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Prolog

Meine Familie war schon immer bekannt dafür, unglaubliche Mediziner und Ärzte auf die Welt zu setzen.  Somit stand meine Zukunft schon vor meiner Geburt fest. Ich sollte eine hervorragende Ärztin und Heilerin werden, die ihrer Familie alle Ehre machte. Genauso wie man es sich von dem mächtigsten und stärksten Hexenzirkel gewohnt war.
Meine beiden älteren Brüder hatten dies schon in ihrem Leben erreicht. Der älteste von uns drei Kindern besass eine eigene Klinik und der andere war Oberarzt in einem riesigen Krankenhaus im Osten. Da hatte er zuvor ein paar Jahre die erweiterte Heilkunst der asiatischen Kultur erlernt.
Mit diesen Meistern der Heilkunde als Brüder, war für mich die Messlatte ziemlich weit hochgesetzt worden. Dazu kam noch, dass mir als Hexe mehr abverlangt wurde als den Hexenmeistern. Unsere Spezies konnte man mit Spinnen vergleichen. Die Weibchen werden grösser und stärker als die Männchen. So war es auch bei uns. Die Hexen besassen mehr Magie und Kräfte. Also musste ich nicht nur die asiatische Heilkunde erlernen, Oberärztin werden und zugleich eine eigene Praxis eröffnen, sondern musste dabei noch besser als meine Brüder sein, damit meine vorgesehene Zukunft ihre gerechte Erfüllung bekam.
Aber zuerst geht es erst einmal auf die Hochschule für ganz fleissige, magische Wesen. Und wenn ihr es euch nicht schon gedacht habt, war mein Hauptfach Heilkunde. Wie unerwartet was?
Und obwohl ich mein Leben nicht gerne von irgendetwas unbestimmten planen liess, freute ich mich seit der Grundschule auf diesen Tag. Der Tag an dem ich einen kleinen Teil von Macht zurückbekam, mein Leben selbst zu führen. Auch wenn diese Macht auch nur darin lag ohne unter den immer beobachtenden Augen meiner Mutter zu stehen. Kein tägliches Fitnesstraining, keine gezwungene, gesunde Ernährung und keine Unterrichtsstunden neben der Privatschule mehr.
Ein wenig Leben, das ich für mich selbst hatte. Was für ein Luxus.
Von meinen Brüdern hatte ich zwei Ratschläge auf den Weg mitbekommen. Ich sollte die Studienzeit in vollen Zügen geniessen, auch wenn dies einige Dinge mit sich brachte, die Lady Smaragdus nicht gut hiess. Der zweite Ratschlag war, dass ich neben diesen Dingen nicht meine Noten vergessen sollte und der Grund weshalb ich eigentlich studierte.
Wenn meine Brüder dachten, ich würde auf Studentenpartys gehen oder mich auf männliche Wesen konzentrieren würde, kannten sie ihre Schwester nicht wirklich. Ich war sehr verklemmt was diese Dinge anging. Lieber verbrachte ich die ganze Nacht mit einem Buch oder legte mir die DVD von Stolz und Vorurteil und anderen herzzerreissenden Liebesfilmen ein, während denen ich vor mich hin heulte.
Aber Achtung, meine Angewohnheiten waren nicht mit denen eines Wesens zu vergleichen, das Lernen zum Hobby machte. Das ich überhaupt auf diese Hochschule kam, grenzte an einem Wunder. In den Augen meiner Mutter war ich das schwarze Schaf, was die Heilkunst anging und sie war sich nie sicher gewesen, ob ich den Sprung zur Studentin überhaupt schaffen konnte. Das Hauptfach Heilkunde war nicht das Problem, eher die Fächer Chemie und Mathematik machten mit das Leben schwer. Und wie es meine Zukunft wollte, hatte ich diese Fächer auch auf der Hochschule.
Dazu kam Sport und Yoga. Das letztere hatte ich als Freifach gewählt. Ich war überzeugt, dass ein seelischer Ausgleich nicht schlecht sein konnte.
Nun sass ich also im Sportwagen meines ältesten Bruders, der extra die Praxis geschlossen hatte, um seine kleine Schwester vor einer hysterischen und aufgeregten Mutter zu retten. Immer wieder sah ich in den Rückspiegel um sicher sein zu können, dass uns kein Auto verfolgte, hinter dessen Lenkrad ein Wesen sass, deren Gesichtsausdruck der einer durchgeknallten Harpyie war.
Tief durchatmend begann ich den Regentopfen an der Fensterscheibe neben mir zu zusehen, wie sie hinunter perlten um dann brutal vom Fahrtenwind mitgerissen zu werden.
„Aufgeregt Kleines?“ Mein Bruder hatte den Blick mit einem amüsierten Grinsen auf den Lippen, konzentriert auf der Strasse. Seine Hände hatte er eisern um das Lenkrad gelegt, wodurch seine trainierten Oberarme sich anspannten.
Natürlich hatte auch er etliche Fitnessstudiobesuche hinter sich. Der einzige Unterschied zu mir, ihm machte es Spass sich auszupowern und Gewichte zu stemmen. Der verrückte Kerl rannte jeden Morgen Kilometer weit um dann den ganzen Tag weiterhin auf den Beinen in seiner Praxis zu sein.
Kein Wunder war bis jetzt jede meiner Freundinnen hinter meinen Brüdern her. Sie waren athletisch, trainiert und gut aussehend. Anders wie bei mir, hatte das Fitnessprogram bei ihnen angeschlagen. Meine Arme waren schwächlich und das ganze Krafttraining schien mir in die Oberschenkel und Pobacken geflossen zu sein. Das einzige was ich an mir mochte, war mein flacher Bauch. Wenn man aber an mir weiter nach oben ging, war da wieder etwas, was ich am liebsten anders gehabt hätte. Meine Oberweite war die eines Wesens, das gerade erst am Anfang seiner Pubertät war.
„Ja, das uns Mutter verfolgt.“
Das herzhafte, tiefe Lachen meines Bruders erfüllte den Wagen.
„Nicht doch,  ich habe vorgesorgt das sie nicht auf solch eine Idee kommt. Du kannst beruhigt sein.“
Also hatte er vor mir die Vermutung das Lady Smaragdus zu solch irren Handlungen fähig war.
„Ich werde die verrückte Frau dennoch vermissen denke ich.“
Meine Stimme war belegt und die Regentropfen auf der Scheibe vor mir hatten nun meine vollste Aufmerksamkeit.
„Bestimmt, doch das wird sich legen, sobald du den ersten Kontakt mit den anderen Studenten hast. Glaub mir, die Jahre als Student waren meine Besten.“ Von mir kam nur ein stummes Nicken. Meine Abwesenheit war meinem Bruder nicht entgangen.
„Hey und weisst du was? Das Beste ist, die Wohnhäuser sind nicht getrennt, was also heisst, dass du vielleicht den einen oder anderen heissen Typ bei dir wohnen hast.“ Dies warf mich auch gleich aus der Bahn.
„Weiss Mutter das?“
Aron schüttelte breit grinsend den Kopf und flitzte auf die Autobahnausfahrt zu. „Vater und ich haben das Infoblatt über die Wohnhäuser und deren Regeln hinter ihrem Rücken verschwinden lassen. Bislang hat sie es auch nicht vermisst, während sie tausend Mal die Unterlagen durchgelesen hat. Du kannst dich geehrt fühlen, das es nicht getrennt ist, war bei mir und Kenny noch nicht so.“
Geehrt fühlen, war nicht das Gefühl, das sich gerade in meinem Bauch ausbreitete. Eher Panik und Ängstlichkeit. Ich hoffte so sehr, das sich weitere weibliche Wesen in meinem Wohnhaus befinden würden und nur ein männliches Wesen da war, das am besten Null Interesse an Frauen hatte.
„Mach dich locker Kleines. Wird bestimmt spitze. Geniesse die Zeit, sie wird am Schluss zu schnell vorbei sein, glaub deinem erfahrenen Bruder.“
Vielleicht hatte Aron Recht und es wird eine tolle Zeit, doch mein Glauben an seine Worte musste zuerst noch wachsen.
Ich erhaschte einen Blick auf ein grosses Plakat an der Ausfahrt, das eine Werbung der Hochschule war, zu der ich mich gerade fahren liess.
Die Hochschule war dann auch nicht mehr weit entfernt. In der Zeit bis dahin, tauschten Aron und ich keine Worte mehr aus. Ich war froh das ich mich still schweigend in meine Panik steigern konnte, ohne irgendwelche Worte von mir zu geben.
„Tja da sind wir. Sieht noch genauso aus wie bei mir.“ Mein Bruder konnte ein Parkfeld direkt vor dem Eingangstor ergattern. Mit einem aufmunternden Lächeln zu mir schnallte er sich ab und stieg als erstes aus dem Sportwagen. Erst als er meine Koffer und Taschen aus dem Kofferraum gehievt und an die Fensterscheibe neben mir geklopft hatte wurde mir klar, dass ich ebenfalls aussteigen musste.
„Beweg dich, wie du vielleicht schon bemerkt hast, regnet es wie aus Eimern.“ Aron war anzusehen das er nicht sehr begeistert darüber war, das ich ihn alleine mein Gepäck rausräumen liess.
„Entschuldige, ich habe nicht realisiert das wir schon da sind.“
Schnell stieg ich aus und griff nach meinen Taschen, die Aron allesamt über seine kräftigen Schultern trug.
„Lass gut sein Kleines. Für etwas bin ich mitgekommen.“ Aron lächelte mich sanft an. So vollgepackt wie er war, könnte man meinen, er sähe das Schleppen meines Gepäckes als Gratistraining an. Sein halblanges, dunkelrotes Haar war schon durchnässt und klebte ihm auf der Stirn und an den Schläfen. Seine himmelblauen Augen hatte er von Mutter, die je nach Situation wie ihre eiskalt werden konnten. Jetzt waren sie ein wolkenloser Himmel, der mich anstrahlte. Auch mein Haar fing an die Tropfen aufzusaugen, die wild auf uns herunter prasselten.
„Welche Hausnummer steht bei dir auf dem Zettel?“ Aron lief langsam in Richtung Eingangstor. Ich tapste ihm nach und kramte verbissen nach dem Informationszettel, den er und Vater erfolgreich vor Mutter versteckt hatten.
„Nummer 33.“ Ich hatte Mühe hinter dem grossen Packesel, dessen Hände je einen Koffer hinter sich herzogen, nach zu kommen.
Meinen Kopf legte ich beim Passieren des Tores in den Nacken und liess mir kurz Zeit es genauer zu betrachten. Es war sehr imposant mit den Metallranken und dem Efeu, der sich um jede Ranke schlang.
„Also gut, dann müssen wir hier entlang. Da sind die Wohnhäuser ab Nummer 30. Daran kann ich mich noch erinnern.“ Wie ein unbeholfenes Kleinkind lief ich Aron hinter her. Dieser hatte es eilig aus dem Regen zu kommen, was eigentlich üblich war, wenn man in solch einen starken Regen kam, in dem wir zu meinem Wohnhaus liefen. Doch mir war der Regen eigentlich egal, viel zu viel gab es zu sehen, was ich nicht kannte. Dazu kam, dass uns immer wieder fremde Wesen entgegen kamen, die ganz anders aussahen als die aus meinem Zirkel. Was natürlich auch wieder nur normal war.
„Hier haben wir es ja. Gar nicht schlecht. Grosser Garten für Grillpartys und entspannte Sonntage in der Sonne mit einem riesigen Kater in deinem Kopf.“ Aron lief dann auch schon die Steintreppen hoch zur Tür des Hauses, das nun vorübergehend mein neues zu Hause war. Der Garten war wirklich klasse, aber eher um in einem Liegestuhl zu liegen und sich in den Seiten eines spannenden Buches zu verlieren. Die von dem Regen glänzende Steintreppe ging mitten durch den Garten, der direkt an der Hausfassade mündete.
Im Grunde sah das Wohnquartier für die Studenten aus, wie ein Nebenquartier einer Stadt. Ich hatte sogar Nachbarn, denen ich vom Garten aus zuwinken konnte, was ich natürlich unterlassen werde.
Aron drückte die Tür in das Wohnhaus auf und hielt sie mir mit all meinem Gepäck auf, bis ich mich auch im Trockenen aufhielt.
„Willkommen in deinem neuen zu Hause Kleines.“ Er stellte die Taschen und Koffer im Gang neben der Tür ab und stemmte die Hände in die Hüften. Mit seinem schwarzen Filzmantel, dem Hemd und der Anzugshose in der gleichen Farbe und der dunkelroten Krawatte sah er fast wie mein Anwalt aus. Seine Lederschuhe, passend zu seinem Anwaltkostüm klapperten bei seinen Schritten auf dem dunkelbraunen Holzboden. Seine Schritte gingen in den ersten Raum gleich rechts, in den ich ihm aufgeregt folgte.
Es stellte sich heraus, dass es nicht ein Raum war, sondern eine moderne, offene Küche. Daran grenzte der ebenfalls offene Essbereich mit grossem Tisch und  Stühlen.
„Wie viele Mitbewohner oder Mitbewohnerinnen?“ Mein Murmeln überhörte Aron als ich um den Tisch lief und über jede Stuhllehnte mit meinen Fingerspitzen strich.
„Bis jetzt ist das hier alles ziemlich schick. Wie viel zahlen Mutter und Vater für diese Hochschule?“
Mein Bruder lächelte mich kurz frech an. „Genug.“ Dann lief er weiter und um die Ecke.
Ich ihm wie gewohnt hinter her. Wir liefen einen Gang entlang. Rechts eine Wand aus Glas und links zwei Türen. Wir sahen uns die Räume dahinter auch an. Solche Badezimmer hatte ich noch nie gesehen. Gross und beide mit riesen Duschen und Eckbadewannen. In beiden befanden sich zwei Waschbecken und darüber grosse Spiegelschränke. Der Gang an der Glaswand führte zu einer weiteren Ecke, um die wir bogen. Dann waren wir wieder am Anfang und somit beim Eingangsbereich mit seiner grossen Garderobe an der Wand und dem langen Schuhgestell. Erst da fielen mir die bereits schon dastehenden Schuhe auf. So wie ich es identifizieren konnte, waren alle Schuhe solche von männlichen Wesen. Ausser ich hatte eine Mitbewohnerin die grosse Füsse hatte.
„Keine Panik Kleines. Und auch wenn das alles Typen hier drin sind, du bist eine starke Persönlichkeit, du kommst damit ganz gut klar.“ Wenn sich Aron, der meinen skeptischen Blick gesehen hatte, mal nicht täuschte.
Ich wollte gerade etwas dazu von mir geben, als Schritte aus dem oberen Stockwerk erklangen und eine Tür zugeschlagen wurde. Die Schritte gingen weiter bis zur Holztreppe. Von da an waren sie als Knarren auf den Holzstufen zu hören.
Bitte lass es ein weibliches, nettes Wesen sein mit grossen Füssen und einer Vorliebe für Turnschuhe in männlichem Designe.
Dies waren sofort meine Gedanken, während meine Anspannung bei jedem Knarzen zunahm. Meine jadefarbenen Augen waren verbissen auf die Treppe gerichtet. Anders als Aron konnte ich es nicht abwarten, das zu den Schritten dazugehörende Wesen zu erblicken. Mein Bruder drehte sich allmählich und total gelassen um und auch sein Blick war ganz ruhig.
Mein Kopf hielt sich an den Worten weiblich, grosse Füsse und Vorliebe für männliche Turnschuhen fest. Ich krallte mich sogar an ihnen fest.
Ich wollte nicht in einem reinen, männlichen Wohnhaus meine Studienjahre verbringen, bitte nicht!

1. Kapitel

 

 

 Johanniskraut
Wirksam gegen Depressionen.
Äusserlich angewendet hemmt es Entzündungen
und fördert die Wundheilung. Z.B. Bei Schnittwunden, Schürfungen oder leichten Verbrennungen.

