rechten Oberarm. Als ich wieder zu mir kam, schickte die Sonne gerade ihre letzten Strahlen zwischen den Bäumen hindurch, ehe sie die Welt der Dunkelheit überließ.
›Was war DAS denn?‹ schrie die Stimme in meinem Kopf Antworten einfordernd, zu denen ich noch nicht in der Lage war. Ein ungutes Gefühl machte sich in der Magengegend breit. Eine unklare, instinktive Regung, die ich vorerst nicht einordnen konnte.
Immer noch kam es mir vor, als wären meine Knochen in tausend Stücke zerbrochen. Ich wäre gerne einfach liegengeblieben. Doch ein anderer Teil meines ramponierten Schädels trieb mich zur Eile. Endlich hochkommen und verschwinden.
Banjo stieß mich an und winselte besorgt und ebenfalls unruhig. So ein großer, starker Hund und mindestens genauso aufgeregt wie ich – kein sehr gutes Gefühl, das kann ich Ihnen sagen.
Ich schaffte es, mich schwerfällig in eine sitzende Position zu begeben. Mein grauer Riese, fixierte wie ich nun bemerkte, immer einen Punkt in der Ferne und dann wieder mich. Noch mehr auf mich eindrängend. Am liebsten hätte er mich wohl einfach im Genick geschnappt, wie einen müden Welpen.
Mich hatte jedoch schon dieser vergleichsweise harmlose Lagewechsel in ein rasch kreisendes Ringelspiel versetzt. Ich befühlte meinen Arm und griff in etwas feuchtes, leicht Klebriges. Als ich die Finger wieder zurückzog sah ich, daß sie blutverschmiert waren.
Ganz allmählich verlangsamte das Ringelspiel im Kopf seine Fahrt, was mir die Chance ließ, wieder etwas mehr in der Wirklichkeit anzukommen. Als ich in die Richtung sah, in die Banjo die ganze Zeit starrte, vermeinte ich ein Paar bernsteinfarbene Augen zu erkennen, die uns aus einiger Entfernung in den Büschen verborgen anstarrten. Konnte aber genausogut die untergehende Sonne einen Streich gespielt haben.
Es kostete mich einige Mühe, aber beim Licht des gerade heraufziehenden Mondes hatte ich es endlich fertiggebracht, mich auf meine beiden Beine und in senkrechte Lage zu bringen. Reichlich wackelig noch, aber irgendwie schaffte ich es einen Fuß vor den anderen zu setzen. Mehr war erst einmal auch nicht nötig um mich nach Hause zu schleppen. Mein Zustand ähnelte einem Verdurstenden in der Wüste. Zwischen Wahn und Wirklichkeit dahindümpelnd.
Da brauchte ich keinen Spiegel um zu wissen, daß ich wie einmal gegessen und wieder ausgespuckt aussah. Genauso fühlte es sich auch an. Der gelegentliche sorgenvolle Seitenblick von Banjos braunen Augen der mich traf, bestätigte meinen Eindruck. Als wir den Tatort verließen, hatte wenigstens er sich wieder einigermaßen gefangen. Sich nah an meiner Seite haltend blieb er die ganze Zeit neben mir. Ich zog eine Dreck- und Blutspur hinter mir her, aber darum konnte ich mich jetzt sicher nicht kümmern. Ich war irgendwie froh, daß außer meinem Hund und mir keiner mehr unterwegs war. Die einzigen die uns begegneten, waren eine Katze, die fauchend und mit aufgestellten Haaren die Flucht ergriff und ein Igel, der auf die andere Straßenseite huschte.
Endlich vor meiner Haustür angekommen schaffte ich es erst im dritten Anlauf, meinen Schlüsselbund mit zittrigen Fingern aus der Tasche meiner grauen Trainingsjacke hervorzuziehen, den zu meiner Tür passenden Schlüssel zu finden. Ihn dann auch noch in den schmalen Schlitz des Zylinderschlosses zu bugsieren, stellte sich auch etwas schwieriger als sonst heraus. Wellenartig auftretende Übelkeit ließ mich würgen.