Grosse Erleichterung überkam mich, als ich schwarze Balarinas die Treppe hinunter steigen sah. Die Augenbrauen meines Bruders schnellten nach oben, als auch nackte Beine und ein sehr knappes, rotes Schlauchkleid sichtbar wurden. Seine Augen kehrten zu mir zurück, worauf sich unsere Blicke trafen.
„Was glotzt ihr denn so?“ Die zischende Frage kam aus vollen, knallrot geschminkten Lippen, die in einem makellosen Gesicht lagen. Schwarzes, sehr langes, voluminöses Haar mit dem das weibliche Wesen bei Werbung für Haarshampoo als Nachher Bild mitmachen konnte.
„Entschuldige bitte. Meine Schwester zieht heute hier ein. Wir sind gerade eben angekommen.“ Aron übernahm ohne zu zögern für mich das Reden. Obwohl bei solch einer Mitbewohnerin mir die Worte fehlten, empfand ich diese brüderlich gemeinte Geste als störend.
„Saphira. Freut mich sehr und ich hoffe wir werden eine gute Zeit miteinander haben.“ Ja meine Eltern hatten mir neben dem Nachnamen, der wie ein Kristall klang, auch noch einen weiteren Kristall zum Vornamen gegeben.
Ich streckte freundlich lächelnd meine Hand der Unbekannten entgegen. Diese wurde aber von ihr achtlos zur Seite geschlagen und die rot gekleidete Schönheit kam die letzten Stufen der Treppe hinunter.
„Das interessiert mich kein Bisschen. Solange du mir nicht in die Quere kommst, gibt es dich für mich nicht.“ Elegant und stolz lief die schwarz Haarige aus der Tür hinaus, ohne nochmals mich oder Aron zu registrieren.
„Was meinst du, wohnt sie vielleicht gar nicht hier?“ Mein Bruder sah mich prüfend an. In seinem Gesichtsausdruck steckte die Frage, ob ich vielleicht gleich in Tränen ausbrechen würde.
„Saphira, alles gut, solche Zicken musst du einfach an dir abprallen lassen. Komm wir sehen mal nach deinem Zimmer.“
Zum Glück war mein Bruder mitgekommen und nicht meine Mutter. Wenn es das zweite gewesen wäre, müsste ich ihr nachrennen, da meine Mutter wie eine Löwin der Fremden hinter her gejagt wäre. Auf irgendeiner Weise vermisste ich nun doch, das Aron mich nicht in den Schutz genommen hatte. Wiederum wollte ich erwachsen sein, also musste ich mich selbst wehren können. Also keinen Schutz mehr von meiner Familie, ich würde mich allem stellen, egal was!
Ausser vielleicht dem breitgebauten, männlichen Wesen oberhalb der Treppe, das wie ein Raubtier auf mich hinunter blickte, als ich hinter Aron einen Koffer hinaufschleppte.
Mein Bruder hatte wieder das meiste Gebäck selbst genommen. Ich musste fast um seine Erlaubnis kämpfen, den Koffer tragen zu dürfen. Auch er musste wohl lernen das seine kleine Schwester nicht mehr das Nesthäkchen war.
„Auch nur ein Besucher?“ Aron stellte den Koffer ab und scannte kurz das Wesen vor ihm, das sogar muskulöser war als er selbst.
„Nein, ein Bewohner. Saphira also. Mein Name ist Arsen, willkommen in der Wohngemeinschaft der Partykönige.“
Das Grinsen meines Mitbewohners war frech und hatte irgendwie etwas Provokantes an sich. Ich nahm die von ihm vorgestreckte Hand entgegen, mit der er mich noch die letzte Stufe hochzog.
„Freut mich Arsen. Was meinst du mit Partykönige. Gibt es keine Königinnen?“ Der Zeit war diese Frage wohl die mir am wichtigste. „Jetzt gibt es eine.“ Er hielt meine Hand immer noch und blickte amüsiert zu mir hinunter. Er überragte auch Aron mit wenigen Zentimetern, ich schätzte ihn bei fast zwei Metern ein. Sein dunkelbraunes Haar war kürzer als das dunkelrote von meinem Bruder. Dabei liess es seinen muskulösen Schultern und den Nacken zur Geltung kommen. Ich entriss ihm vorsichtig meine Hand und hielt mich damit am Koffer fest. Einfach damit es nicht auffiel, das mir die Berührung mit ihm unangenehm war.
„Also doch ein reines, männliches Wohnhaus Kleines. Das wird bestimmt gut.“ Aron sah mir meine Panik an und versuchte kläglich mich zu beruhigen. Seien Stimme klang nämlich auch nach leichter Panik, was nicht wirklich half.
„Ich hoffe du magst Partys und Spass. Wir veranstalten jedes Wochenende eine hier im Haus, zu der immer wieder zahlreiche Gäste kommen. Eine gute Gelegenheit um die Mitstudenten kennen zu lernen kleiner Kristall.“
Ich hörte nur Party und zahlreiche Gäste, doch bei den beiden letzten Worten gefror mir das Blut in den Adern und meine Panik schlug sofort auf Wut um. „Nenn mich noch einmal so und deine Party ist hier zu ende.“ Mein Zischen konnte es mit dem der Unbekannten aufnehmen, da war ich mir sicher.
Was erlaubte sich dieses Wesen eigentlich? Nur weil es super muskulös war und seine waldgrünen Augen immer wieder meine trafen, musste er nicht gleich frech werden.
„Oookay… Lass uns dein Zimmer suchen Saphira.“ Aron versuchte mich abzulenken, dabei empfand er die Worte meines Mitbewohners nicht ganz so ernst wie ich.
„Den Gang nach hinten, das letzte rechts.“
Arsen war ja so nett.
Ich drehte mich in meinen neuen vier Wänden überwältigt um meine eigene Achse.  Das Zimmer war gross und hell. Ein Doppelbett hatte ich nicht erwartet und trotzdem war es da. Dazu einen Schreibtisch und ein noch füllbares Bücherregal. War nett, aber ich werde wohl mehr als nur eines brauchen, da ein Koffer nur von Büchern vollgestopft war, aber für den Anfang war es okay. Die Wände rechts und links waren in einem hellen Grau gestrichen. Die Möbel waren in einem weissen Klavierlack und die Bettwäsche in rosa und weiss gestreift. Ich fand es unverständlich dass eine Schule sich so sehr bemühen konnte. Das mussten sie ja dann für alle Studenten machen.
„Meines war niemals so schön eingerichtet, aber vielleicht hat sich auch das geändert. Ich musste mir alles selbst kaufen, hatte nur ein Bett und einen Schreibtisch. Aber lange nicht so modern und exklusiv wie das hier.“ Ich konnte kurz ein wenig Eiversucht bei meinem Bruder feststellen, der sich auf die rosa, weisse Bettdecke niederliess.
Nun erblickte ich auch noch einen grossen Kleiderkasten gegenüber von dem Bett aus weissen Metallkranken. Geschlossen war der Kasten ein riesengrosser Spiegel. Als ich ihn behutsam öffnete, erblickte ich viele Tablare und eine Kleiderstange mit rosa Kleiderhacken.
„Hier ist ja alles aufeinander abgestimmt. Kannst du das fassen?“ Ich drehte mich freudig in die Hände klatschend zu Aron um. Dieser blickte sich selbst nochmals in dem wundervollen Schlafzimmer um. Der Boden aus dem unteren Stock erstreckte sich wohl durch das ganze Haus. Der Kontrast von dem dunklen Holz und dem Grau, Weiss und Rosa liess mich nochmals breit grinsen. Es war umwerfend und per Zufall echt mein Geschmack.
Ich setzte mich erleichtert und tief ausatmend neben Aron auf mein neues Bett.
„Irgendwie echt komisch dich hier alleine zulassen Kleines.“
Er legte mir seinen schweren Arm um die Schultern und zog mich an sich. Mit einem Kuss auf meinen Scheitel liess er mich wieder los.
Wehmut, das er bald weg gehen würde, überkam mich und ich legte ihm hektisch die Arme um den Hals und drückte mich wieder fest an ihn. Seine Arme legten sich ebenfalls um mich. Sein leichtes Lachen steckte mich an, obwohl ich den schwarzen Mantel an seiner Schulter mit meinen aufkommenden Tränen benässte.
„Nicht weinen Kleines, so machst du es nur schlimmer als es eigentlich ist. Du kannst mir jeder Zeit anrufen und auch Mutter und Vater sind für dich da. Selbst Kenny will dass du nach Asien anrufst. Wir sind da, auch wenn wir weit weg sind. Du packst das. Du bist eine Smaragdus Hexe. Ist ja klar dass es hier ein Kinderspiel für dich wird.“
Ja, ganz bestimmt ein Kinderspiel, wer es glaubte.

***

Ich stand im Türrahmen und winkte mit zusammengepressten Lippen meinem Bruder zu, der mich verliess, nach dem wir zusammen das Bücherregal befüllten und er mir Weiteres über seine Studentenzeit hier erzählte. Ich vermisste ihn jetzt schon. Umso mehr freute ich mich, dass morgen meine Eltern mich besuchen kamen. Trotzdem graute es mir davor, wenn meine Mutter erfuhr dass ich in einem reinen, männlichen Wohnhaus nun lebte.
Erst als Aron so weit weg war, das ich ihn nicht mehr sehen konnte lief ich zurück ins Haus und schloss die Tür hinter mir.
Erschöpft von den heutigen Eindrücken und mit einem flauen Gefühl im Magen, was noch alles auf mich zukommen mochte, lehnte ich mich an die verschlossene Tür. Langsam liess ich mich an ihr auf den Boden sinken und zog meine Beine dicht an mich heran. Sie umschlungen mit den Armen legte ich den Hinterkopf ebenfalls an das Holz hinter mir.
Gerade als ich die Augen schloss, vernahm ich ein Schlurfen aus der Küche hinaus. Erst als es aufhörte schlug ich die Augen auf und erblickte Arsen im Türrahmen gelehnt. Eine Hand hatte er in der Tasche seiner weiten Trainerhosen und in der anderen hielt er ein Sandwich, das er sich wohl gerade gemacht hatte.
„Und wie gefällt dir dein Zimmer kleiner Kristall?“
Ich war zu müde um auf die von mir nicht gemochten Worte zu reagieren und schloss seufzend meine Augen.
„Es ist sehr schön.“
Wieder das Schlurfen von Arens Schlarpen auf dem Küchenboden.
Als das Geräusch verklungen war, zog ich dieses Mal nur ein Augenlid hoch.
Mit Schrecken musste ist feststellen das mein Mitbewohner nun vor mir in der Hocke sich befand. Ziemlich nahe um genau zu sein. Beinahe berührten sich unsere Knie und mit seinen muskulösen Schultern versperrte er mir komplett die Sicht, die ich voller Schreck nun mit beiden Augen nicht hatte.
„Hunger?“
Erst jetzt bemerkte ich das Sandwich, das er mir an den geschlossenen Mund drückte. Mit zusammengepressten Lippen und den Blick eingeschüchtert gesenkt, verneinte ich mit einem Kopfschütteln.
Darauf folgte ein verräterisches Grummeln aus meinem Magen. Mir schoss sofort Wärme in die Wangen und ich drückte meine Beine peinlich berührt fester an mich. Arsen schwieg und ich spürte immer noch das weiche Brot an meinen Lippen.
Am liebsten wäre ich weiterhin bei der Überzeugung geblieben das ich keinen Hunger hatte, doch jetzt so zu tun als ob ich nicht hungrig war, wäre noch peinlicher.
Ich öffnete also leicht meine Lippen und vermied Blickkontakt mit dem Wesen vor mir. Meine Wangen glühten noch immer und mein ganzer Körper war angespannt.
Ich biss von dem Sandwich ab. Aber nur einen kleinen, nachgebenden Bissen. Schlecht war es nicht. Es war mit allem belegt was ich mochte, doch zugeben wollte ich das jetzt nicht auch noch.
Arens amüsiertes Lachen durchbrach die unangenehme stille und er nahm eine meiner Hände, löste sie aus der anderen und legte meine Finger sanft um das Sandwich. Als er sicherstellte das ich es selbst hielt stand er wieder auf und bewegte sich genauso träge wie vorhin zurück in die Küche.
Erst als ich mir sicher war, das er nicht gleich zurückkommen würde, bis ich nochmals von dem Sandwich ab. Dieses Mal aber mehr, ich hatte wirklich Hunger. Irgendwie war es tröstlich von jemandem umsorgt zu werden, wenn gerade der vorherige Anker weg war und ich nun alleine unter Fremden mich befand. Mir war nicht in den Sinn gekommen während dem Essen vom Boden aufzustehen. Zu gut war das Sandwich, um meine Konzentration auf etwas anderes umzuleiten.
Das Sandwich verschwunden kam ich langsam wieder auf die Beine hoch. Mein Blick huschte in die Küche. Von Arsen keine Spur.
Ich tapste barfuss und mit meinem hellgrauen Sommerkleid bekleidet durch den Türrahmen. Meine Augen fanden meinen Mitbewohner am Esstisch. Mit der Trainerhose und einem enggeschnittenen, schwarzen T-Shirt sass er vor einem Laptop am Tisch. Hinter ihm die Glaswand und der orangeleuchtende Sonnenuntergang. Dieser erwärmte den dunklen Boden mit seiner leuchtenden Farbe.
„Hat es geschmeckt kleiner Kristall.“
Arsen blickte nicht von dem Bildschirm auf und tippte weiter in hoher Geschwindigkeit auf der Tastatur herum.
„Lass das bitte. Es stört mich wirklich wenn du mich so nennst. Nenn mich bitte einfach Saphira.“
Ich bewegte mich auf den Tisch zu und zog mir den Stuhl gegenüber Arsen entgegen. Schweigend setzte ich mich hin und um mehr Freiraum zu schaffen lehnte ich mich dabei zurück.
„Bevor ich hier eingezogen bin, hast du alleine hier gewohnt?“
Mit einem kurzen zucken der Mundwinkel hob das Wesen mir gegenüber den Blick über den Rand des Bildschirm.
„Da muss ich dich leider enttäuschen. Saphira. Leider musst du mich mit drei weiteren Bewohner teilen.“ Meinen Namen betonte er separat.
Bei seinen Worten versuchte ich mir nicht anmerken zu lassen, das sie mich etwas aus der Fassung brachten.
„Und wie ich mitbekommen habe auch männliche Wesen was?“
Arsen klappte mit einer Handbewegung den Laptop zu und verschränkte seine Arme vor der Brust. Auch er lehnte sich nach hinten.
„Ich habe dir doch schon gesagt, dass du hier bei den Partykönigen bist und es mit dir nun eine Königin gibt.“
Da kam mir der Gedanke, dass hier jedes Wochenende eine Party stattfinden wird. Morgen kamen meine Eltern zu besuch. Wenn hier noch irgendwelche Alkoholleichen herumlagen wenn sie kamen, würde meine Mutter mich sofort von hier fortschleppen.
„Jedes Wochenende Party. Also auch heute?“
Langsam kam in mir wieder die bekannte Panik von heute auf.
„Aber so was von.“ Arsen unterstrich seine Worte mit einem breiten Grinsen und einem Nicken in Zeitlupe.
„Meine Eltern kommen mich morgen besuchen. Wenn meine Mutter sieht was heute Nacht abgelaufen ist, nimmt sie mich wieder mit.“ Meine Stimme klang krächzend und flehend. Obwohl ich schon wusste das mein Mitbewohner nicht wegen einem Besuch meiner Eltern die Party abblasen liess.
„Was hast du nur für eine Panik immer. Sie kommen ja erst morgen. Mach dich locker.“ Die Waldgrünen Augen wiederspiegelten sein Amüsieren über mich und ein Mundwinkel begann sogar zu zucken.
„Du kennst meine Mutter nicht. Sie weiss nicht einmal, das hier ungetrennt gehaust wird.“
Ich strich mit beiden Händen über mein Gesicht und weiter hoch über meine zusammengebundenen Haare.
Arsen lachte laut heraus. Dabei legte er den Kopf in den Nacken. Wie aus Geisterhand erlosch sein Lachen und er kippte den Kopf wieder nach vorne. Sein Gesichtsausdruck ganz ernst.
„Moment mal, sollte das nicht auf einem Infoblatt stehen?“
Mein Blick liess ich von ihm weg auf die Tischplatte sinken und gab beschämt zu, wieso ich es dann trotzdem hier her geschafft hatte.
„Aron, mein Bruder und mein Vater haben das Blatt vor ihr versteckt. Bislang ist es ihr nicht aufgefallen. Also wird das morgen für sie einen ziemlichen Schock sein.“
Erneut erklang das laute Lachen.
„Entschuldige kleiner Kristall, aber ich kann uns nicht als Frauen verkleiden. Das geht nicht. Da musst du wohl oder übel durch.“ Mein neuer Mitbewohner würde nie verstehen dass mein neuer Kosename ihm irgendwann den Kopf kosten mochte.
Entgeistert sah ich zu wie er sich erhob und an mir vorbei in Richtung Eingangsbereich lief. Im Türrahmen drehte er sich nochmals zu mir um.
„Die Gäste kommen gleich. Zieh dir was Schickes an, der erste Eindruck zählt.“
Dann verschwand er. Ich blickte an mir hinunter und betrachtete den hellgrauen Stoff an mir. Irgendwie war ich beleidigt. Ich fand das Kleid echt schön und eigentlich hatte ich nicht vor gehabt mich für die Party umzuziehen. Ich fand es passend. Aber für Mr. Muskelprotz war dies wohl zu wenig.
Und irgendwie war mir gar nicht nach Party. Ich spielte mit dem Gedanken mich für heute in meinem Zimmer zurück zu ziehen, um mit meinen Eltern ein Videotelefonat zu führen und vielleicht noch ein Buch zu verschlingen. Nach so vielen Eindrücken wie heute sollte ich dies auch wirklich tun. Immer noch gekränkt über Arsens Aussage stapfte ich auch in den oberen Stock hoch und den Gang nach hinten zu meinem Zimmer.
Mein Blick verfing sich an einem weissen Metallschild an meiner Tür. Ich hatte es bislang noch nicht bemerkt. Vorhin war Aron vor mir eingetreten und ich war einfach an der offenen Tür vorbei gegangen.
Auf dem Schild stand in grossen, schwarzen Buchstaben „Partykönigin Nr. 1“. Aus einem mir unerklärlichen Grund, schenkte mir es ein Lächeln. Mein Interesse war geweckt und ich suchte die Zimmertüren meiner Mitbewohner ab.
Die vorderste Tür hatte ein Schild mit der Aufschrift „Partykönig Nr. 1“ Auf jeder Zimmertür stand Partykönig nur gingen die Nummerierungen weiter bis zur Vier. Ich lachte in mich hinein. Trotzdem würde ich jetzt in mein Zimmer gehen und die Partykönige alleine Party machen lassen.
Ich war mir sicher, dass ich den Resten der Mannschaft noch genug früh kennen lernen werde.

***

Nach der Musik und dem Gelächter, was durch meine Tür drang, war die Party schon in vollem Gange, als die Verbindung zu meinen Eltern endlich klappte, nachdem ich mich nach etlichen Versuchen ins WLAN meines Wohnhauses einschleusen konnte.
„Hallo Mama, hallo Papa.“ Ich lächelte und winkte in die Kamera am Bildschirm meines Laptops. Zurück kam ein verzerrtes Winken und Strahlen meiner verpixelten Eltern zurück.
„Hallo mein Schatz. Wie ist dein erster Eindruck?“ Die Lippen meiner Mutter bewegten sich, bevor ich ihre Worte aus den Lautsprechern des Laptops vernehmen konnte.
„Gut, hat euch Aron von meinem Zimmer erzählt? Es ist wunderschön!“ Ich sass mit meinen Eltern vor mir auf der Bettdecke im Schneidersitz auf meinem neuen Bett.
„Ja, er hat davon erzählt. Das haben wir auch nicht erwartet. Dann ist auch der Preis der Hochschule wert.“
Mein Vater wurde kurz beim Sprechen von Pixeln überströmt, im nächsten Moment aber wieder scharf gestellt.
„Wollt ihr es schon sehen oder könnt ihr noch bis morgen warten?“
Mein Vater meinte, er könne noch bis morgen warten, im gleichen Zuge klatschte meine Mutter eifrig in die Hände und wollte es unbedingt jetzt schon sehen.
Ich stand also auf und vermied es zu nahe an die Tür zu laufen. Ich wollte nicht, dass sie etwas von der Party im Haus mitbekamen. Ich drehte die Kamera auf dem Bildschirm um und zeigte ihnen mein Zimmer. Aus den Lautsprechern erklang immer wieder ein freudiges Quietschen meiner Mutter. Ich musste sie unbedingt auf die abgestimmten Kleiderbügeln aufmerksam machen. Ich stand vor dem offenen Kasten und freute mich mit meiner Mutter mit, als meine Zimmertür langsam und ganz leise geöffnet wurde ohne dass ich es mitbekam.
Ich gab immer wieder preis wie wundervoll ich das Zimmer fand und wie sehr ich es schätzte dass die Hochschule sogar auf die kleinsten Details wie Kleiderbügel und deren passende Farbe achtete.
Gerade wollte ich die Kamera wieder zurück zu mir drehen, nachdem ich auch das Bücherregal direkt gegenüber der Tür fertig gezeigt hatte, als ich eine mit Absicht freigelassenen, feine Aura vernahm. Ich bekam direkt eine Gänsehaut am ganzen Körper und ich verharrte in der Position mit der Hand auf der Kamera, bereit sie um zu drehen.
Ich hatte viel Feingefühl was nur schon das kleinste, bisschen Aura anging. Mir war bewusst, dass mit Absicht nur so viel freigelassen wurde, so dass es mich nur gerade so hinderte, das zu tun was ich gerade wollte. Hinter mir stand ein Werwolf, da war ich mir sicher. Doch wem gehörte diese Seele von einem Werwolf. War es einer der Gäste? Nein, ein Gast würde mich nicht aufhalten, meine Eltern wieder zu mir zu drehen und somit ihnen den Blick  auf das hinter mir freizugeben.
„Liebling, ich glaube das Bild ist eingefroren!“
Meine Mutter sprach extra laut, sie dachte wohl dass auch der Ton nicht mehr richtig ging.
Ich drehte mich immer noch mit Gänsehaut um. Denn mein Feingefühl wusste, dass es von dieser Aura so unglaublich viel noch gab, dass sie mich umhauen könnte. Wer war dieser unglaublich starke Werwolf, der seine Aura so unter Kontrolle hatte?



 

2. Kapitel

 



Ringelblume

Wirksam gegen Blutergüsse, Prellungen
ebenso bei Verbrennungen und Sonnenbrand.
Hilf gegen Verdauungsstörungen, rissiger Haut
und Entzündungen.


Arsen stand mit dem Zeigefinger vor den Lippen und mit einem warnenden Glänzen in seinen waldgrünen Augen im Türrahmen. Er hatte sich wohl nicht mit Trainerhose und T-Shirt an seiner Party blicken lassen wollen. Nun trug er enge, schwarze Jeans und einen schwarzen Kapuzenpulli. So ganz in Schwarz wurden seine grünen Augen sehr betont. Selbst richtige Schuhe trug er. Schwarze Chucks, die den Look noch lässiger machten.
Ich nickte eifrig zur Antwort. Von meinen Lippen kam kein einziges Wort, darauf konnte er Gift nehmen. Ich war nicht scharf darauf über Video mit meiner Mutter einen Streit heute Abend anzufangen.
Arsen ein Werwolf. Ich hätte ihm einiges zugetraut aber für einen Werwolf war er viel zu ruhig und gelassen. Doch ich konnte mich nicht täuschen, die Aura war eindeutig.
Der Werwolf blickte suchend um sich, bis er dann aus meiner letzten, noch nicht wirklich ausgepackten Tasche, einen Notizblock und Kugelschreiber zog. Darin hatte ich all meine Schulsachen. Zum Glück stand sie gerade neben der Tür und wartete darauf dass ich sie auspacken würde.
Arsen begann etwas auf den Block zu kritzeln und drehte ihn dann zu mir um als er fertig war.
„Mach deinem Namen Ehre Partykönigin.“
Ich schüttelte fest den Kopf, so das meine vorhin geöffnete Lockenmähne in dunkelrot mir um den Kopf flog. Ihm musste doch bewusst sein, das ich niemals die Partykönigin bin, für die er mich hielt.  Er kritzelte wieder auf das nächste Blatt. Wieder drehte er es um.
„Wir bestellen Pizza. Was möchtest du für eine? Geht auf mich.“
Ich sah ihn entgeistert an. Wie sollte ich darauf eine Antwort geben ohne einen Mucks von mir zu geben. Ich verdrehte die Augen und schüttelte wieder den Kopf. Das Risiko jetzt schon aufzufliegen wegen einer Pizza war mir zu gross.
Arsen durchsah mich aber und schrieb noch etwas, dieses Mal länger.
Er drehte den Block zum dritten Mal.
„Hawaii, Funghi, Margarita, Salami, Prosciutto oder Gemüse?“
Ich konnte nicht anders als lächeln. Ich kam also doch noch zu meiner Pizza. Mit der Hand die ich von der Kamer nahm winkte ich mir den Werwolf heran und tippte lautlos mit dem Finger auf Hawaii, als er bei mir ankam.
Er bestätigte mit einem Nicken. Bevor Arsen wieder ging sah er kurz über meine Schultern und erhaschte einen Blick auf meine Eltern die an ihrer Kamer das nicht vorhandene Problem zu lösen versuchten. Peinlich berührt darüber, wie meine Mutter mit Handzeichen Kontakt aufnehmen wollte, schupste ich ihn von mir weg.
Dabei hinetrliess er einen Hauch Parfüm, der sich sofort in meine Nase zog. Ich wollte mir selbst nicht eingestehen dass er fantastisch roch. Ich hatte jetzt andere Probleme, ich musste irgendwie Erleichterung vortäuschen, dass mich meine Eltern plötzlich wieder sehen konnten.  Schon wieder hatte ich die Hand auf der Kamer als mir etwas auf die Schulter tippte. Ich fuhr leicht zusammen. Vor meinem Sichtfeld auf den Bildschirm erschien erneut der Block. Ich las stumm was darauf war.
„Ich warte unten auf dich Partykönigin.“
Ich wollte gerade als der Block wieder verschwand Arsen mit der Hand von der Kamera nach hinten, wieder weg stossen, als ich ins Leere griff.
Das letzte was ich von ihm mitbekam war die Tür, die er leise hinter sich schloss.
Ich presste die Lippen aufeinander und atmete kurz lautlos tief ein und aus. Dann konnte ich endlich die Kamera drehen und meine Mutter hören einen Freudeschrei abzulassen.
Hatte Arsen mich jetzt etwa mit einer Pizza erpresst nach unten zu kommen? Ja denn ich war mir sicher, dass er sie mir nicht hochbringen würde.
Ich sprach mit meinen Eltern noch etwas über den Tag und erzählte von dem luxuriös eingerichteten Haus. Als die Frage fiel wie meine Mittbewohnerinnen waren, sagte ich sie seien sehr nett.
Ich werde Morgen die Ausrede benutzen, das ich durch die Videounterhaltung verstanden hätte, das meine Mutter nach den Mitbewohnern fragte.
Mit einem Lächeln verabschiedeten wir uns voneinander als ich dachte, dass es langsam Zeit für die Pizza sein würde.
Ich war froh als ich den Laptop schliessen und die Kamera abnehmen konnte.
Irgendwie hatte ich überhaupt keine Lust, mich unter das Getümmel von Partygästen zu mischen. Plötzlich war mir meine Pizza egal und ich bewegte mich zu meinem Bücherregal. Von da nahm ich mir einen gestern neu gekauften Liebesroman und warf mich zurück auf das Bett. Komplett streckte ich mich auf dem Rücken aus und schlug mit gehobenen Armen das Buch oberhalb meiner Augen auf.
Es ging nicht lange und ich verlor mich in der Liebesgeschichte. Aus drei Seiten wurde ein Kapitel und daraus dann fünf davon.
Ich wurde von meinem eigenen Magen aus den Seiten gerissen. Das Sandwich von heute Abend war ihm wohl nicht genug. Seufzend schloss ich das Buch, nach dem ich ein Lesezeichen eingesetzt hatte. Kraftlos liess ich meine Arme auf die Matratze sinken. In der einen Hand den Liebesroman. Meine Jadeaugen krallten sich an der Decke fest und ich fing ernsthaft zu überlegen an, einfach runter zu gehen, meine Pizza zu holen und sie dann in Ruhe in meinem Zimmer zu geniessen während ich weitere Kapitel verschlang.
Erneut mit einem tiefen Seufzen setzte ich mich in meinem Bett auf. Ich war entschlossen nun genau dies zu tun.