Endlich - ich hatte mein Heim wieder zurückerobert. Ich ließ Banjo ein und gab der Tür dann über ihn hinweg einen leichten Stoß damit sie wieder zufiel. Die horrorfilmliken blutigen Fingerabdrücke, die ich dabei an der Außenseite hinterließ, waren mir herzlich egal. Ich wackelte unter Banjos wachsamen Augen ins Bad, drehte nur die kleine Beleuchtung beim Spiegel auf. Den Blick hinein sparte ich mir, auch darüber weiter nachzudenken, wer oder was eigentlich an meiner Verfassung schuld war.
Vorsichtig schälte ich meine Kleidung soweit nötig, von meinem Körper. Ich hätte zu einem Arzt gehen, oder die Rettung anrufen sollen...viel zu anstrengend und die vielen Fragen, auf die ich sowieso keine Antwort hatte, die mir noch mehr Energie stehlen würden.
Also restaurierte ich mich notdürftig selber, ließ alles liegen wo es war und wankte in mein Schlafzimmer, wo ich wie ein gefällter Baum in mein Bett und Sekunden darauf in Schlaf fiel. Banjo, der mich seit unserer Rückkehr nicht mehr aus den Augen gelassen hatte und unsicher mit der Rute auf den Boden trommelte, wann immer sich unsere Blicke trafen, trollte sich zu guter Letzt doch in sein Körbchen im Zimmer nebenan, wie ich in einer kurzen Dämmerphase noch mitbekam. An dieser Stelle hätte der Spuk vorbei sein können, aber nein im Gegenteil - es fing grade erst richtig an.
Da waren sie wieder diese rätselhaften, bernsteinfarbenen Augen, die mich aus dem Dunkel anstarrten. Viel näher, als mir eigentlich lieb war. Obwohl mich auch diesmal große Furcht erfüllte, blieb ich wie an einem unsichtbaren Seil festgebunden. Es hatte etwas von einem Reh, das in die Scheinwerfer des Autos starrt, unfähig sich zu regen.
Das Wesen näherte sich mir und nach und nach wurden die Konturen deutlicher. Gelbliche Reißzähne blitzten mich aus der leicht geöffneten Schnauze an. Vorsichtig setzte es eine Pfote vor die andere, mich mit den gelben Augen richtiggehend hypnotisierend. Im ersten näheren Hinsehen hatte ich es für einen schwarzen Schäferhund gehalten. Doch ein Hund hätte mich nicht so derart aufgeregt. Obwohl mein Puls raste, mir der Schweiß ausbrach, konnte ich mich immer noch nicht vom Fleck rühren, oder auch nur den Blick abwenden.
Schlicht Instinkt war es, der mich lähmte, denn das was da vor mir stand, war schon seit dem Anbeginn der Zeiten als Feind in der Hirnstruktur- nicht nur der Menschen - verankert.
Es war in Wahrheit ein leibhaftiger Wolf - genauer gesagt eine Wölfin. Mit jedem Schritt den das Raubtier auf mich zukam, regte es sich mehr unter meinen Verbänden - erst schmerzhaft, dann juckte es wie verrückt. Ich wollte aufschreien, weglaufen doch nichts von alledem war ich im Stande auch nur ansatzweise wirklich zu tun.
Die Fähe sah mich mit beinahe mütterlichem Blick an. Meine praktische Erfahrung mit Wölfen war bis zu diesem Zeitpunkt auf gelegentliche Tierdokus, Zeitungsartikel und Tierlexika beschränkt auch im Zoo hatte ich die traurigen Abklatsche der Jäger gesehen - kurz: beinahe Null. Nicht, daß ich nichts für sie übrig gehabt hätte. Ausgehend von dem, was ich von Hunden her kannte, schätzte ich sie auf ungefähr 3-4 Jahre.
Seltsamerweise wurde ich ruhiger, je länger die Begegnung andauerte, doch von entspannt und gefaßt immer noch meilenweit entfernt.
Die Wölfin hielt sich in einigem Abstand von mir. Ihre Ohren und ihr Blick waren aufmerksam auf mich gerichtet, ihre Rute wedelte leicht. Sie schätzte mich ab, wie ich sie. Im Gegensatz zu mir, machte sie nicht den Eindruck, mich auch nur ansatzweise für eine Bedrohung zu halten.