***

Mir kamen schon etliche fremde Wesen mit roten Pappbechern in den Händen, nur schon auf dem Weg zur Treppe entgegen. Die Zimmertüren der Partykönige standen offen und als ich an ihnen vorbei lief konnte ich auch darin wild feiernde Gäste sehen. Kurz kam mir der Gedanke dass ich vielleicht mein Zimmer abschliessen sollte. Ich zwang mich aber dazu, die Treppe hinunter und über Beine von Trinklustigen zu steigen, die es sich auf den Stufen bequem gemacht hatten. Die Musik drang immer näher an mein Ohr, die aus der Küche zu kommen schien. Meine Aufmerksamkeit hatte aber ein ganz anderer Ort. Neben mir drang lautes Gegröle und Gelächter an mich heran. Ich blickte zu dem offenen Raum, den ich bis lang gar nicht zur Kenntnis genommen hatte. Als ich den Rundgang mit Aron heute Mittag gemacht hatte, wurden wir von den Schritten überrascht, worauf wir gar nicht das Wohnzimmer angesehen hatten.
Eine riesengrosse, schwarze Ledercouch, auf der mindestens zehn Wesen Platz hatten, so viel ich gerade zählen konnte. Sie alle starrten in einen Flachbildschirm an der Wand, der diese mit seiner Grösse fast komplett einnahm. In manchen Händen waren Controller einer Konsole auf der sie ein wohl aufbrausendes Spiel erlebten. Im hinteren Teil stand ein schwarzer Flügel, der mich schon etwas aus der Fassung brachte. Für mich gab es nichts Romantischeres als Klaviermusik. Ich selbst hatte wenige Stunden Unterricht, doch so zu spielen wie in den Musikstücken meiner Lieblings Liebesfilmen vermochte ich nicht.
Wem wohl dieser Flügel meiner Mitbewohner gehörte und wie anstrengend es doch war, solch ein heikles, wuchtiges Teil durch die Türen zu bringen.
Keiner der Anwesenden im Wohnzimmer beachtete mich noch nahm mich irgendjemand wahr. Sie alle waren mit sich selbst und der Konsole beschäftigt. Ich wurde sogar gebeten entweder weg zu gehen oder rein zu gehen, als zwei männliche Wesen in Poloshirts sich zu den anderen gesellen wollten. Ich entschied mich weg zu gehen. Zocken war nicht meins und auch keine wilde Gruppe von magischen Wesen die total in Partystimmung war entfachte mein Interesse.
Ich lief wieder an den Treppenwesen vorbei in den Küchenbereich.
„Na die Neue hier. Sie hatte wirklich gedacht ich wäre ihre Mitbewohnerin. Diese graue Maus und ihr heisser Bruder hatten mich total angestarrt. Bei dem Bruder war ich mir nicht sicher ob er mich angestarrt hatte weil er etwas von mir wollte. Ich wäre ja nicht abgeneigt. Ausserdem sah er nach viel Geld aus, wenn ihr wisst was ich meine.“ Die verletzlichen Worte, die in meine Ohren drangen, wurden von einem wilden Kichern begleitet.
Ich erkannte das Wesen, zu dem dieses Geläster gehörte. Es war die Schwarzhaarige von heute Mittag. Irgendwie war sie schon wieder hier, was mich beunruhigend fest stellen liess, das ich sie vielleicht noch öfters sehen werde.
„Das reicht Van. Vergiss nicht dass sie nun unter unserem Schutz steht. Sie ist Bewohnerin dieses Hauses.“ Es war Arsen der sich für mich einsetzte, obwohl er von den Beinen und Armen dieser Schlange umschlungen war. Sie sass auf der Kücheninsel und hatte  ihn sich mit allem was sie hatte gekrallt. Die Arme um seinen Hals und die Beine um seine Hüften.
„Spielverderber.“ Neckte sie ihn und drückte ihre bekannten, roten Lippen auf seine. Er schien es wiederwillig zu zulassen.
Mir platzte gleich der Kragen, doch ich versuchte nicht in Tränen auszubrechen und erblickte meine Rettung. Eine Pizzaschachtel ganz alleine neben dem Herd, auf dem doch tatsächlich „Kleiner Kristall“ stand. In einer anderen Situation hätte ich Arsen den Kopf vom Hals abgetrennt, doch gerade war ich dankbar dass meine Pizza mit diesem Zettel in Sicherheit vor den hungrigen Fremden war.
Ich biss mir auf die Unterlippen und zwang meine wackeligen Beine los zu laufen. Nur mit dem Ziel vor Augen mir die Pizzaschachtel zu schnappen und mich dann wieder aus dem Staub zu machen. Vielleicht würde ich mir auch einen kurzen Moment in meinem Zimmer geben, um in mein Kissen zu weinen, bevor ich essen würde. Ohne irgendjemanden anzusehen schnellte ich an der Schwarzhaarigen und Arsen vorbei, der immer noch ihre Küsse über sich ergehen liess. Und natürlich an den anderen weiblichen Wesen in der Küche, die vorhin mitgekichert hatten.
Eilig schnappte ich mir die Pizza, ohne auf die fragenden Blicke der Unbekannten zu reagieren.
„Saphira? Bist du Saphira?! Ich dachte ich müsste dir morgen Frühstück aufs Zimmer bringen damit ich dich kennen lernen würde.“ Vom Esstisch her winkte mir ein männliches Wesen zu, das überhaupt keine Angst zu haben schien, von dem Zorn der Zickengang getroffen zu werden.
„Komm doch mal her!“
Ich schüttelte kurz den Kopf und drückte mir die Pizzaschachtel an die Brust.
„Sorry, ich trinke nicht.“ Ich erhoffte mir mit diesen Worten dass er mich ziehen lassen würde. Trotzdem dachte ich über seine Worte über das morgige Frühstück nach. War er etwa auch einer meiner Mitbewohner?
„Hey graue Maus, warst du noch nie auf einer Party?“ Mittlerweile bescherte die Stimme der Schönheit hinter mir, meiner Kehle einen Brechreiz. Ruckartig drehte ich mich um und funkelte sie wütend an.
„Glaubst du mein Bruder würde sein hart verdientes Geld für solch eine wie dich ausgeben? Männer mit Stiel lassen sich nicht auf Lästerweiber wie dich und ganz ohne Charakter ein!“
Das hatte gesessen. Von dem Esstisch kam lautes Gelächter und die ach so tollen Lippen der Schwarzhaarigen pressten sich wuterfüllt zusammen.
Ihre Freundinnen sahen mich ebenfalls total entgeistert an, bis ich dann merkte, dass ich sie wohl getroffen hatte aber ich nun nicht mehr in Sicherheit war.
Mit einem leeren Schlucken versuchte ich ihrem starren Blick nicht nachzugeben und sah ihr direkt hinein. Arsen unterbrach das auflodernde Feuer zwischen uns mit einem kegligen und rauen Lachen. Langsam löste er sich von der Schönheit die er sich geangelt hatte und strich sich mit einer Hand weiter lachend durch die Haare.
„Du Idiot, durch die Tatsache das du dich mit mir abgibst, hat sie dich mitbeleidigt!“ Sie schien wütend zu sein, und wollte ihn sich gerade wieder krallen, als der glucksende Werwolf sich weiter von ihr entfernte in Richtung zu mir.
„Das reicht jetzt, du elendes Ding. Hast du das Gefühl du kommst bei mir mit solchen Worten durch. Vergiss es. Wird Zeit das du begreifst welches weibliche Wesen hier den Ton angibt!“
Und ab da bereute ich, mich jemals gewehrt zu haben. Ihre Wut liess mich eine Kostprobe ihrer Aura spüren. Auch ihre Freundinnen liessen eine feine Brise los. Mir wurde schlagartig klar, dass ich mich gerade mit einem nicht mehr aus dem Lachen kommenden Werwolf, mitten in einem Harpyiennest befand. Sie alle waren Harpyien und somit sehr gefährliche Wesen für mich. Wenn es hart auf hart kommen würde, hätte ich als Kräuterhexe keine Chance gegen sie.
Sie zu heilen während sie mich angriffen war nicht sehr effektiv aber das Einzige was ich beherrschte. Ich zog mich langsam zurück, bis ich die Küchentheke im Rücken spürte.
Die Harpyie sprang von der Kücheninsel und kam mir mit ihren funkelnden, goldenen Augen ein Stück näher. Erst als sie ihre Hände zu Fäusten ballte, erkannte ich ihre spitzen, langen, knallroten Fingernägel. So viele Hinweise darauf dass sie eine Harpyie sein konnte, waren vor mir gelegen und ich hatte sie nicht bemerkt. Ihr schwarzes, wunderschönes Haar, ihr makelloses Gesicht und die goldenen Augen so wie die Krallen an ihren Fingern. Genauso wie bei ihren Freundinnen was ich jetzt auch erst begriff.
Mit einem weiteren nun stärkeren Stoss ihrer Aura, fühlte es sich an, als ob sie mir damit in die Magengrube geschlagen hätte. Ich zog schmerzerfüllt Luft zwischen die Zähne, versuchte mich aber nicht zu krümmen sondern drückte die Pizzaschachtel noch mehr an mich.
„Van, das reicht! Du kennst die Regeln in diesem Haus!“ Von einem Moment auf den anderen war für Arsen Schluss mit Lachen. Nun war auch seine Aura zu spüren. Anders als die von Van, war sie um einiges mehr gefüllt von Unterdrückung und Macht. Der Werwolf stand an meiner Seite und kurze Zeit später, stand an meiner anderen Seite ebenfalls ein Werwolf, der mit seiner Aura ihr drohte.
„Sie wohnt hier, tu ihr noch ein Mall weh Harpyie und ich zerbeisse dir dein Gesicht!“ Anders als Arsen war das vorhin mir winkende Wesen aufbrausend und temperamentvoll wie es sich für einen Werwolf gehörte.
„Kommt runter Jungs, ich wollte doch nur mit der grauen Maus etwas spielen. Ich wollte nicht, das sie sich gleich nass macht.“ Van sah amüsiert und mit Triumpf in den Augen auf meine Pizzaschachtel, die ich völlig an mir zerdrückt hatte.
Ich folgte ihrem Blick und sah an mir herunter. Sofort peinlich berührt musste ich feststellen dass ich der armen, hilflosen Pizza mit meinen Armen das Fett des Käses und den Saft der Ananas ausgedrückt hatte und diese nun aus der Schachtel auf meinen Schoss flossen. Mein graues Sommerkleid sah nun wirklich so aus, als hätte ich mich vor Panik eingenässt.
„Du bist einfach nur grausam Van! Wenn Arsen nicht wäre, würdest du hier mit deiner Klicke gar nicht mehr reinkommen dürfen!“
Der Werwolf, dessen Name ich immer noch nicht wusste, stand wirklich für mich ein und das obwohl er solch ein perfekt aussehendes Wesen vor sich hatte. Er hielt wohl nicht viel von Harpyien. Anders als Arsen.
Doch in dem Moment meiner Gedanken, wurde die Küche von einem grollenden Knurren erschüttert und von dem mir schon bekannten Werwolf entsprang eine etwas grössere Welle seiner Aura, die auch Van nicht mehr zum Lachen empfand.
Mich, schwache Kräuterhexe, liess der kleine Unterschied seiner Aurapräsenz von dem vorherigen Strom sofort auf den Boden sacken. Die Aura liess meine Beine schwach werden. Der für mich spürbare Druck entzog mir beinahe meine Kräfte.
„Was für ein Häufchen Elend, dass ihr zu beschützen versucht. Wir sehen uns Arsen, du wirst schon wieder zu mir kommen. Ladys, wir gehen.“ Mit den Worten an Arsen zwinkerte Van ihm lächelnd zu und drehte sich dann um. Das Harpyiennest machte sich aus dem Haus, ohne sich noch einmal umzudrehen.
„Saphira, geht es?“ Der Fremde, der sich für mich eingesetzt hatte, ging neben mir in die Hocke und zog mir sachte die zerdrückte Pizzaschachtel aus den Armen.
„Arsen, du kannst einem solch feinen Wesen wie ihr nicht solch eine Masse deiner Aura zumuten.“ Es klang wie ein Vorwurf dem Werwolf gegenüber.
„Mir geht es gut, ich will einfach nur in mein Zimmer und schlafen, bitte.“
Die stummen Blicke der Zuschauer von dem vorherigen Spektakel, liessen  noch mehr Unsicherheit in mir aufkommen.
„Geht wieder das tun, was ihr vorhin getan habt, hier gibt es nichts zu glotzen.“ Arsen scheuchte die Gaffer weg und setzte sich ebenfalls in die Hocke zu mir runter.
„Entschuldige, das wollte ich nicht.“ Seine Stimme klang rau und sanft. Sie wirkte sehr beruhigen auf mich.
„Ich bringe sie hoch, ist besser wenn du dich wieder in den Griff bekommst.“
Arsen sah dem Werwolf neben mir tief in die Augen, dann stand er auf und verliess die Küche. Ich sah ihm schweigend nach, bis mich der Fremde aufhob und mich tatsächlich an all den Partygästen in mein Zimmer hochtrug.
Dabei sah ich ihn mir genauer an. Wie mein erster Mitbewohner war auch er völlig durchtrainiert. Seine Augen hellbraun und die Haare schwarz. Es war stecken gerade und kam ihm bis auf die Schultern. Die Fransen und die Strähnen an seinen Schläfen waren zu einem Knoten an seinem Hinterkopf gebunden.
„Und du bist sicher dass ich dich alleine lassen kann?“
Ich sass auf dem Bett und starrte vor mich auf meinen befleckten Schoss.
„Ja, ich lege mich jetzt schlafen.“
Ich wurde nochmals von dem Werwolf prüfend betrachtet, bis er dann nochmals auf mich zukam.
„Ich hatte noch gar keine Zeit mich vorzustellen. Ich bin Lauren, Partykönig Nummer zwei.“ Sein grinsen war breit und seine Augen strahlten mich von oben an. Er war wohl nicht ganz so gross wie Arsen, dennoch ein Felsen vor mir, so wie ich zurück gezogen auf der Kannte meines Bettes sass. 
Ich schüttelte kurz seine einladende Hand und konnte mir kein Schmunzeln verkneifen. Partykönig Nummer zwei, also doch ein weiterer Mitbewohner.
„Saphira, freut mich Lauren.“
Er liess meine Hand los und zwinkerte mich mit einem noch breiteren Grinsen an.
„Ich kenne deinen Namen.“
Natürlich, er hatte ihn schon in der Küche von sich gegeben. Ein unangenehmes Schweigen kam langsam zwischen uns auf, das er sofort wieder löste.
„Also ich lass dich mal in Ruhe, wenn was ist, komm zu mir ja?“
Lauren winkte mir noch kurz zu und verschwand dann aus meinem Zimmer. Die Tür zog er dabei zu und liess mich alleine mit den Gedanken an die vorherige Situation in der Küche.
Ein kühler Schauer überkam mich als ich mich an die Auren erinnerte, die sich um mich bewegt hatten. Wenn es so richtig zur Sache gekommen wäre, hätte ich keine Chance gehabt. Zum ersten Mal fühlte ich mich nicht wie eine Hexe aus dem mächtigsten Zirkel.
Mir wurde plötzlich klar, dass wir nicht mächtig waren, sondern nur die grösste Begabung zur Sammlung von Heilkräuter zu haben schienen.

***
Ich hatte plötzlich das brennende Verlangen, mich bettfertig zu machen und das Ganze in der Küche heute Abend hinter mir zu lassen. Obwohl ich sehr interessiert war, meine neuen, mir noch unbekannten Mitbewohner kennen zu lernen, entschied ich, dass morgen noch genügend Zeit dafür war. Morgen war erst Samstag und ich hatte noch zwei Tage um mich hier einzuleben, bevor das wofür ich eigentlich hier war, anfing. Ich musste mich einfach nur auf das Studium konzentrieren, dann würde die Zeit wie im Fluge vorüber ziehen. Als ich so an morgen dachte, wurde ich von der Erinnerung erschüttert, dass meine Eltern mich morgen besuchen kamen. Das war kein Weltuntergang. Der eigentliche Weltuntergang war, das ich in einem reinen, männlichen Wohnhaus untergekommen war und meine Mutter weder was davon wusste noch es gut heissen würde. Seufzend losch ich das Licht und liess mich auf mein Bett nieder. Blinzelnd versuchten meine Augen sich an die Dunkelheit zu gewöhnen die nun über meine neuen vier Wände herrschte. Langsam konnte ich die Decke oberhalb von mir erkennen und ich taxierte sie nachdenklich mit meinen Blicken. Nur in knappen Stoffhosen und einem engen Trägershirt lag ich da. Das ganze hielt sich in Schwarz, wobei nur ein heller Streifen zwischen Shirt und Hosenbund, der meine Haut darstellte im Dunkeln zu erkennen war. Darunter kamen meine Beine, deren Haut sich ebenfalls von der Dunkelheit abhob, als ich an mir hinunter sah. Doch wie es meistens war, konnte ich nicht einschlafen, obwohl ich es gerne getan hätte. Die vorherigen Bilder in der Küche überrollten mich. Zu still war es in meinem Zimmer und ich wurde total von meinen Gedanken eingenommen. Ich hatte nichts auf das ich mich mehr konzentrieren konnte.
Vor meinem inneren Auge sah ich die beiden starken Rücken, die eisern wie eine Schutzmauer zwischen mir und den Harpyen standen. Bei der Erinnerung der Aura der beiden Werwölfe, fing meine Haut am ganzen Körper an zu kribbeln. Mein Kopf schweifte zu Arsen, dessen Aura heute nichts mehr mit Warnung zu tun hatte. Sie war kraftvoller als die von einem anderen Wesen in der gleichen Situation. Irgendwie schien diesen einen wunden Punkt bei ihm getroffen zu haben und für einen kurzen Moment entsprang mehr von seiner unterdrückenden Macht als eigentlich sollte.
Ich atmete tief durch und schlüpfte unter die weiche Bettdecke. Sofort umhüllte mich der angenehme Geruch von frisch gewaschenem Stoff.  Ich konnte immer noch nicht glauben, was für ein wunderschön, eingerichtetes Zimmer ich bewohnen durfte und das man sogar die Bettwäsche vor meinem Einzug gewaschen hatte, empfand ich für einen Bonuspunkt wert.
Als ich gerade meine Gedankengänge unter Kontrolle hatte und mich endlich langsam auf den Weg machte einzuschlafen, wurde die Dunkelheit um mich herum von einem Lichtkegel durchbrochen, der sich unter meine Augenlider drückte. Sofort schlug ich erschrocken über das Licht, das ich doch eigentlich ausgemacht hatte, die Augen auf und setzte mich schlagartig auf. Die Bettdecke rutschte von meinem Oberkörper und blieb in meinem Schoss liegen.
„Ganz ruhig Kleiner Kristall, ich bin es nur. Ich habe mir nicht gedacht, das du nach dem Vorfall in der Küche einfach schlafen gehen kannst.“
Arsens Stimme und der nach Tannen riechenden Geruch seines Parfüms umhüllte alles im Zimmer. Ich musste mehrmals blinzeln um überhaupt seine Umrisse zu erkennen. Hinter sich schloss der Werwolf mit einer Hand die Tür. Erst als er sich zu mir auf die Bettkante an meinen Füssen gesellte, durchbrach auch der Geruch von Pizza die Dunkelheit.
„Ich wäre auch erst jetzt langsam eingeschlafen.“
Meine Nase nahm den Pizzageruch in sich auf und sofort spürte ich wie aus dem Nichts, wie leer mein Magen eigentlich war.
Arsen schien die Pizzaschachtel auf die Bettdecke gelegt zu haben, als er wieder aufstand. Oberhalb meiner Füsse wurde der Stoff erwärmt.
In kürze erhellte meine Nachttischlampe das Zimmer mit einem warmen Licht, das durch den rosafarbenen Lampenschirm ein leichtes Rose gefärbt wurde. Mein Mitbewohner liess sich wieder nieder und legte die Pizzaschachtel auf den Schoss. Ein feines Bewegen der Mundwinkel konnte ich ausmachen, als ich ihn so ansah.
„Entschuldige, dass ich dich daran hindere, aber ich dachte mir, nach dem deine Pizza zerdrückt wurde, hast du ausser einem Sandwich heute Abend nicht wirklich etwas gegessen. Ich habe dir eine neue Pizza bestellt.“
Nett, das er mir nicht unter die Nase rieb, das ich aus Panik sie zerdrückt hatte.
Ohne ein weiteres Wort legte mir Arsen die warme Schachtel auf den Schoss. Ich traute meinen Ohren nicht.
„Du hast was?“
Ohne Worte gab er mir die Antwort durch das Öffnen der Pizzaschachtel auf mir. Der Geruch schoss mir nun mit voller Kraft in die Nase und mein Magen zog sich hungrig zusammen.
„Das wäre nicht nötig gewesen.“
Irgendwie war ich peinlich berührt von dieser unglaublich netten Geste.
„Mehr als du denkst. Und jetzt iss, bitte.“
Der Werwolf stand wieder auf und lächelte mich kurz vor der Tür an.
„Gute Nacht Saphira, bis morgen.“
„Warte, ich würde gerne noch etwas mit dir besprechen.“
Klar war die Pizza auf meinem Schoss verlockend, doch ich musste erst etwas loswerden, sonst würde ich heute Nacht nicht wirklich schlafen können.
Er blieb stehen und seine Hand ruhte auf dem Türgriff. Mit einem leeren Schlucken legte ich die Schachtel neben mich und klopfte mit der flachen Hand an die Stelle vor mich, an der er noch gerade sass.
Arsen verstand und kam wieder zurück zu mir.
„Was hast du auf dem Herzen?“
Ich nahm einen grossen Zug Luft und setzte an.
„Wie du schon weisst kommen mich meine Eltern morgen besuchen. Ich habe grosse Angst das meine Mutter ein riesen Theater hier veranstalten wird, wenn sie sieht das ich hier mit nur männlichen Wesen wohne. Versteh mich nicht falsch, ihr seid nett, aber meine Mutter hat da so ihre Ansichten. Sie ist auch total gegen Partys und wenn sie sieht, wie es morgen nach der Party in der Küche aussieht, kriegt sie ganz einen Herzinfarkt.  Ist  nicht böse gemeint, ich will euch nur vorwarnen.“
Es fiel mir sehr schwer ihm bei diesem für mich sehr peinlichen Thema in die waldgrünen Augen zu sehen. Dadurch vermied ich den Augenkontakt und sah auf meine Finger hinunter, an denen ich aufgeregt herumknetete.
„Alles gar kein Problem, ich habe hier alles im Griff. Mach dir keinen Kopf, wenn deine Mutter morgen wieder von hier geht, wird sie sogar davon überzeugt sein, das wir besser als jede Mitbewohnerin sind. Vertrau mir.“
Arsen hatte die Gabe mich zu beruhigen. Selbst in der Küche, hatte ich neben der Panik und seiner Aura, das Gefühl sicher zu sein. Mit seinem Beschützerinstinkt hatte ich mich trotz der vielen anderen Einflüsse für einen kurzen Moment sicher gefühlt. Dies tat ich auch jetzt und ich war mir sicher, dass morgen alles gut kommen wird.
„Danke. Das ist mir viel wert.“
Als ob Arsen mit Dankbarkeit nicht recht wusste wie umzugehen, wechselte er das Thema schlagartig.
„Also wenn du die hier nicht isst, werde ich es tun.“
Er griff nach meiner Schachtel, die ich ganz schnell zu mir in Sicherheit nahm, bevor er sie überhaupt berühren konnte.
„Geizkragen.“
Die Mundwinkel des Werwolfes schnellten nach oben und ich wurde mit einem strahlenden Lächeln erpresst. Geschlagen schlug ich den Deckel der Pizzaschachtel auf und bot ihm den Inhalt an. Triumphierend blickte er auf die Pizza hinunter und nahm sich eines der schon vorgeschnittenen Stücke. Erst in diesem Augenblick fiel mir auf, dass er sogar die gleiche Pizza bestellt hatte, die ich ursprünglich mir gewünscht hatte.
„Und was ist dein Hauptfach?“
Ich tat es ihm gleich und füllte meinen Magen mit der wohl besten Pizza seit langem, die ich zwischen die Zähne bekam.
„Wir sitzen auf deinem Bett, essen Pizza im romantischen Licht einer Nachttischlampe und du hast mich nichts Besseres zu fragen als was ich für ein Hauptfach habe? Kein Wunder hast du keinen Freund. Hattest du überhaupt schon einmal einen?“
Seine direkten Worte, liessen mich an einem Bissen der Pizza verschlucken, worauf ich zu husten anfing. Mit leicht wässerigen Augen von dem Kratzen in meinem Hals, sah ich ihn leer schluckend und ungläubig an.
„Bitte was?“
„Na wenn du einen Freund hättest, wäre sein Name und seine Bedeutung in deinem Leben bestimmt schon mit dem Worten Eltern und Besuch gefallen. Ausserdem hättest du mit ihm bestimmt auch eine Videounterhaltung heute geführt, wenn dieser jemand existieren würde.“
Ich war komplett fertig vom Zuhören. Für meinen Geschmack, machte sich Arsen zu viele Gedanken um Situationen, die sich um ihn abspielten. Auch wenn ich seinen Theorien Recht geben musste, fand ich es ziemlich unhöflich von ihm, mich so direkt mit diesem Thema zu konfrontieren.
„Okay, du beantwortest mir meine Frage und ich eine von deinen.“
Ich nahm mir noch ein Stück, als der letzte Bissen des ersten in meinem Mund verschwand.
Arsen tat es mir ohne zu fragen gleich, was mich merkwürdigerweise gar nicht störte. Normalerweise war ich wirklich ein Geizkragen was Essen anging. Kam wohl aus meiner Kindheit, in der meine Brüder mir immer alles weggefuttert hatten. Mehr aus der Fassung brachte mich, das er wie selbstverständlich in die Schachtel auf meinem Schoss griff, ohne sich irgendetwas dabei zu denken.
„Nein, ich will beide Fragen beantwortet haben, also stell mir noch eine Frage und dann sind wir quitt.“
Kurz unterbrach Arsen und sah mich abwartend an. Ich willigte mit einem kauenden Nicken ein. Dabei erwiderte ich seinen Blick. Doch ich verlor das Starren gegen ihn und musste auf die Seite blicken bevor ich irgendwelche Reaktionen meiner Nervosität ausstrahlte.
Es waren ganz schön private Fragen die er mir da stellte, doch ich hatte schon eingewilligt, da musste ich nun durch.
„Mein Hauptfach ist Kampfmagie. Dabei habe ich noch die Fächer in jeglichen Kampfkünsten und Waffenkunde.“
Dies war ausführlicher als ich erwartet hatte. Eine Kampfmaschine also dieser Werwolf. Bestimmt wird er später in der Armee auffindbar sein. Kurz wollte ich zögern, doch dann erinnerte ich mich daran, dass er die Hälfte unseres kleinen Deals schon eingehalten hatte.
Ich legte das Pizzastück halb aufgegessen zurück in die Schachtel und blickte tief durchatmend an die Decke. Als ob ich mit ihr reden würde, sprach ich die Worte empor aus.
„Ich habe keinen Freund.“
Arsen sah nicht zufrieden aus, obwohl er mich schief angrinste. Seine hochgezogenen Augenbrauen hinter dem Pizzastück das er angehalten vor seinem Grinsen hielt, forderten mich auf die zweite Antwort von mir zu geben.  
„Ich hatte schon ein paar Freunde. Doch meistens endete es dabei, das wegen meiner Familie mit mir zusammen waren und ich das gemerkt habe oder sie hatten andere Vorstellungen für die Zukunft, die für mich noch nicht planbar waren.“
Nun war es draussen und ich musste nur noch abwarten, bis Arsen eine Reaktion von sich gab. Dabei sah ich ihn immer noch nicht an. Mein Blick wanderte auf die Seite und hinunter auf die Matratze.
Ich war es nicht gewohnt mit einem männlichen Wesen, dass ich zudem nicht wirklich kannte, über so etwas Intimes zu sprechen. Oder besser gesagt für mich etwas Intimes. Bei Werwölfen schien die Grenze dafür, das etwas intim war weiter unten zu liegen als bei mir.
„Saphira seh mich an. Bitte.“
Dieses Wort bitte, dass er nun schon wieder so erzwungen hinter seine Aufforderung anhing, liess mich zu ihm aufblicken. Er sah mich bereits schon an worauf sich unsere Blicke sofort trafen. Mir schoss peinlicherweise gleich Wärme in die Wange und ich konnte jede Wette eingehen, dass ich ihn nun mit hochroten Wangen und zitterndem Blick anstarrte. Was tat ich denn da? Wieso hatte ich mich auf solch ein Gespräch mit ihm eingelassen?
Arsen brach unser gemeinsames, für mich unangenehmes Schweigen mit einem amüsierten Zucken seiner Mundwinkel. Das war genug. Er zwang mich zu so einem Gesprächsthema, dann brachte er mich dazu ihn dabei anzusehen und nun machte er sich auch noch lustig über mich. Meine Frustration liess mich eine völlig unbedachte Frage stellen, die einfach aus mir herausplatzte.
„Du wirst wahrscheinlich schon tausende von Freundinnen gehabt haben, stimmt’s?  Oh ein männliches Wesen mit Erfahrung, wie entzückend.“
Das Letztere war ziemlich gemein, das war ich mir bewusst, doch ich hatte es schon ausgesprochen, nun musste ich die Konsequenzen tragen. Arsen sah mich total verdutzt und mit leicht geweiteten Augen an. Ich hielt dem Blick stand und versuchte so ernst rüber zu kommen wie möglich. In seinen Augen kam ein Sturm auf, der den Wald in ihnen wild und düster werden liess.
„Komme ich so für dich rüber Saphira?“
Mein Kosename den er mir ab der ersten Minute gegeben hatte störte mich sehr, doch wenn er meinen Namen immer so betonte, als ob er mir zeigen wollte, dass er ihn ebenfalls kannte, überlief mich immer wieder ein leichter Schauer. Nun war es sein verärgerter Blick, der mir ein kurzes Frösteln entzog.
Ich sah weg, an mir herunter und presste die Lippen fest aufeinander. So schnell und ich bedauerte meine Frage und die ihr folgende Bemerkung. Das war wirklich nicht fair von mir, doch es machte mich so wütend, wenn nun auch er sich über mich lustig machte.
„Ich hatte bis lang zwei Freundinnen. Die einte war weit weggezogen und wollte keine Fernbeziehung und die andere kam mit meinem…Lebensstil nicht klar.“
Was meinte er mit Lebensstil? Gab es Wesen die sich daran störten, das man studieren ging oder war es vielleicht, weil Arsen sich für Kampfkünste und die dazugehörende Magie interessierte?
„Entschuldige bitte das war nicht fair von mir. Aber es ist auch nicht fair von dir, das du dich über mich lustig machst, wenn…“
Ich kam nicht zum Ende.
„Ich mach mich doch nicht lustig über dich. Was denkst du denn?“
Er klang wirklich geschockt über meine Aussage. Dies liess mich aufblicken und in einen wohl immer noch stürmischen Wald starren, der aber sich langsam zu beruhigen schien.
„Du hast vorhin fast gelacht.“
Ich wich seinen Augen wieder aus und stellte die Pizzaschachtel zwischen und auf das Bett. Irgendwie brauchte ich plötzlich eine Art Mauer zwischen uns.
„Das stimmt nicht, mich amüsiert einfach wie schwierig du dich tust mit solchen Themen. Aber das hat nichts mit auslachen zu tun. Du gibst mir keinen einzigen Grund mich über dich lustig zu machen. Das meine ich ernst.“
Ich liess den Blick gesenkt und nickte vor mich hin.
„Ich würde jetzt gerne schlafen,  meine Eltern tauchen morgen schon um zehn Uhr auf.“
Ich wollte alleine sein. Wenn Arsen länger bei mir blieb, war die Gefahr gross, das ich mich noch mehr lächerlich machte, als ich es schon getan hatte.
„Du meinst heute. Wir haben nach zwölf Uhr.“
Er nahm die Pizzaschachtel und stand vom Bett auf. Ich schätzte sehr, dass er spürte, dass ich alleine sein mochte.
„Schon so spät?! Ich muss noch den Wecker stellen.“
Gerade wollte ich mich zu meinem Schreibtisch bewegen, als der Werwolf sich schon dort befand. Er legte die Schachtel ab und hielt meinen Retro-Wecker in der Hand. Dieser stand aus gutem Grund weiter vom Bett weg. Wenn ich morgens nicht aufstehen musste um den Wecker zum Schweigen zu bringen, würde ich wieder einschlafen. Ausserdem brauchte ich Krach um aufzuwachen, also hatte ich mich für einen alten, extrem lauten Wecker entschieden.
„Wann willst du aufstehen?“
Dankbar darüber dass ich mich nicht aus der warmen Decke bewegen musste, legte ich mich hin. Wie aus heiterem Himmel war ich wirklich bereit um gleich einschlafen zu können. Das Gespräch hatte mich irgendwie wirklich geschafft.
„Um neun wäre super.“
Ich hörte ein Okay von Arsen und dass er den Wecker nun gestellt hatte.
Bevor er mein Zimmer verlassen konnte, riss mich ein Gedanke wieder aus meinem Einschlaf-Modus.
„Noch eine Frage Arsen. Ist diese Harpye deine Freundin?“
Meine Frage kam nur noch als Grummeln, während ich mein Kopf auf dem Kissen zurecht legte.
Ich begriff gar nicht, was ich da eigentlich gefragt hatte, was auch dazu führte, das es mir null peinlich war.
„Unser Deal besteht aus zwei Fragen kleiner Kristall, nicht aus drei.“
Ich war zu müde um wütend etwas darauf zu antworten und liess ihn nun mein Zimmer mit der nicht ganz leeren Pizzaschachtel verlassen.



3. Kapitel

Ingwer
Lindert Schmerzen und hilft gegen
Entzündungen. Vorbeugend gegen
Erkältungen. Wirksam gegen
Verdauungsstörungen, Appetitlosigkeit
und Übelkeit.