›Warum hat sie keine Angst vor mir - etwa Tollwut, oder so?‹ ging es mir durch den Kopf. Das würde wenigstens das seltsame Verhalten erklären. Mein Hirn war von der Situation heillos überfordert und bombardierte mich mit Erklärungsversuchen, Erinnerungsstücken und noch mehr Fragen.
Ihre Augen - ich fühlte mich, als würde sie geradewegs in mein Innerstes schauen. Um nicht zu sagen durch mich hindurch - den Menschen hinter dem Menschen sehen.
Unvermittelt begann die Wölfin zu sprechen »Warum hast du solche Angst vor mir? « fragte sie anscheinend ehrlich verwundert und musterte mich dabei von oben nach unten. ›Whoa, das...ich muß verrückt sein...das ist es - ich dreh durch...unmöglich‹ protestierte meine innere Stimme. Ich schüttelte heftig meinen Kopf um dieses Gespenst – denn nur das konnte sie sein - endlich loszuwerden.
Ein Wolf bei mir zu Hause und dann auch noch reden...einfach unfaßbar.
»Nein, du bist keineswegs verrückt. Ich habe dich auserwählt, doch da ist wirklich nichts, was deine Furcht rechtfertigen würde - glaub mir« fuhr die Fähe beruhigend mit einer kleinen Prise Belustigung in der Stimme fort, als hätte sie meine Gedanken erraten. Die Ohren zuckten leicht. Ihre Stimme hatte einen leicht knurrigen Unterton. Während sie sprach, war einer ihrer Fangzähne keck für ein paar Augenblicke unter ihren Lefzen hervorgerutscht.
›Auserwählt...ja sicher. Wofür - den kleinen Snack für zwischendurch? Ich bin zu Hause, ich hatte einen Unfall, aber ich bin zu Hause und liege in meinem Bett. Ein Traum...nur ein Traum‹ machte mein Hirn einen weiteren, kläglichen Versuch, dieser schrägen Situation einen rationalen Anstrich zu geben.
Die schwarze Wölfin legte die Ohren an und zog ein wenig den Kopf zwischen die Schultern. »Weißt du, so hat das keinen Sinn...hast du denn wirklich ALLES vergessen? « Nun wirkte sie ein wenig geknickt - hatte ich sie gekränkt? Wenn ja, womit und woran sollte ich mich erinnern? Ich hatte wirklich beim besten Willen keinen Plan worauf sie hinauswollte. »Vielleicht brauchst du einfach noch ein wenig Zeit. Ich werde wiederkommen« mit diesen Worten wandte sie sich zum Gehen. Sie verschmolz mit der Schwärze der Umgebung, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. »Übrigens...ich heiße Unatala. Achte auf die Zeichen, dann fällt es dir vielleicht wieder ein« fügte die Fähe kryptisch aus dem Dunkel hinzu, ehe sie endgültig verschwand.
Eigentlich hätte ich froh sein sollen - schließlich hatte ich erreicht was ich wollte. Die rätselhafte Wölfin, von der ich mir nicht einmal sicher war, daß es sie gab, war weg. Trotzdem fühlte ich mich nun alles andere als gut damit. Der Rest der Nacht verlief störungsfrei. Beinahe jedenfalls. Erst der gekaufte den ich mit einem energischen Hieb zum Schweigen brachte, dann kurz darauf mein vierbeiniger Wecker, in Gestalt von Banjo, riß mich zur Unzeit aus meiner Nachtruhe.
Banjo hatte Organisationstalent. Während er mir eine gründliche Gesichts-, Hand- und Ohrwäsche verpaßte, mit einer Beharrlichkeit, die mich an meine Mutter und die Kindheit erinnerte, staubte er gleichzeitig kräftig schwanzwedelnd das Bücherregal hinter sich ab. Gegenwehr zwecklos.