 
Warme Sonnenstrahlen kitzelten meine Nase und strichen über meine Wangen. Langsam öffnete ich meine verschlafenen Augenlider blinzelnd. Mein ganzes Zimmer war von der Morgensonne erhellt. Meine jadegrünen Augen liess ich aus dem Fenster schweifen und erkannte da den strahlend, blauen Sommerhimmel. Die Sonne stand schon hoch und strahlte mir genau ins Gesicht.
Moment Mal, die Sonne stand schon hoch? Ich setzte mein Blick ohne Umwege auf den Wecker auf meinem Schreibtisch. Dieser zeigte ohne ein schlechtes Gewissen halb zwei an. Ich rümpfte leicht die Nase und liess mir das was ich sah durch den Kopf gehen. Halb zwei am Mittag wie es draussen aussah und es war Samstag. Am Samstag bekam ich besuch von meinen Eltern. Mir stockte der Atem. Sie mussten schon längst hier sein. Ich hatte verschlafen!
Wie ein Blitz fuhr ich hoch und zwang mich aus dem Bett. Mein Weg führte direkt zum Kleiderschrank aus dem ich eine knappe Hose aus hellem Jeans und ein schwarzes T-Shirt herausriss. Unterwäsche durfte ich nicht vergessen und vor der Tür griff ich noch nach meinen Finken und meinem Nessessär. Ich stürmte aus meinem Zimmer und schnellte an den bereits schon offenen Türen der anderen Zimmer vorbei zur Treppe. Da blieb ich stehen. Ich sah zuerst an die Zimmertüren zurück an denen die Schilder der Partykönige fehlten. Auch an meiner Zimmertür existierte das Schild der Partykönigin nicht mehr. Stirnrunzelnd begab ich mich einige Stufen hinunter, bis ich durch ein nicht erwartetes Geräusch erneut zum Stehen kam.
Das laute Kichern und Lachen meiner Mutter drang an mein Ohr und die etwas leiseren Lachgeräusche von männlichen Wesen.
Was taten meine Mitbewohner mit meiner Mutter, das diese doch tatsächlich in einem männlichen Wohnhaus so zu lachen hatte?
Ich zwang mich weiter runter zu schleichen und begab mich dann auch gleich die Küche meidend zu einem der beiden Badezimmern. Ich schlich um die Ecke und schnappte mir das erste Badezimmer. Dass dies wohl eher für meine Mitbewohner gedacht war, interessierte mich nicht. Ich schloss die Tür, und stellte mein Nessessär zwischen all die Hygieneartikel für männliche Wesen. Im Spiegel erblickte ich ein Wesen das direkt bei einem Horrorfilm mitspielen konnte. Ich schluckte kurz leer, bevor ich mich daran machte, den Pizzageschmack von paar Stunden aus meinem Mund zu bringen. Ich ekelte mich vor mir selbst, das ich nicht mehr die Zähne vor dem ins Bett gehen geputzt hatte.
Dies holte ich nun gründlich nach und stibitzte sogar etwas Mundspülung von einem meiner Mitbewohner.
Ich duschte mich ab und benutzte ein wohl schon gebrauchtes Badetuch, an das ich danach heran kam. Als ich mich damit abtrocknete  und einwickelte schoss mir der Geruch von Tannen in die Nase. Ausgerechnet das Badetuch von Arsen, der so nett zu mir war, benutzte ich gerade heimlich.
Ich schämte mich etwas, warf es dann aber doch ohne weiter darüber nach zu denken in den Wäschekorb. Ich hatte jetzt keine Zeit mich mit solchen Dingen abzugeben, ich würde es ihm irgendwann, wenn meine Eltern weg waren beichten müssen. Doch jetzt war das Wichtigste, das ich meine Mitbewohner vor meiner Mutter schützte.
Ich zog mich an und schlüpfte in meine Hausschuhe, die aus schwarzem Plüsch bestanden.
Mein Haar kämmte ich kurz durch und wand es zu einem Knoten am Hinterkopf zusammen. Dies gelang mir nicht wirklich und ich entschied meine Lockenmähne offen zu lassen.
Mit einem kurzen Blick in den Spiegel checkte ich mich ab. Einigermassen zufrieden verliess ich das Badezimmer und lief an der Glaswand entlang in den Essbereich hinein. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst und schloss betend sogar die Augen.
Ich schlug die Augenlider wieder auf, worauf mein Kiefer sich langsam nach unten bewegte. Mit dem was sich vor mir ereignete hatte ich nicht gerechnet.
„Liebling, da bist du ja! Du sollst dich Schämen zu verschlafen. Zum Glück hast du solch grossartige Mitbewohner die sich bestens um uns kümmern. Nicht wahr Schatz?“ Meine Mutter sah mich gespielt wütend an und stiess meinen Vater dann lächeln mit dem Ellbogen leicht in die Seite. Dieser sass am Tisch neben ihr und setzte ein Lächeln auf, das ich als Zeichen verstand, das alles im grünen Bereich war. Dabei war er es doch, der beim Verstecken des Infoblattes mitgemacht hatte.
„Ja meine Mitbewohner sind wirklich nett, was?“ Ich machte wenige Schritte auf den Tisch zu, an dem nicht nur meine Eltern sassen sondern auch noch vier, muskulöse und attraktive Wesen, denen meine Mutter doch tatsächlich schwärmerische Blicke zuwarf. Vor ihnen auf dem Tisch breitete sich ein Brunch aus, mit allem was es dazu brauchte und noch mehr. Ich traute meinen Augen nicht, als ich in die offene Küche blickte und da alles blitzblank aufgeräumt so wie geputzt war.
Meine Augen sprangen sofort zu Arsen hinüber der nur schweigend vor sich hinlächelte. Seine Augenlider hoben sich etwas, als er meinen Blick auf sich spürte und zu mir hochsah. Sein Kinn lag auf seinen verschränkten Fingern. Seine Arme vor sich auf der Tischplatte aufgestützt.
„Guten Morgen Saphira, du hast bestimmt Hunger, setzt dich doch zu uns.“
Er spielte seine Liebenswürdigkeit nicht, auf keinen Fall wenn er mich mit solch einem ruhigen und stillen Wald in den Augen anblickte.
„Also Saphira, du hast gestern gar nichts erzählt das du solch talentierte und erzogene Mitbewohner hast. Ich habe dich nach Mitbewohnerinnen gefragt und du hast zugestimmt. Aber nach weiblichen Wesen sehen sie mir nicht aus.“ Es war kein Vorwurf eher eine Neckerei der Muskelpakete um sie herum.
„Ich habe nichts von Mitbewohnerinnen gesagt. Ich redete von Mitbewohnern.“ Meine Antwort war meiner Mutter egal und sie nahm sich ein Stück Käse von der Platte vor ihr.
„Arsen, ich muss schon sagen. Mit einem Brunch und Prosecco habe ich nicht gerechnet. Und das ihr nicht nur sehr zuvorkommend seid, sondern auch noch nichts mit weiblichen Wesen anfangen könnt, gibt mir wirklich das Gefühl das Saphira hier wirklich gut aufgehoben ist bei euch.
Arsen sah nun endlich von mir ab, nachdem er den Aufdruck auf meinem T-Shirt lange genug studiert hatte.
Es waren vier Reihen an je drei Heilkräuter und Heilpflanzen drauf, unter denen immer Stand, für was sie verwendet werden konnten. Das unterste Bild ganz links war ein aufgeschlagenes Buch, unter dem „Geist und Seele“ stand. Das ganze hielt sich in weiss, und in den Farben der Heilkräuter, wie man sie auch in echt vorfand.
Meine Mutter hatte immer etwas an meinen Aufdrucken auf den Shirts auszusetzen. Besonders wenn es um Bücher ging. Doch heute schien sie nichts dagegen sagen zu wollen.
„Darüber müssen sie sich keine Sorgen machen Miss Smaragdus. Saphira ist bei uns in guten Händen.“ Er sah zuerst meine Mutter an und dann wieder mich. Dieses Mal wieder direkt in die Augen.
Ich fühlte mich plötzlich unwohl und setzte mich ihm gegenüber an das andere Tischende und hatte auf der rechten Seite meine Mutter und auf der linken ein glatzköpfiges Wesen mit  Bart und zwei verschiedenen Augenfarben. Wie alle meine Mitbewohner, zeigte er seine Muskeln durch ein lockeres Tankshirt das bei jeder Bewegung um den Oberkörper flatterte.
Eines seiner Augen war hellgrün, das andere hellbraun. Irgendwie zogen sie mich in einen Bann, als er mich kurz ansah, während ich mich setzte. Dann waren da noch Laurens Augen die mich freundlich und aufmunternd anstrahlten.
Meine Mutter mit den gleichen wie ich sah mich liebevoll an und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht hinter mein Ohr.
„Saphira mein Herzchen, dein Vater und ich müssen uns leider langsam auf den Weg machen, wir sind schon seit zehn Uhr da und heute Mittag sind wir noch von einem Arbeitskollegen deines Vaters eingeladen.“
Ich sah sie sanft lächelnd an. Obwohl es mir davor graute, wenn sie hier her kommen würde, war ich doch etwas enttäuscht dass sie schon gehen wollte. Doch es war verständlich sie waren lange hier, nur ich hatte nichts davon mitbekommen und geweckt hatte mich ja auch keiner.
„Schon okay Mama. Trotzdem war es schön euch noch vor dem Schulbeginn zu sehen. Wir können ja noch morgen telefonieren.“
„Das machen wir.“
Sie beugte sich zu mir vor und drückte einen liebevollen Kuss auf meine Stirn. „Ich bin stolz auf dich Saphira.“
Aus welchem Grund auch immer, denn ich nach der Abreise von ihr und Vater herausfinden musste, hatten es die Jungs tatsächlich geschafft meine Mutter zu begeistern.

***

„Ich habe dir was mitgebracht, es steht in der Küche! Wir telefonieren Liebling!“
Ich winkte meinen Eltern von der Veranda aus zu, die sich ebenfalls winkend zurück zu ihrem Auto am Eingang des Hochschulgeländes bewegten.
In dem Moment, als sie ausser Reichweite meiner Augen waren, schnellte ich zurück in das Wohnhaus und direkt zum Esstisch, an dem meine Mitbewohner alle noch sassen ausser Arsen. Dieser füllte gerade ein Glas mit Prosecco, das er mir lächelnd entgegen hielt, als ich an dem Küchenbereich vorbei kam.
„Das hätten wir geschafft. War doch gar nicht so schlimm oder?“
Ich sah den Werwolf mit hochgezogenen Augenbrauen an und einem unsicheren Lächeln.
„Wie habt ihr das bloss hinbekommen, mein Bruder, mein Vater und ich werden für immer in eurer Schuld stehen.“
Zögern nahm ich das Proseccoglas entgegen und lief mit ihm zu den anderen an den Esstisch.
„Mit dem, das wir nicht an weibliche Wesen interessiert sind und darum eigentlich eine reinen männlichen Haushalt führen wollen, du aber nirgends Platz gefunden hättest und wir gut will zugestimmt haben, das du hier wohnst, damit du studieren kannst, hatte Arsen einen schwachen Punkt bei deiner Mutter getroffen. Sofort war es nicht mehr so schlimm das du das einzige Weibliche hier drin bist und sie bedankte sich sogar bei uns.“
Ich sah Lauren ungläubig an, dann erstach mein Blick fast Arsen wenn er es gekonnt hätte.
„Du hast meine Mutter mit einer riesengrossen Lüge milde gestimmt? Was ist wenn ich mich mal verplappere wenn sie mich nach euch ausfragt. Sie wird mich ausfragen, da bin ich mir sicher, nach dem ich gesehen habe wie begeistert sie von dem allem hier ist, was sie mit den Augen von dieser Lüge getrübt sieht. Das könnte einige Konsequenzen mitbringen, hast du schon mal darüber nachgedacht?!“
Nicht nur das ich wütend war, das Arsen sich die Freiheit nahm solch einen Mist meiner Mutter zu erzählen und es dann als erfolgreiche Mission abstempelte als sie total guter Dinge wieder verschwand. Nein, er hatte doch auch sicher meinen Wecker manipuliert, da war ich mir sicher. War er es nicht, der heute Morgen mir anbot meinen Wecker zu stellen, damit ich nicht wieder aus dem Bett steigen musste, da ich so müde war.
Nun war meine Wut aufgekratzt und dabei entwich mir sogar eine minimale Menge an Aura die durch mein unkonzentriertes Auftreten gerade entweichen konnte.
Für Arsen musste dies so stark sein wie ein laues Sommerlüftchen, doch anders wie er sah es der Glatzkopf als Kampfansage an.
Ich wurde von einer grossen Aurawelle an die Wand hinter mir gestossen. Noch so ein Werwolf, war ich hier etwa in einem Rudel gelandet?
„Jetzt hör mir mal zu Kräutertante! Arsen hat sein Bestes gegeben es dir recht zu machen! Du hast doch herumerzählt das du dich vor heute fürchtest! Dachtest du deine Mutter würde sich einfach zufrieden stellen wenn man ihr gesagt hätte das wir alles männliche Wesen sind und auf Partys jedes Mal eine andere Kurzbekleidete anmachen?“
Der neu von mir erkannte Werwolf schlug bei seinen Worten die Hände auf die Tischplatte und stand auf. Seine Aura liess mich an Ort und Stelle an der Wand mit dem Rücken kleben.
„Zeig ein wenig mehr Dankbarkeit ihm gegenüber! Und uns, die einfach mitgespielt haben, obwohl zwei von uns dich noch nicht kennen gelernt haben. Aber ganz ehrlich, jetzt habe ich keine Lust mehr dich kennen zu lernen. Verwöhnte, vorlaute Hexenprinzessinnen wie dich mag ich am wenigsten!“
Mit seinen Worten gab er mir wirklich zu spüren das er mich verabscheute und das auf eine Art die besonders weh tat. Er fällte nicht sein Urteil durch mein Aussehen sondern durch mein Inneres. Er hatte Recht, ich sollte eigentlich wirklich dankbarer sein. Dass vorhin, von wegen, das Vater, Aron und ich in der Schuld von Arsen standen, war eher scherzhaft gemeint. Es war keine Bedankung noch eine Dankbarkeit.
„Teron, beruhig dich wieder, du bist immer gleich so krass drauf.“
Lauren lief um den Tisch und legte dem Glatzkopf die Hand auf die Schulter. Dieser schlug diese mit seiner eigenen fort und verliess ohne mir noch einen weiteren Blick seiner zweifarbigen Augen zu würdigen die Küche und den Essbereich. Das letzte was ich von ihm entnahm waren die lauten Schritte auf der Treppe.
Ich sah in die Augen der drei übrigbleibenden Wesen als es still wurde. Ich fing einfach an zu weinen. Die Aura hatte mir eine unglaubliche Angst eingejagt und ich schämte mich so sehr für mein vorheriges Verhalten. Sie hatten mir ohne etwas dafür zu wollen geholfen. Ich hatte aber nichts anderes zu tun als Arsen anzukeifen.
Mit dem Rücken immer noch an der Wand, auch wenn die Aura verflogen war, liess ich mich auf den Boden nieder. Meine Hände schlug ich vor meine Augen und schluchzte kurz auf.
„Entschuldigt bitte. Er hat Recht. Es tut mir leid.“
Ich wollte nicht schon am zweiten Tag von jemandem verabscheut werden, nach dem ich doch eigentlich hier war um neue Freunde kennen zu lernen. Mit dem strickten Plan meiner Mutter war es für mich schwierig Freundschaften aufrecht zu erhalten.
„Saphira bitte hör auf zu weinen.“
Lauren kam zu mir und ging neben mir in die Hocke. Er schloss die Arme um mich und zog mich tröstend an sich. Auch wenn ich ihn erst zwei Mal gesehen hatte seit ich hier eingezogen war, übernahm Lauren irgendwie die Rolle meiner Brüder für mich.
„Ich danke euch vielmals für eure Hilfe. Ohne euch würde ich vielleicht gar nicht mehr am Montag das Studium beginnen können.“
Meine Stimme war von meinen Händen im Gesicht gedämpft, drang aber dennoch genug laut heraus, das die zwei Wesen in der Nähe des Esstisches es auch hören konnten.
„Gern geschehen.“
Das nächste was ich vernahm war der Tannengeruch von Arsen, der mir in die Nase schoss. Seine Hand streichelte meinen Hinterkopf. Auch er hatte sich zu mir hinunter gesetzt.
„Ach ich kenn dich nicht aber ich werde immer gleich so weich wenn ein so schönes Wesen wie du weint.“
Ein drittes Wesen kam zu mir und setzte sich vor mich hin. Im nächsten Moment spürte ich Arsens Wange an meiner und Laurens Brust noch näher.
„Baras, lass das, du zerdrückst sie noch mit deiner Wolfsstärke.“
Arsen versuchte nicht gleich mit dem ganzen Gewicht halb auf mir zu liegen und Lauren lachte nur laut vor sich hin, als Baras seine Arme um die ganze dreier Gruppe schlang und alle fest an sich drückte.
Arsen fing auch an zu lachen. Ich wusste nicht ob diese ganze Situation die Baras auslöste der Grund war oder eher mein Gesichtsausdruck als ich mitbekam wie nahe Arsens Gesicht wirklich an mir war. Doch irgendetwas an seinem warmen Lachen liess  zu mich dann doch zu amüsieren. Ich wehrte mich  nicht dagegen in mitten von Werwölfen gerade halb zerquetscht zu werden.
Ich wohne also nun mit einem wilden Werwolfsrudel zusammen.
Irgendwie liess mich das Sicherheit und Wohlbefinden verspüren.
Lag es an dem Wesen die sie waren, stark und mächtig oder an ihrem Lachen gerade das mich wie ein Wolfsfell erwärmte?

***

Was mir auffiel war, das nicht immer alle Wölfe über die Nacht hindurch da waren. Am Samstagabend bei der zweiten Party dieses Wochenende fehlten Arsen und Teron. Als ich Baras nach den beiden fragte, hiess es, dass sie zu einer anderen Party gegangen waren.
Irgendwie komisch, dies hatte Arsen gar nicht erwähnt als ich mich nach der Party vom Samstag erkundigte. Er meinte nur dass weniger Gäste kommen werden, nun vermutete ich dass er damit seine Freunde gemeint hatte, die nicht auftauchen werden.
Am Morgen waren die beiden Vermissten wieder da.
Ich hatte seit dem Vorfall mit Teron kein Wort mit ihm gesprochen. Mir lag dies quer im Magen und ich hatte mir vorgenommen das ich ihn darauf ansprechen und mich entschuldigen werde, wenn wir kurz alleine waren, doch dazu kam es nicht. Er verschwand für den Rest des Sonntags und kam dann erst wieder am Abend.
Meine total kreativen Mitbewohner hatten auch am Sonntagabend eine Party geplant. Mit der Begründung dass doch ein neues Studienjahr anfing am Montag und das musste man feiern. Diese Meinung hatten nicht  nur sie, was dazu führte das am Sonntagabend das ganze Haus wieder voll Gäste war. Ich hatte sogar das Gefühl das es noch mehr waren als am Samstag.
Mir wurde immer wieder Alkohol angeboten, ich lehnte freundlich lächelnd ab. Ich hatte mir geschworen nicht zu trinken und wenn ich den Prosecco von Arsen am Samstag nur angenommen aber nicht getrunken hatte, wollte ich schon gar nicht irgend ein Studentenparty-Gesöff das wahrscheinlich nur so von Alkohol strotzte. Den Prosecco wischte ich am Samstag dann vom Boden auf nach der Begegnung mit Terons Aura.
Wie ich es  das ganze Wochenende schon getan hatte, hielt ich mich auch an diesem Abend hauptsächlich in meinem Zimmer auf. Ich nahm mir Zeit meine Schulsachen für morgen zu packen. Auf diese Idee kam an diesem Abend wohl nur ich, denn nach dem Lärmpegel im Haus zu urteilen, befand sich die ganze Hochschule gerade vor meiner Tür.
Ein heftiges Klopfen an dieser riss mich aus meinen Gedanken, ob ich auch an alles für morgen gedacht hatte.
Ich reagierte auf das Klopfen und machte die Zimmertür auf, worauf ich in Baras herbstlichen Augen blickte. Sie hatten die Farben von Herbstblättern.
„Hey Saphira, wollte dir nur sagen, das Lauren gerade deine Kräuter auf der Veranda ertränkt. Ich wollte ihn aufhalten aber er ist der Meinung das er dir einen Gefallen macht.“
Die Kräuter auf der Veranda hatte mir meine Mutter mitgebracht. Ich hatte sie noch am gleichen Tag auf der Veranda in alte, herumstehende Töpfe gepflanzt.
Erschrocken und mit Panik das mir Lauren die Kräuter kaputt goss, sprang ich aus dem Zimmer und an Baras vorbei bis vor die Haustür. Diese stand offen und ich musste mich an einer Gruppe von sich amüsierenden Wesen vorbei quetschen.
„Lauren! Du ertränkst sie!“
Ich riss dem taumelnden Werwolf die grüne Giesskanne aus der Hand, die es von meiner Mutter dazu gab neben weiteren Heilkräutern und Pflanzen.
Lauren erschrak zuerst, als er mich aber dann in seinem betrunkenen Zustand erkannte strahlte er mich an.
„Saphira ich kümmere mich um deine Kräuter.“
Ich sah ihn verwirrt an und er meinte es ernst. Er hatte wirklich das Gefühl das er mir damit einen grossen Gefallen getan hatte. Ich konnte nicht mehr wütend auf ihn sein. Er war total betrunken und kippte den Restinhalt seines roten Bechers in sich hinein.
Gekicher und Geflüster war hinter mir zu hören. Wenn ich jetzt mir anmerken liess, wie ich bedaure was er mit meinen Kräutern getan hatte, war es genau das, was sie erwarteten und würden dann laut anfangen zu lachen.
„Danke Lauren, wirklich lieb. Heute habe ich vergessen zu giessen, gut das du es jetzt getan hast.“
Ich brachte sogar noch ein halbherziges Lächeln hin, mit dem ich sein Strahlen erwiderte.
„Gern geschehen, für dich immer!“
Ja, vielen Dank auch. Lauren verschwand wieder im Haus und auch die sich amüsierenden Gäste verzogen sich, als sie merkten, dass nichts anderes mehr passierte als das ich schweigend mit der Giesskanne in der Hand vor meinen Kräutern  gleich neben dem Eingang stand.
Meine Augen sahen dem Wasser zu, das aus den Töpfen heraus floss und einiges an Erde mitnahm.
Ich musste die Kräuter umtopfen und mit neuer Erde versorgen. Sonst hatten sie keine Chancen.
Mir fehlte aber trockene Erde und ich hatte auch gerade keine anderen Töpfe hier.
Ich fing an die Kräuter aus den mit Wasser überfüllten Töpfen zu bekommen und legte sie vorsichtig an die Fassade des Hauses. Verdursten würden die Pflanzen über Nacht nicht.
„Kann ich dir irgendwie helfen?“
Auch heute Abend hatte Arsen gefehlt doch nun schien er wieder da zu sein. Früher als gestern.
„Nein, schon gut. Ist halb so schlimm, sind ja nur Kräuter. Die sind ersetzbar. Ich gehe mir morgen nach der Schule neue kaufen, hier in der Nähe hat es bestimmt ein Gartengeschäft.“
Ich sah ihn nicht an, wenn ich es tat, würde der Werwolf mir meine Trauer um die Pflanzen ansehen.
„Das glaube ich dir nicht. Deine Mutter hat am Samstagmorgen erklärt warum sie dir Kräuter bringt. Ihr habt da so ein Ritual, das ihr an den Kräutern anwendet, das die Pflanzen stärker in der Heilung werden lässt. Und dieses Ritual beherrschen nur erfahrene Hexen bei euch im Zirkel, somit kannst du nicht einfach wieder irgendwelche kaufen gehen und das Ritual neu anwenden stimmt’s? Du beherrschst das Ritual nicht, darum sind sie dir auch so wichtig, die Kräuter.“
Ich konnte nicht ertragen das mir Arsen die Wahrheit, von der ich ganz genau wusste, so unter die Nase rieb.
„Und wenn schon, ich werde ja sowieso niemals hier in die Lage kommen, in der ich wirklich meine Heilkräfte einsetzen muss. Also kein Problem, ich hätte die Kräuter sowieso nur zum Kochen genutzt und da kann ich auch gleich normale Kräuter pflanzen, da braucht es keine mit extra Kräften.“
Erst jetzt drehte ich mich um und erschrak was sich vor mir befand. Arsen sah ganz anders aus wie sonst.
Er trug einen Anzug, der an manchen Stellen aufgerissen war. Seine Krawatte lag nur so lose um seinen Nacken und das Hemd war etwas geöffnet und trug in der Mitte einen grossen Riss, der einen Teil seiner Bauchmuskeln sehen liess.
Das ganze Outfit in schwarz mit schwarzen Anzugsschuhen.
„Was ist mit dir passiert? Bist du verletzt?“
Ich kam näher und schon war das Kräuterproblem vergessen. Ich suchte mit meinen Augen nach Wunden, konnte aber zum Glück nichts weiteres als Schürfungen und Schrammen bei Arsen ausmachen.
„Wo hast du dich denn rumgetrieben?“
Meine Stimme war dünn und zitterig.
„Nur eine kleine Schlägerei, alles gut.“
„Eine Schlägerei? Wo warst du denn?“
Arsens Augen lagen zu weit im Schatten des Hauses dass ich in sie hinein sehen konnte und vielleicht herausfand ob er mich anlog.
„Arsen, was ist passiert?“
Er kam mit ein paar grossen Schritten auf mich zu und beugte sich an mein Ohr hinunter. Beinahe hatte sein hebender und senkender Brustkorbe mich berührt, so nahe war er mir.
„Soll ich dir die Frage von gestern Morgen früh beantworten? Du weisst schon, ob ich an die Harpyie vergeben bin.“
Er war also mit einem weiblichen Wesen unterwegs und hatte eine Schlägerei. Etwas Normales für Werwölfe dachte ich. Und nach dem Anzug zu urteilen hatte er mit ihr ein Date.
Sein Hauchen liess einen kalten Schauer ganz fein über meinen Rücken gleiten. Eine seiner grossen Hände mit den langen,  feingliedrigen Fingern daran spürte ich am unteren Teil meines Rückens.
Wenn ich gewusst hätte, das ich in solch einer Situation mich befinden würde, hätte ich mir etwas anderes angezogen als meine rosa Trainerhose mit den weissen Punkten und nur ein graues Tankshirt ganz ohne BH darunter.
„Ich..ich..nein…“
Mir fuhr Hitze in die Wangen und ich senkte den Kopf um die Röte in meinem Gesicht zu verbergen.
Arsen ging noch weiter und drückte mich mit der starken Hand an meinem Rücken an sich, worauf keine Luft mehr zwischen uns war. Meine Stirn lag an seiner Brust und ich starrte immer noch mit gesenktem Kopf an ihm herab.
„Was hast du gesagt kleiner Kristall?“
Da war wieder der amüsierte Unterton in seiner Stimme, wenn er mich mit solch intimen Zeugs konfrontierte.
Sein mir zugewiesenen Kosename war es dann aber, der mich wieder aus meiner Starre riss.
Ich sah ihm in die Augen und entdeckte da etwas in seinem Gesicht.
Zitterig, und das konnte er bestimmt sehen, hob ich meine Hand und strich mit den Fingern ganz fein über eine Schramme an seiner Schläfe. Sie war grösser und tiefer als alle anderen. Die Wunde wurde kurz von einem hellgrünen Licht umhüllt und verblasste dann mit dem Licht.
Arsen beobachtete mich dabei, in dem er mir in die Augen sah und liess seinen Mund vorerst geschlossen.
„Das ist dein Privatleben. Ich will eigentlich nichts davon wissen. Mir ist nur wichtig, das du die, die dich Anhimmeln  von mir fernhaltest.“
Dies war eine Anspielung auf die Aktion mit den Harpyien in der Küche. Sachte drückte ich mich von ihm weg und er liess mich schweigend und ohne Widerwillen los. Ich hatte doch tatsächlich einen Werwolf zum Schweigen gebracht, das musste auch gekonnt sein.
Ohne mich noch einmal umzudrehen verschwand ich wieder im Haus und beschloss nun zu Bett zu gehen.
Nach dem Arsen wieder da war, ging es nicht lange und die Party wurde unterbunden. Kurz vor elf wurde es ruhig im Haus und ich konnte endlich Kraft für den ersten Studientag tanken.
Dieses Mal hatte ich meinen Wecker wieder selbst gestellt.

4. Kapitel

Zitronenmelisse
Beruhigt die Nerven und fördert
den Schlaf.
Krampflösend in der Magen- und Darmgegend.
Lindert Migräne und Kopfschmerzen. 


Ich war aufgeregt als Teron der erste war, der sich am Morgen in der Küche blicken liess. Wie ich vermutete hatte auch er gestern ziemlich weit in sein Becher geblickt. Seufzend liess er sich auf einen der Stühle am Esstisch nieder und vergrub sein Gesicht in den auf dem Tisch verschränkten Armen. Ich beobachtete ihn aus der Küche heraus und  entschloss mich nun das ihm zu sagen, worauf ich seit Samstag brannte.
„Ich wollte mich für mein Benehmen am Samstag entschuldigen Teron. Du hattest mit allem Recht und ich will mich auch noch bei dir dafür bedanken dass du bei dem Ganzen mit meiner Mutter geholfen hast.“
Bei all meinen Worten starrte ich vor mich hin, erst als ich keine Antwort von ihm bekam blickte ich auf und sah dass er sich keinen Millimeter bewegt hatte. War er wieder eingeschlafen?
Ich versuchte es nochmal, dieses Mal beobachtete ich ihn dabei.
„Teron ich wollte mich entschuldigen für…“
„Hör mal, ich habe einen gigantischen Kater und mir ist übel. Könntest du mich bitte einfach in Ruhe lassen? Das wäre echt nett.“
Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und total überwältigt von seiner Unfreundlichkeit an. Für einen Wutausbruch entschied ich mich dagegen und versuchte mich lieber an eine Versöhnung.
Aus dem Korb voller frischer, loser Heilpflanzen von meiner Mutter auf der Kochinsel, entnahm ich ein bisschen Zitronenmelisse und ein Stück einer Ingwerknolle.
Ich schnitt die Melisse klein und den Ingwer in feine Scheiben. Dann warf ich alles in eine Tasse und leerte kochendes Wasser, das von meinem eigenen Tee noch im Wasserkocher zurück blieb darüber. 
Nach etwa acht Minuten leerte ich den Inhalt der Tasse durch ein Sieb in eine weitere Tasse. Fertig war das beste Mittel gegen Kater nach einer Party.
Schweigend stellte ich Teron die Tasse vor seine Arme und verschwand wieder in die Küche, in der ich anfing mir Brot zu schneiden.
„Ich trinke keinen Hexentrank. Wenn du schon mir was bringen möchtest, könntest du mir einen Kaffee bringen.“
Der Werwolf sah mich nun mit erhobenen Hauptes vom Esstisch aus an. Ungläubig und irgendwie von seinen Worten mit dem Hexentrank verletzt sah ich ihn mit offen stehendem Mund an.
„Da ist Zitronenmelisse und Ingwer drin, das hilf dir. Versuch es doch mal.“
„Dann lass ich mir eben selbst einen Kaffee raus.“
Na das war ja richtig gut abgelaufen, das mit der Versöhnung.
Ich gab mich geschlagen und wir schwiegen uns an. Die Stille wurde von Baras und Lauren durchschnitten, die total munter zu uns stiessen.
Arsen kam als letzter aus dem Zimmer, verschwand dann aber gleich aus dem Haus mit einem kurzen, bis heute Abend. Als ich mich zu ihm umdrehte und eigentlich nach Frühstück fragen wollte, sah ich die schwarzen Haarpracht und den mit Jeans Hotpants, viel zu betonten Hintern der Harpyie. Sie zog donnernd die Tür hinter sich zu und ich stand einfach nur da und starrte die geschlossene Tür von der Küche aus an.
An der Party gestern hatte ich sie nicht gesehen, also musste sie nach dem Date her gekommen sein als ich schon schlief.
Meine Gedanken fuhren zurück zu dem Moment gestern, in dem mich Arsen an sich gedrückt hatte.
Sofort flackerte Wut und Enttäuschung auf. Was hatte ich erwartet? Arsen war attraktiv und  konnte tun und lassen was er wollte. Natürlich befand er sich in Begleitung von weiblichen Wesen, an deren Aussehen und Figur ich gar nicht erst heran kam. Ich würde mich auch für Hotpants als für rosa Trainerhosen mit Punkten entscheiden.