Übernächtigt wie ich war, glaubte ich mich einige Sekundenbruchteile in einem Wolkenbruch, ehe sich die Wirklichkeit wieder meiner bemächtigte. Ich hatte schon versucht, den tierischen Weckruf durch Schließen der Schlafzimmertüre zu unterbinden. Der Erfolg war bescheiden. Die ersten paar Male wuffen und gegen die Tür werfen, dann folgte lautes Bellen, zusätzlich Gekeife diverser genervter Nachbarn und zu guter letzt hat mein grauer Riese rausgefunden, wie man die Türschnalle bedient. Seither keine Chance mehr, es sei denn ich würde mich einschließen, was dann doch etwas übertrieben wäre.
Während ich mich herzhaft gähnend aus meiner Bettwäsche wühlte, fragte ich mich ernsthaft, ob ich wirklich schon bereit war, einem weiteren Tag meines Lebens gegenüberzutreten. Die Sonnenstrahlen die mich trafen, waren wie ein Schlag ins Gesicht, deshalb kniff ich die Augen zu, drehte mich weg vom Fenster und verharrte auf der Bettkante sitzend. Banjo drängte sich an mich und schob mir seinen breiten Schädel zwischen den auf die Knie gestützten Ellenbogen hindurch. ›Na, Boss was unternehmen wir heute? Für`n Anfang wär ein herzhafter Happen genau das Richtige‹ ließ sein erwartungsfroher Blick mich wissen. Gähnte, daß ich glauben könnte, er würde mich in Kürze mit Haut und Haar in einem Stück verschlingen.
Der Verband, den ich mir gestern um meinen Arm gelegt hatte, war aufgegangen. Hätte ich das nicht schon in der Nacht mitbekommen müssen? Ich erhob mich. Während Banjo fast wie ein Lipizzaner der Wiener Hofreitschule in die Küche trabte, bog ich 2 Türen vorher ins Badezimmer ab, um mir das Ganze genauer anzusehen. Ich löste vor dem Spiegel, damit ich sehen konnte was ich tat, die letzten Windungen der losen Bandage und hob vorsichtig die Wundauflage ab. Das ging ja verblüffend gut! Ich hatte damit gerechnet, daß es schmerzhafter sein würde.
Sogleich zeigte sich warum – es war außer einer sauber verheilten, etwas erhabenen, ringförmigen Narbe mit 4 Kratzern, die wohl von Krallen rührten, nichts zu sehen. Kein Blut, keine farbenfrohen Verfärbungen – nichts! Es war, als würde mich die Narbe schon lange begleiten – nicht erst seit gestern. ›Tashuunka‹ geisterte ein rätselhaftes Wort durch meinen Kopf, wie ein Ruf aus weiter Ferne. Ich hatte es noch nie vorher gehört, noch wußte ich, was es bedeutete. Dennoch kam es mir seltsam vertraut vor.
»Earl, jetzt spinnst du aber schon gewaltig« stellte ich murmelnd über mich selber fest und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Ich hörte Banjo schnüffelnd durch die Küche tappen. Er wartete auf sein Frühstück. Ich setzte den ersten Teil meiner Morgentoilette fort – Zähneputzen, rasieren, waschen – wie man das eben so macht. Dann nahm ich die Hundeschüssel die ich im Bad hatte, wegen den etwas schweinischen Tischmanieren meines Mitbewohners und gesellte mich zu ihm in die Küche.
So verrückt der gestrige Tag auch gewesen war, ich hatte beschlossen mich davon nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Ich wollte es wenigstens versuchen. Nächster Programmpunkt - Müsli für zwei. Haferflocken mit Schokostückchen, einer Handvoll Cornflakes und einem Löffel Marmelade unter Joghurt begraben für mich und für meinen Möchtegern-Cerberus gab es Haferflocken mit gekochten Gemüsestückchen, einigen Frolic-Ringerl und etwas Trockenfutter, mit ein wenig klarer Suppe drüber. Banjo verfolgte jeden Handgriff von mir, als würde ich ihm gerade das gekonnte Entschärfen einer Bombe zeigen. Aber so war das jeden morgen bei uns. Die Kaffeemaschine war seit ungefähr 4 Tagen im Streik, also kein Muntermacher an diesem Morgen. Ich fügte es auf meiner geistigen To-do-List hinzu. Das Leben konnte ganz schön unfair sein...ein Blick auf meine Küchenuhr brachte mich auch so auf Touren. Verdammt! Schon wieder zu spät dran!
Ich warf den großen Löffel in (hoffentlich) meine Schüssel, schnappte auch Banjos und raste auf den Flur. Seinen Napf stellte ich so schwungvoll im Bad hin, daß er noch einige Zentimeter über die Fliesen schlitterte, stopfte mir selber hastig ein paar Löffel meiner Mahlzeit in den Mund. Wieder im Schlafzimmer, versuchte ich das Kunststück fertigzubringen, weiterzuessen und mich gleichzeitig unfallfrei frisch anzuziehen. Nachdem ich mich vom zerstrubbelten Neandertaler zu einem annehmbaren menschlichen Wesen verwandelt hatte, mußte mein Hund natürlich auch noch vor die Tür, wenn wir den Tag ohne Malheur überstehen sollten. Banjo hatte mitbekommen, daß ich es eilig hatte und trabte forschen Schrittes neben mir. Hielt mich netterweise nicht mit Schnüffeleien an Stellen auf, wo er sowieso nicht hindurfte. Sogar die halbe Wurstsemmel, die am Weg lag, ignorierte er ausnahmsweise. Wahrscheinlich spekulierte er auf ein Extra-Lecker. Man hat ja auch als Hund so seine Erfahrungen mit der Psychologie seines Menschen, die man zu seinem eigenen Vorteil nutzen kann. Gewinnmaximierung nannte das der Betriebswirtschaftler.
Während mein Hund in der Kürze der Zeit, nach einem geeigneten Plätzchen für sein Geschäft suchte, rang ich geistig nach Worten, wie ich mein zu spätes Erscheinen diesmal rechtfertigen sollte. Nicht daß mein Boss, Steven Bennett, kein verständnisvoller Mensch gewesen wäre, nur leider war mir das auch schon vorher passiert, daß ich es morgens nicht rechtzeitig geschafft hatte. Wenigstens Banjo konnte nun beruhigt und erleichtert nach Hause. Sich gemütlich die Zeit vertreiben, bis ich wiederkam. Manchmal wünschte ich, wir könnten tauschen…
Meine Verspätung fiel nicht ganz so dramatisch aus, wie ich es befürchtet hatte. Es waren vielleicht 10 bis 12 Minuten, aber auch lange genug, um Bennetts Mißfallen zu erregen. Er scheuchte mich nach seiner Strafpredigt, die noch ungefähr weitere 10 Minuten kostete, an meinen Arbeitsplatz. Auch wenn der Anpfiff rechtens gewesen war, irgendwie ärgerte es mich doch. Da traf es sich gut, daß der Restaurantbereich des BP-Tankstellenshops, noch darauf wartete, gewischt zu werden – Teil meiner Arbeitsplatzbeschreibung. Ich stapfte nach hinten in den Personalbereich, schnappte mir einen Eimer, goß etwas Spülmittel hinein und ließ ihn voll laufen, während ich zeitgleich im übernächsten Schrank nach dem Mob angelte.
Dann schleppte ich beides nach draußen und begann mein Tagwerk in der Ecke mit den Erfrischungsgetränken, die erfahrungsgemäß so früh am morgen meist lange verwaist blieb. Um die Tageszeit interessierte die Leute eher Kaffee. Meine Gedanken schweiften wieder zu den Vorkommnissen des Vorabends und zu dem Auftritt dieser mysteriösen schwarzen Wölfin Unatala. Woran sollte ich mich denn verdammt nochmal erinnern und noch schlimmer – was zum Henker sollte ich denn Wichtiges vergessen haben? Für Alzheimer war ich mit meinen 29 doch wirklich noch zu jung!
Völlig automatisch wischte ich den Boden weiter, wusch den Mob aus wenn nötig, ohne wirklich bei der Sache zu sein.