***

Meine Stimmung fiel dann ganz in den Keller, als ich erfuhr das, das Werwolfsrudel in dem ich mich befand im dritten Semester war. Sie waren schon ein Jahr länger als ich auf dieser Hochschule und es traf ein, vor dem ich mich am meisten fürchtete. Ich kam in eine Klasse, in der ich niemanden kannte. Eigentlich dachte ich, dass in den jeweiligen Wohnhäusern immer gleiche Semester sich aufhielten. War doch etwas Wahres daran, was Arsen meiner Mutter erzählt hatte? Wurde ich von dem Wolfsrudel aufgenommen weil sonst kein Platz für mich mehr da war?
Mit schwarzen, engen Jeans und einem anthrazitfarbenem T-Shirt mit dem Aufdruck eines aufgeschlagenen Buches, das mit einem Bund Kräuter als Lesezeichen ausgestattet war, und meinen schwarzen Chucks an den Füssen machte ich mich somit alleine auf den Weg in die allererste Stunde auf der Hochschule. Das erste Fach war Heilkunde mit drei Lektionen nacheinander.
Ich schwang vor der Tür noch kurz meinen schwarzen Rucksack über eine Schulter und steckte mein Handy in die hintere Hosentasche.
„Viel Erfolg Saphira und gib dein Bestes!“
Wenn Lauren ein Bruder für mich war, war Baras die Mutter. Der Werwolf stand mir zuwinkend mit einer Tasse Kaffee an die Kochinsel gelehnt da. Sein Strahlen mir gegenüber war fast schon zu strahlend. Dazu kam, dass die Herbstfarben in seinen Augen das Strahlen übernahmen und aussahen, als würde die Herbstsonne hinein scheinen.
Aber besser zu nett als unfreundlich. Ich winkte ihm kurz lächelnd zurück.
„Danke Baras.“
In mein Blickfeld kam Teron gelaufen, der gerade dabei war ungezwungen aus der Tasse nebenbei zu trinken in der ich ihm den Tee gemacht hatte. Verwunderung flog in meinem Blick mit, mit dem ich ihn anstarrte. Der mürrische Werwolf machte vor dem Geschirrspüler halt. Seine Augen schielten verdutzt zu mir rüber, während er den letzten Schluck aus der Tasse nahm. Ihm war  ins Gesicht geschrieben das ich ihn ertappt hatte.
„Ich habe sie für den Kaffee genutzt, dein Tee habe ich ausgeschüttet.“
Lauren trat ebenfalls in mein Sichtfeld und zog mir zuwinkend eines seiner Augen mit dem Zeigefinger herunter und streckte die Zunge heraus. Mit dem Rücken zu Teron der nicht sah, das sich Lauren gerade über ihn lustig machte.
Lauren mein Bruder, Baras meine Mutter und Teron der mies gelaunte zweite ältere Bruder, der gerade in der Pubertät steckte.
Bei meinen Gedanken winkte ich nochmals allen zu und verschwand aus der Tür. Was für ein Glück ich mit diesem Wohnhaus und seinen Bewohnern hatte, würde mir noch gezeigt werden.
Meine Planungen gingen vollends auf. Ich war mit Absicht früher im Hauptschulgebäude um da dann im Sekretariat meinen Stundenplan zu holen und meine Lehrbücher natürlich. Zum Glück hatte ich solch einen grossen Rucksack mitgenommen. Ich hatte Mühe mit diesem Gewicht auf meinen Schultern die Treppe in den dritten Stock hoch zu kommen. Nach dem Besuch im Sekretariat waren dann auch mal die anderen Studenten im Gebäude angekommen und auf den Gängen herrschte grosse Aufregung. Einige umarmten sich und hatten Freude sich wieder zu sehen, davon konnte man ausgehen, dass sie heute nicht den ersten Tag da waren.
Ich lief an unzähligen Zimmern vorbei, deren Türen noch offen standen, da die Unterrichte noch nicht begonnen hatten. Eine Tür und deren Einblick liess mich anhalten und ganz langsam wieder zurück schleichen.
Ich traute meinen Augen fast nicht. Arsen sass an seiner Bank und auf seinem Schoss klebte nicht die Harpye sondern ein mir fremdes Wesen mit schwarzem, modernem Kurzhaarschnitt. Mit ihrem pinken Tanktop waren ihre tätowierten Arme ein Blickfang. Sie sass rittlings auf dem Werwolf drauf und saugte sich gerade an seinem Hals fest, so empfand ich das auf jeden Fall. Ihre Hände krallten sich dabei in seine muskulösen Oberarme und… Arsen sah mir direkt in die Augen! Wie dumm war ich, das ich einfach in der offenen Tür stehen geblieben war und hinein gaffte wie eine Irre.
Ich konnte den Blick nicht von ihm lassen, ich konnte den stürmisch werdenden Wald in seinen Augen sogar auf dieser Distanz erkennen. Er befand sich in der hintersten Reihe ganz am Fenster und starrte mich durch den ganzen Raum ebenfalls an, während ein weibliches Wesen an ihm hing.
Nach kurzer Zeit erkannte ich, dass seine Mundwinkel sich langsam zu einem wölfischen Lächeln hochzogen. Daran konnte er sich also wieder amüsieren was? Stinksauer über sein doofes Lächeln und seinem provokanten Blick stürmte ich weiter zu meinem Klassenzimmer. Kopfschüttelnd versuchte ich die Bilder von vorhin aus meinem Kopf zu kriegen. Ich kniff mir mit überkreuzten Armen in meine Oberarme um mich wieder zu fangen. Was hatte ich denn nur? Das war eigentlich ein noch relativ mir unbekanntes Wesen das mir keinen Anreiz zu solcher Schockstarre gegeben hatte, wenn ich es mit anderen weiblichen Wesen sah. Was war los?!
Ich fand mein Zimmer am Ende des Gangs. Ich hatte Zeit verloren durch meinen Halt bei Arsen und hatte nur noch zwei Bänke zur Auswahl. Ich entschied mich für den neben einem Wesen das mir sehr sympathisch zu sein schien, anstatt neben eines das sich gerade in der Nase popelte.

***

Zwei von drei Lektionen hatte ich geschafft. Anspruchsvoll waren sie nicht gewesen, da sie eigentlich nur darin bestanden, dass man sich vorstellte und die Semesterziele des ersten Jahres durchging.
Ich erfuhr dass die meisten meiner Klasse ebenfalls aus der Rubrik Hexen kamen oder Waldwesen waren. Zum Beispiel Waldelfen oder Druiden.
Als ich meinen Zirkelnamen nannte, wurde dies mit einem lauten Raunen aus der Klasse vor mir begleitet. Ich wäre am liebsten durch die Wandtafel hinter mir hindurch abgehauen. So etwas hatte ich mir schon gedacht. Mein Zirkel hatte grosses Aufsehen und war bei allen Wesen mit der Fähigkeit der Heilungsmagie bekannt.
Meine Banknachbarin war eine Waldelfe und  mir wirklich ab dem ersten Moment symphytisch.
Sophia Moosgrün wie sie sich der Klasse ebenfalls vorstellte.
Nach der zweiten Lektion klingelte es zu einer Pause, in der wir genügend Zeit hatten um nach draussen zu gehen oder einen Kaffee in der Cafeteria zu holen.
Es stellte sich heraus das es dort keinen Tee gab und so entschieden sich Sophia und ich frische Luft auf dem Schulhof zu schnappen. Ich hätte drinnen bleiben sollen.
Die ersten Wesen die mich erblickten und ich sie, waren Van und  ihr Harpyiennest im Hintergrund.
„Na wenn haben wir denn da. Bist du etwa ein erst Semester? Ach nein wie putzig. Kein Wunder hast du dich am Wochenende eingenässt.“
Die Waldelfe neben mir verstand die Welt nicht mehr. Waldelfen hatten leider die Eigenschaft sich zu überschätzen und konnten eine Situation nicht gut einschätzen. So auch meine nette, neue Banknachbarin.
„Was willst du von ihr? Fällt dir nichts Besseres ein als ein erst Semester fertig zu machen? Hast du gegen dein Semester keine Chancen oder was?“
Van holte schon tief Luft um nun auch Sophia zu beleidigen, als eine mir sehr wohl bekannte Stimme sich einschaltete.
„Hat ein erst Semester wie du kein Respekt vor jemandem aus einem weiteren Semester, als du dich befindest?“ Arsen stand direkt hinter uns und es war ihm völlig egal, das er allen Wesen im Weg stand, die aus dem Hauptgebäude raus wollten.
Mich überragte er schon, doch für Sophia die schon mir nur bis zur Schulter kam, war er wie ein Riese. Die sich übernommene Waldelfe legte den Kopf in den Nacken und sah in seine bedrohlichen Augen hinauf.
„Oje, Saphira ich glaube wir haben Ärger.“
Ich zog meine neu gewonnene Freundin hinter meine für Arsen kleinliche Gestalt und stellte mich so dem bösen Wolf. Fehlte nur noch meine rote Kapuze.
„Lass sie in Ruhe Arsen.“
Mein Zischen war mit mehr Wut gefüllt als beabsichtigt.
Vielleicht hatte ich noch etwas von dem Ärger von vorhin hinein gemischt. Ups.
„Warum, die Kleine hier hat doch angefangen. Und wenn sie so ein vorlautes Maul hat sollte sie gleich am ersten Tag zurecht gewiesen werden. Das wir uns verstehen. SAPHIRA. Diese Göre kommt mir nicht ins Haus.“
Meinen Namen stark betont und mit einem grollenden Knurren unterlegt.
„Was soll das heissen, wohnst du etwa mit diesem Monster zusammen? Ist das dein Freund?!“
Sophia sollte wirklich zusehen, das sie weniger den Mund auftat. Ich konnte es nicht verhindern, bei ihrer ungläubigen Frage schossen mir heisse Wellen in die Wangen.
„Nein, niemals!“
Nach dem ich das förmlich heraus gespuckt hatte, drehte ich mich wieder zu Arsen, der mich grinsend und mit hochgezogenen Augenbrauen ansah.
„Ach ja, sie sollte angefangen haben? Denkst du wir sind wirklich so dumm und legen uns mit einem Semester oberhalb von unserem gleich am ersten Tag an? Vielleicht solltest du mal den Mund deiner billigen Harpyien-Zicke stopfen! Du hast ja so viel mit ihr zu tun, dann hast du sicher dafür Zeit!“
Mittlerweile hatten wir Schaulustige um uns stehen, die es höchst interessant fanden, wie sich ein erst Semester mit dem grossen Arsen anlegte und dabei sich gerade auch noch daran machte die Harpyie zu beleidigen.
Ja genau, das war ich und heute war mein erster Schultag. Ihr könnt euch vorstellen dass man sich damit natürlich super Freunde machte.
„Da ist doch noch was anderes bei dir im Busch. Ich glaube dir nicht das du dich jetzt nur wegen meinen Worten so aufregst kleiner Kristall.“
Versuchte er mich etwa milde zu stimmen? Keine Chance jetzt war ich richtig in Fahrt und da kam auch schon mein nächstes Opfer zum perfekten Zeitpunkt.
„Na schau mal, da kommt ja auch gleich die nächste Zicke.“
Theatralisch zeigte ich mit einem ausgestreckten Arm auf das weibliche Wesen hinter Arsen, das vorhin an seinem Hals hing. Dabei drehte ich mich zu Van die schon ganz einen roten Kopf vor Wut hatte.
„Du Ärmste, du wirst ihn nie für dich alleine haben. Aber wisst ihr was? Ich bin diejenige die ihn ganz privat und jeden Tag sieht, da ich mit ihm zusammen wohne!“
Wenn man von diesem Moment mir eine Videoaufnahme gäbe, würde ich behaupten dass ich das nicht war und so etwas bestimmt nicht von mir geben würde.
Mit einem lauten tiefen Lachen das ich selbst nicht von mir kannte, legte ich den Kopf in den Nacken, griff nach Sophias Hand und machte mich so schnell wie möglich aus dem Staub.
Hinter uns hörte ich Arsens raues Lachen und die Worte: „Ist sie nicht umwerfend?!“
An den Blicken der beiden weiblichen, betroffenen Wesen erfreute ich mich noch bis zur Mittagspause, in dem ich während dem Unterricht die Momentaufnahmen immer wieder in meinem Kopf durchging. Zuletzt kamen immer Arsens letzte Worte auf und ich fragte mich danach jedes Mal ob er dies nur ironisch gemeint hatte oder es wirklich so empfand. Ich konnte mir aber nicht vorstellen dass er es nach meinem unglaublichen Auftritt ernst meinte.
„Und du wohnst also wirklich mit vier Drittsemestern zusammen die zufälligerweise alles Werwölfe sind? Ist das nicht anstrengend? Und vor allem, wieso wurdest du bei ihnen eingeteilt?“
Ich zuckte nur mit den Schultern und schrieb noch kurz meine Einkäufe in meine Agenda. Ich wollte heute Mittag nach dem Unterricht unbedingt Erde einkaufen gehen und mir mindestens ein weiteres  Bücherregal bestellen. Wenn ich noch dazu kam vielleicht einen Teppich für mein Zimmer.
„Wirklich komisch, aber im Wohnhaus ist dieser Typ nett zu dir?“
Sophia schlang sich eine ihrer langen, blonden Locken um den Zeigefinger und wartete vor meinem Bank auf mich. Der Rucksack hing ihr schon schwer über den Schultern. Bei ihrer kleinen Grösse und ihrer zierlichen Figur, sah es aus, als würde sie gleich zusammenbrechen.
„Ja, mehrheitlich schon. Aber immer wenn diese Harpyie Van sich bei uns herumtreibt kommt das nie gut.“
Mehr wollte ich ihr noch nicht erzählen und packte meinen Rucksack nun auch.
Zusammen schlenderten wir als letzten aus dem Zimmer. Sogar der Dozent war schon in die Mittagspause geflohen. Nur noch wenige Studenten befanden sich in den Gängen. Erst als wir der Mensa näher kamen wurden es immer mehr.
„Oh je, du hast dir zu viel Zeit gelassen.“
Sophia sah mit zusammengepressten Lippen und grossen, hellbraunen Augen zu mir hoch.
„Entschuldige. Wollen wir?“
Uns blieb nichts anderes übrig als in die vollgestopfte Mensa zu gehen um dort zu essen. Wenn wir Glück hatten würde noch etwas Lauwarmes aufzufinden sein.
Die Waldelfe wollte mir gerade den ersten Schritt hinein gleich machen, als meine Schultern wie aus heiterem Himmel das Gewicht des Rucksacks verloren.
Sophia schien es gleich zu ergehen, was sie mit einem leisen Quieken preisgab.
„Ach ihr armen Erstsemester, müsst am ersten Tag mehr tragen als euer eigenes Gewicht. Saphira so machst du dir nur die Schultern kaputt.“
Wenn das nicht die führsorgliche Stimme meiner Ersatzmutter Baras war.
„Und das zerbrechliche Wesen wird fast in den Boden gedrückt.“
Der mir bekannte Werwolf hielt unsere Rucksäcke für uns entlastend am Henkel in der Luft.
„Na los, wir tragen sie euch.“
Ich löste mich als Erste von meinem Rucksack, worauf nun auch Sophia es mit mehr Vertrauen tat.
„Bist du dir sicher?“
Wahrscheinlich hatte sie das Gefühl die beiden Werwölfe hinter uns, wollten sie uns wegnehmen.
Der zweite der Wölfe war Teron, dem Baras meinen Rucksack zuwarf und dieser ihn mit links auffing. Trotz der vielen Büchern darin.
„Wie zuvorkommend von euch. Danke.“
Ich sah zu Sophia und lächelte sie an.
„Das sind zwei weitere von meinen Mitbewohnern. Baras und Teron.“
Ich drehte mich zu den Werwölfen um.
„Jungs das ist Sophia meine Banknachbarin.“
Baras sah sich die Waldelfe genauer an und neigte dann leicht den Kopf.
„Freut mich sehr Sophia.“
Teron nickte ihr stumm kurz zu.
Eine nette Geste wenn man bedachte wie mürrisch er sonst war.
„Ihr wollt doch jetzt nicht da rein oder?“
Baras sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Gibt es den eine andere Wahl?“
„Natürlich Saphira. Unser Kühlschrank ist voll und ich kann euch auch etwas kochen. Wir machen das eigentlich immer so. Auch Lauren und Arsen sind im Wohnhaus.“
Ich sah ihn überfordert an.
„Aber ich will Sophia nicht alleine lassen.“
Gerade wollte die Waldelfe mir sagen, dass dies gar kein Problem für sie sei, als Baras auf die glorreiche Idee kam, das sie doch einfach mitkommen solle.
„Meinst du das ist okay für die anderen?“
Ich blickte prüfend zu Teron, der nur gleichgültig mit den Schultern zuckte und meinen Rucksack wie ein Baby in den Armen hielt. Irgendwie witzig aber ich wollte ihn nicht verärgern und behielt mein Lachen bei mir.
„Ach was, Van ist auch da. Und wenn Arsen jemand darf mitbringen, dann auch du. Du wohnst jetzt auch da drin.“
Meine Nackenhaare stellten sich bei dem Namen Van auf. Meine Ersatzmutter merkte mir an, dass etwas nicht stimmte und als dann auch Sophia bei der Erwähnung der Harpyie zusammenzuckte, war für ihn der Fall klar.
„Jetzt hör mal Saphira. Du wohnst da, sie nicht. Du hast um einiges mehr Rechte als sie  dort zu sein. Verstanden? Also Kopf hoch und zeig ihr deinen Status. Du bist Arsens Mitbewohnerin sie ist nur beiläufiger Besuch.“
Baras konnte mich sogar aufmuntern und motivieren wie eine Mutter. Irgendwie unheimlich das Ganze mit dem Mutterersatz.






5. Kapitel

 Pfefferminze
Hilft gegen Erkältungen und Magenbeschwerden.
Lindert Kopfschmerzen und kühlt bei
Fieber ab.

Impressum

Texte: Tizi Santuari
Cover: Tizi Santuari
Tag der Veröffentlichung: 11.06.2019

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Rome, der mich immer wieder motiviert. Für meine Beste Livia. Für die starke Löwin und den ruhenden Drachen in meiner Familie.

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