»Oh, toll die erste Tankstelle mit Hallenbad« hörte ich eine etwas kratzige Stimme in meinem Rücken. »Der Kleine braucht wirklich Hilfe« bestätigte ein Anderer ebenfalls von hinten her. Ich hatte gerade den Mob im Eimer stecken. Schon einige Sekundenbruchteile vor diesen Sprüchen hatte ich das Gefühl gehabt, daß mich jemand beobachtete. Meine Laune hatte sich noch nicht sonderlich gebessert, da konnte ich auf solche Kommentare getrost verzichten. Abgesehen davon, daß ich es ohnehin nicht leiden konnte, von hinten bequatscht zu werden. Ich wirbelte herum, bereit meinerseits ein Donnerwetter loszulassen. Vielleicht auch meinem Gegenüber den nassen Mob ins Gesicht zu pfeffern. Doch mein Vorhaben wurde von Überraschung abgelöst, als ich mich von 3 Wölfen umzingelt sah. Ein älterer Greywolf schien der Anführer der kleinen Gruppe zu sein. An seiner Seite ein rötlich gefärbter, der in seiner Fellfärbung einem Fuchs ziemlich nahe kam mit den helleren Stellen an Hals und Brust sowie den Beininnenseiten. Mir schien als würde er mich angrinsen. Brachte mich dadurch noch mehr in Rage. Der dritte im Bunde hielt sich etwas im Hintergrund. Auch er hatte einen rötlichen Einschlag in seinem Fell, jedoch mehr in die dunklere Richtung mit schwarz und grau gemischt. Augenfällig waren seine dunklen Ohren und die schwarze Rutenspitze. Ich umklammerte den Stiel des Mobs, als würde mein Leben davon abhängen. ›Na, super. Ich bin geliefert‹ Wahrscheinlich war dieses Bild gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. »Okay, jetzt reicht‘s mir aber – laßt mich endlich in Ruhe ihr dämlichen Wölfe!!!« schrie ich und stürmte wie von Sinnen auf die 3 Wölfe los. In bester Bruce Lee Manier knallte ich ihnen den Mob und unbeabsichtigt auch einen Teil der Ware um die Ohren, trat zu, wenn sich die Chance bot. An der Theorie, daß man über sich hinauswächst, wenn Leben in Gefahr sind, dürfte also wirklich was dran sein.
Sie waren auf diese Reaktion wohl nicht gefaßt gewesen – das war ja noch nicht einmal ich selber - sie jaulten auf, schnappten zwar, jedoch nur nach dem Stiel des Putzgerätes und wichen langsam vor mir zurück. Den Greywolf hatte ich gerade von den Pfoten geholt und sah wie er sich mühsam wieder aufrappelte, da stand plötzlich Steve vor mir. Seinen entgleisten Gesichtszügen entnahm ich, daß er mich anschrie, doch in mir war so viel Adrenalin am kreisen, daß es in meinem Kopf nur noch rauschte. Ganz kurz sah ich eine Faust auf mich zufliegen. Zu schnell um reagieren zu können, eine Schmerzexplosion folgte und dann – Schwärze. Das wurde ja schon zur Gewohnheit. Genau wie das böse Erwachen hinterher. Keine Ahnung wie lange ich diesmal ausgeknockt war, aber als ich die Augen aufschlug fand ich mich in einem Wintermärchen wieder….halt – bloß ein Zimmer, in dem einfach alles weiß war, egal wo man den Blick hinwandte. Sogar in meinem Gesicht fand ich ein weißes Etwas. Meine Nase in Gips, wie man mir später mitteilte. Mein Schädel brummte tierisch, sollte da nicht auch ein Verband drauf sein? Das permanente Piepsen in unmittelbarer Nähe machte meine Situation nicht gerade angenehmer.
Gerade als ich halbwegs wieder alle Tassen beisammen hatte, ging die Tür auf und ein Arzt mit meinem Boss im Schlepptau, betrat das Zimmer. ›Och, nicht doch! Noch ein Nachschlag von der Schei***?‹ »Oh, gut Mr. Bonner, Sie sind wach. Ihre Nase ist gebrochen und Sie haben eine Gehirnerschütterung.«
›Schön. Erzähl mir was, was ich noch nicht weiß‹ Der Doc machte mir nicht die Freude, sondern leuchtete mir mit einer kleinen Stablampe in beide Augen, checkte den Überwachungsmonitor, dessen Piepsen mir immer noch den vorletzten Nerv zog, vermerkte die Werte in meinem Krankenblatt und ließ mich unverantwortlicherweise gerade mit dem Kerl allein, der mich in dieses Spitalsbett geprügelt hatte. Das verbrauchte meinen letzten Nerv. Steven starrte mich an und ich ihn. Ihm war anzusehen, daß es in ihm kochte, auch wenn er sich zusammenriß. In seinen Augen lag so ein gefährliches Funkeln. Ich war gewarnt.
»Was hast du dir nur dabei gedacht, George Blackbear und seine Söhne einfach niederknüppeln?« fragte er mich mit betont ruhigem Tonfall. ›George Blackbear? Hat er sich die Überwachungsbänder angesehen? Verdammt! Was läuft denn hier? Es waren Wölfe! Hätte ich drauf warten sollen, daß die mir an der Gurgel hängen?‹ George war ein Lakota, der etwas weiter außerhalb wohnte, aber sich bei uns mit dem Nötigsten eindeckte, wenn er mal etwas Geld übrig hatte. Ich kannte ihn. Er war schon seit vielen Jahren bei uns Kunde. George mußte jetzt so um 45 oder 50 sein. Wie man sich einen Indianer gemeinhin vorstellt. Mit langen, schwarzen Haaren, die nun schön langsam grau zu werden begannen, groß gewachsen und wettergegerbt, wie ein verwitterter Baum. ›George Blackbear…der Greywolf‹ dämmerte es mir einen Sekundenbruchteil später. Auch seine Söhne Joe Little Thunder und Daniel kannte ich und hatte bisher nie grobe Probleme mit ihnen. Aber ich konnte Bennett schlecht sagen, daß ich sie für Wölfe gehalten hatte. An meinem Geisteszustand zweifelte er ja jetzt schon. »Ich….ich weiß auch nicht. Ich hab mich erschrocken, wie sie mich plötzlich von hinten angequatscht haben. Dann hat sich das Ganze verselbständigt.« Ich hoffte inständig, daß er sich mit dieser schwachen Erklärung zufrieden geben würde. Steven nickte, sagte aber nichts dazu. »Meld dich bei mir, wenn du wieder Draußen bist. Der Doc hat gesagt, daß das wahrscheinlich eh schon übermorgen sein wird. Die wollen dich noch ein bißchen beobachten«. Ein Lächeln, das eher an ein Zähnefletschen erinnerte. Wahrscheinlich hatte er grade das Bild von mir, zwei kräftigen Typen und einer Zwangsjacke vor seinen Augen. Mein Boss machte sich zum Aufbruch bereit.
»Steven? Könntest du bitte meine Nachbarin anrufen, damit sie nach Banjo schaut? Ihre Nummer hast du – Riley Hunter« Er nickte erneut und zog kommentarlos von dannen.
Wieder allein, hatte ich genug Zeit mir die Dimension der Ereignisse, die über mich hereingebrochen waren, klar zu machen. Ich hatte höchstwahrscheinlich meinen Job verloren, würde mit einer Anzeige rechnen müssen. Konnte gut sein, daß ich eine ganze Weile im Knast verbringen durfte. Mit etwas Glück lief es auf Bewährung und eine Geldbuße hinaus. Dann war ich auch meine Wohnung und Banjo los. Meine Hand ballte sich zur Faust und ich hieb neben mir auf die Bettdecke. Verzweiflung und Wut gaben sich in meinem Inneren die Klinke in die Hand. Wie sollte das nur werden… Da ich wegen der Herzüberwachung nicht aufstehen konnte, blieb mir nur noch die meinem Bett gegenüberliegende, weiße Wand anzustarren. Mit der ebenfalls weißen Zimmerdecke als einzige Alternative. Ich hatte weder eine Ahnung, wo ich genau war, was weiter geplant, noch wie spät es war. Körperlich fühlte ich mich schon wieder etwas besser.
Es klopfte an der Zimmertür und ehe ich noch was sagen konnte, tauchte ein Klemmbrett und ein Rücken in einem weißen Kittel mit einem brünetten Pferdeschwanz im Türspalt auf.
Tag der Veröffentlichung: 12.03.2015
Alle Rechte vorbehalten